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Innovationen durch IT: Erfolgsbeispiele aus der Praxis GERMAN

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Xpert.press

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Die Reihe Xpert.press vermittelt Professionalsin den Bereichen Softwareentwicklung,Internettechnologie und IT-Management aktuellund kompetent relevantes Fachwissen überTechnologien und Produkte zur Entwicklungund Anwendung moderner Informationstechnologien.

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Lothar DietrichWolfgang Schirra(Herausgeber)

Innovationendurch ITErfolgsbeispiele aus der PraxisProdukte – Prozesse – Geschäftsmodelle

123

Mit 184 Abbildungen

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Dr. Lothar DietrichAuf der Aue 7340882 [email protected]

Dr. Wolfgang SchirraBooz Allen HamiltonZollhof 840225 Düsseldorfschirra [email protected]

Bibliografische Information der Deutschen BibliothekDie Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der DeutschenNationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://dnb.ddb.de abrufbar.

ISSN 1439-5428ISBN-10 3-540-29161-X Springer Berlin Heidelberg New YorkISBN-13 978-3-540-29161-9 Springer Berlin Heidelberg New York

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung .........................................................................................................1Dr. Lothar Dietrich, Strategic Business Development ExecutiveIBM DeutschlandDr. Wolfgang Schirra, Senior Partner Booz Allen Hamilton

Von der Innovationsstrategie zur Umsetzung

Ergebnisse aus Booz Allen Hamilton-Studien.............................................11Richard Hauser, Partner Booz Allen HamiltonDr. Thomas Goldbrunner, Principal Booz Allen Hamilton

Impulse durch neue Technologietrends........................................................21Dr. Johannes Bussmann, Partner Booz Allen HamiltonDr. Michael Fritsch, Principal Booz Allen HamiltonChristopher Schmitz, Principal Booz Allen HamiltonJens Niebuhr, Principal Booz Allen HamiltonDr. André Scholz, Senior Associate Booz Allen Hamilton

Innovationsstrategie im Wandel der Zeit .....................................................37Dr. Eckhard Geulen, Senior Executive Vice PresidentDeutsche Telekom/T-Com

Treibstoff der Wirtschaft ...............................................................................57Dr. Thomas Ganswindt, Zentralvorstand Siemens AG

Von der betrieblichen Marktforschung zum Wissens-Management:das Marktforschungsportal von T-Systems ..................................................65Heiko Wieandt, Koordinator Bereich Business Information ServicesT-SystemsDr. Helmut Giger, Geschäftsbereichsleiter Marketing Large Enterprises undBranchen T-Systems Business Services

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VI Inhaltsverzeichnis

Praxisbeispiele: Innovation durch IT im Produkt

Innovation in Produkten und Prozessen durch fortschrittlichen Einsatzvon IT..............................................................................................................85Dr. Jürgen Sturm, CIO BSH Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH

IT als Parameter bei der Entwicklung neuer Projekte und Geschäfts-modelle bei RTL interactive..........................................................................99Dr. Constantin Lange, Geschäftsführer RTL interactive GmbH

Mehr Bürgernähe durch Barrierefreiheit ....................................................119Johannes Keusekotten, Leiter Informationstechnik Bundesverwaltungsamt

Innovative IT und innere Sicherheit ...........................................................143Martin Schallbruch, IT-Direktor Bundesministerium des Innern

Simulation und virtuelle Welten – IT-Technologien der Zukunft ............159Heinz Dresia, Mitglied des Bereichsvorstands Rheinmetall AG, Unternehmensbereich DefenceFrank Bildstein, Leiter Datenbasengenerierung Fahr-/FlugsimulationRheinmetall Defence Electronics GmbH

Praxisbeispiele: Innovation durch IT im Prozess

Innovative Geschäftsprozesse – Wertbeitrag eines modernenIT-Managements ..........................................................................................173Klaus Hardy Mühleck, CIO Volkswagen AG

Virtuelle Absicherung im Produktprozess eines Premium-Automobilherstellers....................................................................................189Klaus Straub, CIO Audi AGDr. Oliver Riedel, Leiter Prozessintegration und Informations-ManagementAudi AG

IT zur Absicherung der Produktionsqualität ..............................................207Dr. Michael Gorriz, Vice President CIO Mercedes Car Group undBusiness Systems DaimlerChrysler AGDr. Mario Kuduz, IT-System-Manager DaimlerChrysler AG

Innovative IT-Anwendungen zur integrierten Unterstützung desBeschaffungsprozesses im weltweiten Konzernverbund ..........................221Dr. Andreas Resch, Vorsitzender GeschäftsführungBayer Business Services GmbH

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Inhaltsverzeichnis VII

Eine neue Informationsrevolution durch RFID verändert Geschäfts-prozesse – ein innovatives Anwendungsbeispiel aus dem Pharma-bereich...........................................................................................................237Dr. Hans Christoph Dönges, Leiter Competence Center IT-Lösungen in derLogistik Dematic GmbHUlrich Otto, Principal Booz Allen Hamilton

eService-Plattform Salzgitter ......................................................................257Günter König, CIO Salzgitter Gruppe

IP-Telefonie als IT-Service .........................................................................275Gerhard Otterbach, Leiter Enterprise Solutions and ServicesSiemens CommunicationsThomas Zimmermann, Leiter Enterprise Systems Siemens Communications

Flexible Unterstützung der Geschäftsprozesse eines Chemieanlagen-bauers ............................................................................................................293Dr. Olaf Röper, Leiter Bereich Information Systems Uhde GmbH/CIO

Flexible Servicemodelle – die atmende IT durch adaptivesOutsourcing ..................................................................................................313Dr. Thomas Schmidt-Melchiors, CIO Reemtsma DeutschlandSven Schmidt, geschäftsführender Gesellschafter S2 Management Consulting

Mit besserem Prozess-Management und IT-Innovationen zu mehrKundenzufriedenheit....................................................................................331Christof Wahl, Chief Operating Officer Kabel Deutschland GmbHAndré Wehner, Chief Information Officer Kabel Deutschland GmbH

Innovatives Reporting im Konzern Deutsche Post World Net .................347Peter Mißler, Zentralbereichsleiter Rechnungswesen und ReportingDeutsche Post World NetChristoph op de Hipt, Abteilungsleiter Deutsche Post World Net

Praxisbeispiele: Innovation durch IT im Geschäftsmodell

Die elektronische Signatur als Rationalisierungs- und Vertriebsinstrumentfür Banken ....................................................................................................369Anno Lederer, Vorstandsvorsitzender GAD eGDr. Reinhold Pieper, Leiter Produktfeld Karten- und SicherheitssystemeGAD eG

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VIII Inhaltsverzeichnis

Effiziente Vertriebsunterstützung auf Basis einer serviceorientiertenIT-Architektur ..............................................................................................381Franz-Theo Brockhoff, stellvertretender Vorsitzender GeschäftsführungSparkassen Informatik

IT als Enabler für neue Geschäftsmodelle in der Touristik ......................397Stefanie Berk, Direktorin Neckermann Fernreisen Thomas Cook AGReinhard Eschbach, CIO Thomas Cook AG

Skalierbare IT-Geschäftsmodelle................................................................411Dr. Sven Lorenz, Leiter Informationssysteme Porsche AG

Innovative IT-Steuerung und -Management

Aktivitätenbasiertes IT-Controlling als Führungsinstrument....................425Uwe Herold, CIO Brose Fahrzeugtechnik GmbH & Co. KG

Innovative IT-Steuerung..............................................................................435Chittur Ramakrishnan, CIO RWE-KonzernMichael Semrau, Abteilungsleiter IT Strategy & IT Controlling RWE AG

Innovation erfordert eine geänderte IT-Governance .................................451Klaus Rausch, Sprecher Geschäftsführung HVB Systems GmbHDr. Andreas Rothe, Geschäftsführer Dr. Rothe Management-Beratung

Zusammenfassung und Ausblick

Zusammenfassung und Ausblick ................................................................473Dr. Lothar Dietrich, Strategic Business Development ExecutiveIBM Deutschland

Autorenverzeichnis ......................................................................................489

Booz Allen Hamilton-Buchkernteam .........................................................513

Booz Allen Hamilton-Autorenbetreuerteam ..............................................515

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Einleitung

Dr. Lothar Dietrich, Strategic Business Development ExecutiveIBM DeutschlandDr. Wolfgang Schirra, Senior Vice President Booz Allen Hamilton

Der Begriff Innovation hat seit einiger Zeit wieder Konjunktur in Deutsch-land. Getrieben von der Erkenntnis, dass mit Sparen allein der Wettbewerbim Zeitalter der Globalisierung nicht gewonnen werden kann, werden ins-besondere Politiker und Wirtschaftsvertreter nicht müde, die Bedeutungvon Innovation für die Zukunftssicherung unserer Volkswirtschaft hervor-zuheben.Der Begriff Innovation wird vielfältig verwendet, etwa für eine wissen-

schaftliche Neuentdeckung bis hin zu neuen Redewendungen, die gele-gentlich als sprachliche Innovationen bezeichnet werden.Im Rahmen dieses Buchs verstehen wir unter Innovation eine Neuerung,

etwa technischer, organisatorischer oder strategischer Art oder eine Kom-bination dieser Elemente, die durch ihre Anwendung einen gesellschaftli-chen oder wirtschaftlichen Nutzen schafft und dadurch ihren Markt findet.Also im einfachen Fall ein neuer Rohstoff, dessen Weiterverwendung in

gewissen Endprodukten diese verbessert oder erst ermöglicht und damitden Markt für die Produkte vergrößert oder erst schafft.Wir schauen uns in diesem Buch einen besonderen Rohstoff an – die In-

formationstechnologie (IT). Aufgrund ihrer Vielseitigkeit und ihrer eige-nen hohen Innovationsrate hat sie das Potenzial, durch ihre Anwendungpraktisch überall zu Innovation beizutragen

• in Produkten• in Geschäftsprozessen• in neuen Geschäftsmodellen

... und dies in praktisch allen Branchen und im öffentlichen Bereich. DieAnwendungen dieses universellen Innovationstreibers sind bei Weitem zuvielfältig, um sie erschöpfend abzudecken.Und da Innovation immer auch etwas mit Kreativität und Ideenreichtum

zu tun hat, gibt es auch kein Patentrezept, um „Innovation zu machen“.

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Ein solches Patentrezept zu liefern kann also auch nicht der Anspruchdieses Buchs sein.Aber man kann sich Anregungen und Inspiration holen von Innovatoren,

die bereits spannende Neuerungen in die Tat umgesetzt haben, und darausfür sein eigenes Unternehmen oder seine eigene Behörde neue Ideen ge-winnen. Und man kann lernen, wie es diese erfolgreichen Pioniere schaf-fen, Innovationen zu entwickeln und praktisch umzusetzen – kurz, wie sieInnovations-Management betreiben.Dazu einen Beitrag zu leisten ist das Ziel dieses Buchs.

IT im Produkt

In einem erweiterten Verständnis, das wir in diesem Buch zugrunde legenwollen, lässt sich das Thema „IT im Produkt“ in drei Kategorien untertei-len

• IT im Produkt selbst• IT und produktbegleitende Informationen• IT und Services um das Produkt herum

IT ist bereits heute aus vielen Produkten des täglichen Lebens nichtmehr wegzudenken. So steuert sie beispielsweise in vielen Autos im Ver-borgenen den Motor, etwa um die Leistung zu optimieren. Erfahrbarerwird sie schon, wenn sie in einem Fahrzeug als „Autopilot“ die Geschwin-digkeit automatisch konstant hält.In Produkten zahlreicher weiterer Branchen, zum Beispiel Anlagen- und

Maschinenbau oder Hausgerätehersteller, findet IT als Steuerungselement(auch als „Embedded Software“ bezeichnet) bereits heute ihre Anwen-dung.In der Praxis Zukunftsmusik, wenn auch bereits technisch realisierbar,

ist das Haus der Zukunft, welches zu einer bestimmten Uhrzeit die Be-wohner weckt, Kaffee kocht, die Jalousien öffnet etc. An diesem Beispielwird auch deutlich, dass die Grenzen der oben dargestellten drei Katego-rien nicht hart, sondern überlappend sind. Denn einerseits kann man sagen,dass die IT Bestandteil im Produkt „Haus“ ist, man kann aber auch inter-pretieren, dass die „Hausautomatisierung“ ein Service um das Produkt„Haus“ herum ist.In der Praxis noch schwerer zu unterscheiden sind diese Kategorien,

wenn es um Produkte geht, die im Kern aus Informationen bestehen unddaher fast vollständig innerhalb der IT-Welt existieren können. Beispiels-

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weise trifft dies auf viele Produkte der Medienbranche, der Finanzdienst-leistungen oder auch der öffentlichen Verwaltung zu.Da hier darüber hinaus auch die Geschäftsprozesse zum Beispiel zur Er-

stellung oder Verteilung des Produkts zu großen Teilen innerhalb der ITliegen, wird bei solchen Produkten sogar die Unterscheidung zwischen „ITim Produkt“ und „IT im Geschäftsprozess“ unscharf.Nichtsdestotrotz erweisen sich diese Kategorien in der Praxis als sehr

hilfreich, wenn es darum geht, einen systematischen Ideenfindungsprozessfür mögliche weitere Innovationen durch IT im Bereich „Produkte“ zu un-terstützen.Ebenfalls ein weites Feld sind die produktbegleitenden Informationen.

Aus dem täglichen Leben sind sie zum Beispiel durch Aufdrucke auf Le-bensmittelverpackungen oder als Beipackzettel zu Medikamenten bekannt.Ebenfalls in diese Kategorie fallen Gebrauchsanweisungen für vielerleiGeräte des täglichen Gebrauchs. Dies alles dient der Verbraucherinforma-tion.Aber es gibt weitere Kategorien der produktbegleitenden Informationen,

etwa die Dokumentation der Konstruktion oder der Produktion oder dieChargenverfolgung in der Pharmaindustrie. Diese sind etwa erforderlich,um gesetzlichen oder regulatorischen Anforderungen zu genügen.Eher konventionell gesehen kann IT hier vielfältig helfen, beispielswei-

se bei der Erstellung und Verarbeitung dieser Information.Neue Technologien wie etwa RFID können eine neue Qualität dieser In-

formationen etwa hinsichtlich Aktualität oder Fälschungssicherheit ermög-lichen.Es sind aber auch ganz neue Anwendungsfälle vorstellbar. Beispiels-

weise könnte mithilfe von RFID ein Tourist auf seinen Wunsch hin er-kannt werden, der eine bestimmte Sehenswürdigkeit besucht. Er könnte sodirekt über sein Handy die neuesten Informationen über diese Sehenswür-digkeit erhalten – quasi als begleitende Information zum Produkt „Reise“.Services um Produkte herum sind nichts grundsätzlich Neues. Viele

technische Produkte, speziell höherwertige und solche mit hohen Anforde-rungen an die Betriebssicherheit wie Aufzüge, Autos oder Flugzeuge be-dürfen der vorbeugenden Instandhaltung (Inspektion) und der Reparatur.Unter dem Aspekt „IT im Produkt“ kann IT bereits hier unterstützen, zumBeispiel durch Diagnosesysteme. Auch der Aufzug, der bei Erreichen desWartungsintervalls oder im Fehlerfall automatisch den Servicetechnikerruft, fällt in diese Kategorie.Zusätzliche Kategorien von Services sind weniger eng an das eigentli-

che Produkt gekoppelt. So ist beispielsweise die Funktion mancher Navi-gationssysteme in Autos, dynamisch Verkehrsmeldungen zu empfangen

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und bei Staus alternative Fahrstrecken vorzuschlagen, ein Service um dasProdukt „Mobilität“ herum. Sie hat aber wenig mit den Produkteigenschaf-ten des Autos im engeren Sinne zu tun.Moderne Mautsysteme mit hohem IT-Anteil wie etwa Toll Collect in

Deutschland fallen ebenfalls in die Kategorie der Mobilitätsservices.Verfügbarkeit eines Service unabhängig von den üblichen Öffnungszei-

ten des anbietenden Unternehmens ist eine weitere Dimension. Als be-kanntes Beispiel ist hier die Kundenselbstbedienung bei Geldautomatenund Kontoauszugsdruckern von Banken zu nennen. Andere Produkte, diedie Abgabe einer rechtsverbindlichen Unterschrift des Kunden vorausset-zen, wie der Abschluss von Versicherungs- oder Kreditverträgen, warenbisher der Selbstbedienung nicht ohne Weiteres zugänglich. Dies ändertsich jetzt durch die sichere digitale Signatur. Um sie einzuführen, reichteder alleinige Einsatz von IT nicht aus. Vielmehr war hier auch der Staatgefordert, um einerseits entsprechende Sicherheitsstandards vorzugebenund andererseits die Gesetzgebung anzupassen.

IT im Geschäftsprozess

Geschäftsprozesse sind in ihrer Ausprägung in der Praxis so unterschied-lich wie die verschiedenen Branchen, und teilweise sind sie sogar unter-nehmensspezifisch als ein wesentlicher Bestandteil der Unternehmensstra-tegie.In der Fertigungsindustrie beispielsweise kann man auf hohem Abstrak-

tionsgrad vier Prozesse beziehungsweise Prozessgruppen unterscheiden

• der Ende-zu-Ende-Kundenprozess, der mit der Entstehung des Kaufbe-dürfnisses des Kunden beginnt und mit der Bezahlung des erhaltenenProdukts endet. Der Serviceprozess, der sich mit Wartung und Repara-tur beschäftigt, wird dabei als eine Variante dieses Kundenprozessesverstanden

• der Produktprozess, oft auch Produktentstehungsprozess genannt, dermit der Produktidee beziehungsweise mit dem Produktkonzept beginntund mit der Einführung in die Produktion endet;

• der Produktionsprozess, der mit dem Produktionsauftrag beginnt undmit der Ablieferung des fertigen Produkts endet;

• die Steuerungs- und Unterstützungsprozesse, zum Beispiel Finanz- undControlling- sowie Personalwesenprozesse

Je nach Geschäftsmodell des zu betrachtenden Unternehmens könnendiese Prozesse mehr oder weniger eng verknüpft sein. In der Großserien-

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fertigung etwa sind die erstgenannten drei Prozesse weitestgehend entkop-pelt, während sie bei einem kundenspezifischen Einzelfertiger nahezu voll-ständig verwoben sein können.Dementsprechend vielgestaltig ist in der Praxis auch die IT-Unter-

stützung in diesen Geschäftsprozessen.Der gemeinsame Nenner ist es, dass mithilfe von IT diese Geschäftspro-

zesse gleichzeitig qualitativ besser, schneller und kostengünstiger gestaltetwerden können. Zudem besteht die Möglichkeit, simultan dazu eine höhereKomplexität zu bewältigen, zum Beispiel hinsichtlich Produktvielfalt oderwas die Anzahl und geografische Verteilung von Unternehmenseinheitenund externen Partnern angeht.

IT in neuen Geschäftsmodellen

Unter einem Geschäftsmodell verstehen wir die ganzheitliche Beschrei-bung des „Was“ und „Wie“ einer Strategie. Das heißt, es wird dargelegt,welche Produkt-/Marktstrategie verfolgt wird, insbesondere welches Pro-duktangebot zu welchem Preis an welches Kundensegment gerichtet wird.Ferner wird beschrieben, wie dies geschehen soll, insbesondere wie dieGeschäftsprozesse gestaltet werden und welche Prozessschritte das Unter-nehmen selbst durchführt und wo es sich Dritter bedient, etwa Lieferantenoder Händlern.Unter dem Druck des Wettbewerbs unterliegen Strategien in beiden

Dimensionen einem zunehmenden Wandel. So werden sowohl die Produk-te als auch die Prozesse von Unternehmen ständig weiterentwickelt, umMarktanteile und/oder Profitabilität zu steigern. Solche schrittweisen Wei-terentwicklungen stellen aber noch kein neues Geschäftsmodell dar.Von einem neuen Geschäftsmodell wollen wir sprechen, wenn es in

mindestens einem Element des Geschäftsmodells eine fundamentale Neue-rung gibt.Hier liegt natürlich wiederum eine Grauzone, denn selbst in der gleichen

Branche kann dem einen Unternehmen eine Neuerung leicht von der Handgehen und wird somit als schrittweise Änderung empfunden, während die-se in einem anderen Unternehmen als fundamental angesehen wird.Billigfluglinien, elektronische Marktplätze, Internettelefonie, Telekom-

munikationsunternehmen ohne eigenes Netz sind jedenfalls Schlagworte,die beispielhaft das Aufkommen neuer Geschäftsmodelle illustrieren – malwie beim Beispiel Billigfluglinien mit weniger, meist aber mit starker Be-teiligung der IT.

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Sehr spannend wird es bei den besonders IT-intensiven Branchen wieMedien, Finanzdienstleistungen und Telekommunikation, wo Produkt undGeschäftsprozesse weitgehend in der IT leben können, sowie in Logistikund Tourismus. Nachdem sich die IT über das Internet auch der Telekom-munikation bemächtigt hat und somit auch die Welt der Bilder digital undinteraktiv wird, und nachdem mit RFID das „Internet der Dinge“ vor derTür steht, sind hier neuen Geschäftsideen und Geschäftsmodellen kaumGrenzen gesetzt.

Innovations-Management

Innovations-Management ist ein herausforderndes Thema, denn es giltinsbesondere

• die Kreativität und das „Spielerische“ der Ideenfindung in Einklang mitdem Realismus der Business-Planung zu bringen

• den Enthusiasmus der Innovatoren in Einklang zu bringen mit den Be-harrungskräften des etablierten Managements, die mit den Erfolgen vongestern groß geworden sind

• die unterschiedlichen Disziplinen im Unternehmen zusammenzubrin-gen, insbesondere Forschung und Entwicklung, IT, Marketing, Prozess-und Unternehmensstrategie und nicht zuletzt Finanzen und Controlling

• die Veränderungsbereitschaft der Mitarbeiter zu wecken• zu experimentieren und zu akzeptieren, dass mehr Innovationen miss-lingen als gelingen

Wie dies geschehen kann und soll, dafür gibt es kein Patentrezept. Gehtes beispielsweise darum, gravierende Neuerungen im Kerngeschäft einesUnternehmens umzusetzen, ist beherzte Führung von oben gefragt.Geht es um den Aufbau eines neuen Geschäftsmodells mit wenigen

Verbindungen zum Kerngeschäft, kann es sich anbieten, dies in einer ei-gens dafür zu schaffenden Tochtergesellschaft anzusiedeln.Neben der Abwägung solcher grundsätzlichen Fragen ist es sehr wich-

tig, einen geeigneten Innovations-Management-Prozess aufzubauen, derdie oben genannten Herausforderungen in einer strukturierten, systemati-schen Art und Weise zu bewältigen hilft.

* * * * * *„Innovationen durch IT“ ist ein weites und spannendes Feld mit großem

Erfolgspotenzial für letztlich alle Unternehmen und öffentlichen Institutio-nen.

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Dieses Potenzial zu erforschen und in die Tat umzusetzen ist eine Reise,an deren Anfang Offenheit für Neues stehen muss, ohne den Blick für diePraxis zu verlieren.Bei dieser Gratwanderung möchte dieses Buch Anregungen geben durch

Betrachtung erfolgreicher Innovationen aus der Praxis. Die Reihenfolgeder Beiträge ist so gestaltet, dass sie die Stationen dieser Reise markieren,die hier in der Einleitung nur angerissen werden konnten.Abschließend möchten wir unseren herzlichen Dank sagen an alle, die

zu diesem Buch beigetragen haben.Allen voran danken wir den Autoren Stefanie Berk, Frank Bildstein,

Franz-Theo Brockhoff, Dr. Johannes Bussmann, Dr. Hans Christoph Dön-ges, Heinz Dresia, Reinhard Eschbach, Dr. Michael Fritsch, Dr. ThomasGanswindt, Dr. Eckhard Geulen, Dr. Helmut Giger, Dr. ThomasGoldbrunner, Dr.-Ing. Michael Gorriz, Richard Hauser, Uwe Herold, RalfKachel, Johannes Keusekotten, Günter König, Dr. Mario Kuduz, Dr. Cons-tantin Lange, Anno Lederer, Dr. Sven Lorenz, Jürgen Lutz, Peter Mißler,Klaus Hardy Mühleck, Jens Niebuhr, Christoph op de Hipt, Gerhard Otter-bach, Ulrich Otto, Dr. Reinhold Pieper, Chittur Ramakrishnan, KlausRausch, Dr. Andreas Resch, Dr. Oliver Riedel, Dr. Olaf Röper, Dr. Andre-as Rothe, Martin Schallbruch, Sven Schmidt, Dr. Thomas Schmidt-Melchiors, Christopher Schmitz, Dr. André Scholz, Michael Semrau,Klaus Straub, Dr. Jürgen Sturm, Christof Wahl, André Wehner, HeikoWieandt, Thomas Zimmermann.Sie alle haben sich trotz hoher beruflicher Belastung die Zeit genom-

men, spannende, erkenntnisreiche und qualitativ sehr wertvolle Beiträge zuleisten.Herrn Johannes Klostermeier und Frau Esther Bloch danken wir für ihr

hervorragendes Lektorat. Mit dem nötigen Fingerspitzengefühl haben sieeinen großen Beitrag zur Qualität des Gesamtwerks geleistet.Das Buchkernteam Dr. Johannes Bussmann, Dr. Elmar Pritsch, Dr.

Bernhard Rieder und Stefan Stroh aus der Geschäftsleitung von Booz Al-len Hamilton Deutschland hat den Herausgebern mit Rat und Tat allzeitunterstützend zur Seite gestanden.Last, not least bedanken wir uns bei dem Autorenbetreuerteam von

Booz Allen Hamilton, Dietmar Ahlemann, Holger Brohm, AndreasDeckert, Stephan Dresel, Tim Habermann, Carsten Heina, Volkmar Koch,Oliver Maier, Andreas Masuhr, Dr. Bernhard Rieder, Dr. GermarSchröder, Andreas Späne, Niko Steinkrauß, Dr. Raphael Volz, Dr. AndreaWeierich, das durch sein Engagement den Autoren durch Zeitengpässe undüber das Feedback der Herausgeber hinweggeholfen hat.

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Von der Innovationsstrategiezur Umsetzung

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Ergebnisse aus Booz Allen Hamilton-Studien

Richard Hauser, Partner Booz Allen HamiltonDr. Thomas Goldbrunner, Principal Booz Allen Hamilton

Hohe F&E-Ausgaben sind kein Garant fürUnternehmenserfolg

In vielen Unternehmen ist die Budgetplanung für Forschung und Entwick-lung (F&E) ein eher intuitiver Prozess. Das Credo: Man erhöhe die Aus-gaben für Forschung und Entwicklung, und der Erfolg stellt sich von alleinein. Die Ergebnisse einer Untersuchung von 1000 Unternehmen, die welt-weit die höchsten Summen für F&E ausgeben, lassen dieses Weltbild zu-sammenbrechen. Es ist nämlich keine eindeutige Beziehung zwischen derHöhe der F&E-Ausgaben und den primären Messgrößen des Unterneh-menserfolgs erkennbar. Vielmehr hat die Qualität des Innovationsprozes-ses maßgeblichen Einfluss auf Wachstum und Profitabilität. Der Schlüsselzum Erfolg ist die Konzentration auf wenige Projekte mit hohem Potenzi-al. Zu den wesentlichen Erkenntnissen der Untersuchung gehört auch, dasses offenbar ein Maximum an Innovationen gibt, das Unternehmen in einembestimmten Zeitfenster erfolgreich kommerzialisieren können.

Mehr hilft mehr? Nein!

Seit Jahrzehnten wird der Mythos „mehr hilft mehr“ weltweit aufwendiggepflegt: Länder möchten dem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts mitsteigenden F&E-Ausgaben einen Impuls geben, Unternehmen wollen mehrinvestieren, um im Wettbewerb die Nase vorn zu behalten. Wo Marktan-teile an Konkurrenten verloren werden, mit sinkenden Umsätzen und Ge-winnspannen gekämpft oder über die hohen Folgekosten der Globalisie-rung gestöhnt wird, greifen Unternehmen zur Erhöhung der F&E-Ausgaben wie zu einem Allheilmittel. Gelder fließen in eine Blackbox mit

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der Aufschrift „Innovation“ und sollen rechenbare Ergebnisse bringen, oh-ne dass im Unternehmen wirklich jemand versteht, wie. Neue Produkteund Dienstleistungen werden das Ruder schon herumreißen, so die vageHoffnung.Ernüchterung bringt in diesem Zusammenhang das Ergebnis einer aktu-

ellen Innovationsstudie der internationalen Strategie- und Technologie-beratung Booz Allen Hamilton: Es gibt keinen nachweisbaren direkten Zu-sammenhang zwischen hohen F&E-Ausgaben und dem Unternehmenser-folg. Unternehmen mit einem großen F&E-Budget weisen im Branchen-vergleich keine überdurchschnittlich hohen Gewinne aus. Allerdings ist esauch so, dass die Firmen mit den geringsten Ausgaben für F&E auch amwenigsten erfolgreich sind. Daher ist eine differenzierte Betrachtung derErfolgsfaktoren erforderlich. Nicht-monetäre Faktoren besitzen den größ-ten Einfluss auf den Return on Investment – aber welche?

Abb. 1. Die Performance-Lücke

Neuer Kontext für Innovationen

Effizientes Innovations-Management spielt eine elementare Rolle. In einerWelt, in der Produkte kaum komplex, Prozesse weniger ausgereift und derWettbewerb allenfalls national waren, konnten Unternehmen weitgehend

Indexiertes Verhältnis von F&E zum Umsatz

Umsatz-

wachstum %

y = 0,0116x + 0,0832

R2 = 0,0079

-80%

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-20%

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Ergebnisse aus Booz Allen Hamilton-Studien 13

sicher sein, für ihre neuen Produkte auch einen Markt zu finden. Die fürF&E, Fertigung und Marketing verantwortlichen Mitarbeiter mussten ihreArbeit häufig nicht mal mit den anderen Abteilungen abstimmen.Diese Welt gibt es heute nicht mehr. Kürzere Produktlebenszyklen hal-

ten Kunden angesichts immer neuer Angebote in Atem, während gleich-zeitig der Wunsch nach differenzierten, individualisierten Produkten einenie gekannte Komplexität in der Produktplanung und -entwicklung her-vorbringt. In dieser Situation haben die Geschwindigkeit und Effizienz der„Innovationsmaschine“ im Unternehmen wettbewerbsentscheidenden Cha-rakter erlangt. Doch die Erfahrung aus unserer langjährigen Arbeit mitKlienten zeigt, dass gerade das Innovations-Management mit der gerings-ten Konsistenz und Disziplin geführt wird.

Beunruhigende Erkenntnisse

Dabei geht es hier um immense Summen. Die F&E-Investitionen der 1000ausgabefreudigsten Unternehmen summierten sich im Jahr 2004 weltweitauf insgesamt 384 Milliarden US-Dollar. Seit 1999 stiegen die Budgetsdurchschnittlich um 6,5 Prozent pro Jahr, zwischen 2002 und 2004 sogarum 11 Prozent. Doch ganz gleich, ob die Ausgaben in absoluten Dollar-Beträgen oder als Wachstumstrends, als wichtiger oder zu vernachlässi-gender Indikator, über eine Zeitachse oder ohne betrachtet wurden – dasErgebnis blieb das gleiche: Die Höhe der F&E-Ausgaben nahm keinen of-fensichtlichen Einfluss auf Umsatzwachstum, Bruttogewinn, Betriebsge-winn, Konzerngewinn, Marktkapitalisierung oder Kursgewinn. Zudemzeigte es sich, dass die Performance der Top Ten keine statistisch signifi-kanten Unterschiede zum Mittelfeld ausweist, das viel weniger für F&Eaufwendet. Größe hat einen Einfluss: Große Unternehmen tun sich leichterdarin, mit ihren Ausgaben für F&E einen Effekt zu erzielen. Die Untersu-chung zeigte, dass kleinere und mittlere Unternehmen einen viel größerenUmsatzanteil für F&E aufwenden müssen als die großen Konzerne, um ei-nen vergleichbaren Innovationseffekt zu erzielen.

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Abb. 2. Skaleneffekte (Verhältnis F&E zum Umsatz)

Der optimale Weg ist individuell

Es gibt keinen Königsweg zu nachhaltigem Erfolg für die Ausgaben inF&E. Selbst die Top Ten müssen ihr ideales Ausgabenniveau mühevollfinden. Wichtiger Anhaltspunkt ist, dass der „Return on Innovation In-vestment“ davon abhängt, wie ein Unternehmen Innovationen kreiert: wiees neue Ideen findet, auswählt, entwickelt und kommerzialisiert. ToyotasEffektivität gilt hier als Maßstab schlechthin für seine Wettbewerber, dabeisteht der Automobilhersteller erst an dritter Stelle weltweit, was die Höheseiner F&E-Ausgaben betrifft. Die kompromisslose Ausrichtung auf Pro-dukt- und Prozessexzellenz hat dem Unternehmen den kürzesten Entwick-lungszyklus in der Industrie, die führende Position im Gebiet der Hybrid-Technologie und einen Marktwert beschert, der – gemessen an der Markt-kapitalisierung – höher ist als der der drei nächstgrößeren Automobilher-steller zusammen.Die Verbesserung welcher Prozesse mündet in den besten Resultaten? DieAntwort auf diese Kernfrage ist individuell. Im Falle Apples im Jahr 1996lautet sie: Portfolio-Management. Nachdem Steve Jobs wieder als CEOangetreten war, stoppte er eine Reihe von Projekten radikal und konzent-rierte alle Entwicklungsressourcen ausschließlich auf die wenigen Vorha-ben, die das größte Potenzial besaßen. Mit dieser Strategie schrieb Appleeine neue Erfolgsstory: Steve Jobs hatte eine industrieweit einmalige Inno-vationsmaschinerie in Gang gesetzt, aus der iMac, iBook, iPod und iTunesmit spektakulärem Markterfolg hervorgingen. Dabei liegt der Anteil derF&E-Ausgaben am Umsatz bei Apple mit 5,9 Prozent unter dem Bran-

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chendurchschnitt von 7,6 Prozent. Die insgesamt 489 Millionen US-Dollar, die Apple für F&E ausgibt, machen nicht einmal ein Zehntel des-sen aus, was die großen Wettbewerber aufwenden.

Von den Besten lernen

Generell ist ein hohes Maß an Kooperation und Integration zwischen F&E,Marketing, Vertrieb, Service und Fertigung erforderlich, um Ideen zum Er-folg zu bringen. Verschiedene Untersuchungen und Projekterfahrungenlassen folgende Schlüsse zu

1. Innovationsstrategie: Unternehmen mit einem erfolgreichen Innova-tions-Management bringen die Innovationsstrategie mit der Unter-nehmensstrategie in Übereinstimmung. Sie verstehen es, zukünftigeTrends aus unterschiedlichsten Quellen zu kondensieren, um die Stra-tegieformulierung zu unterstützen. Schließlich wird die Strategie klarausformuliert und breit im Unternehmen kommuniziert.

2. Organisation: Eine schlanke, aber schlagkräftige Einheit ist notwen-dig, um den Innovationsprozess besonders in frühen Phasen über dieverschiedenen Funktionen hinweg zu orchestrieren. Des Weiteren istes bei Unternehmen mit mehreren Geschäftsfeldern wichtig, die rich-tige Balance und Verzahnung zwischen zentraler und dezentralerF&E zu finden.

3. Kundenverständnis: Innovative Unternehmen entwickeln ein tiefesVerständnis ihrer Kunden über die offensichtlichen Einsichten hin-aus, und zwar nicht nur im Marketing sondern über Funktionen hin-weg. Ein weiterer Schritt ist die direkte Beteiligung des Kunden amInnovationsprozess.

4. Globales Innovationsnetzwerk: Relevantes Wissen muss heutzutageauf globaler Basis aufgespürt werden. Standorte in anderen Regionenoder externe Partner helfen, dieses Wissen in den Innovationsprozesseinzuspeisen, wobei die Integration der Standorte und Partner in einNetzwerk erforderlich ist.

5. Projektdurchführung: Klare und strukturierte Prozesse sind einewichtige Voraussetzung für eine effiziente Projektdurchführung.Noch wichtiger sind jedoch eine starke Projektleitung mit Verantwor-tung für Budget und Termine sowie funktionsübergreifende Teams.

6. Innovationskultur: Die Basis für die oben genannten Faktoren ist einegelebte Innovationskultur. Dabei kommt dem Vorbild und dem Ein-satz der oberen und mittleren Führungskräfte eine entscheidende Rol-le zu. Es gibt Anreize und Strukturen für Mitarbeiter, ihr Wissen und

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16 Richard Hauser, Dr. Thomas Goldbrunner

ihre Ideen auch über Abteilungsgrenzen und Unternehmensstandortehinweg weiterzugeben, sodass gerade große Unternehmen ihr welt-weites, umfangreiches, jedoch dezentral vorhandenes Wissen mög-lichst optimal nutzen.

Deutschland ist bei den Investoren vorn dabei

Ein gutes Beispiel aus Deutschland für den effizienten Umgang mit F&E-Geldern ist BMW. Das Unternehmen übertrifft bei Wachstum und Ertragdie meisten Wettbewerber deutlich, liegt aber trotz einer groß angelegtenModelloffensive bei seinen anteiligen F&E-Ausgaben nur knapp über demBranchendurchschnitt.Angesichts der angespannten wirtschaftlichen Situation in Deutschland

muss Innovations-Management und der effiziente Umgang mit F&E-Budgets ein Thema mit höchster Priorität sein. Tatsächlich ist das Land beider Höhe der F&E-Ausgaben in der Spitzengruppe überproportional ver-treten. Unter den Top Ten der Großinvestoren in F&E finden sich Daim-lerChrysler (Listenplatz 4) und Siemens (7). Unter den Top 100 weltweittauchen weitere neun deutsche Konzerne auf: Volkswagen (13), BMW(33), Bayer (40), Infineon (57), BASF (58), SAP (65), Schering (69),Deutsche Telekom (71) und ThyssenKrupp (97).Wenn nun höhere Ausgaben nicht zwangsläufig mehr bringen, sollte

dann nicht einfach der Rotstift bei den F&E-Budgets angesetzt werden?Jene zehn Prozent der untersuchten Unternehmen, die am wenigsten fürForschung und Entwicklung ausgeben, bleiben jedoch bei Gewinn undKapitalrendite deutlich hinter ihren Wettbewerbern zurück. Außerdem gibtes Anzeichen dafür, dass bei den Top 100 der 1000 Unternehmen zu unre-flektiert investiert wird. Folglich gilt es zu vermeiden, dauerhaft sowohl zuden oberen zehn Prozent als auch zu den unteren zehn Prozent der Ran-king-Liste zu gehören.

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Ergebnisse aus Booz Allen Hamilton-Studien 17

Abb. 3. Performance-Nachteil der unteren 10 Prozent

Open Innovation

Eine Lösung, die sich bietet, ist die Bildung von Partnerschaften, die sichdie Investitionskosten und Risiken teilen. Open Innovation – also die Ent-wicklung und Nutzung von Innovationsnetzwerken, die weltweit oder auchnur innerhalb des Konzerns arbeiten – versetzt Firmen in die Lage, auf ge-schäftskritische Innovationspotenziale außerhalb des Unternehmens zu-zugreifen und Ressourcen vereint zur Verfügung zu stellen, um einen vir-tuellen Skaleneffekt zu erzielen.Das ist ökonomisch sinnvolles Verhalten, denn viele Beispiele aus der

Vergangenheit zeigen, dass Unternehmen mit großer F&E-Tradition oftnicht in den Genuss des kommerziellen Erfolgs kamen. Anscheinend kannein Unternehmen nur ein gewisses Maß an Forschungsergebnissen für sicherfolgreich vermarkten – der Rest ist ein Dienst an der Öffentlichkeit.

Die Öffentlichkeit profitiert

So hat zum Beispiel das Palo Alto Research Center at Xerox (XeroxPARC) mit seinen bahnbrechenden Innovationen Geschichte geschrieben,doch haben die Aktionäre in der Regel nichts davon gehabt. Die wohl be-rühmteste Entwicklung war die grafische Benutzeroberfläche. Sie wurde

Ind

exie

rte

Pe

rfo

rma

nce

Index der Brutto-gewinnspanne

Index des Brutto-gewinnwachstums

Index desoperativen-

Gewinnwachstums

Regional variablerShareholder Return

Index

Verhältnis F&E zum Umsatz:

1,0 1,0 1,0 1,0

1,9

1,3

1,91,7

2,4

1,7 1,71,9

0,0

0,5

1,0

1,5

2,0

2,5

3,0

Untere 10% Mittlere 80% Top 10%

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18 Richard Hauser, Dr. Thomas Goldbrunner

zunächst von Apple und später von Microsoft zu Geld gemacht. Die Erfin-dung des Ethernet-Protokolls für die Kommunikation zwischen Computernerwies sich ebenfalls als Segen – für 3Com. Ähnlich war es im Fall der re-nommierten Bell Labs, die Anfang der 80er-Jahre zwei Milliarden US-Dollar im Jahr in F&E investierten. In der achtzigjährigen Geschichte derForschungseinrichtung haben die dortigen Wissenschaftler nichts Geringe-res als den Transistor, den Kommunikationssatelliten, den Laser und dasoffene Betriebssystem Unix entwickelt. Doch zogen ganz andere Unter-nehmen den wirtschaftlichen Nutzen aus diesen wertvollen Erfindungen.Diese Erkenntnisse helfen auch zu erklären, warum in einer weiteren Un-tersuchung kein Zusammenhang zwischen der Anzahl der Patente einesUnternehmens und seinem geschäftlichen Erfolg festgestellt werden konn-te.

Abb. 4. Portale stehen in keinem Zusammenhang mit der Performance

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Ergebnisse aus Booz Allen Hamilton-Studien 19

Fazit

Die Top-Performer der untersuchten Unternehmen haben erkannt, dass vielzu viel auf dem Spiel steht, um Ergebnisse dem Zufall zu überlassen. Aus-gaben für F&E können das Image polieren oder andere Vorteile bringen –elementar ist der Nutzen, den die Anteilseigner daraus ziehen. Entscheidermüssen sich die Frage stellen: Wenn F&E kein Garant für Wettbewerbs-fähigkeit ist, welche Parameter führen dann zum Erfolg? Wichtig ist einMix aus Frühindikatoren und Kennzahlen, die den Erfolg ex post messen.Die Güte des Projektportfolios in frühen Innovationsphasen lässt sich übereine transparente Bewertung der Projekte mittels Scorecards ermitteln. Expost sind die wichtigsten Kennzahlen der Anteil des Umsatzes an Neupro-dukten und der „Return on Innovation Investment“, der auf Projektbasisbestimmt wird.Zur Untersuchungsmethode: Für die Studie identifizierte die Beratungs-

gesellschaft die globalen Top 1000 der globalen Unternehmen, die ihreF&E-Ausgaben veröffentlichen. In einem zweiten Schritt analysierte dieStudie für die vergangenen sechs Jahre die wichtigsten Finanz-, Umsatz-,Ertrags-, Kosten- und Profitabilitätskennzahlen und brachte diese inZusammenhang mit den historischen Ausgaben für F&E.

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Impulse durch neue Technologietrends

Dr. Johannes Bussmann, Partner Booz Allen HamiltonDr. Michael Fritsch, Principal Booz Allen HamiltonChristopher Schmitz, Principal Booz Allen HamiltonJens Niebuhr, Principal Booz Allen HamiltonDr. André Scholz, Senior Associate Booz Allen Hamilton

Einleitung

In vielen Industrien hat in den vergangenen Jahren die Informationstechno-logie (IT) zu wesentlichen Transformationen und Innovationen geführt. ImFinanzdienstleistungssektor hat sich die IT zu einer wesentlichen Kern-kompetenz entwickelt, in anderen Branchen hat die IT durch digitale Mul-timedia neue Produktwelten rund um Video und Audio geschaffen. In Ver-bindung mit dem Internet hat die IT auf einfache Weise neueKommunikationsmöglichkeiten mit globaler Dimension geschaffen, mitder gerade im Retail-Bereich ortsungebundene Geschäftsmodelle realisiertwerden konnten. Mit zunehmender Verbreitung und Präsenz der IT sind invielen Unternehmen die damit verbundenen Kosten gestiegen. Die IT-Budgets kamen vor allem vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Stag-nation mehrfach auf den Prüfstand. Die Frage, die immer wieder in denMittelpunkt der Diskussionen rückt, ist die nach dem Geschäftswert inno-vativer IT-Lösungen.Die neue Rolle der IT als Kernkompetenz und Schlüssel für Innovatio-

nen ist, insbesondere in Serviceindustrien, zukünftig intensiver auf die Un-terstützung der Innovationskraft der Unternehmen ausgerichtet. Das be-deutet, dass die Entwicklung der IT-Kosten nicht mehr als alleiniges Maßzur Bestimmung der Leistungsfähigkeit der IT herangezogen wird. Bei derPositionierung der IT als wichtige Kompetenz für den Unternehmenserfolgspielt die wirtschaftliche Nutzung erkennbarer Technologietrends und IT-Innovationen eine entscheidende Rolle. Nie zuvor haben so viele verschie-dene Technologien Einfluss auf die Unternehmensentwicklung genommen.Waren die vergangenen 15 Jahre von der explosionsartigen weltweiten

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22 Dr. J. Bussmann, Dr. M. Fritsch, C. Schmitz, J. Niebuhr, Dr. A. Scholz

Verbreitung des Internet mit den Schlüsselanwendungen World Wide Webund E-Mail gekennzeichnet, hat die wachsende Leistungsfähigkeit derMobilfunktechnologie nun für den mobilen Zugang zum Internet gesorgt.Die weitere Konvergenz von Technologiewelten, die Kombination von of-fener Internetwelt mit uneingeschränkter Mobilität wird zu einer starkenIntegration, Flexibilisierung und Beschleunigung bei der Entwicklungneuer Lösungen für die Wirtschaft und den privaten Bereich führen. Dar-aus leiten sich auch die wesentlichen Anforderungen der nächsten Jahrean Anwendungen, IT-Architekturen und Infrastruktur ab, die wir in diesemKapitel beschreiben und anhand praxisnaher Beispiele veranschaulichen.

Technologietrends im Anwendungsumfeld

Auf der Ebene der IT-Anwendungen sind zwei grundsätzliche Bereiche zuunterscheiden: zum einen Anwendungen für den Dialog mit dem Ge-schäftspartnern und insbesondere den Endkunden, zum anderen Anwen-dungen zur Steuerung von internen Prozessen ohne direkte Kundeninterak-tion. In beiden Bereichen setzen neue Technologien Akzente, die zuinnovativen Diensten und Leistungen führen.

Neue Servicesanwendungen durch innovative Technologien

Die Weiterentwicklung der Mobilfunk- und Festnetze hat ein kreatives Po-tenzial für neue Serviceanwendungen für Endkunden geschaffen. Aktuellsind dies die neuen technischen Lösungen wie UMTS und WLAN, die alsleistungsfähige Breitbandzugänge den mobilen Einstieg ins Internet er-möglichen. Die nächste Entwicklungsstufe ist das sich immer stärker ver-breitende Internet Protocol (IP), das die Bandbreiten und Infrastruktur effi-zient und kostengünstig nutzt und damit die herkömmlichen Verfahren derDatenübertragung zurückdrängen wird. Durch gleichzeitige Fortschrittebei der Leistungsfähigkeit mobiler Endgeräte verbrauchen Chips und Dis-plays deutlich weniger Strom als zuvor, was zu völlig neuen Einsatzmög-lichkeiten führt. Zusammengenommen geben alle diese Entwicklungenden Anstoß zu neuen oder erweiterten Dienstleistungen an der Schnittstellezum Kunden.Insbesondere konnten die Rahmenbedingungen für das Angebot und für

Lösungen des mobilen Zahlungsverkehr (Mobile Payment) entscheidendverbessert werden. Das Beispiel von Paybox in Österreich zeigt sehr an-schaulich, wie das Zusammenspiel moderner Technologien in diesem Um-feld neue Geschäftsmodelle hervorbringt. Für deren Erfolg reicht Technik

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Impulse durch neue Technologietrends 23

allein allerdings nicht aus: Kunden müssen über Nutzenargumente gezieltan die innovativen Services herangeführt werden. Die Einfachheit der Lö-sungen und die nachweisliche Sicherheit spielen für die Akzeptanz bei pri-vaten Endkunden eine entscheidende Rolle.Paybox Austria befindet sich im Besitz von Mobilkom Austria und ONE

und ist mit 180 000 Kunden und 4000 akzeptierten Händlern Österreichsführender Anbieter für Mobile Payment. Über eine sichere, multifunktio-nale Plattform für das mobile Bezahlen wird den Kunden eine Vielzahlvon Services für eine geringe Jahresgebühr angeboten. So lassen sich mitM-Parking, M-Ticketing und M-Betting zum Beispiel Parkgebühren oderKinokarten mit dem Handy bezahlen oder Fußballwetten mobil abschlie-ßen. Zur Finanzierung des neuen Zahlungsservice verlangt Paybox ein Di-sagio von den angeschlossenen Vertragspartnern.Um das Mobile-Payment-Angebot nutzen zu können, muss der Kunde

Teilnehmer eines österreichischen Mobilfunknetzes und bei PayboxAustria registriert sein sowie über ein österreichisches Bankkonto verfü-gen. In Abbildung 1 wird die Funktionsweise der Transaktion im MobilePayment erläutert. Die Dauer einer einzelnen Transaktion beträgt rund 30Sekunden und ist vergleichsweise sicherer als alternative Lösungen, da dieZahlung ohne die Übertragung von Bankkonteninformationen oder Kredit-kartennummern möglich ist.

Abb. 1. Funktionsweise einer Mobile-Payment-Transaktion im Handel

Transaktion im Mobile Payment

Mobilfunk-netzbetreiber

PostFinanceCHF 23.253.5.2005

Kunde Händler

Paybox

Bank

5

6

Kunde:Mobilfunknummer

wird übermittelt

Händler:Mobilfunknummerwird am Point ofSale erkannt,Information undBetrag werden anPaybox übermittelt

M-Payment-System:Paybox übermittelt Betrag und

Händlerinformation an das Handydes Kunden

Kunde:autorisiert

Transaktion durchBestätigung via

Paybox-PIN-Code

M-Payment-Plattform/Bank:Transaktionsinformation geht bei derBank ein, Betrag wird vom Kundenkontoan den Händler überwiesen

2

3

4 1

M-Payment-System:Transaktion wird via SMSoder E-Mail bestätigt

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24 Dr. J. Bussmann, Dr. M. Fritsch, C. Schmitz, J. Niebuhr, Dr. A. Scholz

Paybox kooperiert mit führenden österreichischen Firmen wie OMV,Österreichische Bundesbahnen, Österreichische Lotterien, Casino Austria,Bet and Win und Cineplexx und verfügt über ein großes Wachstumspo-tenzial, da bisher erst zwischen zwei und drei Prozent der österreichischenMobilfunknutzer Paybox-Services anwenden. Die Anzahl der Transaktio-nen stieg allein 2004 im Vergleich zum Vorjahr bereits um 90 Prozent.Entscheidend für den Durchbruch neuer technologiegetriebener Services

im Massenkundenbereich ist – wie auch das Beispiel Payment-Serviceszeigt –, dass die Geschäftsmodelle für den Endkunden ohne für ihn er-kennbare Zusatzkosten höhere Sicherheit und höhere Convenience brin-gen. Für den Aufbau weit verzweigter Netzwerke und neuer Technologie-lösungen ist dies ein Skalen- oder wie häufig ein „Henne-Ei“-Problem.

Digitale Signatur bei VR-Banken

Auch auf anderen Gebieten mündet die Nutzung neuer Technologien indem Aufbau innovativer Dienstleister: Derzeit gründen die deutschen Ge-nossenschaftsbanken ein Dienstleistungsunternehmen, das über einen digi-talen Ausweis eine rechtsverbindliche, elektronische Unterschrift über dieBankkarte ermöglicht. Der neue Zertifizierungsdienstanbieter (ZDA) wirddiesen digitalen Ausweis ab 2007 Volks- und Raiffeisenbanken (VR-Banken) und ihren Kunden anbieten. Für diese ist das Prozedere einfachund überschaubar: Er muss sich in einer der VR-Bankfilialen lediglicheinmal gegenüber einem Registrierungsbeauftragten ausweisen. Das quali-fizierte Zertifikat kann der Kunden selbsttätig mittels Kartenleser über ei-nen beliebigen PC mit Internetzugang vom Web-Server auf die Bankkarteladen; es steht sofort zur Nutzung bereit. Die VR-Bankfilialen dienen mitihrem flächendeckenden Netz als Zertifizierungsstellen.Die so ausgestattete Bankkarte lässt sich dann nicht nur für normale

Zahlungsverkehrsfunktionen, sondern auch für die rechtsverbindliche Er-teilung von Bankaufträgen, die sichere Kommunikation über das Internetoder auch als eindeutige Identifikation für E-Government-Anwendungeneinsetzen.Ausschlaggebend für die erfolgreiche Etablierung der elektronischen

Signatur ist die Bereitstellung von entsprechenden Anwendungen in Ver-bindung mit Bankverfahren. Damit können Bankkunden zusätzliche Pro-zesse nutzen, die bisher einer persönlichen Unterschrift bedurften: zumBeispiel die Eröffnung eines Zweitkontos oder die Beantragung einer Kre-ditkarte. Zusätzlich erhöht sich durch den Einsatz der elektronischen Sig-naturen der Sicherheitsstandard beim Online-Banking deutlich. Durch dieBereitstellung und die Nutzung dieser Technologie können die VR-Banken

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Impulse durch neue Technologietrends 25

den Service für die Kunden verbessern, die Sicherheit erhöhen und Bank-prozesse effizienter gestalten.

Google führt Technologien zusammen

Ein weiteres Beispiel für eine attraktive, neuartige Anwendung sind dieortsabhängigen Services, die der Suchmaschinenbetreiber Google durchdie Kombination innovativer Technologien anbietet. Google sammelt sys-tematisch Daten über Verbraucher und ihre Gewohnheiten und wertet sieaus. Mit diesem Online-Service hat das Unternehmen die weltweite Markt-führung erlangt und baut diese Stellung mit ergänzenden Dienstleistungenweiter aus. So lassen sich beispielsweise mit Google Earth/Google Mapsdie Landkarten und die Umgebung der momentanen Position eines Mo-bilfunknutzers auf dem Endgerät darstellen. Google reichert die Darstel-lung mit der Suchmaschinenfunktion von Google Local an, das Auskünfteüber die lokalen Produkt- und Dienstleistungsangebote bietet. So kann einBesucher in einer fremden Stadt zum Beispiel schnell die nächstgelegeneApotheke oder ein nahes Restaurant finden. Schließlich hat er die Mög-lichkeit, über E-Mail, SMS, Voice over IP oder klassische Telefonie In-formationen etwa zu einem Medikament zu erhalten oder einen Tisch zureservieren.Die Funktionsweise von Google Local ist in der nachfolgenden Abbil-

dung illustriert.

Abb. 2. Funktionsweise von Google Local

Mehrwertlösungen im Internet – Beispiel Google

Google Local

Ortsabhängige

Services auf Basis

von Google Maps

& Google Earth

Nutzung von

Googles

„Google Local

Search Engine“-

Funktionalität

Telefonie mit

Google Talk –

Googles Voice-

over-IP-Service

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26 Dr. J. Bussmann, Dr. M. Fritsch, C. Schmitz, J. Niebuhr, Dr. A. Scholz

Die von Google angebotenen Dienste sind vollständig werbefinanziert.Hierzu hat der Anbieter das Online-Geschäftsmodell weiter verfeinert undbietet eine Reihe dedizierter Services für die Online-Werbung an. Durchdie intelligente Verlinkung der Informationen und die hohe Genauigkeitbei der Zuordnung von Suchanfragen mit Zielkundenprofilen steigertGoogle den Zusatznutzen für die Beteiligten des Online-Geschäftsmodellserheblich.

Zwei Wege zur Modernisierung der Anwendungen imBereich Operations und Administration

Der zweite große Bereich für innovative Lösungen auf der Anwendungs-ebene sind die produktionsnahen Anwendungen, die ohne direkte Kunden-interaktion die internen Prozesse, die Operations und die Administrationunterstützen und steuern.Gerade in Industrien wie dem Finanzdienstleistungsbereich, der Mas-

senkunden mit modernsten Dienstleistungen bedient, sind die Erwartungenan die Leistungsfähigkeit und Sicherheit der Applikationen besondershoch. Um im Wettbewerb mithalten zu können, wünschen die einzelnenGeschäftsbereiche der Banken als interne Kunden der Anwendungsent-wicklung, dass ihre Anforderungen möglichst zeitnah realisiert werden.Gleichzeitig verkürzen sich die Zyklen, in denen neue Funktionen in vor-handene Systeme integriert werden müssen.Viele moderne Anwendungsbausteine gehören heute bereits zum Stan-

dard in großen Unternehmen und Banken. Dazu gehören ein ganzheitlichesKunden-Management (Customer Relationship Management, CRM) undumfassende Lifecycle-Konzepte. Um den einzelnen Geschäftsbereichenzum Beispiel ein leistungsfähiges CRM-System zur Verfügung stellen zukönnen, müssen Daten aus verschiedensten Quellen unter einer einheitli-chen Business-Logik vernetzt werden. Doch nicht nur die Anforderungender internen, sondern auch die der externen Kunden an die produktions-nahen Applikationen steigen kontinuierlich. Denn es wird immer einfa-cher, über unterschiedliche Kanäle wie Telefon, Fax oder Internet auf dieBank zuzugreifen. Dabei möchten Kunden stets den gleichen Komfort undvollständige Servicebereitschaft vorfinden. Finanzdienstleister wissen, wiewichtig die Harmonisierung der Kundenschnittstelle zur Verbesserung derKundenbindung und ihrer Beratungsleistung ist.Die produktionsnahen, operativen Anwendungskernsysteme halten mit

diesem kontinuierlichen Anstieg der Anforderungen in der Regel nicht imgleichen Maße mit. So werden zum Beispiel in der Finanzdienstleistungs-

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Impulse durch neue Technologietrends 27

branche noch immer viele Applikationen auf Altanlagen eingesetzt. Com-puter mit einer bis zu dreistelligen Anzahl von Schnittstellen zu vor- undnachgelagerten Systemen sind keine Seltenheit. Müssen diese dann auchnoch in Echtzeit oder beinahe Echtzeit bedient werden, wächst die Kom-plexität der fachlichen und technischen Architektur exponentiell an.Nun haben sich viele Banken im Bereich der dispositiven Systeme

schon seit langer Zeit für Standard-Software entschieden, um den Vorteilder einfacheren und kosteneffizienteren Pflege und Weiterentwicklung zunutzen. So sind für Rechnungswesen/Buchhaltung, Controlling, Einkauf,Human Resources am Markt verfügbare Applikationen im Einsatz. Dochmuss bei den operativen Systemen auf diesen Vorteil aufgrund der immernoch wachsenden Komplexität verzichtet werden.Für das erforderliche grundlegende Re-Design und den Ersatz von

Kernsystemen sind zwei Wege möglich

• schrittweise Entkernung, Erneuerung und Modularisierung von Anwen-dungen sowie Konsolidierung der funktionalen Anforderungen auf derBusiness-Seite (zum Beispiel durch Reduzierung der Produktanzahl )

• Austausch von Kernsystemen durch vollständig neue, selbst entwickelteApplikationen oder durch den Einsatz von Standard-Software

Beispiele für beide Varianten der Systemerneuerung finden sich eben-falls im Finanzdienstleistungssektor. So hat die Postbank in Zusammenar-beit mit SAP eine umfassende Lösung für Banken im Privatkundenge-schäft entwickelt und gegen ihr operatives Kernbanksystem ausgetauscht.Damit hat sich gezeigt, dass der radikale Weg des Vollaustauschs ebensogangbar ist wie eine evolutionäre Weiterentwicklung bei gleichzeitigerKomplexitätsreduzierung. Als Beispiele hierfür seien die Entwicklung derGesamtbanksysteme „One System Plus“ der Sparkassen Informatik sowie„VR Agree“ und „bank21“ der genossenschaftlichen IT-Dienstleister ge-nannt. Der Lösungsansatz liegt hier in der Renovierung, der funktionalenModernisierung und der Erweiterung der fachlichen Architektur der Busi-ness-Funktionalitäten auf der Basis bestehender Applikationen. Das Zieldabei ist es, die Möglichkeiten heutiger Technologien im vollen Umfangzu nutzen und eine Architektur zu schaffen, mit der neue technologischeEntwicklungen künftig wirtschaftlich und schnell eingesetzt werden kön-nen. Dazu wurden die veraltete IT-Architektur durch eine modulare, kom-ponentenbasierte ersetzt und offene Schnittstellenkonzepte realisiert.

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28 Dr. J. Bussmann, Dr. M. Fritsch, C. Schmitz, J. Niebuhr, Dr. A. Scholz

Technologietrends im Bereich IT-Architektur

Ein weiterer Bereich, in dem die Umsetzung von Technologietrends neueWertschöpfungspotenziale erschließen kann, ist die IT-Architektur. Sie be-schreibt den konzeptionellen Aufbau der Informations- und Kommu-nikationssysteme. Unternehmen mit einer hohen Durchdringung mit IT-Systemen oder mit großen und starren Altanwendungen leiden bereits heu-te unter Wettbewerbsnachteilen, wenn eine unflexible IT-Architektur dieRealisierung von Kostensenkungspotenzialen und eine schnelle Reaktionauf neue Geschäftsanforderungen behindert. Gerade hier wirkt sich derDruck, der von den Anforderungen des Business auf die IT ausgeht, be-sonders stark aus.Da Veränderungen starrer IT-Umgebungen umfangreiche Vorbereitun-

gen erfordern und sich nicht im Handumdrehen umsetzen lassen, solltenCIOs (Chief Information Officers) die Zukunftssicherheit ihrer IT-Archi-tektur intensiv kennen und unter Beachtung wirtschaftlicher Aspekte sys-tematisch weiterentwickeln. Die IT-Architektur gehört neben der IT-Governance und den Steuerungsmodellen zu den wesentlichen Elementeneiner IT-Strategie. Unter IT-Governance werden die Beziehungen undProzesse zusammengefasst, die durch Informationstechnik umgesetzt wer-den und die darauf ausgerichtet sind, die Ziele des Unternehmens zu errei-chen. Die IT-Architektur muss dazu die schnelle und flexible Weiterent-wicklung des Geschäftsmodells und der damit verbundenen Anfor-derungen ermöglichen. Andernfalls kann es nicht nur zu massivenWettbewerbsnachteilen, sondern sogar zu existentiellen Bedrohungenkommen, wie das Beispiel des Flughafens Denver zeigte: Eine unzurei-chende IT-Architektur war einer von mehreren Gründen, die den gesamtenAbfertigungsprozess für 16 Monate zum Erliegen brachte und so einenSchaden von rund zwei Milliarden Dollar verursachte.

Hohe Anforderungen an die Flexibilität

Das Ziel einer Business-orientierten IT-Architektur ist es, das Kernge-schäft des Unternehmens und wesentliche Funktionen wirksam und flexi-bel zu unterstützen und dabei die Kosteneffizienz der IT zu wahren. WeilUnternehmensstrukturen heute durch Reorganisationen, Outsourcing oderAkquisitionen kaum länger als sechs Monate unverändert bleiben, sind dieAnforderungen an die Flexibilität der IT-Architektur besonders hoch. Langlaufende IT-Transformationsprojekte sind bei organisatorischen und pro-zessualen Änderungen nicht mehr akzeptabel, und eine kurze Time to

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Impulse durch neue Technologietrends 29

Market ist zu einem wichtigen Wettbewerbsfaktor für neue Informations-und Kommunikationstechnologien geworden.Darüber hinaus sind IT-Komponenten immer stärker Bestandteil der

Endkundenprodukte, zum Beispiel bei IP-basierter Telefonie (Internettele-fonie) oder beim Online-Banking. Daher muss eine leistungsfähige IT-Architektur die Produkt-IT optimal in die Gesamtarchitektur einbetten, dieZeit bis zur Marktreife verkürzen und gleichzeitig zur Senkung der Kostenbeitragen.

Nicht mehr ohne integrative Konzepte

Kein renommierter Standard-Software-Anbieter gestaltet seine Produkteheute ohne Middleware-Technologien. Middleware ist eine vereinheitli-chende Software-Schicht, die zwischen den Anwendungen und dem Be-triebssystem vermittelt. Sie bewirkt auch, dass für den Anwender dieKomplexität der zugrunde liegenden Infrastruktur und Applikationen ge-managt wird, ohne dass er diese kennen und verstehen muss. Sollen vor-handene Systeme neu organisiert werden, sind durch den Einsatz von ge-eigneter Middleware keine tief greifenden Umstrukturierungen erforder-lich, was Zeit und Kosten spart. Selbst das hochintegrierte SAP R/3 greiftmit Erfolg auf Middleware zurück.

Abb. 3.Wirkungsweise einer Middleware

Alle diese Konzepte werden derzeit durch die Hersteller unter dem nichtnormierten Label „serviceorientierte Architekturen“ (SOA) vermarktet.Die verfügbaren Technologien sind jedoch in ihrer Leistungsfähigkeitnicht gleichwertig, sie arbeiten unterschiedlich gut mit einzelnen System-plattformen zusammen. Eine „One size fits all“-Lösung für die gesamte

Anwendung A Anwendung B

Anwendung C

Middleware

Interface

Steuerungs-

logik

Externe

Partner

Interface

Interface

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30 Dr. J. Bussmann, Dr. M. Fritsch, C. Schmitz, J. Niebuhr, Dr. A. Scholz

Unternehmens-IT ist nicht in Sicht. Gezielt eingesetzte Middleware kannjedoch in vielen Architekturbereichen zu hohen Kosteneinsparungen füh-ren. Das trifft besonders in einem heterogenen, aber stark vernetzten An-wendungsumfeld zu, wie es beispielsweise für den Betrieb von Telekom-munikationsnetzen erforderlich ist. Hier lassen sich Betriebsfunktionenwie die Überwachung der Plattform, die Bearbeitung von Fehlermeldun-gen (Trouble Ticketing), das Management von mit Kunden vereinbartenServiceniveaus (Service Level Management) miteinander verbinden. Star-re Schnittstellen, die bei Prozessanpassungen hohe Kosten nach sich zie-hen, entfallen durch Middleware.Die kontinuierliche Justierung der bestehenden IT-Architektur ist für

den Erfolg eines Unternehmens wichtig, häufig ist sie jedoch mit einerReihe von Schwierigkeiten verbunden:

• hohe Kosten für die Anpassung speziell ausgeprägter, unternehmenskri-tischer Altanwendungen

• Überlappung von Funktionalitäten zwischen den einzelnen Systemplatt-formen, zum Beispiel bei heutigen „Customer Relationship Manage-ment“(CRM)-Systemen und „Enterprise Resource Planning“(ERP)-Systemen

• ungesicherte Tragfähigkeit moderner Middleware-Technologien, insbe-sondere für die Übertragung größerer Datenmengen

• effektives Management der Veränderungsprozesse innerhalb eines Un-ternehmens

Auch wenn die Erneuerung der IT-Architektur mit vielen technischenFragestellungen verbunden ist, so muss sie letztlich von der Business-Seiteinitiiert werden. Angesichts der Größe der Aufgabe und der hohen Investi-tionen sind daher starke Sponsoren und ein systematisches Vorgehenzwingend erforderlich. Viele dringend notwendige Veränderungen schei-tern aber genau daran.

IT-Architektur systematisch aufbauen

Ein Ansatz zur Modernisierung der IT-Architektur geht von den relevantenBusiness-Anforderungen aus und schließt mit einer realistischen Planungfür die Überführung in die neue IT-Umgebung – der Migration. Dabeimüssen zuerst die für das Unternehmen wesentlichen Markt- und Ge-schäftsentwicklungen strukturiert werden.

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Impulse durch neue Technologietrends 31

Abb. 4. Vorgehensweise zum Aufbau einer effektiven IT-Architektur

Hier geht es darum zu verstehen, welche Prozesse und Produkte zukünf-tig durch die IT unterstützt werden müssen. Davon sind die funktionalen,zeitlichen und sonstigen Implikationen auf die Architektur abzuleiten. Da-bei kann es sich zum Beispiel um die Berücksichtigung von Partnering-Schnittstellen oder den Aufbau von Mandantenkonzepten handeln. An-schließend wird die Zielarchitektur auf Basis eines systemneutralen, funk-tionalen Modells gestaltet. Hier sollte möglichst auf industriespezifischeStandardmodelle zurückgegriffen werden, zum Beispiel eTOM/ITIL imTelekommunikationsbereich (siehe Abbildung 5). Ein solches Modell be-rücksichtigt alle durch die IT abzudeckenden Funktionen auf den unter-schiedlichen Funktionsebenen entlang der Geschäftsprozesse.Der Weg zur Zielarchitektur sollte über eine quantifizierbare Planung

von Maßnahmen mit konkreten Meilensteinen und Zwischenergebnissenaufgezeigt werden. Dabei sind Instrumente zur Architekturmigration stetsim gesamten Projektportfolio erforderlich, um Synergiepotenziale zu he-ben. Erfahrungsgemäß lässt sich nur so eine erfolgreiche Architekturer-neuerung erreichen.

Abb. 5. Funktionsmodell einer IT-Architektur am Beispiel der Telekommunikati-onsindustrie

ErhebungBusiness-Anforderungen

AbleitungIT-Implikationen

AufbauZielarchitekturundVerifizierung

EntwicklungMigrations-planung undBusiness Case

Kunden-Manage-ment

Service-entwick-lung

Ressour-cen- undSystem-Manage-ment

Marketing

ServiceQuality

Manage-ment(SLA)

Servicekonfiguration

Invoicing/Collec-tions

KundenQoS-

Manage-ment/

Reporting

BestellabwicklungProblemHandling

ServiceProblemManage-

ment

Guiding/Rating

FaultManage-

mentMediation

System-Element-Management

Backbone System Management/ Network System Management

Backbone Operations

Serviceplanung und-entwicklung

Vertrags-Manage-

ment

Tech-nischeHoch-

rechnung

Service- & Netzwerk-Inventory

Capacity Management

Kunden-/ Vertriebspartner-Management

Account-Planung

Vertrags-Management

Billing Management

Geschäftsprozess

Fu

nkti

on

ale

Sch

ich

ten

Querschnitts-

prozesse

ServiceManage-

ment(ITIL)

Konfigurations-Management

Back-boneProvi-sio-ning

Ser-vice

Activa-tion

Techn.Order-

Ma-nage-ment

Produktion Betrieb und ServiceVertrieb

Strategie & Planung

Finanzen & Controlling

Knowledge Management

HR-Management

Prozess-/ Qualitäts-Management

Produkt- und Innovations-Management

Page 38: Innovationen durch IT: Erfolgsbeispiele aus der Praxis  GERMAN

32 Dr. J. Bussmann, Dr. M. Fritsch, C. Schmitz, J. Niebuhr, Dr. A. Scholz

Technologietrends bei Infrastruktur

Neben den Anwendungen und der IT-Architektur hat auch die Infrastruk-tur großen Einfluss auf die Innovationskraft eines Unternehmens. Mobileund drahtgebundene Kommunikationsnetze und -systeme bestimmen maß-geblich, wie Unternehmen durch neue Technologien wachsen und die effi-ziente Nutzung von Unternehmensressourcen weiter vorantreiben können.Mobile Datendienste und Kommunikationslösungen sind heute mit gro-

ßer Anwendungsvielfalt und Leistungsfähigkeit von einem Gerät oderNutzer zum anderen durchgängig möglich. Durch diese Ende-zu-Ende-Mobilität sowie integrierte Anwendungen lassen sich zum Beispiel die Ef-fektivität von Außendienstvertrieben oder dezentralen Serviceorganisatio-nen deutlich erhöhen. Das Spektrum der Möglichkeiten reicht von simplenmobilen Messaging-Diensten über das mittlerweile fast allgegenwärtigeSmartphone Blackberry bis hin zu tief in CRM- oder ERP-Systeme integ-rierte, mobile Datenlösungen. Dabei sind die allgemeinen Anwendungenzur Produktivitätssteigerung weitgehend standardisiert, sie lassen sichdeswegen ohne großen Konfigurationsaufwand einsetzen.Die Herausforderungen bei der Spezifikation und Implementieung von

Anwendungen wachsen mit zunehmender Integrationstiefe, sodass oft spe-zialisierte IT-Provider an derartigen Einführungen beteiligt werden. Zu-dem steigen die Sicherheitsanforderungen bei tief integrierten Lösungen,da auf unternehmenskritische Anwendungen und Daten zugegriffen wird.Dies ist umso wichtiger, je stärker offene Zugangskanäle wie zum BeispielWLAN genutzt werden.Die Art und Weise, wie in Unternehmen kommuniziert wird, ändert sich

schließlich auch durch die Verschmelzung der klassischen Telekommuni-kation mit der Datenwelt. Durch Internettelefonie (Voice over IP, VoIP)ergeben sich vielfältige neue Möglichkeiten von der „simplen“ Videokon-ferenz mit integrierter Datenpräsentation bis hin zu integrierter Daten- undSprachkommunikation für Callcenter und Websites. Allerdings verlaufendie Akzeptanz und Verbreitung dieser Anwendungen zurzeit noch langsa-mer als erwartet. Erst rund zehn Prozent der Unternehmen in Europa nut-zen VoIP für die externe Kommunikation. Fast die Hälfte der befragtenFirmen hat heute noch keine konkreten Absichten, VoIP einzusetzen. DieGründe hierfür sind der hohe Investitionsaufwand für eine Umstellung so-wie die fallenden Preise für Telefonie. Der starke Wettbewerb im nationa-len und internationalen Telefonverkehr hat zu einer drastischen Kosten-senkung in den letzten Jahren geführt. Im internationalen Verkehr hat dieRegulierungsbehörde die Deutsche Telekom daher bereits aus der Tarifre-gulierung entlassen. Dennoch ist der Trend zu einer stärkeren Penetration

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Impulse durch neue Technologietrends 33

von VoIP in Europa eindeutig zu erkennen, wie nachfolgende Abbildungzeigt.

Abb. 6. Prognose VoIP-Penetration1

Der aus dem Festnetz bekannte Preisverfall hat die mobilen Netze nochnicht erreicht, sodass Unternehmen in der internen Kommunikation zwarintegrierte Sprach- und Datennetze einsetzen, aber für drahtlose VoIP-Verbindungen vorrangig WLAN nutzen. Allerdings erwarten die Expertenauch für die mobilen Kommunikationsnetze in den nächsten Jahren einenstarken Preisrückgang. Sinkende Preise und Standards wie UMTS undHSDPA, die hohe mobile Bandbreiten bieten, erweitern die Möglichkeitender mobilen Kommunikation und Anbindung an die Unternehmens-ITdeutlich. Die Verbindung dieser Technologien und das Zusammenwachsender Infrastrukturen wird sich unmittelbar auf die Entwicklung von Anwen-dungen und Services auswirken, die – zunehmend unabhängig von der Inf-rastruktur – als „Plug and Play“-Services realisiert werden.

1 Quelle: Analysys, Booz-Allen-Hamilton-Analyse

VoIP-Durchdringung bei Geschäftskunden

Spanien

Frankreich

Italien

0%

2%

4%

6%

8%

10%

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18%

20%

2006 2007 2008 2009

% G

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Spanien

Großbritannien

SchwedenDeutschland

Frankreich Deutschland

Schweden Großbritannien

Italien

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34 Dr. J. Bussmann, Dr. M. Fritsch, C. Schmitz, J. Niebuhr, Dr. A. Scholz

Abb. 7. Zukünftige Bedeutung der Infrastruktur

Das Skype-WLAN-Mobiltelefon ermöglicht kostenlose Telefonge-spräche über das Internet überall dort, wo sich der Kunde über einenWLAN-Zugang einwählen kann. Es macht deutlich, wie die unterschiedli-chen Zugangstechnologien in einen Wettbewerb zueinander treten und dasSpektrum der möglichen Anwendungen erweitern. Erste kommerzielleEinsätze von WiMax (Worldwide Interoperability for Microwave Access),das den sehr begrenzten Radius von WLAN-Netzen deutlich vergrößert,werden die Anwendung von kostengünstigen, breitbandigen integriertenDatendiensten weiter fördern.

Ausblick

Die in diesem Kapitel vorgestellten Technologietrends in den BereichenAnwendungen, IT-Architekturen und Infrastruktur haben eines gemein-sam: Sie unterstützen die zunehmende Integration von Geschäftsprozessenund IT. Gleichzeitig werden die wachsenden Kundenanforderungen undder zunehmende Druck in Richtung kurzer Vermarktungszeiten und hoherFlexibilität die Komplexität der IT-Lösungen weiter vorantreiben. Dabeisind starke Auswirkungen auf etablierte Geschäftsmodelle abzusehen. Ins-besondere die Anbieter von Nicht-Standardanwendungen und -Architek-turen sowie die Betreiber proprietärer Infrastrukturen müssen sich deswe-gen strategisch neu ausrichten.Stellt heute bei den meisten Unternehmen die Integration mobiler

und/oder IP-basierter Technologien in bestehende IT-Lösungen aktuell ei-

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NetzBroadband Connection

Internet Protocol (IP)

Heute Morgen

Content/Event/Flat Billing

Integrated Customer Care

„Plug and Play“-

Services

Infrastrukturabhängige

Services

Page 41: Innovationen durch IT: Erfolgsbeispiele aus der Praxis  GERMAN

Impulse durch neue Technologietrends 35

ne Herausforderung dar, so wird zukünftig die Frage der Beherrschbarkeitund Wirtschaftlichkeit des Betriebs von integrierten Lösungen verschie-denster Informations- und Kommunikationstechnologien über den Ge-schäftserfolg entscheiden. In diesem Zusammenhang stehen der komple-xen, historisch gewachsenen und deswegen oftmals veralteten IT-Architektur vieler Unternehmen große Veränderungen bevor. Diese wer-den mit hohen Investitionen in die Erneuerung verbunden sein. Die Zu-kunft wird zeigen, ob sich kreative und dynamische Unternehmen ohnenennenswerte Altsysteme in ihren Märkten etablieren und im Wettbewerbgegen die bereits etablierten Mitspieler Marktanteile gewinnen können.

Page 42: Innovationen durch IT: Erfolgsbeispiele aus der Praxis  GERMAN

Innovationsstrategie im Wandel der Zeit

Dr. Eckhard Geulen, Senior Executive Vice President DeutscheTelekom/T-Com

Wettbewerb, Wachstum und Beschäftigung werden in den nächsten Jahrenverstärkt auf Innovation basieren. Dies gilt im Zeitalter der Globalisierungfür Unternehmen und Volkswirtschaften gleichermaßen. Der Wohlstand inden 80ger- und 90ger-Jahren beruhte weitgehend auf der Abschöpfung derInnovationsrenten vergangener Jahre, die sich heute in vielen Märktenverbraucht haben. Unternehmen sehen sich daher heute einer wachsendenInnovationsnachfrage gegenüber. Gleichzeitig sind die dafür nötigen In-vestitionen in einer angespannten wirtschaftlichen Gesamtsituation aberzunehmend schwer finanzierbar.Ein weiterer Effekt hat die Innovationslandschaft in den letzten Jahren

grundlegend verändert. Heute wird durch Erfindungen der Veränderungs-prozess des Markts so beschleunigt, dass die Evolution und das Heute na-hezu verschmelzen. Die wichtigste Waffe im Wettbewerb ist die Zeit, undInnovationsstrategie bedeutet Realisierung eines Zeitvorsprungs. Je kürzerdie Time to Market ist, desto größer ist der Wettbewerbsvorteil, der sich inhohem Marktanteil und ausgeprägter Markenpräferenz manifestiert.Das Nachfrageverhalten stellt hohe Anforderungen an eine Innovations-

strategie. In der Multi-Optionsgesellschaft werden langfristige Entwick-lungen seltener, stattdessen werden neue Strömungen mit abrupten Sprün-gen eingeleitet. Flexibilität wird damit zur zweitwichtigsten Waffe imWettbewerbskampf. Schnelle Entscheidungen in sich wandelnden Umwel-ten und eine ausgeprägte Risikokultur sind wesentliche Faktoren für eineFührungsposition bei der aktiven Gestaltung des Wandels.Die Individualisierung der Gesellschaft führt zu einer Fragmentierung

der Märkte, in der Produkte und Dienste zunehmend auf Individuen zuge-schnitten werden. Innovationen erreichen nicht mehr Massenmärkte, son-dern lediglich Nischenmärkte. Dies führt zu kleineren Mengen und gerin-geren Rentabilitäten. Gescheiterte Innovationen sind schon heutemehrheitlich auf zu geringe Nachfrage zurückzuführen. Andererseits bietetdie Fragmentierung der Märkte und die Kultur der Selbstentfaltung durchdie Vielfalt der Optionen eine große Chance für Unternehmen.

Page 43: Innovationen durch IT: Erfolgsbeispiele aus der Praxis  GERMAN

38 Dr. Eckhard Geulen

Der Wandel von der Produktions- zur Dienstleistungsgesellschaft wirddurch die Informationsgesellschaft forciert. Bequemer Zugriff auf Infor-mationen und Dienstleistungen von überall und zu jeder Zeit ist in derMobilitätsgesellschaft eine Selbstverständlichkeit. Informationsmedien wiedas Internet zeigen den Menschen, wie groß die Lücke zwischen Wissenund Nicht-Wissen ist, und genau dort setzen viele Innovatoren wie zumBeispiel Ebay oder Google an. Such- und Entscheidungshilfen sind für dieüberinformierte Informationsgesellschaft symptomatisch.Die zunehmende elektronische Vernetzung verändert die Marktstruktu-

ren erheblich. So hängen Akzeptanz und Nutzungsintensität von Innovati-onen in der Informationsgesellschaft stark von der Preisgestaltung und denverfügbaren Inhalten ab, wobei das Inhaltsangebot und die Preisstellungsich wiederum an der Nutzungsintensität orientieren. Diese Kritische-Masse-Phänomene werden dann noch entscheidender, wenn für die Nut-zung von Diensten spezielle Endgeräte wie zum Beispiel Set-Top-Boxennotwendig sind.

Abb. 1. Rahmenbedingungen für die Innovationsstrategie

Die veränderten Marktbedingungen resultieren in kürzeren Produkt-zyklen und steigendem Wettbewerb mit entsprechendem Margendruck undder Notwendigkeit von Kostensenkungen. Sie führen dazu, dass heute keinMarktteilnehmer sich dem Thema Innovationen mehr verschließen kann.Ein proaktiv gesteuerter Innovationsprozess ist notwendig, und es müssen

Page 44: Innovationen durch IT: Erfolgsbeispiele aus der Praxis  GERMAN

Innovationsstrategie im Wandel der Zeit 39

in möglichst regelmäßigen Zeitabständen marktgängige Innovationen her-vorgebracht werden.

Innovationsfelder und Ziele

Die Innovationsstrategie ist der Katalysator für eine kontinuierliche Steige-rung der Innovationsleistung. Hierbei stellt eine klare Definition der Inno-vationsziele die Basis für weitere Aktivitäten dar. Innovationsziele müssensich verstärkt auf die Marktanforderungen ausrichten, Mehrwert für denKunden realisieren, Produkte verbessern, Wettbewerbsvorteile erzielen,Unternehmens-Performance steigern, Produktionskosten senken, Prozessebeschleunigen und die Qualität steigern.Die Literatur zu Innovationsstrategien unterscheidet verschiedene Kate-

gorien:Innovationsstrategien, die auf den Markt und die Bedürfnisbefriedigung

des Kunden ausgerichtet sind und langfristig Umsatz und Erträge sichern

• Produkt- und Dienstleistungsinnovationen• Prozessinnovationen mit Kundenfokus (Bestellprozesse, Beschwerde-prozesse)

Innovationsstrategien, die auf das Unternehmen ausgerichtet sind und zulangfristigen Kostensenkungen und Effizienzsteigerungen führen

• Prozessinnovationen/Verfahrensinnovationen (Produktions- und Ferti-gungsinnovationen)

Soziale Innovationsstrategien, die die Wechselwirkung zwischenMensch und Innovation und die effizienten Arbeitsprozesse in Unterneh-men zum Gegenstand haben

• Organisationsinnovationen• Führungsinnovationen• Unternehmenskulturinnovationen

Es wird suggeriert, dass sich Innovationen in einzelnen Themenfeldernisoliert durchführen lassen. Tatsächlich aber erfordert eine erfolgreiche In-novationsstrategie das Zusammenwirken der einzelnen Innovationsfelder.Im Markt sichtbar werden zumeist nur Produkt- und Dienstleistungs- oderProzessinnovationen. Diese werden aber flankiert durch neue Prozesse,ITK1-Innovationen sowie Änderungen im Organisationsgefüge und der

1 Informationstechnik und Telekommunikation

Page 45: Innovationen durch IT: Erfolgsbeispiele aus der Praxis  GERMAN

40 Dr. Eckhard Geulen

Unternehmenskultur. Interne Unternehmensinnovationen wirken somit alsKatalysator und Enabler für die Innovationen, die im Markt wirksam wer-den, und sind entscheidend für den Erfolg.

Innovationsstrategie und Rahmenbedingungen

Die fokussierte Ausformulierung der Innovationsstrategie auf Basis derInnovationsziele ist von wesentlicher Bedeutung für die Generierung vonInnovationen. Die konzeptionelle Erfassung aller strategischen Elementeüber die Entwicklung von neuen Produkten und Verfahren sowie die Er-schließung neuer Zielgruppen und Märkte mithilfe von Innovationen wirddurch die Innovationsstrategie abgedeckt.Innovationen beinhalten in mindestens einer Dimension eine Neuerung,

sei es in der neuartigen Zusammensetzung existierender Komponenten, seies in der Nutzung, der Herstellung, der Vermarktung, der Bündelung odereiner der vielen sonstigen Produkt- und Fertigungsdimensionen. Damitenthält der Innovationsprozess zwingend ein kreatives Element und somitschöpferische Freiheitsgrade – Innovation ist eben nicht herleitbar oder ab-leitbar, sondern muss konzeptionell geschaffen werden.Die effektive Nutzung dieser Freiheitsgrade und die systematische An-

forderung an ein repetitives unternehmerisches Innovationsgeschehenrechtfertigen nun ihrerseits überhaupt erst die Konzeption einer Innovati-onsstrategie.Die Innovationsstrategie kann die Weiterentwicklung bestehender sowie

gänzlich neuer Produkte und Verfahren umfassen. Die Weiterentwicklungexistierender Produkte ist notwendig, deckt aber den anfallenden Innovati-onsbedarf nicht ab. Unternehmen versuchen mitunter bei Produkten, dieden Zenit des Lebenszyklus bereits überschritten haben, durch so genannteinkrementelle Innovationen, also solche, die lediglich Existierendesverbessern, aber nicht in sich Neues hervorbringen, letzte Deckungsbeiträ-ge herauszupressen. Durch diese Fixierung auf das Bestandsgeschäft stattauf zukunftsträchtige Innovation werden langfristige Wachstumsgewinnevernichtet. Es werden vielmehr gänzlich neue und neuartige Produkte ge-braucht. Die Erweiterung ganzer Geschäftsmodelle ist ebenfalls eine An-forderung an solche Unternehmen, die langfristige Wachstumsperspekti-ven aufbauen oder erhalten wollen. Es wird also eine integrierteInnovationsstrategie, ein Mix aus inkrementeller Innovation am bestehen-den Produkt und Durchbruchsinnovation über neue Geschäftsmodelle,Produkte und Verfahren, benötigt.

Page 46: Innovationen durch IT: Erfolgsbeispiele aus der Praxis  GERMAN

Innovationsstrategie im Wandel der Zeit 41

Die Umsetzung der Innovationsstrategie über die Initiierung von Inno-vationsprojekten beziehungsweise die Umsetzung konkreter Innovationenwird durch das Innovations-Management und den Innovationsprozess ges-taltet.Der Aufbau der Innovationsstrategie erfordert den konsequenten Einsatz

von Key-Performance-Indikatoren genauso wie Markt- und Wettbewerbs-analysen. Die Innovationsstrategie muss in jedem Unternehmen regelmä-ßig an sich verändernde interne und externe Rahmenbedingungen ange-passt werden.Die Formulierung der Innovationsstrategie wird in hohem Maß durch

das verfügbare Know-how, die Ressourcen im Unternehmen, die Wettbe-werbssituation sowie durch technologische und rechtliche Rahmenbedin-gungen beeinflusst. Rechtliche Rahmenbedingungen wie zum Beispiel Pa-tentschutz, Wettbewerbsrecht und Regulierungssituation sind entschei-dende Faktoren für die Innovationsstrategie. Investitionen in Innovationenlohnen sich für Unternehmen nur dann, wenn hiermit auch ein Schutz ga-rantiert wird. In regulierten Märkten wie dem Telekommunikationsmarktist ein Innovationsschutz oftmals nicht gegeben. Hier muss den Wettbe-werbern in vielen Bereichen die Innovationsinfrastruktur zur Verfügunggestellt werden, die Entgelte, die für die Nutzung erhoben werden dürfen,decken jedoch nicht einmal die inkrementellen Kosten.Die Innovationsstrategie ist integraler Bestandteil der strategischen Pla-

nung und muss hinsichtlich der Umsetzung in die Planungsinstrumente,Vorleistungsplanung, Ressourcenplanung, aber auch Marketing-Planungeingepasst werden. Die beste Innovationsstrategie ist nichts wert, wenn diedaraus resultierenden Innovationsideen nicht umgesetzt werden können,weil die personelle Ausstattung, die Investitionsmittel und die Marketing-Budgets nicht entsprechend aufgeteilt sind.

Page 47: Innovationen durch IT: Erfolgsbeispiele aus der Praxis  GERMAN

42 Dr. Eckhard Geulen

Abb. 2. Innovationsprozess und Rahmenbedingungen

Treiber der Innovationsstrategie

Zwei wesentliche Dimensionen der Innovationsstrategie sind die Treiber

• Market-Pull-Strategie: Die Anregungen für Innovationen kommen vomMarkt, der nach einer Befriedigung seiner Bedürfnisse verlangt. So sindMobilfunkanwendungen die Folge der steigenden Mobilität in der Ge-sellschaft und dem einhergehenden Bedürfnis nach ortsunabhängigenKommunikationsmöglichkeiten. Internationale Analysen von Nach-fragetrends und strategische Früherkennung sowie Kundengesprächeund -Feedbacks sind Verfahren zur Ableitung der Pull-Strategie.

• Technology-Push-Strategie: Die Innovationen werden in den F&E-Abteilungen der Unternehmen entwickelt, die den Markt hierfür erstgestalten müssen. So wurde für die Innovation „DSL-Anschlüsse“ derMarkt von den Kommunikationsanbietern geschaffen. Die Analysetechnologischer Trends bei vorgelagerten und nachgelagerten Märktensowie Basisforschung in Zusammenarbeit mit Forschungsinstituten lie-fern hier wesentlichen Input für die Strategie.

Innovations-ziele

Innovations-strategie

Innovations-umsetzung

Innovations-Monitoring

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Innovations-prozesse

Wettbewerbssituation

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Know-how/Ressourcen im Unternehmen

Page 48: Innovationen durch IT: Erfolgsbeispiele aus der Praxis  GERMAN

Innovationsstrategie im Wandel der Zeit 43

Dabei ist in einem ersten Schritt zu hinterfragen, welche Neuerungendie Treiber der Innovation sind. Hier kommen im Bereich der Produktin-novationen auf hoher Abstraktionsebene technische Neuerungen und ver-änderte Kundenanforderungen in Betracht. Bei den Prozessinnovationensind es hingegen in den überwiegenden Fällen Kostensenkung und Quali-täts-/Leistungsverbesserung.Schon auf dieser Detaillierungsebene lassen sich einige grundsätzliche

Gestaltungsmerkmale einer Innovationsstrategie erörtern, denn hier ist eineklare Lagerbildung bei den Innovationsverantwortlichen zu erkennen: Be-haupten die einen, dass jegliche Innovation vom Kunden ausgehen muss,so gibt es andere, die kategorisch behaupten, dass Innovationen ihren Ur-sprung stets in der technischen Weiterentwicklung haben. Untersucht maneine signifikante Anzahl tatsächlicher Innovationen, so stellt man fest, dassbeide Extrempositionen nicht haltbar sind, und es in der unternehmeri-schen Innovationsrealität eine Parallelität der treibenden Faktoren gibt.Sinnvoll in Produkte umgesetzte technische Neuerungen können ein geän-dertes Nutzerverhalten und damit neue Kundenanforderungen hervorrufen.Umgekehrt ist es vielfach bewiesen, dass ein (neues) Kundenbedürfnis dietechnische Entwicklung hin zu echten Innovationen beflügeln kann. Esliegt also eine fruchtbare Wechselbeziehung zwischen den wesentlichenTreibern der Innovation vor, was impliziert, dass man beide Komplexeverstehen und beobachten muss, um die maximale Bandbreite möglicherInnovationstreiber zu erfassen.

Innovationsstrategie aus Kundensicht

Das Verständnis über die Bedürfnisse externer und interner Kunden ist inzweierlei Hinsicht von besonderem Interesse für Innovationsstrategie undInnovationsgeschehen: Im induktiven Sinne lassen sich aus einem tiefenKundenverständnis Produkt- und Prozessinnovationen direkt ableiten. Ent-steht beispielsweise in einem Unternehmen zunehmend der offensichtlicheWunsch nach zeitnahen Informationen über den Geschäftsverlauf, so lässtsich daraus die Anforderung für ein Management-Informations-System ab-leiten. Dieser Wunsch kann in sich wieder extern induziert sein (beispiels-weise durch Berichtspflichten, Wettbewerbsdruck), entscheidend für dieInnovationsperspektive ist es, dass er neuartig im Sinne der vorhandenenProdukte/Prozesse ist.Der deduktive Zweig des Kundenverständnisses hilft bei der Abschät-

zung von Akzeptanzwahrscheinlichkeiten für Innovationsvorhaben, dienicht direkt aus der Kundenforschung stammen. Im einfachsten Falle kön-nen hier Untersuchungen einer zu erwartenden Zahlungsbereitschaft, in

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44 Dr. Eckhard Geulen

komplexeren Konstellationen beispielsweise Einsichten über die soziokul-turelle Akzeptanz von Produktnutzungen entstehen.Unabhängig von der grundsätzlichen Ausrichtung der Kundenforschung

ist die Notwendigkeit einer zielführenden Kundensegmentierung. Prozess-innovationen haben typischerweise einen vergleichsweise kleinen Nutzer-kreis, während Produktinnovationen in der Regel von Tausenden vonKunden genutzt werden (sollen). Trotzdem ist es für beide Typen von In-novationen unerlässlich, die Zielgruppe in handhabbare Segmente mit ähn-lichen Merkmalsausprägungen zu unterteilen.Systematische Kundensegmentierungen zur Steuerung der Rentabilität

von Innovationen werden nur selten durchgeführt. Bei der Kundensegmen-tierung zielen viele Unternehmen intuitiv auf das Segment der Innovato-ren. Segmenterweiterungen werden dann sukzessive in das Geschäftsmo-dell eingerechnet, um eine höhere Rentabilität zu erzielen. Diese Methodikkann für Zufallsinnovationen sinnvoll sein, für einen gesteuerten Innovati-onsprozess muss eine zielorientierte Segmentierung erfolgen, denn die op-timale Verteilung knapper Innovations-, Marketing- und Vertriebsbudgetsauf Kundensegmente ist der Schlüssel zu wirtschaftlichem Erfolg.Relevant für die Segmentierungsmethode ist die Zielsetzung der Innova-

tion: Sollen lukrative Kunden an das Unternehmen gebunden, strategischeKunden gehalten, neue Zielgruppen erschlossen oder gänzlich neue Märkteaufgebaut werden?Multidimensionale Segmentierungsmethoden, die verschiedene Fakto-

ren kombinieren, sind zu bevorzugen

• Marktfaktoren (Anzahl der Kunden im Segment, Marktanteil, Segment-umsatz, Umsatzwachstum)

• Soziodemografische Faktoren (Alter, Geschlecht, soziale Stellung, Re-gion)

• Verhaltensmerkmale (Nutzungshäufigkeit , Nutzungsanlässe, Einstel-lungen, Empfänglichkeit für Marketing-Instrumente, Loyalitätsgrad,Akzeptanzbereitschaft)

• Ökonomische Kundensegmentswertigkeitskriterien (Kundendeckungs-beiträge für Bestandskunden oder aber Gesamtumsatzpotenzial einesKunden während seiner Produktnutzungsdauer (der so genannte Custo-mer Lifetime Value) für neue und junge Zielgruppen)

Tabellarisch kann in einem Scoring-Portfolio die Werthaltigkeit der ein-zelnen Segmente gegenübergestellt werden, um die Zuweisung von bei-spielsweise Entwicklungs- und Marketing-Aufwendungen zu optimieren.So können kleinere Kundensegmente mit hoher Nutzungsintensität und

Zahlungsbereitschaft, geringer Wettbewerbsaffinität, ausgeprägter Loyali-tät sowie starker Akzeptanz und hoher Verbreitungsgeschwindigkeit für

Page 50: Innovationen durch IT: Erfolgsbeispiele aus der Praxis  GERMAN

Innovationsstrategie im Wandel der Zeit 45

Innovationen („Diffusionsgeschwindigkeit“) unter Umständen eine bessereInnovationsrentabilität erzielen als größere Kundensegmente.Die Segmentierung im Innovationsumfeld ist schwieriger als für die

Ressourcenallokation im Marketing- und Vertriebsbereich. Vorhersagenzur Akzeptanz einer Innovation, die Diffusionsgeschwindigkeit und Nut-zungsintensität sowie zu den Wettbewerbsreaktionen enthalten einen ho-hen Grad an Unsicherheit und subjektiver Wertung. Zudem sind die Seg-mentierungskriterien in hohem Maße voneinander abhängig. So wird dieDiffusionsgeschwindigkeit entscheidend vom Preis und den Marketing-und Vertriebsmaßnahmen bestimmt. In der Marketing-Forschung wurdenjedoch viele Verfahren zur Prognose von Diffusionsgeschwindigkeiten undAdoption entwickelt, die von Unternehmen erfolgreich zur Unterstützungvon Innovationsentscheidungen eingesetzt werden.

Innovationsstrategie aus Techniksicht

Technische Neuerungen sind umso innovationsnützlicher, je signifikanterder abgebildete technische Fortschritt ist. Ein neuer Suchalgorithmus, derAntwortzeiten vom Datenbanksystem auf die Hälfte reduziert, wird prob-lemlos zu verschiedenen Innovationen am Markt führen, die weitere Mini-aturisierung von Mobiltelefonen ist hingegen fast nicht mehr gefragt2.Neben der Signifikanz des technischen Fortschritts spielt die Kompatibi-

lität zu einer existierenden Umgebung (beispielsweise „Upward Compati-bility“) eine entscheidende Rolle. Es stellt sich die Frage, welche techni-sche Implementierung die kritische Verbreitungsmasse erreichen wird, umdie daraus abgeleiteten Innovationen langfristig am Markt positionieren zukönnen, und welche Innovationen „verträglich“ für ein bestehendes IT-System, Eco-System oder Nutzerproduktportfolio sind.Dieser Umstand macht es den „disruptiven“ Innovationen tendenziell

schwer, sich durchzusetzen. Sie erlangen ihre Daseinsberechtigung undbesondere Innovationswirkung typischerweise dadurch, dass sie wahrhafteQuantensprünge in einer spezifischen Dimension wie Nutzbarkeit, Kosten-effizienz, Merkmalsausbeute oder Geschäftsmodell mit sich bringen.

2 Im Bereich Mobiltelefone wäre eine signifikante technische Neuerung beispiels-weise die Implementierung einer voll funktionsfähigen Freisprechererkennungim Endgerät.

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46 Dr. Eckhard Geulen

Marktinnovationsstrategien

Die Innovationsstrategie ist der Schlüssel zum zukünftigen Unternehmens-erfolg und zur langfristigen Sicherung der Wettbewerbsposition und Be-schäftigung im Unternehmen. Daher ist die Wahl der für das Unternehmenoptimalen Innovationsstrategie von höchster Relevanz. Mit Innovationensind nicht nur Perspektiven auf hohe Gewinne, sondern auch Risiken ver-bunden. Dies gilt insbesondere für Branchen, bei denen Innovationen mithohem Kapitalbedarf und langer Entwicklungszeit verbunden sind wiezum Beispiel in der Pharmaindustrie.Den Unternehmen stehen verschiedene Strategiealternativen zur Verfü-

gung

• Pionierstrategie: Unternehmen, die diese Strategie verfolgen, wollen imMarkt die Innovationsführerrolle ausüben, also Neuentwicklungen undneue Geschäftsmodelle als Erster im Markt platzieren. Sie erzielen da-mit einen First Mover Advantage, müssen aber in der Regel den Markterst entwickeln und Aufwendungen zur Kommunikation der Vorteileneuer Produkte oder Dienstleistungen allein tragen. Angesichts der Tat-sache, dass auch Innovationen im Markt miteinander konkurrieren, istdie Pionierstrategie oft mit hohem Kapitalbedarf verbunden.

• Imitationsstrategie: Es besteht auch die Möglichkeit, das Innovations-geschehen im Markt genau zu beobachten und Erfolg versprechende In-novationen zu imitieren. Dabei kann das Unternehmen die Rolle desFast Follower, also die frühzeitige Einführung der Innovation, oder dieRolle des Late Follower, der erst dann Innovationen imitiert, wenn de-ren Erfolg sich schon am Markt eingestellt hat, einnehmen. Mit der Ver-folgung dieser Strategie ist die Gefahr verbunden, dass das eigene Un-ternehmen niemals Pioniergewinne einfahren kann, sondern lediglichProduktivitäts- oder Effizienzführer werden kann. Zudem kann es pas-sieren, dass Märkte oder Produktkategorien in den Köpfen der Kundenbereits mit dem Image der Pioniere besetzt sind, und das imitierendeUnternehmen sich aufgrund einer undifferenzierten Innovationsbot-schaft am Markt nicht durchsetzen können.

• Nischenstrategie: Unternehmen, die diese Strategie verfolgen, platzierenihre Innovationen in kleinen Marktnischen mit homogenen Zielgruppen,die eher wettbewerbsresistent sind. Sie erfüllen damit die Bedürfnissedes Nischenmarkts, erzielen aber keine Größenvorteile, die für die Ren-tabilität entscheidend sein können.

Durch die Informationstechnologie wird es zunehmend einfacher, Ni-schenmärkte kostengünstig zu erreichen. Innovationen können aus Ni-schenmärkten auch zum Massenmarktangebot werden. Dies wird insbe-

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Innovationsstrategie im Wandel der Zeit 47

sondere durch nicht-klassische Marketing-Methoden wie die Mund-zu-Mund-Propaganda und Community-Effekte erzielt (es gilt für die Mitglie-der einer bestimmten Gruppe auf einmal als besonders schick, Produkt xzu besitzen)3. Die Strategiealternativen werden also zunehmend aufge-weicht. Mehrproduktunternehmen verfolgen in der Regel bei der Strategie-auswahl ohnehin eine Mischung der Alternativen in Abhängigkeit der je-weiligen Marktsituation und Ressourcenverfügbarkeit. Sie können nicht inallen Bereichen Innovationsführer sein und nutzen Imitationsprodukte zurAbrundung des Portfolios. Innovationsführerschaft fokussiert sich in er-folgreichen Unternehmen auf das Kerngeschäft und die Kernkompetenzen.Bei Lösungsangeboten ist oftmals der Differenzierungsvorteil einer Kom-ponente für den Kauf entscheidend. Die Innovationsführerschaft in einerProduktkategorie reicht oft aus, um das Unternehmen ins Licht des Innova-tors zu stellen. Durch den Mix der Strategiealternativen lässt sich eine Op-timierung von Gewinnpotenzial und Risiko erzielen.Die Verfolgung der Strategiealternativen lässt auch im Hinblick auf die

Realisierung vielfältige Möglichkeiten offen. So können Unternehmen In-novationen eigenständig realisieren oder innovative Unternehmen imMarkt übernehmen beziehungsweise zu innovativen Produkten oder Ver-fahren Lizenzen erwerben. Vertikale oder horizontale Kooperationen undPartnerschaften mit Anbietern entlang der Wertschöpfungskette könnenzur Effizienzsteigerung und Risikoverteilung beitragen. Auch Innovations-netzwerke aus Wirtschaft, Wissenschaft und staatlichen Institutionen übeneinen positiven Einfluss auf die Innovationsfähigkeit von Unternehmenaus. Sie ermöglichen eine größere Bandbreite an Innovationsprojekten,binden vielschichtigeres Know-how ein, können Marktchancen besser be-werten, verfügen über höhere Kenntnis der Kundenbedürfnisse und stei-gern die Umsetzungswahrscheinlichkeit.

Prozessinnovationsstrategien

Prozessinnovationen können die gesamten Abläufe in einem Unternehmenvon Einkauf, Konstruktion über die Fertigung, Montage und Logis-tik/Distribution, Service beziehungsweise Entsorgung/Recycling bis hin zuMarketing und Controlling umfassen. Letztendlich sind Prozessinnovatio-nen immer auf die effiziente Bereitstellung von Produkten und Dienstleis-tungen ausgerichtet. Daher ist eine permanente Synchronisation und Or-chestrierung von Prozess- und Produktinnovation erforderlich. Prozess-

3 Mund-zu-Mund-Propaganda und Community-Effekte werde in Anlehnung an dieVerbreitung von Viren als „virales Marketing“ bezeichnet.

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48 Dr. Eckhard Geulen

innovationen unterstützen sowohl die Fähigkeit von Unternehmen, mitneuen Produkten Märkte zu erschließen, als auch Effizienzsteigerungs-und Kostensenkungspotenziale in Unternehmen zu realisieren.Prozessinnovationen auf der Basis von Simultaneous Engineering oder

Computer Aided Design können die Entwicklungszeiten von Produkt- undDienstleistungsinnovationen erheblich verkürzen und damit über verbes-sertes Time to Market Wettbewerbsvorteile sichern.Prozessverbesserungen in Unternehmen führen außerdem dazu, dass

Kundenkontakte optimiert werden können, Zeiten für Bestellvorgängeverkürzt, Reklamationsraten reduziert sowie eine effiziente Beschwerde-bearbeitung vorgenommen werden kann und damit die Kundenzufrieden-heit nachhaltig gesteigert wird. Bei der Prozessinnovation sind die Investi-tionskosten abzuwägen mit den Kundenzufriedenheitseffekten, die von derWahrnehmung der Prozessinnovation durch den Kunden und der Bewer-tung der Wichtigkeit für ihn abhängen. Oftmals investieren Unternehmenin Prozessverbesserungen, zum Beispiel um Lieferzeiten zu verkürzen,obwohl der Kunde dies nicht honoriert oder erst gar nicht wahrnimmt.Prozessinnovationen können aber auch auf die Qualitätssteigerung aus-

gerichtet sein. So kann ein Fehlerkontrollsystem bei Fertigung und Monta-ge nicht nur die Kundenzufriedenheit und das Qualitätsimage eines Anbie-ters, sondern auch die Prozesskosten, die durch die Fehlerbeseitigung zumBeispiel bei Rückrufaktionen in der Automobilindustrie entstehen, erheb-lich mindern.Prozessinnovationen lohnen sich insbesondere dann, wenn hierdurch die

Kosten im Unternehmen mittelfristig beträchtlich gesenkt werden und Er-gebnispotenziale gesichert oder gar gesteigert werden können. Prozessin-novationen mit Kosteneffekten bergen meist ein geringeres Risiko als Pro-duktinnovationen, weil die Effekte leichter abzuschätzen und zuquantifizieren sind. Trotzdem können sich Entwicklungszeiten verschiebenund Investitionskosten erhöhen. Dennoch ist die Ausschöpfung von Kos-tensenkungspotenzialen über Prozessinnovationen ein Muss zur Positionie-rung im Wettbewerb.Die Notwendigkeit zur Kosteneinsparung im globalen Wettbewerb führt

dazu, dass viele Unternehmen über Offshoring-Modelle nachdenken oderdiese bereits in ihr Wertschöpfungsportfolio integriert haben. Offshoringwird durch Prozessinnovation ermöglicht und erlaubt die globale Vertei-lung von standardisierten Prozessen zur Erstellung von Produkten undDienstleistungen auf verschiedenste Standorte in der Welt. Hierdurch kön-nen Unternehmen Standortvorteile in Bezug auf Effizienz, Qualität undKostenstruktur nutzen. Durch Prozessinnovationen vor allem im ITK-Bereich können direkte persönliche Kontakte zwischen Anbietern und

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Innovationsstrategie im Wandel der Zeit 49

Nachfragern durch virtuelle Kontakte ersetzt werden. Software-Entwicklung, komplexe Forschungs- und Entwicklungsaufgaben, Callcen-ter-Dienstleistungen und Rechnungsstellung („Billing“) sind prominenteOffshoring-Dienstleistungen, die vor allem in Indien und China, aber auchzunehmend in Osteuropa erbracht werden.

ITK-Innovationsstrategie

Eine Untergruppe der Prozessinnovationen bilden die ITK-Innovationen.Erst durch das Zusammenwachsen von IT-Technologie und Kommunika-tionstechnologie werden viele Prozessinnovationen ermöglicht. Ein promi-nentes Beispiel ist Grid Computing, bei dem nicht genutzte Rechnerleis-tungen von verteilten und über Kommunikationstechnologie vernetztenComputern gebündelt werden und zur Nutzung für komplexe Rechneran-wendungen, die selbst ein Supercomputer nicht leisten könnte, der For-schung und Industrie zur Verfügung gestellt werden.In jedem Prozess bilden ITK-Funktionalitäten einen wesentlichen Be-

standteil. Gerade sie sind in entscheidendem Maße die Voraussetzung da-für, dass Prozessinnovationen überhaupt stattfinden können. Sie sind damitaber auch verantwortlich für Wachstum und Kostensenkung. Primäres Zielist heute nicht mehr die Informations- und Kommunikationstechnologie ansich, sondern die Integration durch intelligente Vernetzung von ITK ent-lang von Wertschöpfungsketten und Prozessen. Wesentlich ist es, dassWissen und Informationen beliebig oft und von allen berechtigten Nutzernjederzeit abgerufen und durch Verknüpfung von Kundenschnittstellen zuDistribution, Marketing, Produktion und Forschung in eigene Abläufe in-tegriert werden können.Innovationen in die ITK-Infrastruktur bilden die Basis für neue Applika-

tionen. Hierbei geht es vor allem darum, den Anwendern und EndkundenSicherheit und die permanente Verfügbarkeit der ITK-Infrastruktur zu er-möglichen und die Funktionsfähigkeit von Geschäftsprozessen zu gewähr-leisten. Die Einrichtung eines Netzwerk-Managements, in dem aktiveKomponenten fortwährend überwacht, Probleme sofort erkannt und auto-matisch behoben werden können, ist von hoher Bedeutung, wie beispiels-weise der Stillstand des Auktionsbetriebs von Ebay im August 2004 ge-zeigt hat.ITK-Innovationen haben durch Fortschritt bei Rechnerleistungen und

Software sowohl kundenrelevante als auch rein interne Prozesse revolu-tioniert und damit neue Applikationen ermöglicht. Unter dem SchlagwortElectronic Loop kann der Kaufprozess ohne menschliche Beteiligung vonder Anbahnung eines Kaufs bis zur Zahlungsabwicklung heute vollständig

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50 Dr. Eckhard Geulen

über das Web abgewickelt werden, dank technologischer Entwicklungenim Mobilfunk und WLAN überall und jederzeit mit vielen Endgeräten.ITK-Innovationen ermöglichen es zudem, Antworten auf Markttrends

zu geben. Der Individualisierungstrend wird durch personalisierte Applika-tionen befriedigt. Interessensgebiete, Profile und Kaufverhalten der Kun-den werden erfasst und in Produktangebote integriert. So wird die Wer-bung in Portalen an individuelle Vorlieben angepasst, häufig genutzteDienste und Themen werden priorisiert. Customer-Loyalty-Programmenutzen die Informationen der Kunden, um ihre Produktangebote zu opti-mieren und einen erlebbaren Zusatznutzen zu kreieren. Basis für derartigeEntwicklungen bilden modulare Informationssysteme und die Bildungtemporärer Netzwerkstrukturen.

Abb. 3. Fehler der IT-Innovationsstrategie

Das Beispiel des Pervasive Computing belegt, dass heute ITK-Innovationen teilweise in Produktinnovationen hineinmigrieren können:RFID(Radiofrequenz Identifikation)-Chips in Kleidung, auf Verpackungenund an Gebäuden ermöglichen die Übertragung von Informationen überkurze Strecken per Funk. Dies können etwa touristische Informationen zuSehenswürdigkeiten sein oder Informationen zu Produkten.RFID eröffnet Unternehmen die Möglichkeit, Effizienzsteigerungs-

potenziale in der Fertigung, im Transport, in der Warenlogistik, im Ein-kauf über einen optimierten Datenaustausch zwischen den Beteiligten bei

Infrastruktur-innovationen

Applikations-innovationen

Prozess-innovationen

Security-Innovationen

IT-Innovations-strategie

Enabling Business der IT-Innovationen

Wachstum Effizienzsteigerung

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Innovationsstrategie im Wandel der Zeit 51

der Warenverfolgung zu realisieren. Die Funktechnik ermöglicht es vielenUnternehmen wie der Metro Group, Wal-Mart, H&M sowie Daimler-Chrysler, Prozesse zu steuern und Produkte über die ganze Lieferkettehinweg zu verfolgen und einen permanenten, schnellen Zugriff auf Datenzu sichern. RFID-Reader „lesen“ berührungslos Informationen zu Preis,Hersteller, Zusammensetzung beziehungsweise Status der Ware aus undleiten diese dorthin, wo sie benötigt werden: zum Einkauf, zum Waren-wirtschaftssystem, zur Logistik an die Kasse oder zum Endgerät im Ein-kaufswagen des Verbrauchers.Hersteller können die Zulieferung, Produktion sowie Auslieferung über

RFID-Technologie optimieren und die Güter mit Informationen wie Her-kunft, Produktionsdatum, Haltbarkeit und Zieladresse versehen. Spediteureund Transporteure wie Schmitz Cargobull können Transporteinheiten beimBe- und Entladen automatisch inventarisieren sowie die Trailer überwa-chen und durchgängig orten. Für Händler ist eine optimierte Einlagerung,Regalauffüllung und Nachbestellung von Vorteil. Verbrauchern ermöglichtdie RFID-Technologie die Qualität der Waren besser einzuschätzen, daHerkunft, Zusammensetzung, Haltbarkeitsdaten und sachgerechte Behand-lung – zum Beispiel die lückenlose Kühlkette – der Waren transparentwerden. Außerdem steigt die Verfügbarkeit frischer Artikel durch Opti-mierung der Logistik und Bestellprozesse.ITK-Innovationen beschäftigen sich auch in hohem Maße mit dem

Problem der Sicherheit. Unter Stichworten wie Authentisierung und Auto-risierung werden Prozesse entwickelt, die den Nutzer verifizieren bezie-hungsweise seine Berechtigung für die Nutzung bestimmter Dienste prü-fen. Biometrische Merkmale wie der Fingerabdruck oder die Stimm-erkennung sichern den Zugang zu datenschutzwürdigen Informationenoder gar die Bezahlung von Waren, wie ein Versuchsprojekt von Edekazeigt.Zur Qualitätssteigerung und Kostensenkung werden IT-Innovationen

auch in unternehmensinternen Prozessen eingesetzt. Unter Schlagwortenwie zum Beispiel PLM Product Lifecycle Management, CAD Viewingund Knowledge Management werden ständig wiederkehrende Arbeitsab-läufe effizienter gestaltet, automatisiert und in ein systematisches Wissens-Management überführt. Hierdurch werden Arbeitsabläufe orchestriert undvereinfacht, Doppelarbeiten vermieden und Collaboration, die vernetzteZusammenarbeit über weite geografische Entfernung, ermöglicht. Letzt-endlich dienen unternehmensinterne IT-Innovationen dazu, Kosten zu sen-ken. Durch performante Systeme ohne Medienbrüche mit kurzen Zugriffs-,Transport- und Suchzeiten werden zudem Prozesslaufzeiten verkürzt.

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52 Dr. Eckhard Geulen

Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass Prozessinnovationen auch mit Da-tenschutzaspekten verbunden sind, da Kunden und Mitarbeiter in Unter-nehmen mit ihren persönlichen Daten und Nutzungsgewohnheiten integra-ler Teil der Prozessinnovation sind.Auch der Innovationsprozess selbst wird durch ITK-Innovationen fort-

während optimiert. Systematisches Knowledge Management, die Erfas-sung von Wissen, Marktdaten und Reports sowie von Forschungsergebnis-sen und Patenten, sorgt für eine hohe Wissenstransparenz und für einenstetigen Informationsfluss. Es steigert die Innovationseffizienz und unter-stützt die frühzeitige Sicherung von geistigem Eigentum („IntellectualProperty Rights“).

Sozialinnovationen zur Unterstützung desInnovationsprozesses

Vielfach werden Sozialinnovationen in Unternehmen vernachlässigt, ob-wohl sie einen großen Einfluss auf die Innovationsfähigkeit eines Unter-nehmens haben. Innovationen finden in einem organisatorischen Systemstatt, das für bestehende Prozesse, Produkte und Dienstleistungen optimiertist. Innovation bedeutet aber stets auch Veränderung und bringt damit dieOrganisationssysteme aus dem Gleichgewicht. Neue Qualifikationsanfor-derungen an Mitarbeiter und Prozesse werden gestellt, alte Betätigungsfel-der durch neue abgelöst und ganze Organisationseinheiten oder Organisa-tionen infrage gestellt.Innovation stellt kein Bedürfnis des Organisationssystems an sich dar,

zumal die Mitarbeiter am Unternehmenserfolg im Hier und Jetzt gemessenwerden. Daher bedarf es effizienter Steuerungsinstrumente, die sicherstel-len, dass Innovationen nicht blockiert werden beziehungsweise scheitern.Da es im Vordergrund nicht um die Realisierung einzelner Innovationen,sondern um die Effizienz sich wiederholender Abläufe von der Ideenent-wicklung hin bis zur Markteinführung geht, werden standardisierte Innova-tionsprozesse etabliert. Hierzu gehört abseits der Linienorganisation eineinterdisziplinäre, dem operativen Geschäft überlagerte Organisation, diesich frei von Tagesgeschäft und hierarchischen Strukturen um Innovatio-nen kümmert.Die Projektorganisation unterliegt anderen Führungsmechanismen und

einer besonderen Innovationskultur mit einem Motivationsumfeld zur Aus-schöpfung von Kreativitätspotenzialen. Mitgliedern der Projektorganisati-on werden spezielle Fortbildungsprogramme angeboten, die sich mit demInnovationsthema oder Projekt-Management-Themen befassen und daher

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Innovationsstrategie im Wandel der Zeit 53

zu einer effizienten Umsetzung der Innovationsidee beitragen können.Permanente Team-Meetings unterstützen die Integration der Projektmit-glieder in die neue virtuelle Organisation und verfestigen die Verfolgungdes Projektauftrags.Wenn die Innovationen so weit entwickelt sind, dass sie sich in das Ta-

gesgeschäft der Linienorganisation einpassen, werden sie dieser zur Um-setzung übergeben. Hierbei ist ein integrierter Knowledge-Management-Prozess von herausragender Bedeutung, da das Wissen an die Linienorga-nisation übergeben werden muss. Die Einarbeitung der Linienorganisationdurch die Projektmitarbeiter sowie auch der Prozess des „Loslassens“ stellthäufig ein Motivationsproblem dar, das durch geeignete Incentive-Systemegelöst werden kann. Hierzu gehört, dass der Innovationsbeitrag Teil derPerformance-Bewertung der Mitarbeiter ist beziehungsweise Relevanz fürdie Zielvereinbarung der Mitarbeiter oder die Gratifikation hat.

Key-Performance-Indikatoren für Innovationen

Es entsteht mitunter der Eindruck, dass in einigen Unternehmen die Inno-vationsfähigkeit über die Anzahl der Powerpoint-Präsentationen zu inno-vativen Themen bewertet wird. Dabei lässt sich eine Vielzahl von innova-tiven Themen auflisten, mit denen man sich in den letzten Jahrenbeschäftigt hat.Die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens bemisst sich aber an der

erfolgreichen Kommerzialisierung von Innovationen im Markt und an derErreichung der Innovationsziele und nicht an der Zahl von behandelten In-novationsthemen oder Ideen. Die Messung der Innovationsfähigkeit überscharf definierte Key Performance Indicators (KPIs) ist daher unabdingbar.Hierbei ist zu unterscheiden zwischen Methoden zur Messung des Er-

folgs der übergeordneten Innovationsziele und zur Messung des Erfolgseinzelner Innovationsprojekte, wobei die Zusammenfassung einzelner Pro-jekte auch für den übergeordneten Zielerreichungsgrad verwandt werdenkann.Innovationsziele des Unternehmens werden häufig in der Balanced Sco-

recard oder in speziellen Innovations-Scorecards festgehalten und in dieZielvereinbarungen der Mitarbeiter integriert. Häufigste Kriterien sind

• Umsatzanteil am Gesamtumsatz mit neuen Produkten, die weniger alsdrei Jahre im Markt sind,

• F&E-Ausgaben im Vergleich zum Gesamtbudget• Umsatzanteil/EBIT mit Neuprodukten

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54 Dr. Eckhard Geulen

Solche übergeordneten Kriterien bieten einen hohen Freiraum an Inter-pretationen, zumal der Begriff Innovation in vielen Unternehmen gar nichtgeklärt ist. Neue Tarifmodelle in der Telekommunikation oder unbedeu-tende Leistungsmerkmale sind somit in hohem Maße geeignet, die Innova-tions-Performance in ungerechtfertigter Weise zu steigern.

Abb. 4. Parameter zu Messung des Erfolgs von Innovationsprojekten

Es ist daher von größter Bedeutung, die Bemessungsgrundlagen und Ka-tegorisierungen der Datenbasis für KPIs sehr genau zu definieren. Gleichesgilt für das Auffinden von Benchmarks, die von Unternehmen verwendetwerden, um das Maß der notwendigen Innovationsleistung des eigenenUnternehmens festzulegen. Da die Definition der unternehmens-spezifischen Innovations-KPIs so detailliert sein muss, ist es im Allgemei-nen extrem schwierig, wirklich vergleichbare Benchmark-Daten zu finden.

Key-Performance-Indikatoren

Time to Market

Projektdauer vonForschung bis zumLaunch

Projektdauer im Soll-Ist-Vergleich/Benchmark

Time to Profit im Soll-Ist-Vergleich/Benchmark

Zeitvorsprung vorWettbewerbern

Finanzziele

Umsatz der Innovation imSoll-Ist-Vergleich

Umsatzzielbeitrag amGesamtumsatzvolumender Neuprodukte

EBITDA der Innovation imSoll-Ist-Vergleich

EBITDA-Beitrag amGesamt-EBITDA mitneuen Produkten

Marktakzeptanz

Marktdurchdringung

Marktanteil/Benchmark

Kundenzufriedenheits-steigerung

Qualitätsparameter

Ausfallzeiten

Reklamationen

Kündigungsquote

Kosteneffizienz

Vergleich Plan-Ist-Budget

F&E-Ausgaben imVerhältnis zum Umsatz

F&E-Ausgaben imVerhältnis zum EBITDA

Qualitätsparameter

Ausfallzeiten

Reklamationen

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Innovationsstrategie im Wandel der Zeit 55

Daher bietet es sich häufig an, einzelne Innovationen zu bewerten und dieErgebnisse zusammenzufassen. Dabei sind nicht nur harte Finanzzahlen,sondern auch qualitative Bewertungen einzubeziehen. Im Vordergrundsteht der Beitrag den das einzelne Innovationsprojekt zur Gesamtzielerrei-chung beiträgt.Wesentlich ist eine unabhängige Bewertung des Innovationsprojekts.

Diese darf also nicht von Projektmitgliedern durchgeführt werden, um einhohes Maß an Objektivität zu sichern.In die Bewertung sind nicht nur Projekte einzubeziehen, die erfolgreich

im Markt platziert wurden, sondern auch Projekte, die vorher abgebrochenwurden. Hierbei ist der Grund für den Projektabbruch zu dokumentieren.Dominierende Gründe sind etwa, dass die zu erwartenden Umsätze oderGewinne geringer ausfallen als ursprünglich vermutet, dass sie vom Un-ternehmen gesetzte Schwellenwerte unterschreiten oder dass die Innovati-onskosten angesichts der zu erwartenden Risiken zu hoch sind.Analog ist für die Zusammenfassung der Key-Performance-Kennzahlen

die Einbeziehung nicht erfolgreicher Projekte notwendig. Kennzahlen wieAnzahl erfolgreicher Projekte zur Gesamtzahl aller Innovationsprojektegeben in sich Aufschluss über das Innovationsverständnis eines Unter-nehmens und die Risikobereitschaft, Innovation zu betreiben. Mit einergewissen Streuung über verschiedene Branchen ist mit Erfolgsquoten von1:3 bis 1:10 für das Verhältnis erfolgreicher Innovationsprojekte zu derAnzahl aller innovativen Vorhaben zu rechnen. Die unmittelbare oder garunreflektierte Ableitung von Aussagen aus Erfolgsquoten verhindert je-doch die parallel hineinspielende, oft extrem variierende Prozessqualitätim Innovationsbereich. Vielfach sind die Projektteams mit der Themenstel-lung überfordert und haben keinen Support durch operative Einheiten oderInnovationsnetzwerke. Auch die falsche Einschätzung von Markttrendsund Parametern senkt die Erfolgsquote. Aber selbst im Falle eines optima-len Innovationsprozesses ist es nicht möglich, die Erfolgsquote auf 1:1 zuerhöhen, da Innovation in sich nicht deterministisch, sondern stochastischist.Und manchmal ist der Innovator eben auch einfach seiner Zeit voraus.

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Treibstoff der Wirtschaft

Thomas Ganswindt, Zentralvorstand Siemens AG

Innovation – Modewort, Hoffnungsträger oder doch nur so etwas wie alterWein in neuen Schläuchen? Die Karriere des Begriffs in den ersten Jahrendes neuen Jahrtausends ist imposant, seine Verwendung inflationär. Wasaber genau ist eigentlich eine Innovation? Wie kommen Innovationen inein Unternehmen? Und vor allem, wie finden sie auch wieder heraus – aufden Markt?Wenn der inhaltliche Unterschied nicht so groß wäre, man könnte es als

verträumte Sprachspielerei abtun. Aber Innovation ist eben nicht einfachnur ein als Synonym verwendetes Fremdwort für den deutschen BegriffErfindung. Denn Innovationen sind weit mehr als Erfindungen. Dabei isteine Erfindung schon viel, nämlich eine schöpferische Leistung, die etwasNeues zum Ergebnis hat. Doch erst der Nachweis, dass eine Erfindung ei-nen gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Nutzen hat, macht sie zu einerInnovation. Erfindungen als Wegbereiter von Innovationen.

Von Telegrafen, Telefonen und der UNO

Ein kurzer Blick zurück in die Wissenschaftsgeschichte. Der Erfinder Jo-hann Philipp Reis entwickelte 1861 ein Gerät, welches akustische Signalein elektrische Schwingungen umwandelt. Eine bahnbrechende Innovation?Zunächst nicht, denn Reis übersah den vollen Nutzen seiner Erfindung.Erst Graham Bell erkannte 14 Jahre später das tatsächliche Potenzial. Erdachte darüber nach, wie sich das amerikanische Telegrafennetz auch vonMenschen nutzen ließe, die nicht schreiben konnten oder kein Englischsprachen und somit schlicht nicht in der Lage waren, ein Telegramm auf-zugeben. Ergebnis seiner auf der Erfindung von Reis gründenden Überle-gungen – das Telefon. Mit dieser Innovation gelang es Bell, ein beeindru-ckendes Monopol aufzubauen, aus dem die Bell Companies und später derKonzern AT&T entstanden.

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58 Thomas Ganswindt

Es ist jedoch zu kurz gedacht, allein den wirtschaftlichen Nutzen einerInnovation als Maßstab anzusetzen. Auch die Gründung von Organisatio-nen wie die UNO oder die Europäische Union war – und ist es immer noch– für die Gestaltung der Weltpolitik und für das Zusammenleben unsererGesellschaften nützlich und damit innovativ.

Von neuen Märkten und einem Dilemma

Es gehört für alle Akteure in Unternehmen zum alltäglichen Erfahrungs-schatz, dass es auf dieser Welt kaum ein Produkt gibt, das nicht irgendje-mand irgendwo ein bisschen schlechter machen und etwas billiger verkau-fen könnte. Auch wenn das ein bisschen plakativ formuliert ist, lässt es fürdie heutige globale Unternehmenslandschaft nur den Rückschluss zu, dassein reiner Preiswettkampf mit Unternehmen aus aufstrebenden Volkswirt-schaften wegen der dort meist niedrigeren Lohnverhältnisse und eines un-geheuren Heeres an Produktionskräften nahezu aussichtslos ist. Die allei-nige Chance liegt vielmehr in dem Erkennen, dass diese Volkswirtschaftennatürlich auch Absatzmärkte für neue Produkte darstellen. Produkte, dieals Ergebnis einer Konzentration auf die eigene Innovationsleistung entwi-ckelt wurden. Die eigene Innovationskraft wird damit zum Unique SellingPoint und zum schonungslosen Spiegel der Wachstumschancen eines Un-ternehmens.

Abb. 1. Das Dilemma der Innovatoren

disruptive Technologienbergen Risiko derKannibalisierung vonbestehenden Lösungen

doch disruptiveTechnologien sindPflicht für Trendsetter

Lösung:intelligenteProduktfolgestrategieund nachhaltigesPortfolio Management

Technologiewechsel *)

*) Quelle: C.M.Christensen The Innovator‘s Dilemma - When New Technologies Cause Great Firms to Fail

Pro

du

ktl

eis

tun

g

Zeit oder Entwicklungsaufwand

Zeitfenster

Desktop PCs

(3,5-inch

Laufwerke)

Notebook PCs

(2.5-inch

Laufwerke)

Zeitfenster

Magnetic Storage Systeme für

Personal Digital Assistants (auf PCMCIA-Basis)

(1.8-inch Laufwerke)

Produktfolgestrategie und der Zeitpunkt sind entscheidende Faktoren für den

Geschäftserfolg neuer Technologien

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Treibstoff der Wirtschaft 59

Große, bereits im Markt etablierte Unternehmen stehen dabei häufig voreinem doppelten Konflikt. Zum einen müssen sie die bereits getätigten In-vestitionen ihrer bestehenden Kunden schützen und zugleich so genanntedisruptive Innovationen im Markt einführen.Das sind Lösungen, die nicht nur eine Weiterentwicklung von etwas Be-

stehendem bedeuten, sondern tatsächlich radikale Neuerungen bringen –wie zum Beispiel in der Telekommunikationsbranche die Kommunikationüber das Internet Protocol (IP). Zum anderen stehen sie damit zudem vorder brenzligen Entscheidung, eigene bestehende Produktreihen zugunstendisruptiver Technologien aufzugeben. Folge dieses klassischen „Innova-tor’s Dilemma“ ist es, dass Unternehmen, die heute noch in einer Techno-logie führend sind, den Übergang in die Nachfolgetechnologie oft nichtmehr an der Spitze stehend schaffen.Denn das Vorantreiben solcher disruptiven Technologien erfordert ne-

ben dem unternehmerischen Weitblick sowie dem technischen und kreati-ven Know-how auch ein gehöriges Maß an Risikobereitschaft. Schließlichkann ein solches Vorgehen bis dato bewährte Geschäftsmodelle infragestellen und sogar zu einer Art Kannibalisierung bereits im Markt existie-render Lösungen führen. Für Siemens Communications wird dieser Kon-flikt am Beispiel der Peer-to-Peer(P2P)-Technologie deutlich. Peer-to-Peerist IP-Kommunikation ohne Zentrale und damit ein Angriff auf das beste-hende Geschäft mit Vermittlungstechnik. Das Entscheidende in dieser Si-tuation ist es, nach dem Entdeckungsprozess umgehend in eine Phase dersorgfältigen Nutzen-Risiko-Analyse einzutreten. In einem geschütztenRaum muss das Bedrohungspotenzial gegen die Marktchancen der neuenLösung abgewogen werden – und zwar bevor die Wettbewerber auf denZug aufspringen. Kurz: Werden disruptive Technologien als Chance be-griffen, können sie ein probates Mittel sein, um sich erfolgreich den Her-ausforderungen des globalen Wettbewerbs zu stellen. Dabei müssen Un-ternehmen ständig den Nutzen ihrer Produkte und Leistungen erhöhen undzugleich das Preis-Leistungs-Verhältnis verbessern.

Von Kunden und dem Henne-Ei-Problem

In der Vergangenheit neigten viele Unternehmen gerade in der Informati-ons- und Telekommunikationsbranche dazu, ihre Produkte mit technischenDetails zu überfrachten. Diese reine Technologieorientierung ist obsoletgeworden. „L’art pour l’art“ ist ohne Frage ein schöner Gedanke, der aberden Nutzen einer Sache außen vor lässt – er gehört in die Kunst, Unter-nehmen können ihn sich nicht mehr leisten. Heute ist der Markt erste Ori-

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60 Thomas Ganswindt

entierungsgrundlage. Denn der Wert von Innovationen misst sich allein amMehrwert für den Kunden. Unumstößlich gilt: Nur wenn sich neue Lösun-gen und Services für Kunden auszahlen oder ihren Alltag angenehmer ges-talten, lassen sie sich tatsächlich in einen Wettbewerbsvorteil ummünzen.Ziel muss also sein, die systematische Suche nach neuen Lösungen immerweiter voranzutreiben, das technisch Machbare und das wirtschaftlichSinnvolle schnell zu erkennen und vor allem auch umzusetzen.Doch wo anfangen? Was Unternehmen benötigen, ist nicht weniger als

ein neues Denken und ein neues Verständnis für den veränderten Markt. Indiesem globalen Markt sind Innovationen, die neue Geschäftsfelder er-schließen, ein knappes Gut, dessen Preis steigt. Unternehmen, deren Wirt-schaftskraft sich heute und in Zukunft fast ausschließlich nur noch aus ih-rer Innovationskraft ergibt, müssen deshalb Sorge tragen, dass ihnen diedafür entscheidenden Rohstoffe nicht ausgehen – nämlich Wissen, Intelli-genz und Kreativität. Unternehmen, die diese Erkenntnis systematisch um-setzen wollen, werden entdecken, dass diese Rohstoffe in der Regel bereitsergiebig vorhanden sind, und zwar in den Köpfen der eigenen Mitarbeiter.Das Problem ist nur, dass diese Ressourcen oft unter starren Strukturennicht ausreichend freigelegt werden oder in vorgegebenen Arbeitsprozes-sen ihre Durchsetzungskraft nicht entfalten können und versanden.Ein Unternehmen der Wissensgesellschaft muss sich deshalb so organi-

sieren, dass die Ressource Wissen zu einer steten Quelle eines Ideenstromswird – egal, von welchem Ort der Welt aus der Mitarbeiter tätig ist. Es istein Muss, bei den Mitarbeitern Begeisterung für neue Ideen zu wecken,das Vertrauen in die eigene Kreativität zu fördern und ihnen dann Raum zulassen, das Neue auch umzusetzen und ihr Wissen zu teilen.Diese Schlussfolgerung klingt wie eine Binsenweisheit. Und doch zeigt

der unternehmerische Alltag allzu oft, wie komplex die Einlösung diesesAnspruchs und die dahinter liegenden notwendigen Change-Management-Prozesse zum Abbau von Denkbarrieren tatsächlich sind.Eine wichtige Voraussetzung, damit innovative Ideen überhaupt auf-

kommen, ist es, dass wir Einflüsse aus unterschiedlichen Quellen aufneh-men, uns vom Silodenken befreien, uns gerade auch außerhalb der eigenenUnternehmensgrenzen inspirieren lassen. Denn isoliert im Elfenbeinturmkann ein Unternehmen Innovationen nicht erdenken und vor allem ihrenNiederschlag im Markt nicht abschätzen. Es ist auf verlässliche Public-Private-Partnership-Programme, also auf Partner aus Politik, Forschungund Gesellschaft, angewiesen, die Ergebnisse kritisch hinterfragen. Und esbraucht den vertrauensvollen Dialog mit ausgewählten Kunden, um eineInnovation wirklich nachhaltig zu machen.

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Treibstoff der Wirtschaft 61

Diese Einbeziehung der Kunden ist dabei ein ganz entscheidender Er-folgsfaktor. Die Auseinandersetzung mit ihnen muss ständig neue Antwor-ten liefern auf die Fragen, was ihnen bei derzeitigen Produkten und Lö-sungen fehlt oder welche neuen Anforderungen sie haben. DieseAnstrengungen gleichen nur auf den ersten Blick dem bekannten Henne-Ei-Problem, frei nach dem Motto: „Wie soll der Kunde neue Bedürfnisseäußern, wenn er sie noch gar nicht kennt, weil es ja gerade noch kein Pro-dukt gibt, das seine Anforderungen erfüllt?“ Genau hier beginnt der Auf-trag eines innovativen Unternehmens. Es muss in einem intensiven Dialogmit dem Kunden ein Gespür für dessen Situation entwickeln und sichdurch das systematische Zusammenspiel von Innovationsleistung, Kunden-Feedback und Wissenstransfer quasi unentbehrlich machen.

Von Institutionen, Prozessen und einer Pipeline

Um diese Handlungsmaxime nicht nur theoretisch zu beschreiben, sondernim Geschäftsablauf systematisch zu verankern, haben wir bei SiemensCommunications einen sehr gezielten, disziplinierten und mehrstufigen In-novationsprozess entwickelt und diesen unter anderem im so genanntenInnovation Board institutionalisiert. Neben den Chefs für Strategie und derEntwicklungsabteilungen der Geschäftsgebiete besteht das InnovationBoard aus dem Bereichsvorstand, um durch sein Mandat die strategischeBedeutung des Themas zu dokumentieren und intern zu positionieren.Das Hauptaugenmerk des Innovation Board liegt auf bereichsübergrei-

fenden Themen – wie zum Beispiel der disruptiven Peer-to-Peer-Technologie –, die unter Umständen vorerst noch nicht einmal einem be-stehenden Geschäftsgebiet eindeutig zuzuordnen sind. Unter der Maxime,dass nur attraktiv ist, was den Kunden gefällt, konzentriert sich die Suchenach neuen Lösungen dabei nicht nur auf das technisch Machbare, sondernauch auf das Aufspüren neuer Märkte und Kundengruppen. Auf diesemWeg ist bei Siemens Communications das Thema Service Provisioning –also nicht nur die Bereitstellung einer Lösung, sondern auch das Betreiben– zu einem Angebotsschwerpunkt geworden.Jeder einzelne Mitarbeiter bei Siemens Communications hat über den

Weg des direkt an das Innovation Board angeschlossene Innovation BoardOffice zum einen die Möglichkeit, ganz unkompliziert und unbürokratischseine Vorschläge einzubringen. Zum anderen arbeiten weltweit Forscherund Entwickler in einer Vielzahl von Innovationsabteilungen an Neuent-wicklungen. Diese kleinen Teams sind nicht in die täglichen Geschäftsab-läufe eingebunden, sondern konzentrieren sich ausschließlich auf das Auf-

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spüren und Entwickeln neuer Technologien, die für die Unternehmensbe-reiche relevant sein müssen, denen die Teams zugeordnet sind. In diesen„Think Tanks“ finden Mitarbeiter verschiedener Disziplinen zusammen,denken laut und quer, entwickeln neue Ideen und Geschäftsmodelle undsetzen sie gegebenenfalls zügig in Prototypen oder Pilotprojekten um.

Abb. 2. Entscheidende Erfolgsfaktoren für Innovationen

Im Innovation Board Office laufen schließlich alle diese Fäden zusam-men. Dort werden neue Ideen aus dem Netzwerk eines global agierendenUnternehmens systematisch gesammelt, bewertet und zur Entscheidungdurch das Innovation Board vorbereitet. Auf mehrfach jährlich und welt-weit stattfindenden „Innovation Summits“ sowie im Rahmen von „CountryInnovation Push“-Programmen greifen die Innovations-Manager wie einRadar die neuesten Ideen auf, um sie in den Innovationsprozess einzuspei-sen und ihre Marktfähigkeit auf Herz und Nieren zu prüfen.Dabei sorgen die professionellen Innovatoren und Innovations-Manager

dieses Gremiums nicht nur dafür, dass die Innovation-Pipeline gut gefüllt,sondern dass auch ihre Durchlassfähigkeit für den Treibstoff Innovationstets gewährleistet ist. Grundvoraussetzung dafür ist es, dass der Innovati-onsprozess eigenständig gesteuert wird und nicht mitlaufender Teil einerStabsstelle oder anderer Einheiten ist. Er benötigt Schutz- und Freiraumzugleich, der sich zum Beispiel auch in einem von den Entwicklungsabtei-lungen der einzelnen Geschäftsgebiete unabhängigen Budget ausdrückt.

Ideenfindung Auswahl Coaching Monitoring

Com

Innovation

Board

„Innovation Board Office“(IBO)-Prozess

Ideenfindung Evaluation Spezifikation Einführung

Com Innovation Prozess

Ideenfindung MarktpositionierungTestphase/

Anwendung

Co-Innovation mit Kunden/ Pilotprozess

Einbeziehung des

Top-Managements

Frühe und enge

Einbeziehung von

KundenUnabhängigkeit vom laufenden Geschäft

Beschleunigter Innovationsprozess

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Treibstoff der Wirtschaft 63

Abb. 3. Com Innovation Board Office steuert Innovationsprozess

Durchläuft eine Idee den harten internen Ausleseprozess erfolgreich, er-folgt die erste Prüfung der Durchsetzungskraft mithilfe von externen Part-nern wie Leitkunden, Universitäten, Forschungseinrichtungen oder Ven-ture-Capital-Analysten. Diese enge Verzahnung mit Katalysatoren außer-halb der eigenen Unternehmensgrenzen verhindert, dass der Innovations-prozess zu einer wenig aussagekräftigen Trockenübung verkommt. So sindbegleitende Go-to-Market-Studien von Beginn an Teil des Prozesses unddokumentieren die Praxistauglichkeit einer neuen Lösung. Ist auch hier dieBeurteilung positiv, kommt es nach einer ausführlichen Präsentation imInnovation Board zur endgültigen Entscheidung über eine möglicheMarkteinführung.

Einsichten, Aussichten und ein Fazit

Ein derart institutionalisiertes Vorgehen, wie wir es bei Siemens Commu-nications verankert haben, macht deutlich, dass hinter jeder Innovations-leistung ein Prozess steht, der wie jeder andere beurteilt und sensibel ge-steuert werden muss. Diese Einsicht untermauert einmal mehr dieBedeutung eines durchgängigen und effektiven Innovations-Managementsfür Unternehmen. Allein in der bedingungslosen und ausdauernden Kon-zentration auf diese Aufgabe liegt die Chance, die eigene Innovationskraftzu sichern und zu fördern. Entscheidend wird dabei sein, die Kunden aufdiesem fordernden, aber zielführenden Weg mitzunehmen – und das be-sonders auch vor dem Hintergrund, sie womöglich mit disruptiven Innova-

Ideenfindung Auswahl Coaching Monitoring

Inno-

vation Board

(IB)

„Innovation Board Office“(IBO)-Prozess

Ideenfindung Evaluation Spezifikation Einführung

Com-Innovationsrahmen

Auswahlkriterien

– x-divisional

– disruptiv

– keine Heim-Business Unit

Evaluationsspinne

Risikoanalyse

Finanzierungs-grundsätze

Business Case

Unterstützung beiVorbereitung vonInnovations-vorschlägen

InterdisziplinäresNetzwerk

Generierung vonBusiness Cases

Definition derStrategie zurMarkteinführung

BusinessAdministration

Vertriebs-strategie& Vertriebserfolge

Unterstützung beietwaigen Hürden

Innovation Awardin den Ländern

Moderation derTreffen desInnovation Board

Agenda

NachverfolgungvereinbarterAktionen

Innovationsfelder& Strategie

Innovationsradar

Innovationsgipfel

Innovations-offensive in denLändern

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64 Thomas Ganswindt

tionen zu konfrontieren. Die konsequente Ausrichtung unternehmerischenHandelns auf die kontinuierliche Entwicklung und Platzierung marktge-rechter Innovationen scheint damit das Mittel der ersten Wahl, um imWettbewerb mit den derzeit noch produktionslastigen Unternehmen auf-strebender Volkswirtschaften wie China nicht nur zu bestehen, sondern dieführende Position zu halten.An der Schwelle zur Wissensgesellschaft sind Innovationen für unsere

Gesellschaften die Versicherung für die Zukunft, ja Lebenselixier.

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Von der betrieblichen Marktforschung zumWissens-Management: dasMarktforschungsportal von T-Systems

Heiko Wieandt, Koordinator Bereich Business Information ServicesT-SystemsDr. Helmut Giger, Geschäftsbereichsleiter Marketing Large Enterprisesund Branchen T-Systems Business Services

Zusammenfassung

T-Systems ist einer der führenden Dienstleister für Informations- undKommunikationstechnik (englisch: ICT) in Europa. Im Konzern DeutscheTelekom betreut das Unternehmen seit 1. Januar 2005 das Segment derGeschäftskunden. Weltweit arbeiten rund 51 000 Mitarbeiter in mehr als20 Ländern für T-Systems. Für das Geschäftsjahr 2004 beläuft sich derUmsatz auf knapp 13 Milliarden Euro.Das Unternehmen optimiert für seine Kunden die Prozesse, senkt die

Kosten und gibt seinen Kunden so zusätzliche Flexibilität in ihrem Kern-geschäft. Dabei setzt es gezielt Branchen-Know-how und modernste Tech-nologie ein. Die Leistungen von T-Systems umfassen die komplette Wert-schöpfungstiefe der Informations- und Kommunikationstechnik – vonICT-Infrastruktur über ICT-Lösungen bis hin zur Übernahme ganzer Ge-schäftsprozesse (Business Process Management).Vor diesem Hintergrund ist es für den Unternehmenserfolg von T-Sys-

tems wichtig, dass Informationen über Kunden und Märkte weltweit undjederzeit online für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verfügbar sind.Unternehmen geben jährlich beträchtliche Summen für IT-bezogene

Marktforschung aus. Allein ein Unternehmen in der Größe von T-Systemsinvestiert einen Betrag in Millionenhöhe.Das Potenzial der wertvollen und teuren Information nutzen Firmen

nicht ausreichend. In vielen Unternehmen verschwinden die kostenintensi-ven Studien schnell in der Schublade oder sind nur einem sehr begrenzten

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66 Heiko Wieandt, Dr. Helmut Giger

Personenkreis zugänglich. Manchmal geben Unternehmen sogar die glei-che Studie mehrfach in Auftrag. Um dem entgegenzuwirken, entwickelteT-Systems eine Portallösung, die Marktforschungsergebnisse (MaFo-Ergebnisse) allen interessierten Mitarbeitern zugänglich macht. So kanndas Unternehmen Informationen als kollektiven Wissensvorsprung imWettbewerb nutzen.Das MaFo-Portal ist eine interne Anwendung im T-Systems-Intranet.

Dort sind alle für T-Systems relevanten Marktforschungsinformationenverfügbar. Diese stellt die Portallösung zentral bereit. Eine umfangreicheDatenbank versorgt alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter direkt mit meh-reren Tausend Studien. Das Portal bietet darüber hinaus Marktzahlen ausder ganzen Welt, tagesaktuelle Nachrichten und Wettbewerberanalysen.Der Zusatznutzen: In der breiten Auswahl (Cafeteria-Prinzip) finden die

Angestellten neben den gesuchten Informationen auch ein umfassendesZusatzangebot. So bietet das MaFo-Portal beispielsweise einen monatli-chen Newsletter.

Das Informationschaos beherrschbar machen

Wenn die Unternehmen nur wüssten, welches Wissen bereitsvorhanden ist

Der Umgang und der zielgerichtete Einsatz von Wissen werden zuneh-mend zu Wettbewerbsfaktoren und damit zu einer Erfolg bestimmendenGröße.Leider wissen viele Unternehmen häufig gar nicht, welches Know-how

schon vorhanden ist – sei es das Wissen der Mitarbeiter, aber auch häufigdie sehr teuer eingekauften Informationen, etwa in Form von Fachzeit-schriften, Marktforschungsstudien und Kongressunterlagen.Strategische Grundlage für das Wissens-Management ist die so genann-

te Knowledge-based View. Diese sieht Information als betriebliche Res-source beziehungsweise als Produktionsfaktor, die allen Mitarbeitern zu-gänglich sein muss. Wissen tritt damit gleichrangig neben die bisherigenProduktionsfaktoren Kapital, Arbeit und Boden.Für seine Aufgabenstellung benötigt jeder Mitarbeiter ein anderes, spe-

zielles Wissen. Dieses ändert sich permanent. Eine Informationsverteilungnach dem Gießkannenprinzip wäre der falsche Ansatz und würde alle Mit-arbeiter überfordern. Die Herausforderung besteht stattdessen darin, intel-ligente Systeme für das Wissens-Management zu entwickeln. Diese müs-sen den Mitarbeitern die Möglichkeit bieten, aktuell benötigtes Wissen

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Von der betrieblichen Marktforschung zum Wissens-Management... 67

abzurufen oder herauszufiltern. IT-Systeme leisten hier einen wertvollenBeitrag, indem sie Mitarbeiter vernetzen sowie Informationen speichernund katalogisieren.

Chancen durch Neuorganisation

Die Marktforschung bei T-Systems bietet seinen internen Kunden dreiDienste

• Self Service, „Hilfe zur Selbsthilfe“ für die Mitarbeiter• Premium Service, erweiterte Recherchemöglichkeiten über MaFo-Ansprechpartner

• Research on Demand gegen interne Kostenverrechnung

Im Mittelpunkt steht ein System für das Wissens-Management, das denMitarbeitern Überblick und Zugang zu allen im Unternehmen verfügbarenMarktforschungsdaten verschafft. Um dieses so genannte MaFo-Portalgruppieren sich die einzelnen Dienstleistungen.

Transparenz schaffen und Eigenverantwortung stärken

Laut Forrester Research geben Unternehmen weltweit jährlich rund 2,5Milliarden US-Dollar allein für IT-bezogene Marktforschung aus. Über al-le Themengebiete hinweg dürfte ein hoher zweistelliger Milliardenbetragin Marktforschungsstudien investiert werden.Die teuer eingekauften Studien verschwinden jedoch bei vielen Unter-

nehmen in Schubladen oder sind nur einem sehr begrenzten Personenkreiszugänglich. Manchmal beschaffen Firmen sogar die gleiche Studie mehr-fach. Das Potenzial dieser wertvollen Informationen können sie somitnicht ausreichend nutzen. Dabei ist es grundsätzlich wichtig, Ergebnisseaus der Marktforschung allen interessierten Mitarbeitern des Unterneh-mens zugänglich zu machen. Nur so lassen sich Marktinformationen alskollektiver Wissensvorsprung im Wettbewerb nutzen.Allerdings darf der Sicherheitsaspekt dabei nicht unbeachtet bleiben.

Schließlich dürfen beispielsweise vertrauliche Analysen aus Primärstudiennicht jedem Mitarbeiter zur Verfügung stehen. Über E-Mail oder USB-Stick könnten diese Informationen leicht in falsche Hände geraten. Darummuss es Spielregeln für den Umgang mit Marktforschungsergebnissen ge-ben. Übrigens auch noch aus einem anderen Grund: Schließlich könntenLaien Studien falsch interpretieren oder – bei mangelnder Repräsentativität– überbewerten.

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68 Heiko Wieandt, Dr. Helmut Giger

Auf der anderen Seite entwickeln die Mitarbeiter von T-Systems bei-spielsweise neue Produkte und Services oder realisieren anspruchsvolle,internationale Projekte. Daher spricht auch nichts dagegen, wenn sie imUnternehmen die notwendigen Informationen selbstständig beschaffen.Aus dieser grundsätzlichen Sicht lassen sich wichtige Werkzeuge der

Marktforschung ableiten, um effektiv und effizient selbstständig nach In-formationen recherchieren zu können. Ein Internetzugang und eine Such-maschine sind für die Mitarbeiter nützlich, helfen aber bei schwierigenFragestellungen nicht hundertprozentig weiter. Spätestens hier wird deut-lich, dass es bei fast allen Recherchen nicht nur um Informationen, sondernum Wissen und dessen Anwendungen und Auswirkungen geht.

Strategische und organisatorische Erfolgsfaktorenentwickeln

Prozessoptimierung durch Bedarfsanalyse und Best Practice

Das Projekt „Marktforschungsportal T-Systems“ startete bereits 2002 mitzwei Teilprojekten. Zum einen wurde eine Benchmark-Analyse überMarktforschungsportale in Unternehmen durchgeführt, zum anderen wurdeder interne Bedarf analysiert. Auf Basis dieser Ergebnisse war es möglich,die richtige Hard- und Software auszuwählen und neue IT-Anwendungeneffektiv und effizient einzusetzen.Die Benchmark-Aanalyse über Marktforschungsportale untersuchte 24

verschiedene Unternehmen aus den Branchen Consulting, Banken/Versi-cherungen, Hightech-Produktion sowie Diskrete und ProzessorientierteFertigung. Besonders wichtig waren dabei die folgenden Kriterien

• die technische Plattform, rund um die Uhr und international im Einsatz• ein zentraler Zugang (Single Point of Entry)• eine Beschaffungsplattform für Studien und Reports• Angebot kostenpflichtiger Services• Bekanntmachung neuer Studien• Zugang zu Informationsdienstleistern und Studien• persönliche Agenten• Redaktionell betreute Inhalte• Stichwort- und Volltextsuche• direkte Anbindung externer Informationsquellen

Die Untersuchung ergab, dass drei Unternehmen keine beziehungsweisenur eine unzureichende technische Infrastruktur besaßen. Acht Unter-

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nehmen verfügen über eine gut funktionierende IT-Infrastruktur und einbreites Angebot an MaFo-Inhalten. Sechs Unternehmen bieten Tools an,um Hilfe zur Selbsthilfe zu ermöglichen. Allerdings werten nur zwei diesersechs Unternehmen diese Tools auch systematisch aus, um das bestehendeMaFo-Portal beziehungsweise das Wissens-Management-System weiter-zuentwickeln und damit dem internen Informationsbedarf gerecht zu wer-den.Das zweite Teilprojekt untersuchte die spezifischen Anforderungen des

eigenen Unternehmens an ein Marktforschungsportal. Dabei standen dieGeschäftsprozesse im Fokus. Das Ergebnis: In allen Geschäftsprozessenspielt ein Marktforschungsportal und Wissens-Management eine wichtigeRolle.Der größte Bedarf besteht in den folgenden Bereichen

• Strategie und Planung• Marketing• Portfolio-Management• Sales und Customer Relationship Management• Process und Quality Management

Konzeption und Organisation im Wissens-Management

Shared Services

Die Marktforschung bei T-Systems bietet die Informationsdienstleistun-gen, die so genannten Shared Services, in drei Stufen an

• Self Services: Im ersten Schritt recherchieren die Mitarbeiter weitest-gehend selbstständig über das MaFo-Portal. In dieser Intranetlösungsteht ein reiches Angebot an Studien und Analysen weltweit rund umdie Uhr bereit, auch an Wochenenden. Alle Daten beschafft T-Systemsnur einmal und hält sie auf zentralen Servern vor, um Geld und Spei-cherplatz zu sparen. Diese Vorgehensweise entlastet außerdem die Net-ze: Anstelle von umfangreichen Dateien verschickt der Server bei-spielsweise lediglich die zu den Informationen führenden Links.

• Premium Services: Benötigt der Mitarbeiter Hilfe oder reichen die imMaFo-Portal verfügbaren Informationen nicht aus, kann er sich an einenAnsprechpartner für die Marktforschung wenden. Diese dienen in ihrerjeweiligen Geschäftseinheit als erste Anlaufstelle und können als Infor-mationsquelle so genannte Premium Services nutzen. Beispielsweisesprechen sie direkt mit externen Industrieanalysten. Zusammen mit denanderen Ansprechpartnern für die Marktforschung bilden die MaFo-

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Ansprechpartner eine so genannte Community of Practice. Zu ihren we-sentlichen Aufgaben gehört der gemeinsame Wissensaustausch.Daneben stimmen sich die Mitglieder darüber ab, wie sie das MaFo-Portal und andere damit verbundene Dienste weiterentwickeln wollen.

• Research on Demand: Die einzelnen Mitarbeiter oder Organisationsein-heiten des Unternehmens können auch kostenpflichtige Recherchen be-auftragen (Auftragsmarktforschung). Dieser Weg ist günstiger als einexternes Marktforschungsinstitut direkt zu beauftragen, unter anderem,weil die Marktforschungsabteilung über einen umfangreichen Infopoolverfügt. Zudem sind es die Mitarbeiter hier gewohnt, spezielle Frage-stellungen des Managements aufzubereiten.

Community of Practice im Research

Eine Fachabteilung, die mit ausgewählten Partnern aus allen BusinessUnits zusammenarbeitet, bildet den Kern der Community of Practice. Dierund 30 MaFo-Ansprechpartner in der Community beantworten Fragen derMitarbeiter und stehen im direkten Dialog mit Analysten.Die MaFo-Experten tauschen untereinander Informationen aus und

stimmen sich über die weitere Entwicklung des Portals und der anderenServices ab. Daneben haben auch die einzelnen Geschäftseinheiten dieMöglichkeit, Vorstellungen und Verbesserungsvorschläge einzubringen.Die Kernabteilung kann die Community of Practice auf diese Weise als

Lobbyist und Multiplikator für eigene Ideen und Neuerungen nutzen. Dar-über hinaus sind zu den regelmäßigen Treffen häufig Gäste eingeladen, dieebenfalls Informationen ins Unternehmen tragen.

Know-how-Schutz

Das MaFo-Portal im Intranet ist unter anderem durch Firewalls und Anti-Virenprogramme vor fremdem Zugriff geschützt. Aber auch die eigenenMitarbeiter dürfen nicht alle Studien und Berichte einblicken. Einerseitsregeln Lizenzverträge mit den Industrieanalysten (Informationslieferanten)die Anzahl der Nutzer in der Firma. Andererseits sind insbesondere kost-spielige Primäruntersuchungen besonders zu schützen und nur dem inter-nen Auftraggeber, seinen Beauftragten beziehungsweise einem besonde-rem Nutzerkreis zugänglich zu machen.Eine interne Sicherheitslösung besteht darin, Dokumente in den Daten-

banken mit einem Passwort zu versehen. Die Personen, die dieses besitzen,müssen dann einem größeren Personenkreis als Ansprechpartner bekanntsein und Mitarbeitern mit einem berechtigten Informationsinteresse denZugang ermöglichen.

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Von der betrieblichen Marktforschung zum Wissens-Management... 71

Prozesse

Funktionen im Marktforschungsportal

Das MaFo-Portal hält alle für T-Systems relevanten Marktforschungs-informationen bereit. Dazu gehört eine Datenbank mit mehr als 4000 Stu-dien. Außerdem stehen Zahlen über weltweit relevante Märkte, tagesaktu-elle Wirtschaftsinformationen und Wettbewerberanalysen bereit. Zusät-zlich ist das MaFo-Portal Ausgangs- und Bestellpunkt für alle weiter-gehenden Services, wie zum Beispiel einem monatlichen Informations-dienst.Das System bietet eine Vielzahl von Recherchemöglichkeiten und mit

der Einführung der Suchmaschine „Single View“ wurde das MaFo-Portalzu einem effizienten MaFo-Wissens-Management-System weiterent-wickelt. Single View bietet allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mitnur einer Suchanfrage Zugriff auf den gesamten Wissensfundus. Dabeiwerden, je nach Berechtigung der Nutzer, nicht nur interne Quellen undDatenbanken der T-Systems, sondern auch externe Analysten berücksich-tigt. Die neu integrierte Suchmaschine erlaubt es, parallel in bis zu elf ver-schiedenen Datenquellen zu suchen. Dabei handelt es sich um interneQuellen wie der Studien- und der Wettbewerberdatenbank, den Infodienstund sieben verschiedene externe Quellen. Diese stammen unter anderemvon Forrester Research, PAC, Ovum, oder TechConsult. Die Volltextsucheunterstützt rund 200 gängige Dokumentformate. Die Ergebnisse stehen inkürzester Zeit zur Verfügung.Der Mitarbeiter kann seine Suche auf bestimmte Quellen konzentrieren.

Er braucht sich dabei nicht bei jedem Informationsanbieter einzeln anzu-melden. Ein Passwort für den zentralen Zugang zum MaFo-Portal genügt(Single Sign-on), dadurch erhöht sich die Effizienz und Effektivität derRecherchearbeit – das mühsame Einloggen und die Passworteingabe beiverschiedenen Analysten entfällt. Wie weit eine Recherche in den einzel-nen Quellen gehen darf, entscheiden lediglich die unterschiedlichen Rechtefür den Self-Service- oder den Premium-Service-Zugang.Die dem Mitarbeiter zugänglichen Informationen sieht er in seiner per-

sönlichen Suchmaske. Eine Fokussierung der Suche auf bestimmte Quel-len ist möglich. Diese können skalierbar in die Suchanfrage einbezogenwerden. Darüber hinaus kann neben einer gewöhnlichen Suchfunktion –vergleichbar Google – eine erweiterte Suchfunktion genutzt werden. Indiesem Fall kann zwischen unscharfer Suche (passende Ergebnisse auchbei Schreibfehlern), natürlichsprachlicher Suche (Fremdwörter können wiegesprochen eingegeben werden) oder intuitiver Suche (es werden Ergeb-

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nisse mit ähnlichen Einträgen geliefert) ausgewählt werden. Die Sucher-gebnisse werden in einer übersichtlichen Tabelle dargestellt, die sich nachverschiedenen auswählbaren Kriterien, wie zum Beispiel Relevanz, Da-tum, Ähnlichkeit, konfigurieren lässt. Dies erleichtert die Übersichtlichkeitüber die gewonnen Informationen und steigert die Akzeptanz des Gesamt-systems. Die in der Ergebnisliste aufgeführten Studien können im nächstenSchritt entweder in der Originalfassung direkt geöffnet oder heruntergela-den werden. Ebenso können die gefundenen Studien in einem speziellenTextmodus geöffnet werden. Dabei sind die vorher eingegebenen Such-begriffe farblich markiert, um gerade bei umfangreichen Ausarbeitungenoder ganz speziellen Suchbegriffen die gewünschten Textpassagen schnellund einfach zu finden. Protokollfunktionen liefern die Historie aller durch-geführten Suchanfragen pro Sitzung und unterstützen so den Anwender aufunterschiedliche Art und Weise. So hat er die Möglichkeit, einmal durch-geführte Suchanfragen mit allen eingestellten Optionen zu speichern undjederzeit zu wiederholen, um zielgerichtet regelmäßig Recherchen zu be-stimmten Themenbereichen durchzuführen. Alle Suchläufe einer Sitzungwerden automatisch protokolliert und können im Verlauf einer Recherchejederzeit eingesehen oder wiederholt ausgeführt werden. Damit wird dieregelmäßige Beobachtung und Analyse einzelner Themengebiete verein-facht.Des Weiteren kann der Administrator in einem definierten Zeitraum mit

einer Reporting-Funktion statistische Auswertungen, Reports über Kanal-zugriffe, Nutzerzugriffe und Suchanfragen erzeugen. Zudem erhält dasManagement wertvolle Informationen über die tatsächliche Akzeptanz undNutzung der einzelnen internen und insbesondere der externen Informati-onsquellen. Dies ist wichtig, um bei Vertragsverhandlungen mit den Re-searchern (Sekundärmarktforschung) die richtigen Schwerpunkte zu set-zen. Das MaFo-Portal enthält

• Researcher-Zugänge zu den wichtigsten Industrieanalysten, um selbst-ständig nach Informationen zu suchen

• eine Studiendatenbank mit über 4000 aktuellen Studien• eine Wettbewerberdatenbank• Kontaktadressen der MaFo-Ansprechpartner• eine Suchmaschine, die an interne und externe Portale und Datenbankenangeschlossen ist

• einen monatlicher Newsletter rund um die IT- und TK-Märkte• Marktzahlen als Basisinformationen für die Mitarbeiter• Publikationen der Researcher über die eigene Firma• Wirtschaftinformationsdienste zu Firmenprofilen• eine Linksammlung zu externen und internen Quellen

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• eine Präsentationsdatenbank• MaFo-Events• MaFo-Grundlagen: Wie lassen sich Märkte quantifizieren etc.• FAQ, Glossar, Sitemap

Redaktion des MaFo-Portals

Damit das MaFo-Portal „lebt“ und dem Nutzer einen Mehrwert bietet, hal-ten Redakteure den Datenbestand stets aktuell und bereiten ihn zielgrup-penadäquat auf. Dafür sind entsprechende Ressourcen-, Budget- und Per-sonalplanungen nötig.Die Angebote des MaFo-Portals unterscheiden zwischen Top-Themen

im MaFo-Portal, den Datenbanken (Studien-, Wettbewerber-DB) und dentäglichen, so genannten Nachrichten in Schlagzeilen. Die Redakteure aktu-alisieren diese Teilbereiche nach vorgegebenen Routinen. Da eine Vielzahlvon Mitarbeitern regelmäßig die wöchentlich neu erscheinenden Top-Themen liest, muss der Themenverantwortliche – beispielsweise derTeamleiter – diese freigeben. Erst dann können die Redakteure die Nach-richt im Intranet veröffentlichen.Aktuelle Publikationen der wichtigsten Researcher erhalten die verant-

wortlichen Mitarbeiter von T-Systems regelmäßig per E-Mail. Die Redak-teure prüfen die Eingänge täglich und stellen die Informationen nach „er-kennungsdienstlicher Behandlung“ in die Datenbanken ein, beispielsweisenach Themenschwerpunkt, Produkt, Branche, Region und Zielgruppe ge-ordnet.Bei Newslettern von Researchern entscheiden T-Systems-Mitarbeiter im

Team, welche aktuellen Studien und Berichte sie herunterladen und in dasMaFo-Portal einstellen. Kollegen, beispielsweise aus der Community ofPractice, helfen ihnen dabei, sich für ein Informationsangebot zu entschei-den oder es abzulehnen. Daneben entfernen die Redakteure regelmäßigDatenbestände, die nicht mehr aktuell sind.

Benutzerfreundlichkeit

Wie oft Mitarbeiter das MaFo-Portal nutzen, zeigt, wie zufrieden sie mitdem Angebot sind. Die Zahlen sprechen für sich: 2000 Abonnenten desregelmäßigen Newsletters und die Verdopplung der Besucher nach Einfüh-rung von Single View auf 9000 bis 10 000 im Monat dokumentieren dieNutzungsintensität des MaFo-Portals.Um die Informationen übersichtlich und das Portal damit benutzer-

freundlich zu halten, strukturieren die verantwortlichen Mitarbeiter die ex-ternen Infodienste und Kongressunterlagen in einer für den Nutzer leicht

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auffindbaren Form. Auch Anwender mit unterschiedlichen Suchstrategiensollen interne und externe Informationen rasch finden. Falls nicht, könnensie sich an Kollegen in einem User Help Desk (UHD) wenden.

Die Realisierung des MaFo-Portals

Ohne Plan geht es nicht

Nach einigen Vorstudien und einer Mitarbeiterbefragung begann der Auf-bau des Portals mit der Erstellung eines Lastenhefts. Dieses enthält allegrundlegenden technischen und fachlichen Anforderungen.Daneben definierte ein schriftlicher Projektauftrag, wie die fertige Lö-

sung aussehen soll und welche Abteilung oder welcher Mitarbeiter fürwelche Aufgaben verantwortlich ist. Außerdem enthält der Vertrag diefolgenden Punkte:

• Projektbeginn• Projektende• Projektleiter• Projektmitglieder• Budget• Ziele des Projekts• Aufgaben für spätere Schritte des Projekts, zum Beispiel FrequentlyAsked Questions (FAQs)

Die Vorgaben aus dem Projektauftrag und dem Lastenheft fassten dieProjektleiter im Pflichtenheft detailliert zusammen. Dabei legten sie Wertauf möglichst exakte und nachvollziehbare Beschreibungen, beispielsweisezu den Punkten Zieldefinition, Produkteinsatz, -funktion, -leistung, Quali-tätsanforderungen, Benutzeroberfläche und technische Produktumgebung.Auf das Pflichtenheft folgte der Projektplan, eingeteilt in die einzelnen

Arbeitsschritte. Beides, Pflichtenheft und Projektplan, bilden die Basis fürdas Projektabnahmeprotokoll.Das erfreuliche Resultat: Die verantwortlichen Mitarbeiter hielten den

Projektplan weitestgehend ein. Die im Pflichtenheft festgelegten Definiti-onen waren außerdem so exakt, dass das MaFo-Portal ohne große Kinder-krankheiten startete.

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Projekt-Management

Um umfangreiche Projekte erfolgreich abzuwickeln, ist ein Projekt-Management-System notwendig. Das für die Organisation zuständigeTeam bestand aus dem Projektleiter, sechs Mitarbeitern und einem Pro-jektpaten aus dem oberen Management. Dieser informierte die Geschäfts-leitung über den jeweils aktuellen Status des Projekts.Der Betriebsrat überzeugte sich außerdem davon, dass das Portal keine

Daten enthält, die eventuell zur Leistungskontrolle von Mitarbeitern oderanderen mitbestimmungspflichtigen Funktionen dienen. Mitarbeiter ausdem Marketing unterstützten das Projekt von Anfang an durch interneKommunikation.

Technische Umsetzung

Das MaFo-Portal ist eine Eigenentwicklung. Trotz umfangreicher Anfor-derungen an das Portal – Suchmaschine, Abfragemodule, verschiedeneDatenbankapplikationen – konnte T-Systems das Projekt auf Basis beste-hender Standardentwicklungen realisieren und in das Intranet integrieren.Das Besondere am Portal besteht in der intelligenten Kombination be-

stehender Anwendungen. Der mit den Richtlinien zur Unternehmensdar-stellung (Corporate Identity/Corporate Design) konforme Auftritt wurdevon Anfang an modular konzipiert. Einzelne Applikationen lassen sich je-derzeit austauschen oder neue Applikationen hinzufügen, ohne die Stabili-tät des Systems zu gefährden. Die plattformunabhängige Systemumgebung(Java) ermöglichte es, unterschiedliche Applikationen miteinander zu ver-knüpfen.Das Content-Management-System stellt die Benutzerschnittstelle bereit.

Um dem Anwender die Suche nach Informationen und Studien zu erleich-tern, wurden zwei Datenbankapplikationen aufgesetzt: eine Studiendaten-bank mit mehr als 4000 aktuellen Studien und eine Wettbewerberdaten-bank. Der Zugriff auf die beiden Datenbanken erfolgt über einAbfragemodul. Der Anwender kann gezielt nach Produkten, Herausge-bern, Branchen und Ländern suchen und verschiedene Merkmale mitein-ander kombinieren. Für themenorientierte Abfragen steht eine Volltext-suchmaschine bereit.

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Abb. 1. Die technische Umsetzung des MaFo-Portals

Weltweit können die Mitarbeiter jederzeit auf das Netzwerk zugreifen.Sie wählen sich über die unterschiedlichsten Kanäle ins Intranet ein: überdas analoge Fernsprechnetz oder das Mobiltelefon genauso wie über LAN(Local Area Network), ISDN, GPRS, DSL oder über einen sicheren VPN-Tunnel (VPN = Virtual Private Network).Jede Unternehmenseinheit hat auf ihre Intranetseiten redaktionellen

Zugriff und kann neue Informationen rasch einstellen. Außerdem können

CoreMedia

SystemsNet

MaFo-Portal

Verity

Search

Applikation

Studie-DB

(JBoss)

Applikation

Wettbewerber-DB

(JBoss)

Suchmaschine(Fulcrum +

Hummingbird

SearchServer/

KM/Portal)

Applikation

Oracle

File-

System

File-

System

My SQL

DB

Indiziert

Suchanfrage/

Ergebnisliste

URL-Verlinkung

Suchanfrage/

Ergebnisliste

Suchanfrage/

Ergebnisliste

Indiziert

Indiziert

Indiziert

Indiziert

Metadaten

Dokumente

Metadaten

Dokumente

Suchmaschinen-

daten

XML,

ODBC,

JDBC,

HTTP

Externe-Researcher-Datenquellen

(Forrester, Gartner, Meta Group u. a.)

Suchanfrage/

Ergebnisliste

Oracle

CMS-Inhalte

Such-

maschinendaten

Applikation

Applikation

DB

DB

My

SQL

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sie sich weiterer Werkzeuge bedienen. Dazu gehören Systeme, um News-letter zu erstellen genauso wie beispielsweise E-Mail-Funktionen, Vertei-lung von animierten Inhalten (Streaming), Voice over IP, Foren und Chats.Für größere Projekte und Anpassungen der Benutzeroberfläche stehenKolleginnen und Kollegen in konzerneigenen Online-Redaktionen bereit.

Moderation der Bereichsinteressen

Entscheidend zum Erfolg des MaFo-Portals hat die Community of Practicebeigetragen. Sie liefert wertvolle Anregungen, um die Lösung benutzer-freundlich und brauchbar zu machen. Darüber hinaus hat sich die Commu-nity als Multiplikator bewährt, damit viele Anwender das MaFo-Portalnutzen und den Entwicklern ihre Erfahrungen aus der Praxis mitteilen. Eingroßer Mitarbeiterkreis fühlt sich auf diese Weise persönlich eingebundenund für die Anwendung verantwortlich.

Zukunftssicherheit des Projekts

Keep it smart and simple. Unter diesem Motto wurde das Projekt erfolg-reich eingeführt. Dabei standen die folgenden Erfolgsfaktoren im Vorder-grund

• Skalierbarkeit: Die erweiterte Standardentwicklung ist hoch skalierbarund erlaubt den Zugriff aller Beschäftigten. Die Stabilität des Systemsist gewährleistet.

• Modularität: Das MaFo-Portal wurde als modulares System konzipiert.Dies ermöglicht es, Applikationen problemlos auszutauschen und neueAnwendungen zu integrieren. Um die Systeme zu personalisieren, istdies eine wichtige Voraussetzung.

• Offenheit: Das MaFo-Portal ist ein offenes System. Es lässt sich für wei-tere Anwendungen ausbauen. Beispielsweise sind jederzeit Java-Verknüpfungen möglich.

• Standardisierung: Das MaFo-Portal orientiert sich konsequent an denunternehmensspezifischen Standards. Proprietäre, also nicht standard-konforme Komponenten wurden bewusst nicht verwendet.

• Günstige Kosten durch Einbindung der Fachabteilungen in die inhalt-liche Pflege: T-Systems betreibt, wartet und pflegt die technische Lö-sung. Die inhaltliche Arbeit allerdings übernehmen die Fachabteilungenselbst. Unter anderem erstellen und katalogisieren sie neue Studien, stel-len Meldungen ein, passen Grafiken an und löschen Inhalte bei Bedarfwieder.

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• Benutzerfreundlichkeit: Die Anwender greifen mit einem einzigenPasswort auf sämtliche internen und externen Datenbanken zu, mit de-nen das Intranet arbeitet (Single Sign-on). Die Bedienung des MaFo-Portals ist relativ einfach, sodass Schulungen nicht erforderlich sind.

• Fachliche Weiterentwicklung: Die internen Fachleute erkennen das Ma-Fo-Portal auch deshalb an, weil es die fachlichen Know-how-Träger ausden einzelnen Geschäftsbereichen im In- und Ausland einbindet. Au-ßerdem sind die Fachleute dadurch selbst daran interessiert, die Lösungweiterzuentwickeln. Schließlich trägt der ständige Dialog mit den Nut-zern dazu bei, das System zukunftssicher zu gestalten.

• Robustheit gegenüber organisatorischen Veränderungen: Die Commu-nity of Practice erleichtert bei der Durchführung von Neuorganisationendie Zusammenarbeit und federt die internen organisatorischen Verände-rungen im Unternehmen ab. Auf diese Weise brauchen die Entwicklerdas Portal nicht ständig an Reorganisationen anzupassen.

Nutzen und Erfahrungen

Ökonomie im Wissens-Management

Wissens-Management-Systeme ermöglichen es den Mitarbeitern, zeit- undortsunabhängig auf die benötigten Informationen zuzugreifen. Diese sindeinfach und schnell abrufbar. Das spart Zeit und Geld. Darüber hinauswirken sich Wissens-Management-Systeme insgesamt positiv auf dieKommunikationskultur im Unternehmen aus.T-Systems hat mit dem MaFo-Portal genau diese Situation erreicht.

Aber nicht nur die effizienten Recherchemöglichkeiten, die hoheMotivation der Mitarbeiter und die enorme Zeitersparnis haben die Kostensinken lassen. Denn zusätzlich sorgt das Portal dafür, dass die Einkaufs-abteilungen Kapazitäten bündeln können und somit Mehrfacheinkäufevermeiden.

Kosten

Wie bei jedem Projekt stellt sich natürlich auch beim Aufbau eines Wis-sens-Management-Systems die Frage nach dem Kosten-Nutzen-Verhältnis.Um diese zu beantworten, muss man sich verdeutlichen, welchen Wert einumfangreicher Wissenspool besitzt. Schließlich wenden viele Unterneh-men fünf Prozent und mehr ihrer Marketing-Ausgaben für die Informati-onsbeschaffung auf.

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Wie das MaFo-Portal zeigt, lässt sich ein Wissens-Management-System,das alle Mitarbeiter effizient nutzen können, zu einem – verglichen mitdem Wert der Inhalte – geringen Preis aufbauen. Durch eine straffe Pro-jektorganisation mit drei unabhängigen Teilprojekten ließ sich das Portalzudem innerhalb von sechs Monaten verwirklichen.Auch die Betriebskosten fallen eher gering aus. Zu diesen gehören unter

anderem der laufende finanzielle Aufwand für die Redaktion und die Wei-terentwicklung des Systems.

Kostenersparnis durch gebündelte Einkaufsmacht

Dank des MaFo-Portals schließen heute nicht die einzelnen Fachabteilun-gen Verträge beispielsweise mit Researchern. Stattdessen erwirbt T-Sys-tems beispielsweise Studien zentral von den Marktforschungsinstituten.Dadurch entsteht für die Geschäftskundentochter der Deutschen Telekomeine völlig andere Verhandlungsposition gegenüber den Inhaltelieferanten.T-Systems kann nun bessere Vertragskonditionen aushandeln. Aber auchdie Marktforschungsinstitute können nun den Verbleib ihrer Studien bessernachvollziehen. Damit wächst letztendlich das gegenseitige Vertrauen.

Kostenersparnis durch höhere Effizienz

Vor Einführung des MaFo-Portals mussten die Mitarbeiter eine Studie anmehreren Stellen im Unternehmen suchen. Sie mussten außerdem eine Er-laubnis einholen, damit sie das Werk nutzen können und es als Ausdruckoder per E-Mail zugeschickt bekommen.Heute steht den Mitarbeitern über das MaFo-Portal der gesamte Markt-

forschungs-Wissenspool des Unternehmens rund um die Uhr online sofortzur Verfügung, einschließlich sämtlicher verfügbarer Marktinformationen,Branchennachrichten, Berichte und Länderstudien.Informationsvorsprung bedeutet gleichzeitig ein enormes Sparpotenzial:

Gut informierte Mitarbeiter beraten ihre Kunden besser und gewinnen soim Wettbewerb.

Kostenersparnis durch technologische Weiterentwicklung

Auch neue Technologie bedeutet Kosteneinsparungen, da sie effizienteresArbeiten ermöglicht. Die Suchmaschine des Portals beispielsweise erlaubtes, mit nur einer einzigen Anfrage bei allen internen und externen Informa-tionsquellen gleichzeitig zu recherchieren. Der Anwender verfügt somitsehr schnell über ein umfassendes Ergebnis.

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Monatlich nutzen zwischen 9000 und 10 000 Mitarbeiter die Infolösung.Sucht jeder von ihnen heute nur zehn Minuten weniger als früher, spart T-Systems insgesamt mehr als 500 000 Euro pro Jahr.

Lessons learned

Gerade bei spartenübergreifenden Anwendungen wie dem MaFo-Portalempfiehlt es sich, eine Community of Practice aus möglichst vielen unter-schiedlichen Unternehmenseinheiten einzurichten.Die Community sollte aber nur so groß sein, dass sich die Teilnehmer

persönlich kennen und regelmäßig treffen können. Die Community-Mitglieder entwickeln die Anwendung zum einen benutzerorientiert wei-ter. Zum anderen wirken sie als Multiplikatoren und Lobbyisten für dieAnwendung (und der dahinter stehenden Fachabteilung) in ihrer Unter-nehmenseinheit.Sinnvoll ist auch der Dialog mit dem Anwender, um ihn über die Lö-

sung und ihren Nutzen zu informieren sowie um ein Feedback zu erhalten.Für Letzteres eignen sich beispielsweise Panel-Erhebungen. T-Systemsnutzt darüber hinaus Veranstaltungen wie die „Portal Days“ für den Dialogmit dem Anwender.Die bislang größte Anerkennung: Die Fachzeitschrift „Computerwoche“

und das renommierte Marktforschungsunternehmen Gartner zeichnetendas MaFo-Portal in einem gemeinschaftlich durchgeführten Wettbewerbals eine der besten IT-Anwendungen des Jahres 2003 aus.Fazit: Das MaFo-Portal bietet eine benutzerfreundliche Informations-

aufbereitung und -bereitstellung an zentraler Stelle. Das ist sein Grundnut-zen. Dem Cafeteria-Prinzip folgend, finden die Beschäftigten zusätzlichnicht nur die gesuchten Informationen, sondern auch ein umfassendes An-gebot an weiterführenden oder ergänzenden Informationen. Entscheidendfür den Erfolg

1. ein technisch innovatives und zuverlässiges System2. neue Organisationsformen zur Stärkung von Eigenverantwortung3. eine benutzerfreundliche und kostengünstige Lösung

Next Steps: Datenanalyse durch Datamining

Um weiter Kosten zu senken und gleichzeitig die Effizienz des Portals zusteigern, entwickelt T-Systems das Portal ständig weiter. Nach der Inte-gration der Meta-Suchmaschine liegt der Schwerpunkt nun auf der Analy-

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se der über die Recherchen gewonnenen Information. Das Resultat ist häu-fig eine Datenflut in Form von Studien, Berichten oder Tabellen. Aus die-sen Dokumenten die wirklich relevanten Informationen herauszuziehenbeziehungsweise Ideen oder Trends zu extrahieren ist zeitintensiv. Eineeinfache Suche nach Begriffen reicht hier nicht mehr aus. Stattdessen istein System notwendig, das Dokumente automatisch analysiert und Zu-sammenhänge ermittelt.T-Systems plant deshalb, so genannte Data- oder Text-Mining-Systeme

einzusetzen. Diese werten Datenbestände automatisch aus, unter anderemmithilfe von neuronalen Netzwerken und statistischen Verfahren wie zumBeispiel Fuzzy Clustering oder genetischen Algorithmen. Sie untersuchenDaten nach Regelmäßigkeiten, Mustern und Strukturen, Abweichungensowie jeglicher Art von Beziehungen und gegenseitigen Beeinflussungen.Die relevanten Informationen lassen sich somit aus verschiedenen Da-

tenquellen extrahieren, klassifizieren und weiterverarbeiten. Der großeVorteil: Die Data-Mining-Systeme stellen die gesuchten Informationenbenutzerfreundlich dar, und dies selbst aus einer großen Zahl unstruktu-rierter Textdokumente. Allein die Studiendatenbank enthält beispielsweisemehr als 4000 Dokumente, Researcher-Informationen nicht einbezogen.Aus den Data-Mining-Tools lässt sich in Kombination mit den im Ma-

Fo-Portal vorhandenen Informationen ein Expertensystem entwickeln.Dieses könnte das zuvor modellierte Wissen – etwa in Form aufbereiteterStudien – diagnostisch verarbeiten und dazu dienen, Wissen zu repräsen-tieren und Schlussfolgerungen zu ziehen. Die Analyseergebnisse erleich-tern dann erfolgskritische Unternehmensentscheidungen.Konkrete Anwendungsbeispiele sind Analysen quartalsbezogener Um-

satz- und Prognosezahlen aus den unterschiedlichsten Dokumenten undZusammenhängen verschiedener Researcher. Diese dienen als Vorlage fürunternehmensrelevante Entscheidungen.

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Praxisbeispiele: Innovation durch ITim Produkt

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Innovation in Produkten und Prozessen durchfortschrittlichen Einsatz von IT

Dr. Jürgen Sturm, CIO BSH Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH

Ausgangssituation

Die BSH Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH (im Folgenden BSH ge-nannt) hat sich zum weltweit drittgrößten Hersteller von Hausgeräten mitMarktführerschaft in Deutschland und Westeuropa entwickelt. Zur Kon-zerngruppe, die 1967 aus einem Joint Venture der Robert Bosch GmbHund der Siemens AG hervorgegangen ist, gehören 44 Fabriken in Europa,Lateinamerika, Asien und USA (siehe Abbildung 1).Die so genannte „Weiße Ware“-Industrie ist seit vielen Jahren durch ein

extrem wettbewerbsintensives Umfeld sowohl beim Handel als auch beimEndverbraucher geprägt. Für BSH waren von Anbeginn die Innovationund Qualität der Produkte und Prozesse des Unternehmens ein wesentli-cher Erfolgsfaktor für ein beständiges und nachhaltig profitables Wachs-tum.Um im Markt langfristig zu bestehen, ist – neben der unverzichtbaren

Grundvoraussetzung der Kostenexzellenz im Unternehmen – insbesonderedie Gestaltung von Innovationen zum Erhalt und Ausbau von Wettbe-werbspositionen maßgeblich. Das Grundverständnis ist: Jede Neu- undWeiterentwicklung schafft einen Mehrwert für den Kunden und sichertdem Konzern einen Wettbewerbsvorteil.Um die notwendige Innovationsfähigkeit fest in der Kultur des Unter-

nehmens zu verankern, sind Programme zur Förderung von Innovationendurch Ideen-Management und zur Verbreitung von Best Practices im Un-ternehmen implementiert. Die Umsetzung zahlreicher Innovationen wurdedurch verschiedene externe Auszeichnungen, unter anderem mit dem Um-weltpreis 2004 des Bundesverbandes der Deutschen Industrie e. V. (BDI)sowie Preisverleihungen beim Wettbewerb „Best Innovator“ der Unter-

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nehmensberatung AT Kearney und der „Wirtschaftswoche“ für zukunfts-trächtiges Innovations-Management anerkannt.

Grundverständnis IT und Innovation

Die BSH verfolgt die Vision „Wir wollen Benchmark der Branche sein“.Der daraus abgeleitete für alle Mitarbeiter verbindliche Wertekanon ist inder Mission des Unternehmens „Die BSH ist ein weltweit führender Her-steller von Hausgeräten, der für seine Kunden und Gesellschafter einenMehrwert schafft“ formuliert und mündet in Handlungsmaximen, die ineinem verbindlich kommunizierten Leitbild verankert sind.Das Themenfeld Innovation ist hierbei mit dem Anspruch verknüpft

„Als Innovationsführer gehen wir unserer Branche voraus“. Diese generel-le Formulierung schließt zunächst nichts aus, sondern bezieht alle denkba-ren Inhalte von Innovationen, zum Beispiel im Hinblick auf Kundenorien-tierung, Produkt- und Prozessinnovation, Exzellenz der Unternehmensfüh-rung, Mitarbeiterorientierung, Verantwortung für Umwelt und Gesell-schaft, Energieeffizienz und Klimaschutz mit ein.

Abb. 1. Die Entwicklung der BSH

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Innovation in Produkten und Prozessen durch fortschrittlichen Einsatz... 87

Die Informationstechnologie an sich nimmt hierbei bezüglich der Inno-vation keine Sonderrolle im Unternehmen ein, sondern ist vielmehr inte-graler Bestandteil des auf Wertsteigerung ausgerichteten unternehmeri-schen Handelns aller Funktionen. Im Vordergrund steht dabei stets dasProdukt, die Dienstleistung beziehungsweise der Prozess. Die Rolle der In-formationstechnologie ist Mittel zum Zweck für die Produkte, Dienstleis-tungen und Unternehmensprozesse im Sinne einer grundlegenden Befähi-gungstechnologie.Natürlich sind sehr viele Produkt- und Prozessinnovationen der vergan-

genen Jahre durch den fortschrittlichen Einsatz von IT-Technologien ge-tragen. Die in diesem Zusammenhang zuweilen in Fachkreisen diskutierteFrage, ob der Treiber für Innovation primär in den Fachfunktionen oder inden IT-Funktionen angesiedelt sein müsse, wird erfreulicherweise bei derBSH nicht diskutiert, sondern schlicht der jeweiligen unternehmerischenProzessverantwortung ganzheitlich zugeordnet. Im Folgenden werden aus-gewählte Themenfelder der Produkt- und Prozessinnovation dargestellt.

Wachsende Bedeutung der IT im Produkt

Zur Schaffung von Wettbewerbsvorteilen mittels innovativer Produktewerden bei der BSH Basisinnovationen permanent daraufhin bewertet, in-wiefern sich aus ihnen konkreter Nutzen generieren lässt, der einen wirkli-chen Mehrwert für den Kunden schafft. Dies kann sich zum Beispiel in ei-ner verbesserten Nutzungs- und Bedienerfreundlichkeit, verbesserterLeistungs-Performance, Zeit oder Energieersparnis, Geräuscharmut oderverbessertem Design ausdrücken. Dabei muss der Nutzen der Innovationenfür den Endkunden direkt ersichtlich sein, wie etwa „Nie wieder Herd rei-nigen durch spezifische Hightech-Oberflächen im Innenraum des Back-ofens“, „Nie wieder Hemden bügeln durch automatischen Hemdenbügler“,„Bestes Spül- und Waschergebnis durch Aquasensorik in Geschirrspül-geräten und Waschmaschinen, die den Verschmutzungsgrad des Wassersüberwachen und daraufhin das Waschprogramm anpassen“, „SelbsttätigerReinigungsroboter, der das Staubsaugen in meiner Abwesenheit erledigenkann“ etc.In aller Regel sind die dargestellten Innovationen nur aus einer Kombi-

nation unterschiedlichster Technologieelemente generierbar. Das perfekteZusammenspiel von Sensorik, Aktorik und intelligenten Steuerungen istdabei nur in einer integrierten Gesamtlösung erfolgreich. Die Informati-onstechnologie ist das Bindeglied in den integrierten intelligenten Steue-rungen, die vorwiegend auf Mikroprozessorbasis und mikroelektronischen

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Schaltungen basieren und die Sensor- und Aktorsysteme im Produkt ver-binden. Zusätzlich ist in den Informationssystemen der Produkte auch einVerschmelzen von allgemeinen Informations- und Kommunikationstech-nologien sowie Multimedia erkennbar. Verdeutlicht wird dies in der Visi-on des intelligenten Hauses. Durch standardisierte, intelligente Bussystemesind die einzelnen Elemente des Hauses in einem Gesamtsystem verbun-den. Bisher isolierte Einzelelemente wie Hausgeräte, Klima- und Hei-zungsanlage, Lichtsysteme, Beschattungssysteme, Bewegungsmelder, Si-cherheitstechnik, Kommunikationstechnik, Internet, Computer, Fernsehenund Multimedia werden zu einem System vernetzt (siehe Abbildung 2).

Abb. 2. Elemente der „Serve@Home“-Architektur

Die Steuerung der Funktion beziehungsweise die Statusabfrage einzel-ner Geräte kann zentral und von überall durch verschiedene Elemente wiePDA, Mobiltelefon oder Tablet-PC geschehen. Die vielen Personen nachdem Verlassen des Hauses vertraute Frage „Ist der Herd vielleicht nochan?“ kann so problemlos auch von unterwegs mit dem Mobiltelefon durchAbfrage des Betriebszustands der Geräte beantwortet werden. Falls wirk-lich einmal vergessen wurde, das Gerät auszuschalten, kann es auf dieseWeise aus der Ferne nachgeholt werden. Umgekehrt kann man aufWunsch rechtzeitig vor dem Nachhausekommen ein Klimagerät im Wohn-oder Schlafbereich aktivieren oder ein Tiefkühlgerät auf Schnellgefrierstu-fe stellen (siehe Abbildung 3).

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Innovation in Produkten und Prozessen durch fortschrittlichen Einsatz... 89

Abb. 3. Hausgerätevernetzung über Powerline und integriertes Info-Modul

Weitere innovative Lösungen erschließen sich durch intelligente Selbst-diagnosesysteme zur Wartung und Instandhaltung in den Produkten, die –sofern gewünscht – auch dem Vertragskundendienst automatisch eineNachricht schicken können. Durch die Gerätekennung und definierte Feh-lercodes ist sichergestellt, dass der Kundendiensttechniker die richtigenErsatzteile mitbringt.Die Konvergenz bisher getrennter Technologien wie Steuerungstechnik,

Kommunikationstechnik, Computer, Internet und Multimedia eröffnet soneue Möglichkeiten, die unter anderem durch die erweiterten Steuerungs-und Überwachungsmöglichkeiten einen wirklichen zusätzlichen Kunden-nutzen mit sich bringen. Der Trend, die Küche als Lebensraum sowie alshochwertigen und ansprechenden Hightech-Bereich des Hauses zu gestal-ten, ist stark ausgeprägt. Kühlgeräte mit Multimedia-Bildschirm erlaubenes etwa neben Fernsehen und DVD im Küchenbereich auch interaktiveKochkurse durchzuführen und Kochrezepturen zu verwalten. Temperatur-/Zeitgeführte Back- oder Bratprogramme mit parallel geregelter Feuchtig-keit im Bratraum bringen Profikochtechniken in den Haushaltsbereich.Auch die Ideen der Zukunft sind stark an der Entwicklung des Marktes

orientiert: So ist der intelligente Kühlschrank mit einer automatisiertenBevorratungsüberwachung, Überwachung der Lebensmittelhaltbarkeitsda-ten sowie automatisierten Replenishment-Funktionen auf Basis der techno-logischen Möglichkeiten prinzipiell denkbar und auch realisierbar. Wie imoben geschilderten Fall des intelligenten Hauses kann der durchgreifendeNutzen jedoch nur aus integrierten Gesamtsystemen abgeleitet werden, diein diesem Falle die Lebensmittelkette und deren automatisierte Identifika-

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90 Dr. Jürgen Sturm

tion, etwa mit RFID-Tags, einschließen müssen. Vor dem Hintergrund,dass sich auch der Handel zunehmend mit derartigen Ansätzen auseinandersetzt, werden wir den Verlauf der noch bevorstehenden Innovationen inden nächsten Jahren gespannt beobachten. Die mit dem Schlagwort „dasInternet der Dinge“ verbundenen vielfältigen Entwicklungschancen weisenin diese Richtung. Die tatsächliche Akzeptanz im Markt hat hierbei größe-ren Einfluss als die rein technische Machbarkeit, die grundsätzlich gege-ben ist.Die zunehmend integrierte technologische Basis für Innovationen zeigt

sich mit steigender Verwendung allgemeiner Standards auch in den Pro-dukttechnologien. Elemente von Linux, Java- und Webtechnologien wer-den zunehmend auch in den Steuergeräten der Hausgeräteindustrie ver-wendet und gewährleisten so die Interoperabilität mit anderen Steuergerä-ten im Haus sowie allgemeinen Informations- und Kommunikationstech-niken (siehe Abbildung 4).

Abb. 4. IuK-Standards in der Produktplattform – Bereitstellung von Bedienober-flächen und Schnittstellen für Partner, Service-Provider, Integratoren

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Innovation in Produkten und Prozessen durch fortschrittlichen Einsatz... 91

Prozessinnovation durch integrierte Produkt- undProzessentwicklung

Im gleichen Maße wie Innovation in den Produkttechnologien durch fort-schrittlichen Einsatz von IT-Technologien getragen wird, ist die Innovati-on auch in der Produktentstehung und in nahezu allen weiteren Unterneh-mensprozessen maßgeblich durch die Informationstechnologie beeinflusst.Die Produktentwicklung auf Basis von 3-D-CAD ist heute in weiten

Teilen der Unternehmen eine Selbstverständlichkeit. Im Zuge eines Kon-solidierungsprozesses unterschiedlicher Entwicklungswerkzeuge ist hierfürbei der BSH in den vergangenen Jahren eine weltweit einheitliche Engi-neering-Plattform verwirklicht worden. Dies ist eine unumgängliche Vor-aussetzung für die Durchgängigkeit des Produktentstehungsprozesses inden weltweit verteilten Entwicklungszentren.Die konsequente Nutzung der 3-D-Technologie und der digitale Zu-

sammenbau ermöglichen hier die effiziente Zusammenarbeit und dasganzheitliche Management der Produktdaten in Entwicklung, Produktion,Industrial Engineering, Einkauf, Vertrieb und Kundendienst. Die Bereit-stellung der benötigten Informationen durch ein Produktdaten-Management-System ist dabei eine Schlüsseltechnologie bei unterneh-mensweit verteilten Prozessen und Ressourcen.Auch der Kundendienst nutzt die 3-D-Produktdaten der Entwicklung

durchgängig als Basis in all seinen Abläufen. Hierbei geht es um eineVielzahl von Dokumenten, wie etwa Illustrationen zum Zerlegen und Zu-sammenbauen von Geräten und Baugruppen durch die Feldtechniker desKundendienstes. Die isometrische Explosionsdarstellung der Ersatzteileund Baugruppen jedes einzelnen Produkts bis hin zu Trainingsdokumenta-tionen und Animationen für die Kundendiensttechniker werden direkt ineinem Concurrent-Engineering-Ansatz von den Entwicklungsdaten abge-leitet (siehe Abbildung 5). Vor einigen Jahren waren die Kundendienstak-tivitäten der eigentlichen Produktentwicklung nachgelagert, dadurch kames zu Wartezeiten, bis die Kollegen in der Konstruktion Zeit hatten, diebenötigten Informationen aufzubereiten.

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Abb. 5. Automatisierte Erstellung von ISODraw-Ersatzteil-Katalogen aus den in-tegrierten 3-D-Produktdaten

Integrierte Produktdaten-Management(PDM)-Systeme mit ihren Rollenund Rechtekonzepten erlauben nun die Umkehrung und Effizienzsteige-rung im Prozess. Der technische Redakteur oder Illustrator kann nunselbstständig sofort nach Freigabe der Daten auf alle Informationen welt-weit zugreifen, ohne den Eigentümer (Konstruktion) zu bemühen. Basis isthier die PDM-Stückliste, die alle Varianten der Teile und deren Konfigura-tionsinformationen enthalten. Auf dieser Basis kann der Redakteur imKundendienst sich im CAD-System die Datenstrukturen selbst aufbereitenund danach in seine Systemwelten importieren. Hierdurch wird nicht nurdie Time to Market verkürzt, sondern die Eigenständigkeit der zur Kon-struktion nachgelagerten Fachbereiche gestärkt, und übergreifende Abhän-gigkeiten werden eliminiert. Durch das integrierte Teile-Management inweltweit durchgängigen Produktdaten-Management-Systemen können zu-dem weitere Basisinnovationen erschlossen werden, was im Folgendenkurz aufgezeigt werden soll.

Herausforderung Gleichteile-Management: „Google“ für diegeometriebasierte Gleich- und Ähnlichteilsuche

In einer globalisierten Produktentwicklung ist ein effizientes und effekti-ves Gleichteile-Management eine große Herausforderung. Der klassischeAnsatz hierfür ist die Entwicklung komplexer Klassifizierungssysteme mitin Sachmerkmalsleisten niedergelegten Ordnungskriterien und die Aus-richtung an den primär auf alphanumerischen Informationsstämmen ausge-richteten Möglichkeiten von Datenbanken und ERP-Systemen. Es wird

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Innovation in Produkten und Prozessen durch fortschrittlichen Einsatz... 93

hierbei durch Namenskonventionen und Benennungen von Teilen undBaugruppen versucht, die Ähnlichteile in Gruppen zusammenzufassen undzu standardisieren. In einem weltweiten Verbund stößt dies zum Beispielschon auf sprachliche Probleme und erfordert die Festlegung einer kon-zernweiten Sprache zur Dokumentation von Produktdaten. In der Praxiszeigt sich jedoch, dass in einer Welt des verteilten Arbeitens mit unter-schiedlichsten Kulturen, Sprachen und Know-how, die Materialklassenund die damit angestrebte hohe Wiederverwendung von Gleichteilenschwer durchzusetzen sind.Ein vollkommen neuer Lösungsansatz wird mit neuen Technologien

verfolgt, die nicht auf Basis von textuellen Eigenschaften und komplexenMaterialklassensystemen ähnliche oder gleiche Teile finden, sondern diesedirekt auf Basis der spezifischen Teilegeometriedaten identifizieren. ImRahmen eines Pilotversuchs wird bei BSH die Suchmaschine „GeolusSHAPE“ eingesetzt. Die einheitliche 3-D-CAD-Datenbasis für das gesam-te Produktspektrum ist eine gute Voraussetzung. Hierbei wird von je-dem/jeder dreidimensional in CAD erstellten Bauteil/Baugruppe über einneutrales Datenformat – zum Beispiel „Jupiter Tesselation“(JT)-Formatein extrem kleiner Datensatz abgeleitet und in einer zentralen Datenbankgespeichert. Die Größe jedes Datensatzes beträgt hierbei nur rund einKByte.Über einen Web-Browser (Internet Explorer) kann nun jeder Mitarbeiter

im Unternehmen, der Zugriff auf die Datenbank erhält, auf Basis eines Re-ferenzteils alle bezüglich Form und/oder Größe ähnlichen Teile im gesam-ten Konzern finden. Das System ist in der Lage, das Referenzteil mit rund100 000 Teilen pro Sekunde zu vergleichen. Als Suchkriterium reichenMaterialnummer oder Benennung eines Referenzteils aus, entscheidend istjedoch der direkt auf Geometriemerkmale gestützte Suchalgorithmus.Dem Konstrukteur stehen darüber hinaus weitere Funktionen zur Verfü-

gung. Er kann in seiner CAD-Umgebung eine Skizze erstellen, diese ex-portieren und mit dem Unternehmensdatenbestand vergleichen. Er erhältsomit auf Basis einer Idee oder Skizze eine direkte Rückkopplung, ob ähn-liche Teile bereits im Unternehmen existieren und auf diese Weise zusätz-liche Teile und zusätzliche Werkzeugkosten, Teilestämme, Lagerhaltungs-kosten etc. vermieden werden können.Zusätzlich sind noch weitere Szenarien und Nutzungspotenziale denk-

bar. Zum Beispiel kann der Einkäufer sich zu einem zu beschaffenden Teilsämtliche ähnlichen Teile über die Suchmaschine heranholen und die Tei-lepreise ähnlicher Teile weltweit ermitteln, um sich auf Einkaufsverhand-lungen vorzubereiten.

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Abb. 6. Geometriemerkmalsbasierte Suchmaschine zum Gleichteile-Managementund Ähnlichteilsuche („Google“ für Geometrie; Werkbild BSH in Zusammenar-beit mit sd&m)

Der Einsatz des Systems rechnet sich bereits, wenn es gelingt, durchGleichteileverwendung ein komplexes Werkzeug pro Jahr zu vermeiden,weil man auf einfache Art, in kürzester Zeit und umfassend ähnliche Teilegefunden hat.Die Herausforderung für Unternehmen, die Bedarf an dieser Art Tech-

nologie haben, ist die Neuausrichtung im Bereich Klassifizierung und Ver-einfachung von Lösungen und Prozessen. „Geolus SHAPE“ ist sicher nichtin allen Fällen ein Ersatz für eine Klassifizierung, kann aber zur Vereinfa-chung derselbigen beitragen und auch als unterstützendes Werkzeug zurrichtigen Befüllung des Klassensystems genutzt werden. Es hat somit dasPotenzial zum Schweizer Offiziersmesser für Stammdatenpfleger, Stück-listenersteller, Konstrukteure etc.Auch für eine Bestandsaufnahme des Teilestamms ist der gewählte An-

satz hilfreich. Das einmalige Scannen und die Auswertung des gesamtenTeile- und Baugruppenspektrums ermöglicht es durch die Bildung vonÄhnlichkeitsgruppen, die Chancen für die Einführung eines Gleichteile-Management-Prozesses zu überprüfen.

Quelle: Handskizze des Entwicklers

Suchergebnis

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Innovation in Produkten und Prozessen durch fortschrittlichen Einsatz... 95

Abb. 7. Automatisierte Auswertemöglichkeiten der Ähnlichteilsuche mit Geolus(Quelle: Fa. sd&m)

Die Ideen für weitere Innovationen auf Basis dieser Technologien sindvielfältig, wir stehen erst am Anfang der Möglichkeiten. Zum Beispielkönnte ein PDM-System alle pro Tag neu erstellten oder geänderten CAD-Teile und -Baugruppen mit der bereits klassifizierten Teiledatenbank überNacht abgleichen und den betroffenen Konstrukteuren eine elektronischeNachricht zukommen lassen, die auf ähnliche Teile hinweist und dabeiTeilenummer etc. zur Verfügung stellt, um den Konstrukteur im Entwick-lungsprozess zu unterstützen. Damit ist diese Technologie ein Wissens-speicher, die – bei geringster Komplexität – als implizites Wissens-Management-System genutzt werden kann.Für die erfolgreiche Nutzung der Innovationspotenziale ist die vollstän-

dige Integration des Such- und Ähnlichteilfindewerkzeugs Geolus in diePDM- und ERP-Welt entscheidend. Die einfache Nutzung der Standard-funktionen einer Suchmaschine für Formen in der gewohnten Engineering-Umgebung des Unternehmens sowie die vollständige Darstellung und Er-fassung aller Teile in einem weltweit integrierten Produktdaten-Management-System ist erfolgsentscheidend für die Akzeptanz bei denEntwicklern.

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Framework von IT-Produkten zur Unterstützungwettbewerbsfähiger Unternehmensprozesse

Vergleichbar mit den Plattformstrategien in Produkten und Prozessen istbei der BSH auch das Lösungsspektrum der IT als Dienstleister im Unter-nehmen positioniert. Ausgehend von der Business-Architektur der BSHwurde mit allen Fachbereichen eine unternehmensweite Prozesslandkarteerarbeitet. Mit der Prozesslandkarte ist die Verantwortung für die Prozess-gestaltung in Form der unternehmensweiten Fach-Governance eindeutiggeregelt. Sofern Prozesse interdisziplinär durch verschiedene Unterneh-mensfunktionen gestaltet und ausgeübt werden, wird dies über ein so ge-nanntes Business-Process-Team als verantwortliches Gremium organisiert.Derzeit existieren sechs Business-Process-Teams für die Kernprozesse zurUnternehmenssteuerung, Produktentwicklung, Produktion, Vertrieb,Supply Chain sowie für die Kundendienstprozesse.Analog zu den Plattformstrategien in Produkten und Prozessen ist ein

Framework von IT-Produkten definiert und implementiert, um die Prozes-se durchgängig zu unterstützen (siehe Abbildung 8).Hierbei wird insbesondere die Interoperabilität der einzelnen IT-Pro-

dukte zu einem gemeinsamen Lösungsportfolio innerhalb einer gemeinsa-men Rahmenarchitektur verfolgt. Ziel ist es, für die zum Teil unterschied-lichen Anforderungen einzelner Tochtergesellschaften der BSH ein geeig-netes skalierbares Lösungsportfolio auf der Basis von standardisierten undunternehmensweit wieder verwendbaren IT-Standardkomponenten bereit-zustellen.

Abb. 8. Plattformstrategie für IT-Produkte zur unternehmensweiten Prozessunter-stützung

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Innovation in Produkten und Prozessen durch fortschrittlichen Einsatz... 97

Die einzelnen IT-Produkte sind in einem IT-Produktkatalog verankert,der mit den einzelnen Produktelementen als wesentliches Strukturkriteriumeine kundenorientierte Leistungserbringung und verursachungsgerechteLeistungsverrechnung in Form von Business-Services ermöglicht. Auf Ba-sis dieses Leistungskatalogs wird zugleich das Service Level Managementdefiniert und durchgeführt. IT-Produkte sind damit in sich geschlosseneDienstleistungseinheiten aus dem IT-Lösungsportfolio, die der Kunde derIT im Rahmen der Wirtschaftsplanung für das Folgejahr gezielt abrufenkann. Sämtliche dem Produkt zurechenbare Kosten, die zum Beispiel inForm von Software-Lizenzen, Hardware-Investitionen, dem IT-Betriebund der -Wartung anfallen, werden dem Grunde nach auf die jeweiligenIT-Produkte zugeordnet und spiegeln sich im Produktpreis wider. So wer-den auf Basis von IT-Produkten für den IT-Betrieb oder auf Basis von Pro-jekten über 90 Prozent der IT-Kosten verursachungsgerecht verrechnet.Der Vorteil des gewählten Ansatzes in puncto Prozessinnovation liegt in

der sofortigen Verfügbarkeit von Prozessverbesserungen für die gesamtePlattform. Gehen zum Beispiel Prozessverbesserungen, die in einem Pro-duktionswerk erarbeitet wurden, in die Plattform der diesen zugrunde lie-genden IT-Produkte ein, können sie nahezu gleichzeitig in allen anderenProduktionswerken eingeführt werden, die das gleiche, BSH-spezifischeIT-Produkt einsetzen.

Zusammenfassung und Ausblick

In nahezu allen Produktbereichen werden Innovation und Wettbewerbdurch den Einsatz fortschrittlicher Informations- und Kommunikations-technologien getragen. Dies wirkt sich zum einen direkt in verbessertenProdukten mit erweiterten und zum Teil gänzlich neuen Funktionen undgesteigerter Qualität aus. Zum anderen trägt Innovation auch innerhalb derProzesse eines Unternehmens erheblich zur Wettbewerbsfähigkeit bei.Mit dem vorliegenden Beitrag wird anhand von ausgewählten Beispie-

len der Wertbeitrag zeitgemäßer IuK-Technologien in den Produkten undProzessen eines Herstellers technischer Gebrauchsgüter beschrieben. Mo-derne Hausgeräte vernetzen sich zunehmend mit weiteren Steuerungs-,Kommunikations- und Bedienelementen im Bereich Wohnen und Lebenzu Hause und unterwegs zu ganzheitlichen intelligenten Systemen. Allge-meine Kommunikations- und Technologiestandards der IuK-Technologienstellen hierfür die Grundlagen bereit.Des Weiteren erfassen die erweiterten Möglichkeiten moderner Infor-

mationstechnik nahezu alle Unternehmensprozesse und verändern durch

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gänzlich neue Funktionen die Arbeitswelt. Als Beispiel werden die integ-rierte Produkt- und Prozessentwicklung und die Möglichkeiten der auf ei-nem neuen IT-Verfahren beruhenden geometriemerkmalsbasierten Gleich-teilsuche im integrierten Entwicklungsprozess erläutert. Schließlich wird inAnalogie zu Plattformstrategien von Produkten eine Prozessstrategie zurunternehmensweiten Unterstützung von erprobten Best-Practice-Ansätzenauf Basis unternehmensweit harmonisierter IT-Produkte dargestellt, die ei-ne schnelle Durchsetzung von Prozessinnovationen im Unternehmen er-möglicht.

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IT als Parameter bei der Entwicklung neuerProjekte und Geschäftsmodelle bei RTLinteractive

Dr. Constantin Lange, Geschäftsführer RTL interactive GmbH

Einleitung

Seit der Erfindung und Einführung des Fernsehens müssen die Betreibervon Free-TV-Sendern mit dem Handicap leben, dass sie ihre Zuschauernicht persönlich kennen und nicht direkt ansprechen können. Das Ge-schäftsmodell des Free-TV-Senders ist daher heute im Wesentlichen Busi-ness-to-Business-orientiert und basiert auf dem Verkauf von „Eyeballs“,das heißt Zuschauern an Werbekunden. Eine direkte Kundenbeziehungzum Zuschauer besteht nicht.Es ist die Aufgabe von RTL interactive (RTLi) als hundertprozentige

Tochtergesellschaft der RTL Television, neue Erlösmodelle zu entwickeln,die von dem Geschäft der klassischen Werbefinanzierung losgelöst sindbeziehungsweise die die Vermarktungskette der angebotenen Inhalte desFernsehsenders verlängern. Ziel ist es, die Abhängigkeit von RTL vonWerbeerlösen zu reduzieren.Die Einführung von Anwendungen, die auf neuen interaktiven Techno-

logien beruhen, ist ein wesentlicher Aspekt der Arbeit von RTL interacti-ve. Diese Dienste ermöglichen es, auch direkt mit den Zuschauern in Ver-bindung zu treten und direkte Geschäftsmodelle mit ihnen zu entwickeln.Der folgende Beitrag soll zeigen, wie neue Technologien in der Informati-onsverarbeitung und Telekommunikation mit Relevanz für den Medien-sektor unmittelbar nach oder sogar noch vor ihrer Durchsetzung als Mas-senanwendungen aufgegriffen und für die Realisierung von neuartigenAngeboten und Etablierung von neuen Geschäftsmodellen kombiniertwerden.In diesem Beitrag werden dafür zunächst die wesentlichen Vorausset-

zungen aus Informationsverarbeitung und Telekommunikation dargestellt

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100 Dr. Constantin Lange

– die Entwicklung im Fernsehen, im Internet und im Mobilfunk. Im An-schluss daran wird anhand konkreter Fallbeispiele aus dem Portfolio vonRTL interactive gezeigt, wie diese neuen Technologien bei der Entwick-lung von neuen Geschäftsmodellen eingesetzt werden. Abschließend wirddas Spielfeld der Zukunft und die daraus resultierenden Herausforderun-gen für den Einsatz von Informationstechnologie „im Produkt“ von Me-dienanbietern skizziert.

Technologie

Der allumfassende Trend der Digitalisierung hat den Mediensektor in denletzten Jahren grundsätzlich verändert. Nicht nur die Produktion klassi-scher Medieninhalte in Print, Radio und Fernsehen wurde dadurch kosten-günstiger, schneller und einfacher, sondern auch die Form der Medienin-halte hat sich gewandelt. Für den Kunden am sichtbarsten sind drei großeTrends:

• Fernsehen wird digital ausgestrahlt und vervielfacht das Angebot anFernsehkanälen und -inhalten. Beim interaktiven Fernsehen wird derZuschauer unmittelbar ins Geschehen einbezogen.

• Das Internet in seiner Form als World Wide Web etabliert sich als neuesMassenmedium – mit dem ganz neue Dienste möglich sind (E-Mail,Online-Auktionen), aber auch die Möglichkeiten traditioneller Medien-angebote erweitert werden.

• Mobiltelefonie wird zu einem Massenkommunikationsmittel und wan-delt sich zunehmend zu einer Plattform, auf der Kommunikation undMediennutzung verschmelzen.

Die TV-Evolution

1935 wurde der erste regelmäßige Programmdienst in Deutschland aufge-nommen. Bis weit in die Sechzigerjahre blieb das Fernsehen ein exklusivesMedium für wenige wohlhabende Haushalte oder wurde öffentlich inGaststätten bestaunt. Erst in den Achtzigerjahren war das Fernsehen in fastallen deutschen Haushalten zu finden. Seit den Anfängen hat sich die tech-nologische Entwicklung des Fernsehens sowie das „Pflichtenheft TV“ständig weiter entwickelt. Diese Entwicklung kann in drei Dimensionenzusammengefasst werden:

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IT als Parameter bei der Entwicklung neuer Projekte... 101

• Verbesserung der Qualität (Bild & Ton)• Erschließung neuer Distributionsplattformen• Digitalisierung und Interaktivität/Datendienste

Qualität

Seit 1967 wird in Deutschland mittels PAL (in 625 Zeilen und 50 Halb-bildern pro Sekunde) auch bunt und in Farbe gesendet – den Durchbruchmarkierte die Fußball-WM in Deutschland 1974. Dieses analoge Fernseh-signal wurde ursprünglich „oberflächennah“ (terrestrisch) per Funk über-tragen und bietet pro Sendekanal nur ein Programm.In Japan bemühte man sich direkt nach Einführung des Farbfernsehens

um eine Verbesserung der Bildqualität und hat „Hi-Vision“ entwickelt,welches 1125 Bildzeilen bei 60 Halbbildern pro Sekunde übertragen kann.Die ersten weltumspannenden Hi-Vision-Übertragungen wurden 1988 perSatellit anlässlich der Olympischen Spiele in Seoul übertragen und botenspektakuläre Sportaufnahmen. Seit 1. Dezember 2003 ist Hi-Vision in ja-panischen Großstädten entsprechend der mittlerweile entwickelten „HighDefinition Television“(HDTV)-Norm im Regelbetrieb zu empfangen, indiesen Städten nutzen mittlerweile mehr als zehn Prozent der Haushaltedie sieben HDTV-Programme. HDTV bietet etwa fünfmal mehr Bildpunk-te als das in Deutschland benutzte PAL-Fernsehformat. In den USA istHDTV ebenfalls seit einigen Jahren in Betrieb. In Europa sendet seit 2004das belgische Alfacam ein HDTV-Programm namens HD1. In Deutsch-land will der Pay-TV-Sender Premiere drei HDTV-Kanäle anbieten – undsetzt wieder auf Fußball als „Trigger-Event“: die WM 2006 im eigenenLand. Die öffentlich-rechtlichen Sender haben einen längerfristigen Zeit-plan für die HDTV-Einführung.

Distributionsplattformen

Der Platz für die Übertragung von analogem Fernsehen per Funk ist knappund erlaubt die Übertragung von nur wenigen parallelen Programmen. Da-her wurde 1984 die Übertragung per Kabel pilotiert und in den folgendenJahren deutschlandweit verfügbar gemacht. Wenige Jahre später wurde dieÜbertragung von TV-Programmen über Satelliten auch in Deutschlandverfügbar. Der erste Satellit der bekannten „Astra“-Familie von Satelliten(Astra 1 A) wurde am 1. Februar 1989 eingeschaltet und ab Dezember1989 von den Privatsendern RTL, Sat.1 und ProSieben genutzt. Dem Hun-ger nach weiteren Kanälen wurde durch Erweiterung der Übertragungska-pazitäten begegnet – das Kabelnetz wurde ausgebaut und weitere TV-Satelliten wurden in ihre Umlaufbahn gesetzt. In Folge wurde die analoge

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terrestrische Übertragung in Deutschland in 2002 auf magere sechs Pro-zent marginalisiert.Die Distributionslandschaft im TV wird jetzt durch die Konvergenz der

Fernseh- mit Kommunikationssystemen ergänzt und erweitert: Mit (Breit-band-)Internet und Mobilfunk – beide „Revolutionen“ werden später nocheinmal separat betrachtet – werden sich ergänzende, teilweise sogar substi-tuierende Plattformen für die Verteilung von Fernsehbildern etablieren. Wasfür Deutschland heute noch futuristisch klingt, ist in weiter entwickelten Kom-munikationsmärkten wie beispielsweise Südkorea schon Realität: In einemLand, in dem 80 Prozent der Haushalte über breitbandige Internetanschlüsseverfügen und technische Neuerungen begierig aufgenommen werden, bezahlendie Nutzer in großer Zahl für den PC-Download von Fernsehserien. 2500 Mo-bilfunkkunden melden sich pro Tag für einen Dienst an, der für 13 Dollar imMonat den Empfang von „ganz normalen“ Live-Fernsehbildern auf dem Handy-Display ermöglicht.

Digitalisierung und Datendienste/Interaktivität

Die Digitalisierung der Fernsehübertragung begegnet in erster Linie denKapazitätsengpässen der analogen Übertragung und erlaubt die sprunghaf-te Erweiterung des Inhalteangebots. 1990 hat General Instruments mit„Digital Television“ ein komplett digitales Fernsehsystem vorgestellt, wel-ches neben einer verbreiterten Programmauswahl auch eine verbesserteTon- und Bildqualität mit sich bringt und Zusatzinformationen zum Pro-gramm mit übertragen kann.Im Mai 1991 initiierten deutsche Medienexperten das europäische „Di-

gital Video Broadcasting“(DVB)-Projekt, welches einen einheitlichen digi-talen Fernsehübertragungsstandard definiert hat. DVB ist unabhängig vomÜbertragungsweg und kennt Varianten zur terrestrischen Übertragung(DVB-T), Übertragung via Satellit (DVB-S) und Kabel (DVB-C) sowiezur Übertragung auf mobile Endgeräte wie Mobiltelefone (DVB-H).DVB kodiert mehrere (komprimierte) Programme auf einen Übertra-

gungskanal, dadurch können pro DVB-T Kanal beispielsweise vier Pro-gramme übertragen werden. Die DVB-H Variante für mobile Endgeräteerlaubt die Übertragung von 30 bis 40 Programmen auf einem Kanal undkann durch Datendienste ergänzt werden, die jeweils eine Datenübertra-gungsrate von 400 Kilobit pro Sekunde bieten.Die Datendienste in DVB gehen weit über den bekannten Videotext –

der auch Teil der DVB-Spezifikation (DVB-TXT) ist – hinaus. Videotextwird klassisch in der Austastlücke des analogen Fernsehens mit Nachrich-ten, Texten und bildhaften Darstellungen in Form von Seiten übertragen.

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Der Zuschauer wählt mittels der Eingabe von Seitennummern einzelneAngebote aus.Inhalt der Datendienste sind meist Zusatzinformationen zum Fernseh-

programm, sie werden vor allem bei Privatsendern für weitere innovativeAngebote genutzt. Beim digitalen Fernsehen sind insbesondere durch denDVB-Standard grafisch und inhaltlich anspruchsvollere Inhalte möglichals beim technisch veralteten Teletext.DVB-RC standardisiert direkte Rückkanäle zur Interaktion mit Zu-

schauern über verschiedene Kommunikationsmittel wie ISDN und GSMsowie Protokolle für die Datenübertragung (DVB-IPI: Internet Protocol;DVB-NPI: Network Protocol Independent).Damit wird Fernsehen interaktiv, das heißt, der Zuschauer kann selbst

unmittelbar auf das Geschehen auf dem Schirm reagieren beziehungsweisedarauf Einfluss nehmen. Bezüglich der technischen Reichweite von Digi-tal- und interaktivem Fernsehen bleibt Deutschland aber weiter Entwick-lungsland.Der Rückstand bei breitbandigen interaktiven Infrastrukturen – ob TV-

oder internetbasiert – ist beträchtlich. In England beispielsweise hat derBezahlanbieter Sky eine Plattform im Markt etabliert, die vollkommen un-abhängig von der PC-Welt E-Mail, Spiele, Wetten, Televoting- und Infor-mationsdienste sowie Dienstleistungen wie Bankgeschäfte über den Fern-sehbildschirm anbietet.Neue Dienste und Geschäftsmodelle in Deutschland zu etablieren erfor-

dert daher zunächst weiterhin, Plattformen außerhalb des Kern-TV-Umfelds einzubeziehen. Mit den Internet- und Telefonie-Mehrwert-diensten stehen zwei Alternativen für die direkte Interaktion mit dem Zu-schauer zur Verfügung, die auch in Deutschland schon vergleichsweiseweit entwickelt sind.

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Abb. 1. Digital-TV und Breitband-Internet in Europa

Haushaltsdurchdringung 2004 in

ausgewählten europäischen Ländern

4% 5%10%

15%

5%13% 13%

3%

8%

19%

28%16%

4%

21%

5%

3%1%

1%

%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

DSL Kabel Sonstige

Digital-TV

Quelle: Forrester, Infroma, eMarketer, Booz-Allen-Hamilton-Analyse

Deutsch-land

Frank-reich

Großbri-tannien

Italien Nieder-lande

Schwe-den

Schweiz Öster-reich

15%20%

12%18% 18% 16%

21%

10%

7%5%

10%

4%2%

2%

15%13%

%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

Breitband-Internet

Deutsch-land

Frank-reich

Großbri-tannien

Italien Nieder-lande

Schwe-den

Schweiz Öster-reich

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Die Internetrevolution

Die Geschichte des Webs ist die eines nie da gewesenen Booms. Kein an-deres Massenmedium hat in so kurzer Zeit ein so großes Publikum er-reicht. Erst in den Achtziger- und Neunzigerjahren wurden die technischenGrundlagen für die Kommunikationsinfrastruktur entwickelt und ab 1983in Form des Internets als globales Netz der Datennetze fest etabliert.Der steile Anstieg der Nutzerzahlen war zunächst getrieben von E-Mail

als „Killer-Applikation“, später auch von Anwendungen wie Home-Banking und der zunehmenden Nutzung der Datennetze als Informations-pool. Diese Anwendung fand mit der Schaffung des World Wide Webdurch Tim Berners-Lee in 1989 das entscheidende Moment, welches letzt-lich die Internettechnologie und das Web als Internetanwendung zur uni-versellen Plattform für Datenkommunikation gemacht hat. Das Internetwurde somit für Endkunden verfügbar und verzeichnete noch schnellerwachsende Nutzerzahlen. Ab 1995 kann man das Web als Massenmediumbezeichnen, geschätzte 16 Millionen Menschen „surften“ damals auf einerebenso stetig wachsenden Flut von Informationen. Zehn Jahre später nut-zen heute geschätzte eine Milliarde Menschen das Internet und habenZugriff auf mehr als 3000 Milliarden Webseiten.Der Einfluss des Web auf Medien ist drastisch und hat die Grundmuster

der Massenkommunikation grundlegend verändert – jedermann kann zumJournalisten werden und große Massen erreichen. Der Lewinsky-Skandal,der den damaligen US-Präsidenten betraf, fand 1998 mit dem Drudge Re-port, publiziert auf einer persönlichen Webseite, ihren Anfang. Bilder desasiatischen Tsunami im Dezember 2004 waren bereits auf persönlichenWebseiten verfügbar, während die klassischen Medien noch Flüge für ihreKorrespondenten buchten. Die erfolgreichsten Anbieter kombinierenTechnologie, unmittelbaren Kundenmehrwert und das passende Ge-schäftsmodell und bauen quasi über Nacht Weltunternehmen auf (Ebay,Yahoo, Google).Mit zunehmenden Bandbreiten, die Endnutzern heute flächendeckend

angeboten werden, können jetzt auch umfangreiche Musik- und Videoda-ten in kurzer Zeit übertragen werden. Die Auswirkungen der „digitalenDistribution“ auf die Musikindustrie sind real und messbar – ehe die etab-lierten Player mit einem tragfähigen Geschäftsmodell reagieren konnten,waren Tauschbörsen à la Napster, KaZaA und Varianten bereits zu Mas-senanwendungen geworden. Auch der traditionell territoriale Vertrieb vonFernsehserien und Filmen kommt durch die Tauschbörsen ins Wanken.Wenige Stunden nach Ausstrahlung in einem Land finden sich die entspre-chenden Dateien in elektronischer Form bereit zum Download auf derganzen Welt. Mit größerer Bandbreite wird das Internet damit zu einer

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106 Dr. Constantin Lange

vollwertigen Distributionsplattform für Videoinhalte – ob als Raubkopieeines Spielfilms, in legalen Video-on-Demand-Angeboten, oder über IPTV(das heißt Distribution von TV-Signalen über die IP-Plattform) alsVerbreitungsmedium für Live-Fernsehen. RTL ist mit seinen Internetan-geboten rund um die „RTL World“ schon seit langem Teil der Internet-Economy, erweitert damit das Diensteangebot um die eigene Marke undtritt in den direkten Dialog mit den Zuschauern. Gezielt wurden dabei dieMöglichkeiten dieses interaktiven Mediums genutzt, um das Kernangebot(Free-TV) zu flankieren und zu erweitern – beispielsweise mit

• TV-Programmübersicht/Elektronische Programmführer (EPG) mit Trai-ler-Vorschau für einzelne Sendungen

• Programmbegleitende Spiele und Quizze („Wer wird Millionär“)• Programmbegleitende, themenbezogene Nutzwertinformationen (Woh-nen/Dekorieren, Kochen, Erziehen etc.)

Mit IPTV ist das Internet nun endgültig im Kerngeschäft von RTL Te-levision angekommen.

Das Multimedia-Handy

Mit der Digitalisierung der Mobiltelefonie in den 90er-Jahren wurden klei-ne und kompakte Mobiltelefone ermöglicht und auch für die große Masseder Endnutzter erschwinglich. Wie auch beim Fernsehen kam man schnellauf die Idee, ungenutzte technische Kanäle für die Übertragung von Infor-mationen zu nutzen – das Telefonsignalprotokoll SS7, primär für den Ge-sprächsaufbau konzipiert, wird als Trägerprotokoll des Short Message Ser-vice (SMS) genutzt. SMS entwickelte sich rasch vom ursprünglichkostenlos angebotenen „Abfallprodukt“ zu einem Hauptertragsbringer derMobilkommunikationsanbieter. Diesem – ungeplanten – Hit stehen aller-dings auch zahlreiche Flops gegenüber. Ist schon das textbasierte mobileInternet auf Basis des WAP-Protokolls bei Kunden durchgefallen, sindauch die bisherigen Erfahrungen mit den mobilen Medienportalen (Voda-fone Live, T-Zone) bestenfalls durchwachsen. Logos und Klingeltöne sindhingegen der Renner – in Europa übersteigt mittlerweile der Umsatz mitKlingeltönen den Umsatz mit Musik-Singles. Die Weiterentwicklung desErfolgsprodukts SMS über den Enhanced Message Service (EMS) zumMultimedia Messaging Service (MMS), mit dem auch multimediale Nach-richten (Fotos, Töne, Videos) zu anderen mobilen Endgeräten übertragenwerden können, hatte bisher keinen vergleichbaren Erfolg wie SMS.

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IT als Parameter bei der Entwicklung neuer Projekte... 107

Abb. 2. Mobilfunknutzer und SMS-/Datennutzung in Deutschland

Einer der nächsten Schritte könnte die Entwicklung des Handys zumpersönlichen, mobilen „Media Device“ sein, das zum Aufnehmen, Her-unterladen und Abspielen von Musik, Fotos und Videos dient. Live-Fernsehen auf dem Handy ist in Deutschland im Versuchsstadium unddurch einen noch unentschiedenen Standardwettbewerb behindert: Welcheder verfügbaren Plattformen letztlich das Rennen macht – DVB-H, dieSchwestertechnik des DVB-T auf Basis des Internet-Protokolls (IP), DMB(mit mehreren Zehntausend Endgeräten zum Beispiel in Südkorea schonim operativen Betrieb) oder ein ganz anderer Standard – wird erst in dennächsten ein bis zwei Jahren entschieden.In diesem Umfeld bewegt sich die RTL Group als größter europäischer

Fernsehsender, der wie alle Free-TV-Anbieter bestrebt ist, das Geschäfts-modell auf eine breitere Basis zu stellen und Erlöse jenseits des traditionel-len Werbeverkaufs zu erschließen. RTL interactive als Diversifikations-einheit von RTL Television in Deutschland sieht den Schlüssel in derintelligenten Kombination von Kundenbedürfnissen und technischen Platt-formen, die mit IT nach dem letzten technischen Standard verknüpft sind.

Entwicklung Mobilfunknutzer Deutschland

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Nutzer insg.

Nutzer mob. Daten

Quelle: RegTP

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108 Dr. Constantin Lange

Kombination heranwachsender Technologien zu neuartigenGeschäftsmodellen bei RTL interactive

Kombination von Massentechnologie und Verhaltenstrend

Für die Erschließung neuer Erlösquellen beobachtet RTLi systematisch dieEntwicklung medienrelevanter Technologien sowie Veränderungen inVerhaltenstrends der deutschen Bevölkerung. Die Beobachtungsergebnissesind die Basis für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, bei denenneue Technologien wie zum Beispiel digitales Fernsehen, Internet und Te-lefonie/SMS verknüpft und auf inhaltliche Trends adaptiert werden. RTLiwird somit zu einem Impulsgeber für die Nutzung neuer Technologien.Die nachfolgend beschriebenen Praxisbeispiele zeigen, wie innovative

Geschäftsmodelle durch die Kombination der in der Massentechnologieverwendeten Medien und der sich verändernden Verhaltenstrends in derBevölkerung entstehen. Hierbei stehen exemplarisch zwei Themen imVordergrund – die bis dato fehlende Interaktivität im Fernsehen und derTrend zur virtuellen Partnerwahl.

• In Deutschland gibt es bis heute de facto keine Fernsehgeräte mit Rück-kanal. Diese Interaktivitätslücke lässt sich flächendeckend aktuell nurdurch die Verbindung des TV-Programms mit dem Rückkanal Telefonoder SMS überbrücken. Längerfristig ist davon auszugehen, dass dasFernsehen in Deutschland durch rückkanalfähige Set-Top-Boxen aufge-rüstet wird. Anbieter, die an diesen zukünftigen Interaktionsmög-lichkeiten partizipieren wollen, positionieren sich schon heute auch inÜbergangstechnologien, um sich eine gute Ausgangsbasis zu sichern.

• Eine zu beobachtende wesentliche Veränderung in Deutschland ist derTrend zum Single-Sein. So ist insbesondere die Zahl der Singles in denvergangenen Jahren stark angewachsen – von 11,9 Millionen (1990) auf14,6 Millionen (2004). Das Bevölkerungswachstum ist insgesamt rück-läufig, Ehescheidungen nehmen zu, die Geburtenrate sinkt, und Internet-Dating-Börsen verzeichnen mehrere Millionen Teilnehmer. Die nach-folgenden Praxisbeispiele zeigen, wie der Wandel des Kennenlern- undDating-Verhaltens zum Inhalt einer Geschäftsidee werden kann.

Praxisbeispiel: Teletext – SMS-Dienste

Teletext ist aufgrund seiner einfachen Erscheinungsform (Beschränkungauf wenige Farben und alphanumerische Zeichen) eine oft vernachlässigtemediale Plattform. Dabei erreichen die Teletext-Angebote der deutschenTV-Sender pro Monat teilweise bis zu rund 28 Millionen unterschiedliche

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Nutzer (zum Vergleich: das Printmagazin „Focus“ erreicht zum Beispiellediglich zwölf Millionen Nutzer pro Monat). Teletext ist primär eineWerbeplattform, die sich vom Fernsehen dadurch abhebt, dass Werbebot-schaften längerfristig sichtbar sind und im Gegensatz zu Printobjekten eineschnelle Anpassung und kurzfristige Reaktion auf Kundenverhalten er-möglichen. Der Teletext von RTL eignet sich daher auch ideal als Test-plattform für neue Angebotsformen, die bei Erfolg auf das echte Fernsehenübertragen werden können. Bei den SMS-Diensten handelt es sich um eineKonvergenztechnik, bei der die SMS-Nachrichten von Handy-Besitzernmit der Plattform Teletext verknüpft werden.

(i) SMS-Info- und Abodienst

Im Zuge der wachsenden Popularität von SMS in Deutschland hat RTLiim Jahr 2001 begonnen, SMS-Informationsdienste zu den Themen Wetter-und Sportinformationen, Fußball, Formel 1 und Skispringen im RTL-Teletext anzubieten.

Abb. 3. RTL-Teletext mit SMS-Infodienst

Der Zuschauer kann eine SMS unter Nennung eines vorgegebenenKeyword an eine bestimmte Kurzwahlnummer senden und den Serviceentweder einmalig abrufen („mobile originated“ für 49 Cent pro SMS)oder abonnieren („mobile terminated“ für 29 Cent pro SMS). RTL arbeitet

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bei den SMS-Diensten generell mit einem Dienstleister zusammen, der dietechnische Abwicklung übernimmt. Das heißt zunächst erfolgt dieKundenerkennung beim Mobilnetzbetreiber und anschließend dieAbspeicherung der Mobilnummer in einer Datenbank. Durch das vomUser eingegebene Keyword wird in dieser Datenbank die gewünschteInformation ermittelt. Der Datenbank-Server ist dabei so konfiguriert, dassan die gespeicherte Mobilnummer der Versand einer SMS an das Handydes Users ausgelöst wird. Die Inhalte der unterschiedlichen Infor-mationsdienste werden wiederum in den einzelnen RTL-Redaktionenvorbereitet und dem Dienstleister in einer entsprechend formatiertenTextform zur Verfügung gestellt. Auf diese Weise ist die Aktualisierungder Datenbank gewährleistet.

(ii) Download-Services: Faxabruf, SMS-to-Mail

Mit dem Faxabruf und der SMS-to-Mail verbindet das RTL-Angebot dieMedien Fax, E-Mail und Mobiltelefon. Durch Anruf einer vorgegebenenPremium-Rate-Faxabrufnummer (1,24 Euro pro Minute im Festnetz, StandJanuar 2006) oder durch den Versand einer SMS unter Angabe einer E-Mail-Adresse (0,99 Euro bis 1,99 Euro pro SMS, Stand Januar 2006) kannder interessierte Zuschauer die gewünschte Information abrufen.

Abb. 4. RTL-Teletext-Angebot mit Faxabruf

Hinter dem Faxabruf verbirgt sich bei dem Dienstleister ein Fax-Server,der anhand der Durchwahlnummer die angeforderte Information ermitteln

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kann und den Versand des Faxes durch die Rufnummernerkennung desHandys auslöst. Hinter der Variante SMS-to-Mail verbirgt sich wiederumein Datenbank-Server, der ähnlich konfiguriert ist wie bei den Info- undAbodiensten. Nur hier löst der Server den Versand der gewünschten In-formation an die mitgeteilte E-Mail-Adresse aus. Am erfolgreichsten sinddie verbraucherrelevanten und gesundheitsorientierten Themen, zusam-mengefasst unter der Rubrik „Ratgeber“.Dieser Service richtet sich vornehmlich an Haushalte, die über keinen

Internetzugang verfügen. So wird auf unkomplizierte Weise der Abruf vonInformationen ermöglicht.

(iii) RTL-Teletext-SMS-Chat

Bei dieser Anwendung fungiert der Teletext nicht mehr als Werbemedium,sondern als Kommunikationsplattform. Durch die Angabe der Zeichen„RTL“, der gewünschten Teletext-Seite (thematisch unterteilt, Nummern672 bis 685) und einem ausgedachten Chat-Namen bei der Übermittlungeiner SMS (29 Cent pro SMS, Stand 2006) an eine vorgegebene Rufnum-mer1 ist man eingeloggt (Beispiel: „RTL 672 Rita“). Jede folgende SMS andiese Rufnummer erscheint nun im Teletext hinter dem gewählten Chat-Namen auf der ausgewählten Teletext-Seite. Somit können Nutzer, die sichan räumlich getrennten Standorten befinden, in einem Forum anonym mit-einander kommunizieren.Technisch muss die versandte SMS bis zur sichtbaren Abbildung im Te-

letext zwei Prüfinstanzen durchlaufen. In Zusammenarbeit mit einemDienstleister erfolgt die Kundenerkennung anhand der Mobilnummer beimNetzbetreiber mit der gleichzeitigen Einarbeitung der SMS in eine vorbe-reitete Teletext-Seite. Diese wird an einen weiteren Dienstleister geleitet,der eine inhaltliche Überprüfung des Textes vornimmt (Censoring). Es er-folgt die Einspeisung der fertigen Seite in das Teletext-System des RTL-Sendezentrums, wo sie ein fixiertes Hintergrundbild überlagert. Das Hin-tergrundbild enthält das Senderlogo und die vorbereiteten Werbestreifen.Die systemfertige Seite wird mithilfe von Teletext-Generatoren an denSender RTL übermittelt.Neben klassischen SMS bietet RTLi den Nutzern inzwischen auch die

Möglichkeit, Fotos als MMS zu hinterlegen. Im Teletext-SMS-Chat ist derChat-Name der Nutzer, die eine MMS abgelegt haben, farblich besondersgekennzeichnet. Der Dienstleister speichert das hinterlegte Foto zusammenmit dem Chat-Namen und der Mobilnummer in einer Datenbank ab. Ande-re Nutzer können diese MMS dann unter Angabe des Chat-Namens, den

1 Siehe RTL-Teletxt S. 670 ff.

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sie im Teletext andersfarbig sehen (zum Beispiel: „Foto Rita“), bestellen.Der Datenbank-Server löst den entsprechenden Versand der MMS aus.Der Teletext-SMS-Chat verzeichnet seit seiner Einführung in 2001 ei-

nen großen Publikumserfolg. RTL war auf diesem Gebiet der Pionier alsAnbieter des ersten SMS-Chats, der mit allen vier Netzbetreibern (D1,Vodafone D2, E-Plus und O2/gestartet als VIAG Interkom) kooperierte.Den Chattern standen verschiedene Teletext-Seiten mit unterschiedlichenThemenschwerpunkten zur Verfügung. Die Erwartungen wurden mit mehrals 150 000 SMS/Tag bereits in den Anfängen rasch übertroffen, sodassinzwischen 14 Textseiten mit verschiedenen inhaltlichen Schwerpunktenzur Verfügung stehen. Thematisch konzentrieren sich die Teletext-Chatterheute fast ausschließlich auf Flirt und Dating. Diese Erkenntnis hat RTLibewogen, im nächsten Schritt das Flirtangebot auszuweiten und einen ei-genen digitalen TV-Sender zu gründen, der sich inhaltlich auf das ThemaDating konzentriert.

Abb. 5. RTL-Teletext mit SMS-Chat

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Praxisbeispiel – Traumpartner TV

Voraussetzungen für den Start des Kennenlernsenders Traumpartner TVwaren zum einen der gesamtdeutsche Trend hin zum Single-Sein und Da-ting, was durch die Erfolge und Themen des RTL-Teletextes belegt wurde,zum anderen aber auch die Existenz der Technologien SMS, Internet unddigitales Satellitenfernsehen, die es bis vor wenigen Jahren in Deutschlandso noch nicht gab. Die Kombination der einzelnen bei Traumpartner TVeingesetzten Technologien bildet die eigentliche technische Innovation desProjekts.

Abb. 6. Traumpartner.tv-Logo

Traumpartner TV ist der erste interaktive Flirtsender der RTL Group imdigitalen Fernsehen. Gesendet wird seit dem 1. Dezember 2004 unver-schlüsselt täglich von 6 bis 22 Uhr über den Satelliten „Astra digital“. Ver-antwortet und produziert wird Traumpartner TV von der in Köln ansässi-gen Traumpartner TV GmbH, einer Tochterfirma von RTL interactive.Unter dem Motto „Wir sehen uns im Fernsehen!“ stehen die Zuschauer

selbst im interaktiven Mittelpunkt des Programms. Der digitale Sparten-kanal2 richtet sich dabei primär an circa 14 Millionen Singles, die inDeutschland leben. Die Verbreitung von digitalen Satelliten-Receivern inDeutschland (Ende 2005 zirka 5,7 Millionen) ist die Voraussetzung für denBetrieb kostengünstiger Spartensender, da die Übertragungskosten signifi-kant niedriger ausfallen als bei herkömmlichen analogen Kanälen, die überSatellit verbreitet werden. Die Erhöhung der technischen Reichweite desSenders geht einher mit der Marktdurchdringung an digitalen TV-Haus-halten und ist eine der Hauptherausforderungen von Traumpartner TV.Basis für die Kommunikation über den Sender ist wie im Teletext-Chat

die SMS-Technologie. Mittels der Versendung von SMS (49 Cent pro

2 Für Singles, die keinen digitalen Satellitenreceiver besitzen, steht das digital aus-gestrahlte Fernsehprogramm als Live-Stream ebenfalls im Internet zur Verfü-gung. Der Zugang wird den Usern nach einer kostenlosen Online-Registrierungermöglicht.

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SMS, Stand 2006), auf Wunsch auch mit Foto via MMS (99 Cent proMMS, Stand 2006), können Zuschauer im Fernsehen live miteinander flir-ten, Meinungen zu aktuellen Themen des Programms austauschen und dasWichtigste – nette Menschen kennen lernen. SMS werden auch für speziel-le Premiumdienste wie zum Beispiel „E-Küsschen“ eingesetzt (99 Centpro Dienst, Stand 2006).Ergänzt wird das TV-Programm um eine Online-Plattform. Unter

www.traumpartner.tv können interessierte Singles unter anderem ihre per-sönlichen Daten und Fotos hinterlegen, die dann im Fernsehen gesendetwerden. Das Flirt- und Dating-Angebot wird letztlich auch durch denTraumpartner-Teletext abgerundet, in dem das Chatten eine zusätzlicheAlternative bietet.Auch rein optisch unterscheidet sich das TV-Programm ganz wesentlich

von anderen. Die Grafikoberfläche wurde hierfür eigens programmiert undist in Deutschland einmalig im Einsatz. Der Bildschirm ist in drei aktiveFenster aufgeteilt.

• Eines stellt die SMS-Texte der Zuschauer dar, die auf Wunsch auch mitFoto eingeblendet werden können, die dann im unteren Bildbereich zusehen sind.

• Das zweite Fenster zeigt die Moderatoren in Aktion, die live zugeschal-tet sind und – ähnlich wie in einer Talkshow – unmittelbar auf die TV-Chatter eingehen und auch direkt angesprochen werden können.

• Das dritte Fenster unten rechts wird multifunktional genutzt. Hier wer-den unter anderen zugesandte Single-Profile mit Foto, Postleitzahl undSternzeichen dargestellt. Gefällt einem Zuschauer ein dargestellter Sin-gle, so stellt Traumpartner TV den Kontakt (One-to-One-Response-SMS) her – natürlich ohne die Herausgabe von persönlichen Daten wieHandy-Nummer oder Adresse. Das bleibt den Singles dann selbst über-lassen. Dieses dritte Fenster dient darüber hinaus als Promotion-Fensteroder zeigt mit einer zweiten Kamera Ausschnitte aus der Live-Sendungin einem näheren Winkel.

Der technische Ablauf im Hintergrund erfolgt zunächst über einen Pro-xy-Server, der sämtliche Daten von außen annimmt (SMS, MMS, hinter-legte Profile aus dem Internet) und im zweiten Schritt an einen Applikati-ons-Server weiterleitet, der die Daten den einzelnen Fenstern zusteuert.Dieser Server greift gleichzeitig auf eine Playlist zu, in der eine Datenbankmit den Bildern für das Promotion-Fenster hinterlegt ist. Die letzte Instanzstellt ein Grafiksystem dar, was die einzelnen Fenster inklusive der SMS-Abbildung erzeugt.

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Abb. 7. Traumpartner.tv-Nutzerbildschirm

Der Sender Traumpartner TV wird kontinuierlich sowohl in inhaltlicherals auch in technischer Hinsicht weiterentwickelt. Die Begleitung derChats erfordert völlig neue Formen der Moderation, da es die Hauptaufga-be des Moderators ist, die Zuschauer zum Chatten untereinander zu ani-mieren und er daher von der klassischen egozentrischeren Perspektive derTV-Moderatoren abrücken muss. Technisch bieten sich vielfältige Mög-lichkeiten, neue Dienste zum Thema Dating anzubieten, die auf der be-stehenden Plattform aufsetzen. So wurde im September 2005 zum Beispielim Teletext von Traumpartner TV ein Kontaktanzeigenmarkt eingerichtet,über den Nutzer auch über längere Zeiträume konkret ihre Dating-Bedürfnisse darstellen können.

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Ausblick

Mit der zunehmenden Verschmelzung von Medien und Telekommunikati-on, wie sie auch in den Fallbeispielen illustriert wurde, wird die erfolgskri-tische Rolle von IT bei der Umsetzung neuer Geschäftsmodelle deutlich.Diese Entwicklung lässt sich auch an der Dynamik in der Wett-bewerbslandschaft beobachten. Das Spiel wird nicht mehr nur zwischenInhabern von Inhalten, Distributionsplattformen und Endgeräteherstellernausgetragen – zunehmend drängen auch Anbieter aus der IT-Welt (Hard-und Software) in die Marktarena. Die Entwicklung der Heimunterhal-tungsplattform „VIIV“ von Intel in Kooperation mit Microsoft oder ApplesiPod-Plattform, die jetzt auch in den TV- und Videomarkt übertragen wer-den sollen, illustrieren dies besonders deutlich.Weil Medien in Zukunft anders verkauft, geliefert und konsumiert wer-

den, müssen sich auch die Marktteilnehmer in den nächsten Jahren auf einneues Umfeld und neue Regeln einstellen. Das „Battle for the Home“ hatbegonnen: Derzeit haben zwischen 15 Prozent und 20 Prozent der Haus-halte in Deutschland einen Breitband-Internetzugang. Die Zehn-Millionen-Marke wird aber bereits zwischen 2006 und 2007 erreicht. Wenn im Jahr2010 dann ebenso viele Haushalte auch über ein privates Heimnetzwerkverfügen (wie rund 2,5 Millionen heute), wird ein Großteil der klassischenUnterhaltungsmedien (Bilder, Videos und Musik) Bestandteil der vernetz-ten digitalen Heimbibliothek sein. Das Wachstumspotenzial in dieser Weltdes Networked Home Entertainment entspringt zwei wesentlichen Quel-len: Zum einen hebt die digitale Mediendistribution die Kapazitätsgrenzender analogen Welt auf und führt damit effektiv zu einer Vergrößerung derMedienmärkte. Dies zeigen US-amerikanische Spezialisten der digitalenDistribution wie Amazon (CDs), Netflix (DVD) und Rhapsody (Musik),die bis zu 50 Prozent ihres Umsatzes mit Material erwirtschaften, das imtypischen „Real World“-Geschäft nicht erhältlich ist. Zum anderen ver-schwimmen im digital vernetzten Wohnzimmer die Grenzen zwischen dereigenen Medienbibliothek und dem Bezahlangebot „draußen“. Der iTunesMusic Store von Apple in Verbindung mit dem iPod hat Standards gesetztund gezeigt, wie auch industriefremde Anbieter die Marktstruktur verän-dern und schnell erfolgreiche Geschäftsmodelle etablieren können. DieVerbindung von Heimnetz und weltweitem Netz eröffnet dabei noch wei-tere Möglichkeiten, die aktuellen Nutzungssituationen gezielt anzuspre-chen. Radiosender, die über Internet verbreitet werden, können die Option„Laden Sie den gerade gehörten Song in Ihre Bibliothek“ anbieten. Das in-telligente Home Media Portal, über das gerade eine „Star Wars“-DVD ab-gespielt wird, kann gleich die anderen fünf Episoden anbieten oder sogar

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IT als Parameter bei der Entwicklung neuer Projekte... 117

das Spiel zum Film. Zukunftsmusik? Tivo, 1999 in den USA gestartet, hatein neues Mediengeschäftsmodell geschaffen: Es basiert auf der Verbin-dung eines Endgeräts (des Personal Video Recorders) mit dazugehörigenDiensten. Diese umfassen nicht mehr nur reine Such- und Aufnahmefunk-tionalität für Fernsehsendungen, sondern auch das Management und dasAbspielen anderer Medien wie Digitalfotos und Musik – die Verbindungvon Inhalten, IT und Netzwerken direkt an der Kundenschnittstelle. Damitsetzt Tivo aktuell mit mehr als drei Millionen Kunden über 170 MillionenEuro jährlich um und gewinnt über eine halbe Million neue Kunden proQuartal. Umfragen zufolge würden 40 Prozent der Tivo-Kunden eher aufihr Handy verzichten als auf ihren Tivo-Entertainment-Dienst!Zunächst allerdings werden in Deutschland zwei wesentliche technolo-

gische Trends die mittelfristige Agenda von RTL interactive bei der Ent-wicklung neuer Geschäftsmodelle prägen. Diese sind Triple Play – dasheißt die stärkere Integration der Kommunikations- und MediendiensteTV, Internet und Telefonie – und Mobile-TV. Triple Play bietet dabei dieunmittelbare Chance, Interaktivität ohne Medienbrüche zu realisieren.Mobile TV erschließt eine ganze Welt neuer Nutzungssituationen und er-möglicht einen direkten Dialog mit dem Endnutzer.Auch in Zukunft sieht RTLi die eigene Hauptaufgabe darin, als Early

Mover frühzeitig neue medienrelevante technologische sowie inhaltlicheTrends kommerziell zu erschließen. Die spezifischen Stärken sind dabeidie starken Marken von RTL, die Werbekraft der TV-Sender der Gruppeund die Erfahrungen mit bestehenden interaktiven Angeboten. Allerdingsist hierbei zu berücksichtigen, dass sich die Investitionen in überschauba-ren Größenordnungen bewegen und die Geschäftsmodelle auch mit inter-aktiven Übergangslösungen tragfähig sind.

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Mehr Bürgernähe durch Barrierefreiheit

Johannes Keusekotten, Leiter Informationstechnik Bundesverwaltungsamt

Einführung

Es ist noch gar nicht so lange her, dass die Präsentation von interaktivenInformationen durch IT-Systeme von den Fesseln unzulänglicher Hard-und Software-technischer Mittel befreit wurde. Schnelle PCs, leistungsfä-hige Grafikkarten und hochauflösende Monitore gepaart mit leistungsfähi-gen Präsentationstechnologien haben den Charakter der im Internet ver-fügbaren Informationen grundlegend verändert. Heutige Internetauftrittehaben nichts mehr mit den optisch reduzierten Hypertext-Seiten aus derAnfangszeit des World Wide Web gemeinsam. Grafikdesigner und Me-dienfachleute haben dieses Medium für sich erobert. Obwohl der Erfolgdes Internets ohne dieses optische Tuning undenkbar wäre, schließt dieseEntwicklung gleichzeitig viele Nutzer aus, denn sie baut für viele – überein schlecht oder nicht zu bedienendes Benutzer-Interface – unüberwindli-che Barrieren auf. Innovativ ist heute, wer diese Barriere unter geschickterNutzung der Technologie überwindet.Gerade für Menschen mit Behinderungen bietet das Internet neue Mög-

lichkeiten zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und zur Integration indie Arbeitswelt. Erst durch das Internet werden Kommunikation und Infor-mationsaustausch mit Selbsthilfegruppen und Behörden vereinfacht odererst ermöglicht. Barrierefreie elektronische Medien unterstützen behinderteMenschen bei der Teilhabe am sozialen, beruflichen und kulturellen Le-ben.Barrierefreie Informationstechnologie nützt nicht nur Minderheiten,

sondern breiten Bevölkerungsschichten. Neben dem Imagegewinn er-schließen sich Unternehmen und Organisationen neue, wachsende Ziel-gruppen, gerade im Hinblick auf die sich verändernde Altersstruktur unddie Finanzkraft, die ältere Menschen zu einer attraktiven Zielgruppe für dieWirtschaft macht. Für die öffentliche Hand gilt die besondere soziale Ver-

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120 Johannes Keusekotten

pflichtung zur Gleichberechtigung und Chancengleichheit. Das Bundes-verwaltungsamt mit seiner Vorreiterrolle und als zentraler Dienstleister fürdie Bundesverwaltung hat sich diesem Anspruch im Besonderen zu stellen.Im Folgenden werden die unterschiedlichen Aspekte barrierefreier In-

formationstechnologie im Einzelnen betrachtet: Die Anforderungen derverschiedenen Nutzergruppen an die Barrierefreiheit, deren Umsetzungdurch Mittel der Informationstechnik sowie die Implikationen von Barrie-refreiheit auf Planung, Budgetierung und Zertifizierung von IT-Vorhaben.Ein barrierefreier Web-Auftritt verlangt nicht nach einem Sonderweg, son-dern nach der innovativen und kompetenten integrativen Nutzung vorhan-dener Technologien und Erkenntnisse.Neben allgemeinen Beispielen wird speziell auf das durch das Bundes-

verwaltungsamt in Zusammenarbeit mit der sd&m AG und der Medien-konzepte GbR konzipierte und realisierte zentrale Dienstleistungsportaldes Bundes, www.bund.de, eingegangen.

Das Bundesverwaltungsamt

Das Bundesverwaltungsamt (BVA) in Köln ist der zentrale Dienstleisterdes Bundes. Das Aufgabenspektrum reicht von Fachaufgaben wie Auslän-derzentralregister, Visaverfahren, Aussiedleraufnahmeverfahren, Aus-landsschulwesen oder Sport- und Kulturförderung über zentralisierte Quer-schnittsaufgaben, wie zum Beispiel Zeit-Management und Reise-Management, bis zu Modernisierungshilfen für andere öffentliche Organi-sationen.Damit hat das BVA nicht nur quantitativ, sondern auch strukturell eine

beachtliche Vielfalt zu bewältigen. Heute nimmt das BVA mit seinen 2200Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mehr als 100 verschiedene Aufgabenfür alle Bundesministerien, das Bundespräsidialamt, das Bundeskanzler-amt sowie den Deutschen Bundestag wahr und ist gleichzeitig Partner ei-ner Vielzahl anderer Behörden auf der Bundes-, Landes und der kommu-nalen Ebene, von Nichtregierungsorganisationen, Wirtschaftsunternehmenund von Millionen Bürgerinnen und Bürger.Ein Schwerpunkt der Arbeit des BVA ist die Informationstechnik mit

Planung, Realisierung und dem Betrieb von (Fach-)Verfahren. Mit seinemManagement- und IT-Potenzial sieht sich das BVA als innovativer Pionierrund um das Thema E-Government. Durch den Aufbau der Bundesstellefür Informationstechnik (BIT) mit ressortübergreifenden Aufgaben, die mitWirkung vom 1. Januar 2006 in mehreren Stufen unter dem Dach desBVA errichtet wird, wird diese Rolle deutlich unterstrichen.

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Mehr Bürgernähe durch Barrierefreiheit 121

Im Juli 2003 wurde dem BVA die Projektleitung für das Dienstleis-tungsportal www.bund.de übertragen. In einem ersten Schritt wurde mitder Umstellung auf das Content-Management-System Government SiteBuilder (GSB) die technische Basis modernisiert. Der GSB ist eine eben-falls vom BVA entwickelte Basiskomponente der E-Government-InitiativeBundOnline.In einem zweiten Schritt wurde die Benutzeroberfläche klarer und offe-

ner gestaltet. Die zentralen Funktionen des Portals sind nun für die Nutzerleicht zu identifizieren, die Ergonomie ist getestet und optimiert. Die In-formationsstruktur ist an die Bedürfnisse der unterschiedlichen Benutzer-gruppen angepasst. „Bürgerinnen & Bürger“, „Wirtschaft & Wissenschaft“sowie „Verwaltung & Institutionen“ haben jetzt einen individuellen, aufdie konkreten Bedürfnisse abgestimmten Einstieg. Eine barrierefreie Ges-taltung nach der Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung (BITV)war dabei für das BVA eine Selbstverständlichkeit und Herausforderungzugleich.

Abb. 1. Die Startseite von www.bund.de „Bürgerinnen & Bürger“

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122 Johannes Keusekotten

Abb. 2. Der Anteil der Internetnutzung differiert stark je nach Behinderung1

Behinderungen und Barrierefreiheit

Das statistische Bundesamt weist für das Jahr 2003 eine Zahl von 6,7 Mil-lionen schwerbehinderter Menschen aus. Dies entspricht einem Anteil vonacht Prozent der Bevölkerung. In dieser Statistik werden nur die Personenerfasst, bei denen ein Grad der Behinderung von 50 Prozent oder mehrvorliegt. Nicht erfasst sind Menschen, bei denen eine Behinderung, aberkeine Schwerbehinderung vorliegt sowie Menschen, bei denen eine Ein-schränkung, aber keine Behinderung vorliegt.Nach einer im Jahr 2001 EU-weit durchgeführten Studie sind rund 15

Prozent der europäischen Bevölkerung behindert. Infolge der demografi-schen Entwicklung und der Verbesserung der Gesundheitsversorgungnimmt die Anzahl von Menschen mit Einschränkungen und Behinderun-gen in der EU derzeit zu und wird auch weiterhin zunehmen.Eine Vielzahl von unterschiedlichen Behinderungen bedingt umfangrei-

che Voraussetzungen und Ansprüche, die unter dem Begriff Barrierefrei-heit zusammengefasst werden. Während mehr als 50 Prozent der Blinden

1 Quelle: Kampagne „Internet für alle“ des Bundesministeriums für Wirtschaft undTechnologie, 12/2001

Geistige Behinderung

Lernbehinderung

Sprachbehinderung

Seelische Erkrankung

Anfallsleiden/Epilepsie

Schäd. d. Muskulatur

Schäd. d. Skelettsyst.

Allergie und Asthma

Schädigung d. ZNS

Gehörschädigung

Chron. Krankheiten

Sehschädigung

Kenne mich gut aus

Schon ausprobiert

Noch nie im Internet

0% 20% 40% 60% 80% 100%

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Mehr Bürgernähe durch Barrierefreiheit 123

und Sehbehinderten sich selbst als Internetkenner einschätzen, waren fast70 Prozent der Menschen mit kognitiven Behinderungen noch nie im In-ternet. Das ergab eine Umfrage der Aktion „Internet ohne Barrieren“, diedas Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) im Rah-men der Kampagne „Internet für alle“ durchgeführt hat.Die für die Betrachtung der Barrierefreiheit relevanten Behinderungen

und Einschränkungen lassen sich einteilen in

• Sinnesbehinderungen• Sehschädigung (Blindheit und Sehbehinderung)• Hörschädigung (Gehörlosigkeit und Schwerhörigkeit)• Körperliche Behinderung (Einschränkung in der Motorik, fehlendeGliedmaßen)

• Kognitive Behinderung• Sonstige Behinderungen

Damit das Internet trotzdem genutzt werden kann, setzen Menschen mitBehinderungen so genannte adaptive oder assistive Technologien ein. Diessind Werkzeuge, die existierende Hardware oder Software modifizieren,sodass sie von behinderten Menschen, insbesondere Blinden und Sehbe-hinderten, genutzt werden können.

Barrieren für Menschen mit Behinderungen

Da Behinderungen, insbesondere Mehrfachbehinderungen, Menschen sehrunterschiedlich einschränken, müssen die Barrieren, die im Umgang mitInformationstechnik entstehen, sehr differenziert betrachtet werden.

Einschränkungen BarrierenBlindheit • Informationen liegen nur in visueller, aber nicht in

textlicher Form vor• HTML-Code ist nicht sauber programmiert undfür Screenreader nicht lesbar

Sehbehinderung/Farbenblindheit

• Farbkontraste fehlen• Schriften sind zu klein und können nicht vergrö-ßert werden

• Informationen werden nur mit Farbe dargestelltEinschränkung der Motorikvon Armen/Händen

• Buttons/Menüs sind nur mit der Maus bedienbar• Navigation über die Tastatur ist nicht oder nureingeschränkt möglich

• kleine SchaltflächenGehörlosigkeit/Höreinschränkungen

• Audio- und Videodateien werden nicht verstanden• Texte werden schwer oder fast gar nicht erfasst

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124 Johannes Keusekotten

Einschränkungen BarrierenLernbehinderung • Texte sind zu lang, unverständlich und komplex

• Informationen sind nicht strukturiert, die Naviga-tion ist zu kompliziert

Kognitive Behinderungen • komplexe, dichte Darstellung von Informationen

Tabelle 1. Einschränkungen und Barrieren

Blinde und sehbehinderte Menschen

In der öffentlichen Wahrnehmung geht es beim Thema Barrierefreiheit imInternet fast ausschließlich um blinde Internetnutzer. Dies spiegeln sowohldie Web Content Accessibility Guidelines 1.0 (WCAG) aus den USA alsauch die – von den WCAG abgeleitete – BITV wider.Nach Angaben des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbands

e. V. gibt es in Deutschland 155 000 blinde und rund 500 000 hochgradigsehbehinderte Menschen (Personen mit einem Sehvermögen von unter 10Prozent). Für diese Gruppe von fast 650 000 Nutzern bestehen die größtentechnischen Barrieren. Blinde und sehbehinderte Menschen können sichden Bildschirminhalt nicht auf einen Blick erschließen, sondern sind aufspezielle Hilfsmittel angewiesen.Wichtig für blinde Internetnutzer ist primär die Berücksichtigung von

assistiven Techniken wie Vorleseprogrammen (so genannte Screenreader)oder Braille-Ausgabegeräte und -tastaturen. Daraus leitet sich der An-spruch ab, dass jede visuelle Information (Grafiken, Diagramme oder Fo-tos) auch als Text zur Verfügung stehen muss.Mit Screenreadern2 werden die Inhalte einer Webseite mittels einer

TextToSpeech(TTS)-Engine in gesprochene Sprache umgewandelt. Derblinde Nutzer hört nun die Texte der Webseite und erhält über eine Verän-derung der Klangfarbe zusätzliche Informationen wie die Verfügbarkeitvon Sprungmarken (Links), die Struktur von Listen oder die qualitativeAufwertung von Überschriften. Screenreader sind so hoch entwickelt, dasssie teilweise unterschiedliche Stimmen und begrenzte Sound-Effekte nut-zen, um Webseiten zu interpretieren.Für stark sehbehinderte Menschen, die noch über ein Restsehvermögen

verfügen, ist ein Bildschirmvergrößerungsprogramm das am weitestenverbreitete Computerhilfsmittel. Großbildsysteme ermöglichen eine bis zu48fache Vergrößerung des Computerbilds.

2 Der erste Screenreader ist 1989 unter dem Namen „OutSpoken“ für Macintosherschienen.

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Abb. 3. PC-Arbeitsplatz mit Braille-Ausgabezeile3

Erweiterte Darstellung von visuellen Elementen

Grafiken, Diagramme, Farben und andere visuelle Elemente sind sehbe-hinderten Menschen nicht unmittelbar zugänglich. Sie können diese Inhal-te nicht sehen und können daher nicht von den so transportierten Informa-tionen profitieren. Screenreader können keine Grafiken interpretieren, siekönnen ausschließlich zusätzlich angebotene Texte (über spezielle Attribu-te im HTML-Code der Seite) vorlesen – sofern diese vorhanden sind undvom erstellenden Redakteur mit sinnvollen Inhalten gefüllt wurden.Die fälschliche Annahme, dass sich Barrierefreiheit ausschließlich auf

blinde Nutzer bezieht und mit einem Verzicht auf alle visuellen Informati-onsträger jegliche Barriere aus dem Weg geräumt würde, führt zu den aus-gesprochen unbefriedigenden „Nur Text“ Versionen einer Website. DasProblem dieser „Nur Text“-Varianten ist, dass sie andere Arten von Be-hinderungen ignorieren und nur neue Barrieren für andere Gruppen auf-bauen. Eine alternative Textversion ist eine Sonderlösung, die nicht derDefinition von Gleichstellung im Sinne des Gleichstellungsgesetzes ent-spricht.

3 Quelle: AUDIODATA GmbH

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Farbfehlsichtigkeiten

Eine weit verbreitete Form der visuellen Behinderung ist die Farbfehlsich-tigkeit (Farbblindheit). Rund zehn Prozent aller Männer haben eine Rot-Grün-Sehschwäche. Informationen, die allein über Farben vermittelt wer-den, stehen blinden und farbfehlsichtigen Nutzern nicht oder nur in ver-mindertem Umfang zur Verfügung. Beim Design der Website muss daherdafür gesorgt werden, dass Farbkombinationen, die zu Problemen führenkönnen, ausgeschlossen werden. Fehlende Farb- sowie Hell-Dunkel-Kontraste können die Lesbarkeit von Text – auch für normalsichtige Nut-zer – massiv beeinträchtigen. Der gewichtigste Kontrast ist der zwischenText und Hintergrund. Der Hintergrund sollte einfarbig und nicht gemus-tert sein. Dunkler Text auf einem hellen Hintergrund ist als ideal anzuse-hen, pastellartige Farben sind problematischer als Farben, die sich klarvoneinander absetzen. Es muss berücksichtigt werden, dass die Wiederga-be der Hintergrundfarbe aus technischen Gründen beim Nutzer völlig an-ders sein kann, als auf dem Bildschirm des Entwicklers. Der Farbkontrastdarf nicht zu gering sein, da hierdurch wesentliche Informationen verlorengehen können. Ist der Farbkontrast zu hoch – ein typisches Beispiel ist roteSchrift auf blauem Hintergrund –, kommt es zu einem Überstrahlen, wie-der leidet die Lesbarkeit.Bei der Gestaltung von Internetseiten muss berücksichtigt werden, dass

einige Einstellungen durch den Benutzer verändert werden können: Schriftin Größe und Laufweite, Vorder- und Hintergrundfarbe, Anzeige mit oderohne Grafiken, Seitenbreite.

Beispiel: visuelle Merkmale bei www.bund.de

Die folgenden Abbildungen zeigen Teile des barrierefrei realisierten Por-tals www.bund.de. Das Farbschema berücksichtigt die Bedürfnisse vonfarbfehlsichtigen Menschen. Alle grafischen Elemente sind auf die Nut-zung durch sehbehinderte Menschen abgestimmt. Die Darstellung der ge-samten Seiten, inklusive der Texte und Grafiken, kann über die Browser-Funktionalität vergrößert und verkleinert werden. Durch die optimierteStrukturierung des Quelltexts der Seiten ist ein Screenreader in der Lage,die Navigationsmöglichkeiten in einer sinnvollen Reihenfolge wiederzu-geben. Dies hilft auch Menschen, die keine Maus bedienen können und aufdie ausschließliche Benutzung der Navigationselemente über die Tastaturangewiesen sind.

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Abb. 4. Barrierefreies Farbschema bei www.bund.de

Die unterschiedliche Farbgebung für die Bereiche „Bürgerinnen & Bür-ger“, „Wirtschaft & Wissenschaft“ sowie „Verwaltung & Institutionen“ er-leichtert das Zurechtfinden und ermöglicht eine intuitive Bedienung. Dieskommt allen Nutzergruppen zugute. Layout, Farbigkeit und andere visuel-le Gestaltungselemente ermöglichen die Orientierung, eine gute Usabilityund eine einfache Bedienung für alle Nutzer, unabhängig von Behinderun-gen oder Einschränkungen. Damit Screenreader diese zusätzlichen Infor-mationen interpretieren und hörbar machen können, ist ein korrekter undsemantisch richtiger Gebrauch von Strukturierungselementen eine wichti-ge Voraussetzung.

Kognitiv eingeschränkte Menschen

Kognitiv behinderte Menschen haben die größten Probleme im Umgangmit dem Internet. Für sie stellen lange Sätze, verschachtelte Informationensowie eine komplizierte Wortwahl eine unüberwindbare Barriere dar. Zuden von einer Behinderung betroffenen kognitiven Fähigkeiten zählen

• Lernfähigkeit• Aufmerksamkeit und Wahrnehmungsfähigkeit

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• Erkenntnis- und Urteilsfähigkeit• Abstraktionsvermögen

Personen mit eingeschränktem Konzentrationsvermögen oder kogniti-ven Störungen bedürfen einer logisch aufgebauten und klar strukturiertenNavigation – diese kommt auch allen anderen Nutzern einer Webseite zu-gute.Benutzer mit einer Schreib-Lese-Schwäche haben häufig eine geringe

Lesegeschwindigkeit und benötigen daher überdurchschnittlich lange Zeit,um große Textmengen zu lesen.Laut Nielsen4 haben Studien ergeben, dass man am Computerbildschirm

etwa 25 Prozent langsamer liest als auf Papier. Deshalb sollte der Textnicht mehr als 50 Prozent des Textes einer gedruckten Publikation enthal-ten. Die Texte sollten speziell für das Internet aufbereitet werden und kei-ne Kopie der gedruckten Vorlage sein. Das Lesen von Internetinhalten un-terscheidet sich wesentlich vom Erfassen gedruckter Texte. „Mehr als 70Prozent der Besucher/innen einer Website lesen die angebotenen Informa-tionen nicht, sondern scannen sie“ (Jakob Nielsen).

Abb. 5. „Rivers of white space“-Effekte bei Irlen Syndrom5

Verwendung von leichter Sprache

Ein weiterer Ansatz, um Barrieren für Menschen mit einer kognitiven Be-hinderung abzubauen, ist das Konzept der „leichten Sprache“ (oder „einfa-che Sprache“, „easy to read“ – Bedingung 14.1 der BITV).Leichte Sprache, also kurze Sätze, geläufige Begriffe, eine gute Gliede-

rung und eine einfache Syntax, fördert grundsätzlich das Erfassen der dar-gebotenen Informationen. Für Menschen mit einer kognitiven Behinderung

4 Jakob Nielsen, Designing Web Usability, S. 1015 TechDis, The Higher Education Academy, Innovation Way, York Science Park,York, YO10 5BR.

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Mehr Bürgernähe durch Barrierefreiheit 129

ist die leichte Sprache eine Grundvoraussetzung für einen barrierefreienZugang. Anregende Zusätze wie Beispiele, Illustrationen, Analogien, diepersönliche Anrede des Lesers etc. können die Verständlichkeit eines Tex-tes verbessern, wenn sie wohlüberlegt eingesetzt werden.Ein oft zitiertes Beispiel und intensiv bearbeitetes Verbesserungsobjekt

für eine umständliche Sprache ist die Behördenfachsprache. In verschiede-nen Projekten engagierter Städte, aber auch des Bundesverwaltungsamteswird versucht, diese Fachsprache in eine bürgerfreundlichere Sprache zuüberführen. „Bei einigen Formularen bleiben die früher typischen Nach-fragen von Bürgern nun aus. Das spart jedes Mal fünf bis zehn MinutenArbeitszeit“, so ein Pressesprecher aus der Stadtverwaltung Winsen imLandkreis Harburg.

Gehörlose und hörgeschädigte Menschen

Nach Angaben des Deutschen Gehörlosenbundes gibt es in Deutschlandetwa 80 000 Gehörlose. Als Gehörlos gelten Menschen, wenn sie einegravierende Hörschädigung aufweisen und nicht in der Lage sind, Spracheüber das Gehör – auch nicht mit technischen Hörhilfen – aufzunehmen undzu interpretieren.Fälschlicherweise wird davon ausgegangen, dass Hörgeschädigte und

Gehörlose auf wenige Barrieren im Internet stoßen. Gehörlose weisen ofteine allgemeine Beeinträchtigung der Sprache auf, insbesondere wenn siedie Lautsprache auf normale Art und Weise nicht erlernen konnten. Auchnach optimaler Förderung und Beschulung haben Gehörlose im Deutschenmeist einen eingeschränkten Wortschatz und erhebliche Unsicherheiten imBereich der Grammatik, was zu großen Schwierigkeiten und Missver-ständnissen beim Entschlüsseln komplexer schriftlicher Informationenführt. Basissprache der Gehörlosen ist eine visuelle Sprache, die DeutscheGebärdensprache (DGS), die zwar ein linguistisch vollwertiges Sprachsys-tem darstellt, aber keine eigene Gebrauchsschrift kennt. Das Behinderten-gleichstellungsgesetz erkennt in § 6 BGG die Deutsche Gebärdenspracheals eigenständige Sprache an und gewährt Hörbehinderten ausdrücklichdas Recht auf Verwendung der Gebärdensprache.Auch akustische Inhalte können von gehörlosen Menschen nicht aufge-

nommen werden. Sie sollten deswegen durch visuell wahrnehmbare Inhal-te ersetzt oder von ihnen begleitet werden.Für Gehörlose genügt es nicht, Texte zu vereinfachen, um beispielswei-

se Frühertaubten, die Probleme mit der Schriftsprache haben, das Ver-ständnis zu erleichtern. Die Gebärdensprache ist hier das Hauptkommuni-kationsmittel, nicht nur ein optionales Hilfsmittel.

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Abb. 6. Gebärdenvideos als Hilfe: der DGS-Avatar von www.hamburg.de

Die Gebärdensprache besteht aus kombinierten Zeichen (Gebärden), dievor allem mit den Händen in Verbindung mit Mimik und Mundbild undzudem im Kontext mit der Körperhaltung gebildet werden. Die Komplexi-tät der DGS hat bis heute ein System für die automatische Übertragungvon Text in die Gebärdensprache verhindert. Ansätze wie beispielsweiseder Gebärden-Avatar der Website hamburg.de können nur vorproduzierteInhalte zeigen und diese in der Regel nicht auf dem Niveau von individuelldurch einen Gebärdensprachdolmetscher umgesetzten Texten. Es wirdnoch viele Jahre dauern, bis die Entwicklung so ausgereift ist, dass manAvatare anstelle von Gebärdensprachfilmen einsetzen kann.

Motorisch eingeschränkte Menschen

Laut statistischem Bundesamt litten Ende 2002 in Deutschland 1,1 Millio-nen Menschen unter dem Verlust, Teilverlust oder der Funktionsein-schränkungen von Gliedmaßen. Hinzu kommen rund 16 000 querschnitts-gelähmte Menschen. Behinderte Menschen mit eingeschränkter Motorikder Arme und Hände können den Cursor meist nur mit speziellen Tastatu-ren bewegen, die sich nicht so präzise wie eine Maus navigieren lassen.Die Navigation der Webseite muss also so einfach sein, dass eine leichteOrientierung und Handhabung möglich ist. Ein großes Problem für vieleBehinderte sind die handelsüblichen Tastaturen. Menschen mit schwerenmotorischen Störungen brauchen Großfeldtastaturen. Contergan-Geschä-digte und Einhänder etwa sind auf spezielle Kleintastaturen angewiesen.

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Gesetzliche Grundlagen

Im Jahr 1994 wurde das Grundgesetz in Artikel 3 Absatz 3 um den Satzergänzt: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“Erst mit dem Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) von Mai 2002 wur-de ein gesetzlicher Rahmen für die gleichberechtigte Teilhabe behinderterMenschen am gesellschaftlichen Leben geschaffen. Für den Bereich In-formationstechnik ist dieser Rahmen im Juli 2002 in der Verordnung zurSchaffung barrierefreier Informationstechnik nach dem Behindertengleich-stellungsgesetz (Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung – BITV)präzisiert worden. Die Verordnung wendet sich aufgrund ihrer Gesetzes-grundlage an die Bundesverwaltung und verpflichtet alle Behörden desBundes dazu, ihre Internetangebote bis spätestens 31. Dezember 2005 bar-rierefrei zu gestalten. Viele Bundesländer und Kommunen haben mittler-weile mit entsprechenden Gesetzen und Verordnungen nachgezogen (Lan-desgleichstellungsgesetze) und vergleichbare Regelungen auf Landes- undkommunaler Ebene geschaffen. Mit der Wirtschaft wurden entsprechendeZielvereinbarungen getroffen. Primäres Ziel ist es, behinderten Menschenim Sinne des § 3 des Behindertengleichstellungsgesetzes den Zugang zuAngeboten der Informationstechnik zu eröffnen: „Barrierefrei sind [...]Systeme der Informationsverarbeitung [...], wenn sie für behinderte Men-schen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis undgrundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind“ (§ 4 BGG).

Umsetzung von Barrierefreiheit

Barrierefreiheit ist keine Frage der Einhaltung formaler Regeln. Barriere-freiheit ist kein zusätzliches Feature, was in eine Website integriert wird.Die Einhaltung der Barrierefreiheit ist eine grundlegende Entscheidung fürdie Einhaltung definierter Regeln und Standards. Mit der Entscheidung füreinen BITV-konformen Auftritt werden grundlegende Weichen gestellt.Einem großen Teil der Anforderungen an einen barrierefreien Webauf-

tritt kann durch die eingesetzte Technik oder die sensible Berücksichtigunggängiger Standards und Richtlinien Genüge getan werden. Weitere Anfor-derungen werden auf konzeptioneller Ebene und durch die grafische Ges-taltung des Webauftritts abgedeckt. Das Beispiel leichte Sprache jedochzeigt, dass wesentliche Forderungen an einen barrierefreien Webauftrittnur durch redaktionelle Arbeiten erfüllt werden können.

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Vorgehen in der Praxis

Die Erstellung einer barrierefreien Website im Rahmen einer Neuentwick-lung oder eines Re-Designs erfordert einen strukturierten Entwicklungs-prozess. Wesentlich für den Erfolg sind insbesondere die frühen Phasen:Anforderungsdefinition, Spezifikation und Design. In diesen muss derAuftraggeber die BITV-Vorgaben als unumgängliche Vorbedingung allerEntscheidungen berücksichtigen. Die für die Erfüllung der BITV-Vorgaben notwendigen Maßnahmen betreffen alle beteiligten Rollen undProzessschritte.Webseiten barrierefrei zu gestalten bedeutet einzuplanen, dass Men-

schen mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Voraussetzungen, unter-schiedlicher Hard- und Software und auch unterschiedlichen Browser-Einstellungen auf Internetseiten zugreifen. Gerade die Vielfalt an Ein- undAusgabemöglichkeiten am Computer bringen sehr unterschiedliche techni-sche Anforderungen an die Barrierefreiheit mit sich.Auch ist die Erstellung barrierefreier Seiten keine einmalige Aktion,

sondern ein kontinuierlicher Prozess, der insbesondere durch die Redak-teure zu tragen ist. Entscheidungsträger in den Behörden sollten vor allemin der Anfangsphase darauf achten, dass Barrierefreiheit als Konzept ver-standen wird und nicht lediglich über einzelne Programmierungen gespro-chen wird. Die BITV-Anforderungen an die Barrierefreiheit müssen wäh-rend des ganzen Projektablaufs mit einbezogen werden.

Beratung

Interessenkonflikte zwischen Design, Technik und BITV-Anforderungenbei der Ausgestaltung des Online-Angebots sind unvermeidbar. Grafikde-signer haben in erster Linie den Auftrag, das Corporate Design des Auf-traggebers und die Imagekampagnen der Marketing-Abteilung umsetzen.Dies führt oft zu einer deutlichen Abkehr von dem ursprünglichen Gedan-ken hinter dem Internet als reinem Hypertext-Medium. Das Design mussfunktionalen Ansprüchen wie der Nutzerfreundlichkeit (Usability) und derBarrierefreiheit mindestens den Raum geben, der dem Marketing für dieErarbeitung eines attraktiven, häufig an Printmedien orientierten Designseingeräumt wird.Der Auftraggeber sollte auf Kompromisse bei Design und technischen

Anforderungen vorbereitet werden. Sein unbedingtes Bekenntnis zur Er-füllung der BITV ist eine notwendige Voraussetzung für den Projekterfolg.Eine Beratung zu Beginn des Projekts mit klaren Informationen zur Trag-weite der Entscheidung für die Einhaltung der BITV und zu möglichenLösungsansätzen für kritische Anforderungen ist sehr empfehlenswert. Ein

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qualifizierter, externer Ansprechpartner kann über die Projektlaufzeit zuBest Practices Auskunft geben und die oft unscharfen Abgrenzung erläu-tern. Eine BITV-Checkliste hilft dabei, zukünftige Entwicklungen einfachzu überprüfen.

BITV-Beauftragter für die Qualitätssicherung

Hilfreich ist die Bestimmung eines BITV-Beauftragten als Qualitätssiche-rungs-Instanz (QS-Instanz) für die Projektlaufzeit und darüber hinaus. Die-se Rolle sollte bereits bei Anforderungsworkshops, bei der Erstellung desLastenhefts und bei der Erstellung des Designs mit einem interessiertenMitarbeiter (bevorzugt aus der späteren Redaktion) besetzt werden. DieserMitarbeiter kann nach einer angemessenen Schulung das Entwicklerteamund die Redaktion während des Projekts begleiten und kreative Impulsebei auftauchenden Problemen einbringen. Der BITV-Beauftragte sollteauch zum Review der Designvorlagen herangezogen werden.

Spezifikation des Designs

Bei der Erstellung des Website-Designs (Styleguide) und der darin enthal-tenen Elemente sind kontinuierlich BITV-Anforderungen im Detail zu be-achten. Hier ist geschultes und durchsetzungsstarkes Personal gefragt. Deralte Leitsatz „form follows function“ ist im beschriebenen Zusammenhangmehr als nur ein schöner Spruch. Ganz sicher muss eine barrierefreie Um-setzung nicht weniger attraktiv sein oder Marketing-Aspekte ungenügendberücksichtigen. Das Gegenteil ist der Fall. Eine barrierefreie Umsetzungkann mit dem Begriff „mediengerecht“ umschrieben werden. Hinter die-sem Begriff verbirgt sich eine effektive, nutzbare und sinnvolle Lösung,die alle Beteiligten in höchstem Maße zufrieden stellen wird.

Realisierung

Der wichtigste Schritt bei der Konstruktion des Internetauftritts ist einevollständige Bereitstellung verbindlich einzusetzender HTML-Vorlagenund CSS-Stylesheets auf Basis des BITV-konformen Designs. Diese wer-den nach umfangreicher Qualitätsprüfung zur Erstellung der eigentlichenWebseiten genutzt. Schon bei der Erstellung und Verarbeitung der Vorla-gen sollte eine Qualitätssicherung in Hinblick auf die Barrierefreiheit statt-finden – entwicklungsbegleitend und mit entsprechenden Prüfwerkzeugen.Bei komplexen Projekten sind Prototypen sehr hilfreich.Die vorgeschriebene Trennung von Layout und Inhalt durch die moder-

ne Stylesheet-Technologie (CSS) bringt große Vorteile für jeden Website-

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Betreiber mit sich. Das Layout lässt sich einfach überarbeiten, ohne dieTexte neu erfassen zu müssen. Außerdem können Inhalte – losgelöst vomWebdesign – unkompliziert in andere Wiedergabeformate und -geräte ex-portiert werden.Bei der Verwendung eines Content-Management-Systems (CMS) sind

zusätzliche Mechanismen zur Eingabe von BITV-relevanten Informatio-nen anzubieten (zum Beispiel Kennzeichnung von Sprachwechseln), so-fern das CMS diese nicht schon von sich aus enthält. Eventuell können au-tomatische Prüfungen erzeugter Webseiten im Redaktionsprozess veran-kert werden.

Test

Durch automatisierte Verfahren, spezielle Tools sowie Tests mit assistivenTechnologien lässt sich die Barrierefreiheit des Auftritts überprüfen. Au-tomatische Verfahren dienen der Überprüfung der technischen Barriere-freiheit. Sie können jedoch nicht prüfen, ob Texte verständlich formuliertsind, die Navigation nachvollziehbar ist und die Strukturierung der SeiteSinn ergibt.Neben den Tests der erzeugten Webseiten mit offiziellen Prüfwerkzeu-

gen ist ein paralleler Test durch behinderte Nutzer sehr sinnvoll. Diesekönnen wertvolle Verbesserungshinweise liefern.Ein detaillierter Test der Website durch einen unabhängigen und quali-

fizierten Dritten – zum Beispiel durch das Angebot der Prüfstelle BIK –Barrierefrei Informieren und Kommunizieren – ist sehr zu empfehlen.

Content-Erstellung und -Pflege

Mit dem Launch der neuen Website beginnt der redaktionelle Alltag. DiePflege von Inhalten wird im Allgemeinen durch ein unterstützendes Re-daktionssystem erleichtert, welches die Inhalte BITV-konform in die Web-seiten bringt. Die Verantwortung der Redaktion ist es nun, weiterhin sen-sibel mit BITV-Anforderungen umzugehen, und – wenn möglich – Inhaltein leichter Sprache zu formulieren. Außerdem müssen Alternativtexte fürvisuelle Elemente inhaltsbezogen („Ein Diagramm mit unseren Verkaufs-zahlen in 2005“) und nicht mit Standardplattitüden („Grafik“) verfasstwerden. Was auf den ersten Blick sehr einfach aussieht, verlangt in derPraxis viel Nachdenken. So sind zum Beispiel die Inhalte des Alternativ-texts immer im Zusammenhang mit dem textlichen Inhalt der Seite zu se-hen. Insgesamt sollten Alternativtexte kurz und prägnant sein, weitschwei-fige Formulierungen wie „Dies ist ein Bild mit ... das zeigt ... unser Vor-stand ... vor unserem ...“ gehören nicht in den Alternativtext. Fotos benöti-

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gen kurze Angaben etwa zum dargestellten Gegenstand, den Namen einerdargestellten Person oder Merkmale einer dargestellten Szenerie.Die BITV-Checklisten und der BITV-Beauftragte müssen einer schlei-

chenden Erosion der Qualität entgegenstehen. Regelmäßige Wiederholun-gen der Tests auf Barrierefreiheit sollten durchgeführt werden. Vermiedenwerden muss auf jeden Fall, dass eine nach dem Start der neuen Websitenachlassende Motivation die Qualität von nachträglich erfassten Inhaltennegativ beeinflusst. Der definierte und erstrebenswerte Standard mussdurch qualitätssichernde Maßnahmen unterstützt werden. Dies gilt ganzbesonders für die Arbeit der Webredaktion.

Content-Management-Systeme und Barrierefreiheit

Content-Management-Systeme (CMS) stellen Inhalte für verschiedeneAusgabemedien aktuell und zielgruppenspezifisch zur Verfügung. Sie sindVoraussetzung dafür, umfangreiche Informationsangebote im Internet so-wie Intranet effizient bereitzustellen und zu pflegen. Ein Kernprinzip vonContent-Management-Systemen ist die Trennung von Layout und Inhalt,die Speicherung der Inhalte erfolgt unabhängig von Ausgabeformat undDesign. Vorlagen (Templates) definieren die Anordnung und Darstellungder Inhaltselemente. Durch das CMS werden bei der Generierung einerWebseite die Vorlagen automatisch mit den Inhalten gefüllt. Durch dieVerwendung von Templates ist die konsequente Einhaltung des Layoutsgarantiert.Content-Management-Systeme können für die Produktion von barriere-

freien Internetseiten eine große Hilfe darstellen. Vor dem Hintergrund,dass viele Websites/Inhalte heutzutage nicht mehr ausschließlich von Ex-perten erstellt werden, sondern vielmehr Redakteure für die Pflege der re-daktionellen Inhalte verantwortlich sind, ist ein CMS erforderlich. Dies istinsbesondere unverzichtbar, wenn mehrere Redakteure Beiträge für dieRubriken erstellen und die Seiten bearbeiten sollen.Ein CMS erzeugt Webseiten anhand redaktionell erstellter Daten und

definierter Vorlageseiten. Die Redakteure nutzen zur Eingabe der redakti-onellen Inhalte das Redaktionssystem des CMS und sind dabei an die hin-terlegten Workflows und Konsistenzprüfungen gebunden.Ein entsprechend konzipiertes und aufgebautes CMS kann automatisch

die Erzeugung von BITV-konformen Webseiten erfüllen beziehungsweiseunterstützen. Derzeit bringen jedoch nur wenige, ausreichend flexibleCMS von Haus aus alle benötigten Mechanismen mit. Hier sind Erweite-rungen im Rahmen eines Software-Entwicklungsprojekts – auch bei sorg-fältiger Auswahl eines CMS-Produkts – unvermeidbar.

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Die Leistungsfähigkeit eines Content-Management-Systems hängt heut-zutage davon ab, inwieweit es den Redakteur bei der Produktion von bar-rierefreien Seiten unterstützt, zum Beispiel durch die Bereitstellung ent-sprechender Schaltflächen für die BITV-Auszeichnung sowie durch defi-nierte Pflichteingabefelder.Im Bereich der Bundesverwaltung wird die Nutzung des CMS-Systems

„Government Site Builder“ (GSB) durch Kabinettsbeschluss verbindlichvorgeschrieben. Dieses System enthält bereits seit der Version 2.0 eine sogenannte Standardlösung, welche alle BITV-relevanten Eigenschaften an-bietet. Viele BITV-Bedingungen werden vom GSB bereits automatisch er-füllt

• Trennung von Content und Layout• Verzicht auf Frames und bewegte Elemente• Barrierefreie Farbschemata• Verwendung öffentlich zugänglicher Technologien• Bereitstellung von Metainformationen• Durchgängiger Präsentationsstil• Geräteunabhängige Bedienung von Elementen

Die vorkonfigurierten Ausgabe-Templates der Standardlösung stellenvariable Schriftgrößen, eine schlüssige Reihenfolge von Hyperlinks, nach-vollziehbare Navigationsmechanismen sowie eine korrekte Verwendungder Markup-Sprachen sicher.Nicht alle BITV-Bedingungen können von einem CMS automatisch er-

füllt werden. Den Redakteuren kommt somit die wichtigste Aufgabe imProzess bei der Produktion von barrierefreien Inhalten zu. Durch viele zu-sätzliche Funktionalitäten unterstützt der GSB die redaktionelle Tätigkeit

• integrierte Schaltflächen für die Auszeichnung von Abkürzungen undAkronymen

• Bereitstellung der HTML-Strukturelemente für Überschriften, Listenund Zitate

• Vorbelegung der verwendeten Sprache; Schaltflächen für die Kenn-zeichnung von Sprachwechseln

• Verwaltung zentraler CSS (zum Beispiel je einem für die Seitendarstel-lung, die Druckdarstellung, alternative Darstellungen für PDAs etc.)und somit definierte Farbgebung, Schriftarten, Schriftgrößen etc. ent-sprechend des Styleguide

• Einfordern von verpflichtenden Angaben (zum Beispiel alternative Be-schreibung für nichttextliche Elemente) des Redakteurs, bevor eine In-formation publiziert werden kann

• Überwachung der Link-Gültigkeit

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Insbesondere das Anlegen von Datentabellen und das Auszeichnen derTabellenattribute werden für den Redakteur durch zusätzliche Menüs ver-einfacht.

Technik

Einer der Grundsätze bei der Erstellung barrierefreier Websites ist ihr ge-räteunabhängiger Aufbau. Die gängigste Interpretation von „geräteunab-hängig“ bedeutet: sicherzustellen, dass allen Nutzern die Bedienung perTastatur ermöglicht wird – sowohl denen, die eine Tastatur benutzen müs-sen, als auch denen, die statt der Maus lieber die Tastatur als primäres Ein-gabewerkzeug verwenden. Darüber hinaus arbeiten viele assistive Werk-zeuge für Menschen mit motorischen Behinderungen direkt mit der Tasta-tur oder durch die Emulation von Tastaturfunktionalitäten. Die Nutzungder Website ausschließlich über die Tastatur und ein qualitativ hochwerti-ger Ausdruck der Inhalte sind daher Minimalanforderungen für den geräte-unabhängigen Aufbau einer Website.Die Entwicklung von BITV-konformen Online-Angeboten wird durch

zahlreiche technische Hilfsmittel unterstützt. Diese Hilfsmittel können beider Entwicklung und Abnahme des CMS und auch bei der individuellenWebseitenentwicklung eingesetzt werden. Bei Bedarf lassen sich dieWerkzeuge auch in die CMS-Software integrieren, um eine automatisierteQualitätssicherung oder ein Reporting zu ermöglichen.Eine leicht anwendbare Browser-Erweiterung mit vielfältigen Prüf- und

Simulationswerkzeugen (zum Beispiel farblose Darstellung, Darstellungohne CSS) ist die Web Accessability Toolbar6 für die gängigen Browser.Validatoren sind eine wesentliche Hilfe bei der manuellen oder automa-

tischen Überprüfung von Webseiten auf Verstöße gegen offizielle Stan-dards. Die Standardisierung im Bereich Internet wird durch das World Wi-de Web Consortium (W3C) vorangetrieben, das unter www.w3.org zahl-reiche Validatoren online anbietet7.Screenreader (mit Sprachausgabe und/oder Braille-Zeile) sind das wich-

tigste Hilfsmittel für blinde Internetnutzer. Eine komfortable Nutzung vonScreenreadern ist aber nur auf BITV-konformen Webseiten möglich. Die

6 Z. B. für Internet Explorer www.webforall.info/html/deutsch/aistoolbar.php7 W3C-HTML Validierungsservice: http://validator.w3.org, W3C CSS Validie-rungsservice: http://jigsaw.w3.org/css-validator/validator-text.html, W3C Link-checkservice: http://validator.w3.org/checklink, TIDY HTML-Prüfung: http://tidy.sourceforge.net

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wichtigsten deutschsprachigen Screenreader sind JAWS, Home Page Rea-der, Virgo, Blindows und Window-Eyes.Für sehende Entwickler nützliche QS-Werkzeuge sind Text-Browser

wie zum Beispiel Lynx, die unter Auslassung von Bildern und anderenMedien den in Webseiten enthaltenen Text darstellen. Eine Webseite, diemit einem Text-Browser nicht bedienbar ist, kann auch mittels Screen-reader nicht bedient werden.

Realisierungsaufwand

Wie hoch die Kosten für die Realisierung eines barrierefreien Internetauf-tritts letztendlich sind, lässt sich nicht definieren, dies hängt von unter-schiedlichen Faktoren ab, wie zum Beispiel der Größe des Webauftrittsund der Struktur der vorhandenen Daten. Die Realisierung einer barriere-freien Website ist jedoch nicht zwangsläufig teuer. Webseiten nachträglichbarrierefrei zu machen ist auf jeden Fall sehr kostspielig. „Es kostet Zeitund Geld, eine schlecht erstellte Webseite nachträglich in eine allgemeinzugängliche Seite zu verwandeln.“8 Dagegen muss man nach Joe Clark nurzusätzlich zwei Prozent der Gesamtkosten aufwenden, eine Website vonAnfang an allgemein zugänglich zu erstellen.Konzeptioneller Mehraufwand kann dann auftreten, wenn der Entwick-

lungsprozess noch nicht durchgängig an die spezifischen Erfordernisse derBarrierefreiheit angepasst ist. Bereits beim Design müssen Anforderunghinsichtlich Farbschema und Vermassungen berücksichtigt werden. Deut-lich höherer Testaufwand tritt erfahrungsgemäß bei neuen Technologienauf, die noch nicht von allen Werkzeugen hundertprozentig unterstütztwerden, und die häufig für eine barrierefreie Anwendung eingesetzt wer-den. Die verschiedenen Browser verhalten sich unterschiedlich, was in se-paraten Tests geprüft werden muss. Darüber hinaus müssen nicht seltenBrowser-spezifische Funktionalitäten programmiert werden.Der Entwicklungsprozess beim Re-Design von www.bund.de berück-

sichtigte von Anfang an die spezifischen Erfordernisse einer barrierefreienGestaltung. Der erhöhte Testaufwand für das barrierefreie XHTML-Layouterhöhte den Projektaufwand lediglich um etwa vier Prozent.Eine barrierefreie Umsetzung bringt auch Einschränkungen mit sich.

Aktive Inhalte (JavaScript, Flash etc.) sind in der Regel nicht barrierefrei.Entweder hat weder der Screenreader noch die Tastatur Zugriff auf die soverpackten Inhalte (Flash), oder es werden dynamische Änderungen am

8 Hollmann, Andreas: Zugänglichkeits-Mythen In: www.andreas-hollmann.de/netztips/zugaenglichkeit.html

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Inhalt vorgenommen, die von den assistiven Technologien nicht erfasstwerden können (JavaScript). Das Portal www.bund.de wurde daher konse-quent ohne aktive Inhalte umgesetzt.

Zertifizierung von Barrierefreiheit

Der Versuch einer objektiven Überprüfung der Barrierefreiheit einer Web-site wird in der Regel auf der Basis der WCAG 1997–99 durchgeführt.Dieses Dokument und die davon unter Verlust wichtiger Präzisierungenabgeleitete BITV beschränken sich auf technische Aussagen zum Einsatzvon HTML die immerhin acht Jahre alt sind. Für die Dynamik hinter dentechnischen Entwicklungen rund um das Internet ist dies eine sehr langeZeit.Die WCAG 1997–99 ist im Jahr 2005 nur in sehr eingeschränkten Um-

fang geeignet, Barrierefreiheit im technischen Sinne sicherzustellen. Pro-blematisch wird dieses Ansinnen, wenn dieser unzureichende Ansatz in dieForm eines statischen Zertifikats gegossen wird. Dies betrifft aktuell dieBestrebungen der renommierten Gesellschaft für KonformitätsbewertungDIN-Certco GmbH. Hier wird mit dem hohen Stellenwert den die Be-zeichnung DIN in Deutschland hat, die Qualität eines Zertifikats verspro-chen, dem weder das Zertifikat noch die zertifizierenden Stellen wirklichgerecht werden können.Letztendlich geht es nicht darum, ob ein Angebot zertifiziert ist, sondern

ob es wirklich barrierefrei ist – ohne gleichzeitig Innovationen in anderenBereichen zu blockieren. Das DIN-Zertifikat wird voraussichtlich eineähnliche Relevanz für einen barrierefreien Webauftritt haben, wie die DINEN ISO 9241 für den Bereich Usability. Diese Norm wird in der Internet-praxis de facto nicht berücksichtigt, ohne dass dies Rückschlüsse auf dietatsächliche Qualität der Websites zulässt.Gerade die öffentliche Verwaltung möchte die Gewissheit haben, dass

das eigene Internetangebot wirklich barrierefrei ist – dieses Begehren istnachvollziehbar und richtig. Eine relativ hohe Gewissheit kann eine ein-malige Überprüfung durch unabhängige Fachleute geben, der eine fortlau-fende Überprüfung aller neuen und geänderten Inhalte folgt. Die Prüfungmuss die aktuellen Entwicklungen einbeziehen und lässt sich nicht an ei-nem festen Kriterienkatalog ausrichten. Auch rechtlich ist die Zertifizie-rung auf der beschriebenen Grundlage sehr problematisch.

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Zusammenfassung und Ausblick

Gerade für behinderte Menschen stellt das Internet eine Möglichkeit dar,unabhängig von Dritten am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, ohne aufdie Fürsorge der Gesellschaft angewiesen zu sein. Die Verwirklichung die-ses Ziels hängt in der heutigen Informationsgesellschaft zunehmend davonab, inwieweit die Menschen die neuen Informations- und Kommunikati-onsmedien nutzen können. Gerade die öffentliche Verwaltung hat eineVorbildfunktion und dadurch auch die besondere soziale Verpflichtung,Informationen für alle zugänglich zu machen.Barrierefreiheit hilft nicht nur blinden Nutzern des Internets, die auf

Vorleseprogramme angewiesen sind, sondern auch sehbehinderten, farben-schwachen, gehörlosen Menschen, Menschen mit kognitiven und motori-schen Behinderungen sowie Menschen mit anderen Funktionseinschrän-kungen. Zudem sind die Übergänge gerade im Alter fließend, sodass Bar-rierefreiheit die Nutzung des Internets einem Großteil der Bevölkerungspürbar erleichtert.Eine Studie von Forrester Research Inc. und Microsoft9 stellt fest, dass

rund 60 Prozent aller Computernutzer von barrierefrei zugänglicher Infor-mationstechnik profitieren.Wer mit geschickter Nutzung der vorhandenen Technologie Barrieren

vermeidet, hat einen Innovationsvorsprung. Der Mehraufwand ist bei ent-sprechender Planung beherrschbar. Das Bundesverwaltungsamt hat mitseinem Portal www.bund.de eine Vorbildfunktion bei der Umsetzung derBITV (Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung) übernommen, ander sich andere Behörden, aber auch die Privatwirtschaft orientieren kön-nen.Einige Unternehmen wie zum Beispiel die Postbank oder der „Stern“

werben bereits heute mit ihren barrierefreien Internetauftritten. Wie so oftbei Innovationen entsteht ein Innovationsdruck: Wer nicht handelt, bleibtzurück.

Literaturverzeichnis

Joe Clark (2003) Building Accessible WebsitesNew Riders Publishing, Indianapolis USA, ISBN 073571150X

Jan Eric Hellbusch (2004) Barrierefreies WebdesignDpunkt Verlag, ISBN: 3898642607

9 Microsoft, Accessible Technology Market Research, Findings About ComputerUsers. In: www.microsoft.com/enable/research/computerusers.aspx

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Mehr Bürgernähe durch Barrierefreiheit 141

Steve Krug (2. Auflage 2005) Don’t Make Me Think!New Riders Publishing, ISBN: 0321344758

Gordon McComb (1999) Cascading Style Sheets Specification, Level 2:W3C Recommendation 12-May-1998, Rec-Css2-19980512Excel Inc, ISBN: 1583482539

Jakob Nielsen (1999) Designing Web UsabilityNew Riders Publishing, ISBN: 156205810X

Web Content Accessibility Guidelines 1.0Herausgegeben vom World Wide Web Consortium (W3C)

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Innovative IT und innere Sicherheit

Martin Schallbruch, IT-Direktor Bundesministerium des Innern

Einleitung

Zur Gewährleistung der inneren Sicherheit stützt sich der Staat auf innova-tive Informationstechnik. Komplexe Kriminalitätsformen erfordern eineintensive Fortentwicklung und Nutzung IT-basierter Hilfsmittel – für kri-minalpräventive Zwecke ebenso wie für die Strafverfolgung und eine zeit-gemäße Arbeit der Sicherheitsbehörden. Auf der anderen Seite bedienensich Kriminelle unterschiedlichster Zielrichtungen der Möglichkeiten mo-derner Informationstechnik zur Begehung ihrer Straftaten. Manche Krimi-nalitätsformen sind überhaupt erst entstanden durch die Weiterentwicklungvon IT und Internet, so zum Beispiel das verbreitete Phänomen des „Phi-shing“, des Erschleichens von Zugangsdaten für Online-Banking, mit de-ren Hilfe Konten geplündert werden sollen.Moderne Sicherheitspolitik berücksichtigt diese Dualität innovativer

Entwicklungen der Informationstechnik. Auf der einen Seite macht sie sichtechnische Innovationen zunutze, um die Kriminalitätsbekämpfung zu op-timieren. Ein Beispiel hierfür ist die Einführung des elektronischen Reise-passes, der das bisherige Papierdokument auf ein elektronisch abgesicher-tes Niveau der Fälschungssicherheit bringt. Auf der anderen Seite werdenIT-Innovationen mit Innovationen der IT-Sicherheitstechnik verbunden,um Risiken für die innere Sicherheit zu vermeiden, die entstünden, wennInnovation „ungesichert“ abliefe. Ein Beispiel hierfür sind technische Sys-teme für eine vertrauenswürdige und verlässliche Kommunikation überTelekommunikations- und Datennetze.Der vorliegende Beitrag beleuchtet die Wechselbeziehung zwischen IT-

Innovation und innerer Sicherheit an vier Beispielen: der Virtuellen Post-stelle des Bundes, der SINA-Lösung zur sicheren Übertragung vertrauli-cher Informationen über unsichere Netze, dem elektronischen Reisepass(„ePass“) und dem digitalen Personalausweis.

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Sichere Kommunikation in Netzen

Die globale Vernetzung von Informations-, Kommunikations-, Finanz- undLogistiksystemen hat enorme Möglichkeiten eröffnet: Räumliche Grenzensind für wirtschaftliche Akteure vernachlässigbar geworden. Verwaltungs-und Geschäftsabläufe finden in zunehmendem Maße im Internet oder an-deren digitalen Netzen statt. Mit diesen neuen Strukturen entsteht aber einenie da gewesene Form der Verwundbarkeit. Die komplexen Abhängigkei-ten sämtlicher traditioneller Infrastrukturen von vernetzten IT-Systemenmachen die Bedrohungsszenarien immer schwerer kalkulierbar. Zuneh-mende Berichte über Hacker, Viren, Würmer und andere Übergriffe aufUnternehmen oder Privatpersonen zeigen, dass die Bedrohungen nicht nurtheoretischer Natur sind.IT-Sicherheit ist wesentlicher Baustein der Politik für die innere Sicher-

heit. Im Mittelpunkt steht dabei die Prävention, die Etablierung wirksamerSicherheitsmaßnahmen zum Schutz der IT-Systeme und der elektronischenKommunikation. Verfügbarkeit und Verlässlichkeit der Informations- undKommunikationssysteme sind hier ebenso von Bedeutung wie die Vertrau-lichkeit und Verlässlichkeit der Informationsübermittlung. Gerade beiNutzung des Internets sind die Informationen besonderen Bedrohungenausgesetzt und damit Vertraulichkeit, Integrität und Authentizität (letztlichdie Verbindlichkeit) elektronischer Transaktionen gefährdet.Schlüssel für mehr Sicherheit in der Kommunikation über elektronische

Netze ist die Sicherung der Identität von Absender und Empfänger und diekryptografische Sicherung der Inhalte der Kommunikationsbeziehung. Wiekann die Identität der Akteure in digitalen Netzen zuverlässig nachgewie-sen werden? Eine mit der Offline-Welt vergleichbare, sichere und allseitsetablierte Form der Identifizierung existiert bis heute nicht. Virtuelle Post-stellen, elektronische Signatur und später einmal der „Personalausweis fürsInternet“ werden diese Aufgabe zu übernehmen haben.

Virtuelle Poststelle des Bundes

Vertrauenswürdige Kommunikation über elektronische Netze, also dieWahrung von Verlässlichkeit und Vertraulichkeit der übermittelten Infor-mationen, lässt sich am besten mit Ende-zu-Ende-Sicherheit erreichen.Produkte für eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung oder die Aufbringungund Prüfung elektronischer Signaturen sind bereits seit vielen Jahren aufdem Markt. Ihr flächendeckender Einsatz hat mit dem hohen, auch finan-ziellen Aufwand zum Aufbau einer solchen Sicherheitsinfrastruktur zu

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Innovative IT und innere Sicherheit 145

kämpfen, aber auch mit Kompatibilitätsproblemen an den Arbeitsplatz-PCs.Im Rahmen der Initiative BundOnline 2005 hat der Bund nach einer Lö-

sung gesucht, die es allen Bundesbehörden erlaubt, ihren Kommunikati-onspartnern die Absicherung der Kommunikation mit elektronischer Sig-natur und Verschlüsselung anzubieten. Unter der Überschrift „E-Govern-ment-Basiskomponente Datensicherheit“ entwickelte der Bund gemeinsammit privaten Partnern eine Virtuelle Poststelle (VPS). Die VPS verfolgt dasZiel, die einer Verbreitung von Verschlüsselung und Signatur entgegenste-henden Hemmnisse dadurch zu beseitigen, dass – ergänzend zur Ende-zu-Ende-Sicherheit – die kryptografischen Funktionen auch Server-basiertund einheitlich für alle Kommunikationskanäle und Backend-Anwen-dungen innerhalb der Behörde zur Verfügung gestellt werden. Hierdurchkönnen sowohl Behördenmitarbeiter als auch „Kunden“ der E-Govern-ment-Angebote der Behörden profitieren. Die Sicherheitsfunktionen um-fassen

• das Ver- und Entschlüsseln von Daten,• das Erstellen und Prüfen von Signaturen, bei qualifizierten Signaturenunter Zuhilfenahme externer Dienste,

• das Erstellen und Prüfen von Zeitstempeln, bei qualifizierten Zeitstem-peln unter Zuhilfenahme externer Dienste,

• die Authentisierung von Browser-Benutzern auf Basis von Zertifikatenund gegebenenfalls Smartcards und

• das Ausstellen und Versenden von elektronischen Eingangs- und Aus-gangsquittungen.

Zusätzlich stehen mit der VPS Schnittstellen zu weiteren Funktionalitä-ten und externen Systemen zur Verfügung, beispielsweise zu Viren-Scannern oder Posteingangs- und Postausgangsbüchern. Damit stellt dieVPS eine Sicherheitskomponente dar, die Behördenmitarbeiter von kom-plexen kryptografischen Abläufen entlastet und die einheitliche Nutzungkryptografischer Mechanismen in unterschiedlichen Systemen ermöglicht.Der Aufwand an Installations- und Administrationsvorgängen kann verrin-gert werden.Die Anwendungsbreite der Virtuellen Poststelle wird wesentlich da-

durch erzielt, dass mit ihrer Hilfe unterschiedliche Systeme über offeneSchnittstellen eingebunden werden. Beispielweise können Smartcards undVerzeichnisdienste aller wesentlichen Anbieter ohne Interoperabili-tätsprobleme genutzt werden. Verschiedene weitere Anwendungen mit un-terschiedlichen Anforderungen können unterstützt werden, wobei der brei-ten Skalierbarkeit der Sicherheitsfunktionalitäten, insbesondere der Signa-turmechanismen bis hin zur qualifizierten Signatur, eine besondere Bedeu-

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tung zukommt. Integriert in den normalen Datenfluss soll die VPS weitge-hend automatisch als zentrales Gateway fungieren und die kryptografi-schen Operationen gebündelt bereitstellen. Als Input- beziehungsweiseOutput-Daten der VPS werden sowohl E-Mails und elektronische Doku-mente (zum Beispiel in Form von E-Mail-Attachments) als auch Daten-strukturen aus Web-Anwendungen angesehen. Daneben können über offe-ne Schnittstellen auch Archivsysteme, Workflow- oder Dokumenten-Management-Systeme sowie Backend-Systeme diverser Fachverfahrenangebunden werden. Dabei sind die Modularität der Architektur und dieUnabhängigkeit von bestimmten Plattformen (sowohl Windows- als auchLinux/Unix-basierte) entscheidend.Mit der VPS steht nun allen Bundesbehörden eine technische Lösung

zur Verfügung, die eine Vielzahl von Sicherheitsfunktionen enthält und diebreite Einführung internetbasierter Geschäftsabläufe auf höchstem Sicher-heitsniveau erlaubt.Derzeit nutzen bereits sieben Bundesbehörden die Virtuelle Poststelle,

weitere 15 führen sie ein. Mithilfe der VPS wird beispielsweise das Elekt-ronische Gerichtspostfach beim Bundesgerichtshof organisiert oder derHandel mit Emissionsrechten beim Umweltbundesamt. Weitere Anwen-dungsbeispiele finden sich bei der Deutschen Rentenversicherung, zumBeispiel die Online-Beantragung der Altersrente.

Abb. 1. Virtuelle Poststelle des Bundes

?Einfaches Schlüsselmanagement innerhalb der Verwaltung.

?Reduzierter Administrations- und Bedienaufwand durch

zentrale Installation und zentralen Einsatz der Programme zur

Entschlüsselung und Signaturprüfung.

?Durch die Einrichtung von Vertreterregelungen können

vertrauliche Inhalte auch in Abwesenheit des eigentlichen

Empfängers von berechtigten Behördenmitarbeitern bearbeitet

werden.

?Interne Organisationsfragen (Vertretungsregelungen) der

Verwaltung haben für den Kunden keine Bedeutung mehr, da

er sein Anliegen direkt an den Zuständigen bzw. die

Organisation richten kann. Die VPS unterstützt hierdurch ein

einheitliches Auftreten der Verwaltung gegenüber dem

Kunden.

?Möglichkeit der zentralen Prüfung des ein- und ausgehenden

Datenverkehrs einer Organisationseinheit auf Schadinhalte

(Viren etc.).

Vorteile der Virtuellen Poststelle im Überblick

?Einfaches Schlüsselmanagement innerhalb der Verwaltung.

?Reduzierter Administrations- und Bedienaufwand durch

zentrale Installation und zentralen Einsatz der Programme zur

Entschlüsselung und Signaturprüfung.

?Durch die Einrichtung von Vertreterregelungen können

vertrauliche Inhalte auch in Abwesenheit des eigentlichen

Empfängers von berechtigten Behördenmitarbeitern bearbeitet

werden.

?Interne Organisationsfragen (Vertretungsregelungen) der

Verwaltung haben für den Kunden keine Bedeutung mehr, da

er sein Anliegen direkt an den Zuständigen bzw. die

Organisation richten kann. Die VPS unterstützt hierdurch ein

einheitliches Auftreten der Verwaltung gegenüber dem

Kunden.

?Möglichkeit der zentralen Prüfung des ein- und ausgehenden

Datenverkehrs einer Organisationseinheit auf Schadinhalte

(Viren etc.).

Vorteile der Virtuellen Poststelle im Überblick

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SINA

Das Bundesministerium des Innern hat bereits unmittelbar nach den An-schlägen vom 11. September die gesamten IT-Infrastrukturen einer sorg-fältigen Prüfung unterzogen und dazu zahlreiche intensive Gespräche mitVertretern der Wirtschaft geführt. Die Förderung der IT-Sicherheit liegt imgemeinsamen Interesse und der beiderseitigen Verantwortung von Staatund Wirtschaft. Die Bundesregierung benötigt für ihre Strategie starkePartner in der Wirtschaft, die IT-Sicherheit in ihren Produkten und Strate-gien realisieren. Mit einigen leistungsstarken Unternehmen bestehen engeKooperationen.Deutschland verfügt nach den Erfahrungen des Bundesinnenministeri-

ums gerade auf wichtigen Technologiefeldern über leistungsfähige Partneraus der Industrie. Dies gilt sowohl für Produkte und Dienstleistungen alsauch für Prüfleistungen und Gütesiegel aus Deutschland. So sind bei-spielsweise „Security Made in Germany“ und „Security Approved in Ger-many“ Qualitätsaussagen deutscher Prüfstellen zu IT-Sicherheitsproduk-ten, die auch international ein hohes Ansehen genießen.

Abb. 2. Funktionsweise von SINA

Bei den Basiskomponenten der E-Government-Initiative BundOnlinewie bei anderen sicherheitsrelevanten IT-Projekten setzt das Bundesminis-terium des Innern daher auf eine intensive Zusammenarbeit mit der deut-schen IT-Sicherheitswirtschaft, um die Entwicklung und Nutzung innova-tiver und sicherer Lösungen für E-Government und E-Business zu fördern.Ein erfolgreiches Ergebnis dieser Zusammenarbeit ist das Produkt SINA (Si-

chere Inter-Netzwerk-Architektur), das gemeinsam vom Bundesamt für Sicher-heit in der Informationstechnik (BSI) und der Firma Secunet entwickelt wurde.Zentraler Bestandteil dieser Lösung ist die so genannte SINA-Box, mit

deren Hilfe ein Datentunnel erzeugt wird, durch den die Informationenverschlüsselt übertragen werden. SINA gewährt dabei Interoperabilität undZukunftssicherheit, da keine spezielle Technik vonnöten ist, sondern aus-

VS

VS

VS-Server

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148 Martin Schallbruch

schließlich Standard-Hardware verwendet werden kann. Durch die Nut-zung des Internets ist SINA zudem eine kostengünstige Kommunikations-lösung.SINA ist eines von mehreren national wie international erfolgreichen

Hochsicherheitsprodukten des BSI. Durch die Kombination von ThinClient/Server-Verarbeitung und Virtual-Private-Network (VPN)-Techno-logie sowie den weitgehenden Einsatz von Open-Source-Software, könnenmit SINA flexible, hochsichere Systemlösungen realisiert werden.

Abb. 3. SINA Virtual Workstation

SINA umfasst eine wachsende Familie von modularen Komponentenzur Absicherung verschiedenster Anwendungsszenarien, deren Funktiona-lität stetig erweitert wird. Neben den bereits seit längerem verfügbaren Be-standteilen SINA-Box und SINA Thin Client gewinnt die SINA VirtualWorkstation (VW) vor allem in mobilen Szenarien zunehmend an Bedeu-tung. Bei der SINA Virtual Workstation handelt es sich um eine Kompo-nente der SINA-Architektur, bei der eine lokale Verarbeitung und Speiche-rung staatlicher Verschlusssachen (VS) möglich ist. Zusätzlich ist eineIPsec verschlüsselte Datenkommunikation über beliebige Netze (zum Bei-

Monitor

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Innovative IT und innere Sicherheit 149

spiel GPRS, UMTS, WLAN oder DSL) möglich. Auch Voice over IP, alsodas Telefonieren in SINA-Netzen wird künftig unterstützt.In Ergänzung zur SINA Virtual Workstation, die vorrangig für den ho-

hen Schutzbedarf konzipiert wurde, steht in Kürze als neue Variante derSINA Virtual Desktop für den mittleren Schutzbedarf zur Verfügung. ImGegensatz zur Virtual Workstation nutzt der Virtual Desktop ein kommer-zielles Betriebssystem als Host-System für virtuelle Maschinen. Eine vir-tuelle Maschine wird hierbei als vertrauenswürdige Umgebung zur Verar-beitung eingestufter Daten genutzt, eine weitere stellt eine SINA-kompatible IPsec-Komponente und ein kryptografisches File-System zurverschlüsselten Datenspeicherung zur Verfügung. Dabei ergeben sich fol-gende Vorteile: Bei der Verarbeitung offener Daten kann das Host-Betriebssystem nativ, ohne die Einschränkungen, die sich durch eine Vir-tualisierung ergeben, genutzt werden. Hierbei ist zum Beispiel ein direkterZugriff auf die physikalische Hardware möglich. Zudem werden für dieVerarbeitung eingestufter Daten Applikationen und kryptografische Funk-tionen in abgesicherten virtuellen Umgebungen bereitgestellt. Durch dasPrinzip der Virtualisierung und den damit verbundenen unterschiedlichenlogischen Adressräumen für Host- und Gastbetriebssystem, kann in Ver-bindung mit den üblichen Absicherungsmaßnahmen für kommerzielle Be-triebssysteme ein für die adressierten Einsatzfälle angemessener Schutz er-reicht werden.Da das BSI im Auftrag des BMI derartige Sicherheitslösungen für die

gesamte Bundesregierung anbietet, werden diese und andere innovativeSicherheitstechnologien bei vielen Regierungsstellen im In- und Auslandmit Erfolg eingesetzt. Ein Großteil der deutschen Botschaften nutzt dieseTechnologie bereits, um geheime und vertrauliche Informationen weltweitauszutauschen. Selbst staatliche Verschlusssachen können so sicher überdas weltweite Netz versandt werden.

Elektronischer Reisepass (ePass)

Seit November 2005 werden deutsche Reisepässe mit einem Chip ausges-tattet, in dem die bislang nur eingedruckten Daten der Passkarte und – alsso genanntes biometrisches Merkmal – das Passfoto des Dokumenteninha-bers gespeichert sind. Moderne Chiptechnologie und innovative biometri-sche Verfahren werden erstmals bei staatlichen Hochsicherheitsdokumen-ten verwendet. Der ePass ist eine erste Massenanwendung der Biometrieim Sicherheitsbereich.

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Abb. 4. Muster des ePasses

Der Einsatz der Biometrie für Sicherheitsanwendungen erhielt seinenwesentlichen Impuls durch die Terroranschläge des 11. September 2001.Die erfolgreiche Bekämpfung des internationalen Terrorismus setzt vor-aus, dass der internationale Reiseverkehr so sicher wie irgend möglich ges-taltet wird. Keinem Terroristen soll es gelingen, mit gefälschten Papierenoder mit echten Dokumenten einer anderen Person zu reisen. BiometrischeVerfahren, die anhand körperlicher Merkmale den maschinellen Abgleichvon Dokument und kontrollierter Person erlauben, wurden nach dem 11.September in vielen Staaten der Welt als Hilfsmittel zur Erreichung diesesZiels in den Blick genommen: im Zusammenhang mit Pässen, Aufenthalts-titeln und Visa ebenso wie bei polizeilichen Informationssystemen oderGrenzkontrollen. All diesen Plänen war eine Zielstellung gemeinsam: einSicherheitsgewinn im internationalen Reiseverkehr durch technische Inno-vation bei der Identifikation von Personen beziehungsweise der Verifikati-on ihrer Identität.In Deutschland beschloss der Deutsche Bundestag bereits im Rahmen

des Terrorismusbekämpfungsgesetzes vom Januar 2002, biometrischeMerkmale in Personaldokumenten grundsätzlich zuzulassen. Im Juni 2003folgte eine richtungsgleiche Einigung der Staats- und Regierungschefs derEU, die sich für den Einsatz von Biometrie in Pässen, Visa und Aufent-haltstiteln aussprachen. Motivation für diese Anwendungsbreite war dieeuropäische Vision, dass langfristig jede Person – gleich ob als EU-

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Bürger, internationaler Tourist oder Asylsuchender – beim Übertritt derSchengengrenzen biometrisch erfasst beziehungsweise kontrolliert werdensoll.Auf Basis dieser politischen Grundsatzentscheidungen wurde die inter-

nationale Standardisierung vorangetrieben. Die internationale Zivilluft-fahrtbehörde ICAO diskutierte die Auswahl geeigneter biometrischerMerkmale und einigte sich auf das Lichtbild als Minimalforderung und dieoptionale Ergänzung um Fingerabdrücke und Irisbilder. Als Speicherme-dium wurde ein kontaktloser Chip festgelegt.Deutschland engagierte sich frühzeitig bei der Erprobung und Standar-

disierung von Biometrie-Anwendungen. Parallel zur politischen Entschei-dungsfindung wurden durch nationale Sicherheitsbehörden – das Bundes-kriminalamt (BKA) und das Bundesamt für Sicherheit in der Informations-technik – technische Studien wie BioFace, BioFinger, Bio-P I und Bio-P IIdurchgeführt, um empirisches Material zu erhalten und die Eignung der amMarkt angebotenen Biometrie-Systeme in unterschiedlichen Anwendungs-szenarien zu prüfen. Unbeschadet der bei solchen Szenarienvergleichenüblichen Performance-Schwankungen und den Qualitätsunterschieden derProdukte verschiedener Anbieter wurde eine grundsätzliche Eignung derBiometrie-Technologie aus der Perspektive der Dokumentensicherheit(BKA) und der IT-Sicherheit (BSI) bestätigt.Die im Januar 2005 in Kraft getretene „EG-Verordnung über Normen

für Sicherheitsmerkmale und biometrische Daten“ legte die Art der zu er-fassenden biometrischen Merkmale fest und definierte zwei Zeitkorridore,in denen alle Mitgliedstaaten die Umsetzung auf nationaler Ebene anhandder einheitlichen technischen Vorgaben begonnen haben sollten: 18 Mona-te für das Gesichtsbild und 36 Monate für die Fingerabdrücke. Deutsch-land gehörte mit Norwegen und Schweden zu den ersten EU-Ländern, diemit der Ausgabe der neuartigen Pässe starteten; Österreich wird im Som-mer 2006 mit der Ausgabe der Dokumente beginnen.Bei der Auswahl der biometrischen Merkmale und der Speichertechno-

logie waren aus deutscher Sicht vor allem zwei Nutzenaspekte der neuenPassgeneration bedeutsam:

1. Die höhere Fälschungssicherheit der Dokumente: durch den neuenChip im Pass als zusätzliche Fälschungshürde und durch die europa-weite gemeinsame Formulierung von Mindestanforderungen. Deut-sche Pässe wiesen bereits vor dem 1. November 2005 zahlreiche zu-verlässige Sicherheitsmerkmale auf (beispielsweise das holografischePorträt und die Laser-Beschriftung), andere europäische Länder ver-wendeten dagegen nur wenige oder keine vergleichbaren Techniken.Dieses Sicherheitsgefälle bei europäischen Reisepässen sollte durch

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Mindestanforderungen ausgeglichen werden. Vor dem Hintergrundder Reisefreiheit im Schengenraum und den nachweislichen Fällenge-/verfälschter Pässe im Zusammenhang mit organisierter Kriminali-tät und terroristischen Netzwerken konnte ein europaweites Mindest-sicherheitsniveau hergestellt werden.

2. Der Schutz vor Dokumentenmissbrauch: Die im Chip gespeichertenbiometrischen Daten sind als Grundlage für die spätere maschinellunterstützte Grenzkontrolle vorgesehen, um durch einen Abgleich derim Chip gespeicherten mit den aktuell erhobenen biometrischen Da-ten den Missbrauch echter Pässe durch fremde Personen zu verhin-dern.

Die Innovationstechnologie Biometrie brachte mit Blick auf die Pass-produktion und die Verwaltungsabläufe rechtliche, technische und organi-satorische Veränderungen mit sich• Auf Grundlage der rechtsverbindlichen EG-Verordnung wurden diepassrechtlichen Vorschriften, insbesondere die Vorgaben zu Musternund Gebühren, angepasst.

• Für die Passerstellung, die Passbeantragung und -ausgabe wurden Um-stellungsszenarien definiert. Angesichts von über 6000 Passbehörden imBundesgebiet und zirka 500 Ausgabestellen im Ausland erwies sich dieheterogene IT-Infrastruktur als quantitative wie qualitative Herausforde-rung: Nicht nur verschiedene kommunale IT-Konzepte und Einwoh-nermeldeverfahren waren zu berücksichtigen, sondern auch das Neben-einander von papierbasierten und digitalen Antragsverfahren, das zu-mindest in der ersten ePass-Einführungsstufe erhalten bleiben sollte, umeinzelne Kommunen nicht zu überfordern. Mit Stand vom 31. Oktober2005 arbeiteten immerhin über 5000 aller deutschen Passbehörden aufBasis einer elektronischen Antragsdatenübermittlung zum Passprodu-zenten.

• Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, das bei derEntwicklung der Sicherheitsmechanismen Basic Access Control undExtended Access Control1 im europäischen Rahmen maßgeblich mit-wirkte, erstellte für die nationale Verwendung eine technische Richtliniezur Passdatenübermittlung.

• Die begleitenden Informationsmaßnahmen zur ePass-Einführung wareninsbesondere durch die Zielgruppe der Passbehörden geprägt: In Ab-stimmung mit den Ländern und kommunalen Spitzenverbänden wurdendeutschlandweite Schulungsveranstaltungen durchgeführt und der flä-

1 Näheres auf der Website des Bundesamtes für Sicherheit in Informationstechnikunter www.bsi.de

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chendeckende Versand von Qualitätssicherungs-Tools für biometrie-taugliche Frontalfotos (Fotomustertafel, Passbildschablone) und Infor-mationsmaterial sichergestellt. Neben zirka 30 000 Empfängern in Pass-behörden erhielten auch die deutschen Fotografen und Passbildautoma-tenhersteller diese Unterlagen.

• Die üblichen Kanäle der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit (Publikums-und Fachmedien, Messen etc.) wurden in den Monaten vor dem 1. No-vember 2005 besonders intensiv bedient. Flyer, Plakate, ein Kurzfilmund der Internetauftritt www.ePass.de waren auf die Informationsbe-dürfnisse von Bürgerinnen und Bürgern zugeschnitten. Eine Bürger-Hotline des BSI zu technischen Fragen rund um den ePass war seit dem1. Juni 2005 im E-Mail- und Telefonkanal geschaltet.

Die Bundesregierung ist mit der Entscheidung zur Einführung des ePas-ses im November 2005 als Vorreiter für die Biometrie in Europa aufgetre-ten – trotz der hohen Komplexität des Projekts und trotz der begleitendenöffentlichen Diskussion. Die Vorreiterrolle hat Deutschland die intensiveBeteiligung an der Diskussion um internationale Standards bei Biometrieund Reisepass gesichert – beispielsweise zugunsten anspruchsvoller Maß-gaben in den Bereichen Datenschutz und Datensicherheit. Die von den eu-ropäischen Datenschutzbeauftragten geforderten Kriterien wurden im Vor-feld der Passeinführung in internationaler Gremienarbeit von Deutschlandmaßgeblich mitgeprägt. Der ePass erfüllt alle Kriterien.Wenn im Jahre 2007 als zweite Stufe des Vorhabens neben dem Ge-

sichtsbild auch Fingerabdrücke im Pass gespeichert werden, so werden siemit einer in Deutschland entwickelten so genannten Extended AccessControl derart verschlüsselt sein, dass sie nicht von Unbefugten ausgelesenwerden können.Neben den politischen Erwägungen sollte von einem frühzeitigen Start-

termin auch ein positiver Impuls für Deutschland als Standort innovativerSicherheitstechnologien ausgehen. Nach Aussagen des IT-Branchen-verbandes BITKOM ist auf dem relevanten Markt tatsächlich ein positivesKlima zugunsten der Biometrie-Technik und begleitender IT-(Sicherheits-)Technik zu verzeichnen. Schätzungen der Marktforscher von Sore-on-Research zufolge setzte der deutsche Biometrie-Markt im Jahr 2005insgesamt rund 21 Millionen Euro um. Die Studie prognostiziert, dass derUmsatz von rund 37 Millionen im Jahr 2006 auf 144 Millionen Euro imJahr 2007 steigen wird.Unternehmen können biometrische Verfahren leichter am Markt platzie-

ren, seit durch den ePass in der Öffentlichkeit eine Vertrauensbasis für dieneue Technologie geschaffen wurde. BITKOM sieht daher den Staat auch2006 als entscheidenden „Innovationsmotor“ im Biometrie-Sektor. Den

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bislang noch vereinzelten Biometrie-Anwendungen im Bereich der Zu-gangskontrollen oder Consumer Electronics (zum Beispiel USB-Sticks mitFingerabdruckfunktion) könnten dann zukünftig viele weitere folgen.Biometrie-Technologie ist im Übrigen selbst ein Katalysator für weitere

Investitionen. Nach BITKOM-Schätzungen bestehen 95 Prozent des Um-satzes eines typischen Biometrie-Projekts aus üblicher IT-Hardware und-Software, wie beispielsweise PCs, Servern und Betriebssystemen sowieIT-Dienstleistungen. Nur fünf Prozent entfallen auf Geräte und Program-me, die direkt der Biometrie zuzuordnen sind, etwa Scanner für Finger-abdrücke oder spezielle Verschlüsselungs-Software.Die Einführung des ePasses zieht auch technologische Entwicklungen

im Bereich der öffentlichen Verwaltungen nach sich: Mit der Einführungder Fingerabdrücke im Reisepass ab 2007 werden die Passdaten aus-schließlich elektronisch (nicht mehr in Papierform) übertragen, was mittel-fristig einen wichtigen Beitrag zur Digitalisierung des gesamten Meldewe-sens verspricht: Einmal definierte Standards und Schnittstellen könnendann für unterschiedliche Aufgaben in den Bürgerämtern genutzt werden.

Digitaler Personalausweis

Mit der Ergänzung des herkömmlichen Reisepasses durch elektronischeZusatzfunktionen stellt sich die gleiche Frage auch für den Personalaus-weis. Wenn auch im Wesentlichen auf die europäischen Länder begrenzt –auch der Personalausweis ist ein Reisedokument, dessen angemessene Si-cherheit in regelmäßigen Abständen neu überprüft werden muss. DerAusweis könnte neben der herkömmlichen Funktion als Sichtausweis zu-künftig durch Biometrie im Chip einen vergleichbaren Sicherheitsgewinnwie der ePass erzielen: höhere Fälschungssicherheit und Schutz vor Do-kumentenmissbrauch.

Abb. 5.Module eines digitalen Personalausweises

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Abb. 6. Biometrie im Personalausweis

Beim Personalausweis stellen sich aber auch weitergehende Fragen. EinReisepass wird in der Regel selten und lediglich an ausgewählten Kon-trollpunkten (bei Grenzübertritt) herangezogen, während der Personalaus-weis bei zahlreichen Anlässen im Inland, bei Behörden wie im privat-wirtschaftlichen Bereich zur Identifizierung von Personen Verwendungfindet. Je mehr Behördengänge, Einkäufe und sonstige geschäftliche Vor-gänge im Internet erledigt werden, desto mehr stellt sich die Frage nach si-cherer Identifizierung im Netz. Vor diesem Hintergrund werden inDeutschland und Europa – neben der Biometrie – zwei weitere Funktionendes digitalen Personalausweises diskutiert: die Speicherung von Daten zurelektronischen Authentisierung und (zumindest optional) die qualifizierteSignatur. Andere Länder wie die Vereinigten Arabischen Emirate, Estlandoder Belgien machen bereits vor, dass der Personalausweis eine Plattformfür elektronische Identifizierungsmöglichkeiten sein kann.EU-Empfehlungen legen den Mitgliedsstaaten schon heute nahe, das Si-

cherheitsniveau und die biometrischen Daten vom Pass in die nationalemRecht unterliegenden Ausweise zu übernehmen. Im Entwurf des bislangnicht ratifizierten EU-Verfassungsvertrags ist sogar die Kompetenzverla-gerung für Ausweise auf die EU-Ebene vorgesehen. Die laufenden Ge-spräche zur Standardisierung europäischer ID-Karten haben daher großeBedeutung und werden von der Bundesregierung aktiv begleitet.Wie bereits bei den Pässen ist auch bei den Ausweisen die ICAO in

Vorleistung gegangen und hat ein Format für künftige Ausweiskarten vor-geschlagen: ID-1, ein so genanntes Scheckkartenformat, das – wie zahlrei-

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che am Markt heute verfügbare Smartcards zeigen – in der Öffentlichkeitgut akzeptiert wird. Doch während für Karten dieser Größe in der Regelkontaktbehaftete Chips, etwa bei Bank- oder Krankenkassenkarten, genutztwerden, ist für den digitalen Personalausweis eine differenzierte Betrach-tung erforderlich.Für das Modul Biometrie bietet sich ein kontaktloses Interface an. Dann

wäre die Kompatibilität zum elektronischen Reisepass gewährleistet undein praktischer Vorsprung errungen: Die im Zuge der ePass-Einführungauf EU-Ebene abgestimmten Konzepte zu Datenschutz und Datensicher-heit (Basic Access Control und Extended Access Control) könnten alsGrundlage der technischen Richtlinien für die neuen Ausweise dienen. Fürdie Funktionen Authentisierung und qualifizierte Signatur sind die Argu-mente für ein Kontakt-Interface versus kontaktloses Interface sorgsam ab-zuwägen. Unabhängig von der Frage, welche technischen Spezifika letzt-endlich beschlossen werden, ließe die Verwendung von Funkchips vieleOptionen für spätere Entwicklungsschritte offen, beispielsweise für dieAusweisverwendung in Kombination mit Web-Handys.Mit der Ergänzung durch biometrische Sicherheitsmerkmale und neue

elektronische Funktionalitäten wie die Authentisierungsfunktion oder eineelektronische Signatur wird der Personalausweis von einem Stück Papierzu einer Schlüsseltechnologie, die weitere innovative Anregungen nachsich zieht. Ein Internet-Personalausweis für alle in Deutschland lebendenMenschen kann Sicherheitsprobleme lösen helfen, etwa die zahlreichenBetrügereien im Internet, die heute noch unter der Vorspiegelung falscherIdentitäten möglich sind. Die Nutzung der Authentisierungsfunktion desPersonalausweises beim Online-Handel oder Online-Banking wäre eineerhebliche Verbesserung des Sicherheitsniveaus im Internet.Ein neuer, digitaler Personalausweis darf aber nicht gleichzeitig neue

Sicherheitsprobleme schaffen. Die Sicherheit der im Chip gespeichertenDaten, eine vertrauenswürdige kryptografische Realisierung der Authenti-sierungsfunktion und die für die elektronische Signatur nötigen organisato-rischen und technischen Vorkehrungen müssen gewährleistet sein.Die Vorbereitungen für die Ausgabe eines neuen Personalausweises

werden daher ungleich aufwendiger sein als die Vorbereitungen des ePas-ses.

Fazit

Die vorgestellten Beispiele zeigen, dass innovative IT-Lösungen schonheute eine wesentliche Rolle bei der Fortentwicklung sicherheitspolitischerKonzepte spielen. Damit neue IT-Systeme aber nicht ihrerseits neue Si-

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cherheitsprobleme aufwerfen, ist angemessene IT-Sicherheit eine Anforde-rung an das Design dieser Systeme.Innovationsförderung ist heute Bestandteil der Sicherheitspolitik. Dabei

ist die enge Kooperation zwischen Forschungseinrichtungen, Technologie-unternehmen und Staat Schlüssel zum Erfolg. Sicherheitsforschung Madein Germany und Sicherheitsprodukte Made in Germany sind internationalkonkurrenzfähig. Überzeugende Referenzprojekte können helfen, dass dasso bleibt.

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Simulation und virtuelle Welten –IT-Technologien der Zukunft

Heinz Dresia, Geschäftsführer Rheinmetall Defence Electronics GmbHFrank Bildstein, Leiter Datenbasengenerierung Fahr-/FlugsimulationRheinmetall Defence Electronics GmbH

Der Einsatz ist so überraschend wie alltäglich: Messerstecherei unter Al-koholeinfluss. Der Täter flüchtet mit einem blauen Wagen durch die beleb-te Innenstadt. „Sofort die Verfolgung aufnehmen. Sonderrechte sind hier-mit erteilt“, so der Funkspruch aus der Polizeileitstelle. Blaulicht undMartinshorn. Der junge Polizeibeamte schwitzt. Er hat schon einige Ein-satzfahrten hinter sich, aber noch nie saß er dabei selbst hinter dem Steuer.Trotz Berufsverkehrs fährt er mit hoher Geschwindigkeit durch die

Stadt. Und das bei einsetzendem Nebel. An der Straßeneinmündungspringt die Ampel auf rot. Kaum Möglichkeit für die anderen Autos, eineGasse zu bilden. Was tun? Links vorbei über die Gegenspur? Der Beamtegibt Gas. Vollbremsung. Die Fußgänger haben ja grün, und einige habenmit diesem Manöver wohl nicht gerechnet. Noch einmal ist alles gut ge-gangen.Die nächste Straßenkreuzung. Von rechts nähert sich ein Bus mit hoher

Geschwindigkeit. Der junge Polizist zögert, der Busfahrer ebenfalls. Gut,also wieder Vollgas. Nur aus den Augenwinkeln nimmt der Fahrer nocheinen weiteren Schatten neben dem Bus wahr – da ist es auch schon pas-siert. Trotz Vollbremsung reicht es nicht mehr. Der Einsatzwagen prallt indie linke Stoßstange des anderen Wagens. Mit ihm hatte er nicht gerech-net. Der junge Polizeibeamte ist fix und fertig.Doch zum Glück braucht er sich keine Sorgen zu machen. Er steuerte

sein Fahrzeug durch eine virtuelle Welt – mit einem Simulator für Einsatz-fahrten der Polizei. Zukunftsmusik? Nein, denn die bayerische Bereit-schaftspolizei trainiert bereits seit 2002 auf einem solchen Simulator derFirma Rheinmetall Defence Electronics die Bewältigung des Problemfelds„Polizeiliche Einsatzfahrt“ unter Einbeziehung modernster Simulations-technik.

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160 Heinz Dresia, Frank Bildstein

Abb. 1. Mit Blaulicht und Sirene zu fahren will gelernt sein: In einer Original-fahrzeugkabine von BMW mit Polizeiausstattung trainiert die bayerische Bereit-schaftspolizei das Fahren unter dem Stress simulierter Einsätze

Der junge Polizeibeamte übt seine ersten Einsatzfahrten in einem Netz-werk aus realen und fiktiven Streckenabschnitten, das unter didaktischenAspekten zusammen mit Fahrlehrern und Ausbildern konzipiert und mo-delliert wurde. Automobilhersteller testen neue Fahrzeuge und Komponen-ten ebenfalls im Simulator und bilden hierzu synthetische Teststrecken vir-tuell nach.Es gibt aber auch Anwendungen in der Fahrsimulation, die eine mög-

lichst realistische Nachbildung von Originalschauplätzen erfordern. ZumBeispiel könnte der junge Polizeibeamte nach der Basisausbildung bereitsim Simulator auf seinen zukünftigen, realen Einsatzort vorbereitet werden.Rettungskräfte könnten im Simulator in einem real nachgebildeten Stadt-teil mit einer möglichen Katastrophe konfrontiert werden. Sicherheitskräf-te könnten im Simulator üben, wie sich real existierende Objekte am bes-ten schützen lassen, und lernen einzuschätzen, an welchen Stellenmögliche Gefahren lauern. Dies darzustellen ist ohne innovative IT-Technologie nicht denkbar.Fahrsimulation besteht aus verschiedenen Komponenten von Virtual

Reality, unterstützt durch Projektions- und Bewegungssysteme sowie rea-len Nachbildungen von Cockpit- und Fahrsystemen. Damit Szenarien undAufgaben erfolgreich durchgeführt werden können, müssen möglichst rea-listische Simulationen oder besonders naturgetreue virtuelle Welten entwi-

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Simulation und virtuelle Welten – IT-Technologien der Zukunft 161

ckelt werden, in denen man alle denkbaren Szenarien ausprobieren kann.Wesentlicher Grundbaustein ist dabei die Datenbasis. Der Fortschritt derIT in den letzten Jahren sowohl bei der Hardware als auch bei der Softwareermöglicht die realitätsgetreue Nachbildung komplexer Szenarien.

Abb. 2. Die realistische Nachbildung des Fahrzeugs ist nicht ausreichend für denAusbildungserfolg. Die Simulation muss eine beherrschbare und steuerbare Um-welt zur Verfügung stellen, ohne dass der Realitätseindruck verloren geht

Grundbaustein eines Simulators: die Datenbasis

In der Sichtsimulation ist die Datenbasis der Datenbestand, der zur Visua-lisierung eines Übungsbereichs erforderlich ist. Die Erstellung einer sol-chen Datenbasis nennt man Modellierung. Je nach Einsatzbereich variierendie Anforderungen an die Simulatoren und damit auch an die Datenbasen.Ebenso verändert sich die Größe der virtuellen Umgebung, die in der

Datenbasis dargestellt ist, je nach Anwendung. So kann eine Datenbasisbei Nautik-Simulatoren und in der Flugsimulation viele Tausend Quadrat-kilometer umfassen. Im Bereich ziviler Fahrsimulation dagegen werdenDatenbasisgrößen überwiegend in Streckenkilometern gemessen. Typi-scherweise beträgt die Streckenlänge solcher Datenbasen zwischen 30 und100 Kilometer.Daneben setzt der Anwendungsbereich auch die Schwerpunkte bei der

Modellierung. Eine Straßendarstellung bei Fahrsimulatoren muss bedeu-tend detaillierter sein als in der Flugsimulation. Präzises Terrain ist rele-vant für Geländefahrsimulatoren, wogegen geospezifische Bilddaten einewichtige Rolle in der Flugsimulation spielen.

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162 Heinz Dresia, Frank Bildstein

Abb. 3. Die zahlreichen verschiedenen Teildatenbasen werden in der Master-Datenbasis zusammengefasst, die unter anderem ein problemloses Umschaltenzwischen den Außenansichten ermöglicht

Abhängig vom Ausbildungsziel und den simulierten Fahrzeugen müssenaußerdem verschiedene Datenbasen für unterschiedliche Tageszeiten, Jah-reszeiten und Witterungsbedingungen realisiert werden. So berücksichtigteine Winterdatenbasis für Fahrsimulatoren unter anderem Schnee, Schnee-verwehung, veränderte Reibungswerte des Untergrunds sowie reduzierteSichtweiten.Damit die visuellen Datenbasen übereinstimmen, werden sie aus einer

Master-Datenbasis abgeleitet. Diese gewährleistet, dass beim Umschaltenzwischen verschiedenen Sichten (zum Beispiel von Tagsicht nach Infrarot-sicht) keine Abweichungen in den Szeneninhalten auftreten.Unabhängig vom Einsatzbereich gliedern sich Datenbasen in sichtbare

und nicht sichtbare Bestandteile. Sichtbare Bestandteile der Datenbasissind zum Beispiel das statische Grundgelände, statische, fest auf demGrundgelände platzierte Features (Bäume, Häuser etc.), schaltbare Fea-tures (etwa Ampeln, Lampen), dynamische 3-D-Modelle (Fahrzeuge,Flugzeuge, Schiffe, Personen), Effekte (Feuer, Rauch).Die nicht sichtbaren Bestandteile dienen der Steuerung des Simulators.

Man spricht auch von den Simulatorbasisdaten. Diese werden an den Steu-errechner des Ausbildungssimulators übergeben, der alle Module des Si-mulators ansteuert.Beispiele dafür sind Steuerdaten für die schaltbaren Anteile der Daten-

basis (zum Beispiel Ampeln: Ort und Typ), für die Fremdfahrzeuge (zumBeispiel Fahrspuren, Höhendaten, Hindernisse) und Daten für weitere Si-mulatormodule (etwa Bewegung, Akustik, Kartendarstellung).

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Wichtig für einen einwandfreien Betrieb des Ausbildungssimulators istes, dass die sichtbaren Anteile mit den unsichtbaren Steuerdaten korrelie-ren, das heißt exakt übereinstimmen. Andernfalls fährt zum Beispiel einSchüler im Simulator an einem nicht dargestellten Verkehrszeichen vorbeiund erhält von der Übungsauswertung eine für ihn nicht nachvollziehbareFehlermeldung, da in den Steuerdaten das Verkehrszeichen enthalten ist.Deshalb werden die sichtbaren und nicht sichtbaren Anteile ebenfalls ausder gemeinsamen Master-Datenbasis abgeleitet. Außerdem werden die un-sichtbaren Steuerdaten mit speziellen Tools zusammen mit den sichtbarenAnteilen visualisiert, um beispielsweise Fahrspuren und Hindernisdateienoptisch überprüfen zu können.

Erstellung einer Datenbasis

Bei der Erstellung der Datenbasis wird zunächst das Übungsgelände defi-niert. Dabei kann es sich um einen realen Geländeausschnitt handeln, ei-nen veränderten realen Geländeausschnitt oder ein real nicht existierendesGelände, das aus Skizzen zusammengestellt oder aus realen Anteilen kom-poniert wird. Als Quelldaten dienen dazu Foto- und Videoaufnahmen vonGeländemerkmalen, Luft- und Satellitenbilder oder maßstabgerechte Pläneund digitale Höhendaten.Heute werden Sichtdatenbasen überwiegend unter Mithilfe von Poly-

gon-Generatoren erstellt, die auf Basis von meist digitalen Quelldaten Ge-ometrien erzeugen. Nur kleinere 3-D-Elemente werden per Hand model-liert. Terrains und Straßen, also im weiteren Sinne alle algorithmischerfassbaren Elemente, werden (semi-)automatisch erzeugt oder abgeleitet.Die Eingabe der 3-D-Modelle erfolgt an einer Eingabestation, die ver-

gleichbar ist mit dem Arbeitsplatz eines CAD-Konstrukteurs. Am Bild-schirm wird mithilfe eines 3-D-Koordinatensystems die Geometrie desdarzustellenden Modells eingegeben. Anders als bei der CAD-Konstruktion muss der Modellierer das Modell möglichst einfach, dasheißt flächensparend beschreiben, um später möglichst wenig Ressourcendes Sichtsystems dafür in Anspruch zu nehmen.Anhand von Skizzen oder technischen Zeichnungen wird die Geometrie

des gewünschten Modells eingegeben. Der Modellierer muss dabei be-rücksichtigen, bis zu welchem Detaillierungsgrad das Modell nachgebildetwerden muss, das heißt, wie nah der Betrachter an das Modell herankommtund welche Elemente des Modells ausbildungsrelevant sind.

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164 Heinz Dresia, Frank Bildstein

Abb. 4. Sichtdatenbasen werden überwiegend unter Mithilfe von Polygon-Generatoren erstellt, die ihr realitätsnahes Aussehen im Anschluss durch die Foto-textur erhalten

Zur realistischen Nachbildung wird das Modell texturiert. Hierzu lassensich auf die Flächen Fototexturen auflegen. Die Fototextur (etwa ein ein-gescanntes Foto) kann entweder auf die gesamte Fläche aufgespannt odermehrfach unter- oder nebeneinander auf die Fläche gelegt werden. Durchdas wiederholte Aufbringen von Texturen lässt sich beispielsweise einegroßflächige Hausfassade mithilfe eines geeigneten Bildausschnittes mitnur einem einzelnen Fenster darstellen, um möglichst wenig Bildspeicherzu belegen.Durch die Datenstruktur wird dann der logische Aufbau des Modells be-

schrieben. Damit das Modell korrekt auf dem Sichtsystem dargestellt wer-den kann, muss es nach bestimmten Richtlinien aufgebaut sein.In der untersten Hierarchiestufe besteht ein Modell aus einer Menge der

vorher gestalteten Fläche, den Polygonen. Da komplexe Modelle aus biszu mehreren Hundert Polygonen bestehen können, werden zusammenge-hörende Flächen zu Objekten zusammengefasst, also etwa alle Polygonedes linken Vorderrads eines Autos zum Objekt „Vorderrad_links“. Mehre-re Objekte können wiederum zu einem neuen, übergeordneten Objekt zu-sammengefasst werden (etwa ein übergeordnetes Objekt „Vorderachse“mit den Objekten „Vorderrad_links“ und „Vorderrad_rechts“). Dies kannbeliebig oft wiederholt werden, sodass das gesamte Modell letztendlichdurch eine baumartige Struktur von Objekten und Polygonen beschriebenwird.Um animierte Objekte darzustellen, werden alle untergeordneten Objek-

te zyklisch nacheinander dargestellt. Zum Beispiel eine Animation „Am-pel_Licht“ mit den untergeordneten Objekten „rot“, „rot_gelb“, „grün“und „gelb“. Die untergeordneten Objekte werden nacheinander vom Sicht-

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Simulation und virtuelle Welten – IT-Technologien der Zukunft 165

system dargestellt – nach Abarbeitung des letzten Objekts beginnt die Ani-mation entweder von vorn, oder sie hält an. Die Darstellungsdauer wirdvom Modellierer fest vorgegeben. Die Ampel würde also immer gleichschnell schalten, und alle Zustände würden gleich lang dargestellt.

Abb. 5. Animierte Objekte werden nacheinander vom Sichtsystem dargestellt

Schaltbare Objekte bezeichnet man als Switches. Sie bestehen aus meh-reren untergeordneten Objekten (Schaltzuständen), von denen jeweils ei-nes auf dem Sichtsystem dargestellt wird. Der Steuerrechner teilt demSichtsystem dazu mit, welcher Zustand aktiviert werden soll. Hierzu über-gibt er dem Sichtsystem eine eindeutige Kennung des schaltbaren Objektsund die Nummer des gewünschten Schaltzustands. Würde man die zuvorbeschriebene Ampel als Switch modellieren, könnte der Steuerrechnernach Belieben frei zwischen den einzelnen Zuständen umschalten.Um Objekte in der Entfernung richtig darzustellen, wird eine besondere

Form des schaltbaren Objekts verwendet, deren untergeordnete Zuständeentfernungsabhängig vom Sichtsystem eigenständig aktiviert werden. Die-se Zustände zeigen das Objekt in mehreren Varianten mit jeweils unter-schiedlichen Detaillierungsgraden. Je weiter das Modell vom Betrachter(Augenpunkt) entfernt ist, desto weniger Details sind für den Betrachtersichtbar. Um die Sichtsystemkapazität optimal auszulasten, wird die Dar-stellung des Modells mit zunehmender Entfernung stufenweise verein-facht. Für jede Variante wird vom Modellierer eine Distanz angegeben, abder dieser Zustand aktiviert werden soll. Die Distanz sollte so gewähltwerden, dass der Betrachter den Übergang zwischen zwei Detailstufenmöglichst nicht wahrnimmt.Detailstufen können sowohl für das gesamte Modell als auch für ein-

zelne Objekte des Modells definiert werden. Als Faustregel gilt, dass sichdie Anzahl der Flächen von einer Detailstufe zur nächsten etwa halbierensollte.

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166 Heinz Dresia, Frank Bildstein

Geländemodellierung

In den meisten Fällen wird das Grundgelände in Form eines Gitters ausPolygonen aufgebaut. Im einfachsten Fall verwendet man ein regelmäßigesGitter, das heißt, die Stützpunkte haben in vertikaler und horizontalerRichtung immer den gleichen Abstand. Dieser Abstand der Stützpunktebestimmt die Auflösung (= Genauigkeit) des Grundgeländes. Das Höhen-profil des Geländes wird umso genauer dargestellt, je dichter die Stütz-punkte zusammenliegen.Die Verwendung eines gleichmäßigen Gitters hat den Nachteil, dass das

Gelände flächendeckend die gleiche Auflösung hat – Steigungsbereichewerden genauso behandelt wie flache Geländeabschnitte. Eine bessere An-passung an die Geländeeigenschaften erzielt man durch die Verwendungvon unregelmäßigen Gittern, bei denen die Stützstellen unterschiedlicheAbstände haben. Auch bei der Geländemodellierung verwendet man De-tailstufen. Hierzu wird das Gitter in mehrere Teilgitter zerlegt, die als Ka-cheln bezeichnet werden. Für jede dieser Kacheln werden unterschiedlicheAuflösungen generiert. Entfernungsabhängig werden die Kacheln dannvom Sichtsystem in der jeweils geeigneten Auflösung dargestellt. Die Ge-ländegenerierung erfolgt meist durch die Verwendung entsprechenderTools, die digitale DGM-Höhendaten (DGM = digitales Geländemodell)einlesen, die Geländestruktur analysieren und dann geeignete Gitterstruk-turen berechnen und generieren.Vor der Geländegenerierung legt der Modellierer mithilfe einer Parame-

terdatei die wesentlichen Eigenschaften des Geländes fest, zum Beispieldie Definition des nachzubildenden Geländeausschnitts, die Größe der ein-zelnen Kacheln, die maximale Auflösung des Geländes und die Anzahl derDetailstufen.

Abb. 6. Bei der Geländemodellierung werden die einzelnen Kacheln unterschied-lich generiert – den wesentlichen Eigenschaften des Geländes entsprechend

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Simulation und virtuelle Welten – IT-Technologien der Zukunft 167

Abb. 7. TINs sind eine weitere Möglichkeit der Geländemodellierung: Sie erlau-ben die Erzeugung unregelmäßiger Geländestrukturen

Auf dem generierten Gelände werden anschließend die 3-D-Feature-Modelle platziert. Hierzu wird das Grundgelände in einem Vektor-Editorals 2-D-Ansicht auf dem Bildschirm dargestellt. Der Modellierer kanndann auf dem Grundgelände Punkt-Features (Häuser, freistehende Bäume),Linien-Features (Straßen, Schienen) und Flächen-Features (Wälder, Seen)eingeben.Eine weitere Methode der Geländegenerierung bilden TINs (Triangula-

ted Irregular Networks). Basierend auf digitalen DGM-Höhendatenwerden hierbei mithilfe spezieller Algorithmen unregelmäßige Gelände-strukturen erzeugt. Anders als bei den gitterförmigen Geländestrukturenwird das Netzwerk dabei im Wesentlichen durch die Beschaffenheit desGeländes bestimmt, das heißt, die Position der Stützpunkte ist frei wählbar.Das generierte Gelände passt sich den realen Gegebenheiten dadurch bes-ser an und umfasst in der Regel weniger Flächen als eine Gitterstruktur.Um sowohl die Vorteile der gitterförmigen Geländestrukturen (Gliede-

rung in Kacheln, dadurch einfaches Detailstufen-Management) als auchdie Vorteile der TINs (bessere Anpassung an das reale Gelände, wenigerPolygone) zu nutzen, wird oftmals eine Mischform gewählt. Hierbei zer-legt man das Grundgelände zunächst grob in gitterförmige Kacheln, diedann jeweils als einzelne TINs generiert werden.Für den Bereich der Fahrsimulation ist der Einsatz einer gitterförmigen

Geländestruktur weniger gut geeignet, da sie der netzförmigen Strukturvon Straßennetzwerken nicht gerecht wird. Hier wurde deshalb ein speziel-les Tool entwickelt, mit dem sich Straßennetzwerke eingeben und generie-ren lassen. Die Eingabe erfolgt anhand von maßstabsgerechten Karten, dieim Eingabe-Editor als Modelliervorlage grafisch hinterlegt werden.

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Abb. 8. Für die Modellierung und Darstellung von Straßennetzwerken entwickelteRheinmetall Defence Electronics das START-Tool

Mithilfe dieses Tools werden die Straßen als Vektoren eingegeben. DieVektoren bestehen aus zwei oder mehr Stützpunkten, die zum einen denVerlauf der Straße beschreiben, andererseits aber auch das Profil der Stra-ße (Anzahl und Breite der Fahrspuren, Fahrbahnbelag etc.) definieren.Kreuzungen, an denen diese Vektoren aufeinander treffen, werden vomTool automatisch anhand der Straßenprofile erzeugt. Gehwege, Schienen,Häuserfassaden werden ebenfalls als Vektoren eingegeben. Sonstige 3-D-Features (Bäume, Verkehrszeichen etc.) stehen in Form einer Bibliothekzur Verfügung und können frei auf dem Gelände platziert werden.Das Tool generiert aus den Eingaben dann automatisch das texturierte

Grundgelände und platziert darauf Objekte – beispielsweise Gebäude,Bäume, Strommasten oder Verkehrszeichen – aus umfangreichen firmen-internen Modell- und Texturbibliotheken.Abschließend sind nun noch die Simulatorbasisdaten zu generieren. Ty-

pische Daten hierfür sind Steuerdaten für dynamische und schaltbare Da-tenbasisanteile, Höhendaten, Daten zur Kollisionserkennung (Kollisions-boxen um dynamische und Feature-Modelle), Fahrbahnen, Schienen-

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Simulation und virtuelle Welten – IT-Technologien der Zukunft 169

verläufe, Fußwege, Haltepunkte, Positionen und Typen von Ereignissen,Vektor-Daten zur Generierung topografischer Karten sowie Untergrund-und Materialeigenschaften.Die Simulatorbasisdaten werden durch den Einsatz entsprechender

Tools weitgehend automatisch aus der Geometrie der modellierten Daten-basis abgeleitet. Beispielsweise lassen sich die Höhendaten gut aus demtriangulierten Gelände erzeugen.Nur solche Steuerdaten, die nicht aus der Datenbasisgeometrie extra-

hiert werden können, werden zusätzlich manuell bei der Modellierung miteingegeben. Dies gilt etwa für Verkehrsampeln: Ort und Typ der Ampelwerden automatisch aus der Datenbasis abgeleitet; die Zuordnung der Am-pel zu den Fahrspuren muss vom Modellierer jedoch manuell eingegebenwerden, da sie sich aus der Geometrie allein nicht ableiten lässt. Die gene-rierten Steuerdateien werden anschließend visuell am Sichtsystem bezie-hungsweise an der Modellierstation überprüft. Dies wird durch entspre-chende Visualisierungs-Tools unterstützt.Damit entsteht eine virtuelle Welt, die den jungen Polizeibeamten

schnell vergessen lässt, dass er sich nicht auf einer realen Einsatzfahrt be-findet. Jedoch ist die Nachbildung von Originalschauplätzen bislang einsehr zeit- und kostenintensiver Prozess.

Abb. 9. Berlin virtuell: In solch einer Umgebung kann das Fahrverhalten für denErnstfall risikolos trainiert werden

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Um die Nachbildung realer Schauplätze zu erleichtern, arbeitet Rhein-metall Defence Electronics gemeinsam mit europäischen Forschungsinsti-tuten und Katasterbehörden an einem flächendeckenden Standard zumErstellen und zum Austausch von 3-D-Stadtmodellen. Moderne Erfas-sungsmethoden wie fotogrammetrische Luftbildauswertung und Lasers-canning-Verfahren werden eingesetzt, um großflächige Stadtgebiete origi-nalgetreu nachzubilden. Durch die Definition eines gemeinsamenStandards lassen sich die Stadtmodelle zukünftig für eine Vielzahl ver-schiedenster Anwendungen nutzen, zum Beispiel zur Stadtplanung, Wirt-schaftsförderung, für touristische Zwecke – und natürlich zur Ausbildungim Simulator. Durch die Kompatibilität der Modelle lassen sich dieseleicht austauschen. Auf Knopfdruck begibt sich der Einsatzwagen des jun-gen Polizisten dann von der Düsseldorfer Kö zum Kölner Dom – natürlichnur virtuell.Der Fortschritt der IT ermöglicht nicht nur die Simulation in zunehmend

komplexeren Szenarien. Die heute verfügbaren Netzwerktechnologien er-lauben vernetzte Simulationen im Verbund, und Methoden der künstlichenIntelligenz sorgen dafür, dass die computersimulierten Akteure zunehmendrealistisch im Szenario agieren. Moderne Sensoren liefern immer genaue-re, digitale Abbilder der realen Welt. Architekten stellen mithilfe der com-putergestützten Konstruktion exakte Beschreibungen von Gebäuden ein-schließlich deren Innenräume zur Verfügung.Der Entertainment-Bereich treibt die Entwicklung beeindruckend realis-

tischer Effekte und Animationssequenzen voran.Das Zusammenwachsen diverser IT-Anwendungsfelder und die logische

Verknüpfung der oftmals noch verteilt gehaltenen, anwendungsspezifi-schen Datenbestände eröffnet der virtuellen Simulation zukünftig immerneue Anwendungsfelder. Rheinmetall Defence Electronics wird diese IT-Synergieeffekte weiterhin nutzen, um auch in der virtuellen Welt immereinen Schritt voraus zu sein.

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Praxisbeispiele: Innovation durch ITim Prozess

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Innovative Geschäftsprozesse – Wertbeitrageines modernen IT-Managements

Klaus Hardy Mühleck, CIO Volkswagen AG

IT in der Automobilindustrie – Spannungsfeld externerund interner Faktoren

Die Automobilindustrie im Umbruch

Die Automobilbranche besitzt seit Ihren Anfängen eine besondere Rolleim Wirtschaftsgefüge. Sie war und ist Ursprung von Innovationen undTreiber nicht nur des technologischen Fortschritts. Neue Fertigungsverfah-ren, Werkstoffe oder auch moderne Formen der Arbeitsorganisation findenihren Ursprung in der Automobilindustrie. Dabei vollziehen sich die Ent-wicklungsprozesse oftmals nicht gleichmäßig, wie an der aktuellen Um-bruchphase zu erkennen ist.Als Unternehmen dieser Industrie sieht sich Volkswagen einer Reihe

branchenspezifischer Herausforderungen gegenübergestellt. Die Automo-bilindustrie befindet sich insgesamt in einem Verdrängungswettbewerb.Die klassischen Automärkte in Westeuropa, Nordamerika oder Japan sindgrößtenteils gesättigt. Wachstumsimpulse gehen zurzeit eher von dynami-schen Volkswirtschaften aus, insbesondere im asiatischen Raum.Wesentliches Merkmal dieses Verdrängungswettbewerbs sind die welt-

weit bestehenden Überkapazitäten. Expertenschätzungen gehen von circa20 Millionen Einheiten aus (Mercer-Studie aus dem Jahr 2000). Diese Si-tuation wird dadurch verschärft, dass dennoch in einigen Regionen neueKapazitäten aufgebaut werden. Beispiele hierfür sind der Aufbau von Fab-riken in Osteuropa. Zusätzlicher Kostendruck auf die traditionellen Auto-mobilstandorte erwächst dadurch, dass diese Fertigungskapazitäten bevor-zugt in Niedriglohnländern entstehen.Trotz aller Konsolidierungstrends – die Zahl selbstständiger Automobil-

hersteller sank in den vergangenen 40 Jahren um rund 75 Prozent – treten

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174 Klaus Hardy Mühleck, CIO Volkswagen AG

neue Wettbewerber auf den Markt. Insbesondere koreanische und chinesi-sche Unternehmen sind als Beispiel zu nennen. Beschränkten letztere ihreAktivitäten bislang nur auf den Heimatmarkt, sorgte die Einführung eineschinesischen Geländewagens auf dem europäischen Markt im Sommer2005 für Aufsehen. Weitere Markteinführungen werden folgen.Die Spielregeln des Wettbewerbs werden auch durch veränderte rechtli-

che Rahmenbedingungen beeinflusst. Die im Jahr 2003 geänderte Grup-penfreistellungsverordnung führt zu einem intensiveren Wettbewerb in denVertriebskanälen der EU-Mitgliedsstaaten. Als weiteres Beispiel mag dieDiskussion um eine Modifikation der Besteuerungsgrundlage der Kraft-fahrzeugsteuer dienen, die im Zusammenspiel mit den nachhaltig gestiege-nen Kraftstoffpreisen Veränderungen im Kaufverhalten der Kunden aus-löst, was in einer verstärkten Nachfrage nach verbrauchsarmen Fahrzeugenmündet.Über die vergangenen Jahre hinweg war zudem ein Wandel der Kun-

denbedürfnisse nach individuellen Fahrzeugen zu beobachten. Die Auto-mobilhersteller reagieren hierauf durch eine deutliche Ausweitung derModellpaletten. Damit steigt die Komplexität der Produkte selbst. ABS,ESP oder Innovationen wie die automatische Distanzregelung, schlüssello-se Startsysteme, Kurvenfahrtlicht etc. haben zu einer deutlichen Erhöhungdes Anteils der Elektronik im Fahrzeug geführt. Eigenart von Entwicklun-gen dieser Art ist, dass sie sich durch das komplette Unternehmen ziehen.Forschung und Entwicklung (F&E), Produktion und in zunehmendem Maßder Kundendienst müssen die neue Komplexität handhaben. Da sich dieAutomobilproduzenten auf allen Wertschöpfungsstufen verstärkt kompe-tenter Partner bedienen, handelt es sich um eine Entwicklung, die sichdurch das gesamte Wertschöpfungssystem zieht.

Die Rahmenbedingungen für die IT im Volkswagen-Konzern

Trotz der im vorangehenden Abschnitt beschriebenen Situation, in der sichdie Automobilindustrie gegenwärtig befindet, setzte der Volkswagen-Konzern 2005 insgesamt mehr als 5,24 Millionen Fahrzeuge ab, 3,2 Pro-zent mehr als im Vorjahr. Wenn man sich die Umstände verdeutlicht, unterdenen diese Leistung vollbracht wird, treten die Herausforderungen für dieIT zutage. Jährlich über fünf Millionen Fahrzeuge werden in 47 Ferti-gungsstätten (siehe Abbildung 1) produziert. Rund zehn bis fünfzehnFahrzeuganläufe sind pro Jahr durchzuführen. Täglich werden mehr als21 000 Kundenbestellungen und Auslieferungen in insgesamt 150 Märktenbewältigt. Ferner gibt es eine Vielzahl fahrzeugbezogener Dienstleistungen– wie Kundendienst und Originalteile sowie kundenbezogene Dienstleis-

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Innovative Geschäftsprozesse – Wertbeitrag eines modernen... 175

tungen wie Finanzierung, Leasing, Vermietung und Versicherungen – de-ren Erstellung ohne den Einsatz von IT überhaupt nicht mehr vorstellbarist.Die IT unterstützt sämtliche Aktivitäten, indem die geeigneten Anwen-

dungen zur Verfügung gestellt werden, um einen reibungslosen Geschäfts-betrieb sicherzustellen. Dazu müssen mehr als 340 000 Mitarbeiter mit In-formationen und Daten versorgt und über 30 Rechenzentren weltweitbetrieben werden.

Abb. 1. Produktions- und Montagestandorte im Volkswagen-Konzern

Aufgaben und Umsetzung der ITP&O (IntegrationTechnology, Processes & Organization) im Volkswagen-Konzern

Positionierung und Aufgaben der IT im Volkswagen-Konzern

Die vorangehenden Darstellungen zeigen, dass sich die IT heute in einemSpannungsfeld bewegt. Auf der einen Seite steht eine zunehmende Kom-plexität der Aufgaben, die in neuen Anforderungen an die IT-Lösungenzum Ausdruck kommt. Auf der anderen Seite ist ein signifikanter Kosten-druck zu spüren, der direkt auf IT-Budgets weitergegeben wird. Der Erklä-rungsdruck bezüglich der Notwendigkeit der Investitionen lastet dabeinicht nur auf den beauftragenden Fachbereichen, sondern ebenfalls auf derIT.

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176 Klaus Hardy Mühleck, CIO Volkswagen AG

Dieser skizzierte Wandel der Rahmenbedingungen, unter denen IT-Leistungen erbracht werden, führt zwangsläufig zu einem geändertenSelbstverständnis der IT. Die reine Bereitstellung und Entwicklung vonApplikationen und Services der IT genügt nicht mehr, um deren Existenzim Unternehmen zukünftig zu sichern.Bei Volkswagen nehmen wir die Herausforderung in der Form an, dass

wir erstens konsequent nach dem Wertbeitrag der IT fragen und zweitensdie Voraussetzungen schaffen, um diesen Wertbeitrag auch nachhaltigerbringen zu können. Der Einsatz von technologischen Innovationen alleinreicht nicht mehr aus. Prozessorientierte und organisatorische Innovatio-nen sind in den Fokus der IT-Verantwortlichen gerückt..Aus einer strategischen Perspektive besteht die Zielsetzung der IT darin,

die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung der Unternehmens-strategie zu schaffen. Die Strategie des Unternehmens und die Möglichkei-ten der modernen Informationstechnologien bilden die Faktoren, in derenRahmen die IT-Strategie zur Entfaltung kommt. Versteht man IT als Res-source, die den Unternehmensaktivitäten zugrunde liegt, führt die Orientie-rung am Wertbeitrag der IT zur Trennung in einen strategischen und einenoperativen Teil der IT.

Abb. 2. Angebotsportfolio der heutigen IT

Auf der operativen Ebene steht die Versorgung des Unternehmens mitkostengünstiger Informationstechnologie im Vordergrund. Für einen Au-tomobilhersteller umfasst die operative IT die Bereitstellung der Infra-struktur sowie Entwicklung und Betrieb aller Services und Applikationen,die nicht zwingend unternehmensspezifisch sind. Auf dieser Ebene können

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Innovative Geschäftsprozesse – Wertbeitrag eines modernen... 177

keine Wettbewerbsvorteile erzielt werden. Strategische Bedeutung erlangtdie IT hingegen dann, wenn sich durch den Einsatz von Informationstech-nologien Unternehmen im Wettbewerb differenzieren können. Das heißt,wenn IT-Potenziale auf intelligente Weise genutzt werden, um die Ge-schäftsprozesse weiterzuentwickeln und Organisationsstrukturen zu ver-netzen.Vor dem hier skizzierten Hintergrund ist die Anpassung der Aufgaben

der IT an die neuen Rahmenbedingungen unausweichlich. Im Wesentli-chen handelt es sich um eine Ausweitung des Angebotsportfolios mit demZiel, den Wertbeitrag für das Unternehmen nachhaltig zu erhöhen. Dasheißt, entlang der Wertschöpfungskette ist eine maximale Ausschöpfungder Ertragspotenziale zu erzielen. Der Mitteleinsatz der IT wird gezielt aufderen langfristige Ertragswirksamkeit ausgerichtet. Dazu gehören bei-spielsweise Maßnahmen zur Verkürzung der Produktanlaufphasen (Timeto Market).Das IT-Angebotsportfolio des Volkswagen-Konzerns (siehe Abbildung 2)

konzentriert sich auf folgende Bereiche

• Effektivitäts- und Wachstumssteigerung durch Kundenorientierung undGestaltung innovativer Produkte, Vernetzung von Organisationseinhei-ten und externen Partnern sowie Integration von Prozessen und IT ent-lang der Wertschöpfungskette (Einsatz von Customer Relationship Ma-nagement)

• Effizienzsteigerung durch die Vereinheitlichung der Geschäftsprozessein Marken und Ländergesellschaften sowie der Bereitstellung von inte-grativen und kosteneffizienten IT-Systemen (Einsatz von Portalen)

• Effizienzsteigerung durch Bündelung von Ressourcen und Standardisie-rung von IT-Systemen sowie flexible Ressourcensteuerung (Steuerungder weltweiten Ressourcen durch IT-Governance)

Der steigenden Bedeutung der IT als strategischer Unternehmensres-source wird zunehmend dadurch Rechnung getragen, dass die IT-Verantwortlichen auf den Top-Entscheidungsebenen der Unternehmen an-gesiedelt sind. So ist beispielsweise im Volkswagen-Konzern der CIO(Chief Information Officer) Mitglied der Konzernleitung. Dem beschrie-benen Aufgabenwandel der IT wird ferner durch einen erweiterten Ver-antwortungsbereich Rechnung getragen. Der CIO trägt gleichermaßen dieVerantwortung für die Informationstechnologie sowie für die Prozess- undOrganisationsgestaltung. Dem Volkswagen-Konzern-CIO sind damit dieBereiche Integration Technology, Processes und Organization (ITP&O)unterstellt.

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178 Klaus Hardy Mühleck, CIO Volkswagen AG

Prozessorientierung im Konzern

War die IT-Organisation bei Volkswagen bislang ein Spiegelbild der Un-ternehmensorganisation und daher funktional ausgerichtet, stellen nach ei-nem umfassenden Transformationsprozess nun die Kerngeschäftsprozesseden Ankerpunkt der ITP&O-Organisation (siehe Abbildung 3) dar. Beidiesen handelt es sich um

• Produktprozess (PP) als Prozess der Produktentwicklung und -ent-stehung

• Kundenauftragsprozess (KAP), in dem ein Fahrzeug im Kundenauftraggefertigt wird

• Serviceprozess vor Kunde (SPK) mit den verschiedensten Schnittstellenzum Kunden im Vertrieb und so genannten After-Sales-Geschäft

• strategische Steuerungsprozesse und unterstützende Prozesse (SUP)

Die Perspektive auf die Kerngeschäftsprozesse erschließt für Volkswa-gen als Automobilhersteller neue Optimierungspotenziale. Gerade durcheine Prozessperspektive wird die integrative Wirkung von Daten deutlich,durch die eine auf eine einzelne Funktion gerichtete Optimierung vermie-den wird.

Abb. 3. ITP&O-Matrixorganisation im Volkswagen-Konzern (vereinfachte Dar-stellung)

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Innovative Geschäftsprozesse – Wertbeitrag eines modernen... 179

Die Geschäftstätigkeit im Volkswagen-Konzern ist nach Marken-gruppen gegliedert. Mit dieser Gliederung werden Marketing-strategischeÜberlegungen sowie die Eigenarten verschiedener Geschäftsmodelle derBereiche Automotive und Finanzdienstleistung berücksichtigt. In jederMarkengruppe findet sich eine eigenständige ITP&O-Organisation, um soden dezentralen Erfordernissen bei der Erbringung von IT-LeistungenRechnung tragen zu können.Die klare Prozessausrichtung der ITP&O-Organisation wird durch die

Einrichtung von Process Integration Officers (PIO) für die jeweiligenKerngeschäftsprozesse deutlich. Die PIOs verantworten in den Kernge-schäftsprozessen sowohl die Prozesslandschaften als auch die IT-System-portfolios. Die PIO-Struktur basiert auf insgesamt 21 Fachkompetenzfel-dern. Im PIO-Bereich Produktprozess gibt es beispielsweise die Fach-kompetenzfelder CAD/CAM, virtuelle Techniken zur Fahrzeugent-wicklung und Stücklisten-Management. Im Bereich Kundenauftragspro-zess sind das unter anderem die Stücklistenauflösung und die Fabriksteue-rung. Während die PIOs die Fachkompetenzfelder verantworten, ist derChief Technology Officer (CTO) für die übergreifenden IT-Kompetenz-felder zuständig. Dazu zählen beispielsweise die Felder Business Intelli-gence oder serviceorientierte Architekturen (SOA). Der CTO bündelt dasIT-Know-how und legt Technologiestandards fest. Darüber hinaus bringenseine Mitarbeiter ihre Technologiekompetenz in die Projekte der PIO-Organisationen ein. Im Bereich IT-Services sind all jene Aufgaben ge-bündelt, die dem Betrieb der IT vom Host über Server bis hin zu Desktopsoder mobilen Technologien dienen. Die Professionalisierung der IT-Steuerung steht im Mittelpunkt der IT-Governance, die durch die entspre-chende Methodenkompetenz, die Planungs- und Kontrollprozesse insbe-sondere auf der strategischen Ebene unterstützt.Um in möglichst hohem Maße Synergien im Konzern sicherzustellen,

wurden die beschriebenen Funktionen auch auf Konzernebene eingerich-tet. Diese Konzernfunktionen verfügen über entsprechende Richtlinien-kompetenz. Auf dieser Basis werden auf Prozessebene und im Technolo-giebereich Konzernstandards festgelegt.Gegenstand des nachfolgenden Kapitels ist die Darstellung der ver-

schiedenen Bausteine der ITP&O-Organisation. Neben der Beschreibungihrer Aufgaben liegt ein besonderes Augenmerk auf der Beschreibung ih-res jeweiligen Beitrags zur Steigerung des Unternehmenswerts.

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180 Klaus Hardy Mühleck, CIO Volkswagen AG

Generierung von Unternehmenswerten durch dieBausteine der ITP&O-Organisation

Professionalisierung der Steuerungsaufgaben durch die IT-Governance

Voraussetzung für die erfolgreiche Erfüllung der IT ist eine klare Be-schreibung der IT-Strategie, der Ziele sowie des Leistungsportfolios. DieIT-Governance stellt die Methoden und Instrumente zur Verfügung, damitdie ITP&O-Organisation ein von allen getragenes Bild entwickeln kann.Sie steuert unter anderem den gesamten Strategieentwicklungsprozess so-wie das Programmportfolio (siehe Abbildung 4).Das Kosten- und Nutzenpotenzial der IT kann nur dann vollständig er-

schlossen werden, wenn die IT die Bedürfnisse und Ziele der Fachbereichekennt und proaktiv Ansätze zu deren Umsetzung macht. Dies setzt eineenge Zusammenarbeit und Abstimmung zwischen der IT und den Fachbe-reichen voraus.

Abb. 4. Aufgaben der IT Governance im Überblick

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Innovative Geschäftsprozesse – Wertbeitrag eines modernen... 181

Wie bereits angedeutet, stellt die IT-Governance die „Straßenverkehrs-ordnung der IT“ zur Verfügung. Dieser Prozess beginnt auf der Fachbe-reichsseite, auch Demand-Seite genannt, die Owner der Geschäftsprozessesind. Er reicht bis zur Supply-Seite der operativen IT, die für die Leis-tungserbringung wie Rechenzentrumsbetrieb oder Software-Entwicklungverantwortlich ist. Die IT-Governance integriert beide Sichten und stimmtsie optimal aufeinander ab. Die Festlegung der ITP&O-Strategie erfolgt imRahmen eines Strategieprozesses, bei dem eine Synchronisation der unter-nehmerischen Ziele und Strategien mit den IT-Zielen und Strategien vor-genommen wird (siehe Abbildung 5).Im Rahmen der ITP&O-Strategie wird das Budget über den Strategie-

und den Portfolioprozess konzernweit im Hinblick auf Investitionsent-scheidungen, Projektpriorisierung und die Verteilung der Ressourcen ge-steuert. Zur Sicherstellung dieses Prozesses wurden entsprechende Gre-mien auf unterschiedlichen Ebenen geschaffen, die sowohl die Strategienund Ziele als auch die Projektrealisierung verfolgen. Das Portfolio-Management erfolgt in mehreren Schritten

• Bewertung der IT-Projekte mittels Business Case• Priorisierung der IT-Projekte anhand des Business Case• Erstellung eines Umsetzungsplans, der den strategischen IT-Bebauungsplan sowie die Roadmap, quasi eine Wegbeschreibung, um-fasst

Abb. 5. Abstimmungsprozess zwischen Fachbereichen und ITP&O-Organisation

Die Erstellung eines Business Case erfordert eine enge Zusammenarbeitzwischen der IT und den Fachbereichen. Die Kostenseite, das heißt die

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182 Klaus Hardy Mühleck, CIO Volkswagen AG

einmalige Investition und die laufenden Kosten, ist in der Regel schnellermittelt. Das Kostensenkungspotenzial aus der Effizienzsteigerung derGeschäftsprozesse (zum Beispiel Kosteneinsparungen in der Logistikdurch geringere Bestände aufgrund schnellerer Durchlaufzeiten) sowie dasUmsatzpotenzial durch vertriebsorientierte Technologien wie CRM kön-nen nur gemeinsam mit den Fachbereichen ermittelt werden.Der Wertbeitrag der IT-Governance tritt deutlich in Strategie- und Port-

folioprozess zutage. Der Einsatz der Ressource IT und der an ihr arbeiten-den Mitarbeiter wird durch die ITP&O-Strategie gezielt gesteuert. Eineklare strategische Vorgabe im Bereich der Technologiestandards hilft bei-spielsweise dabei, den Aufbau und die Weiterentwicklung der Mitarbeitervorzunehmen, um somit eine maximale Gestaltungskraft zu entwickeln.Der Portfolioprozess stellt anschließend sicher, dass im Rahmen der Stra-tegievorgaben die knappen monetären Ressourcen tatsächlich der bestenVerwendung zugeführt werden, um so den Unternehmenswert zu maxi-mieren.

IT-Architektur und -Standards – technologische Leitplankender Unternehmensentwicklung

Entscheidungen für eine Technologie oder ein bestimmtes Tool haben inder IT häufig eine langfristig bindende Wirkung. Von ihnen hängenLieferbeziehungen und Qualifizierungsbedarfe genauso wie Potenziale zurWeiterentwicklung dieser Technologie und somit die Flexibilität des Un-ternehmens zur Anpassung an geänderte Rahmenbedingungen ab. Fehlent-scheidungen können die oftmals hohen Investitionsaufwendungen des IT-Einsatzes infrage stellen und einen Technologiewechsel erfordern.Der Einsatz eines Chief Technology Officers im Volkswagen-Konzern

hat zum einen die Aufgabe, technologische Grundsatzentscheidungen zusteuern und das Risiko von Fehlinvestitionen zu reduzieren. Zum anderenliegt seine Aufgabe in der Setzung von Konzernstandards, um auf dieseWeise Synergiepotenziale zu erschließen. Zwar werden damit dezentraleEntscheidungsfreiräume eingeengt, allerdings wird auch der in der Ver-gangenheit oftmals entstandene Wildwuchs der IT-Lösungen bereinigt undfür die Zukunft vermieden.Technologiekomponenten werden zu sinnvollen Architekturen zusam-

mengefügt (siehe Abbildung 6) und stehen als Baukasten für die Projekt-arbeit zur Verfügung. Wo es möglich ist, wird nur ein Standard angeboten,und wo es sinnvoll ist, stehen begrenzte Alternativen für verschiedene An-forderungen zur Verfügung.

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Abb. 6. Architekturbaukasten

In der Bündelung der Technologiekompetenzen unter der Verantwor-tung des CTOs liegt ein weiterer Vorteil. War das Know-how zu einer spe-zifischen Technologie in der Vergangenheit teilweise über verschiedeneTeilbereiche der IT verteilt, steht heute dieses Wissen zentral zur Verfü-gung. In der Projektarbeit wird dann auf dieses Wissen zurückgegriffen,ohne dass es mehrfach aufgebaut werden muss. Die CTO-Organisation hatfolglich nicht nur die Architekturkonformität von Lösungskonzepten zubestätigen, sie trägt auch die Verantwortung für die Einbringung ihrestechnischen Sachverstands in Projekten.

Beispiele aus den Kerngeschäftsprozessen

Strategische Steuerungs- und unterstützende Prozesse (SUP)

Die strategischen Steuerungs- und unterstützenden Prozesse umfassenKonzernbereiche wie Unternehmenssteuerung, Personal, Finanzwesen/Rechnungswesen/Controlling, Qualitäts-Management und allgemeineDienstleistungen. Zentrale Aufgaben der IT in strategischen Steuerungs-und unterstützenden Prozessen sind

• durchgängige finanzielle Unternehmenssteuerung des gesamten Kon-zerns über die Gesellschaften und Teilkonzerne (zum Beispiel durch Be-

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184 Klaus Hardy Mühleck, CIO Volkswagen AG

reitstellung integrierter Kennzahlensysteme entlang der Kerngeschäfts-prozesse)

• Effizienzsteigerung des Controlling & Reporting durch die Nutzungeinheitlicher Instrumente (Implementierung der nachfolgend beschrie-benen „Global Treasury Platform“)

• Effizienzsteigerung der Fachbereiche und IT durch die Nutzung wieder-verwendbarer und durchgängiger IT-Tools wie Portaltechnologien,Dokumenten-Management, Workflow-Management

Ein Beispiel für einen innovativen Geschäftsprozess im SUP stellt diekonzernweite Harmonisierung und Konsolidierung im Zahlungsverkehrdurch die Etablierung einer Global Treasury Platform dar. In der Aus-gangssituation organisierten die verschiedenen Konzerngesellschaften ih-ren Zahlungsverkehr eigenständig. Auf diese Weise wurden Best-Practice-Lösungen nicht durchgängig im Konzern genutzt. Zum anderen fielen imZahlungsverkehr oftmals vermeidbare Gebührenzahlungen an. Die Lösungdieses Problems stellt die so genannte Global Treasury Platform dar. Überein standardisiertes Template werden künftig das Cash-, Credit- und Risk-Management abgewickelt. Die Verfügbarkeit eines Konzern-Templates fürdiese Treasury-Lösung erlaubt ein effizientes weltweites Rollout, bei dembis 2007 über 80 Konzerngesellschaften angebunden werden.Der Wertbeitrag dieser neuen Lösung ist aufseiten des Fachbereichs

insbesondere in einer optimierten Finanzdisposition, in einer Reduktiondes Working Capital, der Vermeidung von Gebühren und in der Vermei-dung unnötigen manuellen Aufwands zu sehen. Aus Sicht der IT werdenvor allem der Aufwand für Betrieb und Pflege sowie Lizenzkosten redu-ziert.

Produktprozess

Der Produktprozess umfasst den gesamten Lebenszyklus eines Produkts,vom Beginn der Produktplanung und -definition über die Produktentste-hungsphase bis zur Serienbetreuungsphase. Die Aufgaben im Produktpro-zess sind unter anderem

• die Verkürzung des Produktprozesses im Konzern (Time to Market) unddie Sicherstellung einer hohen Produktvielfalt

• die Integration von finanzspezifischen Anforderungen im Produktpro-zess

• der Ausbau des Produkt- und Projekt-Managements zur transparentenSteuerung von Fahrzeugprojekten

• der Ausbau der digitalen Fabrik• die Integration des Elektronikprozesses in allen Kernprozessen

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Innovative Geschäftsprozesse – Wertbeitrag eines modernen... 185

• die Unterstützung des Ausbaus von Produktprozesskompetenz in allenStandorten

An dieser Stelle verweisen wir auf den Beitrag von Klaus Straub (AudiAG) in diesem Buch.

Kundenauftragsprozess (KAP)

Der Kundenauftragsprozess umfasst die gesamte Auftragsverfolgung vomProduktprozess über den Planungsprozess, die Auftragseinplanung, dieFertigungssteuerung sowie die Distribution bis zur Fahrzeugübergabe.Aufgaben im Kundenauftragsprozess sind unter anderem

• die Komplexitätsreduzierung, ein markenübergreifendes Kundenauf-tragsprozess-Controlling, der Austausch von Best-Practice-Lösungenüber alle Marken

• die Lieferantenauswahl und das Bedarfs- und Kapazitäts-Management• die marktkonforme Programmplanung, die Steigerung der Änderungs-flexibilität

• die Distributionsbeschleunigung sowie die Verkürzung der Kundenauf-tragsdurchlaufzeiten (Time to Market)

Serviceprozess vor Kunde (SPK)

Der Serviceprozess vor Kunde umfasst das gesamte Kundenbeziehungs-Management der Bereiche Originalteile, Werkstattservice, Gebrauchtwa-gen sowie Finanzdienstleistungen inklusive Leasing und Vermietung.Aufgaben im Kundenauftragsprozess sind unter anderem

• die Erhöhung der Kundenzufriedenheit, -loyalität und -bindung (Invest-ments in CRM-Maßnahmen)

• die Komplexitätsreduzierung (wie ein auf Ressourcen fokussierter Ein-satz)

• das weltweite Re-Design Wholesale (wie Standardisierung undModularisierung von flexiblen Wholesale-Prozessen und -Systemen)

• die Steigerung der Verkaufs- und Handlungskompetenz (wie der Aufbauvon weltweiten Trainings- und Personalaustauschprogrammen)

Im Serviceprozess vor Kunde steht in den kommenden Jahren wenigerein einzelnes System im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit als vielmehr dasProgramm GPS 2010 (Global Process and System Strategy 2010). Zieldieses Programms ist die konzernweite Harmonisierung und Standardisie-rung der Prozesse und Systeme im Vertriebskanal. Hierdurch werden aufder einen Seite weltweit standardisierte und optimierte Prozesse erreicht,

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wodurch auch die Steuerung der Vertriebskanäle verbessert werden soll.Auf der anderen Seite werden durch Synergieeffekte auch Kosteneinspa-rungen ermöglicht. Im Rahmen von GPS 2010 werden verschiedene Teil-prozesse erfasst. Neben dem Customer Relationship Management sind diesdie Auftragsabwicklung für Neufahrzeuge, der Originalteilevertrieb, dieGewährleistungsabwicklung sowie das Finanz-Management und das Cont-rolling. Durch die Festlegung einer Konzernlösung für das Dealer Manage-ment System deckt GPS 2010 sämtliche Prozesse auf der Ebene des Ein-zelhandels ab.

IT-Services – Effizienz im Betrieb der Anwendungen

Die IT-Services umfassen die laufende Verfügbarkeit von Software sowiedie Bereitstellung der Hardware im Konzern. Wie bereits eingangs er-wähnt, bestehen im Bereich IT-Services keine Chancen auf die Erlangungvon Differenzierungspotenzialen. Aus diesem Grund steht gerade dieserTeilbereich der ITP&O unter einem besonderen Konsolidierungsdruck.Gleichwohl kommt dem IT-Servicesbereich eine wesentliche Rolle im Un-ternehmen – nämlich der Sicherstellung des Geschäftsbetriebs – zu. DieSpaltung von der strategischen und operativen IT wird in diesem Bereichbesonders deutlich. Auch wenn die IT-Services fast vollständig der opera-tiven IT zuzuordnen sind, sind auch auf diesem Gebiet strategische Aufga-ben insbesondere zur Ausschöpfung der Kostenreduzierungspotenziale un-umgänglich. Hierzu zählen unter anderem

• die Implementierung eines konzernweiten vereinheitlichen Dienstleis-tungsportfolios mit standardisierten und harmonisierten Leistungen so-wie eine proaktive Unterstützung des Geschäftserfolgs

• die Sicherstellung von Kernkompetenzen sowohl durch qualifiziertesPersonal als auch durch einen optimalen Sourcing-Mix mit dem Ziel derKonzentration auf die Kerngeschäftsprozesse

• die Senkung der Servicekosten durch stetige Optimierung bei gleichzei-tiger Erhöhung der Servicequalität

• der Aufbau und die Umsetzung der Business Continuity und von IT-Security-Konzepten

An der Ausnutzung der Kostenreduzierungspotenziale setzt das ProjektGlobal Client & Client Design an. Unterschiedliche Beschaffungszyklender Hardware und nicht präzise formulierte Vorgaben im Bereich derStandards haben dazu geführt, dass eine große Bandbreite verschiedenerDesktops und Notebooks verschiedenster Hersteller im Einsatz war. Aufdiesen Geräten liefen dann zwar das Betriebssystem und die Office-Suiteeines Herstellers, allerdings in unterschiedlichen Versionsständen. In der

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Folge waren erhöhte Support-Kosten zu verzeichnen. Zielsetzung des Pro-jekts Global Client & Client Design ist daher die durchgängige Vereinheit-lichung im Desktop-Bereich. Regional kann diese Software gemäß den je-weiligen Ansprüchen differenziert werden. Zukünftig wird weltweit einHardware-Hersteller den Volkswagen-Konzern beliefern.

Unternehmen durch Menschen entwickeln

Veränderungen im Unternehmen zu antizipieren und mitzugestalten – dassind unter anderem die zukünftigen Aufgaben der IT. Die strategischenAufgaben der IT, wie die der Prozess- und Organisationsoptimierung undeine weltweite Steuerung, nehmen weiter zu. Prozesspotenziale zu nutzenheißt, Wettbewerbsvorteile zu generieren und sich vom Markt zu differen-zieren. Die IT ist damit Mittler zwischen Prozessen und Technologien.Die Bewältigung der neuen Herausforderung war in den historisch ge-

wachsenen Strukturen nicht möglich, da diese nicht auf die Prozesse aus-gerichtet waren. Daher wurde eine Transformation durchgeführt und dieMitarbeiter wurden anhand der neuen Aufgaben qualifiziert.Das vorangehend beschriebene Bild der Aufgaben und Bausteine eines

modernen IT-Managements ist bei Volkswagen umgesetzt. Ein wesentli-cher Erfolgsfaktor für die gelungene Umsetzung dieser Transformation istdie Einbindung der Mitarbeiter. Diese sollen den Wandel der IT mittragen,mitgestalten und engagiert umsetzen. Daher reicht die Sicht auf das Ma-nagen von Projektteams und Organisieren von Aufgaben nicht mehr aus.Es gilt, die Wahrnehmung und Signale der Mitarbeiter zum Veränderungs-prozess zu berücksichtigen und mit diesen zusätzlichen Informationen denWandel gezielt voranzutreiben. Die interne Veränderungsbereitschaft istder Schlüssel zum Erfolg und muss während des gesamten Veränderungs-projekts berücksichtigt werden.Der Nutzen aus Veränderungsprojekten maximiert sich, wenn die Mit-

arbeiter einerseits das Gefühl haben, dass das Management seiner Füh-rungsaufgabe gerecht wird, und sie andererseits an den Veränderungenteilhaben. Die Verbindung dieser Top-down- und Bottom-up-Prozesse hel-fen, die unternehmerische und persönliche Veränderungsbereitschaft zusynchronisieren.Aus diesem Grund haben wir unsere Mitarbeiter von Anfang an in den

Transformationsprozess eingebunden. In einem eintägigen Kick-off-Meeting wurden 850 Führungskräften und Mitarbeitern die wesentlichenStrategien und Prinzipien der Neuausrichtung der Organisation vorgestelltund die anstehenden Veränderungen aufgezeigt. Am Ende dieser Veran-

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188 Klaus Hardy Mühleck, CIO Volkswagen AG

staltung konnten die Teilnehmer anonym ihre Meinung zu den anstehen-den Veränderungen mitteilen. Der gesamte Veränderungsprozess wurdedurch elektronische Befragungen der Mitarbeiter, Barometerabfragen unddie Durchführung von Fokusgruppen (Foren zu ausgewählten Prozessenund Themen) in Verbindung mit Intranetinformationen und Newsletternbegleitet.Es gilt nun, auf den Ergebnissen dieses Transformationsprozesses auf-

zubauen und die geschaffenen Strukturen permanent weiterzuentwickeln.Das Handeln muss hinsichtlich der Steigerung des Unternehmenswertsverstärkt hinterfragt werden. Wenn das gelingt, wird auch in Zukunft dieIT als eine wesentliche Kompetenz des Unternehmens gesehen werden.

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Virtuelle Absicherung im Produktprozess einesPremium-Automobilherstellers

Klaus Straub, CIO Audi AGDr. Oliver Riedel, Leiter Prozessintegration und Informations-Management Audi AG

Die Markenstrategien der Automobilindustrie mit der kontinuierlichenEinführung von Produktinnovationen, einer Vielzahl von Derivaten sowieeinem wachsenden Portfolio von Nischenprodukten stellen eine massiveHerausforderung an den Produktprozess eines jeden Herstellers dar. Ab-bildung 1 zeigt beispielhaft die Expansion der Audi-Fahrzeugpalette überdie Zeit. Neue Wege in der Produktentwicklung und Produktionsplanungsind notwendig, um unter diesen Rahmenbedingungen speziell die hohenQualitätsstandards eines Premiumherstellers wie der Audi AG zu gewähr-leisten.

Abb. 1. Expansion der Audi-Fahrzeugpalette

Audi 80

Audi 100

Aido Coupé

Audi 80

Audi 100

Audi 100 Avant

Audi Cabrio

Aido Coupé

A2

A3 2t / 4t

TT Coupé

TT Roadster

A4

A4 Avant

A6

A6 Avant

A8

1980 1990 2000

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190 Klaus Straub, Dr. Oliver Riedel

Hier spielt die so genannte Absicherung eine entscheidende Rolle imQualitäts-Management: Absicherung im klassischen Sinne bedeutete füreinen Automobilhersteller bislang, dass er zur Kontrolle der Produkteigen-schaften (zum Beispiel Geometrie, Baubarkeit und Funktion des zukünfti-gen Fahrzeugs) in unterschiedlichsten Varianten mehrere physische Mo-delle erstellen musste. Um dieses Instrument zur frühzeitigen Sicherstel-lung der Produktqualität weiter zu verfeinern, gleichzeitig aber auch kos-tenmäßig beherrschbar zu bleiben, wenn nicht mehr jede Produktvariantephysisch abgesichert werden kann, wurde die Virtuelle Absicherung Endeder 90er-Jahre eingeführt und wird seitdem stetig weiter entwickelt.Parallel eröffnen neue innovative Technologien der Informationstechnik

die Möglichkeit, in bislang nicht gekanntem Ausmaß physische Modelledurch Simulationen am Computer zu ersetzen. Bei neuen Fahrzeugderiva-ten sowie Baukasten- und Modularisierungsstrategien hat die Computer-simulation schon jetzt eine starke und schnell wachsende Durchdringungbei allen Automobilherstellern. Insofern stellt die Virtuelle Absicherungsowohl eine Konsequenz innovativen Handelns (Qualitätssicherung in derEntwicklung innovativer Fahrzeugprodukte) als auch eine Innovation insich selbst dar (Nutzung neuer innovativer Informationstechnik zur virtuel-len Abbildung physischer Modelle am Computer). Neben den technologi-schen Vorteilen ist auch der Zeit- und Kostenfaktor entscheidend: Audi er-hofft sich durch diese Ansätze Einsparungen von bis zu 10 Prozent derEntwicklungszeit und 20 Prozent der Entwicklungskosten pro Derivat.

Abb. 2. Aktuelles Einsatzspektrum für Virtuelle Absicherung im Produktprozess

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Virtuelle Absicherung im Produktprozess... 191

Vom Sequentiellen zum Parallelen: Neugestaltung desProduktprozesses

Die breite Unterstützung der Produktentwicklung und der Produktionspla-nung durch virtuelle Methoden bietet einen entscheidenden Vorteil gegen-über bisherigen Prozessen: Digitale Prototypen des zukünftigen Fahrzeugsstehen zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt zur Verfügung, als die ausden digitalen Daten generierten physischen Prototypen. Hierdurch ist eineParallelisierung von Prozessabschnitten möglich, die bisher sequenziell ab-laufen: Kann beispielsweise die Produktionsplanung früher in den Prozesseinsteigen, da digitale Modelle mit produktionsrelevanten Informationenzur Verfügung stehen, ergeben sich mannigfaltige Möglichkeiten der Pro-duktbeeinflussung in der so genannten frühen Phase.Die Virtualisierung der Prototypen ermöglicht außerdem auf bisher

nicht gekannte Weise eine gemeinsame Nutzung von Wissen und Kompe-tenzen über Fahrzeugmodell- und Ländergrenzen innerhalb eines Unter-nehmens hinweg. Da der Zugriff auf digitale Modelle nicht von deren phy-sischer Präsenz abhängt und die Modelle somit beliebig duplizierbar sind,können Entwickler und Planer parallel und an verteilten Standorten daranarbeiten. Verteilte Entwicklungen bis hin zur kompletten Auslagerung anZulieferer markieren die Speerspitze der neuen Möglichkeiten. Die ent-scheidenden Vorteile einer Parallelisierung im Produktprozess sind intuitivgreifbar: Durch die parallele Abarbeitung von Prozessschritten lassen sichdie Entwicklungszeiten verkürzen und ein besserer Reifegrad der Ent-scheidungen erreichen. Die Abhängigkeit von der Verfügbarkeit physi-scher Bau- und Testteile ist auf den Zugriff auf die digitale Information re-duziert.Parallele Prozesse erfordern allerdings eine wesentlich höhere Koordi-

nation der Prozessbeteiligten und eine strukturierte und zeitnahe Verfüg-barkeit von digitalen Informationen, also eine durchgängige Datenkettezwischen allen Prozessbeteiligten. Daraus ergeben sich auch neue Anfor-derungen an das Profil und die Qualifikation der im Entwicklungsprozessbeteiligten Mitarbeiter. Wo bisher nur die technischen Zeichnungen undModelle am Computer entworfen wurden, ist zukünftig die Digitalisierungweiterer Teile der Produktionskette notwendig. Mitarbeiter, die im traditi-onellen Prozess zum Beispiel im Prototypen- oder Versuchsbau Hand an-legten, müssen jetzt den Umgang mit einem digitalen Modell beherrschen.Neben den notwendigen technischen Kenntnissen steigt die Anforderungan die Soft Skills der Beteiligten, da Kommunikation und Kooperation we-sentlich mehr in den Vordergrund rücken als bisher.

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Rolle der Absicherung im Produktprozess

Die hauptsächlichen Einsatzmöglichkeiten für die Virtuelle Absicherungliegen in den Bereichen Geometrie, Simulation und Prototypenerstellung.Hinzu kommt die Möglichkeit, externe Parteien wie zum Beispiel strategi-sche Lieferanten ohne geografische und zeitliche Grenzen in den Absiche-rungsprozess mit einzubeziehen. Am geometrischen Modell lassen sich be-reits viele Anforderungen, etwa an Funktionen oder Spaltmaße, recht ein-fach untersuchen. Ein solches statisches Modell lässt sich oft aus vorhan-denen CAD-Daten der Konstruktion erstellen. Komplexer werden die An-forderungen bei der Simulation, dazu werden neben der geometrischen In-formation weitere Daten wie beispielsweise Materialeigenschaften benö-tigt. Neben den produktspezifischen Daten besteht auch die Option, diehochgradig dynamische und schwer vorhersagbare Umwelt in die Simula-tion mit einzubeziehen und somit verlässliche Vorhersagen über das Pro-duktverhalten in dieser Umwelt treffen zu können (siehe Abbildung 3).

Abb. 3. Strömungsverlauf am virtuellen Karosseriemodell

Die Daten und Strukturen eines so genannten „Digital Mock-Up“(DMU)-Modells können auch an vielen anderen Stellen im Produkt-prozess verwendet werden, die nicht direkt der klassischen Entwicklung

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Virtuelle Absicherung im Produktprozess... 193

zuzuordnen sind. Im Gegensatz zu einem geometrischen Modell verfügtdas DMU-Modell über eine reduzierte Geometrie, die „nur“ so aussieht,wie die Originalgeometrie. Digitale Modelle dienen letztendlich auch alsVorbereitung zum Aufbau von physischen Modellen, sowohl für Proto-typen als auch für die Serienproduktion, jedoch mit dem Ziel, durch eineVorabbeurteilung im Virtuellen die Anzahl der physischen Modelle zu re-duzieren.Auch im Bereich After-Sales-Services (zum Beispiel Kundendienst) bietetdie frühe Verfügbarkeit von Produktinformationen einen entscheidendenVorteil für die Beschleunigung der Prozesse bei der Erstellung der service-relevanten Dokumentation. Für diese Dokumentationen über ein Fahrzeugmussten bisher physikalisch vorhandene Modelle verfügbar sein, um diesefotografisch zu erfassen. Das virtuelle Modell bietet hingegen nicht nur ei-ne früher verfügbare Modellansicht, sondern auch ein beliebig zu verviel-fältigendes und universell verwendbares Abbild der zukünftigen Realität.Diese Art der Dokumentation kann zum Beispiel bei der Anfertigung vonBordliteratur, Reparaturleitfäden, Bildtafeln für Ersatzteile oder Informati-onen für Betriebseinrichtungen und Spezialwerkzeuge verwendet werden.Zukünftige Einsatzszenarien sind darüber hinaus in Schulung und Trainingdes Servicepersonals oder zur Vorplanung von Servicearbeitszeiten ange-dacht.

Voraussetzungen für erfolgreiche Virtuelle Absicherung:durchgängiges Daten-Management

Die Voraussetzung für eine erfolgreiche Virtuelle Absicherung eines Fahr-zeugprojekts ist eine durchgängige und konsistente Verwaltung der geo-metrischen und technischen Informationen. Alle Daten müssen über dengesamten Entwicklungszeitraum und -prozess aktuell und bedarfsgerechtgesammelt und zur Verfügung gestellt werden. Die Umsetzung dieser An-forderung führt zu der Herausforderung, auf der einen Seite eine möglichstganzheitliche Produktstruktur – im klassischen Sinne ist damit die Stück-liste gemeint – aufzubauen und auf der anderen Seite bedarfsgerechteStrukturen daraus abzuleiten. Die komplexen Anforderungen in der Fahr-zeugentwicklung konnten bisher nicht mit kommerziellen IT-Lösungen ineinem ganzheitlichen Ansatz realisiert werden. Daher entstanden in denvergangenen Jahren und Jahrzehnten eine Vielzahl von spezialisierten undindividuellen Lösungen, die hochgradig miteinander vernetzt sind. Umdiese gewachsene Komplexität in Zukunft zu beherrschen, ist ein Para-digmenwechsel erforderlich, der sowohl die Technologien des Produkt-

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Daten-Managements (PDM) als auch die Prozesse und Methoden konsoli-diert und für die virtuelle Produktentwicklung neu ausrichtet. Zu den Her-ausforderungen gehören der Aufbau einer frühen virtuellen Produktbe-schreibung zur Steuerung der Virtuellen Absicherung und deren Integrati-on mit der realen Produktbeschreibung, die über den gesamten Lifecycle(PLM) gepflegt wird.Die klassische Stückliste (Bill-of-Material, kurz BOM) stellt bereits eine

einfache aber verbindliche Produktbeschreibung dar und wird initial alsModell für die Steuerung der Fahrzeugproduktion genutzt. Für ein moder-nes und variantenreiches Fahrzeug kann eine solche Serienstückliste zwi-schen 20 000 und 50 000 Positionen enthalten. Die Varianz der Produkt-konfigurationen eines modernen Premiumfahrzeugs inklusive Farboptio-nen übersteigt leicht die Millionengrenze. In der frühen Phase der Kon-zeptentwicklung sind dagegen nur wenige hundert bis tausend Teile ent-wicklungsrelevant, jedoch müssen mehrere konkurrierende Entwicklungs-konzepte parallel gepflegt werden. Für ein Frontloading, das heißt für dieVerlagerung der Entwicklungsaktivitäten in die frühe Phase zur Beschleu-nigung des Entwicklungsprozesses ist eine unverbindliche, aber aktuelleProduktbeschreibung zur Steuerung der Virtuellen Absicherung erforder-lich. Damit die Stückliste beziehungsweise die Produktstruktur des PDMdieser Anforderung gerecht wird, ist eine Verknüpfung der geometrischenProduktbeschreibung mit der strukturierten Produktdefinition hin zu einemumfangreichen digitalen Modell erforderlich. Weiterhin muss die Me-thodik und Technologie zum Aufbau der Produktstruktur (Stückliste) er-weitert werden, damit ihr Aufbau von Hunderten von Konzeptteilen bis zuTausenden von Serienteilen begleitend zum Entwicklungsprozess zu ver-bindlichen virtuellen Meilensteinen unterstützt wird.Mit den aktuellen CAD-Technologien findet der Aufbau von asso-

ziativen und parametrischen Konstruktionen eine immer breitere Anwen-dung. Damit steigt die Komplexität der Produktmodellierung um einenweiteren Grad. Während die Entwickler bisher bereits eine hohe Vernet-zung von Übernahmeteilen (so genannten Carry-Over-Parts), die in unter-schiedlichen Produktreihen verwendet werden, organisieren mussten, er-höht die Verwaltung von geometrischen und technologischen Zusammen-hängen in der Konstruktion zusätzlich die Komplexität. Aus diesem Grundist der Einsatz von CAD-nahen Verwaltungswerkzeugen, den „Team DataManagement“(TDM)-Systemen erforderlich. Diese Systeme sind in dieSystemumgebung der IT-Werkzeuge eingebettet und ermöglichen eine in-tegrierte Verwaltung der Komponenten und Zusammenhänge einer Kon-struktion. Diese Methoden und Technologien müssen an einen führendenProzess und an ein führendes Verwaltungssystem angebunden sein, um

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damit eine anwendungs- und prozessübergreifende Synchronisation derEntwicklungsaktivitäten sicherzustellen. In der PDM/PLM-Systemarchi-tektur setzt sich ein vierstufiges Konzept aus einem Verbund von Anwen-dungen, TDM-, PDM- und PLM-Komponenten durch (siehe Abbildung 4).

Abb. 4. Schematische Darstellung der Synchronisation von Entwicklungsaktivitä-ten

Nicht nur der konstruktionsnahe Digital Mock-Up (DMU), der für diegeometrische Absicherung verwendet wird, sondern auch die Prozesspart-ner wie die Berechnung und Simulation, das Design, der Prototypenbau,die Fertigungsplanung, der Modellbau, das Marketing und der Kunden-dienst sind auf die digitalen Daten der geometrischen Produktbeschreibungmöglichst früh angewiesen. Diese Prozesspartner haben unterschiedlicheSichten auf die Produktbeschreibung und liefern wiederum spezielle Er-gänzungen zu der geometrischen Beschreibung. Daher ist es erforderlich,dass eine Selektion und Bereitstellung von anwendungsspezifischen Um-fängen schnell und nachvollziehbar möglich ist. Besonders die Dokumen-tation der extrahierten Bearbeitungsumfänge, die entweder in dem zentra-len PDM-System oder in den lokalen TDM-Systemen erfolgen kann, istfür die Synchronisation der Entwicklungsaktivitäten von hoher Bedeutung.In der Vergangenheit lag der Fokus von PDM- und PLM-Lösungen im

Verwalten und Strukturieren von mechanischen Informationen. Jedochwurde der rasant ansteigende Umfang und die Bedeutung der Elektrik-/Elektronikkomponenten und speziell die Software-Umfänge nicht genü-gend berücksichtigt. Die Integration der elektrischen und elektronischenFahrzeugkomponenten sowie die Steuerung und Verwaltung von Fahr-

PLM

Anwendung

TDM

Team Data

Management

PDM

Product Data

Management

PLM

Product

Lifecycle

Management

Geometrie

Topologie

Technologie

Parametrik

Assoziativität

Collaboration

Rechte/Rollen

Klassifikation

Versionierung

Context (DiC)

Topologie

Technologie

Parametrik

Assoziativität

Konvertierung

Freigabe

Konfiguration

Revisionierung

Archivierung

Klassifikation

Versionierung

Context

Freigabe

Konfiguration

Revisionierung

Archvierung

Stückliste

Varianten

Gültigkeiten

Änderungen

Steuerungen

A

1

B

1

TDM

ATDM

B

PDM

Mo

dell

Teil

Pro

du

kt

B

2

A

2

PLM

Anwendung A Anwendung B

Anwendungsspezifische

Funktionsmodellierung

Prozessübergreifende

Datenverwaltung,

Produktsteuerung

Anwendungsübergreifende

Datenverwaltung,

Produktmodellierung

Anwendungsspezifische

Datenverwaltung,

Collaborative Engineering

TDM-/PDM-/PLM-Definition

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zeug-Software gehören aktuell zu den Schwerpunktaufgaben, die im Rah-men von PDM- und PLM-Projekten bearbeitet werden. Das Ziel ist eineintegrierte Steuerung der mechanischen, elektrischen und elektronischenFahrzeugkomponenten inklusive Fahrzeug-Software über den gesamtenLebenszyklus. Speziell im Zusammenhang mit der Integration von elektri-schen und elektronischen Fahrzeugkomponenten in ein ganzheitlich steu-erndes PLM-Konzept bekommt die Pflege der Produktbeschreibung überden Lebenszyklus eine neue Bedeutung. Nicht nur die gesetzlichen Rah-menbedingungen, sondern auch die technischen Zwänge im Zusammen-spiel zwischen Fahrzeug-Hardware und -Software machen eine kontinuier-liche Fortschreibung der einzelnen Produktkonfigurationen bis EOP (Endof Production, nicht gleichzusetzen mit dem Ende des Lebenszyklus) er-forderlich.

Unsichtbares sichtbar machen: Visualisierung alsBasistechnik für die Virtuelle Absicherung

Die Visualisierung spielt eine bedeutende Rolle bei der Verwendung derVirtuellen Absicherung: Sie stellt die Schnittstelle zwischen den Bits undBytes auf der einen Seite und dem Benutzer auf der anderen Seite dar. Diefür die Virtuelle Absicherung verwendete Visualisierung unterscheidetsich in einigen Punkten von der gewohnten Darstellung auf dem Bild-schirm eines Arbeitsplatzes; Stichworte hierfür sind Immersion und Inter-aktion. Diese Art der Visualisierungstechnik wird auch unter dem BegriffVirtual Reality (VR) zusammengefasst.Die Immersion bezieht sich auf die Darstellung des Modells, je nach

Anwendungsfall kann eine monoskopische Darstellung der Informationausreichend sein, oder es ist notwendig, dreidimensionale Eindrücke miteiner stereoskopischen Darstellung zu transportieren. Auch die Wahl desGeräts für die Darstellung der visuellen Information spielt eine Rolle, jenach Bedarf eignen sich zum Beispiel großformatige Plasmabildschirme,Projektoren oder auch so genannte Head Mounted Displays (HMD) dafür.Nicht zuletzt hat auch die Frage, ob man eine Darstellung in Echtzeit benö-tigt, einen erheblichen Einfluss auf den notwendigen Hardware-Aufwand.Für den Begriff Echtzeit hat die Interaktion eine entscheidende Rolle für

die Kopplung zwischen Abläufen in der realen Welt und im digitalen Mo-dell. Hier unterscheidet man, ob es sich um ein statisches Modell ohneFunktionen handelt, oder ob die Objekte im dynamischen Modell beweg-lich sind. In letzterem Fall wird die Visualisierung zusätzlich komplex,wenn der Nutzer Teil des Szenarios ist, seine Position erfasst und er in der

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Szene dargestellt wird. Letztendlich ist es sogar möglich, dass die Bewe-gungen von geometrischen Objekten nicht durch vorberechnete Simulatio-nen, sondern durch den Nutzer selbst gesteuert werden.Die im Produktprozess verwendeten Visualisierungstechniken müssen

in Abhängigkeit von der untersuchten Fragestellung eine breite Palette un-terschiedlicher Ausprägungen abdecken; entsprechend sind zahlreiche un-terschiedliche Software-Lösungen und teilweise auch entsprechende spe-zielle Hardware im Einsatz.Die einfachste Ausprägung ist die Visualisierung von zweidimensiona-

len Zeichnungsdaten auf Papier oder dem Bildschirm. Mit diesem Ansatzist es auf einfache Weise und mit geringen Kosten für Software- undHardware-Ausstattung möglich, Informationen aus beliebigen Quellsyste-men und mitunter sogar noch digitalisierte Papierzeichnungen zu betrach-ten. Die Grenzen dieser Variante liegen in der Rasterisierung der Daten:Die Auflösung der Zeichnung ist dadurch begrenzt, Funktionalität wie bei-spielsweise Messen steht nur rudimentär und mit begrenzter Genauigkeitzur Verfügung; darüber hinaus sind die Daten definitionsgemäß eben nurzweidimensional.Für die Visualisierung von dreidimensionalen Produktdaten wurde be-

reits die Methode des Digital Mock-Up angesprochen. Innerhalb derDMU-Software werden dreidimensionale Konstruktionsdaten aus unter-schiedlichen Quellsystemen zusammengespielt und lagerichtig positio-niert. Typische Fragestellungen, die hier untersucht werden, sind Kollisi-ons- und Freigängigkeitsuntersuchungen; genutzt werden vor allem Mess-und Schnittfunktionalitäten. Die Fragestellungen sind bis dato also haupt-sächlich technischer Natur; auf eine realitätsnahe Visualisierungsqualitätkann hier meist verzichtet werden. Zwei typische Darstellungsformen sindin Abbildung 5 wiedergegeben.

Abb. 5. Technisch orientierte Darstellung für DMU (links) und realistische Dar-stellung mit Materialinformation (rechts)

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Die für die Einzelteile verwendeten unterschiedlichen Einfärbungen ha-ben hier den Zweck, zwischen den einzelnen Teilen unterscheiden zu kön-nen und nicht, diese auch nur annähernd wirklichkeitsnah anzuzeigen. Mitden ständig wachsenden Möglichkeiten der eingesetzten Software-Pro-dukte, mit wenig Aufwand auch wirklichkeitsnahe Materialdarstellungenzu erreichen, geht in einigen Bereichen der Trend jedoch auch zu einer er-höhten Visualisierungsqualität.Bei komplexen Vorgängen wie zum Beispiel Strömungssimulationen

(siehe Abbildung 6) wird es für Nicht-Spezialisten sehr schnell schwierig,in einer zweidimensionalen Abbildung den Überblick zu behalten. Hier istes dann häufig hilfreich, auf eine dreidimensionale Darstellung zu wech-seln. Die dreidimensionale Darstellung findet auch Anwendung bei tech-nisch beziehungsweise funktional orientierten Fragestellungen, bei denenes auf ein hohes Maß von Interaktivität ankommt. Ein Beispiel hierfür sindErgonomie-Untersuchungen im Fahrzeuginnenraum (Erreichbarkeit vonBedienelementen, Sichtbarkeit von Instrumenten, Außensicht, Spiegelsichtetc.), bei denen der Betrachter frei und in Echtzeit Blickposition und Blick-richtung bestimmen möchte oder auch Änderungen an der Fahrzeuggeo-metrie vornehmen möchte.

Abb. 6. Ergebnisdarstellung einer Störungssimulation mittels Isolinien

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Virtuelle Absicherung im Produktprozess... 199

Von technischer Seite werden die Anforderungen durch „Virtual Reali-ty“(VR)-Systeme abgedeckt. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie

• auch große Datenmengen in Echtzeit darstellen• 3-D-Ausgabegeräte (zum Beispiel Head Mounted Display, Cave) nutzenkönnen

• spezielle Eingabegeräte (zum Beispiel Datenhandschuh, Messsystemezur Erfassung der Betrachterposition) unterstützen

Abb. 7. Ergonomiesimulation im Fahrzeuginnenraum

Für die hochqualitative Visualisierung von Datenbeständen gibt es jenach Aufgabenstellung unterschiedliche Wege. Eine nahezu fotorealisti-sche Qualität wird mit Offline Renderings erreicht, Das heißt, die Bilderwerden vorab berechnet. Das Ergebnis einer oft mehrstündigen Berech-nung ist ein einzelnes statisches zweidimensionales Bild.Im Gegensatz dazu sind gängige Virtual-Reality-Systeme echtzeitfähig,

was allerdings leichte Kompromisse an die Darstellungsqualität erfordert(etwa vereinfachte Beleuchtungsmodelle). Die Zukunft gehört den Echt-zeit-Raytracing-Systemen. Diese versprechen eine schnellere Verarbeitungkomplexer Szenen und erlauben somit zum Beispiel auch realistische Aus-leuchtungen (siehe Abbildung 8).

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200 Klaus Straub, Dr. Oliver Riedel

Abb. 8. Darstellung von Produktdaten mittels Echtzeit-Raytracing

Beispiel 1: Produktdokumentation für den Kundendienst

Die heutige Arbeitsweise bei der Erstellung von visuellen Informations-trägern für den Kundendienst basiert zum großen Teil auf Fotos und kom-plett neu erstellten Grafiken. Sowohl die Fotos als auch die Zeichnungengeben die darzustellende Information abstrahiert wieder und werden miteinem erheblichen manuellen Mehraufwand erstellt. Auch die Einführungder Digitalfotografie hat hier nur eine kleine Verbesserung gebracht, diedie Grundprobleme leider nicht löst.

• Das notwendige Fahrzeug für die Dokumentation ist zu spät und/oderzeitlich nicht ausreichend verfügbar.

• Zeitaufwendige und kostenintensive Nachbearbeitung der Fotos odergrafische Neuerstellung ist notwendig.

• Bilderserien statt interaktive Medien erfordern Erarbeitung mehrspra-chiger Handlungsanweisungen.

Die Reduktion von Kosten und Zeit zwingen daher auch den Kunden-dienst, die Verwendung von virtuellen Prototypen voranzutreiben. Moti-viert aus den Erfahrungen der Digital-Mock-Up-Nutzung in der Fahrzeug-entwicklung wurden Aufgabengebiete identifiziert, in denen virtuelle Pro-

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Virtuelle Absicherung im Produktprozess... 201

totypen zur Erstellung der Dokumentation eingesetzt werden sollten (sieheauch Abbildung 9).

• Erstellung von Bordliteratur, Reparaturleitfaden und Bildtafeln für Er-satzteile

• Erarbeitung von Katalogen für Betriebseinrichtungen und Spezialwerk-zeuge

• Durchführen von Schulung und Training des Servicepersonals• Ermittlung von Servicearbeitszeit.

Abb. 9. Reparaturdokumentation auf Basis eines virtuellen Modells

Neben dem Ziel, mittels Digital Mock-Up flexibler und schneller dasBildmaterial zu erstellen, ist auch die Systemintegration der neuen Technikin die Prozesskette des Kundendienstes notwendig. Dies umfasstbeispielsweise die Anbindung an vorhandene Redaktionssysteme und dieWiederverwendbarkeit der Basisdaten für alternative Aufgaben. Dadurchsoll erreicht werden, dass nach der Markteinführung eine geringfügigeÜberarbeitung auf Basis des dann aktuelleren Datenstands möglich ist.Eine wesentliche Erleichterung in der Dokumentation ergibt sich auch

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202 Klaus Straub, Dr. Oliver Riedel

durch die Nutzung von einfach verfügbaren Videosequenzen, die dannzum Beispiel auch für Trainingsprogramme im Selbststudium genutztwerden können.Basis für den effektiven Einsatz ist die Verfügbarkeit von aktuellen Da-

ten in definierter Ausprägung sowie die nahtlose Integration der generier-ten Bilder beziehungsweise Untersuchungsergebnisse in die bestehendeSystemlandschaft. Neben der Verfügbarkeit verschiedener Detaillie-rungsgrade pro Bauteil ist es auch notwendig, alle Verbindungselementemit darzustellen. Liegen diese Daten vor, kann man problemlos aus jederPerspektive und in nahezu jedem Detaillierungsgrad Bauteile, Baugruppenoder ausgewählte Bauräume visualisieren. Die virtuelle Technik erlaubt esohne großen Zeit- und Materialaufwand, Objekte freizuschneiden, trans-parent oder eingefärbt erscheinen zu lassen oder bisher nur sehr aufwendigzu erstellende Explosionszeichnungen zu generieren.Der visionäre Part in diesem Vorhaben ist die Untersuchung der Nut-

zung von digitalen Menschmodellen im Rahmen des Aufgabenspektrums.Langfristiges Ziel in der Nutzung so genannter Human Workbenches istdie Berücksichtigung ergonomischer Kriterien bei der Ein-/Ausbau-untersuchung von Bauteilen und der Durchführung von Reparaturen.

Beispiel 2: Produktionsplanung mit der Digitalen Fabrik

Auch wenn die Begriffe „digital“ und „virtuell“ inzwischen allgemein be-kannt sind, bedarf es sicherlich noch einer Klärung des Begriffs „DigitaleFabrik“: Die Digitale Fabrik unterstützt mit ihren virtuellen Planungsme-thoden die Umsetzung der Produkteigenschaften durch Gestaltung und Op-timierung der Fertigungs- und Logistikprozesse. Ziel ist es, bereits vordem Aufbau eines Produktionssystems oder eines ganzen Fabrikmodulsein realistisches Abbild der zukünftigen Fabrik zu schaffen. Dieses Abbildumfasst alle Aspekte der realen Fabrik, das heißt die Architektur, die Pro-duktionssysteme und die Prozesse. Neben der reinen geometrischen Dar-stellung kommt es vor allem darauf an, logische und funktionale Abhän-gigkeiten darzustellen und zu überprüfen.Das in der Planungsphase aufgebaute Modell dient in der Fertigung der

weiteren Optimierung und Steuerung der Anlagen und Prozesse. In denvergangenen Jahren hat Audi im Rahmen des Projekts „Digitale Fabrik“Teilprojekte in den Gewerken Presswerk, Karosseriebau, Lack, Montage,im Werkzeugbau, in der Fabrikplanung und in der Logistik gestartet, diedie Einführung der Methoden und Werkzeuge vorantreiben (siehe Abbil-dung 10). Die Strategie bei Audi lautet: ohne Software-Absicherung keineHardware. Will heißen: Erst wenn eine Produktionsstätte am Rechner alle

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Virtuelle Absicherung im Produktprozess... 203

Simulations-, Planungs- und Integrationsschritte erfolgreich durchlaufenhat, erfolgt die Freigabe.Gleichzeitig laufen bei Audi die Aktivitäten zum virtuellen Produkt. Auf

die DMU-Fahrzeugdaten setzt die Digitale Fabrik bereits in der Konzept-phase eines neuen Modells auf. Beide Themen müssen nicht nur parallelentstehen, sie müssen auch miteinander verzahnt sein. Gründe, warum die-ses Thema bei Audi mit großem Engagement vorangetrieben wird, sind –wie schon oben beschrieben – die ständige Zunahme der Modellvariantenund die Zunahme der Komplexität bei den Entwicklungsumfängen mit ei-ner gleichzeitigen Verkürzung der Entwicklungszeiten.Ein neues Modell soll möglichst schnell und gleich zu Beginn mit mög-

lichst hohen Stückzahlen unter wirtschaftlichen Rahmenbedingungen inden Markt eingeführt werden. Mit dem Einsatz der Methoden der DigitalenFabrik verfolgt Audi folgende Ziele:• Produktabsicherung durch frühzeitige Einflussnahme auf die Produkt-entwicklung

• Durchgängige Absicherung des Fertigungsprozesses durch frühzeitigeSimulation

• Schaffung einer integrierten Planungsumgebung mit Simulationswerk-zeugen

• Intensivierung des Planungsprozesses• Senkung der Anlagen-, Fertigungs- und Änderungskosten

Abb. 10. Überprüfung der Fertigungsabläufe im Karosserierohbau auf Taktungund Kollisionsfreiheit

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204 Klaus Straub, Dr. Oliver Riedel

• Unterstützung und Verkürzung der Inbetriebnahmezeit• Die dafür notwendige Abstimmung der Prozesse, die Einführung undWeiterentwicklung von Standards und die Vernetzung der Daten sindnotwendige Bausteine. Die Digitale Fabrik ist deshalb in erster Linie einProzessthema und erst in zweiter Linie eine Frage der richtigen Soft-ware-Lösung. Prozesse und Systeme müssen integriert und stan-dardisiert, eine Kultur des Vertrauens und der Transparenz geschaffenwerden. Wichtiger Aspekt dabei: Auch die Anlagenlieferanten werdenbei Audi frühzeitig und intensiv in den Planungsprozess mit einge-bunden. Das bedeutet auch ein Umdenken und Verhaltensänderungenbei den Mitarbeitern in der täglichen Arbeit. Auch die Integration derAnlagen- und Technologielieferanten spielt eine Rolle und soll im Rah-men der Projekte durch so genannte Portale unterstützt werden. Mit die-sen Portalen haben auch externe Firmen Zugriff auf die Planungsstände.

Über die geometrischen Planungsprozesse hinaus, wie die Prüfung aufKollisionsfreiheit, bieten digitale Modelle hier außerdem die Möglichkeit,nichtgeometrische Informationen zu gewinnen. Beantworten lassen sichbeispielsweise Fragen, wie der jeweilige Arbeitsplatz aussehen muss oderwie die Taktzeiten der Produktion geplant werden können.

Grenzen und Zukunft der Virtuellen Absicherung

Die Zukunftsvision der Virtuellen Absicherung liegt sicherlich in der voll-ständigen Parametrisierung des digitalen Modells, das heißt der individuel-len Anpassung an alle möglichen Produkt- und Systemzustände im stati-schen wie im dynamischen Modell. In einem solchen Szenario könnenEntwicklungsmannschaften über den ganzen Globus verstreut in virtuellenTeams zusammenarbeiten. Die Produktentwicklung gewinnt deutlich anDynamik, zum Beispiel kann sich die Zeit für einen Entwicklungszyklusdeutlich verkürzen. Bisher nur in der Informationstechnik angewandte Me-thoden, wie das Extreme Systems Engineering mit sehr schnellen Schrittenzwischen einzelnen Produktversionen, werden nun auch im Fahrzeugbaumöglich. Dazu kommt zusätzlich, dass Tests am umfassenden digitalenModell beliebig oft in verschiedenen Systemnuancen durchgeführt werdenkönnen – unerlässlich für das Ziel „Zero defect“, das heißt für den Pro-duktanlauf mit möglichst wenigen Änderungen und Nachbesserungen.Durch die Virtualisierung wird der heute schon beschrittene Weg, tief

greifende Partnerschaften mit Zulieferern bei der Entwicklung einzugehen,weiter an Bedeutung gewinnen. Im Rahmen der Zusammenarbeit mit den

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Virtuelle Absicherung im Produktprozess... 205

Lieferanten ist es möglich, dediziert für jeden einzelnen Prozessschritt zuentscheiden, ob dieser besser beziehungsweise kostengünstiger In-Houseoder bei einem Partner vollzogen wird. Von Vorteil ist außerdem, dass derZulieferer nicht unbedingt Zugriff auf die gesamten Konstruktionsdatenbenötigt, sondern anforderungsspezifisch Daten vom digitalen Modell ab-geleitet werden können. Doch selbst wenn IT-seitig der Zusammenarbeitprinzipiell nichts im Wege steht, stellen methodische wie prozessbezogeneUnterschiede noch immer eine erhebliche Hürde für die reibungsfreie Zu-sammenarbeit in der Virtualität dar.Auf der anderen Seite wird nicht nur der Entwicklungsprozess tangiert,

sondern auch das Produkt an sich. Befreit von der Notwendigkeit, dasPortfolio der Produktvarianten zum Zwecke einer notwendigen physischenAbsicherung überschaubar zu halten, werden Plattformstrategien durch in-dividuelle Baukastensysteme ersetzbar sein. Der Weg hin zu einer Maß-konfektion der Produkte für die Kunden ist eröffnet, ohne dabei Qualitäts-kompromisse eingehen zu müssen – offen bleibt aber noch die Kostenfragebei einem solchen Vorgehen.Jedoch sind auch viele der zukünftigen Grenzen der Virtuellen Absi-

cherung heute schon absehbar. Die Komplexität digitaler Modelle steigtmit dem Detailgrad in der Regel quadratisch bis exponentiell, das heißt,dem exakten Abbild der physischen Welt werden immer technische Gren-zen gesetzt sein. Außerdem ist das letztendliche Produkt nun einmal phy-sisch, entsprechend ist ab einer gewissen Phase im Entwicklungsprozessder Übergang in die reale Welt zwingend notwendig. Es geht nur darum,diese heute schon vorhandene Grenze im Prozess zeitlich weiter in Rich-tung des SOP (Start der Produktion) zu schieben. Darüber hinaus über-lagert die Störanfälligkeit der IT pragmatisch gesehen die theoretischenMöglichkeiten, alle physischen Fehler durch die Virtuelle Absicherungauszuschließen.

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IT zur Absicherung der Produktionsqualität

Dr. Michael Gorriz, Vice President CIO Mercedes Car Group undBusiness Systems DaimlerChrysler AGDr. Mario Kuduz, IT-System-Manager DaimlerChrysler AG

Qualität ist ein wichtiger Differenzierungsfaktor in der heutigen globalenProduktionsstruktur. Gerade teure Standorte wie Deutschland können sichnur positiv vom Weltmarkt abheben, wenn die produzierte Qualität höherals der globale Durchschnitt ist. Deshalb ist es unumgänglich, auch die In-novationen, die die IT bietet, zur Erreichung dieses Ziels einzusetzen.Der Standort Deutschland gilt im Allgemeinen als ein teuerer Produkti-

onsstandort. Verglichen mit den europäischen Nachbarländern sind dieProduktionskosten die höchsten in Europa. Dennoch ist Deutschland einsehr attraktiver Produktionsstandort, weil die Qualität der gefertigten Pro-dukte insbesondere in der Automobilindustrie internationale Maßstäbesetzt. Dieser Umstand ist unter anderem der Innovation des UnternehmensDaimlerChrysler zu verdanken, das allein in Deutschland 16 Produktions-werke betreibt.Der vorliegende Beitrag beschreibt anhand praktischer Beispiele im Fal-

le von DaimlerChrysler, wie moderne Technologien zur Stützung der Pro-duktqualität eingesetzt werden. Bei den vorgestellten Technologien han-delt es sich nicht um völlig neue Dinge. Es ist vielmehr so, dass dieintelligente Verknüpfung der Daten und Technologien die Innovation dar-stellt, die sich am Ende in einer gestiegenen Qualität manifestiert und einfokussiertes Vorgehen bei der Qualitätssicherung ermöglicht.Zur Entstehung und zum Erhalt von Qualität bedarf es vieler Instanzen,

die auf vielen Ebenen zusammenspielen. Dabei nimmt der IT-Bereich einesehr signifikante Rolle ein. IT-Anwendungen unterstützen bereits währendder Entwicklung und der Produktionsplanung die Fachleute bei der Umset-zung ihrer Konzepte. Dadurch können viele Prozesse kostengünstig simu-liert werden, bevor sie am realen Produkt getestet werden. Das gilt sowohlfür die Entwicklung der Fahrzeuge selbst als auch für ihre Fertigung. Einanderer wichtiger Aspekt des Einsatzes von IT-Systemen ist die laufendeProduktion selbst. Während der Produktion müssen Fehler erfasst und be-seitigt werden. Darüber hinaus können hiermit Fehlerquellen identifiziert

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208 Dr. Michael Gorriz, Dr. Mario Kuduz

und eliminiert werden. In den Fahrzeugaufbauwerken von DaimlerChrys-ler wird der Qualitätssicherungsprozess mit Inline Quality Management(IQM) bezeichnet. Er deckt den gesamten Produktionsvorgang ab, derbeim Rohbau beginnt und mit der Auslieferung des Fahrzeugs an den End-kunden endet.

Konzeption des Inline Quality Management (IQM)

Der Prozess des IQM beginnt bereits nach der Einplanungsphase. JedesFahrzeug definiert einen festen Auftrag, der in die Produktion eingeplantwird. Nachdem die einzelnen Karosserieteile aus dem Presswerk in denRohbau geliefert sind, beginnt auch die Aktivität der IT-basierten Quali-tätsabsicherung. Die einzelnen Karosserien werden im Rohbau aus den ge-lieferten Karosserieteilen gefertigt. In einem nächsten Schritt erhalten dieRohkarosserien in der Lackierungsstraße ihre Oberflächenversiegelungund ihre Farbe. Im Anschluss daran erfolgt die Endmontage der Fahr-zeuge, wobei einzelne Komponenten, wie beispielsweise Cockpit, Himmeloder Motor, aus anderen Vormontagelinien zugeliefert werden. In allengenannten Produktionsbereichen kommt das IQM zum Einsatz. Die Abbil-dung 1 veranschaulicht die Gesamtstruktur des IQM-Prozesses.

Ziele

Der Einsatz des IQM soll in erster Linie eine signifikante Verbesserungder Qualität und daraus resultierend eine Verringerung der Produktions-kosten zur Folge haben. Um dies zu erreichen, müssen mehrere Teilaspek-te betrachtet werden

• Verbesserung der Qualität des Produkts sowohl in der Planungs- alsauch in der Produktionsphase

• Einsatz von Qualitätskontrollkreisen über den gesamten Produktions-prozess hinweg

• Verringerung von Nacharbeitsaufkommen und daraus resultierendeVerringerung von Kulanzaufkommen

• Nachvollziehbare Qualitätsaussagen zu jedem Fahrzeug• Durchgängiger Informationsfluss in den IT-Systemen, Vereinheitli-chung bei der Erfassung und klare Berichtsstrukturen

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IT zur Absicherung der Produktionsqualität 209

Aufbau des IQM

Das IQM teilt sich im Wesentlichen in zwei Teilbereiche. Der erste Teilbe-reich ist die Erfassung. Hier werden die einzelnen Mängel erfasst, dabeimit einem definierten Fehlerort und einer definierten Fehlerart gekenn-zeichnet sowie einem Verursacher zugeordnet. Die in der Nacharbeit aus-geführte Beseitigung des Fehlers erfasst eine Ursache für den Mangel so-wie die ausgeführte Nacharbeit.Diese auf der Erfassungsseite generierten Daten werden zur zweiten

Stufe des IQM, der Auswertung, weitergeleitet. Separat nach einzelnenWerken, Produktionshallen, Abteilung oder definierbaren Zeiträumenwerden die Ergebnisse entsprechend des gefragten Umfangs auf allen Füh-rungsebenen berichtet.

Abb. 1. Der IQM-Prozess im Überblick

Regelkreise

Um den gesamten IQM-Prozess und die dafür notwendigen Kontrollme-chanismen umzusetzen, werden zwei Regelkreise eingesetzt, die auf unter-schiedlichen Ebenen in der Produktion den Prozess überwachen. Der Re-gelkreis 1 steuert den Prozess direkt an der Produktionslinie und sen-sibilisiert so das Qualitätsempfinden des Mitarbeiters in der Linie. Dabeiverwendet man den so genannten Q-Alarm (Qualitätsalarm). Fällt einemMitarbeiter ein Mangel am Fahrzeug auf, wird dieser Alarm ausgelöst. AlsFolge dieses Alarms wird ein Unterstützer angefordert, mit dessen Hilfeder Fehler nach Möglichkeit sofort nachgearbeitet wird. Der Mangel wird

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als Fehler erfasst und in das System mit zugeordnetem Verursacher einge-geben.Der Regelkreis 2 geht eine Stufe weiter. Hier kommen so genannte

Null-Fehler-Tore zum Einsatz. An diesen Null-Fehler-Toren werden alleFahrzeuge systematisch überprüft. Dabei werden neben äußeren Elementenwie Lack- und Oberflächenbeschaffenheit auch die Funktionalität der ein-gebauten Elektronikeinheiten und die Qualität von sicherheitsrelevantenVerschraubungen geprüft. Entdeckte Fehler werden erfasst und dem ent-sprechenden Verursacher zugeordnet. Die Nacharbeit der Mängel findetentweder direkt am Null-Fehler-Tor oder später an den Nacharbeitsstatio-nen statt. Null-Fehler-Tore sind an definierten Punkten in der Produktioneingerichtet. Jedes Null-Fehler-Tor prüft die Umfänge am Fahrzeug, die inden vorgelagerten Stellen verbaut wurden. Aufgetretene Mängel werdenerfasst und dem entsprechenden Verursacher zugeordnet.Am Ende der Produktion steht die Werksschlussabnahme, die ebenfalls

einen Teil des Regelkreises 2 darstellt. Hier wird das Fahrzeug nochmalskomplett überprüft. Wenn eine Prüfung ein positives Ergebnis liefert, wirdder Vertriebssteuerbeleg erstellt. Damit kann das Fahrzeug dem Vertriebübergeben und somit an den Endkunden ausgeliefert werden.

Anwendungen des IQM

In den Werken, in denen das Inline Quality Management zum Einsatzkommt, wird die Produktion über hochverfügbare Server gesteuert. Relati-onale Datenbanken verwalten dabei sowohl eine Vielzahl von stationärenDaten als auch Bewegungsdaten.

Abb. 2. Einsatz der Komponenten PLUS und PLUS+ im IQM

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Das IQM wird bei DaimlerChrysler mittels einer eigenen Software, dem„PLUS-Produktionsbaukasten“, realisiert. PLUS steht dabei für Produkti-onsleit- und Steuerungssystem. Der PLUS-Baukasten besteht aus einerVielzahl von Software-Bausteinen, die jeweils spezifische Aufgaben über-nehmen und untereinander kommunizieren. Somit wird jeder Auftrag voneinem einheitlich aufeinander abgestimmten System während der gesam-ten Dauer der Produktion hinweg überwacht. PLUS wird auf PCs einge-setzt und basiert auf einer Smalltalk-Umgebung. Die gesamten Systemefür die Datenerfassung werden von PLUS abgedeckt.Für die Auswertung kommt PLUS+, eine Weiterentwicklung von PLUS,

zum Einsatz. PLUS+ basiert im Gegensatz zu PLUS auf einer J2EE-Umgebung, einer Plattform, auf der unter Java entwickelte Komponentenintegriert und objektorientiert verarbeitet werden können. Unter PLUS+sind alle benötigten Auswertealgorithmen realisiert. Abbildung 2 zeigt eineÜbersicht der verwendeten Bausteine, die für das IQM zum Einsatz kom-men. Diese Bausteine sollen im Folgenden detaillierter betrachtet werden.

Anwendungen zur Datenerfassung

INQA (Integrierte Qualitätsabsicherung)

In INQA werden Fehler erfasst und nach erfolgter Nacharbeit mit Ursacheund Nacharbeit belegt.

Abb. 3. Fehlererfassung mit INQA

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212 Dr. Michael Gorriz, Dr. Mario Kuduz

Dabei gehört zu jeder Fehlererfassung die Erfassung des Fehlerorts, derFehlerart und des zugeordneten Verursachers. Dadurch kann an die betrof-fene Abteilung beziehungsweise Meisterei weitergegeben werden, welcheFehler in welcher Häufigkeit auftreten. Innerhalb der betroffenen Meiste-reien können dann entsprechende Gegenmaßnahmen erarbeitet und umge-setzt werden. Die Fehler können sowohl text- als auch bildbasiert eingege-ben werden. Das in Abbildung 3 gezeigte Beispiel der Fehlererfassung mitINQA zeigt eine bildbasierte Fehlererfassung im Lackfinish in der Baurei-he C-Klasse.

MAP (Management-Arbeitsprozesse)

MAP kann als frei konfigurierbare Checkliste betrachtet werden. Insbe-sondere an Null-Fehler-Toren kommt MAP zum Einsatz. Ein Prüfumfangwird so definiert, dass das Fahrzeug in Abhängigkeit von seiner Aufbau-variante und seinem Ausstattungsumfang geprüft werden kann. Dazu be-dient man sich so genannter Tätigkeitsmuster, die dafür sorgen, dass be-stimmte Punkte in einer Checkliste nicht auftauchen. So ist es möglich,dass ein Fahrzeug mit Glasschiebedach mit dem gleichen Prüfprozess ge-prüft wird wie ein Fahrzeug ohne.

Abb. 4. Checkliste in MAP

Nur bei dem Fahrzeug mit Glasschiebedach taucht der Punkt „Glas-schiebedach“ in der Prüfliste auf, während bei dem anderen Fahrzeug die-ser Punkt im Prüfumfang nicht angezeigt wird. Wenn während einer MAP-

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Prüfung Mängel festgestellt werden, kann der Fehler direkt in INQA er-fasst werden.MAP gehört zu den Anwendungen, die in den meisten Fällen auf mobi-

len PDAs zum Einsatz kommen. So kann sich der Mitarbeiter am Band freium das Fahrzeug herum bewegen und alle erforderlichen Prüfschritte vor-nehmen, ohne nach jeder einzelnen Prüfung wieder einen stationären PCaufzusuchen. Die Prüfung von Fahrverhalten und Fahrgeräuschen auf derEinfahrstrecke erfolgt ebenfalls mit MAP und INQA auf mobilen PDAs.

PQD (Prozess-Qualitäts-Daten)

Prozess-Qualitäts-Daten spielen eine wichtige Rolle bei der Absiche-rung von Prozessabläufen. Mittels PQD wird eine Vielzahl an qualitäts-und sicherheitsrelevanten Daten erfasst und weiterverarbeitet. Zu den Pro-zess-Qualitäts-Daten gehören unter anderem

• Schraubdaten• Spaltmaße• Fahrwerksmessdaten• Bremsdaten• Verschweißung von Bolzen• Befüllvorgänge

Abb. 5. Der PQD-Erfassungsprozess im Überblick

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PQD repräsentiert, vereinfacht betrachtet, die automatisierte Form dermanuellen Fehlererfassung, wie sie in INQA umgesetzt ist. Man unter-scheidet beim PQD-Prozess zwei aufeinander folgende Prozessschritte.Der erste Schritt ist die Datenerfassung. Über den am Fahrzeug ange-

brachten mobilen Datenspeicher (MDS) werden die Produktionsnummerund das zugehörige Tätigkeitsmuster (TMU) für diesen Vorgang ausgele-sen und an die entsprechende Steuerung übertragen. Die Steuerung belie-fert das ausführende System (Schweißgerät, Schrauber, Spaltmessdetektoretc.) mit den Daten, die für den Prozess notwendig sind. Nach Abschlussdes Arbeitsvorgangs werden die Ist-Daten, die Soll-Daten und die zugehö-rigen oberen und unteren Toleranzgrenzen mit resultierendem Gesamter-gebnis –„In Ordnung“ (IO) oder „Nicht in Ordnung“ (NIO) – an den Leit-rechner weitergegeben. Auf Basis dieser Daten werden die Parameter, dieaußerhalb der Toleranzen liegen und damit als NIO-Ergebnis klassifiziertsind, als fehlerhaft verbucht. Darüber hinaus wird eine Vollständigkeits-prüfung durchgeführt, bei der die Datensätze, die fehlen, als nicht definiertund damit auch als NIO verbucht werden.

Abb. 6. PQD für Spaltmaße bei einer Rohkarosserie für die S-Klasse

Innovativ an diesem Vorgehen ist die Verwendung von Prozessdatenzur direkten Qualitätskontrolle, die von der Steuerung der Werkzeuge undRoboter zur Verfügung gestellt werden. So werden zum Beispiel Höhe undVerlauf des Schweißstroms zur Gütemessung der Bolzenschweißung he-rangezogen. Dies ist wesentlich genauer als die manuelle Kontrolle, die bei

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circa 300 Bolzen pro Fahrzeug ohnehin nur Stichprobencharakter habenkann.Im zweiten Schritt erfolgen die Kontrolle und nachfolgend die notwen-

dige Nacharbeit. Das Fahrzeug fährt in eine Kontrollstation. Dort wird eswieder über seine Produktionsnummer identifiziert. Nach Anfrage derSteuerung an den Leitrechner erhält ein Visualisierungssystem die Datendes zu visualisierenden Vorgangs und gibt den Zustand auf dem Visuali-sierungssystem wieder. Dabei werden sowohl die Einzeldaten als auch dasGesamtergebnis (IO oder NIO) dargestellt. Die Abbildungen 6, 7 und 8zeigen Beispiele für PQD-Visualisierungen. Der zuständige Mitarbeiterkann im nächsten Schritt anhand der Information durch die Visualisierungdie Nacharbeit durchführen. Die Durchführung der Nacharbeit muss vomMitarbeiter entsprechend quittiert werden. Jeder Mitarbeiter identifiziertsich dabei über seine eindeutige Kennung.

Abb. 7. PQD für Schraubdaten bei der Bodengruppe der E-Klasse

Die Abbildungen 6 bis 8 zeigen Beispielanwendungen für PQD. In Ab-bildung 6 erkennt man eine Rohkarosserie der S-Klasse mit angegebenenSpaltmaßen. Die grüne Farbgebung signalisiert Spaltmaße, die innerhalbder vorgegebenen Tolleranzen liegen. Abbildung 7 zeigt eine Aggrega-teplattform der E-Klasse nach der Verschraubung mit der Karosserie. Allegrünen Punkte markieren Schraubstellen mit fehlerfreiem Ergebnis. ImFalle einer fehlerhaften Verschraubung wird die betroffene Schraubstellemit einem roten Punkt gekennzeichnet. Außerdem ist die Produktions-nummer (oben links) im Fehlerfall nicht grün, sondern rot unterlegt. Ein

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fehlerhafter Bolzen in einem Rohkarosserieteil ist bei der in Abbildung 8gezeigten Visualisierung zu sehen. Anhand dieser Information kann dieentsprechende Position nachgearbeitet werden.Mittels PQD wird eine kontinuierliche Überwachung von qualitätsrele-

vanten Parametern gewährleistet und damit eine Sicherstellung eines dau-erhaft hohen Qualitätsstandards sichergestellt.

Abb. 8. PQD für Bolzenverschweißung im Rohbau mit fehlerhaftem Bolzen

FAMOS (Fahrzeug-Monitoring-System)

An diversen Stationen ist das weitere Vorgehen bei der Produktion einesFahrzeugs abhängig von seinem Zustand. Hat ein Fahrzeug keinerlei Be-anstandungen, wird es zur nächsten Station weitergefahren. Sollten jedochMängel gemeldet worden sein, werden diese an bestimmten Nacharbeits-stationen nachgearbeitet. Eine Zielesteuerung leitet ein Fahrzeug zu einerNacharbeitsstation. FAMOS ist eine Anwendung, die auf andere Anwen-dungen zurückgreift, und so eine Fahrzeugprüfung durchführt. Je nachKonfiguration der Station wird auf offene Fehler in INQA, fehlerhafteVerschraubungen oder unplausible variable Produktdaten geprüft. In Ab-hängigkeit des Prüfergebnisses kann automatisiert oder manuell ein Zielzugewiesen werden, zu welchem das Fahrzeug als Nächstes gesteuert wer-den soll.

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Abb. 9. Zielesteuerung mit FAMOS

Durch FAMOS kann außerdem der so genannte Geradeauslauf gezähltwerden. Dabei wird an bis zu fünf Stationen in einer Produktionslinie ge-zählt, wie viele Fahrzeuge fehlerfrei sind und daher „geradeaus“ laufen,und wie viele Mängel haben und daher „abgefahren“ werden müssen. Ba-sierend auf diesen Daten kann später der Geradeauslauf berechnet werden.So erhält man eine Aussage darüber, wie viele Fahrzeuge die Produktionfehlerfrei durchlaufen.Abbildung 9 zeigt die Anwendung FAMOS bei der Zielesteuerung. Das

jeweilige Fahrzeug, das durch seine Produktionsnummer (oben links) iden-tifiziert wird, hat keinerlei Beanstandungen, folglich ist der Hintergrundgrün gehalten. Im Falle von anstehenden Beanstandungen wäre der Hin-tergrund rot und die offenen Punkte würden im Hauptfenster mit der Mög-lichkeit angezeigt, diese durch andere Anwendungen des PLUS-Systemszu bearbeiten. Die Drop-down-Liste zeigt die zur Verfügung stehendenZiele, die in dem hier gezeigten Fall manuell vergeben werden.

Anwendungen zur Auswertung

Nachdem alle notwendigen Daten durch Anwendung des PLUS-Baukastens in der Produktion gewonnen wurden, erfolgt in einem nächstenSchritt die Auswertung. Diese ist die Basis des Berichtswesens über alleFührungsebenen.

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Abb. 10. Fehlerbericht im MRS

Die Auswertung erfolgt durch das MRS (Manufacturing Reporting Sys-tem), das in der PLUS+-Umgebung implementiert ist. Die jeweiligenAuswertungen können basierend auf den erfassten Daten frei konfiguriertwerden.Die Berichte im MRS umfassen neben dem Fehleraufkommen unter an-

derem auch Kennzahlen zum Wirkungsgrad der Null-Fehler-Tore, Aus-wertungen zum Geradeauslauf sowie die Produktionshistorie von jedemFahrzeug. Das System ist sehr flexibel ausgelegt, sodass neue Auswerteal-gorithmen in kurzer Zeit umgesetzt werden können. Außerdem sind grafi-sche Visualisierungen möglich.

Zusammenfassung und Ausblick

Das IQM ist im Jahr 2001 eingeführt worden und seit 2004 in vollem Um-fang in den Produktionswerken der Mercedes Car Group im Einsatz. DasSystem ist jedoch in seiner Entwicklung nie abgeschlossen. Es wird stetigmit den sich verändernden Anforderung aus der Produktion modifiziertund erweitert. Durch wechselnde Baureihen, Modifikationen bei den Fahr-zeugen innerhalb einer Baureihe, Veränderungen in der Logistik odertechnologischen Fortschritten bei den Produktionsmethoden ergeben sichstets neue Anforderungen bei der Überwachung der Qualität. Die Entwick-lung des IQM muss immer an die jeweiligen Bedingungen angepasst und

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optimiert werden. Dadurch wird die Philosophie des Kaizen, also der steti-gen Verbesserung der Qualität durch Perfektionierung und Optimierungdes bewährten Prozesses, systematisch verfolgt und umgesetzt. So konntedie Effizienz bei der Fahrzeugproduktion innerhalb der letzten Jahre mas-siv gesteigert werden.Durch den Einsatz von IT-Lösungen in der Fahrzeugproduktion in Form

des Inline Quality Managements können systematisch Fehler und Fehler-quellen erkannt und eliminiert werden. Außerdem können Produktionsab-läufe für künftige Prozesse hinsichtlich Fehleranfälligkeit und Effizienzoptimiert werden. Die Folge sind eine Verringerung der Nacharbeitsauf-kommen und daraus resultierend die Reduktion des Kulanzbedarfs beimEndkunden. Eine entsprechende Reduzierung der Produktionskosten ist dieFolge.Beim Anlauf neuer Baureihen werden die Anlaufzeiten unter anderem

durch den Einsatz des IQM signifikant verringert.IT-Systeme sind im IQM grundsätzlich einheitlich strukturiert. Es wird

eine möglichst weit umfassende Standardisierung angestrebt. Die be-schriebenen Systeme werden derzeit in allen Produktionswerken der Mer-cedes Car Group eingesetzt. Der unternehmensweite Einsatz derartiger Lö-sungen ermöglicht eine schnellere Umsetzung von Änderungen. Wenn einProzess in einem Werk verbessert wird und sich diese Verbesserung auchfür andere Werke als sinnvoll erweist, kann die Umsetzung der Verbesse-rung in relativ kurzer Zeit erreicht werden. Auch der Austausch der Mitar-beiter über die Werke gestaltet sich als unkompliziert, da die vorhandenenIT-Systeme identisch sind.IT-Lösungen müssen immer derart konzipiert sein, dass sie den ge-

wünschten Prozess effizienter machen. Dazu sind möglichst einfache undnachvollziehbare Lösungen notwendig. Im Fall des IQM bedeutet Effi-zienzsteigerung die Reduzierung des Fehler- und Nacharbeitsaufkommens.Die bereitgestellten IT-Lösungen liefern zwar nicht unmittelbar den ge-wünschten Effekt, sind aber die Basis, um das gewünschte Ziel zu errei-chen.

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Innovative IT-Anwendungen zur integriertenUnterstützung des Beschaffungsprozesses imweltweiten Konzernverbund

Dr. Andreas Resch, Vorsitzender Geschäftsführung Bayer BusinessServices GmbH

Konzerne im Wandel

Viele Konzerne haben sich in den letzten Jahren deutlich verändert. DieGlobalisierung der Märkte bringt die Notwendigkeit mit sich, sich als in-ternationale Netzwerkorganisation zu verstehen und mit Konzerngesell-schaften im In- und Ausland viel stärker zusammenzuarbeiten als in derVergangenheit.Gleichzeitig sind zahlreiche Konzerne den Weg gegangen, sich in meh-

rere Gesellschaften aufzuteilen, die sich jeweils auf einen abgegrenztenMarkt konzentrieren. Bei diesen fokussierten Gesellschaften ist es häufigdas Ziel, eine Spitzenposition im jeweiligen Marktsegment zu erreichen,was neben dem „organischen“ Wachstum durch Akquisitionen geschieht.Somit spielt das Portfolio-Management mit dem Kauf oder Verkauf vonUnternehmensteilen eine zunehmend stärkere Rolle, sodass die Organisa-tion der Unternehmen einer entsprechenden Dynamik unterworfen ist. Ins-besondere im Pharmasektor waren in den vergangenen Jahren zahlreicheVeränderungen zu beobachten.Mit der neuen Konzernstruktur, dem Herauslösen der Chemie-

Aktivitäten im unabhängigen Unternehmen LANXESS, den vollzogenenIntegrationen von Aventis CropScience und des Geschäfts mit verschrei-bungsfreien Arzneimitteln von Roche, steht der Bayer-Konzern prototy-pisch für eine ganze Reihe von Unternehmen in ähnlicher Situation.

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Abb. 1. Struktur des Bayer-Konzerns

Angesichts dieser Herausforderungen muss ein Großkonzern sicherstel-len, dass die Synergien auf der Beschaffungsseite erhalten bleiben. Für ty-pische Shared-Service-Funktionen wie Rechnungswesen und Beschaffungergeben sich damit große Herausforderungen, auf derartige Veränderungenschnell und flexibel reagieren zu können, worauf im Folgenden näher ein-gegangen wird.

Aufgaben und Herausforderungen einer globalenBeschaffungsorganisation

Die klassische Aufgabenstellung der Beschaffung, die Versorgung zumrichtigen Zeitpunkt zu den bestmöglichen Konditionen sicherzustellen, istvom Grundsatz her stets die gleiche geblieben. Der Wandel der vergange-nen Jahre bringt allerdings zusätzliche Komplexität ein, die es zu reduzie-ren oder zu beherrschen gilt.Die Rolle der Beschaffung als Konzernfunktion besteht auch in

• der Schaffung einer Organisation, die den rechtlichen Rahmenbedin-gungen Rechnung trägt (zum Beispiel steuerrechtliche Aspekte)

• der Sicherstellung des Synergie-Managements über Gesellschafts- undLandesgrenzen hinweg

• der Schaffung eines Systems, das sowohl das Herauslösen als auch dasIntegrieren von Unternehmensteilen erlaubt

Die geeignete Organisation kann verschiedenste Ausprägungen haben.Zahlreiche Unternehmen haben sich für einen dezentralen Ansatz ent-

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schieden und übertragen einer Gesellschaft die Verantwortung für ein be-stimmtes Sortiment. Dieses „Lead Buyer“-Konzept sichert einerseits dieNähe zum Verbraucher und andererseits die Akzeptanz der verteilten Or-ganisation. Den dezentralen Organisationsansatz hat auch Bayer umgesetzt– die Beschaffung ist ein „geführtes Netzwerk“. Zu den Kernelementendieser Organisation gehört die klare Beschreibung von Aufgaben und de-ren Zuordnung zu verantwortlichen Stellen. Für die Akzeptanz ist es vongroßer Bedeutung hierbei eine Ausgewogenheit zwischen zentralen unddezentralen Funktionen zu schaffen. Dieser Ansatz wurde im Jahr 2002mit dem Innovationspreis des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Ein-kauf und Logistik e. V. (BME) ausgezeichnet.So agieren die Lead Buyer im Rahmen definierter Sourcing-Richtlinien,

die für den ganzen Konzern gelten, und identifizieren Synergiepotenziale,überwachen strategische Kontrakte und wickeln sowohl lokale als auch in-ternationale Beschaffungsprojekte ab.Diese Entwicklung von einer monolithischen Zentralorganisation hin zu

einer verteilten Netzwerkorganisation stellt auch wesentlich erhöhte An-forderungen an die IT-Unterstützung für die Procurement-Funktion.Neben den rein operativen Funktionen, die hochgradig automatisiert ab-

gewickelt werden sollen, rückt der strategische Aspekt stärker in den Vor-dergrund.Basierend auf einem globalen Stammdaten-Management sind Funktio-

nalitäten für Ausschreibungen, die Erstellung und internationale Nutzungvon Einkaufskontrakten, das Lieferanten-Management sowie detaillierteAusgabenanalysen (Spend Analysis) notwendig.Mit erfolgreicher Implementierung dieser Funktionalitäten kann der

Lead Buyer den maximalen Nutzen aus der Einkaufsmacht erzielen.Um diesen Aufgaben gerecht zu werden, war eine ähnlich dramatische

Veränderung der IT-Landschaft erforderlich wie bei der Organisation.Aus dem Blickwinkel der DV-Systeme war die Ausgangslage der 80er-

und 90er-Jahre bei den Konzernen in der Regel eine In-House erstellteSoftware, die auf einem Großrechner lief und in der Regel für ein Land,höchstens für eine Region Anwendung fand. Diese sind heute weitgehendabgelöst durch Client-Server-Systeme, in der Mehrzahl durch SAP R/3-Lösungen. Auf Client-Server-Basis konnten dann für einzelne Gesellschaf-ten oder Gruppen innerhalb des Konzerns mehr oder weniger speziell zu-geschnittene Lösungen implementiert werden. Die wesentliche Anforde-rung an die Systeme ist es, die Erstellung des Konzernabschlusses ange-messen zu unterstützen.

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Abb. 2. Typische Systemlandschaft eines globalen Unternehmens

Die weitgehende Unabhängigkeit der Systeme erlaubt damit auch, aufPortfolioveränderungen relativ flexibel zu reagieren. Es ist nicht zwingenderforderlich, dass die Systeme einen einheitlichen Versionsstand haben.Entsprechend heterogen stellt sich vielfach die Systemlandschaft dar.In solch einer heterogenen Systemlandschaft werden in vielen Systemen

Beschaffungsvorgänge abgewickelt und Rechnungen gebucht. Die Be-schaffung im Konzern ist gefordert, die „Leitplanken“ hierfür zu setzen.Nur mit diesen Leitplanken ist die notwendige Einheitlichkeit in Prozessenund Systemen zu erreichen. In unterschiedlich starkem Maße gilt dies fürStammdaten und sowohl für die strategische als auch für die operative Be-schaffung. Hierbei sollen die einzelnen Gesellschaften so wenig wie mög-lich eingeengt werden, und trotzdem soll das Synergie-Management er-folgreich sein.Es gilt also, für eine Landschaft mit teilweise heterogenen Daten einen

Überbau zu schaffen, der die Beschaffung im Konzern unterstützt und dieLead Buyer mit dem Handwerkszeug ausstattet, das ihnen die effizienteBearbeitung ihrer Sortimente ermöglicht.Die Prozesslandschaft wird kontinuierlich um weitere Prozesse ergänzt.

Neben den Abläufen für die strategische und operative Beschaffung gibt esauch einen Prozess zur Zusammenarbeit zwischen Lead Buyern und denPartnern innerhalb des Konzerns. Zunehmend in den Vordergrund rücktauch die Leistungsmessung des Einkaufs durch den Nachweis von Einspa-rungen.

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Abb. 3. Die vier Säulen der Einkaufsorganisation

Die heterogene Landschaft der ERP-Systeme und die Anforderungenaus den Prozessen, die über die klassische Unternehmensfunktion „Ein-kauf“ hinausgehen, bilden den Ausgangspunkt zu Überlegungen, die DV-Landschaft zu ergänzen.

Stammdaten bilden das Fundament

Dass „aufgeräumte“ Stammdaten das Fundament für eine effiziente Nut-zung der Einkaufsmacht bilden, ist eine schlichte, allgemein anerkannteTatsache. Von dieser Erkenntnis bis zu einer stabilen Stammdatenbasisliegt allerdings ein langer Weg.Die Maximalforderung, „alle Stammdaten im Konzern sind einheitlich“,

lässt sich in der Praxis kaum realisieren, da hierzu aufwendige Prozessenotwendig sind.Die wichtigsten Stammdatenobjekte für die Beschaffung sind hier die

Lieferanten, die Materialien und die Warengruppen, jeweils mit der über-geordneten Hierarchie.Bereits im Jahr 2000 hat der Bayer-Konzern sich klar zur Wichtigkeit

der Stammdaten bekannt und ein zentrales System für die Stammdaten-pflege etabliert. Unter dem plakativen Titel „Golden Box“ steht das füh-rende System für Stammdaten bereit, das alle anderen relevanten Systememit eben diesen Stammdaten versorgt.

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Bei der Durchsetzung des Konzepts war es neben guten Argumentenhilfreich, den Anwendern die Berechtigung für die Stammdatenpflege aufden dezentralen Systemen zu entziehen.Somit sind sowohl globale als auch lokale Stammdaten führend in ei-

nem System.Den verschiedenen Stammdaten kommt für die Umsetzung des Syner-

gie-Managements unterschiedlich starke Bedeutungen zu. Die eindeutigeKlassifizierung von Lieferanten, entweder durch ein eigenes Verschlüsse-lungssystem oder durch die Zuhilfenahme eines Providers (zum BeispielDun & Bradstreet) beziehungsweise der Kombination von beidem, hat ei-nen sehr hohen Stellenwert.Ergänzt durch einen Warengruppenschlüssel ergibt sich die Grundlage

für eine aussagekräftige Information über die Beschaffungsvolumina.Je nach Art der Materialien ergibt sich eine unterschiedliche Notwen-

digkeit der Harmonisierung. Für viele Rohstoffe gibt es einen transparen-ten weltweiten Markt, sodass mit einer globalen, überschneidungsfreienKodierung Vorteile realisiert werden können. Bei technischen Artikelnspielen vielfach nationale oder regionale Normierungen eine Rolle, sodasseine globale Normierung nur bedingt möglich ist.Um die auf diesen Stammdaten basierenden Bewegungsdaten auswerten

zu können, sind zusätzliche Ordnungsmerkmale erforderlich, die die Orga-nisationsstrukturen im Konzern abbilden.Die Realisierung erfolgt zum einen durch die Festlegung von Pflegepro-

zessen, zum anderen durch die Bereitstellung eines entsprechenden DV-Systems beziehungsweise einer Systemlandschaft.Der Bayer-Konzern hat frühzeitig auf ein Konzept „Stammdaten-

Server“ gesetzt, mit dem die Pflegeprozesse unterstützt werden. Der ausmehreren Systemen bestehende Stammdaten-Server ist in der Lage, Datenin verschiedene Systeme im gesamten Konzern innerhalb von zwei Stun-den zu verteilen. Basierend auf der Technik von SAP, Daten über System-grenzen hinweg auszutauschen (ALE), werden hierbei sowohl SAP-Systeme als auch noch vorhandene Großrechnersysteme versorgt.Über diese Stammdaten kommt man aus Einkaufssicht sehr schnell zu

Einkaufskontrakten, die in gleicher Weise verfügbar sein müssen. Daherist der Kontrakt-Server als zentrales System in ähnlicher Weise aufgebaut.Das System unterstützt von der Kontraktanfrage über die Erstellung unddie Ausgabe auch das Performance Monitoring der Kontrakte. Somit istder gesamte Lebenszyklus des Kontrakts abgedeckt. Das System beher-bergt auf einer Plattform sowohl die lokalen als auch die internationalenKontrakte.

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Abb. 4. Stammdaten und Kontraktverteilung

Konsequenterweise bilden der Stammdaten-Server und der Kontrakt-Server eine logische Einheit, die bei Bayer auch technisch in einer Instanzabgebildet wurde.Im Gegensatz zur Einbahnstraße der Stammdatenverteilung gibt es bei

den Einkaufskontrakten auch eine Gegenfahrbahn – die Bestellungen, diesich auf Kontrakte beziehen, werden an den Kontrakt-Server zurückge-meldet, sodass man stets die Nutzung der Kontrakte überprüfen kann.Die Integration von akquirierten Unternehmen zeigte die Grenzen des

Anspruchs auf harmonisierte Stammdaten auf. Es hat sich als wirtschaft-lich unsinnig erwiesen, alle Stammdaten zu harmonisieren. Der Blumen-laden um die Ecke gilt als Paradebeispiel. Ein ausreichendes Regelwerk,das die Informationsökonomie berücksichtigt, war nicht vorhanden.

Sourcing mit System

Das Sourcing wurde lange als ein strategischer Prozess wahrgenommen,der keiner signifikanten DV-Unterstützung bedarf. Oft war es auch so,dass Sourcing stark mit der Kreativität des jeweiligen Einkäufers verknüpftwar und verschiedene Ausprägungen hatte.Diese Individualität ist unproblematisch, solange man sich in den Gren-

zen der eigenen Gesellschaft und im eigenen Kulturkreis bewegt. Bei derArbeit in multinationalen und heterogenen Teams wird sie allerdings zu-nehmend als Hürde wahrgenommen.

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Abb. 5. Der „5 Step Sourcing Process“

Die „Bayer Procurement Community“, das heißt die Gemeinschaft desEinkaufs über die Gesellschaften hinweg, hat sich daher entschieden, denAblauf des Sourcing in einem grundsätzlich definierten Prozess zu regelnund eine entsprechende Systemunterstützung zu etablieren. In einem „5Step Sourcing Process“, der für alle Gesellschaften verbindlich ist, ist diegenerische Abfolge der Aktivitäten beim Sourcing beschrieben.Der Sourcing-Prozess verlangt deutlich mehr an Systemunterstützung

als ein normales ERP-System leisten kann. Neben aktuellen Informationzum Beschaffungsvolumen (Spend Analysis) sind auch Funktionen zumProjekt-Management, der Anfrageerstellung und Ausschreibung sowie derKontrakterstellung und Abstimmung gefordert.Die Bayer Business Services GmbH hat die Anforderungen der Procu-

rement Community des Bayer-Konzerns mit dem Aufbau und der Integra-tion eines „Sourcing Cockpits“ gelöst. Bei diesem Sourcing Cockpit han-delt es sich um die Kombination einer marktgängigen „Sourcing Soft-ware“, die in die Bayer-Systemlandschaft an wenigen, zentralen Schnitt-stellen integriert ist. Die innovative Kombination der sonst üblicherweise„stand alone“ betriebenen Software zur Unterstützung des strategischenEinkaufs mit der Einbindung der operativen Systeme bringt einen weiterenwichtigen Schritt zur Realisierung der Einsparziele.In diesem System sind Unterstützungsfunktionen für alle im Sourcing-

Prozess relevanten Aktivitäten abgebildet. Der Kerngedanke des Systemsist die Verwendung von Templates, also von Vorlagen für die jeweils ab-zubildende Aufgabe wie zum Beispiel Projekte oder Anfragen.

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Abb. 6. Module des Sourcing-Cockpits

Der „5 Step Sourcing Process“ ist konsequenterweise als zentrale Vor-lage für das Projekt-Management-Modul im System vordefiniert und hin-terlegt. Natürlich kann das System auch sehr viele verschiedene Templatesvorhalten, der Nutzen ist allerdings am größten, wenn sich die Anwenderder einheitlichen Vorlage bedienen.Dieses Standard-Template kann sehr zügig in ein neues Projekt über-

nommen werden und mit weiteren Informationen wie etwa Anhängen ver-sehen werden. Die einzelnen Aufgaben können Mitarbeitern oder Mitar-beitergruppen zugewiesen, terminiert und letztlich überwacht werden.Wenn wir den Prozess weiter durchlaufen, brauchen wir zunächst eine

verlässliche Zahlenbasis – die Spend Analysis aus der Procurement Com-munity. Diese ist Bestandteil eines komplexen Data Warehouse, das ausverschiedenen Quellsystemen in aller Welt Daten aggregiert, die sowohlInformationen über das operative Einkaufsgeschäft als auch über den stra-tegischen Einkauf abbildet.Die Spend Analysis liefert die Daten für die Bedarfsprognose, die für

die Ausschreibung verwendet werden soll.

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Abb. 7. Vorlage für ein Sourcing-Projekt

Im Modul für Ausschreibungen und Auktionen ist die internetbasierteInteraktion mit (potenziellen) Lieferanten möglich. Vom Grundsatz herkann in mehreren Runden von der Informationsanfrage – Request for In-formation (RfI) – bis zur Auktion alles durchgeführt werden. Insbesonderekomplexe Vorhaben wie Engineering-Projekte profitieren von der Mög-lichkeit, den Input der Anbieter zu integrieren und weiter zu verwenden.Auch hier kommen Templates zum Einsatz, sodass neben der Wiederver-wendbarkeit von Informationen auch bei den Lieferanten ein Wiederer-kennungs- und Lerneffekt einsetzt.

Abb. 8. Fragebogen für eine Informationsanfrage

Das Modul bietet alle Möglichkeiten „normaler“ Auktionsplattformen,schafft es aber, die Funktionalität in den gesamten Sourcing-Prozess ein-zubetten.Nach Abschluss der DV-technisch unterstützten Vergabe kann das Sys-

tem die Erstellung des Kontrakts unterstützen.

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Abb. 9. Zusammenfassung einer Ausschreibung

Basierend auf Vorlagen kann der Text mit konzerninternen und -ex-ternen Stellen in mehreren Iterationen überarbeitet und weiterentwickeltwerden (Redlining). Diese Aktivitäten sind insbesondere in den Vereinig-ten Staaten sehr aufwendig und erfahren durch die Systemunterstützungeine erhebliche Erleichterung.Die auf diesem Wege entwickelten strategischen Kontrakte werden ei-

nem Freigabe-Workflow unterworfen und danach übermittelt. Trotz erheb-licher Fortschritte bei digitalen Signaturen wird bei dieser Übermittlungklassischer Vertragsdokumente die Übermittlung per Post oder Fax wei-terhin wichtig sein.Der auf diese Weise entwickelte strategische Kontrakt wird auf den

Kontrakt-Server übertragen und bildet dort den übergeordneten Vertrag zuoperativen Kontrakten. Dem weltweit gültigen Kontrakt mit einem Hard-ware-Hersteller werden in der Regel bei der Implementierung operativeKontrakte folgen, die die Lieferung in einem bestimmten Land von einerbestimmten Niederlassung regeln.Diese operativen Kontrakte werden dann wie bereits beschrieben auf die

dezentralen ERP-Systeme übertragen.Das folgende Kontrakt-Management stellt zum einen die Überwachung

von Kündigungsfristen durch rechtzeitiges Versenden von Workflow-Aktionen sicher. Zum anderen wird über das Data Warehouse die Inan-spruchnahme des Kontrakts überwacht.Mit dieser Messung der Kontraktnutzung wird es der Bayer Procure-

ment Community gelingen, zunehmend die Rückkopplung der eigenenKunden zu berücksichtigen und damit den Anteil des Beschaffungsvolu-mens, der über Kontrakte gedeckt ist, signifikant zu erhöhen.Neben den transaktionalen Informationen kommt den Soft Facts immer

mehr Bedeutung zu. Es gehört zu den Aufgaben des Sourcing, diese imUnternehmen zu sammeln und Maßnahmen mit dem Lieferanten einzulei-ten, sodass dieser sich weiterentwickeln kann.

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Abb. 10. Business Warehouse der Procurement Community

Für das Lieferanten-Management hat die Bayer Business ServicesGmbH das Produkt SUPREME entwickelt. Im SUPREME sind Modulezur Lieferantenauswahl, -bewertung, -analyse und -optimierung integriert.• Auswahl der Lieferanten: Die Komponente Lieferantenauswahl und-segmentierung unterstützt den Einkäufer dabei, Lieferanten zu identifi-zieren, die aufgrund von strategischer Bedeutung, Materialgruppe oderlangen Prüfungsintervallen erneut bewertet werden müssen. Die Aus-wahl erfolgt mithilfe verschiedener Indikatoren, die auf Daten der ope-rativen Vorsysteme beruhen.

• Bewertung der Lieferanten: Die Bewertung wird von Mitarbeiterndurchgeführt, die bereits Kontakt zum Lieferanten pflegen. Die einheit-liche Struktur der Formulare und eine Bewertung nach dem Punktesys-tem garantieren Vergleichbarkeit und Aussagekraft der Daten.

• Analyse der Lieferantenbeziehungen: Die Bewertungen werden mithilfeeines Spezial-Tools analysiert. Dabei ermöglichen es die Parameter Lie-ferant, Materialklasse und Empfänger, die Lieferantenbeziehungen unterverschiedenen Aspekten zu betrachten. Die durchgängige Transparenzder Supplier Relations erleichtert es dem Mitarbeiter, gezielte Strategienfestzulegen. Außerdem bietet sie Entscheidungshilfe bei der Frage, obund wie eine Geschäftsbeziehung verbessert, ergänzt oder beendet wer-den sollte.

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Abb. 11. Kriterien im Bayer-Lieferanten-Management

• Optimieren der Lieferantenbeziehungen: Mit der Optimierungskompo-nente lassen sich Verbesserungsmaßnahmen und -ziele definieren undentsprechende Verantwortliche bestimmen. Transparenz und Kontrollesind dabei zu jedem Zeitpunkt gewährleistet. Am Ende wird der Erfolgder einzelnen Maßnahmen bewertet.Mit diesem Lieferanten-Management wird die DV-Unterstützung für die

Sourcing-Funktion abgerundet.

Abb. 12. Phasenmodell des Lieferanten-Managements

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Der operative Einkauf – nicht strategisch und immer zu teuer

Operative Einkaufsabwicklung ist nicht „sexy“ und trägt nur selten zumAnsehen einer Einkaufsorganisation bei. Gerade deswegen muss diese mitminimalem Aufwand geschehen.Neben organisatorischen Ansätzen wie zum Beispiel die Verlagerung

operativer Tätigkeiten in Niedriglohnländer bleiben Automatisierungs-bestrebungen durch den gezielten Einsatz von IT-Lösungen im Fokus, diesich auch in eine heterogene Landschaft integrieren lassen.Diese IT-Lösungen sollen zum einen dazu dienen, dass der Anwender

im Konzern in die Lage versetzt wird, die verhandelten Kontrakte ohneweitere Bearbeitung durch die Einkaufsfunktion selbst zu nutzen, zum an-deren soll die Erfassung von Belegen in der gesamten Prozesskette mitdem Lieferanten minimiert werden.Die Bayer Business Services betreiben für Kunden innerhalb und außer-

halb des Bayer-Konzerns auf Internettechnik basierende Systeme, die demEnd-User verhandelte Verträge und elektronische Kataloge auf einfacheWeise nutzbar macht, sodass die Einkaufsfunktion sich darauf konzen-triert, eben diese Kataloge und Verträge bereitzustellen. Auch hier greiftdas Lead-Buyer-Konzept mit seiner dezentralen Verantwortung. Mit die-sen IT-Systemen ist es gelungen, den Anteil von Bestellungen, die ohneEingriff des Einkaufs abgewickelt werden, in Kernsortimenten auf über 90Prozent zu erhöhen. Zusätzlich setzen die BBS und ihre Kunden innerhalbund außerhalb des Bayer-Konzerns auf den innovativen CAPO, den Calcu-lator for Advertising Printing Objects, der mit wenigen Klicks die Preisemehrerer Anbieter nahezu beliebiger Drucksachen vergleicht und die Be-stellung veranlasst.

Abb. 13. CAPO – Calculator for Advertising Printing Objects

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Mit den Kernlieferanten werden die Bestellungen, der Lieferavis und dieAbrechnungsinformationen auf dem Weg des elektronischen Datentrans-fers (EDI) ausgetauscht. Der Aufwand im Wareneingang ist dadurch dras-tisch reduziert worden. Per elektronischem Lieferavis erhält der zentraleWareneingang alle Positionen, die in einem Fahrzeug vorhanden sein wer-den. Beim Wareneingang wird lediglich die Identifikation des Fahrzeugserfasst und alle zugehörigen Wareneingänge gebucht. Stichprobenweisewird geprüft, ob in der physischen Lieferung auch enthalten ist, was aufelektronischem Wege avisiert worden ist. Basierend auf den Bestell- undWareneingangsdaten wird nun eine automatische Gutschrift erzeugt, diewiederum per EDI-Nachricht in die Systeme des Lieferanten eingelesenwird. Die Kernsortimente „Labor“ und „Bürobedarf“ werden auf diesemWege hochautomatisiert abgewickelt, was für mehr als 100 000 Bestellpo-sitionen jährlich erheblich weniger Aufwand bedeutet.

Der Schlüssel zum Erfolg

Der Wandel der Märkte und der Wandel des Bayer-Konzerns haben dieArbeit der Procurement Community in den vergangenen Jahren stark be-einflusst und maßgeblich zu einem Veränderungsprozess beigetragen. DieUnterstützung strategischer und operativer Beschaffungsprozesse durcheine moderne und passende DV-Landschaft ist ein Baustein für den Erfolgder Einkaufsfunktion.Dieser Erfolg hat in den vergangenen Jahren bemerkenswerte Einspa-

rungen sowohl bei den Einstandskosten als auch bei den Prozesskosten ge-bracht. Bei den Einstandskosten sind Einsparungen in dreistelliger Millio-nenhöhe durch die Einkaufsorganisation realisiert worden. Ein Indiz fürdie Optimierung der operativen Beschaffung ist neben der bereits erwähn-ten Automatisierung durch Kontrakte und Kataloge die Verkürzung derDurchlaufzeiten von Vorgängen im Einkauf. Diese konnte im Rahmen derImplementierung halbiert werden.Die Entwicklung und die Implementierung einer erfolgreichen System-

lösung basiert auf einer interdisziplinären Teamarbeit, die die maß-geschneiderte Lösung mit und für die Organisation findet. Eine adäquateLösung „von der Stange“ gibt es bis dato nicht, sodass die Herausforde-rung darin liegt, die richtigen Bausteine auf dem Markt zu sammeln, durcheigene zu ergänzen und in der richtigen Anordnung zusammenzufügen.Der Erfolg des Teams liegt in der Tatsache, dass Experten aus der Pro-

zessmodellierung, der Organisation, der IT-Umsetzung und letztendlich

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dem Business zusammengearbeitet haben, um eine nahtlose Lösung zuschaffen.Die Organisation der Bayer Business Services GmbH, die neben reinen

IT-Services auch Servicefunktionen zum Beispiel in der Beschaffung, demAccounting und im Business Consulting bietet, verfügt für derartig kom-plexe Aufgaben über die notwendigen Experten.

In Zukunft ein System für die Beschaffung als Drehscheibe?

Unternehmensfunktionen neigen dazu, sich in das Zentrum zu stellen –wenn schon nicht in das Zentrum eines Weltbilds, dann zumindest in dasBild eines Unternehmens. Das „einkaufszentrierte“ Bild eines Unterneh-mens hat sich allerdings außerhalb von Einkaufsleiterrunden nicht durch-setzen können.In den marktgängigen ERP-Systemen ist der operative Einkauf in die

logistischen Funktionen der Supply Chain eingebettet und der strategischeEinkauf in der Regel entkoppelt.Der Bayer-Konzern ist einen wichtigen Schritt gegangen, in dem die

Komponenten ergänzt und verbunden wurden – das Gesamtziel ist damitaber noch nicht erreicht. Einige Großunternehmen in Deutschland habendiesen Weg mittlerweile auch beschritten oder beschreiten ihn gerade.Das mittelfristige Ziel ist es, die Funktionen aus den Komponenten in

ein zentrales System zu überführen, das mit den Supply-Chain-Systemenkommuniziert.Die damit verbundene Produktivitätssteigerung im Einkauf und die

Komplexitätsreduzierung im Systembetrieb ist für die Bayer ProcurementCommunity ein wichtiges Ziel, das wir in den nächsten drei Jahren errei-chen wollen.

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Eine neue Informationsrevolution durch RFIDverändert Geschäftsprozesse – ein innovativesAnwendungsbeispiel aus dem Pharmabereich

Dr. Hans Christoph Dönges, Leiter Competence Center IT-Lösungen inder Logistik Dematic GmbHUlrich Otto, Principal Booz Allen Hamilton

Eine Vielzahl von „Radio Frequency Identification“(RFID)-Anwendungengibt es bereits. Im Fokus steht immer ein Mehrwert der durch verbesserteInformationen in den Geschäftsprozessen oder für Entscheidungen gene-riert wird, zum Beispiel Kundeninformation, Real-Time-Information überden Aufenthaltsort von Waren oder Produktionsinformation.RFID ist dabei der technische Enabler. Hierbei wird ein Chip mit Funk-

sender auf einem Gegenstand angebracht. Der Chip enthält eine Informati-on, die er dann an ein Lesegerät berührungslos über einen begrenzten Ent-fernungsradius senden kann. Von hier an wird die Information inGeschäftsprozessen genutzt für verschiedenste Anwendungen.Neben den technischen Herausforderungen des Einsatzes der Funktech-

nologie in bestimmten Situationen steht die Sicherstellung, dass für denInvestor den Implementierungskosten auch ein quantifizierbarer Nutzengegenübersteht. In der Pharmaindustrie scheint hier ein Durchbruch bevor-zustehen. Pharmaunternehmen rechnen sich aus, durch den Einsatz vonRFID ihre Blockbuster-Medikamente vor Fälschungen und damit ihre Ge-winne zu schützen. Durch die gleiche Anwendung, aber mit anderem In-formationsfluss erhoffen sich Behörden, Patienten vor gesundheitlichemSchaden zu bewahren. Ist die Implementierung erst einmal geschafft undMedikamente haben einen RFID-Tag, dann lassen sich allerdings nochganz andere Szenarien der Nutzung von RFID vorstellen.

Heutige Einsatzszenarien für RFID

Die Komplexität der Lieferketten in Handel und Konsumgüterindustrienimmt ständig zu. Im Zeitalter der Globalisierung werden Produktions-

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schritte ins Ausland verlagert, Rohmaterial und Halbfertigware weltweitbeschafft. Insbesondere in Europa werden häufig an einem Fertigungs-standort Produkte für viele unterschiedliche Zielmärkte – mit anderenSprachen, anderen Maßsystemen, anderen Konsumgewohnheiten – er-zeugt. Dabei werden Geschwindigkeit und Qualität der Lieferketten zu ei-nem entscheidenden Wettbewerbsfaktor.Getrieben durch die vielfältigen Informationsmöglichkeiten, die sich

dem Konsumenten heute auftun, ist die Anspruchshaltung der Verbraucherstark gestiegen. Um diesem Trend zu entsprechen und sich im Wettbewerbzu behaupten, gestalten Markenartikelhersteller ihre Produkte immer ziel-gruppengerechter. Das führt zu einer Zunahme von Produktvarianten beigleichzeitiger Abnahme der Losgrößen in der Fertigung. In der Automobil-industrie ist die „Losgröße 1“ bereits erreicht. Jeder Kunde kann die Aus-stattung seines zukünftigen Fahrzeugs individuell festlegen.Viele Produkte zeigen starke Saisonabhängigkeit. Der Zeitpunkt des

Markteintritts ist heute mehr denn je entscheidend für den wirtschaftlichenErfolg. Ideal für die Fertigungsplanung einerseits, aber auch für die regio-nale Bewerbung neuer Produkte ist die zeitnahe Kenntnis des Produkt-absatzes. Dem Kundenwunsch kann nur entsprochen werden, wenn dieVerweilzeit der Produkte in der Lieferkette zwischen Hersteller und Kon-sument möglichst kurz ist und der Nachschub zwischen den einzelnen be-teiligten Stufen effizient funktioniert.Handelsunternehmen sind darauf angewiesen, die stark steigende Zahl

von Produktvarianten in den Regalen zu präsentieren. Da die Verkaufs-fläche nicht im gleichen Maße wie die Produktvielfalt anwächst, ist das nurmit jeweils kleineren Stückzahlen in den Regalen erreichbar. Dadurchsteigt jedoch die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kunde sein gewünschtesProdukt gerade nicht vorfindet. Umsatzverluste durch „Out of Stock“-Situationen zu vermeiden und somit die Kundenzufriedenheit und Kun-denbindung zu erhöhen ist vordringliches Ziel im Handel.Neben diesen vom Markt und den Konsumenten vorgegebenen Treibern

stehen gesetzliche Anforderungen über die Rückverfolgbarkeit von Ware,über Prozessqualität etc.

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Eine neue Informationsrevolution durch RFID verändert... 239

Abb. 1. Verbindung der digitalen (Informations-) mit der physikalischen Welt

So vielfältig diese Herausforderungen auch sind, die Lösungen dazu ha-ben eines gemeinsam. Zunächst muss Transparenz über Material- und Wa-renströme geschaffen werden. Dazu ist es notwendig, Information über denFluss logistischer Einheiten, wie Container, Paletten, Kartons oder gar ein-zelner Warenstücke, an möglichst vielen Stellen zu erfassen. Durch die da-zu notwendige Datenerfassung entstehen jedoch Kosten, die entsprechendihres Personalaufwands steigen. Moderne Systeme wie Barcode-Scanningoder direkte Spracheingabe sollen diese Kosten begrenzen. Hier setzt dieRFID-Technologie an. Durch eine automatische Identifikation direkt durchdas IT-System können Bedienereingriffe vollständig eliminiert werden.Dadurch wird nicht nur der Erfassungsprozess effizienter, sondern auch dieBasis für eine durch zeitnahe und möglichst lückenlose Datenerhebungtransparente Supply Chain gelegt. Unternehmen erhalten ein Instrument,mit dem sie die Herausforderungen durch die wachsende Komplexität derSupply Chains bewältigen können.Die Potenziale, die sich ergeben, unterscheiden sich je nach Anwendung

in den industriellen Sektoren. So wird erwartet, dass im Bereich Han-del/Konsumgüter die effizienteren operativen Logistikprozesse, wie etwaWareneingang oder Warenausgang, und die sich dadurch reduzierendenlaufenden Kosten im Vordergrund stehen. Der Handelskonzern Metro gibtan, dass sich durch die Einführung von RFID die Zeiten zur Vereinnah-mung einzelner Paletten um 20 Prozent, die Zeiten für die Entladung einesgesamten Lkw inklusive der notwendigen Büroarbeiten um bis zu 80 Pro-zent reduzieren.

Digitale Welt

Physikalische Welt

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Die Transparenz der Warenströme erlaubt auch eine bessere Nach-schubsteuerung und verspricht niedrigere Sicherheitsbestände und damitgeringere Lagerflächen, was das gebundene Kapital reduziert. EffizientererNachschub wirkt sich bis in die Einzelhandelsfiliale aus. Wal-Mart, dasgrößte Handelsunternehmen der Welt, hat die Nachschubversorgung seinermit RFID ausgestatteten Filialen um den Faktor drei gegenüber den mitkonventionellem Barcode ausgestatteten Filialen verbessert und eine Re-duzierung seiner Out-of-Stock-Quote um 16 Prozent nachgewiesen. Daswirkt sich nicht nur positiv auf die Kundenzufriedenheit aus, sondern führtunmittelbar zu höherem Umsatz. Die erzielte Verbesserung in der Nach-schubversorgung wurde in einer Studie der Universität von Arkansas bes-tätigt. Die Studie stellt fest, dass die mit RFID-Lesern ausgestatteten Wal-Mart-Filialen hinsichtlich ihrer Warenverfügbarkeit von ihren Kundendeutlich besser bewertet werden.Ein weiteres Anwendungsfeld ist die Verfolgung und das Management

von hochwertigen Produktionsmitteln. Der Vorteil von RFID-Etikettenliegt hier vor allem darin, dass sie sich besser als ein Barcode an Objektenbefestigen lassen. Sie können beispielsweise in Plastikbehälter einge-schweißt werden. Damit sind sie wesentlich besser geschützt und überste-hen auch mehrfache Reinigungsvorgänge problemlos. Für Spezialladungs-träger und Mehrweggebinde – wie Rollcontainer, Getränkefässer undKunststoffbehälter – hilft eine automatische und detaillierte Bestandsfüh-rung, Versorgungsengpässe rechtzeitig zu erkennen und zu verhindern.Auch logistische Zusatzinformation über den Inhalt, das Ziel und sogareinzelne Handlungsanweisungen lassen sich auf dem RFID-Tag hinter-legen. So können zum Beispiel verbotene Prozessschritte – wie die Befül-lung eines nicht gereinigten Fasses – automatisch verriegelt werden, umeine fehlertolerantere Bearbeitung und eine höhere Prozesssicherheit zu er-reichen.Ein drittes Einsatzgebiet findet man in der Steuerung von geschlossenen

Fertigungs- oder Logistikprozessen. Besonders in der Automobilindustriewerden seit mittlerweile mehr als 20 Jahren RFID-Tags auf Werkstückträ-gern angebracht, die den Fertigungsplan aufnehmen können. An den Ar-beitsstationen bekommt der Mitarbeiter die nächsten Arbeitsschritte direktvom Werkstück mitgeteilt. Bearbeitungsfortschritt und Qualitätsdatenwerden direkt am Objekt gespeichert. Dadurch reduziert sich in erster Li-nie der Kommunikationsaufwand zwischen den einzelnen Systemen. Dadie Daten direkt mit dem Objekt transportiert werden, sind zur Gewährleis-tung reibungsloser Abläufe keine aufwendigen IT-Netze und Software-Services zur Kommunikation erforderlich. Das ermöglicht eine Verschlan-kung und Vereinfachung der IT-Systeme, was sich nicht nur in niedrigeren

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Eine neue Informationsrevolution durch RFID verändert... 241

Investitionskosten niederschlägt, sondern auch in reduzierten Folgekostenfür Service und Erweiterungen. Da weniger Systeme vorhanden sind, dieausfallen können, erhöht sich die Verfügbarkeit der Gesamtlösung.Ein weiteres wichtiges Einsatzszenario von RFID ist der Schutz vor Fäl-

schungen durch Merkmale zur Authentifizierung von Ausweisen, hoch-wertigen Markenartikeln und auch von Medikamenten. Es wird befürchtet,dass durch RFID-Tags an Gegenständen, die jeder bei sich trägt, personen-bezogene Daten über Verbrauchsgewohnheiten, den aktuellen Aufenthaltbis hin zum Inhalt der Brieftasche in kriminelle Hände gelangen können.Datenschützer haben sich zusammengeschlossen, um möglichen Miss-brauch aufzudecken und zu bekämpfen. So wurden bereits einige RFID-Piloten im Handel gestoppt, die den Technologieeinsatz ohne ausreichen-des In-Kenntnis-Setzen des Verbrauchers zur Folge gehabt hätten. Die be-kanntesten Beispiele sind der Einsatz von Kameras an Verkaufsregalen fürGillette-Produkte in einigen Tesco-Supermärkten, RFID-Tags in Produk-ten des Textilherstellers Benetton und der Einsatz von RFID-Tags auf Met-ro-Kundenkarten.Die Diskussion verläuft in der Öffentlichkeit sehr emotional. Dabei wird

oftmals die tatsächliche Leistungsfähigkeit der Technologie überschätzt.Diese Gefahr ist ernst zu nehmen und muss bei allen Einsatzfällen sorgfäl-tig ausgeschlossen werden. Verschiedene Interessengruppen, wie etwa dasInformationsforum RFID, werden ins Leben gerufen, um die Unsicherheitin der Öffentlichkeit und insbesondere beim Verbraucher zu beseitigen.Bei angemessener und sorgfältiger Anwendung wird dem Verbraucher

ein Nutzen daraus entstehen, dass der Hersteller eines teuer erworbenenProdukts die Echtheit garantieren kann. Das gilt insbesondere fürArzneimittel, wo ein gefälschtes Produkt unter Umständenlebensbedrohende Auswirkungen haben kann. In den USA hat derGesetzgeber bereits die Initiative ergriffen und durch Vorgaben der Foodand Drug Administration (FDA) und durch Regelungen in einzelnenBundesstaaten dafür gesorgt, dass die für Fälschungen anfällige SupplyChain für pharmazeutische Produkte geschützt wird. Diese Ausgangslagewird im vorliegenden Beitrag zum Anlass genommen, die Anwendung derRFID-Technologie speziell in der Lieferkette für Medikamente zuuntersuchen.

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Die Nutzung von Informationen in Geschäftsprozessenbringt den Mehrwert – RFID macht es möglich

Obwohl gerade die Schwachstellen der Supply Chain und der Verknüp-fung von Waren- und Geldfluss zwischen mehreren Unternehmen durcheine RFID-Lösung behoben werden können, setzen sich Anwendungen,die mehr als ein Unternehmen betreffen, noch sehr selten durch.Das Haupthindernis in der Entwicklung von Lösungen auf Basis von

RFID ist dabei immer noch die ungünstige Kosten-Nutzen-Relation.Auf der Kostenseite ist RFID sicherlich noch um einen zweistelligen

Faktor teurer als die heutige Barcode-Technologie. Allerdings relativiertsich diese Betrachtung, wenn gleiche Anforderungen auf Informationsum-fang und Datenerhebung gestellt werden. Signifikanter sind aber erforder-liche Umstellungen der Geschäftsprozesse und der IT-Landschaft in einemUnternehmen. Beides muss schrittweise auf Echtzeit-Informationsnutzungausgerichtet werden und erfordert neue Abläufe, um den Mehrweit derverpackungsbezogenen Echtzeit-Information entlang der Supply Chain zunutzen.Auf der Nutzenseite erlauben die zahlreichen Anwendungsfälle mess-

bare Kostenreduzierungen durch Einsparungen, Reduzierung von Lager-haltung, aber auch positive Umsatzeffekte durch Verringerung von Out-of-Stock-Situationen oder Fälschungen, die die eigenen Umsatzmöglichkeitenbeschneiden. Allerdings steigt der Nutzen mit dem Wert der Ware selbst.Der Traum von „Alles wird getagged“ ist damit eher ein Relikt der E-Busi-ness-Zeit. Die Grenze ist individuell zu setzen. Joghurtbecher, Milch-packungen etc., die in großen Mengen schnell innerhalb der Kühlkettetransportiert werden müssen, können von effizienz- und transparenzstei-gernden Lösungen mit RFID weniger profitieren. Dagegen bietenhochpreisige Produkte wie Medikamente, Schmuck, Drogerieartikel, Au-toersatzteile und bestimmte Kategorien von Spielzeug, aber auch Bücherein Potenzial.Stimmt die Relation von Kosten und Nutzen, lässt sich der Geschäfts-

wertbeitrag schnell realisieren. Durch vom Gesetzgeber vorgeschriebeneRandbedingungen weist speziell die Supply Chain von Medikamenten unddas Produkt selbst Charakteristika auf, die eine Implementierung von Lö-sungen auf Basis von RFID sinnvoll machen.

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Wer hat den Nutzen, und wer zahlt den Preis?

In der Supply Chain für Konsumgüter liegen die Vorteile von RFID zurzeiteindeutig beim Handel. Er profitiert von den Effizienzsteigerungen und derTransparenz seiner Warenflüsse unmittelbar. Die großen Handelsunter-nehmen können aufgrund ihrer beherrschenden Marktposition durchsetzen,dass in allen aktuellen Anwendungen der Preis für die RFID-Tags von denLieferanten der Konsumgüter bezahlt wird, ohne diese Kosten an denHandel weiterzureichen. Da die Ausrüstung mit RFID auch im Handel erstim Hochlauf begriffen ist, reagieren viele Konsumgüterhersteller daherzurzeit mit der Minimaltaktik, die durch RFID verursachten Zusatzkostenmöglichst zu minimieren. Sie setzen RFID nicht zur Optimierung ihrer ei-genen internen Logistikprozesse ein, sondern bringen die RFID-Tags erstkurz vor dem Versand zum Handelsunternehmen an der Ware an, um ihreHandelspartner anforderungsgerecht zu beliefern.In der Pharmabranche liegen die Dinge anders. Zwar können auch hier

Großhändler und Distributoren von Effizienzsteigerungen und der Be-schleunigung der Supply Chain profitieren. Viel stärker als bei Konsumgü-tern zwingt jedoch der Druck durch Produktfälschungen und Produkt-piraterie auf grauen Märkten die Hersteller von Medikamenten dazu,geeignete Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Die Amortisierung derdurch RFID verursachten Kosten steht also auf einer vollständig anderenGrundlage und kann in der pharmazeutischen Supply Chain vom Herstellerselbst erzielt werden. Das gilt bei den aktuellen Preisen für RFID-Tags si-cher nicht für jegliche Medikamente, aber die besonders hochwertigen undschutzwürdigen Präparate rechtfertigen den Einsatz. Aufgrund der über-proportional hohen Margen, die bei Lifestyle-Medikamenten mit Patent-schutz erzielt werden, ist die Investitionsbereitschaft entsprechend hoch.Allen voran bemüht sich Pfizer um den Schutz seines Blockbusters Viagraund setzt bereits seit dem 15. Dezember 2005 RFID und zweidimensionaleBarcodes auf Verpackungen ein.

E-Pedigree – elektronischer Herkunftsnachweis fürMedikamente

Eine Lösung zur Vorbeugung gegen Produktfälschungen und Produkt-piraterie besteht im Kern aus zwei Komponenten. Einerseits soll sie es imIdealfall dem Patienten ermöglichen, die Echtheit seines Medikaments zuerkennen. Andererseits soll der Weg dieses Medikaments durch die Liefer-kette nachvollziehbar und seine Legalität überprüfbar sein.

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Grundlage für die Verfolgung durch die Lieferkette ist die Identifizier-barkeit jedes einzelnen Medikaments möglichst auf Ebene der an den Pati-enten abgegebenen Dosierung. Dazu kann zum Beispiel eine eindeutigemit einer Seriennummer vergleichbare Identnummer für jedes Medikamentdienen. An Messpunkten entlang des Wegs, also zum Beispiel beim Wa-renausgang des Herstellers, beim Wareneingang des Distributors und soweiter, können dem Medikament dadurch eindeutig Aufenthaltsorte undZeiten zugeordnet werden. Die Spur, die das Medikament auf diese Weisein den Datenbanken der einzelnen Unternehmen hinterlässt, wird mit E-Pedigree bezeichnet und lässt sich am besten mit „elektronischem Her-kunftsnachweis“ übersetzen.Ist die Spur vom Hersteller bis zum Patienten durchgängig, erscheinen

die Verweilzeiten an den einzelnen Positionen der Supply Chain plausibel,wurde die Identifikation tatsächlich vom Hersteller vergeben und tauchtkein zweites Medikament mit der gleichen Identifikation auf, so kann manmit hoher Wahrscheinlichkeit von der Echtheit des Medikaments ausge-hen. Der Vorteil eines solchen Verfahrens liegt darin, dass bereits eine ein-fache zusätzliche Identifikation an der Medikamentenschachtel ausreicht,um diese Spur zu hinterlassen. Der wesentliche Nachteil ist jedoch, dassdieses System nur funktioniert, wenn alle Beteiligten diese Daten auchsammeln und zur Verfügung stellen.Um diesen Nachteil auszugleichen, setzt die pharmazeutische Industrie

auch auf Produktmerkmale, die es gestatten, die Echtheit unmittelbarnachzuweisen. Hierfür werden die unterschiedlichsten Sicherheitsmerkma-le verwendet wie etwa Hologramme.Günstiger ist jedoch ein Sicherheitsmerkmal, das durch eine Online-

Anfrage beim Hersteller die Authentizität bestätigt. Wie beim E-Pedigreekann eine eindeutige Nummer zur Identifikation ein solches Merkmal sein.Voraussetzung ist es, dass die Vergabe dieser Nummer keinem regelmäßi-gen Schema unterliegt, sondern – unter Vermeidung von Dubletten – auseiner großen Anzahl von Nummern zufällig erfolgt. Dann ist bereits dieBestätigung des Herstellers, dass der Code vergeben wurde, ausreichendsicher.Bereits zweidimensionale Barcodes bieten die Möglichkeit, hinreichend

große Zahlen zu speichern. Barcodes lassen sich jedoch relativ leicht fäl-schen. Hier bieten RFID-Tags weitere Vorteile. Zunächst ist es rein tech-nisch schwieriger, sie zu fälschen. Jeder RFID-Tag enthält eine bereitsvom Hersteller vergebene eindeutige Nummer, die so genannte Unique-ID,deren Verknüpfung mit der Identifikation des Medikaments die Sicherheitwesentlich erhöht. Da auch diese Unique-IDs potenziell gefälscht werdenkönnen, ist es bei Verwendung von RFID-Tags zusätzlich möglich, ver-

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schlüsselte Informationen zu hinterlegen, die erst mit privaten Schlüsselndes Herstellers oder des Patienten entschlüsselt werden können. Bereits dieÜbertragung der Daten zwischen Tag und Reader kann verschlüsselt erfol-gen, sodass auch das Abhören erschwert wird.Natürlich lässt sich auch durch den Einsatz von RFID nicht ausschlie-

ßen, dass Fälschungen in Umlauf kommen. Verglichen mit der heutigenSituation, liegen die Barrieren allerdings wesentlich höher. Dem Fälscherwird es erheblich erschwert, illegale Medikamente in Umlauf zu bringen,und durch die Möglichkeit der Online-Abfrage wird außerdem das Auftau-chen einer Fälschung wesentlich schneller offenbar. Dabei nehmen dieKosten für die RFID-Tags mit dem angestrebten Sicherheitsniveau zu. Sokann je Medikament das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis abgewogen wer-den.Auch die Aufnahme der Daten für den E-Pedigree kann durch Einsatz

von RFID effizienter erfolgen als mit Barcode. RFID-Tags sind über Dis-tanzen von mehreren Metern hinweg einfach und zuverlässig lesbar. ImGegensatz zum Abtasten von Barcodes mittels Laserpistole ist ein exaktesAusrichten auf ein sichtbares Etikett nicht nötig. Sie müssen nicht wieBarcodes einzeln erfasst werden. Innerhalb einer Sekunde können 50RFID-Tags in einem Karton gleichzeitig identifiziert werden (Pulklesung).Für den E-Pedigree bedeutet das, dass die Identnummern automatisch – füralle Packungen in einem Karton gleichzeitig sogar durch das Verpa-ckungsmaterial hindurch – aufgezeichnet werden können. Erst durch dieseMöglichkeiten der RFID-Technologie wird der Erfassungsaufwand sostark reduziert, dass eine Identifikation auf Ebene der einzelnen Medika-mentenverpackung wirtschaftlich sinnvoll wird. Vorteilhaft ist es, dass dieIdentnummer zur eindeutigen Identifikation des Medikaments sowohl fürden E-Pedigree als auch für die Authentifizierung durch den Hersteller ge-nutzt werden kann.Wesentliche Voraussetzung ist, dass der RFID-Tag wirtschaftlich ange-

bracht werden kann. Das erfolgt am günstigsten bereits durch die Verpa-ckungsmaschine während des Verpackungsvorgangs des Medikaments ineine Flasche, Faltschachtel etc. Auch mit RFID-Tags vorbereitete Verpa-ckungsmaterialien bieten hier günstige Möglichkeiten. Hier bietet es sichinsbesondere an, den RFID-Tag so in die Verpackung zu integrieren, dasser bei einem Öffnen der Packung beschädigt wird. So kann man unmittel-bar erkennen, ob auf dem Weg durch die Supply Chain unberechtigte Mo-difikationen am Medikament vorgenommen wurden. Aus einer Kooperati-on zwischen dem Schweizer Verpackungshersteller Zeiler und der SiemensAG sind Anfang 2005 erstmalig solche integrierten Lösungen hervorge-gangen.

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Abb. 2. Anwendung des elektronischen Produktcodes (EPC)

Weiterer wichtiger Bestandteil der Gesamtlösung ist eine für die gesam-te pharmazeutische Industrie vereinheitlichte Identifikationsmethodik. Esbietet sich die Übernahme des durch EPC Global für Konsumgüter bereitsstandardisierten Nummerierungsschemas an. EPC steht für den elek-tronischen Produktcode. Er besteht im Wesentlichen aus der Identifikationdes Herstellers, des Produkts und je Produkt einer Seriennummer, die vomHersteller vergeben wird. EPC Global ist eine Standardisierungsorganisa-tion, die derartige Nummernkreise an die Hersteller vergibt. Der EPC-Code kann zur Identifizierung einzelner Medikamente genauso verwendetwerden wie für die Identifikation von sekundären Gebinden und Ladungs-trägern. Die Übernahme des für Konsumgüter bereits festgelegten Stan-dards in die pharmazeutische Supply Chain ist insbesondere für Handels-unternehmen wie Wal-Mart, Albertsons etc. interessant, die Konsumgüterund Medikamente über die gleichen Wege in ihre Filialen verteilen.Eine wesentliche Einschränkung für die Nutzung von RFID bieten je-

doch die Materialeigenschaften der Medikamente. Insbesondere wässrigeFlüssigkeiten und Metall wirken sich unter Umständen negativ auf die Le-segeschwindigkeit, -qualität und -reichweite aus. Da die Frequenz von13,56 MHz die besten Lesefähigkeiten für Flüssigkeiten besitzt, ist esgünstig, für die Identifikation der einzelnen Verpackungen auf diese Fre-quenz zurückzugreifen. Da ihre Reichweite jedoch auf maximal einen Me-ter begrenzt ist, müssen die Sekundärverpackungen und größere logistische

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Einheiten mit RFID-Tags aus dem Bereich der UHF-Frequenzen (868MHz bis 950 MHz) ausgestattet werden, was eine komplexere Infrastruk-tur von RFID-Lesern bedingt.In einer Gesamtlösung ist davon auszugehen, dass die Ware entweder

auf Paletten oder direkt in einzelnen Kartons geliefert wird. Die Iden-tifikation erfolgt über das UHF-RFID-Tag auf der Palette oder auf demKarton. Der Wareneingang wird gegen ein elektronisches Avis überprüft,das der Ware vorauseilend von dem vorigen Eigner gesendet wurde. Die-ses Avis enthält auch die einzelnen EPC-Codes der Medikamentenverpa-ckungen in den Kartons. Unter der Annahme, dass die Kartons oder Palet-ten nicht manipuliert wurden, ist dadurch die Führung des E-Pedigreebereits gewährleistet. Eine hundertprozentige Kontrolle ergibt sich durchÜberprüfung des Kartoninhalts in einem 13,56-MHz-RFID-Tunnel-Lesegerät. Da in der Regel ab dem Großhändler mit einzelnen Kartons ge-arbeitet wird, ist die dafür gegebenenfalls notwendige Vereinzelung derangelieferten Palette nicht mit einem besonderen zusätzlichen Aufwandverbunden.Die Kommissionierung einzelner Medikamente kann durch 13,56-MHz-

Technologie sicher verfolgt werden, da die Lesereichweite ausreicht, umdie Handgriffe eines Menschen zu verfolgen. Zum Abschluss kann derVersandkarton erneut einen Tunnelreader passieren, um den Inhalt zwei-felsfrei zu dokumentieren und das Lieferavis für die nächste Stufe derSupply Chain vorzubereiten.Die weltweiten Umsatzverluste der Pharmahersteller durch Produktpira-

terie werden weltweit auf circa 30 bis 40 Milliarden Euro geschätzt. Dassind mehr als sieben bis zehn Prozent des Weltmarkts. Allein im Jahr 2004wurden in den USA mehr als 30 Fälle von Fälschungen und nochmals 30Fälle von illegal eingeführten Originalpräparaten entdeckt. Auch in Groß-britannien (14 Fälschungen, zwei illegal eingeführt) und Deutschland(sechs bis sieben Fälschungen pro Jahr) werden solche Fälle beobachtet.Mit einer hohen Dunkelziffer muss gerechnet werden. Besonders betroffe-ne Produktgruppen sind Lifestyle-Medikamente, Psychopharmaka, die alsDrogen missbraucht werden können, hochpreisige Präparate wie Hormone,Krebs- und Aidsmedikamente sowie speziell in der Dritten Welt verbreite-te Arzneimittel.Diese Produktfälschungen lösen immer wieder Rückrufaktionen aus.

Die Rückrufe selbst, aber auch mit den Fälschungen verbundene Gerichts-prozesse verursachen nicht nur Kosten, sondern auch Imageverluste undführten zuletzt auch zu signifikanten Abschlägen auf den Börsenwert desPharmaherstellers.

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248 Dr. Hans Christoph Dönges, Ulrich Otto

Abb. 3. Gesamtlösung für Medikamentenverfolgung

Gründe für diese hohe Zahl von Fälschungen und Grauimporten liegenin den hohen Margen der illegalen Geschäfte und nicht in der Verletzbar-keit der komplexen Supply Chain der pharmazeutischen Industrie. Insbe-sondere in den USA werden Medikamente auf dem Weg vom Herstellerzum Patienten sehr häufig zwischengehandelt, und jeder Warenübergangerhöht die Gefahr, dass illegale Produkte eingeschleust werden.Preise für Medikamente sind in den USA vergleichsweise hoch, eine

Abdeckung durch Versicherungsleistungen wie in Europa ist dort oft nichtgegeben. Daher kaufen US-Patienten sehr kostenbewusst ein. Pharmaher-steller, die – etwa durch die oben beschriebene RFID-Lösung mit Online-Authentifizierung im Krankenhaus oder in der Apotheke – in der Lagesind, für ihre Produkte ein Echtheitszertifikat zu gewährleisten, werdendaraus einen Wettbewerbsvorteil gewinnen und Patienten an sich bindenkönnen.

Vorreiter USA und Pharmahersteller mit Lifestyle-Produkten

US-Behörden und die Gesetzgeber einzelner US-Bundesstaaten, allen vor-an Florida und Kalifornien, gehen noch weiter. Zum Schutz der einzelnen

Behälter- und

Paletten

auszeichnen

Artikel

auszeichnen

(Palette)

Lesen

Behälter- und

Paletten-

auszeichnen

(Paket)

Lesen

(Paket)

Lesen

(Paket)

Lesen

EPC Collector (Pharmahersteller)

VerknüpftProdukt-

daten

ÜbergibtEPC-Nr./verknüpft

Daten

EPC Collector (Großhandel) EPC Collector (Einzelhandel)

Angebot:

RFID

(Barcode)

Angebot:

Herkunfts-

nachweis

Angebot:

Netzwerk

zur Online-

Authentifi-

zierung

Webbasiertes zentrales

IT-Auskunftssystem

Object Name Service(ONS) „Trust Center“

Avis mitEPC-Nr.

Avis mitEPC-Nr.

Großhändler (1 zu n) Einzelhandel (Apotheken,

Krankenhäuser etc.)

ÜbergibtEPC-Nr.

Zeitstempel/speichern

LiestEPC-Nr.

Zeitstempel/speichern

LiestEPC-Nr.

Zeitstempel/speichern

Zeitstempel/speichern

ÜbergibtEPC-Nr./verknüpft

Daten

Pharmahersteller

Pharmazeutika-

produktion

Pharmazeutika

verpacken

Kommissi-onieren/

VersendenWareneingang

Kommis-sionieren/Versenden

Wareneingang Verkauf

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Patienten vor – im schlimmsten Fall lebensgefährlichen – Fälschungenfordern sie die Transparenz der Supply Chain. Die erste Implementie-rungsstufe ist in Florida bereits im Juli 2006 verpflichtend. Damit ist nichtnur ein probates Mittel vorhanden, die Gesundheit des Patienten, den Wertder Marke und des Pharmaunternehmens zu schützen, sondern es werdenauch Handelsbarrieren aufgebaut, die schwarze Schafe der Branche nurschwer überwinden können.Transparenz deckt allerdings auch potenziell unnötige Handelsstufen auf

und erlaubt Kostensenkungen oder eine Verschiebung der mit dem Zwi-schenhandel verbundenen Margen auf andere Teilnehmer in der SupplyChain. Solche sehr umstrittenen Vorstöße wurden in Deutschland zuletztvon Pfizer unternommen.Während die Ausprägung der technischen Lösung von den Bundesstaa-

ten offen gelassen wird, so bemüht sich die Food and Drug Administration(FDA) um einen technologischen Standard. Durch verschiedene Studien istdie FDA zu dem Entschluss gekommen, dass die Technologie RFID denhöchsten Grad von Vorteilen erreicht. Somit empfiehlt die FDA RFID alsdie bevorzugte Technologie, schreibt sie allerdings nicht verbindlich vor.Sie überlässt es im Moment den Industrievertretern in Abstimmung mit derFDA zu einem Standard zu kommen. Die europäischen Behörden sind da-gegen noch sehr abwartend und werden vermutlich die Taktik des FastFollower anwenden. Ihr Handlungsdruck ist zumindest auf dem Papier ge-ringer, da weniger Fälschungen entdeckt wurden. Der Handel zwischenhoch- und niedrigpreisigen EU-Ländern ist allerdings rege und von denPharmaherstellern sicherlich nicht gewollt. Es ist wohl nur eine Frage derZeit, dass sich Behörden und Industrie mit der Transparenz des Handelsauseinander setzen müssen.

Die erste Anwendung öffnet einen neuen Lösungsraum

Zwar stehen der Produkt- und Markenschutz beim RFID-Einsatz eindeutigim Vordergrund, die Bedeutung einer E-Pedigree-Lösung ist aber sehrhoch für die Verbreitung von RFID-basierten Lösungen generell. Ist derRFID-Tag erst einmal auf der Verpackung und RFID-Lesestellen etabliert,haben alle darauf aufbauenden Anwendungen eine viel bessere Kosten-Nutzen-Relation. Kosten zur Erweiterung der RFID-Infrastruktur werdensignifikant sinken.Neben der reinen Dokumentation des E-Pedigree entsteht durch die

Identifikation auf der Ebene von einzelnen Packungen auf jeder Stufe derSupply Chain eine Reihe von weiteren Vorteilen. Insbesondere operative

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Verbesserungen in der Lagerabwicklung sind durch Piloten in der SupplyChain für Konsumgüter nachgewiesen und lassen sich auf die logistischenAnwendungen in der pharmazeutischen Industrie übertragen. Die Ver-arbeitung von Informationen in Echtzeit und die Änderung der Geschäfts-abläufe wird dann zur Mammutaufgabe der Industrie.Das beginnt bei der Wareneingangserfassung. Pro Karton ist es möglich,

das angelieferte Produkt und auch die angelieferte Stückzahl automatischzu ermitteln. Stichproben und Zählprozesse durch Bedienpersonal entfal-len. Der Bestellabgleich und zukünftig auch der Anstoß des Bezahlvor-gangs mit dem IT-System des Lieferanten können automatisch erfolgen.Der Kommissionierer kann direkt im Prozess darauf hingewiesen werden,wenn er dem Lager ein falsches Produkt oder eine falsche Stückzahl füreinen Auftrag entnommen hat. Dadurch erhöht sich die Kommissionier-qualität, gleichzeitig sinkt der Aufwand für Kontrollen und Nachbearbei-tung. Hinzu kommen Diebstahlschutz, verbesserte Retourenbearbeitungund die Möglichkeit zur Inventur in Echtzeit.An Ideen für weitere Anwendungen mangelt es nicht, zum Beispiel auch

über die Supply Chain hinaus

• Ermöglichen einer neuen Kundenbindung an den Pharmahersteller,wenn der Kunde mit dem Handy selbst den RFID auf dem Medikamentausliest und mit der Datenbank des Pharmaherstellers in Kontakt tritt,um beispielsweise den Beipackzettel elektronisch abzufragen

• Schaffen einer neuen Qualität von Kundeninformation, da der Weg ei-ner einzelnen Medikamentenverpackung nachvollziehbar wird

• Verbesserung der Kostenkontrolle im Gesundheitswesen, in Italien gibtes mit dem Bolino einen Barcode mit einer eineindeutigen Nummer fürjede Medikamentenschachtel, die Mehrfachabrechnungen von Medika-menten unterbinden soll

• Sicherstellen einer patientengerechten Medikamentierung in Kranken-häusern

Die Intelligenz kommt aus der Software

Der vielschichtige Nutzen RFID-basierter Lösungen kann nicht nur durchdie Technologie selbst geliefert werden. Wesentlicher Bestandteil ist dieVerarbeitung der verpackungsbezogenen Information. Gleichzeitig müssenGeschäftsprozesse an die Nutzung der neuen Information angepasst wer-den, um sicherzustellen, dass Informationen auch einen Mehrwert für dasUnternehmen liefern. Dieser Dreiklang aus Geschäftsprozessveränderung,

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Informationsverarbeitung und Technologie bildet die Lösung, die einensignifikanten Geschäftswert zum Unternehmen beitragen kann.Für die E-Pedigree-Lösung in der Pharma-Supply-Chain müssen etliche

Randbedingungen erfüllt werden, die sich auf die einzusetzende IT-Architektur auswirken.Im Vordergrund steht bei den Pharma- und Logistikunternehmen der

Wunsch nach einer flexiblen und skalierbaren Software, die zunächst ge-nau die Anforderungen der Behörden erfüllt. Eine tiefe Integration in dieUnternehmens-IT ist anfangs nicht erwünscht, um sich vor Risiken undKosten zu schützen, die mit steigender Komplexität einhergehen. DieSoftware soll aber das Potenzial bieten, zu einem späteren Zeitpunkt sehreinfach in die vorhandene Unternehmens-IT integrierbar zu sein, um aucheinen operativen Nutzen zu erzielen. Der Durchsatz der Verpackungsma-schinen und der lokalen Logistikprozesse darf nicht beeinträchtigt werden.Daher muss die Funktionalität in den Fertigungsstätten oder Lägern vor-handen sein und in Echtzeit zur Verfügung stehen. Ein zentrales Rechen-zentrum als lokaler Service-Provider kann dies ermöglichen.Die lokalen Daten in Warenhäusern und Distributionszentren müssen

vor Missbrauch geschützt werden. Es liegt im Interesse der Distributoren,ihre Vertriebswege und -strategien, sofern legal, zu schützen, um ihreMargen zu sichern. Daher dürfen nur autorisierte Nachfrager auf die E-Pedigree-Daten zugreifen, zum Beispiel relevante Behörden bei gezielterNachfrage oder Patienten, die eine Online-Autorisierung durchführen. DieSpeicherung der Daten muss ökonomisch erfolgen, damit keine unüber-schaubaren Investitionen in Datenbanken und dafür notwendige Server-Rechner notwendig werden. Es bedarf adaptiver Filtermechanismen undeines sinnvollen Archivierungsschemas, das den Dateninhalt sinnvoll re-duziert.Bei Nutzung der EPC-Global-Standards soll außerdem eine Integration

in die EPC-Global-IT-Architektur und die Object Naming Services (ONS)möglich sein, um von den von EPC Global zur Verfügung gestellten Servi-ces zur Produktverfolgung über die gesamte Supply Chain zu profitieren.Für die Hardware müssen lokale und zentrale Administrationsfunktio-

nen zur Versions- und Konfigurationspflege zur Verfügung gestellt wer-den. In einem Netzwerk aus mehreren Standorten sind zentrale Abfrage-möglichkeiten auf Unternehmensebene und ein zentrales Management derZugriffsrechte erforderlich.Für den Datenaustausch sind neueste Methoden zu berücksichtigen. Ein

Unternehmen ist nur dann in der Lage, lokal automatisch einschätzen zukönnen, ob die angelieferte Ware legal angenommen werden kann, wennder Zugang von einer vertrauenswürdigen Quelle bestätigt wird. Ein eta-

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bliertes Verfahren in der Supply Chain für Konsumgüter ist das Waren-avis. Die effizienteste Methode für automatischen elektronischen Daten-austausch bietet EDI per Internet. Diese Funktionalität wird häufig vonERP-Systemen zur Verfügung gestellt. Es ist jedoch davon auszugehen,dass nicht in allen Stufen der pharmazeutischen Supply Chain ERP-Syste-me mit derartigen Verfahren bereits etabliert sind. Zusätzlich stellt eineWarenankündigung auf Ebene einzelner Packungen die meisten ERP-Sys-teme heute vor eine sehr große Herausforderung. Um der Anwenderforde-rung nach einfacher, möglichst sparsamer Integration zu entsprechen, ist esdaher vorteilhaft, wenn die E-Pedigree-Software selbstständig dazu in derLage ist, die abgehende Ware der nächsten Stufe in der Supply Chain ge-nau zu avisieren. Letztendlich muss die Software auch darauf ausgelegtsein, andere Ereignisse als Warenzugänge und -abgänge zu registrieren, al-so etwa Kommissioniervorgänge oder interne Umlagerungen, um Transpa-renz und Effizienz in der innerbetrieblichen Logistik zu schaffen.Unabhängig davon, ob die Identifikation der Objekte mit RFID-

Technologie oder mit Barcodes erfolgt, ist eine solche Software der Kerneines Auskunftsservices mit kurzer Reaktionszeit und hoher Effizienz fürdie US-Behörden oder den Patienten.

Abb. 4.Webbasierte Vernetzung über Object Name Services

Option: zentraler Zugriff

Hersteller

Webbasiertes, zentrales IT-Auskunftssystem

ONSObject Name Service

Stellt Bereich von Seriennummern zur Verfügung

Bearbeitung von Authentifizierungsanfragen

Anfragen zur Herkunft (e-Pedigree)

Trust-Center-Funktionalität

FDA/staatliche Behörden/Vorschriften

Geräte-

Manager

Seriennr.-Erzeugung

Herstellungsdaten

Markierung „verkauft“

Authorisierungs-

Management

Authentifizierung

beim Hersteller

Großhandel Apotheken/Kliniken

RFID-Geräte

Avis aufArtikel-ebene

Lokales

Track &Trace

Geräte-

Manager

Authorisierungs-

Management

RFID-Geräte

Avis aufArtikel-ebene

Lokales

Track &Trace

Wareneingangsdaten

Versanddaten

(Ereignisdatenbank)

Geräte-

Manager

Authorisierungs-

Management

RFID-Geräte

Lokales

Track &Trace

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Nichts, was nicht schon heute realisiert werden könnte

Die Basisprodukte für eine E-Pedigree-Lösung sind heute bereits verfüg-bar. Speziell die notwendige RFID-Hardware ist durch die treibende Rolleder Anwender in der Supply Chain für Konsumgüter zur Einsatzreife ge-langt. Auch wenn das Problem, wie Kartons auf einer Palette gelesen wer-den, noch nicht gelöst und man von der Pulkerfassung einzelner Warennoch entfernt ist, so bietet doch die Kombination die notwendige Prozess-sicherheit. Hier werden zunächst alle Einzelstücke in einem Karton etwadurch einen Tunnelreader erfasst, um dann alle Kartons auf der Palette zuerfassen. Diese Verfahren lassen sich durch automatisierte Palettenbildungunterstützen und weiter verbessern.Grundsätzlich stehen auch die erforderlichen Software-Architekturen für

die oben beschriebene Lösung bereits zur Verfügung. Internettechnologieund serviceorientierte Architekturen gehören heute zum Standard. Daten-banken werden stets mächtiger und bringen immer mehr vorinstallierteFunktionen zur Filterung und raschen Bearbeitung von Massendaten mit.Die für die Implementierung der Datensicherheit notwendigen Funktionenfindet man heute bei Kreditkartenanwendungen, beim Homebanking etc.Woran es derzeit fehlt, ist ein Standard für den Datenaustausch zwi-

schen Unternehmen der pharmazeutischen Supply Chain. Das beginnt beider Festlegung des Inhalts und der Struktur der EPC-Nummer selbst, beiden Datenstrukturen des Warenavis und endet bei einer offenen Schnitt-stelle für autorisierte Abfragen des lokalen Datenbestands durch Behörden,Patienten und andere Anwender.Vor sechs Jahren haben Handelsunternehmen, ihre Lieferanten und

Technologieanbieter das Auto-ID-Center gegründet, um RFID-Techno-logie in ihren Prozessen nutzbar zu machen. Die Pilotprojekte der dort or-ganisierten Anwender haben zu erheblichen Innovationen auf dem Techno-logiesektor geführt, die schließlich im EPC-Global-Standard für den Inhaltder RFID-Tags und der Schnittstelle zwischen den Tags und den Readernmündete.Durch dem Druck der FDA, der US-Bundesstaaten, der Hersteller und

Distributoren der pharmazeutischen Industrie, durch Pilotprojekte wieJumpstart in den USA oder Initiativen von Pharmaherstellern für einzelneBlockbuster ist auch in dieser Branche damit zu rechnen, dass sehr schnelltechnologische Fortschritte erreicht werden und dass sich zügig Standardsetablieren. Die intensive Beteiligung der Anwender in dieser Phase sorgtdann automatisch dafür, dass, sobald die Standards gefunden sind, sichunmittelbar auch die Lösungen am Markt etablieren, die nicht nur die

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RFID als Technologie, sondern auch die dahinter liegende Informations-verarbeitung und neu gestaltete Geschäftsprozesse umfassen.

Eine Gesamtlösung ist gefragt

Von den Anwendern wird oft bemängelt, dass es nur wenige Unternehmengibt, die eine Komplettlösung anbieten können. Obwohl die Verfügbarkeitaller notwendigen Komponenten für eine Lösung gegeben ist, erfordert dieZusammensetzung zu einer Gesamtlösung und ihre physikalische Imple-mentierung eine Vielzahl von zum Teil konkurrierenden Unternehmen.Noch müssen sich investitionswillige Unternehmen mit einer Vielzahl

von Schnittstellen und Standardisierungsfragen selbst befassen. Speziellvor diesem Hintergrund wird von den Anwendern daher gewünscht, einenKomplettanbieter für die gesamte E-Pedigree-Anwendung zu finden, derdie sich etablierenden Standards in seine Lösung aufnimmt und dem An-wender das Management vieler beteiligter Partner erspart. Dieser Anbietersollte in der Lage sein, die Lösung einheitlich über die Fertigungs- undLogistikstandorte von zum Teil weltweiten Unternehmen auszurollen.Beispiele dafür sind Dematic und Siemens, die seit dem vergangenen

Jahr ein integriertes Leistungsangebot zur Verfügung stellen. Basierendauf Technologiekompetenz und langjähriger Erfahrung in der Pharma-branche wurde eine Komplettlösung entwickelt, die alle notwendigenHardware-Komponenten, ihre Integration in die physikalischen Logistik-prozesse und eine Software umfasst, um den in diesem Artikel beschriebe-nen E-Pedigree-Anforderungen und den Wünschen zur Online-Autentifizierung von Medikamenten zu entsprechen. Sowohl Hardware-als auch Software-Produkte sind an den Schnittstellen aufeinander abge-stimmt. Die Software ist ein eigenständiges Produkt, das als Baustein einerdurchgängigen Logistiksuite konzipiert wurde. Es bringt daher die not-wendigen Schnittstellen zur Integration in die Logistik-Software mit.Durch die von Siemens und Dematic verfolgte Plattformstrategie für dieSysteme zur Fertigungs- und Logistiksteuerung kann die Lösung sowohl inLogistk- als auch in Fertigungssysteme integriert werden.Auf dem Weg, den Teufelskreis der Hemmnisse zu durchbrechen, ist es

ein wichtiger Schritt, eine solche funktionsfähige Lösung zu erzeugen.Best Practice übt eine Richtwirkung auf die Branche aus, einen Industrie-standard zu schaffen, der dann den langen Weg durch die Standardisie-rungsgremien nimmt und dort ständig verfeinert wird.

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Von der Pharmaindustrie lernen

Die Pharmaindustrie bereitet sich auf eine Welt mit neuen Maßstäben fürLogistikvernetzung, Echtzeit-Betrieb und Prozesse sowie Verknüpfungvon Warenstrom und Geldfluss vor. Die Konsumgüterindustrie kann dazubereits erste Implementierungserfahrungen beisteuern. Die Möglichkeitenvon neuen Anwendungen wie die Erschließung neuer Informationskanälezum Kunden oder die Nutzung neuer Informationen zum Verbleib vonMedikamenten, sind allerdings auch von diesen Industrien noch wenig er-forscht. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von Industrien, die ein großesInteresse an den Erfahrungen speziell der Pharmaindustrie haben müssen,da sie ähnliche Charakteristika aufweisen: hohe Preise pro Verpackung, re-lativ geringe Kundenbindung an den Hersteller, hohe Fälschungsanfällig-keit und gleichzeitig hohe Attraktivität für Fälscher.Hierzu zählen sicherlich

• Die Automobilindustrie mit ihren Ersatzteilen mit hohen Margen undeiner Fülle von Fälschern sowie einer sehr fragmentierten und damitintransparenten Werkstattebene, die auch einen Kanal für gefälschte Er-satzteile darstellt. Gleichzeitig ist auch in dieser Industrie Verfügbarkeitein entscheidendes Kaufargument und damit Transparenz über dieSupply Chain ein signifikanter Geschäftswertbeitrag

• Die Zigarettenindustrie, die in hochpreisigen Ländern sehr gut verdientund die mit dem Zoll eine gemeinsame Interessenlage gegenüber Grau-oder Schwarzimporten haben sollte

• Die Parfumerzeuger, die nur wenige Schutzmechanismen einsetzen undderen hochpreisige Flacons deshalb oft auf dem Graumarkt auftauchen

Der Weg in eine vernetztere Welt der Waren- und Geldströme ist nochlang. Eine Beschleunigung dieser Evolution ist möglich. Lösungsanbietersollten den anwendenden Industrien gesamtheitliche Ansätze anbieten undnicht ein Puzzle aus Prozessveränderung, IT und RFID. Diese Industrienmüssen beginnen, die erforderlichen Veränderungen bei den Geschäfts-prozessen umzusetzen, damit der Nutzen von neuen RFID-basierten Lö-sungen gehoben wird. Beide müssen sich schnell auf Standards einigen,um Pionierinvestitionen zu minimieren. Dann werden in der nahen ZukunftHersteller, Logistiker sowie heute schon der Kunde die individuelle Ver-packung schätzen.

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eService-Plattform Salzgitter

Günter König, CIO Salzgitter Gruppe

Die Auftragsabwicklung in der Stahlbranche ist geprägt durch komplexeund abstimmungsintensive Prozesse. Die Produktstruktur der Stahlbranchebedingt in der Regel eine Kundeneinzelfertigung, die 300 Merkmale undmehr – wie Qualität, Abmessung, Normen etc. – zur Spezifikation einerAuftragsposition erfordert. Hieraus resultiert unter anderem die Notwen-digkeit, die an den Geschäftsprozessen beteiligten Personen in ihrer Zu-sammenarbeit und Interaktion durch IT-gestützte Verfahren zu unterstüt-zen. Mit der „eService-Plattform“ hat der Salzgitter Konzern eineIntegration der Auftragsprozesse über Unternehmensgrenzen hinweg ge-schaffen. Hierdurch wird die Transparenz und Effizienz für alle Beteiligtengesteigert.

Abb. 1. eService-Plattform: Prozessintegration für Geschäftspartner

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258 Günter König

Die eService-Plattform ist ein Dienstleistungsangebot zur integriertenAuftragsabwicklung für die Stahlbranche, ist seit Januar 2003 im produk-tiven Betrieb und wird derzeit von mehr als 1400 Anwendern bei Ge-schäftspartnern beziehungsweise aus den eigenen Vertriebsbereichen ge-nutzt.

Salzgitter Konzern und GESIS

Zur Orientierung werden hier zunächst unsere Geschäftsfelder und unserunternehmerisches Umfeld vorgestellt.Der Salzgitter Konzern ist ein weltweit agierender Stahl- und Technolo-

giekonzern. Mit einer Rohstahlproduktion von rund 8,7 Millionen Tonnenim Jahr 2004 gehört der Konzern zu den 25 weltweit führenden Stahlpro-duzenten und zu den fünf größten Europas.Die Unternehmensbereiche Stahl, Röhren, Handel und Dienstleistungen

decken die Kernkompetenzen in der Produktion, im Handel und in derVerarbeitung von Stahl ab, wie etwa Automobilzulieferung und -En-gineering, Bauteile für Hoch-/Tiefbau oder Pipelines.

Abb. 2. Salzgitter Konzern: Stahl und Technologie

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eService-Plattform Salzgitter 259

Die Gesellschaft für Informationssysteme GmbH (GESIS), ein Unter-nehmen des Salzgitter Konzerns, ist eines der deutschlandweit führendenUnternehmen für IT-Lösungen im Bereich der Stahl- und Röhrenindustriesowie des Stahlhandels. Mit mehr als 150 Mitarbeitern bietet GESIS denKunden Organisationsberatung, Analyse, Realisierung und den Betriebvon IT-Systemen sowie den vollen Service eines Großrechenzentrums.Die Segmente des Leistungsspektrums gliedern sich in IT-gestützte Pro-

zesslösungen der Bereiche E-Business, Enterprise Resource Planning(ERP), Supply Chain Management (SCM), Customer Relationship Mana-gement (CRM), Content-Management-Systeme, Knowledge-Management-Systeme, Data Warehouse, Bürokommunikation, Internet/Intranet, Appli-kation Service Provider und Rechenzentrumsleistungen sowie Infrastruk-turdiensten wie Netzwerk und Security.

Ausgangssituation

Im Jahr 2001 hat GESIS die Vertriebsabwicklungsprozesse einer umfas-senden Analyse unterzogen. Ein Ergebnis dieser Untersuchung war es,dass neben den Hauptakteuren, Einkäufer auf der Kundenseite und Ver-käufer auf der Lieferantenseite, weitere Geschäftspartner in die Vertriebs-abwicklung eingebunden sind.Lagerhalter, Servicecenter, Zertifizierungsgesellschaften, Transport-

gesellschaften und andere haben im Prozessverlauf Informationsbedarf.Diese mussten aus Systemen gedeckt werden, die nicht oder nur unzurei-chend synchronisiert waren. So kamen die Geschäftspartner bei identischerFragestellung zwangsläufig zu unterschiedlichen Antworten. HeterogeneKommunikationswege und somit Medienbrüche haben den Informations-austausch zusätzlich erschwert.Das Resultat waren Missverständnisse, Reibungs- und Zeitverluste in

der gesamten Prozesskette der Vertriebsabwicklung sowie Doppelarbeitenund manuelle Erfassungsvorgänge.

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260 Günter König

Abb. 3. Geschäftsprozesse waren häufig Medienbrüchen unterworfen

Zielsetzung

Mit den Ergebnissen dieser Analyse des Vertriebsabwicklungsprozesseslagen die Zielsetzungen auf der Hand.Die beschriebene Ausgangssituation musste durch Schaffung einer ge-

meinsamen Datenbasis für alle an der Vertriebsabwicklung beteiligten Ge-schäftspartner deutlich verbessert werden. Eine gemeinsame Informations-und Kommunikationsplattform, die allen Anwendern bei Geschäftspart-nern und im eigenen Haus gleichzeitig, ortsunabhängig und gleichartigstrukturiert zur Verfügung steht, war das primäre Ziel. Jeder sollte ohneden Zwang, seinen „üblichen“ Ansprechpartner auf althergebrachtenKommunikationswegen (wie Telefon, Fax) zu erreichen, agieren können.Zum einen erfordert dies die Informationsbereitstellung ohne Medien-

brüche. Zum anderen sollten Dialoge für Geschäftspartner bereitgestelltwerden, um die jeweils nächsten Prozessschritte initiieren zu können. Sosollte ein Kunde zum Beispiel einen Wiederholauftrag oder einen Ver-sandanstoß jederzeit selbst auf dieser Kommunikationsplattform auslösenund den Bearbeitungsfortschritt verfolgen können. Die Integration der Da-tenströme, und somit der durchgängige Geschäftsprozess ohne Medien-

Es gibt einen großen Unterschied zwischen demGeschäftsprozess und der IT-Umsetzung

Heterogenität und nicht vollständige Implemen-tierung verringern die Effizienz der Prozesse

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eService-Plattform Salzgitter 261

bruch, in die ERP-Systeme des Salzgitter Konzerns war eine weitere Ziel-setzung.Diese Ziele waren Herausforderung und Auftrag zur Realisierung der

eService-Plattform Salzgitter.

Abb. 4. Enterprise Service Architecture

Leistungsportfolio

Das Dienstleistungsangebot der eService-Plattform umfasst folgende mo-dulare Bausteine, die grundsätzlich allen am Geschäftsprozess Beteiligtenzur Verfügung stehen:

• Ein leistungsfähiges Berichtssystem integriert alle auftragsrelevantenDaten und dient als verlässliche Auswertungsbasis für Vertrieb, Be-schaffung und Management.

• Das Dokumenten- und Content-Management-System bietet zum Bei-spiel die Möglichkeit der Führung einer elektronischen Auftragsakte, indie auftragsbezogen alle relevanten Dokumente und Informationen zu-sammengefasst sind. Es ist eng mit dem Berichtssystem verzahnt; sokann aus einer Auswertung direkt in die Auftragsakte verzweigt werden.

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262 Günter König

Abb. 5. Eine Kommunikationsdrehscheibe

• Mithilfe vorgefertigter Standardprozessmodule können Geschäftspartnersicher und zuverlässig in den gesamten Geschäftsprozess integriert wer-den. Dies erleichtert die Auftragsadministration und erhöht die Daten-qualität.

• Das Projektsystem bietet unternehmensübergreifend allen Beteiligtenfür den Verlauf eines Projekts eine gemeinsame Kommunikationsdreh-scheibe. So wird gewährleistet, dass sämtliche relevanten Informationenallen Beteiligten zu jedem Zeitpunkt in gleicher Qualität zur Verfügungstehen.

Im Detail unterstützen diese Module die Geschäftsprozesse folgender-maßen:

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eService-Plattform Salzgitter 263

Das Navigations- und Berechtigungssystem ist auf Basis SAP Net-Weaver Portal realisiert.

Der Zugang der Anwender zu den Applikationen ist in dieser Schichtgeregelt. Nach Authentifizierung1 erhält der Anwender gemäß der ihm zu-geordneten Rolle die Navigationsstruktur, die seiner Aufgabenstellung ent-spricht. So sieht der Anwender eines Geschäftspartners in der Rolle „Be-steller“ eine andere Navigationsstruktur als ein Warenempfänger oderRegulierer beziehungsweise als ein Mitarbeiter des eigenen Hauses. Diejeweiligen Detailsichten, zum Beispiel Layout-Anordnungen von Portal-iViews2, sind darüber hinaus von jedem Anwender personalisierbar.Die Portalschicht bietet durch das Single-Sign-on-Verfahren3 einen ho-

hen Komfort in der Handhabung und erlaubt es dem Anwender, sich aufseinen Handlungsbedarf und seine Aufgabenstellung zu konzentrieren.Aus Sicht des Anwenders findet kein Wechsel der Applikationen und Sys-teme, keine erneute Authentifizierung sowie keine Behinderung durchwechselnde Zugangs-Software statt – alle Funktionalitäten sind „aus einemGuss“.Des Weiteren leistet diese Schicht die Darstellung des Corporate De-

sign. Die Darstellung von Logo, Farben, Schriften und Ähnlichem sindhier definiert und erleichtern dem Anwender durch gleichartige Darstel-

1 Authentifizierung bedeutet die Anmeldung des Anwenders, z. B. durch Nameund Kennwort.

2 Unter einem iView ist ein „Teilfenster“ auf einer Bildschirmseite des Portals zuverstehen.

3 Nach der erstmaligen Anmeldung am Portal ist durch den Anwender keine wei-tere Anmeldung an die untergeordneten Applikationen erforderlich.

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264 Günter König

lung und Struktur der Applikationen die Orientierung und somit die Hand-habung.Auch der Sicherheitsaspekt sei hier kurz erläutert. Der zentrale Anwen-

derzugang, insbesondere über das Internet, wird vom Portal im Zusam-menspiel mit Firewall und Reverse-Proxy4 mittels SSL5-Verschlüsselungdes gesamten Datenverkehrs zum Anwender und allen beteiligten Applika-tions- und Datenbank-Servern sichergestellt.

Das Berichtssystem ist ein auf Basis SAP NetWeaver Business Intelli-gence (BI) realisiertes Data Warehouse.

In der Top-Level-Navigation des Portals findet der Anwender den Me-nüpunkt „Berichte“. Dieser gliedert sich in der Second-Level-Navigationin die dem Auftragsbearbeitungsprozess folgenden Berichtsgruppen. Zujeder Berichtsgruppe gibt es Reports unterschiedlicher Aggregation. So istneben Überblicksberichten auf Jahres- und Quartalsebene der Drill Downbis zur „atomaren“ Berichtsebene wie der Auftragsposition oder dem ein-zelnen Materialstück möglich. Die ganzheitliche Prozesssicht der eSer-vice-Plattform zeigt sich unter anderem dadurch, dass von jeder atomarenBerichtsebene ein Absprung zum Dokumenten-Management möglich ist,der alle zum Auftrag gehörenden Dokumente zur Ansicht bringt. Doch da-von später mehr.

4 Firewall und Reverse-Proxy sind IT-Dienste, die der Kontrolle des Daten-verkehrs zum und vom Internet zur Vermeidung z. B. von unerlaubten Zugriffendienen.

5 Die Abkürzung SSL steht für Secure Socket Layer, womit ein weltweit standar-disiertes Datenverschlüsselungsverfahren gemeint ist.

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Die Berichtsgruppe „Produktionsstatus“ sei hier als Beispiel für die Of-fenheit genannt, die die Geschäftsbeziehungen zwischen Kunde und Liefe-rant weiter vertieft hat. Hier kann der Kunde bis auf die Auftragspositions-ebene die Details der laufenden Produktion einsehen; das heißt, er erhältEinblick in den Status seiner Bestellung je Fertigungsaggregat, wobei diesje nach Produkt diverse Aggregate sein können. Die Transparenz wirdhierbei durch den Bericht „Fertigstellungsprognose“ abgerundet, der demKunden die Fertigstellungstermine zu seinen Positionen zeigt.Die hohe Flexibilität der eService-Plattform zeigt sich den Anwendern

unter anderem dadurch, dass jeder Anwender je nach Informationsbedarfzum Beispiel Spalten ein- beziehungsweise ausblenden, Umsortierungenvornehmen oder Filterkriterien definieren kann. Die hohe Akzeptanz dereService-Plattform wurde unter anderem aber auch durch die dauerhaftePersonalisierbarkeit dieser Berichte nochmals gesteigert. Denn jeder An-wender kann diese geschilderten Berichtsanpassungen unter einem vonihm selbst gewählten Namen speichern und jederzeit wieder abrufen. Sowurde mit dieser Methodik unter anderem ein Höchstmaß an Ergonomieerreicht, statt mit einer Vielzahl von Berichtsvarianten (zum Beispiel wie-der ein „neuer“ Bericht aufgrund einer geänderten Sortierung) eine kaumdurchschaubare Navigationsstruktur zu erzeugen.Auf weitere „Nebenfunktionalitäten“, wie Druck, Mail-Versand oder

Excel-Download zur Offline-Verwendung der Berichte, soll hier nicht wei-ter eingegangen werden.Der Download von Berichten im CSV(Colon Separated Values)-Format

sei nur kurz erwähnt. Hiermit ist unmittelbar der spontane Datenaustauschüber das Internet zur maschinellen Weiterverarbeitung beim Geschäfts-partner möglich, wobei sich bei dauerhaftem Bedarf aber natürlich die Ein-richtung eines vollständig maschinell ablaufenden Datenaustauschs viaSAP Exchange Infrastructure (XI) anbietet.Aber auch dies zeigt die hohe Flexibilität und schnelle (Re-)Aktions-

möglichkeit mit der eService-Plattform, da auch diese Funktionalität zurBeschleunigung von Geschäftsprozessen „embedded“, das heißt als inte-graler Bestandteil der Software, zur Verfügung steht.

Das Dokumenten- und Content-Management-System ist auf Basis SAPcFolders realisiert.

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Das Dokumenten-Management-System enthält alle wesentlichen zumKundenauftrag gehörenden Dokumente aus dem ERP-System, wie Auf-tragsbestätigung, Lieferscheine, Fakturen und Zeugnisse.Wie bereits geschildert, sind das Berichts- und Dokumenten-Mana-

gement-System eng miteinander verzahnt, sodass aus einem Bericht in dieelektronische Auftragsakte verzweigt werden kann. Darüber hinaus bietetdas Dokumenten-Management-System Suchfunktionen basierend auf In-dexkriterien, die für den Ladeprozess eines Dokuments maschinell gene-riert wurden.Hierbei sind im Interesse der optimalen Servicebereitstellung auch In-

dexkriterien berücksichtigt, die im Dokument selbst gar nicht enthaltensind. So kann der Anwender zum Beispiel alle Lieferscheine eines Quar-tals zu einem Regulierer finden, obwohl im Lieferschein diese Informationnicht enthalten ist.Die Versionierung von Dokumenten erleichtert den Anwendern die

Auffindung „historischer Zwischenstände“. Die Subskription von Ordnernoder ganzen Dokumententypen entlastet den Anwender vom,gegebenenfalls vergeblichen, manuellen Recherchieren nach neuenDokumenten. So kann zum Beispiel für einen Kundenanwender eine Regelhinterlegt werden, dass er nach dem Laden eines neuen Dokuments aktivvon der eService-Plattform eine Mail mit einem Link auf dieses Dokumenterhält.Die Vorteile des papierlosen Dokumentzugriffs sind in der Literatur hin-

länglich beschrieben. Hier sei aber der Aspekt der Integration in die Ge-samtprozesslandschaft mit dem Berichtssystem und den „Unterneh-mensübergreifenden Geschäftsprozessen“ (siehe unten) herausgestellt.Nicht der reine elektronische Dokumentzugriff, sondern der Kontextbezug

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eService-Plattform Salzgitter 267

zu den Geschäftsprozessen bietet in der eService-Plattform eine neue Qua-lität.

Die Unternehmensübergreifenden Geschäftsprozesse sind auf Basis vonSAP Customer Relationship Management (CRM) und SAP Internet Sales(ISA) realisiert.

Neben der Geschäftsprozessunterstützung durch die oben erläuterten In-formationskomponenten Berichtssystem und Dokumenten-Management-System bietet die eService-Plattform mit dem Modul „Unternehmens-übergreifende Geschäftsprozesse“ den Kundenanwendern die Möglichkeit,über das Internet aktiv weitere Prozessschritte zu initiieren. Im Leistungs-portfolio sind beispielsweise enthalten:

Abb. 6. Beispiele für Prozesse auf der eService-Plattform

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Im Berichtssystem sind aus der Vergangenheit der Kundenaufträge De-tails – insbesondere zum Beispiel zu Materialspezifikationen oder zu aktu-ellen Fertigbeständen – gespeichert, die im Rahmen der Auftragsabwick-lung von Kundeneinzelfertigungsprozessen auch als kundenspezifischeWarenkataloge interpretiert werden können. Unter anderem haben wir unsdiesen Ansatz für die eService-Plattform zunutze gemacht, um den ProzessWiederholauftrag schlanker zu gestalten. Ein Wiederholauftrag charakteri-siert sich dadurch, dass eine Materialspezifikation, die der Kunde bereits inder Vergangenheit bestellt hatte, erneut in Auftrag gegeben wird.Ohne Unterstützung dieses Prozesses durch die eService-Plattform stellt

sich das Kommunikationsschema wie folgt dar:

Abb. 7. Kommunikation im Prozess ohne eService-Plattform

Es ist unschwer zu erkennen, dass diese Kommunikation zwischenKunde und Lieferwerk, gegebenenfalls auch innerhalb der jeweiligen Un-ternehmen, von Medienbrüchen gekennzeichnet ist. Der Informationsaus-tausch per Telefon birgt die Risiken der Nicht-Erreichbarkeit des jeweili-gen Partners, Inkonsistenzen der Informationsstände und somit Missver-ständnisse. Zeit und Nerven der „menschlichen Integratoren“ werdendurch aufwendige Abstimmprozesse belastet. Die Bearbeitung des Vor-gangs in zwei oder mehr ERP-Systemen ist ein großer Nachteil. Der Kun-de erfasst die Bestellung in seinem Beschaffungssystem und das Liefer-werk denselben Vorgang nochmals in seinem Auftrags- und Planungs-system. Die Systeme werden in der Regel keinen oder gegebenenfallseinen über EDI-Verbindungen eingeschränkten Datenaustausch durchfüh-ren. Bei obiger schematischer Darstellung ist die Einbeziehung weitererPartner, wie Lagerhalter oder Spediteure, noch nicht einmal berücksichtigt.

Kunde ruftVertrieb

wegen Be-stellung an

Vertrieb suchtzugehörige

Auftragsakte

Vertriebgleicht

Auftrags-daten mit

Kunden ab

Kunde stimmtErgänzun-gen/Ände-rungen ab

Vertriebstimmt

Auftrag mitProduktion

ab

Kunde stimmtTermingrob mit

Vertrieb ab

VertriebterminiertLieferung

grob

Kundeerfragt

Auftrags-status

VertriebversendetAuftrags-

bestätigung

Kunde

Liefer-werk

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Abb. 8. Kommunikation im Prozess mit eService-Plattform

Die Themen zur Verschlankung des Prozesses sind somit identifiziert:Medienbrüche und eine gemeinsame Datenbasis. Mit Unterstützung dereService-Plattform gestaltet sich das Kommunikationsschema deutlichschlanker. Wie leicht nachvollziehbar ist, kennt das Lieferwerk aus demProduktionsprozess deutlich mehr Details zu einer Materialspezifikation,als der Kunde selbst in seiner Bestellung angibt beziehungsweise angebenkann. Folgerichtig wird dem Kunden mit der Recherche bereits gefertigterAufträge sein spezifischer Warenkatalog auf der eService-Plattform ange-boten. Hier wählt er die gewünschten Positionen für seinen Wiederholauf-trag aus, ergänzt Daten wie Wunschliefertermin und Menge und speichertden neuen Vorgang. Das hört sich einfach an – ist es auch.Der Auftrag wird im nächsten Schritt maschinell via XI-Komponente

der eService-Plattform in das ERP-System der Salzgitter-Gesellschaft zurmaschinellen Generierung des Kundenauftrags übertragen.Da aus Prozesssicht ein Auftrag aus Lieferantensicht dasselbe Objekt

wie die Bestellung aus Kundensicht ist, kann die XI-Komponente diesenDatensatz parallel zum ERP-System des Kunden, gegebenenfalls um-geschlüsselt, übertragen.Ein weiteres Beispiel zur hohen Integration der Komponenten der eSer-

vice-Plattform sei hier noch kurz angerissen. So hat der Anwender wäh-rend der Recherche eines Auftrags aus der Vergangenheit die Verbindungzum Dokumenten-Management und kann so unter anderem die gesamteHistorie von der Auftragsbuchung (Auftragsbestätigung) bis hin zur Faktu-

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270 Günter König

rierung und Zeugnisschreibung nachvollziehen, bevor er sich für diese Re-ferenz für seinen Wiederholauftrag entscheidet.Die gemeinsame und verlässliche Datenbasis hat diese Geschäftsprozes-

se optimiert. Einkäufer und Verkäufer können asynchron und strukturiertkommunizieren. Keine Information geht verloren oder „versteckt“ sich ininterpretationsfähigen Texten. Die Struktur der Daten stellt umgekehrt aberauch sicher, dass alle erforderlichen Daten im jeweiligen Prozessschrittbearbeitet wurden.

Das Projektsystem ist auf Basis SAP NetWeaver Portal/Knowledge-Management realisiert.

Die virtuellen Projekträume unterstützen unternehmensübergreifend dieKollaboration durch Bereitstellung von

• Dokumentablagen– Eine gemeinsame Dokumentablage mit Versionierung und Subskripti-onsfunktion vermeidet Duplikate von Dokumenten, die zum Beispielper Mail verteilt wurden und nach Bearbeitung aus mehreren Quellenwieder mühsam zusammengeführt werden müssten. Nicht zu unter-schätzen ist auch die Stütze, die eine gemeinsame Struktur der Ablagegibt. Darüber hinaus werden vom Anwender TRex-Dokumente mittelsder Suchmaschine auch unabhängig von der Ablagestruktur gefunden.

• Aufgabenverwaltung– Aufgaben können strukturiert in der Aufgabenverwaltung „Bearbei-tern“ zugeordnet und der Bearbeitungsstand kann beobachtet werden.

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• Kalenderintegration– Die Integration von Kalendern (zum Beispiel Outlook) ist möglichund erleichtert die Planung.

• Sitzungshistorie– Sitzungshistorien entstehen aus der Terminplanung, den eingeladenenund teilnehmenden Personen und können mit weiteren Dokumenten,wie Protokollen und Präsentationsunterlagen, themengerecht ergänztwerden.

• Diskussionsforen– Bedarf ein Thema einer längeren Diskussion, insbesondere von Dis-kussionsteilnehmern, die räumlich weiter entfernt sind, dienen Diskus-sionsforen als quasi asynchrone Chat-Räume. Die chronologische Rei-henfolge der Beiträge und der Entstehungsprozess einer Lösung bleibendauerhaft nachvollziehbar.

Die Vorteile, auch für Projektarbeiten eine gemeinsame Datenbasis zuhaben, liegen auf der Hand. Durch den Zugang über das Internet ist dieOrtsunabhängigkeit, insbesondere bei räumlich verteilten Projektmitglie-dern, von größtem Vorteil. Stets mit den gegebenenfalls auf einem anderenKontinent befindlichen Kollegen auf demselben Informationsstand zu seinschafft eine neue Qualität der Community.

Die Technische Integrationsplattform ist auf Basis von SAP NetWeaverExchange Infrastructure (XI) realisiert.

Diese Schicht ist für den Anwender „unsichtbar“. Sie ist aber wesentli-cher Bestandteil der Gesamtlösung.Die XI-Schicht regelt unter anderem den Datenverkehr zwischen den

Komponenten der eService-Plattform. Zum Beispiel werden Anwender-daten, Rollen und Berechtigungen nach der Erfassung in einem zentralenPortaldialog auf Basis von in der XI-Schicht hinterlegten Regeln an die be-teiligten Applikationen verteilt. Diese Regeln umfassen ihrerseits wiedermehrere Schichten. So werden hier die Kommunikationspfade und -ver-fahren der Server und Applikationen hinterlegt, aber auch gegebenenfallserforderliche Umsetzungen von Datenstrukturen und Umschlüsselungsre-geln für Dateninhalte. Abstrakt gesehen leistet die XI-Schicht also dieFunktionalitäten einer „Datenautobahn“ (Datenbus) auf Ebene der Serverund Applikationen.Neben der Steuerung der Datenströme zwischen den Komponenten der

eService-Plattform übernimmt die XI-Schicht weiterhin die Kommunikati-onssteuerung zu Servern und Applikationen der hauseigenen ERP-Systemeund auch zu Systemen von Geschäftspartnern über das Internet (zum Bei-spiel für einen Bestelldatenaustausch).

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Die Vorteile dieser Architektur sind unter anderem die zentrale Steue-rung der Datenströme, die sich auch bei der Verlagerung und Anpassungvon Systemen und Applikationen positiv auswirkt. Bei herkömmlicher di-rekter Schnittstellenkopplung von Servern und Applikationen müssen in soeinem Fall alle Partnersysteme zeitpunktgenau angepasst werden. DieKomplexität und das Risiko solcher Maßnahmen sind jedem in der IT-Welt leidvoll bekannt. Durch die Bus-orientierte XI-Schicht erfolgt dieAnpassung nur hier; die Partnersysteme sind von einer solchen Umstellungnicht betroffen. Hierdurch werden Zeitdauer, Kosten und Risiko deutlichgemindert.Ein weiterer Vorteil dieser Architektur liegt in dem Schnittstellenmoni-

tor. Statt schnittstellenindividueller Überwachungsmechanismen, die oftgenug auch personenindividuell sind, bietet der XI-Monitor ein standardi-siertes Werkzeug zur Schnittstellenüberwachung.Bei Nicht-Erreichbarkeit eines Partnersystems werden die Datenströme

gepuffert und nach Wiederherstellung der Verbindung die Nachrichten inkorrekter Reihenfolge maschinell übertragen; diese Art der Integration istein Queue-Verfahren. Auch dies war ein wichtiger Punkt für die eService-Plattform, da diese vollständig autark lauffähig sein muss, auch wennPartnersysteme gegebenenfalls nicht erreichbar sind.

Abb. 9. Die eService-Plattform ist ein Informations- und Prozess-Hub

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eService-Plattform Salzgitter 273

Nutzenbetrachtung

Als Fazit der obigen Ausführungen lässt sich der Nutzen in drei Katego-rien ausdrücken.Die Aufwandsreduzierung in vielen Prozessschritten ergibt sich zum

Beispiel durch

• Reduzierung des Abstimmungsaufwands• Reduzierung manueller beziehungsweise redundanter Tätigkeiten beimKunden und auf Lieferantenseite

• Verkürzung der Prozesslaufzeiten

Die Qualitätsverbesserungen liegen im Wesentlichen in der Erhöhungder Transparenz und Informationssicherheit durch

• Vermeidung von (redundanten) Erfassungs- oder Übermittlungsfehlern• Bereitstellung einer gemeinsamen Datenbasis• einheitlichen, gleichzeitigen und ortsunabhängigen Informationsstand

Die Erhöhung der Kunden- und Lieferantenzufriedenheit aus obigenProzessverbesserungen wirkt sich nachhaltig auf die personenbezogenenBeziehungen aus durch

• Etablierung einer zentralen Kommunikationsebene• Transparenz dank Online-Zusammenarbeit• Vereinfachung der Zusammenarbeit aufgrund definierten Informations-und Prozesszugangs

Ausblick

Das Produkt eService-Plattform ist, wie geschildert, heute eine etablierteKommunikationsdrehscheibe in der Auftragsabwicklung des SalzgitterKonzerns. Da sich Geschäftsfelder, und damit Geschäftsprozesse, kontinu-ierlich ändern, wird die eService-Plattform funktional und technologischebenfalls permanent weiterentwickelt.Ein weiterer Aspekt in diesem permanenten Wandel ist die gleichzeitige

Aufrechterhaltung der Stabilität der Anwendungen.Die Vielzahl von Geschäftspartnern zieht ein hohes Maß an Geschäfts-

prozessänderungen nach sich. Um die eService-Plattform trotz äußerenÄnderungsdrucks stabil betreiben zu können und den Änderungsanforde-rungen nachzukommen, sind Systeme mit einer serviceorientierten Archi-tektur erforderlich. Mit der technologischen Basis NetWeaver und CRMist die eService-Plattform zukunftsweisend aufgestellt.

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274 Günter König

Wer wie GESIS eine solche Lösung mit der eService-Plattform realisiertund etabliert hat, kann Trends in der IT-Unterstützung von Geschäftspro-zessen setzen. Standardisierung von Architektur, Design und Modulbau-weise aus der Vogelschau des Geschäftsprozesses – nicht aus der Basis-sicht der Technologie – gewährleisten den dauerhaften Erfolg.Diese Philosophie bietet auch weitere Synergieeffekte durch Wieder-

verwendbarkeit von Modulen und Lösungen, zum Beispiel im ERP-Umfeld. So hat der Salzgitter Konzern ein Projekt „Mitarbeiterportal“ un-ter anderem mit Intranet- und Dokumenten-Management-Funktionen so-wie zur Konsolidierung von Prozesslösungen gestartet, das ebenfalls aufden NetWeaver-Komponenten basiert. Auch in CRM-Projekten im Sinnedes „klassischen“ Kundenkontakt-Managements lassen sich Synergiendurch Wiederverwendung von zum Beispiel BI-Bausteinen heben.GESIS ist aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre überzeugt, auch in

Zukunft im Umfeld der sich immer rascher ändernden Geschäftsprozesseunserer Kunden effizient, nachhaltig und vorausschauend agieren zu kön-nen.

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IP-Telefonie als IT-Service

Gerhard Otterbach, Leiter Enterprise Solutions and Services SiemensCommunicationsThomas Zimmermann, Leiter Enterprise Systems SiemensCommunications

Die Weiterentwicklung traditioneller Telekommunikationssysteme inRichtung „Telefonie über das Internet Protocol“ (Voice over IP) brachteden Unternehmen bislang vor allem Vorteile bei den Betriebs- und Ge-sprächskosten: Das Management der Systeme konnte zentralisiert und be-stehende Datenverbindungen für die Sprachübermittlung mitgenutzt wer-den. Doch zunehmend wächst die Erkenntnis, dass es bei der IP-Kommunikation um mehr als eine reine Kostenreduzierung geht. Sieschafft vielmehr zusätzlichen Mehrwert durch Integration neuer, innovati-ver Anwendungen in die Geschäftsprozesse.Der nächste Quantensprung entsteht durch die Integration der IP-

Softswitch-Technologie in eine IT-Umgebung, die völlig neue Konzeptezur Bereitstellung von Kommunikationsdiensten ermöglicht. Eine Soft-ware-Lösung anstelle eines traditionellen Vermittlungsrechners für die Te-lefonie (Softswitch) erfordert keine proprietäre, also keine herstellerspezi-fische Hardware mehr. Ein Softswitch lässt sich auf Standard-Servern in-stallieren und gliedert sich damit nahtlos in bestehende Server-Infrastrukturen ein. Das erleichtert zum einen die Integration der Echtzeit-kommunikation in vorhandene Anwendungen entscheidend – mit allen po-sitiven, produktivitätssteigernden Auswirkungen auf die Abläufe in denUnternehmen.Zum anderen wird Echtzeitkommunikation so zu einem Dienst der IT,

der sowohl durch das unternehmenseigene Rechenzentrum als auch durcheinen externen Dienstleister zentral und global flexibel erbracht werdenkann. Und anstatt die Geräteausstattung aus dem eigenen Betriebsvermö-gen selbst zu finanzieren, zahlen Unternehmen beim Dienstleister nur nochfür die individuell benötigten Leistungen pro Arbeitsplatz.

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276 Gerhard Otterbach, Thomas Zimmermann

Abb. 1. Architekturmodelle für große Kommunikationslösungen

Wer allerdings die Sprache schlicht als eine weitere Anwendung aufdem Datennetz betrachtet, denkt zu kurz. Umgekehrt wird ein Schuh dar-aus: Technisch gesehen sind Daten bloß die einfachste Form der Sprach-übertragung. Echtzeitkommunikation über IP-Netze ist alles andere als tri-vial und wird zu einem wichtigen Treiber für die Weiterentwicklung derNetzwerke. Denn die Einführung von Echtzeitanwendungen verlangt hoheStandards bei der Verfügbarkeit, der Sicherheit und der Servicequalitätund -priorisierung (Quality of Service) der Netze.

Sprache aus dem Rechenzentrum

Viele, die von Voice over IP (VoIP) hören, denken dabei zunächst an dasTelefonieren über das Internet. Wird in diesem Zusammenhang von Kos-tensenkung gesprochen, entsteht sofort das Bild vom Anruf bei der Tantein Amerika über das Internet. Dank Flatrate sozusagen zum Nulltarif.Spricht man von VoIP für Unternehmen, kommen dagegen wesentlichkomplexere Modelle ins Spiel: Vernetzen von mehreren Standorten, An-binden von Teleworkern über DSL-Anschlüsse, Nutzung des firmeneige-nen LAN für Telefongespräche, zentralisiertes Management und vielesmehr. Das Internet als Transportnetz spielt dabei eher eine untergeordneteRolle.Ein Beispiel dafür ist das finnische Arbeitsministerium mit Amtssitz in

der Hauptstadt Helsinki und rund 260 Niederlassungen im gesamten Land.

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IP-Telefonie als IT-Service 277

Es leitet mittlerweile den gesamten internen Sprach- und Faxverkehr überdas entsprechend ausgebaute Datennetzwerk. Interne Gespräche im gesam-ten Ministerium und auch Ferngespräche innerhalb des Netzes sind nunvöllig gebührenfrei, auch für Telefonate in jede beliebige finnische Stadtfällt nur noch der Ortstarif an. Ein erster Vergleich der Telefonrechnungenvor und nach der Umstellung hat ein jährliches Kostensenkungspotenzialbei den Gesprächsgebühren von etwa 1,8 Millionen Euro erbracht – unge-fähr ein Drittel der bisherigen Ausgaben können eingespart werden.Ohne Abstriche bei Sprachqualität, Funktionsumfang und Verfügbarkeit

reduzieren Unternehmen mithilfe der IP-Kommunikation Infrastrukturkos-ten und Telefongebühren. Aber Sprache ist damit noch kein echter IT-Service geworden, auch wenn Sprache und Daten nun gemeinsam ein Netznutzen. Denn derartige Lösungen basieren nach wie vor auf proprietärerHardware, proprietären Protokollen und Hardware-orientierten Preismo-dellen. Was muss also passieren, damit Sprache in Zukunft wirklich ausdem Rechenzentrum kommen kann?Hierzu ist der Übergang zur Softswitch-Technologie erforderlich. Erst

ein hochskalierbarer Softswitch stellt eine einheitliche Plattform für An-wendungen und Dienste zur Verfügung. Für ein großes, möglicherweisesogar global verteiltes Unternehmensnetz bietet sich damit die Möglich-keit, das IP-Kommunikationssystem zentral fürs gesamte Unternehmeneinzurichten. Für den Anwender – egal, wo er sich befindet – steht dadurcheine nahtlose Kommunikationsumgebung mit einheitlicher Benutzerober-fläche und identischen Leistungsmerkmalen sowie Applikationen für dasgesamte Unternehmen zur Verfügung.Auf diese Weise können Firmen ihre Kommunikationsanwendungen

durchgängig für alle Mitarbeiter bereitstellen und eine einheitliche techni-sche Infrastruktur verwirklichen – egal, ob es sich dabei um Büro-, Heim-oder Mobilstandorte handelt. Ganz gleich, an welcher Stelle sich der Mit-arbeiter im Local Aera Network (LAN) anmeldet, er ist immer unter der-selben Nummer erreichbar. Seinerseits ändern sich für den Mitarbeiter diepersönlichen Einstellungen nicht. So bleibt zum Beispiel die Belegung vonFunktionstasten immer erhalten. Außerdem kann er über sein Endgerät aufalle seine Nachrichten zugreifen – gleich ob Sprachnachricht, E-Mail,SMS, Fax oder Instant Message.Auch kleinere und verstreut liegende Filialen werden einfach, kosten-

günstig und mit hoher Ausfallsicherheit zentral angebunden, verwaltet undauf dem neuesten Stand gehalten. Selbst anspruchsvolle Funktionen wiePräsenz-Management oder Multimediaanwendungen lassen sich auf dieseWeise sicher und mit geringem Aufwand standortunabhängig realisieren.

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Abb. 2. Kommunikationsfunktionen direkt aus dem Rechenzentrum mit einerSoftswitch-Lösung

Der Softswitch ermöglicht optimale Investitionssicherheit, da neueFunktionalitäten mit einem Software-Update eingespielt und am jeweiligenArbeitsplatz bedarfsgerecht zur Verfügung gestellt werden können. Einweiterer Vorteil ist die flexible Skalierbarkeit einer solchen reinen IP-Lösung: Konfigurationen von mehreren 100 bis zu mehreren 10 000 Nut-zern sind damit wirtschaftlich sinnvoll möglich. Das System kann den in-dividuellen Unternehmensstrukturen exakt angepasst werden.Ein weiterer wesentlicher Faktor ist die Abkehr von proprietären, her-

stellerspezifischen Kommunikationsprotokollen. Mit Voice over IP wird inder Telekommunikation das fortgeführt, was in den 90er-Jahren bei denPCs begonnen wurde: die Öffnung der Systeme und damit eine rasanteEntwicklung von neuen Anwendungen. Einzige Voraussetzung war und istdas Schaffen und Einhalten von Standards. In der IP-Kommunikation ist esdas Session Initiation Protocol (SIP), das sich als Standard durchsetzt. DasProtokoll orientiert sich an der Architektur gängiger Internetanwendungenund unterstützt beliebige Sessions (Sitzungen oder Verbindungen) mit ei-nem oder mehreren Teilnehmern. Dabei wurde von Beginn an auf leichteImplementierbarkeit, Skalierbarkeit, Erweiterbarkeit und Flexibilität ge-achtet. Dabei ist SIP nicht auf die Internettelefonie beschränkt, sondern un-terstützt auch multimediale Anwendungen oder Audio- und Videokonfe-renzen. Der Charme einer reinen SIP-Umgebung besteht vor allem darin,dass es damit möglich ist, im bestehenden Netz Systeme unterschiedlicher

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Hersteller zu betreiben. Die einzige Voraussetzung für dieses einheitlicheNetz ist nur, dass alle Systeme den SIP-Standard beherrschen. Monolithi-sche Infrastrukturen, in denen die Systeme eines Herstellers nur mit sichselbst kompatibel sind, gehören damit der Vergangenheit an.Ein weiterer Aspekt hinsichtlich der Offenheit ist das Betriebssystem:

Mit Linux nutzt beispielsweise Siemens für den Softswitch HiPath 8000ein offenes, unabhängiges und damit nicht proprietäres Betriebssystem,das sich als sehr zuverlässig und robust herausgestellt hat. Viele führendeIT-Firmen wie etwa IBM haben deshalb ihre Strategie darauf ausgerichtet.Der Softswitch ist kompatibel zur Standard-x345-Hardware von IBM undzu SuSE-Linux-Betriebs-Software-Applikationen. Sämtliche SIP-fähigenEndgeräte werden genauso unterstützt wie Q.SIG-Standard-Telefonan-lagen und Gateways von Anbietern mit standardkonformen Schnittstellen.Durch die Kombination der Zuverlässigkeit einer Carrier-Lösung mit

den spezifischen Leistungsmerkmalen und Funktionalitäten eines Enterpri-se-Kommunikationssystems kann Siemens damit eine Verfügbarkeit undAusfallsicherheit von 99,999 Prozent garantieren. So wird sichergestellt,dass alle Funktionen immer und uneingeschränkt bereitstehen. Telefonie-ren geht also immer, vorausgesetzt, das LAN steht gleichfalls zur Verfü-gung.Durch die Mehrmandantenfähigkeit des IP-Softswitch können Service-

Provider – wie etwa ausgelagerte IT-GmbHs großer Konzerne, die aucham freien Markt aktiv sind – ihren verschiedenen Kunden jeweils indivi-duelle Nummernpläne zur Verfügung stellen, auch wenn sie nur eine ein-zige Plattform einsetzen. Die Verrechnung der jeweiligen Kosten ist eben-so wenig ein Problem wie die Bereitstellung maßgeschneiderter Leis-tungsmerkmale für die unterschiedlichen Mandanten.Bisher erfolgte die Abrechnung meist über das Port-Preismodell, bei

dem die Miete der Hard- und Software sowie der gewünschte Service zueinem festen Monatspreis pro Arbeitsplatz abgerechnet werden. In Zukunftwird sich jedoch auch für die Sprachkommunikation immer mehr das inder Software-Branche übliche Lizenzmodell durchsetzen.Möglich werden damit aber auch neue Formen des Betriebs. So stellt

der IP-Softswitch zum Beispiel die Möglichkeit zur Verfügung, die Basis-telefonfunktionen über einen SIP-Carrier einzukaufen und darüber hinausdie anspruchsvolleren Anwendungen wie etwa Präsenzinfo, Kontaktcenter-lösungen, Integration in SAP und weitere selbst zu betreiben.

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Abb. 3. Sprache ist nicht nur ein weiteres Datenpaket (VoIP)

Vor allem für sehr kleine Unternehmen ist das Outsourcing mittels IP-Hosting – also ein Managed-Services-Vertrag mit einem IP-Provider fürUnternehmenskommunikation – oft sinnvoll. Ähnlich wie beim Handyheute hat das Unternehmen dann nur noch das Endgerät im Haus und dieStandarddienste kommen per Leitung „aus dem Internet“.Für das große Segment der mittelständischen Unternehmen, die heute

schon eine eigene IT-Abteilung unterhalten, gibt es dagegen gute Gründe,ein eigenes System zu betreiben. Über eine enge Verzahnung der Kommu-nikation mit den Geschäftsprozessen können erhebliche Produktivitätsvor-teile erschlossen werden. Managed-Services-Anbieter können hier bei ent-sprechender Flexibilität bestimmte Aufgaben übernehmen und so auch fürden Mittelstand einen deutlichen Mehrwert generieren.

Ein Softswitch zahlt sich schnell aus

Im Vergleich zur Beibehaltung der bisherigen, proprietären Kommuni-kationsplattform ist eine Lösung auf Basis eines IP-Softswich über fünfJahre betrachtet eindeutig die kostengünstigere Variante. Das hat eine Stu-die des Beratungsunternehmens InfoTech zur Ermittlung der Total Costsof Ownership (TCO) ergeben. Danach ist „nichts tun“ die teuerste Strate-gie für große Unternehmen. Bei einem LAN-basierten, verteilten IP-System wird eine relativ große Zahl von Servern benötigt, was die Ge-

Zusammenarbeit von virtuellen Teams erfordert Hilfe der IuK-Technologie

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samtbetriebskosten deutlich erhöht. Da die Softswitch-Lösung von Sie-mens nur wenige Server erfordert, ist sie die wirtschaftlichste Alternative.Drei Systemkonfigurationen wurden in der Studie betrachtet: ein mittle-

res Unternehmen mit 15 000 Teilnehmern, ein großes mit 50 000 Teilneh-mern und ein global aufgestelltes Unternehmen mit 100 000 Teilnehmern(siehe Tabelle 1).

Mittleres Unternehmen GroßesUnternehmen

GlobalesUnternehmen

Nutzer 15 000 50 000 100 000Firmenzentrale(n) 1 1 2

Niederlassungen 50 150 400Verfügbarkeit 100 Prozent 100 Prozent 100 Prozent

Tabelle 1. Unternehmensprofile nach dem „Managed Services Deployment“-Mo-dell der IBM

Die Kosten für Client-Geräte wurden dabei nicht berücksichtigt, dieAusgaben für Software-Nutzerlizenzen jedoch eingerechnet. Da beideVoice-over-IP-Modelle – also das LAN-basierte verteilte und das Soft-switch-basierte – bestimmte Anforderungen an das Datennetz stellen, diein etwa gleich sind, wurde dieser Aspekt beim Vergleich vernachlässigt.Weitere Annahmen bei der TCO-Berechnung: 25 Prozent der Mitarbeiterarbeiten am Hauptsitz, 75 Prozent der Mitarbeiter sind an abgesetztenStandorten beschäftigt. 90 Prozent der Mitarbeiter arbeiten mit UnifiedMessaging als Option, 10 Prozent nutzen Telekonferenzen. Mit UnifiedMessaging werden eingehende Nachrichten wie zum Beispiel SMS, Faxund Sprachnachrichten unter einer Oberfläche gebündelt. Der Empfängerkann auf diese Nachrichten von verschiedenen Endgeräten wie PC, Handyoder Bürotelefon zugreifen oder wird an seinem bevorzugten Endgerätüber den Erhalt einer neuen Nachricht informiert.In der TCO-Studie wurden die Investitionsausgaben (CapEx) und die

Betriebskosten (OpEx) für jede der drei Szenarien der Einführung einesManaged-Voice-Services für Unternehmen berechnet. Die Gesamtbe-triebskosten für fünf Jahre enthalten dabei Hard- und Software, Installati-on, Gewährleistung und Wartung. Die Schätzung für eine vierjährige War-tung nach dem Garantiezeitraum von einem Jahr erfolgte mit Kapital-wertsberechnungen unter Annahme eines Zinssatzes von drei Prozent.

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Abb. 4. Vergleich gehosteter Softswitch gegenüber LAN-Telephonie

Die Hosted/Managed-Deployment-Lösung mit einem IP-Softswitch stellt lautder Studie aus folgenden Gründen die beste Option dar

• wirtschaftlichste TCO• Rationalisierung des täglichen Betriebs und Managements• Maximierung der Produktivität von Endnutzern und Geschäftsprozessen

Sie bietet zudem den flexibelsten Migrationspfad mit einer Möglichkeitzur Einführung einzelner Teilnehmer zu einem frei wählbaren Zeitpunkt,einem linearen und vorhersagbaren Modell pro Nutzer und einer leistungs-abhängigen Preisgestaltung.Das TCO-Vergleichsmodell in der Studie von InfoTech berücksichtigt

auch noch zahlreiche Optionen, die über den reinen Vergleich der Gesamt-betriebskosten einer HiPath-8000-Lösung gegenüber einem LAN-basiertenverteilten IP-System oder der Beibehaltung des bisherigen Kommunikati-onssystems hinausgehen. Untersucht wurde auch das Hochrüsten einer be-stehenden Telekommunikationsanlage auf eine konvergente Architekturder ersten Generation zur Unterstützung von IP-Networking, die Installati-on einer reinen IP-Kommunikationsanlage im Netz auf dem Desktop oderein von einem Diensteanbieter betriebenes Managed-IP-Kommunikations-system. Ein Vergleich mit so genanntem IP Centrex oder mit der Einfüh-rung eines neuen hybriden Systems fand ebenfalls statt.Ein großes Unternehmen, dessen 25 000 Mitarbeiter über die gesamten

USA verteilt sind und das aufgrund seines Wachstums pro Jahr vier Pro-zent mehr Telefonleitungen über einen Zeitraum von fünf Jahren benötigt,bildete die Grundlage der Berechnung. Außerdem wurden Faktoren wiedie Eignung der vorhandenen Datennetze für die Sprachkommunikation,

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Anwendungen wie Callcenter-Arbeitsplätze für fünf Prozent der Beleg-schaft und ein Zehn-Prozent-Anteil an Unified Messaging sowie eine Ver-fügbarkeit von acht Stunden an fünf Tagen zugrunde gelegt.Das Ergebnis auch hier: Die monatlichen Kosten pro Teilnehmer sind

beim Einsatz einer IP-Softswitch-Lösung um bis zu 21 Prozent geringerals bei anderen Optionen. Die Kapitalausgaben liegen um 38 Prozent unterdenen bei anderen Varianten. Die betrieblichen Aufwendungen für Perso-nal, Moves Adds Changes (MAC) und Wartung liegen zum Teil um dieHälfte niedriger. Die HiPath-8000-Lösung weist der Studie zufolge zudemum 20 Prozent niedrigere Betriebskosten als eine IP-Nebenstellenanlageauf und verursacht im Vergleich zu den anderen Optionen im besten Fallbis zu 86 Prozent niedrigere Einrichtungskosten.Eine im Jahr 2005 von Forrester Consulting durchgeführte Studie

kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Danach können Unternehmen durch denEinsatz eines IP-Softswitch unter anderem folgende Vorteile erwarten

• 50 bis 62 Prozent Reduzierung der Wartungskosten im Sprachbereich• 50 bis 70 Prozent geringere Administrationskosten• 40 bis 50 Prozent Kosteneinsparung bei der Hardware durch Server-Konsolidierung

• 66 bis 75 Prozent Kostenreduzierung bei Moves Adds Changes (MAC)• 45 bis 50 Prozent Einsparung bei der Verkabelung durch eine einzigeLeitung zum Schreibtisch

• 10 bis 30 Prozent Reduzierung der Gebühren für internationale Fernge-spräche

• 7 bis 10 Prozent Produktivitätsgewinn durch die Integration von Echt-zeitanwendungen in die Geschäftsprozesse

Basis für neue Geschäftsmodelle

Sowohl für Unternehmen als auch für IT-Dienstleister ermöglicht der Ein-satz eines IP-Softswitch die Realisierung neuer Geschäftsmodelle. EinService-Provider, der sich bislang auf das Bereitstellen von Internetzugän-gen oder IT-Diensten beschränkt hat, kann zum Beispiel mit einer solchenmandantenfähigen Lösung zusätzlich auch diverse Kommunikations-services flexibel anbieten. Ein Beispiel für diese Strategie ist die FiduciaIT AG, der größte IT-Dienstleister für die deutschen Volks- und Raiffei-senbanken.Das Unternehmen realisiert auf der Basis von HiPath 8000 ein neues in-

novatives Geschäftsmodell im Telefoniebereich: Seine über 120 000 Kun-den können dabei Sprachapplikationen und -dienste wie Callcenter-

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Funktionen, Unified Massaging oder PC-unterstütztes Telefonieren (CTI =Computer Telephony Integration) als Serviceangebot abrufen und damitAufwendungen für die Anschaffung und den Betrieb eigener Systeme ein-sparen. Fiducia bietet diese Leistungen als Service über das Wide AreaNetwork (WAN) – neben den bisher schon üblichen IT-Services – als zent-raler Dienstleister kostengünstig und immer auf dem aktuellen Stand an.Abgerechnet wird nach einem Port-Preismodell: Der Endkunde – also

die Volks- und Raiffeisenbank – nutzt und bezahlt die Kommunikations-applikationen, die er aktuell benötigt und nur für die Zahl der Anschlüsse,die er anfordert. Das eigene Betreiben und Aktualisieren einer Telefonan-lage entfällt somit. Auf diese Weise wollen sich die genossenschaftlichenGeldinstitute ein geschätztes Einsparungspotenzial von rund 15 bis 25 Pro-zent bezogen auf die gesamten Telefonkosten erschließen.Die technische Realisierung der neuen Kommunikationsarchitektur ba-

siert auf dem Hosting-Prinzip. Das Real-Time-IP-System ist die zentraleVermittlungsinstanz im Netz der Fiducia und fungiert als Host in einemOverlay-Netzwerk. Die an der Lösung teilnehmenden Kommunikations-endgeräte der Fiducia und ihrer Kunden werden dabei über dieses Kom-munikationssystem verwaltet. Managed Services gewährleisten dabei, dassdas neue Geschäftsmodell sicher und zuverlässig verwirklicht werdenkann. Sie enthalten unter anderem die Überwachung aller Systeme undKomponenten 24 Stunden rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr.Entsprechend der vereinbarten Service-Levels erfolgt die Beseitigung

von Störungen entweder per Fernwartung oder durch den Vor-Ort-Einsatzvon Servicetechnikern innerhalb genau festgelegter Fristen. Die Entschei-dung für die IP-Lösung fiel unter anderem deshalb, weil diese das Ge-schäftsmodell eines Application Service Providers und das geplante OnDemand Business umfassend unterstützt. Außerdem ist die volle Integrati-on in die existierende IP-Infrastruktur und die Fiducia-Software-Basismöglich.Dieses Beispiel zeigt sehr gut, welche Vorteile ein IP-Softswitch Ma-

naged Services Providern (MSP) und Netzbetreibern bietet. Wegen ihrerArchitektur benötigt diese mandantenfähige Lösung weniger Ressourcenfür das Management und die Wartung. Mit einem einzigen System könnenunterschiedliche Firmenkunden mit jeweils eigener Abrechnung, Ruf-nummernplan und speziellen Applikationen aus einer Hand bedient wer-den. Dabei ist die End-to-End-Sicherheit jederzeit gewährleistet.Nach einer Studie der Unternehmensberatung Frost & Sullivan sollen

die Umsätze für gehostete IP-Telefondienstleistungen in Europa von 435,8Millionen Euro im Jahr 2003 auf 1,23 Milliarden Euro im Jahr 2008 an-wachsen. Die Anwendung von offenen Standards, wirksames Netzwerk-

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Management und Servicebeständigkeit – so die Analysten – sind dabei dieentscheidenden Meilensteine für das enorme Wachstum in diesem Markt-segment.Der Vergleich zur Elektrizitätswirtschaft liegt dabei nahe. Ein Strom-

kunde weiß in der Regel ebenfalls nicht, ob sein Energieversorger denStrom aus Kernkraft, Wasser oder Sonnenenergie herstellt. Wichtig ist fürihn nur, dass der Stromanschluss funktioniert. Mit den neuen Managed-Services-Angeboten, die neben der technischen Ausstattung mit Endgerä-ten und Sprachanwendungen zusätzlich die dafür nötigen Konfigurations-und Wartungsservices enthalten, lassen sich in Zukunft auch die Telefon-leistungen für Unternehmen – je nach aktuellem Bedarf – ebenfalls kom-plett „aus dem Internet“ beziehen.

Mehrwert mit Managed Services

In einem nach wie vor sehr dynamischen Markt wie der Informations- undKommunikationstechnologie fällt es zunehmend schwerer, mit aktuellenEntwicklungen Schritt zu halten und die richtigen Investitionsentscheidun-gen zu treffen – etwa in Fragen der Netzwerksicherheit, der mobilenKommunikation oder der Integration von Sprach- und Datennetzen. Einkonkretes Beispiel für diese Überlegungen wird später am Beispiel des ös-terreichischen Fahrzeugherstellers Magna Steyr in Kapitel „FallbeispielMagna Steyr“ beschrieben.Um technologische Potenziale voll ausschöpfen zu können, sind viele

Unternehmen dazu übergegangen, ihre Informations- und Kommunikati-onsinfrastruktur teilweise oder ganz an externe Provider auszulagern. Ins-besondere wird deren Wissen dazu genutzt, Netzwerke und Anwendungenauf dem aktuellen Stand zu halten und gemäß den Anforderungen der Un-ternehmen weiterzuentwickeln. Unternehmen sind heute oft nicht mehr be-reit, ganze Geschäftsbereiche bei einem externen Dienstleister abzubilden,sondern setzen zunehmend auf Managed Services. Der Begriff „ManagedServices“ betont den Dienstleistungscharakter – den Unternehmen wirddabei nicht nur Technologie bereitgestellt, sondern durch qualitativ hoch-wertige Leistungen ein klarer Mehrwert geboten.

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Abb. 5. IP-Kommunikation als Managed Service

So sorgt der Outsourcing-Partner beispielsweise durch permanente Mo-dernisierung mit innovativer Technologie dafür, dass das Netz immerhochverfügbar ist. Ein weiterer Mehrwert kann aber auch die Bereitstel-lung von besonderen Funktionen für Projektteams oder Ähnliches sein.Anstatt derartige Applikationen dauerhaft anzuschaffen, werden die not-wendigen Funktionalitäten den entsprechenden Mitarbeitern über das Netzzur Verfügung gestellt und nur bei Nutzung bezahlt.Bei den Managed Services als Form des selektiven Outsourcing über-

nimmt der externe Partner jedoch nicht die Ausführung der komplettenGeschäftsprozesse, sondern stellt „nur“ die Infrastruktur beziehungsweiseFunktionalität zur Verfügung und betreibt sie. Die Gesamtverantwortungund die strategische Ausrichtung verbleiben nach wie vor beim Auftragge-ber. Vom Outsourcing-Partner werden lediglich die benötigten Funktionenmit garantierten Service-Levels gemietet. Die nötigen Systeme und Gerätebleiben in der Regel im Besitz des Vertragspartners. Es gibt aber auch denFall, dass der Dienstleister das Equipment zurückkauft und für den Kundenbetreibt.Gerade die Bereiche Telekommunikation und Informationstechnik sind

für den Einsatz von Managed Services prädestiniert. In den meisten Unter-nehmen ist diese Infrastruktur zwar kritisch, ihr Betrieb gehört aber in denseltensten Fällen zur Kernkompetenz eines Unternehmens. Hinzu kommtdie erhebliche Komplexität der eingesetzten Technologien, die zudem ei-

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nem schnellen Wandel unterworfen sind. Hier ist ein spezialisierterDienstleister eher in der Lage, einen wirtschaftlichen Einsatz zu gewähr-leisten.Um den Erfolg eines Managed-Services-Projekts sicherzustellen, ist ei-

ne sehr enge Partnerschaft zwischen den Beteiligten notwendig. Nur sokann überhaupt gewährleistet sein, dass die Infrastruktur und die Funktio-nen stets die aktuellen Geschäftsprozesse unterstützen. Zudem sollten bei-de Partner eine realistische Erwartungshaltung in das Projekt einbringen,das dem Unternehmen schließlich langfristig Kosten- und Planungssicher-heit gewähren muss.Für den Anbieter von Managed Services bedeutet der Trend zu selekti-

verem Outsourcing oder Outtasking vor allem die Notwendigkeit einesmodularen Angebots und die Konzentration auf seine wirklichen Kern-kompetenzen. Siemens Communications bietet diese Form des Auslagernsdeshalb vor allem in Bereichen an, in denen das Unternehmen selbst Lö-sungen entwickelt und produziert: Kommunikationsinfrastrukturen und-lösungen, multimediale Contact Center sowie Security-Infrastrukturen.Auf deren Basis können dann auch kundenspezifische Betreibermodellerealisiert werden.Die Technik- und Servicekompetenz umfasst dabei heute alles, was im

IT-Netz mit Kommunikation zu tun hat: vom Fax über SMS, E-Mail,Sprache und Video bis hin zur Netzwerksicherheit. Das Einrichten undManagen eines Netzwerks – gleich ob Sprach- oder Datennetz – ist die Ba-sis dafür. Global verteilte Network Operation Center (NOC) mit qualifi-zierten ITK-Experten stellen den reibungslosen Betrieb sicher. Sie über-wachen permanent den Datenstrom und suchen dabei nach winzigen Ano-malien – etwa einem fehlgeschlagenen Anmeldeversuch, einer unterdurch-schnittlich langsamen Leitung oder einem defekten Router. Auf diese Wei-se können beispielsweise Hacker- und Virenangriffe schnell erkannt undentsprechende Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. Auch Spam-Attacken mit elektronischem Werbemüll lassen sich auf diese Weise be-reits im Vorfeld erkennen und stoppen.Um Fehler automatisch entdecken und je nach Schwere in unterschied-

lichen Prioritätsklassen signalisieren zu können, erhebt das Siemens In-formation Network Management System (siNMs) an den vielen tausendKomponenten eines Kundennetzes unterschiedliche Werte. Dank einheitli-cher Schnittstellen ist es dabei egal, von welchem Hersteller die eine oderandere Komponente stammt. Zu den abgefragten Informationen gehörenetwa die Temperatur von Bauteilen, die Datenlast auf einzelnen Netzstre-cken oder die Fehlerrate, mit der die Bits und Bytes übermittelt werden.

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Dieses Monitoring der Bit-Error-Rate ermöglicht es zum Beispiel den Ex-perten, schon tätig zu werden, bevor eine Komponente komplett ausfällt.Bei der Datenübermittlung werden dazu Prüfsummen gebildet und zu-

sammen mit den Nutzdaten übertragen. Stimmt die Prüfsumme einerKomponente nicht mit der Summe überein, die die nächste Komponenteermittelt, werden die dazugehörigen Daten noch einmal geschickt. Typi-scherweise steigt diese Fehlerrate allmählich an – etwa dadurch, dass sichim Laufe der Zeit Staub absetzt und die Elemente nicht mehr richtig ge-kühlt werden können. Erreicht die Fehlerrate einen bestimmten Schwel-lenwert, wird das Gerät ausgetauscht oder der Datenverkehr über eine an-dere Verbindung im IP-Netz geleitet. Noch bevor also auf KundenseiteBestandsmeldungen nicht mehr weitergeleitet werden können, ein Online-Bestellportal nicht mehr zu finden ist oder Telefonapparate einfach totbleiben, kann der Fehler so schon behoben werden. Im Sinne der Produkti-vität eines Unternehmens ist solch ein präventives Vorgehen optimal.Allerdings setzt es auch hier ein sehr gutes Vertrauensverhältnis zwi-

schen den beteiligten Partnern voraus. Dies beginnt schon bei der Ver-trags- und Prozessgestaltung. Die Serviceexperten orientieren sich an denBest-Practice-Empfehlungen nach ITIL (IT Infrastructure Library). Dieeinzelnen Leistungen sind hier klar definiert. Das macht die Vertragsges-taltung einfacher, und der Kunde weiß von Anfang an, was er erwartenkann. Darüber hinaus werden die einzelnen Aktivitäten akribisch in aus-führlichen Reportings dokumentiert, in denen alle Störungen und die Be-arbeitungszeiten festgehalten werden.In den vereinbarten Service Level Agreements (SLAs) wird der Grad

der Verfügbarkeit von IT- und TK-Infrastruktur vereinbart, und für jededenkbare Störung werden Eskalationspläne ausgearbeitet. Beides gibt denManaged-Services-Kunden die Sicherheit, dass nichts übersehen wird undihr Geschäft reibungslos läuft. Bei einem Managed-Services-Vertrag über-nimmt das Network Operation Center die Betriebsverantwortung für diegesamte ITK-Infrastruktur sowie die IT-Prozesse beim Kunden.Zu den Themen aktive Überwachung, Wartung (Patches aufspielen, Up-

dates fahren etc.) und Vor-Ort-Service (Reparatur) gehört auch die kom-plette Teilnehmeradministration. Darüber hinaus ist für viele Kunden je-doch die Rolle des NOCs und des Service-Level-Managers als übergrei-fender Service-Integrator entscheidend. Für die Unternehmen heißt das,dass sie nicht mehr eine Vielzahl von Verhandlungspartnern koordinierenmüssen, bei denen sie nicht wissen, wen sie bei einem Fehler zuerst anru-fen sollen. Das NOC fungiert als der zentrale Ansprechpartner (SinglePoint of Contact) und koordiniert die diversen Service-Provider fürs öf-

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fentliche Netz oder Internet sowie für die beteiligten Hardware- und Soft-ware-Hersteller.Aber auch die schnelle Integration in die bestehenden Unternehmens-

prozesse und das Update-Management sind wichtige Argumente für Ma-naged Services. Dies gilt insbesondere für den Bereich der IT-Sicherheit.Denn die Installation einer Firewall oder eines Virenscanners nützt nichts,wenn diese dynamischen Systeme nicht regelmäßig gepflegt und ihre Log-files ausgewertet werden. Studien zeigen, dass mehr als 80 Prozent der ak-tuellen Sicherheitsprobleme in Unternehmen nicht wegen eines mangelhaf-ten Designs oder schlechter Implementierung bestehen, sondern aufgrundunzureichender Konfiguration, fehlender Patches und unregelmäßigerWartung. Die Auslagerung dieser kontinuierlichen Tätigkeiten an daraufspezialisierte Experten ist nicht nur kostengünstiger als der Eigenbetrieb,sie sorgt vor allem auch für ein gleich bleibend hohes Sicherheitsniveau.

Fallbeispiel Magna Steyr

Im Rahmen eines Managed-Services-Konzepts hat Siemens Österreich denkompletten Betrieb der Telekommunikation bei Magna Steyr übernommenund die bisher getrennten Netze – Festnetz, DECT und GSM – in eine ho-mogene Umgebung integriert. Mit einer Jahresproduktion von über220 000 Fahrzeugen ist das Grazer Unternehmen mit rund 9000 Mitarbei-tern der weltweit größte Auftragshersteller von Automobilen.Das starke und schnelle Wachstum stellt große Herausforderungen an

die Infrastruktur des Unternehmens. Dies gilt insbesondere für den Bereichder IT und der Telekommunikation, deren Strukturen nicht nur mit demUnternehmen wachsen, sondern auch noch dem schnellen technologischenWandel gerecht werden müssen. Die zunehmende Internationalisierungund die wachsende Mobilität der Mitarbeiter führen zu immer neuen An-forderungen. Die Marktliberalisierung im Telekommunikationsbereich hatnicht nur zu Kostensenkungen, sondern auch zu einer erheblichenIntransparenz geführt.Schließlich waren es die drastisch steigenden Kosten für die Mobiltele-

fonie, die bei Magna Steyr den Anstoß für ein völlig neues Konzept in derTelekommunikation gaben. Mit dem Festnetz, einer ausgedehntenDECT(Digital Enhanced Cordless Telephony)-Infrastruktur und derschnell wachsenden Zahl von GSM-Mobiltelefonen hatte das Unterneh-men drei völlig autonome Welten mit unterschiedlichen Providern, Ser-vices und Kostenmodellen. Dabei baute sich im Laufe der Jahre ein „er-heblicher Leidensdruck“ auf, und ein Managed Service war für die Ver-

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antwortlichen die einzige Alternative zu einer kompletten Neuinstallationder gesamten Infrastruktur, die bei einem siebenstelligen Investitionsvo-lumen nicht ernsthaft in Erwägung gezogen werden konnte.Das Unternehmen entschied sich, die Telefonie im Festnetz und in den

Mobilnetzen zu integrieren und im Rahmen eines Betreibermodells an nureinen Provider zu übertragen. Ziel war es, in Zukunft nur noch Serviceseinzukaufen, statt Hard- und Software installieren, warten und betreiben zumüssen. Dieses Konzept ist nunmehr Realität, und Siemens betreibt fürden Automobilhersteller die komplette Telekommunikationsinfrastruktur.Im Jahr 2002 betrieb Magna Steyr etwa 1400 Festnetzanschlüsse und

3500 DECT-Telefone. Innerhalb von nur drei Jahren wuchs das Schnur-losnetz auf etwa 5000 Teilnehmer an, und die Zahl der GSM-Handys stiegtrotz aller Zurückhaltung auf 1100. Die Mobiltelefonie machte schließlichetwa 60 Prozent der gesamten Verbindungsgebühren aus, drei Viertel da-von entstanden durch Roaming. Gleichzeitig war das DECT-Netz am Ran-de seiner Leistungsfähigkeit angelangt. So konnte die komplette Funkab-deckung des Werksgeländes nur noch über die Installation zusätzlicherAnlagen gewährleistet werden, und auch beim Roaming gab es Probleme.Das wesentliche Problem war jedoch die Tatsache, dass drei unter-

schiedliche Netze mit ihren eigenen Rufnummer-Schemata, Gebühren-strukturen und Providern, die in keiner Form miteinander verbunden wa-ren, verwaltet werden mussten. Innovative Anwendungen wie etwa Prä-senzinformationen oder Unified Messaging waren daher in der bestehen-den Struktur gar nicht oder nur sehr schwer zu realisieren. Hinzu kam dasübliche Problem, dass niemand verantwortlich sein wollte, wenn dieKommunikation zwischen den einzelnen Netzen einmal nicht klappte.Aus den vielfältigen Problemstellungen heraus entstand bei Magna

Steyr ein umfassendes und komplexes Pflichtenheft. Die wichtigsten Punk-te: die Integration der Infrastruktur mit Rufnummernportabilität und unterEinbeziehung externer Partnerfirmen, die Übernahme des kompletten Pro-vider-Managements bis hin zu Vertragsverhandlungen, die Planung undDurchführung des weiteren Ausbaus der Struktur sowie alle Fragen rundum die Verrechnung und die Unterstützung der Endanwender. Auch diebetriebswirtschaftliche Vorgabe war anspruchsvoll: Im ersten Jahr nach er-folgter Übergabe an den Dienstleister sollten die gesamten Kommunikati-onskosten bei vergleichbaren Nutzerzahlen und vergleichbarem Ge-sprächsvolumen um zehn Prozent unter denen des Jahres 2002 liegen. Da-bei sollte der Dienstleister die bestehende Infrastruktur komplett in seineBücher übernehmen.Als Generalunternehmer ist Siemens seit April 2004 vollumfänglich für

die Telekommunikationsinfrastruktur bei Magna Steyr verantwortlich. Seit

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diesem Zeitpunkt kauft das Unternehmen ausschließlich Funktionalität undServices mit detailliert festgelegten Service-Levels. Dabei bleibt es demManaged-Services-Partner überlassen, über welche Technologien und Pro-dukte diese zur Verfügung gestellt werden. Investitionen in Systeme undGeräte sowie deren Betrieb und Wartung gehören für den Automobilher-steller seitdem der Vergangenheit an.Auf Basis der bestehenden Infrastruktur implementierte Siemens ein in-

tegriertes Netzwerk für die stationäre und die mobile Telefonie, das so-wohl das DECT-Netz als auch ein virtuelles GSM-Netzwerk enthält. Da-mit sind alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jederzeit über einheitlicheRufnummern erreichbar; auch die Mobiltelefone können unabhängig vomjeweiligen Aufenthaltsort mit der internen Durchwahl angewählt werden.Schließlich wurde auch ein umfassendes Alarmsystem für die IT-gesteuerten Produktionsanlagen integriert, sodass Probleme in der Ferti-gung zu einer automatischen Alarmierung des zuständigen Technikers so-wie des IT-Personals führen.Mit den beiden Carriern UTA und T-Mobile wurde ein Vertragsmodell

ausgehandelt, das es Magna Steyr ermöglicht, interne Gespräche auch zwi-schen den einzelnen Netzen grundsätzlich zum Nulltarif zu führen. Auchfür externe Telefonate gibt es ein Flatrate-Modell mit nur zwei Preisen fürdas Festnetz und die mobile Telefonie. Nebenstellen werden pauschal übereinen monatlichen Preis pro Teilnehmer verrechnet. Auch diese nicht-technischen Innovationen trugen entscheidend dazu bei, dass die ange-strebten Kosteneinsparungen auch tatsächlich realisiert werden konnten.Mit etwa 20 Prozent Einsparung bei vergleichbaren Voraussetzungen wur-de das ursprünglich gesteckte Ziel sogar deutlich übertroffen.Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass interne Telefonate, die

knapp drei Viertel aller Gespräche ausmachen, nun selbst über GSM kos-tenlos sind. Zudem bietet dieses Verrechnungsmodell nun ein hohes Maßan Planungssicherheit, und der Automobilhersteller kann Tendenzen beider Kostenentwicklung sehr früh erkennen. Den laufenden Betrieb sowieein effizientes Change Management stellt ein eigenes Serviceteam auf demWerksgelände von Magna Steyr sicher. Als primärer Ansprechpartner stehtdem Unternehmen ein eigens abgestellter Serviceleiter zur Seite. Die End-anwender können sich mit Fragen oder Problemen an ein Helpdesk wen-den.Die weitere Entwicklung sowie die Anforderungen an neue Dienste

werden in einem vierteljährlich tagenden Lenkungskreis besprochen, demneben den Projektverantwortlichen bei Magna Steyr und Siemens auchMitarbeiter der Carrier T-Mobile und UTA angehören. Grundlage für diesePlanungsgespräche sind die laufenden Reports, aus denen sich aktuelle

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Entwicklungen sowie längerfristige Trends ergeben und die ein schnellesGegensteuern oder Verstärken ermöglichen.Der Übergang vom Eigenbetrieb in das Managed-Services-Modell war

mit einem relativ geringen Migrationsaufwand verbunden, zumal Siemensja die bestehende Infrastruktur von Magna Steyr komplett übernahm. Fürdie Anwender verlief der Wechsel völlig transparent. Bei dem österreichi-schen Automobilhersteller ziehen die Verantwortlichen eine positive Bi-lanz: Alle wesentlichen Ziele wie Kosteneinsparung und Kostentranspa-renz, Integration der Netze und eine zukunftsfähige Infrastruktur wurdenerreicht. Dadurch kann sich das Unternehmen noch stärker auf seine Kern-kompetenzen konzentrieren, die Entwicklung und den Bau von Automobi-len.Das gilt auch für die Zukunft. So ist die Infrastruktur bereits jetzt für

neue Technologien und Anwendungen vorbereitet, und weitere Innovatio-nen fallen den Verantwortlichen erheblich leichter als früher, da sie keineInvestitionsentscheidungen mehr fällen müssen. Neue Technologien wieVoice over IP und UMTS werden nun zusammen mit Siemens im Rahmenvon Pilotprojekten evaluiert und auf Wirtschaftlichkeit geprüft, bevor derPartner die Infrastruktur entsprechend ausbaut und die neuen Dienste zurVerfügung stellt.Ein gemeinsamer Lenkungskreis beobachtet zudem kontinuierlich den

Markt, um relevante Technologien zu identifizieren und im Hinblick aufihre Einsatzmöglichkeiten zu bewerten. Derzeit stehen für Magna Steyrdabei vor allem Dienstmerkmale auf Basis von Präsenzinformationen, Lö-sungen für das Unified Messaging sowie die Integration von MicrosoftOutlook in die Telefonie im Vordergrund.

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Flexible Unterstützung der Geschäftsprozesseeines Chemieanlagenbauers

Dr. Olaf Röper, Leiter Bereich Information Systems Uhde GmbH/CIO

Chemieanlagenbau in einem internationalen Umfeld

Unternehmenshintergrund der Uhde GmbH

Mit mehr als 2000 gebauten Anlagen zählt Uhde zu den weltweit führen-den Ingenieurunternehmen im Bau von Chemie- und Industrieanlagen.Die Uhde GmbH ist ein Unternehmen von ThyssenKrupp Technologies

und hat ihren Hauptsitz in Dortmund und Bad Soden (Taunus). Tochter-und Beteiligungsgesellschaften befinden sich auf allen Kontinenten.Dieser Weltverbund mit insgesamt 3900 Mitarbeitern engagiert sich auf

vielfältigen Arbeitsfeldern: Anlagen für Düngemittel, organische Zwi-schenprodukte und Polymere, Elektrolyseanlagen, Gastechnik, Anlagenzur Öl-, Kohle- und Rückstandsvergasung, Raffinerietechnik, Kokerei-technik und Pharma.Das Leistungsangebot reicht von einer ersten Projektstudie über die

Finanzierung bis hin zur Erstellung schlüsselfertiger Anlagen sowie derÜbernahme vielfältiger Service- und Maintenance-Leistungen (siehe Ab-bildung 1).Uhde bedient einen internationalen Markt, was zum Beispiel daran deut-

lich wird, dass im Geschäftsjahr 2003/2004 mehr als 80 Prozent des Auf-tragseingangs von außereuropäischen Kunden stammt (siehe Abbildung 2).International heißt nicht nur, dass Uhde-Anlagen überall in der Welt an-

zutreffen sind, auch alle Tätigkeiten zur Anlagenerrichtung einschließlichder Auftragssteuerung finden in einem internationalen Umfeld statt.

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Abb. 1. Das Leistungsangebot der Uhde GmbH

Hinsichtlich der globalen Aufstellung der Uhde GmbH ist es erwäh-nenswert, dass die Uhde-Gesellschaften in Indien, Südafrika, Russland,Mexiko, Australien, Spanien und Italien sowohl bezüglich der Ab-wicklungs- und Ingenieurexpertise als auch der technischen Ausstattungbefähigt sind, eigene Aufträge ohne unmittelbare Beteiligung des Stamm-hauses abzuwickeln. Darüber hinaus übernehmen sie Aufgaben (zum Bei-spiel Teile des Engineering) für Aufträge, die unter der Leitung desStammhauses oder einer anderen Gesellschaft der Uhde-Gruppe stehen.

Von der Idee bis zum Betrieb einer Chemieanlage

Training von BetriebspersonalInstandhaltung und Betrieb der AnlageMaterial-Management/ErsatzteileModernisierung und Anlagenoptimierung

Lizenzvergabe, -beschaffungBasic/Detail EngineeringEinkauf/Inspektion/VersandAuftragsabwicklungBau und MontageInbetriebnahme

Projektentwicklung/MarktstudieWirtschaftlichkeitsstudieProjektfinanzierung

Ideenentwicklung und -bewertungDurchführung von F&E-VorhabenErwerb von Technologien/Firmen

4. Betriebs- und Servicephase

3. Realisierungsphase

2. Angebotsphase

1. Forschungsphase

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Flexible Unterstützung der Geschäftsprozesse eines Chemieanlagenbauers 295

Abb. 2. Auftragseingang Uhde 2003/2004

Engineering, Procurement, Construction: die Geschäftsprozesse

Uhde ist ein so genannter „EPC(+ C) Contractor“, der alle Phasen einesAnlagenprojekts, also Engineering, Procurement, Construction (+ Com-missioning) komplett übernehmen kann (siehe Abbildung 3).Engineering umfasst dabei nahezu die gesamte Breite ingenieurtechni-

scher Aktivitäten.

• Procurement enthält alle Einkaufs-, Inspektions- und Versandaktivitätenweltweit.

• Construction umfasst alle Bau- und Montagearbeiten.• Commissioning beschreibt die technisch sinnvolle, schrittweise Inbe-triebnahme und Übergabe der Anlage.

Übriges Afrika

Amerika

Südostasien, pazifischer Raum & Australien

Westeuropa

Osteuropa & Mittelasien

Mittlerer Osten & Nordafrika

1.421,0 Mio.

5,3%

63,0%

19,5%

8,7% 1,7%

1,8%

2003/04Geschäftsjahr: 1.10. bis 30.9.

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Abb. 3. Phasen der Auftragsbearbeitung

Die Darstellung der Phasen in Abbildung 3 zeigt die prinzipielle Ab-wicklungsstruktur, bezogen auf die praktische Umsetzung gilt jedoch Fol-gendes:

• Tatsächlich erfolgt die Bearbeitung in den verschiedenen Engineering-Feldern aus terminlichen und fachlichen Gründen parallel.

• Für Komponenten mit langer Lieferzeit muss der Beschaffungsprozessbereits zu einem Zeitpunkt angestoßen werden, wenn das Engineeringdamit verknüpfter Komponenten noch nicht abgeschlossen ist.

• Bau- und Montageaktivitäten beginnen ebenfalls bereits, wenn Enginee-ring und Beschaffung noch nicht abgeschlossen sind.

Die hohe Bearbeitungsparallelität ist ein typisches Merkmal des Anla-genbaus und beeinflusst in besonderem Umfang die Ausprägung der ein-zusetzenden Tools.Es gilt, diese Parallelität sicher zu beherrschen. Das Foto einer gebauten

Anlage (siehe Abbildung 4) zeigt sehr eindrucksvoll, wie exakt die ver-schiedenen Fachgewerke (Rohrleitungen, Equipment, Stahlbau etc.) tech-nisch und räumlich zum Funktionieren der Anlage aufeinander abgestimmtsein müssen.Das Bild lässt auch erahnen, welche Bedeutung der terminlichen Ab-

stimmung auf der Baustelle zwischen den Lieferungen einerseits (Hard-ware und Dokumentation) und dem Erbringen von Bau- und Montageleis-tungen andererseits zur Einhaltung des zugesagten Endtermins zukommt:Eine Abstimmung, die bereits im Engineering beginnen muss, um erfolg-reich zu sein.

C+C

Vertrag

P

Beschaffung

Übergabeder

Anlage

E

Engineering

Verfahrenstechnik

Ausrüstungsplanung

Rohrleitungsplanung

Elektrotechnik

Mess- u. Regeltechn.

Baustellen-Management

Bau, Montage &Inbetriebnahme

Versand

Ersatzteile

Inspektion

Einkauf

Terminverfolgung

BasicEngineering

Detail Engineering

Montage u. Inbetrieb-

nahme

Anlagen-über-gabe

Beschaffung

Dokumenten-ManagementTerminüberwachungKostenkontrolle

Anlagenplanung

Bau-/Montageplanung

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Flexible Unterstützung der Geschäftsprozesse eines Chemieanlagenbauers 297

Abb. 4. Foto einer Chemieanlage

Die Übergabetermine an den Kunden sind in der Regel mit einer Ver-tragsstrafe versehen (pönalisiert), sodass Verzögerungen zu erheblichenVerlusten aufseiten des Contractors führen können.

Hohe Varianz durch projektspezifischen „Split of Work“

Eine effektive IT-Unterstützung setzt die Berücksichtigung weiterer bran-chentypischer Rahmenbedingungen voraus:

• Uhde bietet eine große Flexibilität in der Vertragsgestaltung, die sichauf den Leistungsumfang, die Vertragsform und die Auftragsabwick-lungsstrukturen bezieht; weitere Einzelheiten sind der Abbildung 5 zuentnehmen. Diese breite Varianz hat unmittelbaren Einfluss auf dieAusgestaltung der Geschäftsprozesse, deren Synchronisation unterein-ander und auf die benötigten Tools.

• Unsere Kunden fordern die Einbeziehung bestimmter (lokaler) Partnerund/oder Lieferanten mit gravierenden Auswirkungen auf das Kommu-nikations- und Datenverarbeitungskonzept.

• Kunden fordern zunehmend, IT-Tools bestimmter Anbieter (etwa imCAD-Bereich) einzusetzen, um Kompatibilität mit eigenen Planungs-und Management-Systemen sicherzustellen. Diese Forderungen beein-flussen unmittelbar die IT-Basisstrukturen und die qualitätsgesichertenBearbeitungsabläufe sowie die erforderliche Personalkompetenz und dieSupport-Strukturen.

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• Der Kunde ist üblicherweise während der gesamten Auftragsphase engin alle Aktivitäten eingebunden, seine Präsenz oder die Präsenz von ihmbeauftragter Berater ist an den unterschiedlichen Bearbeitungsstandorteneinschließlich der Baustelle auch IT-technisch sicherzustellen.

• Das spezifische IT-Konzept für einen Auftrag hängt zudem ganz ent-scheidend von den geografischen, politischen und wirtschaftlichen Ge-gebenheiten und Möglichkeiten der Baustelle ab.

Für jeden Auftrag ergibt sich somit ein spezifischer Split of Work, inden typischerweise mehrere Partner und der Kunde eingebunden sind.Es handelt sich dabei in der Regel nicht um langfristige statisch opti-

mierte Zusammenarbeitsszenarien zwischen wenigen, bekannten Partnern– wie in anderen Industrien –, sondern überwiegend um temporäre, an-fänglich nicht eingespielte Zusammenarbeitsformen.Mit der Verteilung der Aktivitäten auf unterschiedliche (internationale)

Standorte ergeben sich allerdings nicht nur Anforderungen an die Kom-munikationsinfrastruktur und die Tools selbst.Vielmehr sind darüber hinausgehende Notwendigkeiten zur effizienten

Gestaltung der fachlich-inhaltlichen Zusammenarbeit zu erfüllen, die ne-ben der effektiven Tool-Auswahl gerade auch die Planung und Umsetzungeiner adäquaten IT-Architektur erfordern.

Abb. 5. Flexibilität bei der Vertragsgestaltung

Festpreis oder Kostenerstattung plus Aufschlagoder Kostenerstattung mit Bonusoder Kostenerstattung mit Preisgleitung

Barzahlung oder Finanzierung

Schlüsselfertig oder Einzelleistung- Lizenz- Engineering- Lieferung- Projekt-Management- Beratung, Training, Studie- Instandhaltung- Technologieentwicklung

Hauptkontraktor oder Konsortium, Joint Ventureoder mit Tochtergesellschaftenoder Partnern

Eigene Technologie oder Lizenz von Dritten

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IT-Innovationen nutzbringend einsetzen

Investoren und Betreiber von Chemieanlagen machen Investitionsent-scheidungen von einer günstigen ROI-Analyse für das geplante Projektabhängig.IT-Unterstützung ist dann nutzbringend, wenn die wesentlichen ROI-

bestimmenden Faktoren positiv beeinflusst werden können:

• geringe Investitionskosten (Kapitalkosten) durch optimierte Konstrukti-on, effizienten Ressourceneinsatz und intelligentes Procurement

• geringe Betriebskosten durch Prozessoptimierung hinsichtlich Rohstoff-und Energieverbrauch und durch ein wartungsfreundliches Engineering

• hervorragende Produktqualität und optimierter Anlagenbetrieb zur Stei-gerung des Verkaufserlöses

Der EPC-Contractor selbst ist darauf angewiesen, die globale Zusam-menarbeit sicher zu beherrschen, um technische und finanzielle Risiken si-cher auszuschließen.Alle genannten Faktoren werden prinzipiell durch innovativen IT-

Einsatz oder innovative IT-Produkte günstig beeinflusst. Hierzu einigeBeispiele:

• Eine stabile, sichere und erschwingliche Kommunikationsinfrastrukturist offensichtlich eine kritische Ressource für die Projektbearbeitung. Esmüssen der Kunde, Partner, Zulieferer, eigene Organisationseinheitenund die Baustelle eingebunden werden. Die zunehmende Breite derKommunikationsmöglichkeiten, die verbesserte Leistungsfähigkeit,weltweite Verfügbarkeit und Stabilität der Verbindungen bei allgemeinzurückgehenden Kosten eröffnen neue und immer intelligentere Mög-lichkeiten des Datenaustauschs. Höhere Datenaktualität führt unmittel-bar zu mehr Effizienz, höherer Qualität und Minimierung von Risiken.

• Ständige und stetige Verbesserungen der unterstützenden IT-Tools ein-schließlich der Betriebssystemkomponenten hinsichtlich Funktionalität,Flexibilität und Wirtschaftlichkeit sind unverzichtbar. Nur mit diesenfortlaufenden Innovationen sind die steigenden Erwartungen der Kun-den hinsichtlich geringerer Anlageninvestitionskosten, kürzerer Projekt-laufzeiten und optimaler Anlagen- und Produktqualität zu erfüllen. Aus-gereifte Tools ermöglichen effizienteres Arbeiten, helfen bei derKostensenkung und fördern somit die Wettbewerbsfähigkeit (Simulati-ons-Tools, direkte Verknüpfung zu den Prozessleitsystemen der Anlage,CAD, regelbasierte Auslegungs-Tools etc.).

• Die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern heißt auch, Mehrwertfür den Kunden (wie oben dargestellt) schaffen zu können, zum Beispiel

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bereits während der Planungsphase niedrige Betriebskosten durch ge-eignete konstruktive Maßnahmen zu erzwingen. Innovative, teilweiseneue IT-Tools unterstützten dabei die zielgerichtete Bereitstellung undAnwendung der beim Anlagenbauer vorhandenen Kompetenz (Know-ledge Management Systeme, gezielte Aufbereitung von Zulieferinfor-mationen, Standardisierung etc.)

Grundsätzlich könnte für alle Elemente der EPC-Kette (EPC = Enginee-ring, Procurement, Construction) eine große Anzahl innovativer Lösungenbeschrieben werden. Diese umfängliche Darstellung müsste allerdings denRahmen dieser Darstellung sprengen.Die anstehenden Fragen und verfügbaren Lösungen sollen im Folgenden

beispielhaft für das Element Engineering erläutert werden. Viele Prinzi-pien und Ideen werden aber auch entsprechend für die anderen Bearbei-tungsphasen angewendet.

Innovative IT-Tools verbessern die Zusammenarbeit

Collaborative Engineering

Als Collaboration wird die Zusammenarbeit zwischen Partnern verstanden,deren Geschäftsprozesse eng miteinander verzahnt sind.Im Rahmen des Collaborative Engineering arbeiten mehrere Ingenieur-

standorte (oder -gesellschaften) an einem gemeinsamen Projekt, wozu ingeeigneter Weise Wissen und Daten Tool-gestützt zur Verfügung gestelltund ausgetauscht werden müssen. Die hier zum Einsatz kommenden Toolssind sehr vielgestaltig und reichen von gemeinsamen Kalendern und Mail-Systemen bis zur gemeinsamen Datenspeicherung und Workflow-Unter-stützung.Mit dem Collaborative Engineering sind konkrete, wirtschaftlich rele-

vante Erwartungen verbunden: niedrigere Kosten, kürzere Bearbeitungs-zeiten, Einhaltung der vereinbarten Qualität im Rahmen der Abwicklungvon Aufträgen sowie Erhöhung der Reaktions- und Innovationsfähigkeit,stärkere Kundenorientierung und -bindung als wichtige Beiträge zur Si-cherung der Wettbewerbsfähigkeit des Gesamtunternehmens (siehe Abbil-dung 6).Funktionierendes Collaborative Engineering setzt im Kern die konse-

quente Definition und Umsetzung einer Auftraggeber-/Auftragnehmerrollezwischen den beteiligten Partnern voraus.

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Abb. 6. Collaborative Engineering: Ziele und Partner

Der Erfolg des Collaborative Engineering ist von der Effektivität deroben angesprochenen Verteilung, also der gezielten Auslagerung vonTeilaufgaben im Rahmen der Supply Chain abhängig.Die einzelnen Teilaufgaben müssen dabei sicher überwacht werden und

die jeweils erbrachten Leistungen und deren Ergebnisse wieder zusam-mengefügt werden, um die vertraglich garantierte Gesamtleistung zu errei-chen. Dabei sind zwei Hauptaufgaben zu bewältigen:

• Konsolidierung der fachlich-inhaltlichen Details (Ingenieurtechnik), ei-ne besondere Herausforderung für IT-Tools und -Architektur

• Zusammenführung der Kosteninformationen, der Terminplanungen undder Überwachungsaktivitäten (vertragliche Konsolidierung)

Webbasierte Lösungen für mehr Aktualität und Flexibilität

Webbasierte Lösungen (oft auch als die Collaboration Tools bezeichnet)beruhen darauf, dass Information oder Anwendungen zur gemeinsamenVerwendung im Rahmen der jeweiligen Zusammenarbeit auf einer ge-meinsamen Internetplattform abgelegt werden, die entweder von einem derPartner aufgebaut oder von einem Dienstleister betrieben und zur Verfü-gung gestellt wird.Der Zugriff auf diese gemeinsame Plattform ist zwischen den Beteilig-

ten zu koordinieren. Es werden Dokumente, Spreadsheets oder komplexereAnwendungen zum Beispiel zur Datenerfassung oder technischen Ausle-gung genutzt. Zusätzlich enthalten diese Plattformen typische Collaborati-on-Hilfsmittel, wie etwa Projektkalender oder Workflow-unterstützendeFunktionalitäten.

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Diese webbasierten Lösungen eröffnen dem Contractor neue Möglich-keiten der Flexibilität und erhöhen die Aktualität, was in kürzeren Bearbei-tungszeiten, besserer Transparenz, höherer Qualität und Kostenbegrenzungresultiert. Einige Beispiele:

• Dem Auftraggeber ermöglicht diese Technik, die eigene Planungstiefezu verringern und die spezifische Expertise des Zulieferers unmittelbarzu nutzen: Für einen gegebenen Anwendungsfall kann die technisch undwirtschaftlich optimale Variante ausgewählt werden. Eine typische An-wendung ist die Auslegung eines Apparats als iterativer Prozess zwi-schen Auftraggeber und Lieferant über den Austausch von Datensätzenoder Excel-Spreadsheets.

• Auch für schwierige Aufgaben sind diese Lösungen anwendbar, bei-spielsweise für das Engineering von Maschinen und Apparaten, mit de-nen wesentliche Schritte des verfahrenstechnischen Prozesses realisiertwerden, die also für das Funktionieren der Gesamtanlage durchaus kri-tisch sind und eine enge technische Begleitung durch den Auftraggebererfordern. Die in der Regel bidirektional zu übertragenden Daten-mengen können schon einen deutlichen Umfang annehmen. Sowohl dieräumliche Positionierung des Equipments als auch die technischen De-tails unterliegen gegebenenfalls noch weiteren Optimierungen, woraussich zwangsläufig zahlreiche Iterationsschritte ergeben. Gerade in die-sem Umfeld ist das Mehr an Transparenz und Aktualität sehr willkom-men und vermeidet durch mangelnde Qualität induzierte Zusatzaufwen-dungen. Auch eine Ausweitung auf Großaggregate oder verfahrens-technische Teilanlagen ist möglich und wird praktiziert.

• Neben den Verbesserungen mit eher fachlich inhaltlichem Bezug, bietensich auch neue Formen der Fortschrittskontrolle über das Publizierenabgestimmter Dokumente zu vereinbarten Zeitpunkten an.

Für lang laufende Projekte oder den Austausch besonders vertraulicher(geschäftskritischer) Daten ist zumindest die Einrichtung einer unterneh-menseigenen Lösung überlegenswert, wozu umfassende „Werkzeugkäs-ten“ angeboten werden.Stets sind Konzepte zur Zugriffssicherheit zu erarbeiten (mehrstufige Fi-

rewall, verschlüsselte Übertragung, aufwendige Anmelde- und Identifika-tionsverfahren etc.), um ungewollte Effekte zu vermeiden.

Über Dokumenten-Management die globale Zusammenarbeit steuern

Dokumenten-Management (auch DMS oder Dokumentenverwaltung) istauf den ersten Blick noch keine wirklich innovative Lösung. Tools zurVerschlagwortung, Versionierung und Ablage von Dokumenten gibt es be-

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Flexible Unterstützung der Geschäftsprozesse eines Chemieanlagenbauers 303

reits seit langer Zeit, und auch ohne spezielle Anforderungen im Enginee-ring-Umfeld waren Tools dieser Kategorie sinnvoll.Dokumenten kommt im Rahmen der Projektbearbeitung eine wesentli-

che Bedeutung zu. Sie sind Träger unterschiedlicher Informationen, die zurAbstimmung zwischen den Fachdisziplinen, zu dem Kunden, zu Partnern,für den Beschaffungs- und Versandprozess, die Montage, die Inbetrieb-nahme etc. benötigt werden. Darüber hinaus sind in ihnen vertrags-, kos-ten- und terminrelevante Informationen enthalten.DMS-Systeme unterstützen die globale Zusammenarbeit im Wesentli-

chen durch zwei Eigenschaften, die erst in den letzten Jahren in den Vor-dergrund rückten:

• Moderne Systeme ermöglichen eine gemeinsame Ablage für Dokumen-te, auf die wirtschaftlich von allen beteiligten Standorten zugegriffenwerden kann. Es ist zu beachten, dass insbesondere technische Doku-mente oftmals sehr umfangreiche grafische Elemente enthalten, derenGröße einer beliebigen weltweiten Verteilung entgegenstehen. DMS-Systeme können heute die weltweite Kooperation unterstützen, indemsie dieser Dualität der Datenverfügbarkeit Rechnung tragen. Dies wirderreicht (siehe Abbildung 7):

Abb. 7. Internationale Aufstellung eines DMS (Beispiel SAP)

SAP-Betrieb Uhde Dortmund

Content-Server

DVS

Knowledge

Provider

Andere

Standorte

Cache

Content-Server

Cache

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304 Dr. Olaf Röper

– durch lokale Content-Server, die die ortsnahe Ablage erstellter Doku-mente ermöglichen und damit den Bandbreitenbedarf teurer internatio-naler Datenverbindungen erheblich reduzieren– durch so genannte Caching-Funktionalität, die bei Zugriff auf Doku-mente entfernter Content-Server durch intelligentes Abspeichern sicher-stellt, dass nicht geänderte Dokumente nur einmal übertragen werdenmüssen

Internettechnologien sind die technische Basis für den flexiblen Zugriffauf lokale und entfernte Content- und Cache-Server; sie stellen den einfa-chen Zugriff auch von Lokationen außerhalb des Unternehmensnetzwerkssicher.

• Zusammenarbeitsorientierte Systeme unterstützen heute eine aktiveWorkflow-bezogene Verfolgung der Dokumente, sodass die Einbindungvon Einzeldokumenten in eine detaillierte Terminkontrolle möglich ist:Die Kontrolle der Übergabe von Dokumenten zwischen Partnern/Kun-den/Lieferanten während der Auftragsabwicklung hat zentrale Bedeu-tung bei einem weit gefächerten Split of Work.– Wer hat wann welches Dokument mit welchem Status bekommen?– Wird eine Genehmigung, Bearbeitung oder nur Kenntnisnahme erwar-tet?– Ist eine Rückmeldung/Genehmigung eingegangen?– etc.

Diese Workflow-orientierte Verfolgung der Dokumente ist von sehr ho-hem Nutzen, wenn man sich vor Augen führt, dass der Fertigstellungsgradvon Einzeldokumenten zusätzlich auch den Bearbeitungsstatus der gesam-ten Anlagenplanung widerspiegelt: Diese Fortschrittskontrolle ist möglich,ohne den Inhalt der Dokumente beurteilen zu müssen!

Teilkonsolidierung durch verteilte Bearbeitung eines 3D-CAD-Modells

3D-CAD-Systeme sind klassische Konsolidierungsmittel. Digitale Modellesind Nachfolger der früher mit großem Aufwand erstellten Modelle ausPlastik, die begleitend zum Engineering (an einem Ort in unmittelbarerNähe des Engineering-Teams) meist im Maßstab 1:33 1/3 erstellt wurden.Damit wurden und werden folgende Ziele verfolgt:

• Feststellen von Planungsfehlern (geometrische Unverträglichkeiten,Störkanten, Bedienbarkeit etc.)

• Darstellung des aktuellen Planungsstands

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Flexible Unterstützung der Geschäftsprozesse eines Chemieanlagenbauers 305

• Analysen im Zusammenhang mit vorgesehenen Änderungen• Festlegung der Bau- und Montage- sowie der Inbetriebnahmereihenfol-ge

Das physische Modell wurde zur Baustelle transportiert und war dortKoordinationszentrum für alle Aktivitäten. Nach Übergabe der Anlagediente es zu Schulungszwecken aufseiten des Betreibers.Digitale Modelle erfordern demgegenüber deutlich geringeren Erstel-

lungsaufwand. Die 3D-CAD-Software ist Engineering-Werkzeug, dasModell entsteht also praktisch als Nebenprodukt, es enthält aber bezogenauf das Plastikmodell sehr viel mehr direkt abgreifbare Informationen,zum Beispiel so genannte Rohrleitungsisometrien, die für die Montage undMaterialentnahme auf der Baustelle benötigt werden, und Bestellinforma-tionen, die mit Informatikmitteln extrahiert und weitergegeben werdenkönnen.Die Funktionalität dieser Systeme hat einen hohen Grad erreicht, neben

effizienten, teils regelbasierte Möglichkeiten hat sich die grafische Re-präsentation durch verbesserte Hard- und Software nahezu perfektioniert(siehe Abbildung 8), Spezial-Software ermöglicht die Präsentation zumBeispiel für den Kunden in einer scheinbar realen Umwelt, das Anlagen-modell kann quasi begangen werden.

Abb. 8. Digitales 3D-Modell

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Neueste Entwicklungen auf diesem Gebiet begegnen nun zwei wichti-gen Nachteilen des digitalen Modells:Erstens liegt die Datenbank an einer Lokation vor. Bezogen auf eine pa-

rallele Bearbeitung und globale Verteilung ist der Online-Zugriff über in-ternationale WAN-Verbindungen auf dieses gemeinsame 3D-Modell we-gen hoher Datenvolumina und der Notwendigkeit zum schnellen Aufbauder Grafik kein probates Mittel. Einige Software-Ersteller bieten nunmehrso genannte „Global“-Versionen an, die über komplexe, ausgefeilte Repli-kationsmechanismen eine tatsächliche globale Verteilung ermöglichen.

• Zum einen kann die Gesamtanlage/das Gesamtmodell in eindeutig defi-nierte Teilanlagen unterteilt werden. Diese Teilanlagen sind durch denSplit of Work bestimmt und können dem jeweiligen Projektteilnehmerzur exklusiven Bearbeitung lokal zur Verfügung gestellt werden.

• Zum anderen kann jeder der Projektteilnehmer regelmäßig mit den ak-tuellen Gesamtdaten des Projekts versorgt werden.

Die zweite Unvollkommenheit des 3D-Modells liegt darin begründet,dass für den Zugriff auf ein Modell stets die zugehörige, anbieterspezifi-sche Software benötigt wird. Theoretisch ist zwar der Zugriff von jedemArbeitsplatz möglich, die hierfür erforderlichen Lizenzen der jeweiligenCAD-Suite sind jedoch recht teuer, sodass ihr Einsatz auf die eigentlichenKonstrukteure beschränkt bleibt. Die zentrale Koordinations- und Kom-munikationsrolle des Plastikmodells kann damit nicht erreicht werden.Neue, preiswerte „Viewer only“-Software ist in der Lage, nahezu jedes

am Markt verwendete Datenformat anzuzeigen. Diese einfache Idee er-möglicht einen schnellen Zugriff auf aktuelle Daten, insbesondere für Füh-rungskräfte im Engineering, im Procurement, in der Auftragsleitung undfür Fachingenieure anderer Disziplinen.Diese einfache Verbesserung ist ein wichtiger Schritt, das digitale 3D-

Modell auch in die Richtung eines zentralen Koordinationspunkts zu ent-wickeln. Früh erkannte Inkonsistenzen können hohe Zusatzaufwendungenfür die spätere Fehlerbehebung verhindern. Profitable Innovationen sindnicht zwangsläufig spektakulär.

Konsolidierung erfordert eine anpassungsfähige IT Architektur

Intelligente Datenbankorientierung statt einfacher Grafik

Bereits an dem Beispiel des globalen 3D-CAD konnte gezeigt werden,dass moderne IT-Tools nicht nur eine besonders ausgefeilte Funktionalität

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bieten, sondern zusätzlich einen Beitrag zur Technikkonsolidierung imRahmen des Collaborative Engineering leisten.Mit der Einplanung in ein gemeinsames 3D-CAD-Modell kann diese

Konsolidierung allerdings nicht vollständig erfüllt werden, da

• der Einplanung in ein 3D-Modell parallele ingenieurtechnische Ausle-gungen mit anderen IT-Hilfsmitteln vorausgehen. Die Fehlerfreiheit derDatenübernahme aus diesen vorgelagerten Modulen ist nicht in allenFällen optisch prüfbar (zum Beispiel Nichterfüllung vereinbarter Funk-tionalitäten, Nichteinhaltung vorgesehener Standards, Werkstoffun-verträglichkeiten etc.)

• nicht alle zu beschaffenden Komponenten aus Gründen der Wirtschaft-lichkeit oder Praktikabilität in dieses Modell eingeplant werden (Kabel,kleinnennweitige Rohre, Schaltkästen, Einzelheiten von Bau und Stahl-bau etc.)

Die Zusammenführung zu einer fehlerfreien Gesamtlösung (Konsolidie-rung) muss von einer intelligenten IT-Architektur insgesamt unterstütztwerden.Für einen international tätigen Anlagenbauer spielt die Flexibilität und

Offenheit der IT-Architektur eine zentrale Rolle.Voraussetzung auf der Tool-Seite ist es, dass alle Informationen, insbe-

sondere die in Grafiken, in Datenbanken erfasst werden und auswertbarsind. Änderungen müssen durch die Bearbeiter unverzüglich datenbankre-levant eingebracht werden (keine händischen Roteintragungen in Papier-dokumenten).Alle namhaften Anbieter von CAD-Systemen investieren zurzeit erheb-

liche Mittel, um ihren Produkten durch eine Datenbankorientierung die er-forderliche Intelligenz zu verleihen.

Anlagenstruktur

Datenkonsolidierung ist nicht nur aus technischen Gründen zwingend,vielmehr sind nachgeordnete Phasen zu unterstützen:

• Beschaffung und Logistik (zum Beispiel SAP)• Fertigung (spielt nicht bei allen EPC-Contractoren eine Rolle)• Übergabe an den Kunden (Dokumentation, Maintenance etc.)

Hierzu ist zusätzlich zu den eher fachdisziplinorientierten Tools eineweitere (logische) Komponente erforderlich, die den konsolidierten Daten-bestand für die genannten Zwecke zur Verfügung stellt.

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Abb. 9. Anpassungsfähige IT-Architektur

Diese Aufgabe erfordert eine Struktur (so genannte Anlagenstruktur), indie konsolidierte Elemente eingefügt werden und somit am Ende der Pla-nungsphase die komplette Anlage repräsentieren.Der Standardisierungsgrad dieser Struktur entscheidet darüber, in wel-

chem Umfang und mit welcher Relevanz diese Informationen als Basis fürAngebotskalkulationen zukünftiger Projekte Verwendung finden können.

EAI – Konzepte und Produktauswahl

Innovative Konzepte wie Enterprise Application Integration (EAI) konntenin den letzten Jahren der Lösung dieser Themenstellung wichtige Impulseverleihen.EAI-Konzepte (siehe Abbildung 9) führen Einzelmodule über Middle-

ware-Komponenten zusammen, bieten Datentransfer und -replikations-strategien an und ermöglichen

• den Einsatz optimierter Tools für die einzelnen Fachdisziplinen („Bestof Breed“-Ansatz) beziehungsweise

• die Beibehaltung einer vorhandenen und eingespielten Tool-Landschaft• die notwendige Einbeziehung der vom Kunden vertraglich vorgegebe-nen Einzel-Tools

• die Berücksichtigung der jeweiligen lokalen Gegebenheiten bei denPartnern/Gesellschaften (Software-Verfügbarkeit, lokale Support-Struk-

E

Engineering

Verfahrenstechnik

Ausrüstungsplanung

Rohrleitungsplanung

Elektrotechnik

Mess- u. Regeltechn.

Anlagenplanung

Bau-/Montageplanung

Beschaffung

Fertigungs-

planung

Maintenance

Parallele und verteilte Bearbeitung

(Collaborative Engineering)

EAI-Architektur

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.)

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Flexible Unterstützung der Geschäftsprozesse eines Chemieanlagenbauers 309

turen, Ausbildungsstand der Anwender, Qualitätssicherungsmaßnahmenetc.)

Diese Konzepte eröffnen die geforderte Anpassungsfähigkeit der IT-Architektur. Einzelmodule können im Rahmen dieser Konzepte beispiels-weise je nach Erfordernis ersetzt oder zugefügt werden.Die Lösungsanbieter lassen sich den folgenden Gruppen zuordnen:

• generalisierte EAI-Anbieter, die ihren Schwerpunkt in der Integrations-beratung sehen

• Anbieter von ingenieurfachlichen Anwendungssystemen (zum Beispielaus dem CAD- oder Spezifikationsbereich), die eigene oder zugekaufteAnwendungen über zusätzliche Integrationskomponenten miteinanderverknüpfen möchten. Der Anspruch besteht in der Zurverfügungstellungkompletter Suiten (Integrationsrichtung also aus dem Engineering inRichtung Beschaffung)

• ERP-, PDM-, PLM-Anbieter, die ingenieurtechnische Anwendungeneinbinden wollen (Integrationsrichtung aus der Beschaffung „rückwärts“in Richtung Engineering)

Es sind folgende Auswahlkriterien zu beachten:

• Flexibilität und erforderlicher Aufwand bezüglich der Gestaltung derSchnittstellen zwischen den Systemen

• angebotene Funktionalität zur Steuerung der zahlreichen, voneinanderabhängigen Konsolidierungsschritte

• TCO-Reduzierung

Kritische Erfolgsfaktoren und Zusammenfassung

In den vorangegangenen Kapiteln konnte an einigen Beispielen – schwer-punktmäßig im Umfeld des Collaborative Engineering, jedoch nicht daraufbeschränkt – erläutert werden, welcher ROI-relevante Nutzen durch IT-Innovationen unterstützt beziehungsweise ermöglicht wird.Es muss allerdings daran erinnert werden, dass sich Erfolge nicht auto-

matisch einstellen. Tools interagieren immer sehr eng mit den zugehörigenAbläufen und entfalten unterschiedliche Wirkung bezogen etwa auf diejeweiligen Szenarien der Zusammenarbeit.

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310 Dr. Olaf Röper

Abb. 10. Voraussetzungen für den Tooleinsatz

Beispielhaft für das Collaborative Engineering zeigt Abbildung 10 dieWirkung unterschiedlicher Collaborative Tools auf die Zusammenarbeitvon Partnern.Während für die Aufgabe „Kommunikation“ keine Abstimmung der

Prozesse zwischen den Partnern erforderlich ist, ist für die Ebene der „Ko-operation“ eine Abstimmung der Prozesse unverzichtbar.Erfolgreiches Collaborative Engineering setzt also bereits bei der Fest-

legung des auftragsspezifischen Split of Work folgerichtig die vollständigeBeherrschung und gegenseitige Abstimmung der Prozesse und Arbeits-schritte voraus.Diese Zusammenhänge zeigen sehr deutlich, dass Unternehmen zur er-

folgreichen Adaption IT-induzierter Innovationen wirksame Mechanismenund Institutionen implementieren müssen, die dieser hohen gegenseitigenAbhängigkeit zwischen IT und Prozess Rechnung tragen. Kurz: BusinessAlignment der IT ist aktiv zu organisieren.Zusammengefasst ist festzuhalten, dass EPC-Contractoren in besonde-

rem Umfang von IT-Innovationen profitieren.

Erhalt und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit durch:

• interne Effizienzverbesserung, Kostenreduzierung und kürzere Abwick-lungszeiten

• größere Transparenz während des gesamten Ablaufs und damit Risiko-begrenzung in einem internationalen Umfeld

• Verbesserung der Datenbasis zur Angebotskalkulation

Typische ToolsEbenen der

Zusammenarbeit

ViewingCommon CalenderInternetanwendungen (ASP)PortaleShared Files

File-TransferE-MailTelefon

Gemeinsame DatenbankenGemeinsame AnwendungenGemeinsame Dokumenten-verwaltungCAx mit Redlining

Koordination

Kommunikation

Kooperation

Punktuellaufeinanderabgestimmt

Von Interesse,aber wenig

abgestimmt oderharmonisiert

Für bestimmteTätigkeitsfelderharmonisiert

oder gleich

Von Interesse,aber wenig

abgestimmt oderharmonisiert

Von Interesse,aber wenig

abgestimmt oderharmonisiert

Für bestimmteTätigkeitsfelder

harmonisiert odergleich

Prozesse Tools

Abstimmungsbedarfzwischen Partnern

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Flexible Unterstützung der Geschäftsprozesse eines Chemieanlagenbauers 311

Schaffen von direktem Mehrwert für den Kunden durch:

• Termintreue bezüglich der Anlagenübergabe• höheren Durchsatz durch optimierten Anlagenfahrbetrieb• eine umfassende Datenbasis für die Wartung durch intelligente Ver-knüpfung mit dem EPC-Prozess

IT-Innovationen betreffen folgende Komponenten beziehungsweiseEbenen der gesamten IT-Lösung:

• Basisinfrastruktur, insbesondere die Kommunikation• ständige Ertüchtigung der Tools bezüglich Funktionalität, Datenbank-orientierung und Benutzerschnittstelle

• flexible, offene Architekturansätze und Replikationsverfahren

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Flexible Servicemodelle – die atmende IT durchadaptives Outsourcing

Dr. Thomas Schmidt-Melchiors, CIO Reemtsma DeutschlandSven Schmidt, geschäftsführender Gesellschafter S2 ManagementConsulting

IT-Outsourcing heute

Mit Outsourcing wird die zeitlich begrenzte Übertragung einer (Dienst-)Leistungserbringung auf andere Unternehmen bezeichnet. Dauer und Ge-genstand der zu erbringenden Leistung werden in Form von Service LevelAgreements (SLAs) vertraglich fixiert. Primäre Ziele dieser Auslagerungsind Wirtschaftlichkeit (Kosteneinsparung), Flexibilisierung des Unter-nehmens und Fokussierung auf das Kerngeschäft.Während Outsourcing in der Fertigungsindustrie mit der Auslagerung

der Produktion an Auftragsfertiger unter dem Begriff „Verringerung derWertschöpfungstiefe“ ein gängiges und bewährtes Konzept ist, trifft manim Bereich des IT-Outsourcing mittlerweile auf eine zunehmende Skepsis.Obwohl das durchschnittliche Marktwachstum des IT-Outsourcing Stu-dien1 zufolge bis 2008 etwa zehn bis zwölf Prozent beträgt und der Trendzum Outsourcing somit noch nicht an seinem Höhepunkt angekommen ist,lässt sich vereinzelt schon wieder eine Abkehr von diesem Vorgehen be-obachten.Die Gründe hierfür sind vielfältig. Die betroffenen Unternehmen stellen

fest, dass zwischen Wunsch und Wirklichkeit oft erhebliche Diskrepanzenliegen. So lassen sich durch den Abschluss des Outsourcing-Vertrags zwaroftmals unmittelbar Kosten sparen, aber mittel- bis langfristig sinken dieIT-Ausgaben nicht. Zum einen wird der Aufwand für die Steuerung desDienstleisters unterschätzt, zum anderen muss so mancher Kunde fürDienste extra zahlen, die er ursprünglich als Bestandteil des Vertrags an-

1 Quelle: DB research

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sah. Ein weiterer, entscheidender Punkt ist die Qualität der ausgelagertenLeistungen. Die Qualität wird zwar meist zu Beginn des Vertragsverhält-nisses in einem SLA definiert, aber mangels Erfahrung im Umgang mit IT-Dienstleistern doch nicht hinreichend gut festgelegt und kann dann nurnoch indirekt beeinflusst werden. Manche Kunden müssen erkennen, dassder Vertragspartner auch nicht zwingend über die notwendigen Kapazitä-ten an eigenen Fachleuten verfügt, um das versprochene Qualitäts- undPreisniveau zu liefern.Die gewünschte Flexibilität der Auslagerung bedeutet häufig nur eine

Zunahme an Leistungen, eine Veränderung oder gar Reduzierung ist oftvertraglich nicht vorgesehen oder führt zu deutlich höheren Kosten. EinBeispiel aus den USA zeigt, dass sich manche Unternehmen aufgrund dermangelnden Flexibilität ihrer IT-Outsourcing-Verträge sogar in ihrer Ge-schäftstätigkeit behindert sehen. So beendete gerade ein US-ameri-kanischer Handelskonzern nach nur knapp einem Jahr die ursprünglich aufzehn Jahre angelegte Zusammenarbeit mit seinem IT-Dienstleister, weilein Unternehmenszusammenschluss anstand. Nun streiten sich beide Par-teien vor Gericht über die Gründe der Kündigung: Liegt eine Pflichtverlet-zung durch den Dienstleister vor, oder wurde der Vertrag „lediglich“ auf-grund der Veränderung des Geschäftsumfelds gekündigt? Die Tatsache,dass der Kunde den Vertrag bei Änderung des Geschäftsumfelds kündigenmuss, lässt vermuten, dass dieser keine ausreichenden Mechanismen fürderartige Veränderungen vorsieht.Oftmals werden also die Ziele des Outsourcing nicht erreicht bezie-

hungsweise die Erwartungen nicht erfüllt. Inflexible, starre Auslagerungs-verträge können Unternehmen in ihrer Wettbewerbsfähigkeit behindern,wenn Änderungen in der Anwendungslandschaft oder in der IT-In-frastruktur über langwierige Genehmigungsverfahren laufen müssen. Po-tenzielle Kunden, die sich in der Entscheidungsphase zum IT-Outsourcingbefinden, werden durch zunehmende Meldungen über problematischeDeals verunsichert.Dennoch, die Aussichten für den IT-Outsourcing-Markt bleiben insge-

samt gut. Unternehmen haben aus früheren Outsourcing-Vereinbarungengelernt, Verträge werden nicht mehr nur zu den Bedingungen des poten-ziellen Dienstleisters abgeschlossen. Die Kunden verhandeln intensiver,bringen ihre eigenen Wünsche in die Verhandlungen mit ein und verhan-deln zunehmend preissensitiv. Risiken werden auf den Dienstleister verla-gert und gute Konditionen durchgesetzt.

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Unternehmen im Wandel

Nichts ist beständiger als der Wandel. Diese Maxime gilt in der heutigenWirtschaftswelt mehr denn je. Mergers and Acquisitions, Unternehmens-teilverkäufe und -ausgliederungen, strategische Kooperationen, Neufokus-sierung und damit einhergehende Verringerung der Spartenzahl, Verlage-rung von Produktionsstätten und Änderung der Fertigungstiefe: All dassind Vorgänge, die in der Regel die betriebswirtschaftlichen IT-Unterstützungssysteme, meist aber auch die gesamte IT vor dramatischeHerausforderungen stellen.Auch die wirtschaftlichen Aktivitäten des Unternehmens Reemtsma un-

terliegen – besonders seit der Übernahme durch die Imperial TobaccoGroup im Mai 2002 – einem erheblichen Wandel. Geschäftsziele wurdenneu definiert, Strategien verändert. Konzentrationsprozesse auf der Pro-duktions- und Logistikseite, Gesetzgebung und sich änderndes Käuferver-halten, aber auch die schnelle Entwicklung der Informations- und Kom-munikationstechnologie haben neue Rahmenbedingungen geschaffen. Diesich daraus ergebenden Konsequenzen für diverse Teilbereiche des Unter-nehmens stellen eine Herausforderung für den Bereich IT dar. Ohne dieUnterstützung durch die IT wäre ein Management der sich extrem schnellwandelnden Strukturen kaum möglich.

Resultierende Anforderungen an die IT – die atmende IT

Basierend auf unterschiedlichen Ausgangssituationen in der IT hinsichtlichder Architektur, der Art der Leistungserbringung und auch der Führungs-modelle stand am Anfang der Integration der Unternehmen Imperial To-bacco Group und Reemtsma die Entwicklung einer gemeinsamen IT-Strategie. Im Ergebnis wurde eine gemeinsame, in großen Teilen auf SAPund ergänzende Lösungen für den Bereich CRM und Manufacturing basie-rende Zielarchitektur definiert, die zur Unterstützung der sich wandelndenGeschäftsanforderungen möglichst rasch implementiert werden sollte.Gleichzeitig war es ein vorrangiges Ziel, den Umbau der Systeme aus Ein-sparungen des laufenden Betriebs, ohne Erhöhung des IT-Budgets, zu fi-nanzieren. Weiterhin sollten Teile der ausgelagerten Dienstleistungen zu-künftig wieder intern erbracht werden.

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Abb. 1. Mittelfristige Entwicklung der IT-Kosten

Diese Herausforderungen an die IT stellen auch hohe Anforderungen anden (zukünftigen) Outsourcing-Dienstleister. Dieser muss die Kontinuitätdes Betriebs der Altsysteme sicherstellen und bereit sein, Kosteneinspa-rungspotenziale des laufenden Betriebs durch den Einsatz neuer Technolo-gien (und einer damit einhergehenden System- und Server-Konsolidie-rung) an den Kunden weiterzureichen.Die Spielregeln des adaptiven Outsourcing sehen eine nahezu beliebige

Veränderbarkeit der bezogenen Services während der Vertragslaufzeit vor.Der Dienstleister muss bereit und in der Lage sein, ein sehr flexibles Ver-tragswerk anzubieten, dass sich den verändernden Unternehmensbedin-gungen des Kunden anpasst, ohne dabei laufend geändert werden zu müs-sen. Diese Spielregeln dürfen dabei jedoch keine einseitige, zu Lasten desAnbieters gehende Risikoübernahme sein. Der Dienstleister muss vielmehrdie Gewähr haben, für einen definierten Zeitraum ein Mindestmaß an Leis-tungsabnahme, Umsatz und auch Gewinn zu erzielen. Sofern die tatsäch-lich abgenommene Leistung unter der vertraglich vereinbarten Leistungliegt, stehen dem Dienstleister sowohl Investitionsschutz als auch die Ab-sicherung seines entgangenen Gewinns zu.

Grundsätzlicher Aufbau von Outsourcing-Verträgen

Für den Aufbau und die Vertragshierarchie eines Outsourcing-Vertragsgibt es keine verbindlichen Regelungen. In der heutigen Zeit ist ein IT-Outsourcing ohne in SLAs vereinbarten, quantitativen und qualitativenZielen nicht mehr denkbar. Ein wesentlicher Faktor von SLAs ist, nebender Auswahl der geeigneten Kennzahlen zur möglichst exakten Definition

Zeit

Laufende

IT-Kosten

Infrastruktur

Anwendungen

Projekte

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der geschuldeten Leistung, das Messverfahren zur Überprüfung der Ein-haltung der Ziele. Dabei sind die Frequenz der Messungen und ihre Dar-stellung im SLA-Reporting (Verdichtungen, Aufriss nach Kategorien etc.)zu vereinbaren. Je nach betroffenem Bereich erfolgt dabei das Reportingtypischerweise auf Wochen-, Monats- und Jahresebene. Dazu kommt nochdas einzelfallgetriebene Event-Reporting.Sinnvoll ist darüber hinaus die Definition und Einführung der Rollen

„Service Delivery Manager“ aufseiten des Dienstleisters und „Service(Provision) Manager“ auf Kundenseite. Hier wird die Verantwortungverankert, in vereinbarten Intervallen die Servicequalität und besondereEvents zu überprüfen und Maßnahmen zur Anpassung zu vereinbaren. ImIdealfall sind für notwendige Anpassungen die Spielregeln bereitsvertraglich definiert.Schließlich gibt es häufig noch Vertragsklauseln, die Bonus- und Malus-

Regelungen für den Fall einer signifikanten Servicequalitätsunterschrei-tung beziehungsweise -übererfüllung festlegen.In der Praxis hat sich eine Kombination aus Rahmenvertrag und modu-

lar aufgebauten Einzelverträgen bewährt. Der Rahmenvertrag regelt Dingewie Verzug, Haftung, Gewährleistung beziehungsweise Verjährung vonMängelansprüchen, Gerichtsstand und gegebenenfalls Schlichtungsverfah-ren sowie organisatorische Maßnahmen wie Lenkungssausschuss und Än-derungsverfahren. In ihm werden die Vertragsregelungen zusammenge-fasst, die für eine Mehrzahl von Einzelverträgen gelten. Diese werden inder Regel nur nachrangig angewandt, sofern in den jeweiligen Einzelver-trägen keine speziellen Vereinbarungen getroffen wurden. Der Rahmen-vertrag muss daher nicht auf spezielle Einzelleistungen abgestimmt sein.Besonderheiten werden in den Einzelverträgen behandelt.Die Einzelverträge lassen sich in folgende, nicht normierte Kategorien eintei-

len:

• Übernahmeverträge• Leistungsverträge• Sonstige Verträge

Outsourcing-Leistungen, die sich mit der Übernahme von Vermögens-werten (Hard- und Software), vertraglichen Verpflichtungen oder Personalbeschäftigen, werden in Übernahmeverträgen dokumentiert. Ergänzendwird entsprechend der festgelegten Vertragshierarchie auf den Rahmenver-trag Bezug genommen.

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Abb. 2. Struktur von Outsourcing-Verträgen

In den Leistungsverträgen werden die zu erbringenden IT-Leistungenbeschrieben. Hierbei kann es sich sowohl um Projektleistungen handeln alsauch um den laufenden Betrieb von Anwendungen.Die Struktur von Leistungsverträgen gestaltet sich in der Praxis im We-

sentlichen immer gleich:

• Leistungsbeschreibung• Leistungsübergabepunkte• Prämissen und Ausschlüsse• Mitwirkungspflichten• Service Level Agreements (inklusive des Messverfahrens)• Juristische Rahmenbedingungen (inklusive Verweis auf Rahmenvertrag)

In die Kategorie der sonstigen Verträge gehören beispielsweise Inf-rastrukturverträge, in denen der Kunde dem Dienstleister seine Räumlich-keiten und Infrastruktur zur Verfügung stellt, oder auch ein Datenschutz-konzept, das individuell auf die Bedürfnisse des Kunden zugeschnittensein muss.

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Spielregeln des adaptiven Outsourcing – ein flexiblesServicemodell

Wie bereits dargestellt, erweisen sich die klassischen Outsourcing-Verträge im Falle schnell wandelnder Unternehmensanforderungen alsnicht ausreichend oder gar behindernd. Abhilfe schafft hier das adaptiveOutsourcing. Die prinzipiellen Ideen und vertraglichen Grundlagen werdenwir im Folgenden veranschaulichen.Basis ist ein modulares Vertragswerk als Plattform, die den Vertragspar-

teien erlaubt, sich während der Vertragslaufzeit immer wieder auf neueLeistungsanforderungen und Veränderungen des Vertragspartners einzu-stellen zu können. Egal ob ein Einzelvertrag gekündigt wird oder der Kun-de sich dafür entscheidet, weitere Leistungen beim Anbieter nachzufragen,das modulare Vertragswerk muss nur in einem Einzelvertrag geändertwerden. Es ist formell so gestaltet, dass sich einzelne Bereiche austauschenlassen, ohne dass dies gravierende Auswirkungen auf andere Bereiche hat.

• Doch die formelle Gestaltung eines Outsourcing-Vertrags allein schafftnoch nicht die gewünschte Flexibilität hinsichtlich der möglichst belie-bigen Veränderbarkeit der bezogenen Services. Sie stellt gewissermaßeneine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für adaptives Out-sourcing dar.

• Der Kern des adaptiven Outsourcing ist das grundsätzliche Recht desKunden, beliebige Services während der Vertragslaufzeit jederzeit zukündigen. Im Gegenzug erhält der Anbieter die Gewährleistung, dassder Kunde die für die Vertragslaufzeit anfallenden Fixkosten und den zuerwartenden Gewinn, unabhängig von der tatsächlichen Leistungsab-nahme, voll bezahlt. Der Anbieter verpflichtet sich wiederum, die durchdie vorzeitige Kündigung hervorgerufene Kosteneinsparung in vollemUmfang an den Kunden weiterzureichen. Die Spielregeln des adaptivenOutsourcing sehen also vor, den Dienstleister in jedem Falle so zu stel-len, als hätte er die vereinbarten Leistungen vollständig erbracht, denKunden so, dass jeder ersparte Euro zu seinen Gunsten geht.

• Schließen die Vertragsparteien beispielsweise einen Fünf-Jahres-Vertrag über IT-Dienstleistungen mit einem jährlichen Volumen von ei-ner Million Euro, bei einer kalkulierten Gewinnmarge von 10 Prozentund einem angenommen Fixkostenkostenanteil von 50 Prozent, so ver-pflichtet sich der Kunde bei Kündigung aller Leistungen des Vertragsnach einem Jahr zu einer Zahlung des entgangenen Gewinns von400 000 Euro sowie zur Übernahme aller dem Anbieter verbleibendenFixkosten in Höhe von zwei Millionen Euro. Die durch den Wegfall der

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Leistungspflicht ersparten 1,6 Millionen Euro kommen jedoch in vollemUmfang dem Kunden zugute.

• Die Hauptschwierigkeit dieser im Grundsatz einfachen Spielregeln liegtin der konkreten Zuordnung bestimmter Kosten zu den Kategorien „fix“oder „variabel“. Beispielsweise sind jährliche Wartungsgebühren fürSoftware mit hoher Wahrscheinlichkeit als variable Kosten einzustufen,die Abschreibungen auf im Zusammenhang mit dem Outsourcing-Vertrag getätigte Investitionen dagegen eher als Fixkosten.

• Als Lösungsansatz haben wir hier ein einfaches Deckungsbeitragssche-ma entwickelt, anhand dessen sich die Vergütung für die Leistungen wiefolgt ergibt:

Vergütung(alt) = (Leistungsbezogene) Einzelkosten+ DeckungsbeitragWobei für den Deckungsbeitrag gilt:Deckungsbeitrag = Gemeinkosten+ Unternehmensgewinn

Leistungsbezogene Einzelkosten sind Kosten, die unmittelbar einemeinzelnen Dienstleistungsvertrag zugeordnet werden können, beispielswei-se der Personalaufwand für die Basisbetreuung eines SAP-R/3-Systems.Der Deckungsbeitrag setzt sich zusammen aus Gemeinkostenzuschlägenund dem Unternehmensgewinn. Die zur Leistungserbringung anfallendenEinzel- und die Gemeinkosten werden nach folgenden Klassen unterschie-den:

• Personalkosten• Bezogene Leistungen• Abschreibungen auf Anlagevermögen

Die Reduzierung der Vergütung bei vorzeitiger Kündigung eines Ein-zelvertrags hängt von den erzielten Einsparungen bei den Einzel- und Ge-meinkosten ab. Für jede der genannten Klassen wird zunächst bestimmt,wie hoch das grundsätzliche Einsparpotenzial ist. Folgende Tabelle zeigtdie Annahmen:

Klasse Einzelkosten GemeinkostenPersonalkosten 100 %, aber zeitlich

verzögertBezogeneLeistungen

100 %, aberzeitlich verzögert

Abschreibungen aufAnlagevermögen

0 %, aber ggf. anderweitigverwendbar

Grundsätzlich keinedirekten Einsparun-gen, aber ggf. Redu-zierung des Over-head möglich

Tabelle 1. Einsparpotenziale bei Einzel- und Gemeinkosten

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Grundsätzlich wird also davon ausgegangen, dass sich die Einzelkostenbei der Kündigung eines Servicevertrags reduzieren, Einsparungen imGemeinkostenbereich aber nur bei umfangreicher Reduzierung der Leis-tungsabnahme erzielt werden. Der kalkulierte Unternehmensgewinn wirdder dem Vertrag zugrunde liegenden Kalkulation entnommen und für dieRestlaufzeit vergütet. Somit ergibt sich die verbleibende, geschuldete Ver-gütung für gekündigte Leistungen als:

Vergütung(neu) = Nicht reduzierbare Einzelkosten+ Deckungsbeitrag– Einsparungen bei Gemeinkosten

Den Spielregeln für Einsparungen im Personalkostenbereich liegt fol-gende Annahme zugrunde: Grundsätzlich sind Personalkosten als fixeKosten anzusehen, ein wesentlicher Grund für Outsourcing ist jedoch –wie bereits erwähnt – die Flexibilisierung des Unternehmens und die Ver-lagerung von Risiken auf den Anbieter.Nimmt der Kunde eine vertraglich vereinbarte Leistung nicht mehr in

Anspruch, so hat der Dienstleister mit hoher Wahrscheinlichkeit ersparteAufwendungen im Personalbereich. Die frei werdenden Kapazitäten füh-ren zwar nicht unmittelbar zu reduzierten Kosten, aber der Dienstleister hatdie Möglichkeit, das Personal anderweitig einzusetzen oder bei entspre-chend schlechter Auftragslage auch mit angemessener Kündigungsfrist zuentlassen.Nach den Spielregeln des adaptiven Outsourcing soll der Anbieter durch

vorzeitige Kündigung von Leistungen nicht schlechter (aber auch nichtbesser) gestellt werden als im Falle der vertragsgemäßen Leistungsabnah-me. Werden also aufgrund von vorzeitigen Reduzierungen der Leistungs-abnahme beim Anbieter Kündigungen im Personalbereich notwendig, somuss der Kunde grundsätzlich für die dafür entstehenden Kosten aufkom-men. Werden die frei werdenden Personalkapazitäten unmittelbar in ande-ren Projekten eingesetzt, so ist der Kunde von den Personalkosten zu ent-lasten.Da sich im Einzelfall nicht mit vertretbarem Aufwand nachvollziehen

lässt, welcher Mitarbeiter aufgrund welcher Vertragslage wo arbeitet, se-hen die Spielregeln des adaptiven Outsourcing eine Pauschalierung der zuvergütenden Personalkosten im Falle einer vorzeitigen Vertragskündigungvor. Diese richtet sich lediglich nach der Vorlaufzeit, mit der die reduzierteLeistungsabnahme angekündigt wird, nicht nach den Auswirkungen beimAnbieter. Für eine sofortige Reduzierung ohne Vorankündigung kann bei-spielsweise die Zahlung von neun (durchschnittlichen) Monatsgehälternvereinbart werden, für eine Kündigung mit sechs Monaten Vorlaufzeit je-doch nur drei Monatsgehälter.

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Bezogenen Leistungen des Dienstleisters liegt üblicherweise ein Ver-tragsverhältnis mit Dritten zugrunde. Für die Dauer eines solchen Ver-tragsverhältnisses sind die zugrunde liegenden Kosten als fix anzusehen.Nach den Spielregeln des adaptiven Outsourcing ist der Dienstleister je-doch verpflichtet, aufgrund von vorzeitig gekündigten Leistungen durchden Kunden, nicht mehr benötigte Vertragsverhältnisse mit Dritten so baldwie möglich zu kündigen, um den Kunden von diesen Kosten zu entlasten.Die Abschreibungen auf das Anlagevermögen (des Dienstleisters) sind

grundsätzlich fixe Kosten und müssen vom Kunden für die Restlaufzeitdes vorzeitig gekündigten Vertrags getragen werden. Allerdings sieht dasadaptive Outsourcing auch vor, dass die Zahlungsverpflichtung für nichtgenutzte Hardware mit dem Ende der Abschreibungen ebenfalls entfällt.Die bisher beschriebenen Spielregeln des adaptiven Outsourcing be-

schreiben lediglich die Möglichkeit der Reduzierung der Leistungsabnah-me durch vorzeitige Kündigung von Einzelverträgen. Im Extremfall lässtdas adaptive Outsourcing also auch eine vollständige Reduzierung allerbezogenen Leistungen zu, ohne dass das Vertragsverhältnis beendet wird.Einer Ausweitung der Services über das ursprünglich vereinbarte Maß

hinaus wird sich kein Dienstleister entgegenstellen, sodass für diesen Fallzunächst keine besonderen Spielregeln notwendig sind.Der Fall, dass ein Kunde lediglich Leistungseinschränkungen während

der Vertragslaufzeit vornimmt, wird in der Praxis relativ selten vorkom-men beziehungsweise auf das Ende der Vertragsbeziehung zum vertraglichvereinbarten Termin hinauslaufen.Viel wahrscheinlicher ist es, dass Unternehmen, wie zum Beispiel

Reemtsma, die sich einem raschen Wandel ihres geschäftlichen Umfeldsausgesetzt sehen, ihre bezogenen Leistungen während der Laufzeit desOutsourcing-Vertrags (fast) beliebig verändern wollen und müssen. Esreicht also nicht, lediglich Spielregeln für die vorzeitige Kündigung vonLeistungen zu definieren, vielmehr müssen auch Regeln für die Verände-rung der Leistungsabnahme aufgestellt werden.Eine Veränderung kann definiert werden als Kündigung einer Einzel-

leistung mit anschließender Vereinbarung einer neuen Leistungsabnahme.Betrachtet man die bisher erwähnten Regelungen, wäre adaptives Outsour-cing in der Praxis lediglich für den Anbieter interessant, da er für nichtmehr zu erbringende Leistungen Investitionsschutz und Gewinnabsiche-rung geniest, neue Leistungen aber marktüblich kalkulieren kann. Hier si-chern die Spielregeln des adaptiven Outsourcing dem Kunden Schutz zu.Dem ursprünglich vereinbarten Vertragsvolumen liegt eine Kalkulation

des Anbieters zugrunde, die ihm für einen definierten Zeitraum ein Min-destmaß an Deckungsbeitrag und Unternehmensgewinn gewährleistet.

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Dieser Deckungsbeitrag und insbesondere der Gewinn dürfen durch vor-zeitige Verringerung der Leistungsabnahme nicht verringert werden, ande-rerseits sollen sie auch aufgrund von in Anspruch genommener Flexibilitätnicht zwingend erhöht werden.Kündigt also der Kunde beispielsweise einen Einzelvertrag über eine

WAN-Verbindung von Hamburg nach Kiew vorzeitig und schließt wäh-rend der Vertragslaufzeit einen neuen Vertrag über eine WAN-Verbindungvon Hamburg nach Singapur (jeweils einschließlich der Nutzung vonNetzwerkkomponenten und -Management), so sehen die Spielregeln desadaptiven Outsourcing eine Wiederverwendbarkeit von Deckungsbeiträgenund Unternehmensgewinn vor, wo möglich, auch von nicht reduzierbarenEinzelkosten.Die Verpflichtung zur Fortzahlung der (verminderten) Vergütung be-

steht trotz vorzeitiger Kündigung des Einzelvertrags weiter. Der wesentli-che Unterschied zwischen beiden Einzelverträgen liegt in diesem Beispielin der geografischen Lage des Kundenstandorts und der damit verbunde-nen Höhe der reinen Leitungskosten. Der Anbieter ist verpflichtet, in ei-nem neuen Einzelvertrag alle wiederverwendbaren Leistungsbestandteilefür den Kunden ausgabenneutral erneut einzusetzen.

Abb. 3.Wiederverwendung gekündigter Leistungen

In unserem Beispiel stellt die nicht mehr benötigte WAN-Leitung einebezogene Leistung des Dienstleisters dar. Es handelt sich um nicht redu-

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zierbare Einzelkosten eines Einzelvertrags, die für die Restdauer des Ver-tragsverhältnisses mit dem externen Dritten vom Kunden bezahlt werdenmuss. Andererseits ist der Dienstleister verpflichtet, das nicht mehr benö-tigte Vertragsverhältnis schnellstmöglich zu beenden. Kommt er dieserVerpflichtung schuldhaft nicht nach, entfällt die Zahlungspflicht des Kun-den.Da davon auszugehen ist, dass die Nutzung der Netzkomponenten und

das Netz-Management weitestgehend unabhängig vom Kundenstandortsind, gelten diese Einzelkosten in unserem Beispiel als wieder verwendbar.Diese Kosten werden zwar in der Kalkulation für den neuen Einzelvertragberücksichtigt, aber in gleicher Höhe als nun reduzierbare Einzelkosten imgekündigten Einzelvertrag berücksichtigt.Gemeinkosten und Gewinnanteile gelten grundsätzlich als wieder ver-

wendbar. Im Ergebnis zahlt der Kunde nach diesem Wechsel nun die Ver-gütung des neuen Einzelvertrags sowie die Kosten der nicht mehr benötig-ten WAN-Leitung für den gekündigten Einzelvertrag.Kündigt der Kunde jedoch beispielsweise einen Einzelvertrag über

WAN-Leistungen und schließt einen neuen Vertrag über PC-Support-Leistungen ab, so ist davon auszugehen, dass die Einzelkosten als nicht re-duzierbar anzusehen sind. Die Qualifikation der Mitarbeiter und die benö-tigte Infrastruktur sind in diesem Fall zu verschieden.Führt die Flexibilität des adaptiven Outsourcing zu einer Vertragssitua-

tion, die dem Dienstleister mehr Umsatz, Deckungsbeitrag und Gewinnbeschert als ursprünglich vereinbart, so gelten die Bestandsschutzklauselnfür die das ursprüngliche Volumen überschreitenden Zahlungen nicht.Wurde also beispielsweise ursprünglich ein Fünf-Jahres-Vertrag mit ei-

nem Gesamtvolumen von zehn Millionen Euro geschlossen, und es ergibtsich nach zwei Jahren durch Änderungen ein voraussichtliches Gesamtvo-lumen von elf Millionen Euro, so darf der Kunde Leistungen in Höhe voneiner Million Euro kündigen, ohne Deckungsbeiträge und entgangene Ge-winne absichern zu müssen. Nicht reduzierbare Einzelkosten müssen je-doch in jedem Fall getragen werden.Ein besonderes „Schmankerl“ des adaptiven Outsourcing in unserer De-

finition ist die Einleitung eines Wettbewerbs zwischen Kunde undDienstleister um die Identifizierung und Umsetzung von Einsparungspo-tenzialen in der (Dienst-) Leistungserbringung. Hiermit soll sichergestelltwerden, dass effizientere Lösungen, die sich aus dem technischen Fort-schritt ergeben, auch zum Kundennutzen eingesetzt werden. Die Spielregelhierfür lautet, dass der Kunde das gesamte Einsparungspotenzial vergü-tungsmindernd einbringen darf, wenn der Vorschlag von ihm kommt. DerDienstleister hingegen behält einen bestimmten, zuvor im Rahmenvertrag

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vereinbarten Prozentsatz der Einsparungen während der Laufzeit, wenn erdas Potenzial selbst aufzeigt. Bei der Vereinbarung dieses Anteilsatzes istzu bedenken, dass das üblicherweise zur Realisierung der Einsparungenanstehende Projekt durch den Dienstleister erbracht wird, der damit wie-derum Einnahmen und Gewinne generieren kann. Eine Variation diesesThemas ist es, das Optimierungsprojekt zeitversetzt über die Nichtvermin-derung der Vergütung zu finanzieren.Eine weitere Flexibilitätsdimension ist der Erwerb und die Nutzung der

vom Dienstleister genutzten Hard- und Software. Auch hier kann man Re-geln vereinbaren, was wann unter welchen Bedingungen vom Kunden er-werbbar ist und wie dies den Preis für die Leistungserbringung gegebenen-falls reduziert.

Erfahrungen in der Transition zum adaptiven Outsourcing

Obwohl das adaptive Outsourcing Vorteile für beide Vertragsparteien mitsich bringt, finden sich nach dem heutigen Stand nur wenige Anbieter, diesich mit diesem Thema intensiv beschäftigt haben. Oftmals findet sich diegewünschte Flexibilität nur unter dem Begriff „on Demand“, und dieseFlexibilität bezieht sich, wie zu Beginn beschrieben, meistens nur auf einefür den Dienstleister vorteilhafte Richtung.Die Grundprinzipien des adaptiven Outsourcing sind relativ einfach und

für beide Seiten fair. Nach bisherigen Erfahrungen finden sowohlDienstleister als auch potenzielle Kunden, denen man die Prinzipien erläu-tert, das Modell sehr interessant. Auf Kundenseite wird jedoch relativ häu-fig bezweifelt, dass es Anbieter des adaptiven Outsourcing gibt.So einfach das Prinzip ist, so schwierig ist es, das Gedankengut so in ei-

nen juristischen Rahmen zu bringen, dass es formell korrekt und dennochauch für juristische Laien verständlich ist. Die Abgrenzung reduzierbarerzu nicht reduzierbaren Einzelkosten mag noch relativ einfach sein. Die Be-stimmung, ob nicht reduzierbare Einzelkosten in einem konkreten Fallwieder verwendbar sind oder nicht, lässt sich jedoch in kein Vertragswerkgießen.So lautet auch eine wichtige, ungeschriebene Regel des adaptiven Out-

sourcing „I know where you live“. Sie besagt, dass sich beide Parteien ingewissen Punkten auf die partnerschaftliche Zusammenarbeit während derVertragslaufzeit verlassen, ohne alle Eventualitäten und Details vertraglichzu fixieren, was ohnehin nicht möglich wäre.Die Vertragsverhandlungen mit dem Dienstleister haben sich – nicht zu-

letzt aufgrund des Gesagten – langwierig gestaltet. Die Spielregeln des

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adaptiven Outsourcing sind auch für erfahrene IT-Anwälte ungewohnt,und ungeschriebene Regeln sind ihnen von Berufs wegen ein Gräuel.Beinahe unmittelbar nach Abschluss der Verhandlungen kam von

Reemtsma der Wunsch nach vorzeitiger Kündigung eines ersten Einzelver-trags. Unter Anwendung der vereinbarten Spielregeln lief diese Kündigungreibungslos, die verminderte Vergütung wurde vereinbart, und die erstenRessourcen waren bereit für die Wiederverwendung. Nahezu gleichzeitigwurde ein neuer Einzelvertrag über den Betrieb einer Blackberry-Anwendung geschlossen. Gemeinsam wurden die wieder verwendbarenRessourcen und die damit verbundenen Kostenbestandteile bestimmt. ImZuge der Erarbeitung dieses neuen Einzelvertrags wurden die neuen, fürdas adaptive Outsourcing notwendigen Prozesse zwischen Dienstleisterund Kunden etabliert. Es versteht sich beinahe von selbst, dass das adapti-ve Outsourcing nur auf Basis einer offenen Kalkulation funktionierenkann, sodass beispielsweise schon der Angebotsprozess für die Erbringungneuer Leistungen verändert werden musste. Weiterhin musste geklärt wer-den, wie die zur Wiederverwendung bereitstehenden Ressourcen erfasstund dokumentiert werden, insbesondere die Höhe der „ungenutzten“ De-ckungsbeiträge und Gewinne.Nach knapp einem Jahr gab es zirka zehn weitere Kündigungen, denen

ungefähr die gleiche Anzahl neuer Einzelverträge gegenübersteht.Als gelungenes Beispiel für die Umsetzung einer sich aus dem techni-

schen Fortschritt ergebenden effizienteren Lösung lässt sich die Migrationvon 43 SAP-Servern auf zwei HP-Superdomes mit signifikanter Kostenre-duktion nennen. Zwar reduziert sich mittelfristig der Umsatz desDienstleisters für den laufenden Betrieb der SAP-Systeme deutlich. ImGegenzug sichert ihm aber der Auftrag für die Migration der SAP-Systemeeinen gewissen Projektumsatz zu. Im Ergebnis ergeben sich keine signifi-kanten Änderungen an der ursprünglich vereinbarten Höhe von Umsatzund Gewinn, aber der Kunde erhält deutliche Einsparungen im laufendenBetrieb seiner Systeme.Als nächster Schritt wird gerade das Projekt SAP-Applikationskon-

solidierung, also die Reduzierung der Anzahl der SAP-Systeme, durchge-führt, aus dem ebenfalls deutliche Einsparungen erwartet werden können.Des Weiteren wird das Thema WINTEL-Server-Konsolidierung ver-

handelt und nach erfolgreichem Abschluss der SAP-Konsolidierung in na-her Zukunft in Angriff genommen, wobei das flexible, adaptive Outsour-cing die Nutzung weiterer Einsparpotenziale ermöglicht. Im Gegenzugdenkt Reemtsma über die Verlagerung weiterer Server und Applikationenin das Rechenzentrum des Dienstleisters nach, um die durch die Konsoli-dierung frei gewordenen Ressourcen optimal nutzen zu können.

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Kritische Erfolgsfaktoren des Outsourcing imAllgemeinen und des adaptiven Outsourcing imSpeziellen

Wie eingangs erwähnt, sind die primären Ziele der Auslagerung von IT-Leistungen Wirtschaftlichkeit, Fokussierung auf das Kerngeschäft und dieFlexibilisierung des Unternehmens. Entscheidend für den Erfolg einer sol-chen Auslagerung ist neben dem Erreichen der genannten Ziele auch dieQualität der ausgelagerten Leistung. Damit zwischen Wunsch und Wirk-lichkeit möglichst geringe Diskrepanzen liegen, ist es notwendig, dass derKunde seine eigene IT sehr gut kennt, beziehungsweise zunächst gründlichanalysiert.Eine tief greifende Kenntnis des eigenen Portfolios ist zwingende Vor-

aussetzung für den Erfolg des IT-Outsourcing. Dabei ist es in erster Linienicht wichtig, welche physischen IT-Bereiche beziehungsweise Assets be-troffen sind, sondern welche Anwendungen ausgelagert werden sollen.Neben der Auswahl der für eine Auslagerung infrage kommenden Anwen-dungen ist auch eine klare Abgrenzung der Aufgaben notwendig. WelcheAufgaben verbleiben im Unternehmen, welche erbringt der zukünftigeDienstleister, wie sehen die Schnittstellen aus? Eine möglichst detaillierteLeistungsbeschreibung und Verantwortungsmatrix für die ausgelagertenAnwendungen bilden die Basis eines erfolgreichen Outsourcing. So lassensich spätere Meinungsverschiedenheiten zwischen Anbieter und Kundeund unliebsame Überraschungen in Form von gesonderten Vergütungenvermeiden.Auch die Festlegung der gewünschten Qualitätskriterien in Form von

Service-Levels für die ausgelagerten Leistungen ist ein wesentlicher Er-folgsfaktor. Dabei sollte sich die Servicequalität primär an den Erforder-nissen des Unternehmens ausrichten. Was passiert, wenn das zentraleSAP-System einen Tag ausfällt? Wie lange kommt die Auftragsbearbei-tung im Notfall ohne System aus? Nach welcher Zeitspanne bricht die Lo-gistikkette zusammen, wenn keine Frachtdokumente erstellt werden kön-nen?Zur Beurteilung der Wirtschaftlichkeit einer Auslagerung ist es erforder-

lich, die eigenen Kosten des Betriebs der IT-Systeme zu kennen. Kundenwissen oftmals nicht, was sie der Betrieb ihres Mail-Systems kostet oderwelche Kosten ein Vertriebsinformationssystem verursacht. Ein zumindestrudimentäres IT-Controlling sollte implementiert sein, bevor man über dieAuslagerung von IT-Leistungen nachdenkt. Zur Steuerung des späterenDienstleisters wird es ohnehin benötigt. Die Klärung der genannten Punkte

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Anwendungsportfolio, Leistungsumfang, Qualität und Kosten sollte bereitsim Detail erfolgt sein, bevor man die Provider auswählt.Sind aus der Fülle der potenziellen Anbieter der- oder diejenigen Anbie-

ter identifiziert, mit denen man Verhandlungen aufnimmt, sollte man dieDauer der Vertragsverhandlungen nicht unterschätzen. Selbst bei optima-lem Verlauf sollten hierfür einige Monate einkalkuliert werden. Wichtig istes, frühzeitig rechtliche Beratung mit fundiertem IT-Wissen, gegebenen-falls spezielles Outsourcing-Consulting, einzubinden.Das zur gewünschten Flexibilisierung des Unternehmens notwendige

adaptive Outsourcing stellt neben den geschilderten Erfolgsfaktoren nocheinige weitere Anforderungen an eine erfolgreiche Auslagerung.Es ist sorgsam, darauf zu achten, dass der potenzielle Dienstleister das

Modell verstanden hat, es leben will und auch kann. Ohne Vereinbarungeiner zumindest teilweisen „Open Book Policy“ kann und wird das Modellnicht funktionieren.Auf beiden Seiten wird ein kommerziell und rechtlich beschlagenes

Steuerungsteam mit größtmöglicher Bandbreite an IT-Wissen und Kreati-vität benötigt. Das Erfassen, Abstimmen und Dokumentieren der freienRessourcen, der Höhe der Deckungsbeiträge und Gewinne bei vorzeitigerKündigung von Einzelverträgen, deren Einsatz und Verrechnung in undmit neuen Einzelverträgen ist eine komplexe Aufgabe, die großes IT-Verständnis und Kreativität auf beiden Seiten erfordert.Weiterhin ist eine enge, partnerschaftliche Zusammenarbeit mit dem

Dienstleister notwendig, da der Kunde teilweise in den Dienstleister hin-einsteuert, insbesondere wenn er als Großkunde einen erheblichen Teilzum Umsatz und Gewinn beisteuert.

Fazit und Ausblick

Durch diesen neuen Typus eines Outsourcing-Vertrags – der eine Erweite-rung der heutzutage üblichen SLAs im Hinblick auf tatsächliche Flexibili-tät darstellt – ergibt sich ein für beide Parteien fairer Vertrag, der zudemdie Schwächen herkömmlicher SLAs überwindet und somit auch für Un-ternehmen geeignet ist, die aufgrund schlechter Erfahrungen eine Abkehrvom Outsourcing erwägen.Es wird deutlich, dass der Dienstleister grundsätzlich bereit sein muss,

seine Leistungen auf Basis einer dem Kunden gegenüber offenen Kalkula-tion anzubieten.Neben der Möglichkeit, ungenutzte Leistungsbestandteile in veränderter

Form für sich selbst zu nutzen, kann bei der zukünftigen Ausgestaltung des

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Flexible Servicemodelle – die atmende IT durch adaptives Outsourcing 329

adaptiven Outsourcing die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dassder Kunde das Recht erhält, seine ungenutzten Kapazitäten am IT-Marktan Dritte zu verkaufen. Umgekehrt könnte auch der Dienstleister unge-nutzte Kapazitäten eines Kunden mit dessen Zustimmung zu besondersgünstigen Konditionen weiterverkaufen.So könnten sich zukünftig Dienstleister im Outsourcing etablieren, die

IT-Leistungen am Markt zu besonders günstigen Konditionen anbieten,ohne über eigene Ressourcen zu verfügen.

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Mit besserem Prozess-Management und IT-Innovationen zu mehr Kundenzufriedenheit

Christof Wahl, Chief Operating Officer Kabel Deutschland GmbHAndré Wehner, Chief Information Officer Kabel Deutschland GmbH

Vom Infrastrukturanbieter zum Dienstleister

Mit der Neugründung von Kabel Deutschland als selbstständiges Unter-nehmen Anfang 2003 änderte sich auch seine strategische Ausrichtung.Das traditionelle Geschäftsfeld des analogen Kabelfernsehens wurde er-heblich erweitert: Digitale Fernseh- und Radioübertragung sowie Breit-band-Internet und Telefonie kamen zur Produktpalette hinzu. KabelDeutschland wurde zum Anbieter kompletter digitaler Programmpakete. Inder Praxis bedeutet das kaum weniger als einen Quantensprung in Rich-tung Medienzukunft: Fernsehen, Radio, Internet und Telefonie kann derKabelkunde heute mit einem einzigen Anschluss nutzen.Möglich wurde der Wandel von Kabel Deutschland von einem reinen

Infrastrukturbetreiber hin zu einem kunden- und serviceorientierten Anbie-ter multimedialer Produkte erst durch die Digitalisierung und Rückkanal-fähigkeit des Kabelnetzes. Konkret: Für die digitalen Programmangeboteund die Internetnutzung musste das Kabelnetz so aufgerüstet werden, dasses nicht nur analoge, sondern auch digitale Signale überträgt. Die Interak-tivität, notwendig zum Beispiel für Video on Demand, Internetnutzung undTelefonie, setzt wiederum ein rückkanalfähiges Kabelnetz voraus. DerKunde kann also nicht nur empfangen sondern auch senden. Für die Inter-netnutzung musste das Kabelnetz so ausgebaut werden, dass digitale Datennach dem Internet-Protokoll(IP)-Standard transportiert werden können.Auch die Telefonie baut auf dem jetzt verfügbaren Internet-Protokoll desKabelnetzes auf: Dazu sind die Netzknoten mit modernster Kommunikati-onstechnik ausgerüstet worden, welche die Übertragung von Sprache mit-tels des „Voice over IP“(VoIP)-Standards ermöglicht.

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332 Christof Wahl, André Wehner

Ausbau des Kabelnetzes

Dahinter verbirgt sich ein veritabler Kraftakt. Um digitalen Rundfunk, In-ternet und Telefonie per Kabel überhaupt nutzbar zu machen, sind Investi-tionen von mehr als 100 Millionen Euro jährlich erforderlich. 809 Kopfsta-tionen, 2220 Hubs (Verteilerstationen), 133 500 Verstärker und 2,2 Milli-onen Splitter (Abzweiger) müssen Zug um Zug auf den neuesten techni-schen Stand gebracht werden, damit die 31 400 Kilometer Kabelrohre unddie 261 000 Kilometer Kabel parallel zum analogen Signal auch digitaleIP-Signale verarbeiten können. Hinzu kommt noch die kommunikations-technische Ausrüstung, um auch Sprache per Voice over IP zuverlässigüber das Kabelnetz zu leiten.Nach ersten Erfahrungen in wichtigen Pilotstädten (Berlin, Bayreuth,

Bamberg, Gera, Dresden, Leipzig, München, Saarbrücken und Hamburg)wurde die Region Rheinland-Pfalz/Saarland ausgebaut. Bis Ende Septem-ber 2005 wurden dort in den mehr als 30 000 Kilometer Kabel etwa 180benutzerseitige Breibandkabelverteilstellen mit rund 11 000 Verstärker-punkten umgerüstet und in Betrieb genommen. Neben dem Netzausbau ansich ist vor allem die Anbindung der Netze an die neue Internet- und Tele-fonieplattform im Berliner Rechenzentrum von Kabel Deutschland ein we-sentlicher Bestandteil der technischen Umrüstung. So waren bis Ende Sep-tember 2005 die Netze Saarbrücken, Trier, Kaiserslautern und Ko-blenz/Neuwied sowie bis Ende Oktober die Netze in Ludwigshafen, Pir-masens, Landau, Rülzheim, Bad Kreuznach und Bad Neuenahr ausgebaut.Anfang 2006 wurde der Ausbau in Norddeutschland gestartet. WeitereNetze werden im Jahresverlauf folgen.Die Ausweitung der Produktpalette ist also untrennbar verknüpft mit ei-

ner rasanten technischen Weiterentwicklung. Ihre Vermarktung indessengeht einher mit einer für Kabel Deutschland in dieser Form neuen Kun-denorientierung. Einfach formuliert: Wenn jeder Kunde sich sein individu-elles Programmpaket zusammenstellen kann, darf er auch eine auf seineBedürfnisse zugeschnittene Betreuung durch die Callcenter-Mitarbeitervon Kabel Deutschland erwarten. Das Spektrum reicht von Fragen zu deneinzelnen Produkten bis hin zur technischen Betreuung.

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Mit besserem Prozess-Management und IT-Innovationen zu mehr... 333

Abb. 1. Das Kabelnetz von Kabel Deutschland

Schlüsselrolle des Customer Care and Billing(CC&B)-Systems

Eine Schlüsselstellung unter den serviceorientierten Projekten des Unter-nehmens nahm die Überführung der bisherigen unterschiedlichen Abrech-nungssysteme in ein neues einheitliches Customer Care and Bil-ling(CC&B)-Systems für etwa 600 Mitarbeiter ein. Bis Juni 2005 war mitdrei verschiedenen Billing-Systemen gearbeitet worden: eines für dieKunden der Netzebene drei (regionale Signalverteilung), eines für dieNetzebene vier (hausinterne Signalverteilung) und eines für die Internet-kunden – eine Folge der gewachsenen Strukturen von Kabel Deutschlandaus den Vorgängerunternehmen.Jetzt erforderte das komplexere Produktangebot mit analogem und digi-

talem Fernseh- und Radioprogramm, Internet und Telefonie ein neues Sys-tem für die Kundenbetreuung und die verbrauchsabhängige Rechnungs-stellung. Und das bei einer gleichzeitig ständig steigenden Zahl von End-kunden. Jeder Kunde oder Interessent, egal aus welcher Region er anfragtund um welche Produkte es geht, sollte in Zukunft mit seinem Anruf beimCallcenter-Mitarbeiter unverzüglich die gewünschte Auskunft bekommenoder eine Bestellung aufgeben können.

52 Master-Kopfstationen

757 Kopfstationen

2200 Hubs

31 400 km

Kabelröhre

1 333 500Verstärker

261 000 km

Kabel

2,2 Mio.Splitter/Abzweiger

4,2 Mio.Übergabe-

punkte

15,3 Mio.anschließ-bareHaushalte

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334 Christof Wahl, André Wehner

Business Process Management als Instrument desWandels

Wie ist Kabel Deutschland diesem Handlungsdruck auf organisatorischerEbene begegnet? Um interne Abläufe ganzheitlich zu überarbeiten und zuverbessern, hilft das so genannte Business Process Management (BPM),das Kabel Deutschland als Ergänzung zu traditioneller Linienorganisationund Projekt-Management eingeführt hat. Indem es das abteilungsorientier-te Denken in den Hintergrund stellt, bietet es Unternehmen die Möglich-keit, ihre Prozesse über Abteilungsgrenzen hinaus zu optimieren. Zugrun-de liegt hier vor allem die Erkenntnis, dass ganzheitliches Prozessdenkeneher dem natürlichen Lebenszyklus der Geschäftsprozesse entspricht alsdas traditionelle Abteilungsdenken. Denn wo jede Abteilung nur für einenkleinen Ausschnitt des Ganzen verantwortlich ist, wird leicht übersehen,wenn die einzelnen Prozesse nicht optimal ineinander greifen. Betrachtetman aber Prozesse als Ganzes, können Schwachstellen rasch erkannt undbehoben werden. BPM gliedert daher die internen Abläufe in Geschäfts-und Hauptprozesse, denen wiederum fachübergreifend Verantwortlichkei-ten zugewiesen werden. BPM orientiert sich also an den Tätigkeiten, dieim Unternehmen ausgeübt werden, und nicht daran, welcher Mitarbeiterbeziehungsweise welche Organisationseinheit dafür zuständig ist.Prozess-Management steigert die organisatorische Effizienz, weil Brü-

che an entscheidenden Schnittstellen vermieden und Abläufe im Unter-nehmen transparenter gestaltet werden. Es ermöglicht eine ablaufbezogeneund kundenorientierte Steuerung der Unternehmensvorgänge mittelsKennzahlen. Optimierte Prozesse reduzieren außerdem Durchlaufzeitenund senken Kosten, wie es etwa der Business Process Report 2005 vonIDS Scheer1 belegt.Am Ende des Tages fördert Prozess-Management auch die Kundennähe

und -zufriedenheit, weil das Unternehmen schneller und flexibler auf diewandelnden Kundenbedürfnisse im Markt reagieren kann.

Eng verzahnte Unternehmensbereiche

BPM greift erst dann richtig, wenn die verschiedenen Unternehmensberei-che eng mit der IT verzahnt sind. Dann ist es möglich, neue Anforderun-gen frühzeitig zu erkennen, unnötige Investitionen zu vermeiden und dar-aus den Mehrwert der IT für das Unternehmen zu realisieren. Denn der

1 Business Process Report 2005, Herausgeber IDS Scheer AG Saarbrücken,www.ids-scheer.com/bpr2005

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Mit besserem Prozess-Management und IT-Innovationen zu mehr... 335

Mehrwert einer IT-Abteilung wird heute zunehmend an ihrem Beitrag amGeschäftserfolg des Unternehmens gemessen.Integraler Bestandteil des BPM ist daher das Verständnis dafür, dass es

nicht mehr reicht, einzelne Abteilungen ihren Job machen zu lassen. Pro-zessorientiertes Arbeiten verlangt von allen Mitarbeitern ein Umdenken.Hier gilt es, das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass jeder Einzelne Teileines Gesamtprozesses ist, der viele Abteilungen durchlaufen kann.

Zentrale Funktion der IT

Dass die Orientierung hin zu ganzheitlichen Geschäftprozessen in beson-derem Maße die Ausrichtung und Organisation des UnternehmensbereichsIT betrifft, liegt auf der Hand: Da Mitarbeiter über Abteilungen hinaus zu-sammenarbeiten, muss das für diesen Prozess notwendige Wissen zwin-gend über Abteilungen hinaus abrufbar sein. Dazu wird es mit Modellie-rungswerkzeugen in die IT-Systeme übertragen und steht dann auch ande-ren Mitarbeitern zur Verfügung. Zudem gibt es die Möglichkeit, die erfass-ten Prozesse mithilfe von BPM-Software-Plattformen zu automatisieren,um den lückenlosen Prozessablauf über viele Abteilungen hinweg zu si-chern und Engpässe in einem frühen Stadium zu erkennen – und zu behe-ben.Den 140 Mitarbeitern der Unternehmens-IT bei Kabel Deutschland

kommt damit eine zentrale Funktion in diesem Wandlungsprozess zu. Siesind nicht nur verantwortlich für die internen Anwendungen des Unter-nehmens, darunter das CC&B-System, sondern auch für die Kundenappli-kationen. Außerdem entwickelt und betreibt das IT-Team das Netz-Management-System, das die Hardware- und Software-Architektur desKabelnetzes abbildet. Dessen Betrieb, gewissermaßen die Produktion derDienstleistungen, erfolgt durch den Unternehmensbereich Technik in en-ger Zusammenarbeit mit dem IT-Team. Informationstechnische Basis istein unternehmenseigenes Rechenzentrum am Standort Berlin mit Sun-Servern unter dem Betriebssystem Solaris. Mit der Etablierung von BPMim Unternehmen schuf Kabel Deutschland gleichsam die Voraussetzung,IT-Innovationen zügig in marktreife Produkte und Dienstleistungen um-zuwandeln.

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336 Christof Wahl, André Wehner

Abb. 2. Konfigurationsplan des Customer Care and Billing(CC&B)-Systems

Einheitliches Billing-System für den direkten Zugang zumKunden

Eine Herausforderung der besonderen Art stellt das Customer Care andBilling(CC&B)-System als Lösung für eine einheitliche Kundenbetreuungdar. Keine einfache Aufgabe für den Unternehmensbereich IT – bei einerDatenmenge von etwa zehn Millionen Kabelkunden und der Komplexitätdes Kabelnetzes mit den verschiedenen Netzebenen. Zumal die Migrationins Neusystem selbstverständlich im laufenden Betrieb realisiert werdenmusste.Ausgangslage waren also die drei von den Vorgängerunternehmen über-

nommenen Billing-Systeme, mit denen eine einheitliche Sicht auf denKunden nicht möglich war. Seine Anfragen konnten systembedingt nichtmit dem von ihm erwarteten und vom Unternehmen angestrebten Service-grad beantwortet werden. Hauptziel des Projekts war es deshalb, die dreiSysteme auf eine einheitliche Plattform zu bringen, um den Kunden an ei-ner Stelle einheitlich erkennen und adressieren zu können.

Konfigurationsplan

RegionaleHauptnieder-lassungen

Max. 60 Business ObjectsWindows-Clients

Windows-Client

Callcenter

Max. 1000 Business ObjectsWeb-Clients

Web-Client

www

LAN/

WAN

Rechenzentrum

Serverfarm mitKonfigurationfür Full-Client

Serverfarm mitKonfigurationfür Web-Client

Apache Webserver

Datenbank-prozesse

2 x WebIntelligence(Hochverfügbar)

Apache Webserver

Datenbank-prozesse

BroadcastAgent(BCA)

Sun Fire 12 K Server

(Region 1, 2, 4)

Sun Fire 12 K Server

(Region 3, 7, 9)

Sun Storedge

CCB Reporting DBs

Repository 1 für Business Objects

Sun Storedge

CCB Reporting DBs

Repository 2 für Business Objects

(Hochverfügbarkeit)

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Mit besserem Prozess-Management und IT-Innovationen zu mehr... 337

Abb. 3. Die vier Netzebenen

Ein weiteres Etappenziel war es, die Netzebenen drei und vier, also dieregionale und hausinterne Signalverteilung einschließlich der Abbildungdes letzten Abschnitts bis in die Wohnung hinein ins CC&B-System zu in-tegrieren. Erst dann nämlich können Kunden wie auch Servicetechnikervor Ort detaillierte Auskunft darüber erhalten, welche Produkte zu wel-chen Vertragsbedingungen in einem bestimmten Gebäude verfügbar sind.Außerdem sollte mit Selfcare-Funktionalitäten dem Kunden die Möglich-keit gegeben werden, Aktionen auch selbst durchzuführen, wie zum Bei-spiel seine Stammdaten über eine sichere Internetverbindung anzusehenund zu ändern.Und schließlich galt es, die volumenabhängige Abrechnung, die für Vi-

deo on Demand oder Telefonie nötig ist, zu realisieren. Verglichen damitwar die monatliche Abrechnung einfacher Kabelanschlüsse trivial. Dennbeispielsweise bei der Telefonie müssen die so genannten Call Data Re-cords vom Techniksystem des Kabelnetzes erfasst und dann in das Rating-Modul übergeben werden, das die Zuordnung zum Kunden, zum Vertragund zum Preis vornimmt. Das Ergebnis wird dann zur Abrechnung an dasBilling-System weitergeleitet.

Vom Pflichtenheft und Feinkonzept zur Migration

Zum Projektstart wurden zunächst die Funktionen der drei bisherigen Bil-ling-Systeme analysiert. In enger Zusammenarbeit mit den Fachabteilun-gen wurden dann die Anforderungen aus heutiger und zukünftiger Sichtaufgenommen. In dieser Prozessphase entstand ein Pflichtenheft, das bis

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Mai 2003 zu einem Fachfeinkonzept weiterentwickelt wurde und das De-sign für die Software- und Datenbankentwicklung vorgab, die im erstenQuartal 2004 abgeschlossen werden konnte. Im Kern bestand die Lösungaus drei Teilen: Das CC&B-System von Convergys ersetzte im Billing-Bereich die drei Altsysteme; im Netz-Management-Bereich löste die Netz-Management-Lösung SMILE-BK 2.0 die Vorgängerversion ab. Beide Sys-teme sind miteinander verknüpft und greifen zudem auf einen gemeinsa-men Adressdatenbestand (ADS) zu.Nach umfangreichen Praxistests unter Einbeziehung der Callcenter-

Mitarbeiter erfolgte im September 2004 die erste Migration in der Region4 (Leipzig); einen Monat später, im Oktober 2004, kam die Region 1(Hamburg) hinzu. Eine kurze Konsolidierungsphase wurde anschließenddazu genutzt, die Erfahrungen aus diesen beiden Migrationen auszuwertenund in Verbesserungen umzusetzen: Im Echtbetrieb hatte sich gezeigt, dassverschiedene Funktionen noch nicht stabil genug waren, um ein System fürzehn Millionen Kunden zu unterstützen. Ab April bis Juni 2005 ging esmit Region 7 (Rheinland-Pfalz/Saarland), 9 (Bayern), 2 (Niedersachsen)und 3 (Berlin) dann zügig voran.Im Verlauf des gesamten Migrationsprozesses wurden insbesondere die

Bestandsdaten bereinigt. Je nach Größe der Region und der Menge der Da-ten dauerte die Migration bis zu einer Woche. In dieser Zeit waren dieCallcenter-Mitarbeiter zwar auskunftsfähig, konnten aber keine Änderun-gen vornehmen: Sie wurden nach Abschluss der Migration zügig abgear-beitet.

Abb. 4. Die Projektphasen

Analyse derbisherigenFunktionen

Aufnahmeder Anfor-derungen

Design EntwicklungTest undAbnahme

Imple-mentierung

Wirkbetrieb

Anwendung(ungetestet)

Anwendunginstalliert

Anf. SpezFachthema

1

Anf. SpezFachthema

2

Anf. SpezFachthema

2

Anf. SpezFachthema

2

Anf. SpezFachthema

2

Anf. SpezFachthema

2

Anf. SpezFachthema

2

Anf. spez.Fachthema

9

FachkonzeptAbgenommene

AnwendungPflichtenheft

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Mit besserem Prozess-Management und IT-Innovationen zu mehr... 339

Geforderte Callcenter-Mitarbeiter

Die Umstellungsphase hat die Callcenter-Mitarbeiter in besonderer Weisegefordert. Ziel war es, die Kabel-Kunden auch während der Systemumstel-lung so gering wie möglich zu belasten. Flächendeckende Schulungen derCallcenter-Mitarbeiter haben hier geholfen, den Kundenservice auch wäh-rend der Migrationen von September 2004 bis Juni 2005 in gewohntemUmfang sicherzustellen. In diesem knappen Jahr haben die Mitarbeitermehrgleisig gearbeitet: teilweise bereits mit dem Neusystem, aber auch mitdem Altsystem für diejenigen Regionen, die noch nicht umgestellt waren.Je nach dem, aus welcher Region ein Anruf kam, mussten die Callcenter-Mitarbeiter vom einen ins andere System wechseln.

Verfügbarkeitsprüfung als Service

Ergänzend hat Kabel Deutschland auf seinem Internetportal eine Verfüg-barkeitsprüfung eingerichtet. Hier können bestehende Kunden und Interes-senten, aber auch regionale Anbieter und Servicetechniker feststellen, wel-che Produkte (SMILE-BK) unter welchen Adressen (ADS) technisch undzu welchen Vertragsmodalitäten (CCB) verfügbar sind (siehe Abbildung5). Hinter der nach außen einfachen und benutzerfreundlichen Internet-abfrage steckt eine technisch aufwendige und komplexe Auswertung allerKunden- und Technikinformationen, die das neue Billing-System in denDatenbanken von Kabel Deutschland bereithält.Die Verfügbarkeitsprüfung ist ein vergleichsweise kleines, aber wichti-

ges Instrument für die Vermarktung des Angebots. Nur damit ist es mög-lich, einem Interessenten für eine bestimmte Wohnung die Verfügbarkeitvon Produkten zuzusagen. Neben dem Abrechnungssystem und den neuenProdukten ist dieses Instrument ein weiteres Beispiel, wie die Unterneh-mens-IT mit innovativen Lösungen Geschäftsprozesse unterstützt und aufKundenbedürfnisse eingeht.

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340 Christof Wahl, André Wehner

Abb. 5. Entstehung einer Verfügbarkeitsauskunft

Marktoffensive mit einheitlicher Kundensicht

Die erfolgreiche Einführung eines CC&B-Systems zur integrierten Kun-denbetreuung und -abrechnung beschreibt für Kabel Deutschland denWandel vom Infrastrukturbetreiber zum kunden- und serviceorientiertenMultimediaanbieter. Nach zwei Jahren Projektlaufzeit verfügte das Unter-nehmen ab Juni 2005 nach innen über ein leistungsfähiges und flexiblesSystem, das die drei unterschiedlichen Bereiche Rechnungslegung, Repor-ting und Netz-Management-System integriert. Und nach außen tragen dieCallcenter-Mitarbeiter mit der vollständigen und einheitlichen Kunden-sicht zur Erhöhung der Kundenzufriedenheit bei, weil jeder Anruferschnell und umfassend Antworten auf seine Fragen bekommt.Denn die Kunden und ihre Verträge sind jetzt mit ihrer vollständigen,

oft viele Jahre langen Vorgeschichte erfasst. Sämtliche Produkte, die siebeziehen, und die Zahlungsweise sind abgebildet. Die Callcenter-Mitarbeiter können alle Vertragsänderungen, immerhin mehrere Tausendpro Tag, schnell und umkompliziert durchführen. Außerdem werden alleVertriebskanäle unterstützt. So kann sich ein Interessent oder Kunde bei-spielsweise mittels Internet über das Angebot informieren und gegebenen-falls gleich bestellen. Auch interaktive Dienstleistungen wie zum BeispielPay per View, wo der Zuschauer nur für tatsächlich gesehene Sendungen

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Mit besserem Prozess-Management und IT-Innovationen zu mehr... 341

zahlt, die zum angegebenen oder gewünschten Termin freigeschaltet wer-den, lassen sich mit dem neuen Billing-System verwalten und abrechnen.Das CC&B ist so flexibel, dass es die weiter wachsende Komplexität künf-tiger Produkte und Prozesse auffangen und integrieren kann.Dank optimierter und beschleunigter Projektabläufe durch BPM konnte

Kabel Deutschland schon im April 2004 sein neues digitales Programm-angebot vorstellen. Kabel Digital bietet allen Kabelkunden TV- und Ra-dioprogramme mit Bildern und Ton ähnlich wie in DVD- beziehungsweiseCD-Qualität. Bis Ende 2005 nutzten bereits über 400 000 Kabelkundenden neuen Service.Mit dem neuen flexiblen Abrechnungssystem ist die Produktpalette zum

Triple Play mit Internet (Kabel Highspeed) und Telefonie (Kabel Phone)erweitert worden. Bis Ende 2006 sollen mehr als 7,5 Millionen Haushaltein der Lage sein, diesen Service zu nutzen. Wenn man sich vor Augenführt, dass in den USA der TV-Kabelanschluss für knapp 60 Prozent deramerikanischen Internetnutzer bereits heute der führende Breitband-Internetzugang ist, in Deutschland aber erst zwei Prozent diesen Weg wäh-len, wird das enorme Wachstumspotenzial auf diesem Markt deutlich.Schon seit April 2005 können Mieter in Leipzig, die als erste an das

modernisierte Kabelnetz von Kabel Deutschland angeschlossen wurden,auch mit Kabel Phone über das Kabel telefonieren. Dieser Service kanninzwischen in allen Städten angeboten werden, wo auch Kabel Highspeedverfügbar ist. Die Kunden nutzen dabei weiterhin ihre bisherigen Telefon-nummern und analogen Telefone, die an einen Telefonadapter angeschlos-sen sind.

Abb. 6. Marktoffensive mit Triple Play – alles mit einem Anschluss

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Neue Rolle der IT

Den Wandel von Kabel Deutschland vom reinen Infrastrukturbetreiber zueinem kunden- und serviceorientierten Anbieter multimedialer Produktehat die Unternehmens-IT aktiv begleitet. Die IT steht heute vor der Her-ausforderung, dass die Ansprüche an sie steigen, die Budgets dagegenstagnieren oder sogar sinken, und dass kurzfristige Einsparungen oft stär-ker wiegen als ein wirtschaftlicher Vorteil, der sich erst mittel- oder lang-fristig zeigt. Trotzdem muss die IT die Geschäftsprozesse von Jahr zu Jahreffizienter unterstützen. Das Unternehmen möchte schließlich schneller,flexibler und kostengünstiger agieren. Daten müssen detailliert und zeitnahzur Verfügung gestellt, technische Veränderungen ausgestaltet werden.Maßstab bei alledem bleiben die Bedürfnisse des Kunden. Es gilt dieschlichte Maxime, den IT-Fortschritt in tatsächlichen Kundennutzen um-zuwandeln.Damit ändert sich in Zukunft die Rolle der IT-Mitarbeiter. Der Chief In-

formation Officer (CIO) wird zum Business-Manager, der über solide Pro-zesskenntnisse und technisches Wissen verfügt und eigene Geschäfts-verantwortung trägt. Das bestätigen unter anderen die Analysten von Gart-ner. Sie gehen davon aus, dass IT-Profis neben technischem Fachwissenzukünftig verstärkt betriebswirtschaftliches Know-how sowie Kenntnisseüber Unternehmensprozesse und Personalführung aufweisen müssen. Aucheine Analyse des Beratungsunternehmens Butler Group geht davon aus,dass die größte Herausorderung an die IT der Zukunft die Integration pro-zessgetriebener Lösungen in bestehende Systeme sein wird. Kurz: Die Un-ternehmens-IT muss durch Innovationen helfen, bestehende Prozesse zuoptimieren oder neue zu entwickeln und so dazu beitragen, das Unterneh-men im Markt besser zu positionieren.

Gut gerüstet für den boomenden Kabelmarkt

Und dieser Markt ist riesig und wächst weiter. Über 20 Millionen deutscheFernsehhaushalte – also mehr als 56 Prozent – beziehen ihr Rundfunksig-nal für Fernsehen und Radio über Kabel. Rein technisch können schonheute mehr als 70 Prozent aller Rundfunkhaushalte in Deutschland Pro-gramme über das Kabel beziehen. Die Kabelnetzbetreiber haben also dieMöglichkeit, ihre Kundenbasis langfristig um etwa ein Viertel zu erhöhen,ohne in einen zusätzlichen Infrastrukturausbau investieren zu müssen.Für Kabel Deutschland, das derzeit rund zehn Millionen TV-Haushalte

in 13 Bundesländern versorgt und damit der größte Kabelnetzbetreiber in

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Deutschland ist, liegt das Potenzial sogar noch höher. Insgesamt gibt es inden Regionen, in denen das Unternehmen tätig ist, rund 15 Millionen an-schließbare Haushalte. Die neuen Geschäftsfelder Breitband-Internet undTelefondienste via Kabel beinhalten weiteres Wachstumspotenzial, daDeutschland beim Breitband-Internetzugang im internationalen Vergleichzurückliegt. Ende 2004 verfügten in Deutschland lediglich 17,5 Prozentder Privathaushalte über einen schnellen Internetzugang, während es inden Niederlanden zum gleichen Zeitpunkt 44,7 Prozent waren.Nach Schätzungen der OECD wird die Breitband-Technologie bis zum

Jahr 2011 mit einem Drittel zum Produktivitätszuwachs in den Industrie-ländern beitragen, woraus sich auch für das Wachstum der deutschen Wirt-schaft und ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit weit reichende Kon-sequenzen ergeben. Nach den Vorstellungen der Bundesregierung solldeshalb bis 2010 mindestens die Hälfte der deutschen Haushalte mit Breit-bandanschlüssen ausgestattet sein. Es ist zu erwarten, dass der Breitband-Internetzugang via Kabel in den nächsten Jahren einen wesentlichen Anteilan dieser Entwicklung hat und den Qualitäts- und Preiswettbewerb zwi-schen den verschiedenen Infrastrukturalternativen kräftig ankurbeln wird.Gleiches gilt auch für den Bereich der Festnetztelefonie in Deutschland,der trotz Deregulierung selbst heute noch von der Deutschen Telekom be-herrscht wird.

Abb. 7. Breitbandpenetration in Deutschland2

2 Quelle: J.P. Morgan, Kepler Equities Research 4/2005

BB-Kunden (m) 4,3 6,9 9,5 12,5 15,5 19,6

Breitbandpenetration(% aller Haushalte)

52%

41%

33%

25%

13%

19%

2003 2004 2005 2006 2007 2008

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Abb. 8. Strategischer Produktausblick

Zusammenfassung

Die richtige Unternehmensstrategie und ihre effiziente operative Umset-zung sind entscheidend, um erfolgreich am Markt agieren zu können.Mehr denn je spielt die IT dabei eine bedeutende Rolle. Um den Kundenschneller, flexibler und innovativer bedienen zu können, ist es notwendig,die Mitarbeiter des Unternehmens mit den entsprechenden Systemen,Kommunikationsmöglichkeiten und Daten auszustatten.Der Mehrwert einer IT wird heute zunehmend an ihrem Beitrag am Ge-

schäftserfolg gemessen. IT-Innovationen müssen letztendlich dazu führen,die Service- und Reaktionsfähigkeit des Unternehmens zu verbessern, dieUnternehmensprozesse zu optimieren und die Kosten zu senken. Dies istteilweise und temporär über normale, schrittweise Verbesserungen er-reichbar: Aber nur über neue, innovative Ansätze, die oft technologischenUrsprung haben, kann man dieser Herausforderung begegnen.Dabei darf der Kunde nie aus den Augen verloren werden: Es gilt, den

IT-Fortschritt in tatsächlichen Kundennutzen umzuwandeln. In diesemSinne arbeitet Kabel Deutschland daran, mehr Interaktivität und Leistungin das Kabelnetz einzubringen.

Analoges Free-TV

DigitalesFree-TV mit

mehr Sendern

HDTV

Highspeed- Internet

Telefonieüber Kabel

Push Videoon Demand

Real VoD

InteraktivesFernsehen

EPG & PVR1)

Digitales Pay-TV

Gestern Heute Morgen

Bandbreite/Leistung

Interaktivität1) EPG = Elektronischer Programmführer

PVR = Persönlicher Videorekorder (Festplattenrekorder)

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Als Ergebnis dieser unternehmenskritischen Anforderungen muss die ITsich heute sehr viel stärker an den auf den Kunden gerichteten Geschäfts-prozessen orientieren. War es in den vergangenen zwei Jahrzehnten nochUsus, dass die IT wie ein eigenes Königreich im Unternehmen regierte –der Unternehmensbereich musste zunächst die IT-Sprache erlernen und de-tailliert Anforderungen und deren Notwendigkeit erläutern, um die ent-sprechende IT-Unterstützung zu erhalten –, so hat sich die Welt gedreht:Die IT muss heute als Daseinsberechtigung im Unternehmen aktiv das Ge-schäft mit vorantreiben und die daraus resultierenden Anforderungen ver-stehen: die IT als Dienstleister für interne Kunden.Nur wenn dieses Verständnis gegeben ist, kann die IT durch Innovatio-

nen helfen, die Unternehmensprozesse zu optimieren und hilft damit letzt-endlich den Kundenservice zu erhöhen.

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Innovatives Reporting im Konzern Deutsche PostWorld Net

Peter Mißler, Zentralbereichsleiter Rechnungswesen und ReportingDeutsche Post World NetChristoph op de Hipt, Abteilungsleiter Deutsche Post World Net

Zusammenfassung

Mithilfe eines hochmodernen, konzernweit eingesetzten Konsolidierungs-,Informations- und Planungssystems können die „Kapitäne“ der DeutschenPost World Net den Konzern auf dem Weg zu seinen globalen Zielen aufKurs halten.CREST – das Common Reporting System – wurde im August 2004 als

Forecast- und Planungssystem eingeführt und wird seit Januar 2005 für dasBerichtswesen im gesamten Konzern eingesetzt.Durch die Bündelung von Finanzinformationen mit anderen Key Per-

formance Indicators (KPIs) können Führungskräfte wie ein Kapitän auf derKommandobrücke CREST als Navigations- und Informationsinstrumentnutzen, um das Schiff Deutsche Post World Net mit der richtigen Ge-schwindigkeit in die richtige Richtung zu bewegen. CREST ermöglicht ih-nen zwar keinen detaillierten Einblick in die Prozesse im „Maschinen-raum“, aber sie erhalten die wichtigsten Informationen, die sie brauchen,um das „Schiff“ sicher auf Kurs zu halten.Mehr als 2000 geschulte Anwender haben weltweit direkten Zugriff auf

CREST, um Daten in das System einzuspeisen oder zu analysieren.

Ausgangslage

Mit der gebündelten Kompetenz ihrer Marken Deutsche Post, DHL undPostbank bietet die Deutsche Post World Net-Gruppe integrierte Dienst-leistungen und maßgeschneiderte, kundenbezogene Lösungen für das Ma-

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348 Peter Mißler, Christoph op de Hipt

nagement und den Transport von Waren, Informationen und Zahlungs-strömen durch ihr multinationales und multilokales Know-how und Netz-werk. Deutsche Post World Net ist zugleich führender Anbieter für Dialog-Marketing sowie für effiziente Outsourcing- und Systemlösungen für dasBriefgeschäft.In 2004 erwirtschafteten 380 000 Mitarbeiter in über 220 Ländern und

Territorien einen Umsatz von rund 43 Milliarden Euro. Das EBITA (Er-gebnis vor Zinsen, Ertragssteuern und Goodwill-Abschreibungen) erreich-te 3,4 Milliarden Euro.Der Konzern ist in die Segmente Mail, Express, Logistik und Finanz-

dienstleistungen unterteilt. Diese Segmente setzten sich insgesamt aus rund700 legalen Gesellschaften mit etwa 1400 zu konsolidierenden Einheitenzusammen.

Abb. 1. Übersicht Deutsche Post World Net

Deutsche Post World Net ist in den vergangenen Jahren durch mehr als100 Akquisitionen erheblich gewachsen. Die Herausforderung der PostMerger Integration bestand/besteht darin, die Zukäufe, wie Danzas, DHL,Airborne etc. neben der Integration der Marken und Netzwerke – also desoperativen Geschäfts – auch in die internen Dienstleistungsprozesse derMuttergesellschaft zu integrieren.Für den Bereich des Finanz- und Rechnungswesen waren hiervon insbe-

sondere der monatliche/quartalsweise Reporting-Prozess aber auch derkonzernweite Planungs- und Forecast-Prozess bis hin zur Harmonisierung

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Innovatives Reporting im Konzern Deutsche Post World Net 349

der transaktionalen Buchhaltung, der Treasury-/Cash-Management-Prozesse etc. betroffen.Darüber hinaus mussten im Rechnungswesen neue Anforderungen aus

den Bereichen IFRS1 (zum Beispiel Trennung verzinsliche/unverzinslicheVermögensgegenstände, Trennung in kurzfristige und langfristige Vermö-gensgegenstände und Verbindlichkeiten; Fälligkeiten) und Bilanzrechts-/Bilanzkontrollgesetz (durchgängige Transparenz) erfüllt werden.Vom Kapitalmarkt werden immer weitere Transparenzanforderungen

gestellt, die mit qualitativ hochwertigen und zeitnahen Informationen er-füllt werden müssen (zum Beispiel vor dem Hintergrund der SOX2 Diskus-sionen). Im Geschäftsbericht werden unter anderem die Umsatzerlöse nachRegionen/Subregionen dargestellt sowie weitere Kennzahlen wie Returnon Equity, Working Capital oder Nettoverschuldung.Um all diesen Herausforderungen im Finanz- und Rechnungswesen ge-

recht zu werden, wurden verschiedene Projekte und Maßnahmen ins Lebengerufen, die aufeinander abgestimmt die Neuausrichtung des Finanzbe-reichs ermöglichten.Parallel zum Umbau der Finanzorganisation des Konzerns wurde die in

den folgenden Kapiteln vorgestellte Systemimplementierung eines einheit-lichen Reporting- und Planungssystems CREST als Transformationspro-jekt initiiert.

Das Common-Reporting-System

Prozess und Funktionalität

Im Rahmen des CREST-Projekts hat das Projektteam in enger Abstim-mung mit den fachverantwortlichen Controlling-Bereichen eine einheitli-che Konzeption für die Planung und das Berichtswesen erarbeitet, die eineDurchgängigkeit vom Konzern bis auf Landesebene sicherstellt.Neben einer Abbildung des Ist-Reportings im Rahmen der Monats-,

Quartals- und Jahresabschlüsse sieht die Lösung ferner eine Unterstützungder jährlichen Budgetplanung sowie der rollierenden Forecasts vor.

1 IFRS: International Financial Reporting Standards, IAS: International Accoun-ting Standards

2 Der Sarbanes-Oxley Act (SOX) nimmt die Unternehmensleitung stärker für dieVollständigkeit und Richtigkeit der Angaben bei der quartalsweisen und jährli-chen Berichterstattung in die Pflicht.

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Abb. 2. Management-Dimensionen in CREST

Funktional deckt die Anwendung CREST sowohl die extern relevanteKonzernkonsolidierung, die primäre und sekundäre (das heißt geografi-sche) Segmentberichterstattung, eine interne, für Management-Zwecke re-levante Konsolidierung als auch vom Kapitalmarkt erwartete Zusatzinfor-mationen sowie entsprechende Reporting-Funktionalitäten ab. Hierzu bil-det CREST die Gewinn- und Verlustrechnung (GuV), die Bilanz, die sta-tistischen Daten und Key-Performance-Indikatoren sowie eine Cashflow-Rechnung ab.Der Kontenrahmen enthält mehr als 450 Gewinn- und Verlustrech-

nungskonten, 350 Bilanzkonten, 500 statistische Positionen und ist für alleKonzerngesellschaften verbindlich.Im Bereich der statistischen Positionen werden sowohl konzernweite

Kennzahlen als auch divisionsspezifische Informationen abgefragt, sodasseine meldende Einheit deutlich weniger als die etwa 500 Positionen erfül-len muss. Darüber hinaus wird eine Vielzahl von Steuerungsgrößen auto-matisch auf Basis der Meldedaten berechnet.Ergänzend zum Kontenrahmen bildet die Lösung verschiedene weitere

Dimensionen ab, die aus Management-Sicht relevant sind, zum BeispielProdukte, Funktionen oder Kunden. Diese Dimensionen bilden eine multi-dimensionale Datenbasis; das heißt, sie spannen einen mehrdimensionalenDatenraum auf. Diese Management-relevanten Dimensionen werden nichtkonsolidiert, die Daten liegen ausschließlich in aggregierter Form vor und

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beziehen sich im Wesentlichen auf die Gewinn- und Verlustrechnung so-wie auf statistische Positionen.Produkte werden durch die einzelnen Divisionen definiert, während die

Elemente in der Funktionsdimension gemeinschaftlich durch Konzernzent-rale und Divisionen bestimmt werden. Die Kundendimension wird ver-wendet, um Transparenz über Schlüsselkunden zu erhalten.

Technologie und IT-Architektur

Die gewählte technische Lösung basiert auf der „SAP Strategic EnterpriseManagement“(SEM)-Plattform. Sie baut auf einer bereits zuvor für das ex-terne Konzern-Reporting bestehenden Applikation auf. Eine aufwendigeSoftware-Auswahl konnte somit entfallen.Die Applikation besteht im Kern aus der SAP SEM Suite, das heißt aus

den Modulen BPS (Business Planning & Simulation), BCS (Business Con-solidation System) und BW (Business Warehouse) als Data-Warehouse-Komponente.Hinzu kommen BEx Explorer und BEx Analyser 3als Datenansichts-

und Datenauswertungswerkzeuge, die aufgrund der bekannten Microsoft-Excel-Oberfläche für den Standardnutzer eher leicht zu bedienen sind.TM1 bietet als Zusatzwerkzeug eine benutzerfreundliche Oberfläche fürAnalysen auf einer komprimierten Datenbasis mit verkürzten Report-Laufzeiten und einer deutlich reduzierten Komplexität in der Reporterstel-lung.Meldedaten (insbesondere Ist-Daten) werden über eine konzernweit

einheitlich definierte Schnittstelle in die Applikation geladen. Hierzu wur-de ein „Extraction Transformation Load“(ETL)-Werkzeug entwickelt, dasneben einer Prüfung des korrekten Schnittstellenformats auch fundamenta-le Datenqualitätsprüfungen vornimmt. Werden die im ETL-Werkzeug de-finierten Mindestanforderungen nicht erfüllt, wird der Upload – oder zu-mindest Teile davon – nicht zugelassen. Zu diesen Prüfungen zählen zumBeispiel eine Validierung der verwendeten Stammdaten sowie die Prüfung,ob ausschließlich zulässige Daten(sätze) geliefert wurden, da bestimmteEinheiten nur spezifische Felder füllen dürfen, zum Beispiel gemäß ihrerDivisionszugehörigkeit (so genannte Semantik Checks).

3 BEx Explorer und BEx Analyser sind Werkzeuge des SAP-Systems.

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Abb. 3. IT-Architektur

Die Applikation ist webfähig und vollständig in das bestehende Intranetintegriert. Dadurch bedarf es nahezu keiner dezentralen Installation. JederNutzer benötigt lediglich einen Intranetzugang sowie einen Windows-Terminal-Klienten, der von einer Intranetseite heruntergeladen werdenkann.Alle Systemkomponenten werden zentral betrieben, was die lokalen

Systemanforderungen und den Administrationsaufwand minimiert.

Organisation

Aufgrund der Konzernhistorie sind in der Vergangenheit verschiedene,sehr heterogene Systemplattformen für Planung und Reporting genutztworden. Viele Abteilungen/Organisationseinheiten waren involviert undmussten teilweise sehr aufwendige manuelle Abstimmungsprozesse unter-stützen. Im Ergebnis waren eine große Anzahl von Mitarbeitern in ver-schiedensten Lokationen und Organisationseinheiten mit der Betreuungder Anwendungen für Reporting sowie Planung/Forecast befasst. Zu denAltbereichen gehörten Abteilungen in Basel, Brüssel, Rotterdam undBonn.Auf Basis der neuen Lösung erfolgte eine konzernweite Zusammenfas-

sung der für die Betreuung zuständigen Organisationseinheiten in einezentrale Abteilung. Durch die Plattformkonsolidierung und die dadurch er-zielte, deutlich erhöhte Effizienz sank der Personalbedarf für die Applika-tionsbetreuung insgesamt signifikant.Da es sich um eine inhaltlich fachliche Applikationsbetreuung mit hoher

Wichtigkeit für das externe Reporting eines börsennotierten Großkonzernshandelt, wurde die neu geschaffene Abteilung dem Zentralbereich Rech-nungswesen und Reporting im Vorstandsressort Finanzen zugeordnet.

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Innovation im Reporting- und Planungsprozess

CREST ist eine der wenigen global und konzernweit eingesetzten Ap-plikationen. Aufgrund dieser Eigenschaft hatte die Einführung von CRESTsignifikante Auswirkungen auf die Finanzorganisation sowie die entspre-chenden Reporting- und Planungsprozesse. Im Folgenden eine kurze Dar-stellung der wesentlichen Prozessinnovationen.

Neue Steuerungsstruktur im Bereich Finanzen

Die Einführung der Anwendung CREST schaffte die Voraussetzung fürdie Umsetzung einer neuen Führungsstruktur im Finanzbereich des Kon-zerns. Diese zeichnet sich vor allem durch eine klare Zuordnung der Fi-nanzfunktionen unter dem Verantwortungsbereich des Finanzvorstandsres-sorts aus. Das heißt, es gibt eine direkte, führende Berichtslinie von denFinanzressorts in den Ländern in den Finanzbereich der Zentrale. Fernerhat der Konzern eine klare Aufgabenabgrenzung von Controlling undRechnungswesen vorgenommen, das heißt, das Rechnungswesen fungiertunter anderem als interner Dienstleister für das Controlling, indem alle re-levanten Daten, die die Grundlagen für die Analysen des Controlling-Bereichs bilden zur Verfügung gestellt werden.Die Anwendung CREST fungierte in diesem Zusammenhang als Kata-

lysator für den Veränderungsprozess, da CREST folgende Punkte ermög-lichte

• Vollständige Transparenz für die Konzernzentrale durch direkte Anbin-dung der Finanzbuchhaltungs- und Kostenrechnungssysteme aller rele-vanten Management-Einheiten

• Einheitliche Datenstruktur als Voraussetzung für eine Kommunikationzwischen Konzernzentrale und Länderorganisationen

• Vereinheitlichung von Methoden, zum Beispiel Overhead-Allokation,die ebenfalls die Transparenz erhöhen und Voraussetzung für die Kom-munikation zwischen Konzernzentrale und Länderorganisationen sind

Integration von internem Reporting, externer Berichterstattungund Konzernplanung bis auf Länderebene

Erstmalig erreichte der Konzern eine Integration des internen Manage-ment-Reportings mit den Anforderungen der externen Berichterstattungund eine gleichzeitige Einbettung der Konzernplanung bis auf Länder-ebene.

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Voraussetzung war eine konzernweite Ablösung von nicht integrierten In-sellösungen mit zum Teil erheblichen manuellen Prozessen, die sowohl imBereich des internen und externen Reportings als auch in den Planungs-und Forecast-Prozessen4 anzutreffen waren.Basis für die Bereitstellung einer integrierten konzernweiten Applikati-

on CREST, die sowohl internes Management-Reporting, externes Be-richtswesen als auch Planung und Forecast gleichermaßen unterstützt, isteine Vereinheitlichung der für diese Prozesse genutzten Datenstrukturen.Das heißt, dass Planung und Forecast-Prozesse dieselbe Datenstruktur nut-zen wie die Ist-Reporting-Prozesse. Dabei wird im Planungs- oder Fore-cast-Prozess jedoch nicht jedes Datenelement gefüllt. Abhängig vom An-lass planen die Reporting-Einheiten lediglich bestimmte Blöcke von Da-tenelementen per Konvention. Auf diese Weise lassen sich wiederum Pla-nung/ Forecast- und Ist-Daten (ab einer selbst definierten Aggregationse-bene) ohne Weiteres miteinander vergleichen.Gleichzeitig aber ist das System so konfiguriert, dass es für die Planung

durchaus möglich ist, eine zukünftige Struktur (zum Beispiel eine künftigeKonzernstruktur) abzubilden und somit die Belange der Planung besser zuunterstützen.

Ablösung der Vorkonsolidierung von Teilkonzernen undUmsetzung des Fast Close

Im Zuge der CREST-Einführung wurde die in der Vergangenheit vorhan-dene Teilkonzernkonsolidierung abgelöst. Diese Teilkonzernkonsolidie-rung führten die einzelnen Unternehmensteile/Teilkonzerne auf verschie-denen Systemen mit zum Teil unterschiedlichen Methoden durch. Jetzt er-folgt nur noch eine Konsolidierung unter Einbeziehung aller Einzelab-schlüsse. Dies führte neben einer erhöhten Transparenz auf Konzernebeneauch zu einem Zeitgewinn im monatlichen Abschluss- und Reporting-Prozess.In diesem Zusammenhang bestand die Herausforderung für die Kon-

zernberichterstattung in der zeitlichen Harmonisierung der Monatsab-schlüsse über den gesamten Konzern. Hierzu gab es projektflankierendweitere Initiativen, die einen monatlichen Fast Close in den Buchhaltungs-systemen sicherzustellen hatten. Durch das inhaltliche und zeitlich abge-

4 Der Prozess umfasst die Mittelfristplanung mit einem Horizont von drei Jahrensowie die Budgetplanung des Folgejahres. Der Forecast- (Hochrechnungs-) Pro-zess bildet mehrmals pro Jahr eine Einschätzung auf das Ergebnis des Jahresen-des ab.

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stimmte Zusammenfassen der einzelnen Abschlüsse sämtlicher relevanterBerichtseinheiten konnten auch erstmalig zentrale Prozesse divisions-übergreifend durchgeführt werden. Hierzu gehörte unter anderem eine di-visionsübergreifende Overhead-Verteilung.Ferner erfolgt nun eine Abfrage und Konsolidierung des gesamten Re-

porting-Pakets, das heißt, es gibt nun keine Unterschiede mehr hinsichtlichder Detailtiefe der Monats-, Quartals- oder Jahresabschlüsse einzelnerEinheiten.

Erfolgreiche Balance zwischen Konzernharmonisierung undFlexibilität für die Geschäftsbereiche

Die für CREST erstellten Fachkonzepte sahen von vornherein vor, ein ausKonzernsicht notwendiges Maß an Harmonisierung zu erzielen, gleichzei-tig aber auch den Divisionen und Business Units die erforderliche Flexibi-lität bereitzustellen. Hierzu gibt es eine Vielzahl von Beispielen, von de-nen hier nur einige ausgewählte Punkte genannt seien.

• Flexibler Kontenrahmen: Bei der Entwicklung des konzerneinheitlichenKontenplans wurde ein so genannter „Green Field“-Ansatz gewählt.Ausgehend von einem leeren Blatt Papier, hat das CREST-Projektteamauf Basis von IAS/IFRS-Anforderungen stufenweise einen neuen Kon-tenplan erarbeitet. Neben den Minimalanforderungen der Konzernzent-rale wurden ferner Divisionsspezifika und im nächsten Schritt regionaleMindestanforderungen eingearbeitet. Die einzelnen Konten des Kon-zernkontenplans haben eine zehnstellige Kontonummer. Der Konzern-kontenplan gibt dabei die ersten sechs Stellen verbindlich vor. Die ver-bleibenden vier Stellen geben den nötigen Spielraum für lokale Anfor-derungen, die zum Beispiel durch Landesrecht zu erfüllen sind. Durchdiese gewählte Vorgehensweise erarbeitete das Projektteam einen Kon-zernkontenplan, der einen sehr guten Kompromiss hinsichtlich größt-möglicher Harmonisierung bei gleichzeitiger lokaler Flexibilität ermög-licht. Von daher ist dieser Konzernkontenplan als Vorgabe in sämtlichenbestehenden Buchhaltungssystemen durch die lokale/regionale Finanz-organisation innerhalb eines sehr engen Zeitraums verbindlich umzuset-zen. Der erhebliche Vorteil nach einer vollständigen Umsetzung in denERP-Systemen im Konzern ist eine deutliche Verringerung von manuellzu pflegenden Mappings (Zuordnungen von lokalen Konten der Buch-haltung auf die vorgegebenen Konzernkonten) sowie eine deutlich ge-steigerte Transparenz über alle Unternehmensteile, da neben einer ein-heitlichen Kontonummer auch eine einheitliche Definition weltweit ge-geben ist. So ist zum Beispiel das Konto „Zinsaufwendungen von Dar-

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lehen von fremden Kreditinstituten“ künftig in allen Buchhaltungssys-temen eindeutig und zwar sowohl von der Kontonummer als aber auchvom gebuchten Inhalt.

• Alternative Hierarchien innerhalb der Gewinn- und Verlustrechnung(GuV): Da sich die Steuerungslogiken der einzelnen Geschäftseinhei-ten/Geschäftsfelder fundamental unterschieden, erlaubte die Konzern-zentrale den Einheiten alternative Aggregationshierarchien auf Basis dervon allen verwendeten GuV-Konten zu definieren. Dieses Vorgehenstellte eine einheitliche Sprache im Konzern (eine verbindliche GuV-Struktur für die Konzernkommunikation, eine Menge von für alle ver-bindlichen GuV-Detailkonten Datenerfassungsebene) sicher, aberauch die erforderliche Flexibilität in der GuV-Struktur (= Steuerungslo-gik) der Divisionen und Geschäftseinheiten/Geschäftsfeldern.

• Harmonisierung der „Indirekten Funktionen“: Konzeptionell teilt sichdie Funktionsdimension in zwei Bereiche.– Direkte Funktionen: Diese werden eigenständig von den Geschäfts-einheiten/Geschäftsfeldern definiert, da sie ausschließlich von dem je-weiligen Geschäftsmodell abhängig sind.– Indirekte Funktionen (zum Beispiel Personal-Management, Rech-nungswesen, Controlling, Einkauf, Flotten-Management): Für die indi-rekten Funktionen definierte das Projektteam für den Konzern einenMindeststandard, das heißt eine fest definierte Struktur, in die sich eineweitere divisionsspezifische Detaillierung dieser Funktionen N:1 einfü-gen muss. Dadurch ist sichergestellt, dass auf Konzernebene eine Min-desttransparenz für indirekte Funktionen über alle Divisionen und Kon-zerneinheiten hinweg gegeben ist. Beispielsweise können hierdurch dieKonzerngesamtkosten der Funktion Rechnungswesen durch einen Kon-zern-Controller in CREST ermittelt werden. Ähnliches ist für die Di-mensionen Produkt und insbesondere Kunde denkbar. Die Ausprägun-gen der Dimensionen Produkt und Kunde sind im Gegensatz zur Funk-tionsdimension vollständig divisionsspezifisch.

• Konzerneinheitliche und Divisions-/Business-Unit-spezifische KPIs5:Ähnlich dem Ansatz für die Funktionsdimension sieht CREST nebenden konzernweit vereinheitlichten KPIs (Minimumset) die Definitionweiterer divisions-/geschäftseinheitenspezifischer KPIs vor. Um eineKPI-Doppelung zu verhindern und ein Ausufern der Anzahl an KPIs zuvermeiden, müssen die Divisionen und Geschäftseinheiten ihre Ände-

5 Key Performance Indicator (KPI): bezeichnet Kennzahlen anhand derer manden Fortschritt oder den Erfüllungsgrad hinsichtlich wichtiger Zielsetzungen oderkritischer Erfolgsfaktoren innerhalb einer Organisation messen und/oder ermittelnkann

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rungsanforderungen jedoch im Rahmen eines konzernweiten Change-Request-Prozesses einbringen und zur Diskussion stellen.

• Flexibler Planungsprozess: Der Planungsprozess wurde erstmalig überalle Divisionen harmonisiert. Er bietet dennoch ausreichend Flexibilitätfür die einzelnen Geschäftsbereiche. Aus Konzernsicht definierte dasProjektteam in Zusammenarbeit mit den verantwortlichen Controlling-Abteilungen eine Reihe von Standardplanungsanlässen sowie die fürdiese Planungsanlässe erforderliche minimale Planungstiefe. Alle vonder Planung betroffenen Organisationseinheiten müssen diese Mindest-anforderungen erfüllen. Darüber hinaus steht es jedoch den Einheitenfrei, weitere Planungsanlässe vorzusehen, von den planenden Einheitenweitere Details einzufordern oder zusätzliche Vorgaben hinsichtlich derAbstimmprozesse auf Zwischenebenen zu machen. CREST selbst er-laubt einen monatlich rollierenden Forecast, der theoretisch bis auf dasDetail eines Ist-Reportings gehen kann. Das System unterstützt weitereinen technischen Forecast, sowohl einen Top-down- als auch Bottom-up-Planungsprozess, verschiedene Datenlieferstatus, die eine Abstim-mung auf Zwischenebenen unterstützen (zum Beispiel Regionen, Busi-ness Units, Divisionen), eine Abbildung verschiedener Planversionenfür einen Planungsanlass sowie stufenweise Sperrmechanismen. Dieseskaskadierte Vorgehen unterstützt in der Planung eine Abstimmung auforganisatorischen Zwischenebenen. Jede Division ist hierbei bezüglichdes individuellen Planungskalenders im Rahmen der Konzernvorgabenfrei. Gleichzeitig ist es aber jeder Einheit – auch nach einer Sperrungbeziehungsweise dem „Einfrieren“ einer Planversion – weiterhin mög-lich, in einem anderen, hierzu bereitgestellten Bereich im System wei-terhin Eingaben vorzunehmen, ohne die explizit abgeschlossenen Datenzu verändern.

• Berücksichtigung von Abhängigkeiten: Die integrierte Systemplattformstellt die Berücksichtigung von betriebswirtschaftlichen Abhängigkeitensicher, die zuvor in einer verteilten Systemlandschaft nicht erkannt undauch nicht abgebildet werden konnten. Beispielsweise zählt hierzu dieAggregation von divisionsspezifischen Ergebnissen unter Berücksichti-gung interner Leistungsbeziehungen zwischen unterschiedlichen Kon-zernteilen.

Konzernweit einheitliche Stammdatenverwaltung

Für das Projektteam bestand eine Herausforderung neben der durchgän-gigen Entwicklung eines einheitlichen Datenmodells im Aufzeigen unddem Zusammenführen der Verständnisunterschiede der einzelnen Unter-

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nehmensbereiche. Dieses unterschiedliche Verständnis resultierte zum ei-nen aus teilweise sehr verschiedenen Unternehmenskulturen – durch denZukauf von vielen neuen Einheiten im Konzern begründet – zum anderenaber auch durch regionale Unterschiede.Das im Rahmen der Fachkonzeption von den Projektbeteiligten erarbei-

tete Datenmodell bildet die Grundlage für das Reporting- und Planungs-system. Zur weiteren Konsistenzsicherung dieses zentralen Herzstücks derAnwendung CREST implementierte das Projektteam eine einheitlichePlattform für die Stammdatenverwaltung in Form einer relationalen Da-tenbank mit Web Frontend. Neben der automatisierten „Betankung“ desSystems CREST mit allen relevanten Stammdaten dient dieses Master Da-ta Repository auch der Kommunikation des gesamten Datenmodells an alleAnwender des Systems, sowohl für die Datenlieferanten, so genannte DataProvider, als auch für die Reporting-Anwender.Gleichzeitig bildet dieses Datenmodell den Rahmen beziehungsweise

die Vorgabe für die operativen Buchungs- und Kostenrechnungssystemeim Konzern.Das Datenmodell wird inhaltlich von einem zentralen Team gepflegt,

das sich aus Vertretern aller divisionalen Controlling-Bereiche und derzentralen Bereiche des Konzernrechnungswesens und des Konzern-Controllings zusammensetzt. Neben dieser operativen Instanz des so ge-nannten „Reporting Blueprint Development“-Teams wurde ein CREST-Release-Board geschaffen, das über sämtliche Änderungen inhaltlicherund funktionaler Art entscheidet.Zu den inhaltlichen Anforderungen gehören die Pflege des einheitlichen

Konzernkontenplans einschließlich der Notes und statistischer Positionenauch die Pflege der so genannten Unterkontierungstypen (Subitems), wiebeispielsweise Bewegungsarten oder Anlageklassen und auch die relevan-ten Konsolidierungshierarchien (legale Hierarchie, Management-Hierarchie, Länderhierarchie). Des Weiteren werden die divisionsspezifi-schen Anforderungen wie zum Beispiel Produkte, Funktionen oder Kun-den ebenfalls an zentraler Stelle gepflegt.Falls im Release Board keine Entscheidung getroffen werden kann,

wurde als nächste und aber auch als letzte Entscheidungsinstanz das Fi-nance Board definiert. Es ist das höchste Entscheidungsgremium unterVorsitz des Finanzvorstands – neben dem Gesamtvorstand – und zuständigfür sämtliche Finanzfragen im Konzern.Die Schaffung dieser Gremien stellt für den zentralen Pflegeprozess des

Datenmodells sicher, dass sowohl Anforderungen der Konzernzentrale alsauch divisionale Anforderungen gleichgewichtig Eingang finden. Ein wei-terer Nutzen ist es, dass erstmalig eine vollständige Transparenz über die

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Steuerungsinhalte durchgängig über den Konzern gegeben ist. Durch die-sen stringenten Prozess lassen sich sehr schnell Dopplungen und gegen-sätzliche Anforderungen vor Implementierung aufdecken und beseitigen.Durch nur eine Eskalationsstufe hin zum höchsten Entscheidungsgremiumfür Finanzfragen im Konzern ist darüber hinaus ein effizienter Prozessimplementiert worden, der unnötige und ressourcenintensive Abstim-mungsrunden weitestgehend vermeidet. Diese Vorgehensweise ist ein gu-ter Kompromiss zwischen Schnelligkeit in der Umsetzung von Anforde-rungen einerseits und Konsistenzsicherung andererseits.

Multidimensionale Auswertungsmöglichkeiten

Basierend auf einem mächtigen und vor allem durchgängigen mehrdimen-sionalen Datenmodell ist es mit dem System CREST möglich, jede denk-bare – sinnvolle – Kombination entlang der Dimensionsachsen auszu-werten.

Abb. 4. Multidimensionalität

So ist es zum Beispiel möglich, über die konsolidierte Gewinn- undVerlustrechnung des Konzerns sich auf die konsolidierten Umsätze derDivisionen zu navigieren, diese auf die aggregierten Werte überzuleitenund anschließend nach Regionen oder den einzelnen Umsätzen nach Pro-dukten aufzureißen.Ebenso ist es möglich, den konsolidierten Aufwand durchgängig auf den

nicht konsolidierten Aufwand überzuleiten und anschließend nach einer

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funktionalen Aufwandssicht, die einer Kostenstellensicht entspricht, dieentsprechenden Organisationseinheiten zu analysieren.Neben der Definition von Standardberichten über alle Unternehmens-

ebenen hinweg bietet diese OLAP6-Technik ein starkes Instrument für Ad-hoc-Analysen und Ausnahmeberichte.

Abb. 5. Potenzielle Analysepfade

Quantifizierung der Komplexitätskosten im Reporting

Nichts ist umsonst! Auch Informationen bekommt man nicht geschenkt.Häufig wird bei Änderungsanforderungen bezüglich des Datenmodells dieFrage gestellt: „Was kostet die Anpassung im zentralen Reporting- undPlanungssystem?“Diese Frage ist in der Regel schnell und mit einer recht genauen Auf-

wandsschätzung beantwortet. In den meisten Fällen kann eine solche Än-derungsanforderung – sofern es sich um reine Stammdatenerweiterungenhandelt – auch mit recht überschaubarem Aufwand umgesetzt werden.Bei dieser Betrachtung handelt es sich aber nur um den kleinsten Teil

des anfallenden Aufwands. Wenn der Kontenplan um ein neues Konto er-weitert wird, muss das Basissystem entsprechend angepasst werden.Für jedes Basissystem, in diesem Fall die Buchhaltung, ist der hier ent-

stehende Aufwand ebenfalls durchaus überschaubar. Betrachtet man aberdie gesamte hierzu nötige Prozesskette einschließlich der zu einer solchenAnpassung notwendigen zusätzlichen Aktivitäten, wird man in einem

6 OLAP: Online Analytical Processing wird unter anderem zu den analytischen In-formationssystemen gezählt.

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Konzern mit vielen anzupassenden Basissystemen überrascht sein, wiehoch der gesamte Anpassungsaufwand tatsächlich ist. So muss neben derphysischen Einrichtung eines solchen Kontos in den Buchhal-tungssystemen unter anderem die Kontierungsrichtlinie angepasst werden,die Buchhalter über die Änderung instruiert werden und ab und zu sogarBelege oder Formulare angepasst werden.Für den Fall, dass beispielsweise ein bestehendes Konto in zwei neue

aufgeteilt wird, ist unter Umständen ein Umbuchen der „Altwerte“ erfor-derlich.Oder aber der Konzern fordert eine erweiterte funktionale Sicht im Re-

porting-Datenmodell. Diese führt zu einer Anpassung der Kostenstellen-strukturen im Konzern. Auch hier fallen eine Vielzahl von Zusatzaktivitä-ten an, die neben der beschriebenen Anpassung des eigentlichen ERP-Systems zum Teil sogar Anpassungen in vorgelagerten Prozessen und Sys-temen erfordert, zum Beispiel in den Rechnungsstellungs- oder Personal-systemen.Für ein ganzheitliches Verständnis von Komplexität reicht eine isolierte

Betrachtungsweise von Anpassungen im Konzern-Reporting allein nichtaus. Denn in der Regel gilt, dass die operationalen Kosten/Aufwendungenab einem bestimmten Punkt in Abhängigkeit von der Anzahl der Änderun-gen beziehungsweise die für das monatliche Reporting zu liefernden Da-tenpunkte überproportional ansteigen.

Abb. 6. Komplexitätskosten im Reporting

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Auf der anderen Seite sollte das Rechnungswesen den entstehenden Zu-satznutzen jedes weiteren Datums kritisch hinterfragen. Was bringt es anzusätzlicher Transparenz, wenn bei zum Beispiel 1000 vorhandenen Kon-ten noch ein weiteres Konto eingerichtet wird?Durch die Implementierung einer einheitlichen Plattform CREST sowie

der zentralen Zusammenfassung und Vereinheitlichung der Pflegeprozesseist es nun erstmalig möglich, über diese entstehenden „Änderungskosten“eine gewisse Transparenz bis in die Vorsysteme hinein zu erhalten.Wir haben eine solche Komplexitätskostenstudie durchgeführt und sind

für die verschiedenen Kategorien von Systemanpassungen auf erstaunlicheGesamtaufwendungen gestoßen, die wir nun in den Diskussionen von Än-derungsanforderungen (Change Requests) berücksichtigen.

Nutzen der Anwendung CREST

Der grundsätzliche Nutzen der Anwendung CREST als einheitliches undzentrales Informations-, Konsolidierungs- und Planungssystem liegt darin,dass eine sehr hohe Transparenz über das wirtschaftliche Geschehen imKonzern geschaffen wird. Diese Transparenz liegt zum einen in der hori-zontalen Durchgängigkeit der Daten über die zum Teil sehr heterogenenGeschäftsmodelle der einzelnen Divisionen und zum anderen in der verti-kalen Durchgängigkeit und „Drill Down“-Möglichkeit innerhalb der ein-zelnen Divisionen.Ein weiterer erheblicher Nutzen liegt in der Vereinheitlichung der im

Konzern verwendeten Begriffsdefinitionen – wie zum Beispiel Earning be-fore Interest and Tax (EBIT) oder Days Sales Outstanding (DSO) etc. –und Bewertungsvorschriften.Durch diese Vereinheitlichung der Kommunikation ist der Konzern ei-

nen weiteren Schritt in der Umsetzung der Strategie einer schlanken Füh-rungsverantwortung vorangekommen.

Erfahrungen

Integrierte Teams

Die Einführung des Systems CREST war im eigentlichen Sinne kein IT-Projekt sondern ein Change-Management-Projekt. Die Erarbeitung derFach- und Steuerungskonzepte erfolgte im ersten Schritt völlig losgelöst

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von systemtechnischen Restriktionen. Sehr wohl waren aber von Beginnan gemischte Teams an der Entwicklung der Fachkonzeption beteiligt, dievon Anfang an eine sehr enge Verzahnung von den klassischen Fach- undIT-Funktionen gewährleistete.Die hierbei gebildeten Teams verstanden sich dabei als virtuelle Organi-

sationseinheiten, die die jeweiligen Spezialisten für die anstehenden Auf-gaben zusammenfassten. Dabei war es völlig egal, ob ein Teammitgliedder einen oder anderen Linienorganisationseinheit zugeordnet war. Dieeinzelnen Teams hatten jeweils das gemeinsame Ziel, ein durchgängigesErgebnis zu erarbeiten.Parallel zu der Erarbeitung der Steuerungskonzepte war es notwendig,

sämtliche mit dem monatlichen Ist-Reporting sowie die für die Konzern-planung relevanten Prozesse über den gesamten Konzern zu harmonisie-ren.

Komplexitäts-Management

Ein zentrales Komplexitäts-Management und eine übergreifende Konsis-tenzsicherung sind unerlässlich.Die Komplexität des Systems muss aktiv gesteuert werden, um expo-

nentiell wachsende Kosten zu verhindern. Gleichfalls muss das CREST-Release-Board übergreifend sicherstellen, dass die erreichte Harmonisie-rung der Steuerungskonzepte nicht verloren geht und das Gesamtsystem,bestehend aus Konzept und technischer Abbildung, beherrschbar bleibt.Ein globales Projekt erfordert Mittler auf regionaler/lokaler Ebene, um

einerseits zentrale Vorgaben bei der lokalen Umsetzung zu unterstützenund aber andererseits Ideen/Rückkopplungen aus den dezentralen undräumlich stark verteilten Organisationseinheiten sicherstellen zu können.Hierzu hat das Projekt CREST einen so genannten Satellitenansatz ge-wählt. Hierunter wurde die Implementierung einer regionalen Projektorga-nisation verstanden. Das zentrale Projektteam stellte den Regionalorgani-sationen qualifizierte Ressourcen zur Verfügung, die genau die Lücke zwi-schen dem zentralen Projektteam und den lokalen Linienverantwortlichenschloss und dabei eine bidirektionale Kommunikation koordinierte. Nurdieses Vorgehen stellte den globalen Roll-out des Systems einschließlichdes Change-Managements in der vorgegebenen Zeit weltweit sicher.

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Qualitätssicherung

Mit dem Going live des Systems baute der Rechnungswesenbereich pro-jektbegleitend ein globales Qualitätssicherungsteam auf, welches inhaltli-che Qualitätsmängel in den Datenlieferungen der dezentralen Einheitengemäß den Fachvorgaben sehr eng überwacht, durch geeignete Maßnah-men umgehend beseitigt und eine Lernkurve der Fläche sicherstellt (Imp-lementierung von qualifizierten Feedback-Prozessen).Mit dem Übergang von der Projektphase in die Linienverantwortung

wurden die Aufgaben und Prozesse des QS-Teams weiter verfeinert. Beisämtlichen Reporting-Anlässen – Monatsabschlüsse, Forecast- und Pla-nungsanlässe – sind diese qualitätssichernden Maßnahmen dem Rech-nungswesen zur selbstverständlichen Regelaufgabe geworden.

Return on Investment

Die Frage, ob eine Wirtschaftlichkeitsrechnung für die Implementierungeines solchen Systems sich anhand einer Investitionsrechnung bewertenlässt, kann kontrovers diskutiert werden. Auf der einen Seite brachte dieEinführung von CREST sehr wohl Kosteneinsparungen (Abschaltung derbisher verwendeten vielfältigen Reporting-Systeme im Konzern) undFunktionalitätserweiterungen gegenüber der bisherigen Systemlandschaft.Anderseits wird dieser Effekt durch vergleichsweise hohe Investitionen

zum einen sowie einer höheren Komplexität zum anderen teilweise wiederaufgezehrt.Neben der rein wirtschaftlichen Bewertung sind aber Aspekte wie

Transparenz, Zuverlässigkeit, Durchgängigkeit, verbesserte Prozesse,Schnelligkeit etc. zu betrachten.Durch die Einführung eines geänderten und einheitlichen Steuerungs-

konzepts werden auch andere Arbeitsabläufe positiv unterstützt, die bei ei-ner vollständigen Betrachtung nicht außer Acht gelassen werden dürfen.Neben einer verbesserten Kommunikation – und hierdurch erreichtenSteuerungseffizienz – sind auch ganz alltägliche Arbeitsprozesse betroffen.Vor der weltweiten Einführung von CREST waren jeden Monat sehr vieleController im gesamten Konzern über sämtliche Ebenen hinweg nur mitder Aufgabe des Datenabgleichs beschäftigt – was steht in System A, undwie finde ich diese Zahl in System B wieder.Nach der Systemeinführung von CREST beschäftigt sich dieselbe An-

wendergruppe mit den Inhalten der dargestellten Steuerungskonzepte an-statt mit dem permanenten Abgleich von Zahlen in unterschiedlichen Sys-temen.

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Ausblick

Nach einer eineinhalbjährigen erfolgreichen Einführung des Common-Reporting-Systems bietet es enorme Möglichkeiten, die nun vom Konzerngenutzt werden müssen. Hierzu sind weitere Aktivitäten in verschiedenenBereichen notwendig

• Vertiefen der Systemkenntnisse bei der Linienorganisation• Trainings• Laufende Aktualisierung des Systems• Weiter gehende Harmonisierung von Methoden und Prozessen• Einfache Abbildung von Zu- und Abgängen von Konzerngesellschaften

Unverzichtbares Element der erfolgreichen Systemeinführung und einesdaraufhin folgenden Systembetriebs ist die volle Akzeptanz des Common-Reporting-Systems und die weiter gehende Unterstützung der Linienorga-nisation in den Bereichen Rechnungswesen und Controlling. Hierzu mussdas Rechnungswesen den Nutzen vom CREST weiterhin fortlaufend undauf allen organisatorischen Ebenen klar und einleuchtend vermitteln.Dieses Nutzenpotenzial wurde den Mitarbeitern durch intensive Trai-

nings vermittelt. Bisher wurden aus dem Projekt heraus sowie der darausentstandenen Linienorganisation mehr als 2500 Mitarbeiter geschult. Wie-derholt haben wir festgestellt, dass bereits trainierte Mitarbeiter nicht nurdeutlich effizienter mit dem System arbeiteten, sondern darüber hinausauch deutlich zufriedener damit waren als nicht trainierte Mitarbeiter.Kritisch ist ferner die laufende Aktualisierung des Systems. Die Not-

wendigkeit zur Begrenzung der Komplexität haben wir bereits diskutiert.So besteht sicherlich die Notwendigkeit, Anforderungen kritisch zu prüfen(„auch mal Nein sagen“). Wichtig ist jedoch auch, dass durch das sichständig verändernde Unternehmensumfeld sehr hohe Flexibilitätsanforde-rungen nicht nur an das System, sondern auch an den Betreiber ergeben.Das System steht niemals still, sondern entwickelt sich mit einer Ge-schwindigkeit weiter wie kaum eine andere Anwendung im Konzern. Diesliegt vor allem daran, dass sich jegliche organisatorische Veränderung un-mittelbar auf das Konzern-Reporting- und Konzernkonsolidierungssystemauswirkt. Dieser ständige Veränderungsprozess muss professionell gesteu-ert werden. Dazu gehören ein strikter Change-Management-Prozess, eineprofessionelle Stammdatenverwaltung, äußerst flexible Betriebsprozesse,die die laufenden Veränderungen nicht nur der Stammdaten, sondern auchder Funktionalität berücksichtigen sowie geschäftsbereichsübergreifendeGremien, die Veränderungen beschließen und zur Umsetzung an denBetreiber geben.

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Aufgrund der konzernweit erzielten Transparenz werden immer wiederHarmonierungsbedarfe identifiziert, beispielsweise Anpassungen der Allo-kationsmechanismen oder der internen Leistungsverrechnung von Servi-ces. Wir sind überzeugt, dass dieser Bereich mittelfristig weiterhin einSchwerpunkt der Aktivitäten im CREST-Umfeld bleiben wird.Schließlich sehen wir aus aktuellem Anlass eine wichtige Aufgabe in

einer möglichst einfachen, schnellen und unkomplizierten Abbildung vonZu- und Abgängen von Konzerngesellschaften. Angesichts der Wachs-tumsbestrebungen der Deutschen Post World Net und wahrscheinlicherweiterer Akquisitionen in verschiedenen Märkten wird dies – neben derfortlaufenden Aktualisierung des Systems – eine der Kernherausforderun-gen darstellen.

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Praxisbeispiele: Innovation durch ITim Geschäftsmodell

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Die elektronische Signatur als Rationalisierungs-und Vertriebsinstrument für Banken

Anno Lederer, Vorstandsvorsitzender GAD eGDr. Reinhold Pieper, Leiter Produktfeld Karten- und SicherheitssystemeGAD eG

Neuer Sicherheitsstandard für Banken

Die GAD eG ist das IT-Kompetenzcenter für rund 490 Volks- und Raiffei-senbanken im Norden und Westen Deutschlands, für die Zentralinstituteund weitere Unternehmen im genossenschaftlichen Finanzverbund sowiefür Retail-Bankanwendungen (Bankanwendungen für das Privatkunden-geschäft) im deutschsprachigen Raum. Seit über 40 Jahren entwickeltGAD zukunftsfähige bankenspezifische IT-Lösungen – von der Analyseüber die strategische Beratung bis zur technischen Umsetzung.Mit „bank21“ bietet die GAD eG ein umfassendes Bankenverfahren für

alle Themen im Retail-Geschäft sowie für die Betreuung von Firmenkun-den. Mit bank21 wird eine vollständige Abdeckung der Bankprozessedurch IT-Anwendungen sichergestellt. Dadurch werden Wirtschaftlichkeitund Wettbewerbsfähigkeit der betreuten Banken erhöht und zukünftigeMarktanforderungen bereits heute adressiert.Darüber hinaus entwickelt GAD zukunftsweisende Selbstbedienungs-

anwendungen für Bankkunden. Als Rechenzentrum und IT-Dienstleisterist die GAD eG Outsourcing-Partner für hochwertige und sichere Servicesund hat dabei mit innovativen Lösungen zusätzlichen Nutzen für die Ban-ken und deren Kunden geschaffen, zum Beispiel

• Bei der Anwendung „Cash & Go“ können Bankkunden ihre Prepaid-Handys an Geldautomaten oder über das Internet-Banking der Volks-banken und Raiffeisenbanken aufladen.

• Mit „Check online“ hat der Bankkunde über das Online-Banking jeder-zeit einen vollständigen Überblick über seine getätigten Kreditkarten-umsätze.

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Abb. 1. Bankprozesse und Abdeckung durch bank21

Um den Erfolg der GAD eG und ihrer Mitglieder auch in Zukunft zu si-chern, setzt das Unternehmen in seiner Strategie auf Kontinuität und Inno-vation. Alle Lösungen müssen den Banken und deren Kunden einen er-kennbaren Nutzen bringen.Der Sicherheit der eingesetzten IT-Lösungen kommt dabei eine zentrale

Bedeutung zu, wobei sich dies aber längst nicht nur auf die Erfüllung dergesetzlichen Anforderungen beschränkt. Essenziell für den Geschäftserfolgder Banken ist das Vertrauen, das der Kunde in seine Bank hat. Durch dieBereitstellung von Produkten und Dienstleistungen, die einen nachweisba-ren, dem jeweils aktuellen Stand der Technik genügenden Sicherheitsstan-dard erfüllen kann dieses Vertrauen nicht nur gefestigt, sondern konse-quent ausgebaut werden.Hierbei zeichnet sich ein Trend deutlich ab: Die elektronische Signatur

wird zukünftig der Sicherheitsstandard im Privat- und Firmenkundenge-schäft der Volks- und Raiffeisenbanken sein. Dabei werden nicht nur dieklassischen bankeigenen Geschäftsprozesse auf diese Technologie umge-stellt, sondern es eröffnet sich für die Banken eine Vielzahl neuartiger Ge-schäftsfelder, die die Attraktivität der Bank weiter stärken.

Grundlagen

Mit der elektronischen Signatur werden die Eigenschaften einer eigenhän-digen Unterschrift auch für elektronische Dokumente abgebildet. Dies ge-schieht technisch mit Public-Key-Verfahren, mathematisch-kryptografi-

bank 21 BB3 Portal Rating Basis 21 Analysen

DWHaCRM

SoftwareDruckenZV-Transfer

BilanzenRating-Ergebnis…

IntranetExtranetInternetMail, Kalender

Information

GeschäftsführungMarktbereichBetriebsbereichGrundfunktionen

KontoführungVertrieb

KundeninformationKreditberatungBausparvertragDepotanalyseSB-Manager

Integration durch das Portal

Zentraler Einstieg

Eine Benutzeranmeldung

Persönliche Konfiguration

Eine Navigation

Eine Benutzeroberfläche …

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Elektronische Signatur als Rationalisierungs- und Vertriebsinstrument... 371

schen Verfahren aus der Klasse der so genannten asymmetrischen Verfah-ren, bei denen zur Unterschriftsbildung beziehungsweise -verifikation einSchlüsselpaar – bestehend aus einem privatem Schlüssel (Private Key) undeinem dazugehörigen öffentlichen Schlüssel (Public Key) – verwendetwird. Der private Schlüssel darf nur dem Besitzer bekannt sein, der öffent-liche Schlüssel muss dagegen für jedermann zugänglich sein. Darüber hin-aus sind auch so genannte Zertifizierungsstellen notwendig. Diese sollengewährleisten, dass jede digitale Signatur nur einem Teilnehmer zugeteiltwird, Echtheit und Urheberschaft der Signatur jederzeit überprüfbar unddie Unverfälschtheit der Daten feststellbar ist. Aus diesem Grund ist esdringend erforderlich, dass diese Instanzen absolut zuverlässig arbeitenund die notwendigen Sicherheitsanforderungen erfüllen.Generell werden je nach Sicherheitsstufe drei Arten von Signaturen un-

terschieden

• die einfache Signatur• die fortgeschrittene Signatur• die qualifizierte Signatur

Die qualifizierte elektronische Signatur bietet die höchste Sicherheit undist die einzige, die der eigenen Unterschrift gleichgesetzt werden kann. ZurBeweissicherung wird die qualifizierte Signatur mit einem Zeitstempelversehen.Die technischen und gesetzlichen Grundlagen elektronischer Signaturen

sind mittlerweile so weit ausgereift, dass ein Einsatz in Bankprozessenmöglich ist. Die Gleichstellung und Gleichwertigkeit von (qualifizierter)elektronischer Signatur und manueller Unterschrift ist im Signaturgesetzund weiteren Vorschriften geregelt. Mit dem ersten Änderungsgesetz vom4. Januar 2005 wurde dieses an die Belange der Banken angepasst.Dadurch ist es jetzt möglich, für die seitens des Gesetzgebers zwingend

notwendige Registrierung von Bankkunden (Zertifikatsinhabern) auf be-reits in den Banksystemen erfasste Kundendaten zurückzugreifen. Diesschafft die Voraussetzung, dass der Prozess der Kundenregistrierung alssinnvolle Ergänzung zu den bestehenden Bankprozessen Kundenanlage,Kontenanlage, Kartenbestellung etc. abgebildet und eine Doppelerfassungvon Kundendaten vermieden werden kann. Durch das flächendeckende Fi-lialnetz der Volks- und Raiffeisenbanken verfügt der Finanzverbund daherüber eine ideale Ausgangsposition für eine breitflächige Ausbringung vonqualifizierten Zertifikaten.

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Abb. 2. Entwicklungspfad der elektronischen Signatur

Mehr als das klassische Bankgeschäft

Die Volks- und Raiffeisenbanken bieten seit Kurzem Services, die weitüber das klassische Bankgeschäft hinausgehen. Dieser Schritt ist ausstrategischer Sicht sehr wichtig. Zum einen wird die Konkurrenz der Near-und Nonbanks stetig größer. Zum anderen drängt der Handel verstärkt inBereiche, die bislang klassisch der Kreditwirtschaft vorbehalten waren.Angesichts dieser Marktveränderungen ist eines sehr deutlich: So wiebisher werden die Banken sich nicht mehr erfolgreich positionierenkönnen. In Teilbereichen des Bankgeschäfts wird es fundamentaleÄnderungen der Geschäftsmodelle geben, das steht heute bereits fest.Zukunftsforscher prognostizieren sogar, dass Banken sich zu LifeCompanions, so genannten Lebensbegleitern, entwickeln werden. Und dadecken Leistungen wie die Kreditvergabe, die Anlageberatung oder diebloße Abwicklung des Zahlungsverkehrs nur noch einen Bruchteil desgesamten Leistungsspektrums ab.Wollen sich Banken also zukünftig am Markt behaupten, werden sie

völlig neue Wege gehen müssen. Ein erster Schritt ist es, den Kunden miteinem attraktiven Mehrwert zu gewinnen und zu binden. Für neue Ideenbieten sich Volks- und Raiffeisenbanken geradezu an, denn:

Qualifizierte

Signatur

EC-Cash offl.

Geldkarte

EC-PIN

PIN/TAN(Bögen)

HBCI 2.0.1(Diskette)

HBCI 2.1(Chipkarte)

HBCI 2.2(Chipkarte)

SECCOS 5.0

alle Kartenprodukte

SECCOS 6.0

alle Kartenprodukte

STARCOS

VR

NetworldCard

SECCOS 4.0 (Typ 1)

VR BankCard, WK, HK

Typ 0 (seit 1996)

VR BankCard, WK, HK

Sm@rtTAN plus

HBCI4.0

EMVDebit

HBCI 3.0(VRNWC)

EMVCredit

Browser-Plug-

in für Cipkarte

ECEMV

Sm@rtTAN

2008200420011999

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Elektronische Signatur als Rationalisierungs- und Vertriebsinstrument... 373

• Mit mehr als 14 000 Bankstellen verfügen sie über das zweitgrößte Ver-triebsnetz in ganz Deutschland.

• Allein im Geschäftsbereich der GAD sind 15 000 SB-Geräte wie Konto-auszugsdrucker und Geldautomaten in Betrieb.

• Annähernd jede vierte Bankkarte in Deutschland wird von einer Volks-und Raiffeisenbank ausgegeben, das sind allein im Geschäftsgebiet derGAD über elf Millionen „VR BankCards“ (EC-Karten) und circa750 000 Kreditkarten, die überwiegend mit Chip ausgestattet sind.

• Circa 22 Prozent der Kunden von Volks- und Raiffeisenbanken nehmenam Online-Banking teil.

Wesentliche Zielsetzung der GAD ist die Verbesserung der Effizienz inden Bankprozessen durch gezielten Einsatz von IT-Anwendungen sowiedie Bereitstellung innovativer Services als Differenzierungsmerkmal fürdie angeschlossenen Banken. Neben den oben genannten Mehrwertenwerden zurzeit weitere Anwendungen pilotiert beziehungsweise stehenkurz vor der Produkteinführung.

• Bei „TicketService“ wählt der Kunde am Geldautomaten oder im Inter-net eine Veranstaltung inklusive Platzauswahl, Vergünstigung und der-gleichen aus und bezahlt sie auch hier. Das Ticket bezieht er über einenKontoauszugsdrucker.

• Mit dem „eTresor“ ermöglichen genossenschaftliche Banken ihrenKunden, deren wichtigste digitalisierte Dokumente und Dateien im ge-sicherten Banking-Umfeld zu hinterlegen.

In dieses Bild passt dann auch sehr gut die Vorstellung von der Bank alsAnbieter von innovativen Sicherheitslösungen für diejenigen Kunden, dieverstärkt elektronische Medien nutzen, um nicht nur ihre Bankgeschäfte,sondern über das Internet ihren gesamten elektronischen Geschäftsverkehrabzuwickeln – seien es virtuelle Behördengänge, Vertragsabschlüsse überdas Internet, Kaufvorgänge, elektronischer Rechnungsversand, die Teil-nahme an Ausschreibungsverfahren oder E-Mail-Kommunikation. DieBank kann sich so gegenüber ihren Kunden als Kompetenzcenter für Si-cherheitstechniken und -lösungen darstellen. Dies passt zum Image derBank und wertet diese sogar noch auf.Mit der elektronischen Signatur kann die GAD eine umfassende Lösung

zum Thema Sicherheit für die Banken anbieten. Der oben genannte Mehr-wert erfährt durch den Einsatz elektronischer Signaturen einen deutlichenSicherheitsgewinn. Darüber hinaus sind aber auch weitere Geschäftsvor-fälle denkbar, die heute noch der Schriftform genügen oder bei denen dieSicherstellung der Rechtsverbindlichkeit eine Grundvoraussetzung dar-stellt.

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Eine sinnvolle Ergänzung des eTresor könnte in der Kombination miteinem von der Bank angebotenen Zeitstempeldienst gemäß Signaturgesetzbestehen. Hierbei würde die Bank die Echtheit eines vorliegenden Doku-ments (zum Beispiel eine eingescannte Urkunde oder einen Vertrag) zu ei-nem bestimmten Zeitpunkt mittels einer elektronischen Signatur bestäti-gen. Das mit dem Zeitstempel versehene, elektronisch signierte Dokumentkönnte anschließend im eTresor archiviert werden.In Analogie zum TicketService wäre beispielsweise auch folgende An-

wendung denkbar: Man stelle sich vor, ein Kunde entschließt sich spontanzu einem Kurzurlaub ins benachbarte Ausland und benötigt hierfür einenAuslandskrankenschein. Die nächste Dienststelle der Krankenkasse istnicht erreichbar oder ist geschlossen. Im Internet oder innerhalb der SB-Zone seiner Bank könnte er den Krankenschein mit seiner elektronischenSignatur versehen und rechtsverbindlich bestellen. Der Ausdruck desKrankenscheins könnte dann am Kontoauszugsdrucker erfolgen. Alternativwäre aber auch ein Download auf eine elektronische Gesundheitskarte(eGK) denkbar. Ähnliche Szenarien für die Abwicklung von rechtsver-bindlichen Geschäftsvorfällen, wie zum Beispiel der Abschluss einer Rei-seversicherung oder anderer Rechtsgeschäfte, sind ebenfalls denkbar.

Abb. 3. Zertifizierungsdiensteanbieter (ZDA) im genossenschaftlichen Finanzver-bund

Leistungs-

angebot

Kundengruppen

Finanzverbund

VR-SIGNAals eigenständiges Unternehmen mit den Gesellschaftern

Qualifi-

zierte

Zertifikate

Weitere

Produkte

VR-Banken

– Ausgabe qualifi-zierter Zertifikatean Kunden

– Angebot Bank-leistungen auf Basisdigitaler Signaturen

Kunden derVR-Banken

– Nutzung Zertifikatefür Bankgeschäfte

– Nutzung vonZertifikaten für wei-tere Transaktionenauch möglich

Genossenschaftlicher

Finanzverbund

– R+V Versicherung

– Union Invest

– Noris Bank

– etc.

Weitere

Genossenschaften

– Waren- und

Handelsgenos-

senschaften

– etc.

Drittkunden

Kooperationspartner

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Elektronische Signatur als Rationalisierungs- und Vertriebsinstrument... 375

Prinzipiell sind der Kreativität einer Bank für neue Produkte oderDienstleistungen keine Grenzen gesetzt. Dasselbe gilt für die Branchen(zum Beispiel Krankenkassen oder Versicherungen), mit denen eine Banksinnvolle Kooperationen eingehen kann. Wichtig ist und bleibt es, dass siezum Image der Bank passen. Glücksspiele gehören eindeutig nicht dazu.Aber Vertrauen und Sicherheit wären beispielsweise wichtige Faktoren,das heißt, alles, was mit Rechungen oder anderen vertraulichen Transakti-onen zu tun hat.Die Banken profitieren hiervon in mehrfacher Hinsicht. In erster Linie

können sie bei vielen Projekten finanziell durch die Provisionen profitie-ren. Außerdem können sie mit einem hohen Imagegewinn rechnen, undbesucht der Kunde wieder öfter seine Bank. Dieser letzte Punkt ist strate-gisch besonders wichtig. Denn dadurch bekommt die Bank die Chance,mit dem Kunden persönliche Gespräche zu führen und ihn für weitereDienstleistungen zu interessieren.Genau hier vollzieht sich derzeit ein Strategiewandel. In den vergange-

nen Jahren hat sich die Kreditwirtschaft zunehmend aus dem Filialgeschäftzurückgezogen. Für die Volks- und Raiffeisenbanken mit ihrem Multika-nalansatz ist und bleibt die Filiale jedoch weiterhin eine der wichtigstenVertriebswege. Kunden mit attraktiven Angeboten in die Bank zu holen istein wichtiger Aspekt für die Kundengewinnung und Kundenbindung.Die Kooperationspartner haben den Vorteil, dass sie eine gut ausgebaute

Vertriebsstruktur nutzen können und mit rund 30 Millionen Bankkunden inDeutschland eine sehr große Zielgruppe haben. Außerdem bedienen siesich eines sehr stabilen, sicheren und vom Kunden akzeptierten Systems.Ein wichtiges Argument ist auch die Zahlungssicherheit, die die Koopera-tion mit Volks- und Raiffeisenbanken attraktiv macht. Das Lastschriftver-fahren ist unsicher, weil Kunden die Lastschrift zurückgeben können. Kre-ditkartenzahlungen gegenüber haben Kunden nach wie vor Vorbehalte.Dagegen können sie am Geldautomaten Leistungen wie gewohnt mit derEC-Karte bezahlen. Und der Anbieter kann sicher sein, dass er sein Geldbekommt.Die Kunden schließlich profitieren von einem umfassenden Dienstleis-

tungsangebot, aber auch durch das dichte Filialnetz der Volks- und Raif-feisenbanken und damit von der Nähe. Die Zustellung von Belegen wiezum Beispiel Krankenscheine, Urkunden oder Tickets auf dem Postweg istnicht mehr notwendig, weil sie etwa in der SB-Zone der Bank ausgedrucktwerden. Es lohnt sich also für den Kunden, zur Bank zu gehen, weil sieihm weitere Dienstleistungen mit Mehrwert bietet.Weitere Potenziale der elektronischen Signatur außerhalb der Kredit-

wirtschaft sind:

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• E-Government (Jobcard, elektronische Steuererklärung (Elster), Melde-wesen etc.)

• Gesundheitskarte mit Signatur• Ausschreibungsverfahren• elektronisches Mahnwesen• elektronische Klageschrift• Kommunikation im Internet• Signieren von elektronischer Post (E-Mail)• elektronische Rechnungen (E-Bills)

Elektronische Signaturen in den bankeigenenGeschäftsprozessen

Mit dem Thema elektronische Signaturen wird aktuell ein neues Feld fürInnovationen in Banken entwickelt. Dabei werden Bankprozesse gezieltfür den Einsatz elektronischer Signaturen vorbereitet. Durch den Verzichtauf manuelle Unterschriften wird eine leichtere Verarbeitung und Archi-vierung elektronischer Dokumente ermöglicht. Gleichzeitig wird die erfor-derliche Sicherheit und Verbindlichkeit des elektronischen Verkehrs zwi-schen Bank und Kunden erreicht.Im genossenschaftlichen Finanzverbund werden zukünftig alle Karten-

produkte (EC-Karten, VR BankCard, VR NetWorldCard etc.) für den Ein-satz digitaler Signaturen vorbereitet. Alle Partner des Finanzverbunds ha-ben beschlossen, diese Innovation ab 2008 sukzessive für alle Banken undderen Kunden einzuführen.Gleichzeitig werden die Anwendungen im Kernbankensystem sukzessi-

ve für die Verarbeitung von elektronischen Signaturen vorbereitet. Die er-höhte Nachfrage nach Direktkanälen, insbesondere im Online-Bankingund zugleich erhöhtes Sicherheitsbewusstsein, schafft hierbei die Basis fürKundenakzeptanz. Besonders vor dem Hintergrund der in jüngster Zeitvermehrt auftretenden Angriffe auf das Online-Banking mittels Phishingkommt der elektronischen Signatur eine wachsende Bedeutung zu. Weildie Autorisierung der Online-Banking-Transaktionen hierbei nicht mehrdurch TAN-Nummern – die ausgespäht werden können – geschieht, son-dern durch die individuelle elektronische Signatur des Karteninhabers, ha-ben die aktuell diskutierten Phishing-Attacken bei dieser Variante des On-line-Banking keine Chance mehr.Die Vorbereitungen zur breitflächigen Einführung von Signaturkarten

sind schon im vollen Gange. Am 1. Oktober 2005 startete die GAD mitrund 100 000 VR-BankCards einen Praxistest für die Einführung der elek-

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Elektronische Signatur als Rationalisierungs- und Vertriebsinstrument... 377

tronischen Signatur auf den EC-Karten der Volksbanken und Raiffeisen-banken. An dieser Pilotierung beteiligen sich die Volksbanken und Raiff-eisenbanken Koblenz-Mittelrhein, Dortmund, Goch-Kevelaer, Güterslohund Steyerberg. Im Rahmen des regulären Kartenaustausches wurden alleVR-BankCards dieser Banken mit einer individuellen elektronischen Sig-natur der Karteninhaber versehen.Mit der neuen VR-BankCard ist damit einfaches und sicheres Online-

Banking nach dem Online-Banking-Standard FinTS 3.0 (Financial Tran-saction Services) der deutschen Kreditwirtschaft möglich. FinTS 3.0 ist einSicherheitsstandard, den der Zentrale Kreditausschuss – der Zusammen-schluss der Spitzenverbände der Kreditwirtschaft aus allen Sektoren – ver-abschiedet hat. FinTS unterstützt eine Vielzahl elektronischer Bankdienst-leistungen wie Überweisungen, Kontoauszüge, Termingeschäfte, Geldan-lagen, Daueraufträge und den gesamten Bereich Onlinebrokerage, die vonden Kunden bequem und einfach online erledigt werden können. GAD isteines der ersten Rechenzentren in Deutschland, die FinTS 3.0 in Verbin-dung mit einer Signaturkarte unterstützen. Im Rahmen einer FinTS-Transaktion signieren die Kunden ihren Auftrag (zum Beispiel Überwei-sung) mit der individuellen elektronischen Signatur auf ihrer VR-BankCard. Eine separate Chipkarte ist nicht mehr erforderlich.Die Verfügbarkeit der elektronischen Signatur mit qualifizierten Zertifi-

katen gemäß Signaturgesetz ermöglicht die Weiterentwicklung der beste-henden Prozesse, insbesondere das Online-Banking mittels des kartenba-sierten Standards HBCI und die Bereitstellung neuer Prozesse, die bishernicht für Direktkanäle zugelassen waren. Damit können dabei auch Dienst-leistungen und Produkte über diese elektronischen Kanäle angeboten wer-den, die heute noch die Schriftform benötigen. Beispiel hierfür ist das Ein-richten und Ändern eines Freistellungsauftrags oder von Vollmachten.Damit einhergehend ist eine deutliche Verringerung der Durchlaufzeitengegenüber den heutigen Prozessen.Aber auch bei Vorgängen am Bankschalter in der Filiale kann es sinn-

voll sein, die handschriftliche Unterschrift des Kunden beziehungsweisedes Mitarbeiters durch die elektronische Signatur vollständig zu ersetzen.In der heutigen Geschäftspraxis ist es üblich, dass elektronische Formularedurch den Bankmitarbeiter am Bildschirm seines Arbeitsplatzes erfasstund ausgefüllt werden und anschließend ausgedruckt und vom Kundenmanuell unterzeichnet werden. Vielfach wird danach das unterschriebeneDokument wieder gescannt, um es in einem elektronischen Archiv abzule-gen. Elektronische Signaturen ermöglichen die Unterbindung von Medien-brüchen und bieten außerdem Optimierungspotenzial in verschiedenenSystemen. Durch Verkürzung der Geschäftsprozesse und Einsparungen

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(zum Beispiel papierlose Archivierung von Geschäftsbelegen) entstehen soRationalisierungsvorteile für die Bank. Für den Einsatz der elektronischenSignaturen in den Prozessen kommen spezielle Kartenleser zum Einsatz;diese sind bereits heute bei kartenbasierten Verfahren wie HBCI im Ein-satz.

Abb. 4. Zusammenspiel Zertifizierungsdiensteanbieter und Bankverfahren

Weitere Geschäftsfelder, insbesondere in den Bereichen SB, Firmen-kunden und Bezahlverfahren sind auf Basis dieser Infrastruktur in einemzweiten Schritt realisierbar. Die Einführung erfolgt schrittweise und zu-nächst parallel beziehungsweise in Ergänzung zu bestehenden Verfahren(etwa HBCI, PIN/TAN), später gegebenenfalls als Ersatz dieser Verfahren– Banken und deren Kunden bestimmen somit das Tempo der Einführung.Der Multikanalansatz setzt sich dabei durch, da einerseits die Banken

die direkten Vertriebswege vor allem unter Rationalisierungsgesichtspunk-ten weiter ausbauen, andererseits die Kunden das Angebot und die Ver-fügbarkeit aller möglichen Vertriebswege immer mehr als Selbstverständ-lichkeit voraussetzen. Elektronische Signaturen unterstützen und verstär-ken sogar den Multikanalansatz der Banken:

• Zusätzliche Geschäftsprozesse, die bisher der Schriftform bedurften,können nun auch im Online-Banking angeboten werden(Freistellungsauftrag, Vollmachten, Zweitkonten etc.).

• In den Bankfilialen kann die elektronische Signatur eingesetzt werdenund damit die Archivierung von Papierdokumenten deutlich reduzieren.

• Im Schalter-/Kasse-Bereich können zusätzliche Mehrwertprodukte an-geboten werden.

Bank Kundenumgebung

VR-SIGNABankverfahren

übermittelt

Kundendaten an

Zertifikatsverwaltung

Karteninhaber

lädt Zertifikat

von Download-

Server auf Karte

Zertifizie-

rungsstelle

Zertifikats-

verwaltung/

Download-

Server

Sperrservice

(Internet und

Hotline)

Bankverfahren(bank21 und agree)

Onlinebanking,Partnerunternehmen

etc.

1

24

Karteninhaber

registriert

sich bei Bank

5 Karteninhaber

verwendet Signatur

für Bankgeschäfte

und sonstige Dienste

Zertifikat wird in Zertifizierungsstelle generiert

und auf Download-Server bereitgestellt

3

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Elektronische Signatur als Rationalisierungs- und Vertriebsinstrument... 379

• Verwaltung/Sperrung der Signaturen über das Internet, in der Bankfilia-le oder telefonisch

Bereitstellung Infrastruktur

Um den Banken und deren Kunden einen kompletten Service rund um dieelektronischen Signaturen bieten zu können, wird gemeinsam mit weiterenPartnern im Finanzverbund auch die Bereitstellung elektronischer Signatu-ren für die Bankkunden vorbereitet. Hierzu werden schrittweise alle Bank-karten für eine elektronische Signatur vorbereitet und sämtliche Ge-schäftsvorfälle in den Bankensystemen auf die Verarbeitung von elektroni-schen Signaturen umgestellt. Die Bereitstellung der erforderlichen qualifi-zierten Zertifikate erfolgt durch ein Gemeinschaftsunternehmen im Fi-nanzverbund.Die VR-Banken übernehmen in diesem Zusammenhang die Registrie-

rung der Zertifikatsinhaber gemäß den Vorgaben des Signaturgesetzes.Durch die regionale Nähe sowie die persönliche und sehr vertrauliche Be-ziehung zum Kunden sind die VR-Banken geradezu prädestiniert hierfür.Diese Stärken können sie bei solchen neuen Services mit Mehrwert sehrgut einbringen. Das ist im Wettbewerb ein enormer Vorteil.

Fazit

Die Informationstechnologie ist mehr denn je ein strategischer Faktor imBankgeschäft. Deshalb beschäftigt sich GAD intensiv mit technischen undzukunftsweisenden Innovationen. Dabei steht immer der Kundennutzenund nicht die technologische Möglichkeit im Mittelpunkt der Betrachtung.Aus diesem Grund werden konkrete Projekte wie zum Beispiel die Einfüh-rung von elektronischen Signaturen immer in enger Abstimmung mit denKunden, den Volks- und Raiffeisenbanken, umgesetzt.Mit dem Einsatz elektronischer Signaturen in Bankprozessen werden

spürbare Vorteile für die Banken und die Kunden realisiert, insbesondere:

• Banken: Realisierung von Effizienzvorteilen durch Verlagerung zusätz-licher Geschäftsprozesse auf Direktkanäle, Reduzierung der Papierar-chive und Erhöhung der Sicherheit im Online-Banking

• Bankkunden: Die freie Wahl des Kanals macht die Anwendung derelektronischen Signatur bequemer, sie wird deswegen öfter auch für

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weitere Anwendungen (zum Beispiel E-Government) genutzt, Erhöhungder Sicherheit im Online-Banking

Aus technischer Sicht bietet die moderne Anwendungsarchitektur vonbank21 (Prozessorientierung, Kapselung einzelner Module im Sinne vonModularisierung (SOA), konsequente Trennung Frontend von Verarbei-tungslogik/Backend durch eine multikanalfähige Middleware etc.) einehervorragende Grundlage für die Einführung der elektronischen Signatu-ren. Damit kann praktisch jede Internetanwendung für eine Touchscreen-Oberfläche und für ein SB-Gerät aufbereitet werden.Die multikanalfähige Architektur ermöglicht den Einsatz von Internet-

anwendungen als Touchscreen-Oberfläche für Selbstbedienungsgeräte undsomit den Einsatz in den Bankfilialen und möglichen weiteren Einsatz-feldern. Durch die zentrale Software-Verteilung können auch dezentraleSelbstbedienungsgeräte schnell und kostengünstig mit der jeweils aktuel-len Anwendung versorgt werden. bank21 als technologische Basis derGAD ist somit Grundlage für die Einführung innovativer Technologienund ermöglicht eine schnelle Umsetzung neuer Ideen.Das Angebot der elektronischen Signatur steht somit in der Tradition

der Innovationen der GAD, die jeweils Mehrwert für die angeschlossenenBanken und deren Kunden schaffen und dabei die eingesetzte Basistechno-logie bank21 effizient nutzen.

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Effiziente Vertriebsunterstützung auf Basis einerserviceorientierten IT-Architektur

Franz-Theo Brockhoff, stellvertretender Vorsitzender GeschäftsführungSparkassen Informatik

Einleitung

Die Finanzdienstleistungsbranche befindet sich in einer Umbruchphase.Harter Wettbewerb, hoher Kostendruck, umfangreiche aufsichtsrechtlicheRegelungen und die kundenfreundliche Weiterentwicklung von Geschäfts-modellen verlangen hohe Beweglichkeit. Geschäftsprozesse und -szenarienformieren sich Richtung schnellere, schlankere und effizientere Abwick-lung. Gleichzeitig richtet sich der Blick auf den Vertrieb. Der Schlüsselliegt insbesondere in einer kunden(wert)orientierten Vertriebsstrategie.Dabei gewinnen Online-Medien als effiziente Abwicklungsplattformenweiter an Bedeutung. Unterdessen aber bekommt auch die persönliche Be-ratung wieder mehr Gewicht – in erster Linie für den Vertrieb margen-starker und möglichst standardisierter Produkte.Zur Steigerung ihrer Vertriebskraft suchen Finanzinstitute daher nach

der idealen Verbindung aus Tradition und Moderne. Der persönliche Dia-log mit dem Kunden ist dabei Basis einer bilateralen Vertrauensbildung,die überall dort gefragt bleibt, wo hoher Beratungsbedarf besteht oder auchneu entsteht. So gewinnt beispielsweise die langfristige Finanzplanung undder wachsende Vorsorgebedarf fürs Alter immer mehr an Bedeutung. Bei-de Geschäftsfelder sind typisch für eine durchgängige Betreuung im Sinneeines „one face to the customer“.Gleichzeitig haben Konjunkturschwäche beziehungsweise geringeres

Wachstum und sinkende Realeinkommen zu steigender Preissensibilität inallen Bevölkerungsgruppen geführt. Unter Druck stehen dabei insbesonde-re homogene Finanzprodukte wie Tagesgeld, Anschaffungsdarlehen oderPkw-Finanzierungen. Hier wird der Wettbewerb vor allem über den Preisausgetragen. Zumal TV- und Printwerbung sowie der breite, zeitnahe Zu-

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382 Franz-Theo Brockhoff

gang zum Internet mit Online-Informationen und -Angeboten für hoheMarkttransparenz sorgen. Dies erschließt dem Kunden zusätzliche Frei-heitsgrade bei der Angebotsauswahl und Unabhängigkeit gegenüber seinerHausbank.Sinkende Margen und steigender Wettbewerbsdruck stellen Finanzinsti-

tute somit vor die Aufgabe, ihre Abwicklungsprozesse und Kosten durchintelligente Arbeitsteilung weiter zu optimieren. Dies führt im Ergebnis zueiner Neudefinition des Kerngeschäfts. Es konzentriert sich mehr undmehr auf vertriebsnahe Tätigkeiten, während die kundenferne Abwicklungvon Bankgeschäften nach Möglichkeit gebündelt und an externeDienstleister ausgelagert wird. Im Zentrum der neuen Wertschöpfungsket-te stehen Standardisierung, Automatisierung und das Erschließen von Ska-leneffekten durch Mengenbündelung.Die effiziente Lenkung von Ressourcen verlangt durchgängige Informa-

tionen. Dies gilt für alle bankbetrieblichen Geschäftsfelder – auch und ge-rade im Vertrieb. Wer sein gesamtes Kundenpotenzial ausschöpfen will,muss den Interaktionsprozess mit dem Kunden optimieren. Neben der Prä-senz in der Fläche gehören dazu allen voran die medialen VertriebswegeInternet- und Telefon-Banking. Eine derartige Multikanalstrategie ist ohneentsprechende IT-Lösungen von hoher Durchgängigkeit und Integrations-tiefe nicht realisierbar.

Abb. 1. Übersicht Vertriebsprozess

Im Spannungsfeld zwischen Mehrwert für den Kunden und notwendigerKostenreduzierung stoßen bisherige IT-Plattformen deutlich und schnell anihre Grenzen. Bei der Digitalisierung von Geschäftsstrategien in IT-gestützte Geschäftsprozesse erweisen sich die meisten der derzeit vorhan-denen IT-Systeme als untauglich. Vor allem mangelnde Offenheit, Flexibi-

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Effiziente Vertriebsunterstützung auf Basis einer serviceorientierten... 383

lität und Skalierbarkeit sorgen dafür, dass die Applikationen häufig dieGeschäftsabläufe eher behindern als unterstützen.Trotzdem haben viele Finanzinstitute mit der Umsetzung neuer IT-

Plattformen noch nicht begonnen. Nach aktuellen Marktstudien arbeitendie meisten europäischen Institute mit IT-Systemen, die 25 Jahre odernoch älter sind. Um die überalterte Software mit ihren monolithischen (allin one) Anwendungen auf den neuesten Stand zu bringen, sind nach Schät-zung der Unternehmensberatung Forrester Research rund 50 MilliardenEuro notwendig.Als veraltet gelten vor allem jene schwer zu durchschauenden, histo-

risch unstrukturiert gewachsenen IT-Architekturen, die eine Vielzahl hete-rogener Teilsysteme mit vielen komplexen Schnittstellen bündeln. Durchvielfältige Erweiterungen sind im Laufe der Jahre in sich verwobene Funk-tionsblöcke entstanden.Entsprechend zeitaufwendig und teuer sind die Anpassungen solcher

Altsysteme, die vielfach auf proprietären, das heißt eigenständigen undnicht standardisierten Rechner- und Netzlösungen basieren. Da diese Sys-teme zudem spartenorientiert („Anwendungssilos“) arbeiten, steht dasProdukt mit einzelnen Arbeitsschritten im Mittelpunkt der Architektur undnicht – wie heute erforderlich – der Kunde mit zugehöriger Workflow-Kette. Eine durchgängige Bearbeitung von Prozessen ist somit kaum reali-sierbar.

Fokus Retail-Banking

Blick zurück nach vorn: Finanzinstitute entdecken das Retail-Geschäftneu. Nicht nur in Deutschland wird es wieder als eine tragende Säule imGesamtbankgeschäft gesehen – Seite an Seite mit Großkundengeschäftund Investment-Banking. Die Folge ist ein massiver Verdrängungswett-bewerb im Retail-Banking. Für zusätzliche Dynamik sorgt der entschlos-sene Markteintritt zahlreicher neuer Wettbewerber. Dazu gehören allenvoran Direktbanken, Autobanken und Absatzfinanzierer.Der Erfolg von Instituten wird künftig davon abhängen, wie gut es ge-

lingt, die zunehmend individueller werdenden Wünsche und Präferenzenihrer Kunden rechtzeitig zu erkennen, sie zielorientiert und bedarfsgerechtauf den unterschiedlichen Vertriebskanälen aktiv anzusprechen und fürsich zu gewinnen – dies alles mit hoher Geschwindigkeit. Denn zumMehrwert von Anbietern trägt auch die Fähigkeit bei, auf spontane Kun-denwünsche unmittelbar reagieren zu können. Eine solche „just in time

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response“ verlangt IT-Strukturen, mit denen bankfachliche Anwendungenquasi in Echtzeit bereitgestellt werden.Genereller Trend dabei: standardisierte, preissensible Dienstleistungen

wandern ins Internet, beratungsintensive Produkte oder auch das Cross-Selling verlangen nach persönlicher Kompetenz in einer Filiale vor Ort.Entsprechend differenzieren sich die Vertriebskanäle. Eckpfeiler ist der

freie Zugangsweg zum kundenindividuell präferierten Vertriebskanal, egalob klassische Filiale, mobile Beratung, Telefon-Banking über Callcenteroder Online-Banking über das Internet.Zwar werden die elektronischen Vertriebswege weiter expandieren,

gleichzeitig besteht paradoxerweise auch weiterhin Bedarf an einer inten-siven persönlichen Beratung. Somit ist die Bereitstellung unterschiedlicherKanäle für alle Institute unverzichtbare Voraussetzung, den Markt syste-matisch, abgestuft und effizient zu bearbeiten. Eine effiziente Steuerungim Multikanalvertrieb stellt allerdings völlig neue Anforderungen. Gilt esdoch, die notwendigen Informationen zu identifizieren, zusammenzufüh-ren und auszuwerten. Letztendlich geht es darum, das richtige Angebotzum richtigen Zeitpunkt über den richtigen Kanal zu präsentieren.Ein derart zielgerichtetes und bedarfsorientiertes Vorgehen verlangt

möglichst vollständige, schnell verfügbare Informationen. Ohne aktuelle,durchgängige Daten keine Optimierung von Produkt-, Preis- und Ver-triebsstrategien. Die Veredlung dieser Informationen liefert ein Gesamtbildder Kundenanforderungen und damit den Schlüssel zur Umsetzung vonMarktpotenzialen in Vertriebserfolge. Somit entscheidet die Qualität derInformationsverarbeitung und -bereitstellung in zunehmendem Maße dar-über, inwieweit Finanzinstitute ihre Marktposition behaupten und ausbau-en können. Unverzichtbar dabei sind entsprechend durchgängige IT-Architekturen.

Anforderungen an eine moderne IT-Architektur

Kreditinstitute standen früh vor der Aufgabe der Massenverarbeitung vonDaten. Daher gehört die Branche zu den ersten Anwendern großer EDV-Systeme. Seither erstrecken sich die IT-Investitionen über mehrere Perio-den mit ganz unterschiedlichen Technologiewellen. Das Ergebnis: In vie-len Instituten dominieren heterogene, unflexible, eher zufällig gewachseneArchitekturen.Wartung, Pflege und Entwicklung der Altsysteme und deren Schnittstel-

len reißen tiefe Löcher in die IT-Budgets der Finanzinstitute. Die man-gelnde Integrationsfähigkeit steht zudem den aktuellen Herausforderungen

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Effiziente Vertriebsunterstützung auf Basis einer serviceorientierten... 385

der Branche diametral entgegen, nämlich einer ganzheitlichen und effi-zienten Unterstützung von Prozessen mit dem Ziel, Durchlaufzeiten zuverkürzen sowie die Servicequalität zu verbessern. Dabei ist es zu berück-sichtigen, dass sich heute Strukturen, etwa durch Reorganisationen, Fusio-nen und Auslagerungen von Aufgaben, ständig verändern. Dementspre-chend hoch sind die Anforderungen an die Flexibilität der IT. LangwierigeTransformationsprojekte sind bei diesen organisatorischen und prozessua-len Änderungen nicht mehr akzeptabel – sie müssen vielmehr in Echtzeitvorgenommen werden.Gleichzeitig muss die IT unter Wettbewerbsgesichtspunkten sicherstel-

len, dass neue Produkte und Services zügiger als bisher in die Gesamt-architektur eingebettet und damit schnell marktfähig gemacht werden kön-nen.Die Voraussetzungen dafür schaffen serviceorientierte Architekturen

(SOA). SOA ist keine neue Technologie, sondern vielmehr ein Manage-ment-Konzept beziehungsweise ein breit angelegtes Rahmenwerk für denAufbau einer flexiblen IT-Architektur, das es ermöglicht, sich eng an realeGeschäftsprozesse anzulehnen und diese besser widerzuspiegeln als diemonolithischen Modelle der Vergangenheit. Im Mittelpunkt stehen gekap-selte und wieder verwendbare Anwendungskomponenten (Services), dienach Art eines Baukastens miteinander gekoppelt werden können und sodie Möglichkeit einer flexiblen, durchgängigen und unternehmensübergrei-fenden Prozessunterstützung bieten. Weil solche Services mehrfach ver-wendet, das heißt von vielen Applikationen gemeinsam genutzt werdenkönnen (beispielweise Services zur Modellberechnung oder zum Scoring(Verfahren zur Kreditbewertung), verspricht die Umsetzung neben derdeutlich gesteigerten Prozesseffizienz zudem auch Kostenvorteile.Ein entsprechendes Rahmenwerk muss dabei nachfolgende Merkmale

aufweisen

• Offenheit, um auf der Basis von Standardtechnologien eine Integrati-onsplattform zu bieten, das heißt Marktmodule und -produkte sowieVerbundpartner integrieren zu können.

• Flexibilität, um auf veränderte Geschäftsprozesse und Organisations-modelle (intern oder übergreifend) schnell reagieren zu können. Ein fle-xibles Produkt- und Kunden-Management muss dabei neben einer um-fassenden Datenbasis über Kunden und Kundenstruktur die Möglichkeitbieten, mit einem Höchstmaß an Flexibilität Produkte zu generieren.

• Unterstützung verschiedener Vertriebswege im Sinne einer Multikanal-fähigkeit und standardisierte, vertriebswegeneutrale Verarbeitung derDaten, sodass neue Vertriebskanäle schnell implementiert werden kön-nen.

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• Real-Time-Buchungssystem für ständig aktuelle dispositive Datenbe-stände.

• Skalierbarkeit der IT-Infrastruktur, um das System an größere Voluminaanpassen und diese mit gleich bleibender Performance abdecken zukönnen. Voraussetzung dafür ist es, dass alle zugrunde liegenden Kom-ponenten jeweils skalierbar, das heißt aufrüstbar sind.

• Mandantenfähigkeit, das bedeutet, dass die eingesetzte Software in einerSystemumgebung bei einer Vielzahl von Finanzinstituten streng ge-trennt eingesetzt werden kann.

• Sichere, kosteneffiziente und hochverfügbare (365 Tage, 24 Stunden)Produktion, das heißt, die Kosten-Nutzen-Relation für eine hohe Per-formance, hohe Sicherheit und Verfügbarkeit möglichst zu optimieren.

Die Gesamtbanklösung OSPlus

Auf dem Weg zu modernen IT-Architekturen ist die Sparkassen-Finanzgruppe bereits heute einen Schritt voraus. Nachdem im Herbst 2005eines der größten IT-Projekte ihrer Geschichte abgeschlossen werdenkonnte, arbeiten heute schon etwa 125 000 Mitarbeiter in 9000 Geschäfts-stellen mit dem einheitlichen und modernen IT-System OSPlus (One Sys-tem Plus) der Sparkassen Informatik. Damit repräsentiert OSPlus aktuellbereits mehr als 50 Prozent der deutschen Sparkassen und bedient annä-hernd ein Viertel des deutschen Retail-Markts.

Abb. 2. Marktanteil Kernbanksysteme

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OSPlus ist eine Gesamtbanklösung, die als Komplettangebot die Grund-lage für die durchgängige Prozessunterstützung des gesamten Spektrumsdes Retail-Geschäfts – vom Vertrieb über die Abwicklung bis hin zurSteuerung – bildet. Das gilt für kleine, mittlere und große Institute. Diebankfachliche Architektur von OSPlus ist – entsprechend den geschäftspo-litischen Anforderungen der Sparkassen – durch eine ausgeprägte Ver-triebsorientierung gekennzeichnet (siehe dazu Kapitel „OSPlus – das Plusim Vertrieb“). Das Komplettangebot enthält neben den reinen IT-Anwendungen auch ergänzende Serviceleistungen im Umfeld, wie bei-spielsweise Callcenter- oder Printservices.OSPlus ist heute so gut positioniert, weil die Sparkassen Informatik be-

ziehungsweise deren Vorgängerunternehmen den grundsätzlichen Erneue-rungsbedarf bereits Ende der 90er-Jahre erkannt und im Rahmen einerEntwicklungskooperation die weitgehende Neuentwicklung aufgesetzt ha-ben. Bis heute wurden mehr als 500 Millionen Euro in OSPlus und dessenAusbau investiert. Bei der Konzeption spielten die Architekturaspekte einebesondere Bedeutung. Denn sie bestimmen nachhaltig die Tragfähigkeitdes Systems im Hinblick auf Offenheit gegenüber neuen Standards undProdukten, eine schnelle Einbindung neuer Komponenten von Marktpart-nern sowie die Abdeckung neuer Vertriebskanäle.Der Erfolg von OSPlus beruht dabei auf der konsequenten und abge-

stimmten Umsetzung auf drei Architekturebenen.Sie bilden den Rahmen für die schnelle und wirtschaftliche Bereitstel-

lung von Lösungen für die Sparkassen. Generell sind bankfachliche, An-wendungs-Software- sowie systemtechnische Elemente zu unterscheiden.Die bankfachliche Architektur beschreibt, was zu realisieren ist, also

den bankfachlichen Bauplan. Das heißt, sie legt den Grad der IT-Unterstützung für die Geschäftsprozesse fest.Die Anwendungsarchitektur definiert die Struktur von Anwendungs-

systemen und deren Einbettung in die technische Infrastruktur. Sie liefertden Bauplan für die Umsetzung einer fachlichen Anwendung auf der Basisder Infrastruktur, die in der Systemarchitektur definiert ist. Die Anwen-dungsarchitektur ist somit das strukturelle Bindeglied zwischen den Inhal-ten der bankfachlichen Architektur und der Systemarchitektur. Sie be-schreibt Inhalt und Aufbau der technischen Infrastruktur, auf deren Basisdie Anwendungssysteme konstruiert werden und damit den systemtechni-schen Bauplan für die Projektvorhaben der Sparkassen Informatik.Die moderne, serviceorientierte Anwendungsarchitektur von OSPlus ba-

siert auf einem Drei-Schichten-Modell.

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Abb. 3. Schichtenarchitektur OSPlus

Es arbeitet mit festgelegten Fach- und Datenmodellen, die über Schnitt-stellen kooperieren. Jeder Schicht sind bestimmte Aufgaben zugeordnet.So ist beispielsweise in der Funktionsschicht die gesamte bankfachlicheVerarbeitungslogik hinterlegt. Vorteil dabei: Bereits heute stehen rund 350bankfachliche Funktionen und Dienste als gekapselte Services zur Verfü-gung, die einmal entwickelt worden und nun wieder verwendbar sind. Einentscheidender Pluspunkt auch für den Multikanalansatz. Denn die ver-triebswegeneutral entwickelten bankfachlichen Funktionen sind nur nocheinmal zu implementieren, während die Oberflächen kanalspezifisch zurVerfügung gestellt werden. Damit ist die Unterstützung unterschiedlicherVertriebswege effizient realisierbar. Über eine Backend-Anbindung an denHost („Dynamische Schnittstelle“) erfolgt der Zugriff auf die Datenschichtdes Kernbanksystems, in der die Daten gespeichert sind.Das moderne, spartenneutrale Kernbanksystem ist das Herz von OSPlus.

Es umfasst einen modularen Produktbaukasten, mit dem Sparkassen ganzindividuelle Produkte konzipieren können, ohne selbst aufwendige Pro-grammierarbeiten ausführen zu müssen. Darüber hinaus enthält es ein Re-al-Time-Buchungssystem (Online-Buchung für Aufträge aller Sachgebietemit juristischer Dokumentation auf Kontoauszügen) sowie automatisierteund integrierte Verarbeitungsabläufe. Alle Konto-, Vertrags- und Kunden-daten können online abgerufen werden. Das Kernbanksystem ist so konzi-piert, dass Spitzenbelastungen mit großen Transaktionszahlen sicher undstörungsfrei verarbeitet werden können.

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Abb. 4. Integration von Verbundpartnern in OSPlus

Das Schichtenmodell mit seinen standardisierten Schnittstellen als Vor-aussetzung und das Kernbanksystem als Herzstück sind die Basis der ser-viceorientierten Architektur für OSPlus. Als zentrale Integrationsplattformfungiert dabei die Dynamische Schnittstelle. Darüber haben eigene Ent-wickler und Marktpartner Real-Time-Zugriff auf die bankfachlichenOSPlus-Funktionen und können diese flexibel in ihre Anwendungen ein-passen. Am Sparkassen-Frontend ist zudem die Integration externer Kom-ponenten möglich. So können auch komplette Geschäftsprozesse externerPartner, etwa von Landesbausparkassen, Leasing-Gesellschaften oder Ver-sicherungen dynamisch mit dem Frontend verknüpft werden. Insgesamtsind heute mehr als 30 Verbund- und Marktpartner an das System ange-bunden.Auf diesem Weg wird im Vertrieb eine Gleichstellung von eigenen und

Verbundprodukten ohne Medienbruch über die gesamte Prozesskette er-reicht. Produkte können zu umfassenden Problemlösungen für den Kundengebündelt werden – etwa bei der Altersvorsorge. Hier liefert der Zugriffauf ganz unterschiedliche Vorsorgekomponenten wie Rentenansprüche,Fondssparpläne, betriebliche Altersvorsorge oder Bausparen eine aussage-kräftige Gesamtsicht auf die kundenindividuellen Gestaltungsmöglichkei-ten.

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Abb. 5. Kundengesamtsicht am Beispiel Altersvorsorge

Die Umstellung der Oberflächenentwicklung auf die Webtechnologie(OSPlus-Portal) stellt eine Fortschreibung der Anwendungsarchitektur vonOSPlus dar. Das Angebot, bankfachliche Funktionen als gekapselte, unab-hängige, benutzerfreundliche Webservices bereitzustellen, eröffnet neuezeitliche Dimensionen bei der Entwicklung und Integration von Software-Bausteinen. Bereits seit 2002 hat die Sparkassen Informatik bankfachlicheFunktionen als Webservices bereitgestellt, die sich flexibel in eigene An-wendungen und Partnerapplikationen integrieren lassen. Seit Anfang 2005ist die Frontend-Entwicklung vollständig auf die webbasierte Entwicklungumgestellt worden.Neben der zusätzlich gewonnenen Flexibilität zeigt es sich, dass die

Nutzung von Webservices deutliche Kostenvorteile erschließt. So verrin-gert sich in den Sparkassen beispielsweise der Administrationsaufwand,der IT-Dienstleister wird unabhängiger von Großrechnertechnologie, nutztOpen-Source-Komponenten und senkt durch konsequente Wiederverwen-dung von Komponenten seine Entwicklungskosten.

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Effiziente Vertriebsunterstützung auf Basis einer serviceorientierten... 391

Abb. 6.Webservices sorgen für Flexibilität und deutliche Kostenvorteile

„It might be time to change your core-banking system“, so forderte dieGartner Group in einer Branchenuntersuchung im Jahr 2004. Mit der Auf-lösung von Anwendungssilos hin zu einer serviceorientierten Architekturhat die Sparkassen Informatik diesen Schritt bereits vollzogen und verfügtdamit heute über einen deutlichen Technologievorsprung gegenüber vielenanderen Anbietern von Software für das Retail-Geschäft. Die Erfahrungenhaben gezeigt, dass ein solcher grundsätzlicher Erneuerungsprozess einenZeitraum von mindestens fünf Jahren in Anspruch nimmt und anfangs be-achtliche Investitionen erfordert. Der Return on Investment für dieOSPlus-nutzenden Sparkassen ist dabei schon heute nachhaltig realisiertworden.Der Mehrwert für den Nutzer zeigt sich nicht nur an der deutlich gestie-

genen Funktionalität und Flexibilität.Auch die Kostenentwicklung belegt, dass der eingeschlagene Weg rich-

tig war. Bis heute konnten gegenüber den vier regionalen Vorgängersys-temen Synergien von mehr als 500 Millionen Euro erschlossen werden;jährlich kommen weitere rund 250 Millionen Euro hinzu. Die Einsparun-gen sind einerseits auf den Verzicht von Mehrfachentwicklungen zurück-zuführen. Andererseits zeigt sich aber auch, dass auf der Basis einer ser-viceorientierten Architektur eine kostengünstige Entwicklung vonAnwendungen erreicht werden kann.Gleichzeitig hat die Sparkassen Informatik auch eine Betriebsgröße er-

reicht, mit der sie weltweit zu den größten Rechenzentren gehört. Damitwerden beachtliche Skaleneffekte erzielt. So wickeln die Systeme derSparkassen Informatik beispielsweise jährlich rund 30 Milliarden Transak-tionen ab.

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Abb. 7. Prozessoptimierung unter OSPlus

OSPlus – das Plus im Vertrieb

Kein Business ohne Informationstechnologie. Doch die Erfahrung zeigt:Allein der Einsatz von IT generiert noch kein erfolgreiches Geschäfts-modell. Erst im Zusammenspiel mit einem motivierten und engagiertenVertriebsmitarbeiter entfaltet der Einsatz von IT seine Stärken. Im Kerngeht es darum, das richtige Angebot zur richtigen Zeit über den richtigenVertriebskanal zu präsentieren.Die Architektur von OSPlus-Vertrieb ist darauf ausgerichtet. Im Fokus

steht die durchgängige Unterstützung des Retail-Geschäfts von der Ge-schäftsanbahnung bis zum Vertriebs-Controlling – ohne Medienbrücheund über alle Vertriebskanäle hinweg. Erklärtes Ziel dabei ist die Opti-mierung der Interaktion mit dem Kunden im Rahmen eines Multikanal-ansatzes.Dreh- und Angelpunkt im Vertrieb von Finanzprodukten ist es, den

Kunden überall dort zu erreichen, wo er seine Geldgeschäfte tätigt. Schlüs-sel ist der seit Jahren praktizierte Multikanalvertrieb. Die Speerspitze dabeiist unverändert die klassische Filiale. Sie bildet für 80 Prozent aller Kun-den den mit Abstand wichtigsten Vertriebskanal einer Bank, wie aus einereuropäischen Bankenstudie der Management-Beratung Booz Allen Hamil-ton hervorgeht. Allerdings zeigten sich drei Viertel aller Kunden unzufrie-

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den mit der Leistung in der Filiale. Vermisst werden vor allem eine aktiveKundenansprache sowie eine spezifisch an der Lebenssituation ausgerich-tete Beratung.Beratungsqualität und Vertriebserfolg leben vom Wissen über den Kun-

den, seine Verhältnisse und Bedürfnisse. Ein Informationspool mit Kun-denhistorie und Gesamtengagement sorgt für Transparenz und damit fürbedarfsgerechte Leistungsangebote – egal ob beim spontanen Beratungs-dialog in der Filiale oder bei der aktiven Kundenansprache im Online-Kanal. Daher stellen innovative Vertriebslösungen wie OSPlus ein strate-gisches Kunden-Management in ihren Mittelpunkt – von der Marktseg-mentierung und Geschäftsanbahnung über Beratung und Produktverkaufbis zum Verkaufs-Controlling ohne Medienbrüche unter einer einheitli-chen grafischen Oberfläche.Zur direkten Kundenansprache ist ein besonderer Schwerpunkt der Lö-

sung auf die Identifizierung vorhandener Verkaufs- und Cross-Selling-Potenziale gelegt worden. So identifizieren intelligente Analyse-Tools au-tomatisch Verkaufsanlässe, generieren einen Musterkundenabgleich undnehmen Anlagechecks nach spezifischen Kundenpräferenzen vor.Unter Zugriff auf den zentralen Datenbestand eines Instituts fließen am

Arbeitsplatz des Beraters alle Kundeninformationen zusammen. Der indi-viduelle Finanzstatus ist das Fundament für eine detaillierte Beratung undliefert – unter Berücksichtigung der jeweiligen Lebensphase – zielgenaueAnsätze für ein Cross-Selling. Denn Zug um Zug integriert OSPlus diebreite Palette von Verbundanwendungen und -produkten der Sparkassen-Finanzgruppe. Dadurch können Produkte zu umfassenden Problemlösun-gen für den Kunden gebündelt werden, etwa beim Abschluss von Versi-cherungen oder in der Altersvorsorge. Hier liefert der Zugriff auf ganz un-terschiedliche Vorsorgekomponenten wie Rentenansprüche, Fondsspar-pläne, betriebliche Altersvorsorge oder Bausparen eine aussagekräftigeGesamtsicht auf die kundenindividuellen Gestaltungsmöglichkeiten.Der persönliche Dialog in der Filiale ist nur ein Teil im Multikanal. In-

ternet, Telefon und SB-Geräte ermöglichen heute die weitgehend automa-tisierte Abwicklung vieler Geldgeschäfte. Die Folge: Der persönliche Kon-takt des Beraters zu seinem Kunden hat deutlich abgenommen. Geradedeshalb aber wird die Gesamtsicht auf den Kunden über alle Vertriebs-kanäle immer wichtiger. Gleichfalls gilt es, die aktive Kundenanspracheweiter zu intensivieren. Ziel ist es, den Kunden dort zu erreichen, wo erseine Geldgeschäfte tätigt. OSPlus gelingt dies durch ein vertriebswege-neutrales Kampagnen-Management mit direkten Response-Möglichkeiten.In eine Kampagne sind neben stationären Kontakten auch SB-Geräte,Callcenter oder das Internet-Banking durchgängig integriert.

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Abb. 8. OSPlus-Kampagnen-Management (Vorbereitung/Ansprache)

Der Online-Dialog mit dem Kunden eröffnet eine neue Qualität in derKommunikation. Denn überall dort, wo Geldgeschäfte getätigt werden,können auch Informationen und Angebote bereitgestellt werden. Damitstößt beispielsweise das Internet-Banking in eine neue Wertigkeit vor. Derpersonalisierte Bereich im Internet wird so zur Informations- und Kommu-nikationsplattform für Kunden und Berater. Und diese persönliche Betreu-ung der in der Regel eher wechselwilligen und preissensitiven Online-Kunden ist ein strategisches Instrument zur Bindung des Kunden an seinGeldinstitut.

Abb. 9. OSPlus-Kampagnen-Management (Bearbeitung/Ergebnistypen)

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Abb. 10. OSPlus-Kampagnen-Management (Erfolgskontrolle)

Dabei ist es der Sparkassen Informatik über das Finanzportal als einemder ersten IT-Dienstleister gelungen, eine durchgängige und rechtssichereLösung für den Online-Vertrieb gemäß den Anforderungen nach demFernabsatzgesetz zu realisieren. Das Finanzportal ist ein modulares Dienst-leistungspaket für den Vertriebskanal Internet – von Produktinformationenüber die Weiterleitung von elektronischen Kundenanfragen und Service-aufträgen an den Kundenberater bis hin zum fallabschließenden Online-Produktverkauf.Bei der Vernetzung von stationären und multimedialen Kanälen gilt es,

innovative Modelle zu finden, die Filiale, Selbstbedienung, Callcenter undInternet effizient miteinander verbinden. Gefragt ist eine aussagekräftigeund zeitnahe Vertriebssteuerung. Sie muss beispielsweise Auskunft dar-über geben, welcher Kanal für eine konkrete Ansprache den besten Kos-ten-Nutzen verspricht, wie Aktivitäten der unterschiedlichen Kanäle zukoordinieren sind oder auch darüber, welcher Kunde wann und wo mitwelchem Erfolg angesprochen worden ist.Auch hierbei liegt der Schlüssel für eine ertragsorientierte Steuerung

über alle Kanäle in einer zentralen Datenhaltung und damit in der IT-Architektur. Sie legt das nutzbare Vertriebspotenzial offen, ermöglicht dieFeinsteuerung der Aktivitäten und damit die Steigerung von Volumen undEffizienz.

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Ausblick

Das Vertriebsgeschehen in Banken und Sparkassen wird an Komplexitätzunehmen. Die Nutzung von Kanälen entwickelt sich evolutionär weiter.Technologische Veränderungen und gesellschaftliche Trends verändernGewohnheiten und Präferenzen der Kunden. Entwicklungen, die zeitnaherkannt und dynamisch umgesetzt werden müssen – in neue Vertriebswe-ge, in neue Serviceprozesse, in neue Steuerungsinstrumente, in neue Ge-schäftsprozesse und in innovative IT-Lösungen.Angesichts des anhaltend hohen Kostendrucks arbeiten Finanzinstitute

weiterhin daran, ihre Prozesse zu optimieren. Zur nachhaltigen Verbesse-rung der Cost Income Ratio stehen gleichzeitig jene Leistungen auf demPrüfstand, die selbst nicht effizient zu erbringen sind und die kein strategi-sches Alleinstellungsmerkmal aufweisen.Dies führt in der Kreditwirtschaft zu weiterer Spezialisierung und zu-

nehmender Industrialisierung im Mengengeschäft. Als Vorbild könnte dieAutomobilindustrie dienen, die ihre Wertschöpfungskette auf wenigeKernkompetenzen verkleinert, Prozesse standardisiert und Baugruppenvereinheitlicht hat.Die Reduktion von Fertigungstiefen in der Wertschöpfungskette und die

Einbindung von IT-Dienstleistern, die gleichgerichtete Aufgaben mehrererInstitute übernehmen, reduziert die Stückkosten und erschließt Skalen-effekte. Im Gegenzug stehen Dienstleister vor der Herausforderung, dieangestrebte Arbeitsteilung durch flexible, mandantenfähige Modelle zu un-terstützen. Auch sie werden sich im Wettbewerb an Effizienz, Prozess-und Servicequalitäten messen lassen müssen. So dürfte sich auch unter IT-Dienstleistern der Trend zu größeren Einheiten fortsetzen. Erfolgsfaktor istallen voran eine zukunftsfähige, flexible, offene IT-Plattform. Als bleiben-de Herausforderung gilt in der Produktion die Vorgabe, möglichst hoheSkaleneffekte durch Volumenbündelung zu erschließen – intelligente Ar-beitsteilung zur Stärkung der Wettbewerbsposition.

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IT als Enabler für neue Geschäftsmodelle in derTouristik

Stefanie Berk, Direktorin Neckermann Fernreisen Thomas Cook AGReinhard Eschbach, CIO Thomas Cook AG

Veränderungen im Touristikmarkt

Mit über 24 000 Mitarbeitern und jährlich mehr als 13 Millionen Reisegäs-ten ist die Thomas Cook AG das zweitgrößte Reiseunternehmen in Europa.Thomas Cook, in Deutschland bekannt durch seine Kernmarken Necker-mann Reisen, Thomas Cook Reisen, Condor und Bucher, befindet sich ineinem Marktumfeld, das durch wesentliche Veränderungen geprägt ist.Auf diese Veränderungen muss sich Thomas Cook einstellen und reagie-ren, um auch langfristig erfolgreich zu bleiben. Die drei aus unserer Sichtzentralen Entwicklungen im Touristikumfeld sind: die Veränderung desBuchungsverhaltens von Kunden, die Veränderung des Reiseverhaltensund die Veränderung der Wettbewerbssituation durch andere Anbieter.

Veränderung des Buchungsverhaltens

Zentraler Treiber der Veränderung des Buchungsverhaltens ist das Inter-net, welches für die Distribution von Reisedienstleistungen hervorragendgeeignet ist. So können sich Kunden auf Basis des Internets mit geringemAufwand einen sehr guten und breiten Marktüberblick verschaffen undschnell und unmittelbar Reisebausteine und -pakete zu attraktiven Preisenbuchen. Die hierdurch gestiegene Markttransparenz hat jedoch auch zurFolge, dass Kunden in der Regel kurzfristiger vor Reiseantritt buchen undzunehmend dort, wo sie besonders viele Zusatzinformationen über dasReiseziel finden. Gerade reiseerfahrene und preissensitive Kunden stellendabei ihre Urlaubspakete zunehmend selbst und nach individuellen Vor-stellungen und Bedürfnissen zusammen.

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Wegen der zunehmenden Attraktivität des Internetangebots ist der E-Commerce-Anteil im Touristikgeschäft in den vergangenen Jahren deut-lich gestiegen und wird auch in der Zukunft noch weiter erheblich zuneh-men.

Verändertes Reiseverhalten

Neben einem veränderten Buchungsverhalten ist jedoch auch ein veränder-tes Reiseverhalten zu beobachten. So ist bei unverändert hoher Reiselusteine deutliche Tendenz zu kürzeren und spontan organisierten Reisen zuerkennen. Inflexible Angebote, wie zum Beispiel feste Reisetage und vor-gegebene Aufenthaltszeiten, werden dabei von den Kunden immer wenigerakzeptiert. Dies bedeutet aber keineswegs das Ende der veranstalterorgani-sierten Pauschalreise – im Gegenteil. Die besonderen Merkmale einer ve-ranstalterorganisierten Reise, wie zum Beispiel die umfassende Betreuungim Zielgebiet, die Veranstalterhaftung und die bekannt hohe Qualität derReisebausteine, werden gerade in Zeiten von Terror und Naturkatastrophenweiterhin oder sogar zunehmend geschätzt. Die Reisepakete haben jedochden sich immer wieder ändernden Kunden- und Marktanforderungen an-zupassen und müssen flexibler werden, um den sich wandelnden Kunden-anforderungen gerecht zu werden.

Veränderung der Wettbewerbssituation durch andere Anbieter

Letztlich hat sich auch das Marktumfeld in der Touristik deutlich verän-dert. So sieht sich Thomas Cook einem zunehmenden Wettbewerbsdruckgerade im stark umkämpften E-Commerce-Markt ausgesetzt – und diesvon zwei Seiten: Auf der einen Seite führte der Eintritt von Online-Reiseagenturen wie Expedia und Opodo, die unter anderem auch von„White Label“-Veranstaltern organisierte Reisen anbieten, zu einer Ver-schärfung der Wettbewerbssituation. Auf der anderen Seite sind deutlichstärkere Bemühungen von Reiseanbietern zu erkennen, ihre Reisedienst-leistungen direkt an den Endkunden zu vertreiben. Gerade die großen Ho-telketten und „Low Cost“-Fluggesellschaften versuchen mit „Bestpreis-garantien“ und umfassenden Internetprodukten zunehmend – unter Umge-hung von Reisemittlern und globalen Distributionssystemen – ihre Produk-te dem Kunden direkt anzubieten. Dies geschieht mit dem Ziel, die zumTeil erheblichen Distributionskosten zu reduzieren. Letztlich hat auch dieerhebliche Zunahme von Flugkapazität zu den europäischen Reisezielendurch die in den Markt drängenden Low Cost Carrier zu einer erheblichvolatileren Preisstruktur geführt.

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Vor dem Hintergrund dieser Marktveränderungen wandelt sich auch dasAngebotsspektrum von Thomas Cook. Das Unternehmen muss auch zu ei-nem Broker von Reiseinformationen werden – einem Tor zur gesamtenWelt des Reisens. Um diese Rolle ausfüllen zu können und die sich hierausneu entwickelnden Geschäftsmodelle anbieten zu können, ist ThomasCook jedoch auf effektive und effiziente IT-Systeme angewiesen.

IT wird Enabler: eine auf die Anforderungen desBusiness abgestimmte IT-Strategie

In diesem Zusammenhang hat Thomas Cook Anfang 2005 beschlossen,eine neue IT-Strategie zu erarbeiten. Die Aufgabe lautete, eine detaillierteBestandsaufnahme der bestehenden Applikations- und IT-Landschaft so-wie der IT-Leistungserbringung durchzuführen, gemeinsam mit den Ge-schäftverantwortlichen die Anforderungen der Zukunft an die IT zu defi-nieren und hieraus ein konkretes Projektportfolio abzuleiten.Die Bestandsaufnahme der Applikationslandschaft ergab unter anderem,

dass Thomas Cook europaweit eine Vielzahl unterschiedlicher Veranstal-tersysteme parallel einsetzt, was zu erheblichem Aufwand bei der Pflegeund Weiterentwicklung der Systeme führt. Gleichzeitig ergab die Be-standsaufnahme, dass keines dieser Systeme den sich verändernden Markt-anforderungen in ausreichender Weise gerecht wird – keines der bisheri-gen Veranstaltersysteme kann ohne extrem hohen Anpassungsaufwand denAusgangspunkt für eine Vereinheitlichung der Applikationslandschaft mitden dringend benötigten Funktionalitäten im Veranstaltergeschäft bilden.Parallel zur Bestandsaufnahme wurden die konkreten Anforderungen an

die zukünftige Systemunterstützung definiert. Dabei wurde ein szenarioba-siertes Vorgehen (Abbildung 1) gewählt, das alle Anforderungen aus denGeschäftsbereichen und der IT in Gleichklang brachte und dem Ziel ent-sprach, eine stark in den Geschäftsanforderungen verwurzelte und nutzen-orientierte IT-Strategie zu erstellen. Im Rahmen der hierzu notwendigenWorkshops wurde das strategische Projektportfolio definiert. Hier wurdedie Basis für den Aufbau eines innovativen und gemeinsamen, globalenVeranstaltersystems für Thomas Cook gelegt.

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400 Stefanie Berk, Reinhard Eschbach

Abb. 1. Szenariobasiertes Vorgehen zur Entwicklung der IT-Strategie

Neben der Entwicklung des strategischen Projektportfolios war es imRahmen der IT-Strategie entscheidend, eine Basis für ein effektives Ma-nagement der IT zu schaffen. So ergab die Bestandsaufnahme des Statusquo, dass die Auftraggeber- (IT-Demand) und Auftragnehmerrolle (IT-Supply) unzureichend voneinander getrennt und unscharf definiert sind. Eszeigte sich ebenso, dass die Geschäftsbereiche von Thomas Cook – be-dingt durch die Akquisitionshistorie des Unternehmens – stark lokal/regio-nal fokussiert arbeiten und daher europäische Synergien in der IT bislangnoch nicht umfassend realisiert werden konnten. Dies spiegelte sich auchin der operativen Zusammenarbeit des übergreifend aufgestellten Projekt-teams wider – so war beispielsweise das Wissen über die jeweils anderenRegionen nur gering ausgeprägt.

Aufbau von neuen Governance-Strukturen in der IT alsVoraussetzung für globalen Erfolg

Die durch die Bestandsaufnahme aufgedeckten Unzulänglichkeiten galt esnun zu analysieren, die bestehende IT zu transformieren, dabei IT-Demandund -Supply strikter als bisher zu trennen und eine den Geschäftsgegeben-heiten von Thomas Cook angepasste globale IT-Governance zu etablieren.Diese IT-Governance musste einerseits den Märkten und Regionen die nö-tige Flexibilität lassen, um das lokale Geschäft ausreichend schnell und ad-äquat IT-seitig unterstützen zu können, andererseits musste sie aber auchglobale Transparenz und Synergien ermöglichen. Insbesondere musste sie

IT-Anforderungen

IntegriertesKapazitäts-Mgmt.

Dynamic PackagingFähigkeiten

Ausgangslage

Resultate

BeschlosseneZielarchitektur

BeschlossenesProjektportfolio

White Spots zurweiteren Analyse

Biz-Anforderungen

StandardisierterDesktop

Ablösung LegacySystem XYZ

IT-Anforderungen

1 2 3Analyse der

Anforderungen

Szenario-

definition

Szenario-

auswahl

Business-Anforderungen

(Externe Änderungen,Prozessanforderungen...)

IT-Anforderungen

(Applikationen, Projekte,Zielplattformen …)

Szenario-entwicklung

(Konsolidierung, neueSysteme …)

Auswahl Zielszenarien

(Value Add …)

IT-Impact-Szenarien

(Architektur, IT-Organisation)

Auswahl Zielszenarien

(…Machbarkeit)

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IT als Enabler für neue Geschäftsmodelle in der Touristik 401

die Basis schaffen, globale Projekte, wie den Aufbau eines gemeinsamenVeranstaltersystems, erfolgreich bearbeiten zu können.Das zentrale Ziel der neuen IT-Governance war somit die Schaffung

von Transparenz und der Aufbau von gemeinsamen Entscheidungsstruktu-ren, dort, wo sie für globale Projekte und Synergien benötigt wurden. Die-se globale Governance basiert auf vier Säulen (siehe Abbildung 2)

• globales Portfolio- und Programm-Management• globales Architektur- und Standard-Management• globales Service Level Management• globales Vendor Management

Abb. 2. Das IT-Governance-Modell von Thomas Cook

Globales Portfolio- und Programm-Management

Das globale Portfolio- und Programm-Management hat vier Kernaufgaben• entlang des typischen Projektlebenszyklus in der ersten Phase eine engeAbstimmung der IT-Projekte und -Budgets mit den Geschäftsbereichensicherzustellen

• die Einhaltung des Thomas-Cook-Architektur-Blueprints in Projektenzu prüfen

Demand

Supply

LokalesPortfolio-Manage-

ment

Anwendungs-

entwicklung

Betrieb

(Applikation)

SolutionDesign

IT-Governance-

Board

GlobalesArchitektur-

Board

Globales IT-Board

Globales IT-Board

Globaler Infrastrukturbetrieb (Vendor Management)

Region A

IT-Organisation

Region B

IT-Organisation

Region C

IT-OrganisationGlobales

Entscheidungs-

gremium

LokalesPortfolio-Manage-

ment

Anwendungs-

entwicklung

Betrieb

(Applikation)

SolutionDesign

LokalesPortfolio-Manage-

ment

Anwendungs-

entwicklung

Betrieb

(Applikation)

SolutionDesign

Globaler Portfolio- & Programm-Management-Prozess

Globaler Architektur- & Standardprozess

Globaler Service-Level-Management-Prozess

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402 Stefanie Berk, Reinhard Eschbach

• für eine Abstimmung der benötigten Projektressourcen mit den verfüg-baren Kapazitäten zu sorgen

• ein transparentes Projekt-Controlling bereitzustellenAusgangspunkt für die Einführung dieser neuen Funktion war zunächst

die Notwendigkeit, für globale Budgettransparenz zu sorgen und eine Prio-risierung der IT-Projekte entsprechend der Geschäftsanforderungen undder Budgetobergrenzen durchzuführen. Gleichermaßen wichtig war dieEinführung eines neuen Projekt-Controllings auf Basis der „Earned Va-lue“-Methodik. Durch diese Methodik, durch die eine wesentlich höhereTransparenz in der Projektarbeit erreicht wird, werden auf einfache Artund Weise die geplanten Kosten für die tatsächlich geleistete Arbeit mitden geplanten Kosten für die terminierte Arbeit (Termineinhaltung) vergli-chen. Ebenso werden die geplanten Kosten für die tatsächlich geleisteteArbeit mit den tatsächlichen angefallenen Kosten (Budgeteinhaltung) insVerhältnis gesetzt. Durch diese integrierte Betrachtung wird eine deutlicherhöhte Transparenz im Management des umfangreichen Projektportfolioserreicht.Die notwendigen Entscheidungen im Rahmen des Portfolio- und Pro-

gramm-Managements werden von einem neu eingerichteten Steuerungs-gremium, dem IT-Governance-Board getroffen, welches aus den Vor-standsmitgliedern, den CEOs der Regionen und dem Corporate CIO be-steht. Das IT-Governance-Board tritt monatlich zusammen und sorgt soauf höchster Ebene für eine Abstimmung zwischen den Geschäftsberei-chen und der IT.

Globales Architektur- und Standard-Management

Aufgabe des globalen Architektur- und Standard-Managements ist dieEntwicklung und Sicherstellung eines einheitlichen Architektur-Blueprintsauf Gesamtunternehmensebene in drei eng miteinander verzahnten Dimen-sionen

• Business-Architektur• logische/funktionale Architektur• technische Architektur

Ausgangspunkt für die Einführung des neuen, globalen Architektur-Managements war die Definition von am Geschäft orientierten Architek-turprinzipien beziehungsweise -richtlinien sowie das Erarbeiten eines Re-gelprozesses für das konsequente Management zur Einhaltung dieser Ar-chitekturrichtlinien. Ebenso wurde ein „Globales Architektur-Board“ eta-bliert, welches die Koordination der drei unterschiedlichen Rollen in der

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IT als Enabler für neue Geschäftsmodelle in der Touristik 403

Architekturentwicklung und im Architektur-Management sicherstellt. Die-se Rollen sind im Einzelnen

1. der globale Architekt, der für die Entwicklung und die Einhaltung dergemeinsamen Architekturrichtlinien verantwortlich ist

2. der lokale Architekt, der auf lokaler Ebene diese Richtlinien detail-liert und umsetzt sowie lokale Architekturentscheidungen trifft

3. der Projektarchitekt, der projektspezifisch für die Ausgestaltung vonArchitekturen verantwortlich ist

Das Architektur-Board, das sich aus den Vertretern dieser Rollen zu-sammensetzt, trägt dann letztlich als Entscheidungsgremium die Verant-wortung für den globalen Architektur-Blueprint.

Globales Service Level Management

Die Kernaufgabe des Globalen Service Level Management besteht darin,die Anforderungen des Geschäfts an die Bereitstellung von IT-Dienstleistungen in Form von Servicevereinbarungen (Service Levels) zufixieren und diese dann wiederum in Anforderungen und Servicevereinba-rungen mit externen Anbietern IT-spezifisch zu übersetzen. Neben derVereinbarung von Services ist das Service Level Management ebenso fürdie Berichterstattung und die Kontrolle der Einhaltung dieser Vereinba-rungen verantwortlich (SL-Reporting) sowie für die Abstimmung der Ver-einbarungen mit den operativen Budgets für die Leistungserstellung. Auchim Rahmen des Service Level Management wurden wiederum globaleRollen – mit Fokus auf die Definition von Standards und Anforderungen –und lokale Rollen klar differenziert.

Globales Vendor Management

Die Aufgaben des globalen Vendor Management sind die Definition vongemeinsamen Standards für das Management von Zulieferern, die Identifi-kation von Potenzialen für eine Thomas-Cook-übergreifende Beschaffungvon IT-Dienstleistungen, die Vereinbarung von globalen Zulieferverträgenzusammen mit dem Einkauf sowie die Überwachung und Kontrolle derLeistungserbringung globaler Zulieferer. Sowohl das globale Vendor Ma-nagement als auch das globale Service Level Management berichten an das„Global IT-Board“, welches sich aus den CIOs der einzelnen Regionen zu-sammensetzt und die notwendigen Richtungsentscheidungen trifft.Die Vorteile dieses neuen globalen Governance-Models, welches bereits

im Rahmen der IT-Strategie definiert und in einem Folgeprojekt weiterausgeführt wurde, sind vielfältig: Durch die gestiegene Budget- und Pro-

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404 Stefanie Berk, Reinhard Eschbach

jekttransparenz wird ein strafferes Kosten-Management ermöglicht, damitwird auch die enge Verzahnung von Geschäft und IT dauerhaft etabliert.Gleichzeitig konnten bereits erste Synergien in der IT durch die Definitionvon gemeinsamen Architekturanforderungen und durch das Aufsetzen eu-ropäischer Projekte zur Harmonisierung der IT-Infrastruktur erreicht wer-den. Aber auch in der täglichen Zusammenarbeit hat sich das Miteinanderder unterschiedlichen Regionen deutlich verbessert und zu neuem Vertrau-en in die globale Leistungsfähigkeit der IT geführt. Letztlich haben derAufbau globaler Governance-Strukturen und die Transformation der IT-Organisation den Aufbau eines globalen Veranstaltersystems als zentralesProjekt erst ermöglicht – dies soll im Folgenden näher dargestellt werden.

Aufbau eines globalen Veranstaltersystems – Projekt„Globe“

Im Rahmen der IT-Strategie wurden die Anforderungen an ein neues undglobales Veranstaltersystem definiert, welches für Thomas Cook dieGrundlage bildet, sich mittel- und langfristig erfolgreich an einem sichrasch und nachhaltig verändernden Markt zu positionieren. Kernziel diesesProjekts ist der Aufbau einer wettbewerbsfähigen und global einheitlichenPlattform für das Veranstaltergeschäft, die eine wesentlich breitere Ange-botspalette zulässt und gleichzeitig höhere Flexibilität, Effizienz undTransparenz herstellt. Hierdurch sollen sowohl bestehende Geschäftsmo-delle gestärkt und erweitert als auch vollkommen neue Geschäftsmodelleermöglicht werden.Ein solches neues Geschäftsmodell, welches sich von Produktionspro-

zessen, die an Katalogen ausgerichtet sind, löst, stellt internet-spezifischeProdukte zur Verfügung. In einem solchen Geschäftsmodell wird – im Ge-gensatz zu den bei der Katalogerstellung heute vorkonfigurierten Reise-paketen – das Paket dynamisch und erst auf Basis der aktuellen Kunden-anfrage zusammengestellt und individuell bepreist (Dynamic Packa-ging/Pricing). Diese dynamisch erstellten Pakete werden wiederum aus ei-genen Bausteinbeständen (Flüge, Hotelbetten) wie auch aus externen Bau-steinen, die erst unmittelbar im Rahmen des Konfigurationsprozesses vonDrittanbietern eingekauft werden (Dynamic Sourcing), zusammenge-schnürt. Um dies zu ermöglichen, müssen jedoch die Einschränkungen derheutigen Systeme überwunden und neue Funktionalitäten bereitgestelltwerden.Im Folgenden sollen die drei unseres Erachtens wesentlichen Erfolgs-

faktoren für den bisher sehr positiven Verlauf des Projekts, welches intern

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IT als Enabler für neue Geschäftsmodelle in der Touristik 405

den Namen Globe trägt (abgeleitet aus den Anfangsbuchstaben von GlobalLeisure Operations Business Engine), vorgestellt werden – diese sind

• ein konsequent veränderungsbewusstes Vorgehen• eine integrierte, übergreifende Projekt-Governance• die Ausrichtung an einer offenen, serviceorientierten Systemarchitektur

Vorgehen

Globe ist wegen seiner Komplexität und Tragweite ein ehrgeiziges Projekt.In der Vergangenheit hat sich herausgestellt, dass eine konstante, gleichbe-rechtigte und übergreifende Abstimmung zwischen den Regionen einenzentralen Erfolgsfaktor für europäisch ausgerichtete Projekte darstellt. Woimmer es an dieser Abstimmung mangelte, konnten Projekte ihre Zielenicht zur Gänze erreichen. Entsprechend musste ein Vorgehensmodell ge-wählt werden, das diese Komplexität beherrschbar machte und die trotzvieler Gemeinsamkeiten zum Teil sehr großen Unterschiede in den regio-nalen Geschäftsmodellen ausreichend berücksichtigte.Ausgangspunkt war die Abstimmung der Ziele und der Vorgehensweise

auf hoher Management-Ebene. Um die Aufgabe zu vereinfachen, wurdezunächst beschlossen, dass die „Renovierung“ der europäischen Veranstal-tersysteme stufenweise erfolgen soll. So soll in der ersten Projektphase zu-nächst eine Funktionalität geschaffen werden, die für alle Märkte glei-chermaßen neu und damit nicht vorbelegt ist; dies sind die notwendigenBuchungs- und Konfigurationsfunktionalitäten, die ein Dynamic Packa-ging ermöglichen (Phase 1). In der darauf folgenden Phase erfolgt sodanneine Weiterentwicklung dieser Plattform in Richtung einer verstärkten Un-terstützung des Bausteingeschäfts sowie eine Integration des europäischenBausteingeschäfts auf diese Plattform. Erst in der dritten Phase wird dasbisher komplexeste Geschäftsmodell der vorkonfigurierten Pauschalreiseauf die neue Plattform übernommen. Insgesamt soll dies in einem drei bisfünfjährigen Zeitraum erfolgen.Diese Vorgehensweise wurde in einer vorgeschalteten Machbarkeitsstu-

die überprüft und bestätigt. Ebenso wurde im Rahmen der Machbarkeits-studie die Auswahl eines Software-Anbieters für ein neues Kernsystemvorgenommen sowie eine Wirtschaftlichkeitsrechnung vorgenommen. Vonzentraler Bedeutung war es hierbei, unter Einbeziehung aller Geschäftsbe-reichsverantwortlichen in Europa, zunächst eine klare Vision für die neuePlattform zu definieren und auf dieser Basis innovative, funktionale undtechnische Anforderungen zu definieren. In die Wirtschaftlichkeitsbetrach-tung für die Systemeinführung waren alle Geschäftsbereichsverantwortli-chen ebenfalls einbezogen, um eine möglichst hohe wirtschaftliche Trag-

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406 Stefanie Berk, Reinhard Eschbach

fähigkeit des Projekts sicherzustellen und frühzeitig Veränderungsbereit-schaft zu erzeugen.

Projekt-Governance

Weiterhin war es erforderlich, eine übergreifende Projekt-Governance zuetablieren, die den besonderen Anforderungen dieses komplexen Großpro-jekts gerecht wird. Insbesondere musste eine ausreichende geschäfts- undIT-seitige Beteiligung von allen Märkten am Projekt sichergestellt werden.Gleichzeitig galt es Strukturen zu finden, die eine rasche Entscheidungs-findung möglich machen und so einen zügigen Projektfortschritt gewähr-leisten. Das Projekt war im Top-Management zu verankern, und es mussteein hochkarätiger Projekt-Manager gefunden werden, der sowohl auf Ge-schäfts- als auch auf IT-Seite von allen Regionen akzeptiert wird. EineProjekt-Governance, die diesen hybriden Anforderungen genügt, konnte –wie in Abbildung 3 dargestellt – gefunden werden.

Abb. 3. Projekt-Governance

So berichtet das Projekt monatlich an das im Rahmen der IT-Transformation eingerichtete IT-Governance-Board, um eine ausreichendeVerankerung auf der Top-Ebene zu erreichen. Um zügige Entscheidungenzu ermöglichen und jederzeit eine ausreichende Abstimmung von Ge-schäfts- und IT-Anforderungen sicherzustellen, wurde ein Projektsteue-

Projektorganisation

Projektsteuerungskreis

IT-Governance-Board

Direktor Region A

Direktor Region B

Direktor Region C

Leiter Einkauf

CIO Corporate

CIO Region A

CIO Region B

CIO Region C

Projekt-Manager

Kernteam

Geschäftsbereiche IT

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IT als Enabler für neue Geschäftsmodelle in der Touristik 407

rungskreis eingerichtet, mit je einem Direktor als Vertreter der Geschäfts-und IT-Seite jeder Region. Dieser Steuerungskreis tritt im wöchentlichenTurnus zusammen, trifft Projektentscheidungen und sichert gleichzeitig dieKommunikation und Koordination mit dem jeweils vertretenen Ge-schäftsteil. Die operative Tagesarbeit des ebenfalls multiregional zusam-mengestellten Kernteams wird durch einen Projekt-Manager koordiniert,der auch das Projekt in den beiden anderen Gremien vertritt und die Ge-samtverantwortung für den Projektfortschritt trägt. Ergänzt wurde dieseProjektorganisation von Mitarbeitern der Unternehmensberatung Booz Al-len Hamilton. Die gelungene Governance und Besetzung des Projekts(Abbildung 4) kann als einer der zentralen Erfolgsfaktoren für den bisheri-gen Projektverlauf angesehen werden.

Abb. 4. Konzeptionelle Systemarchitektur

Offene, serviceorientierte Systemarchitektur

Der dritte Erfolgsfaktor liegt in der Festlegung auf eine offene, modulareund serviceorientierte Architektur der Gesamtlösung. Wegen der Komple-xität des Vorhabens und des damit verbundenen Migrationsaufwands so-wie der Unterschiedlichkeit der abzubildenden Geschäftsmodelle schiedvon Anfang an eine Lösung aus, die die bisherigen Systeme durch ein neu-es, wiederum monolithisches System ersetzt. Vielmehr wurde von Anfangan vereinbart, dass die funktionalen Anforderungen der Gesamtlösung ineinem Zusammenspiel von bestehenden Applikationen, einem neuen

Integrationsplattform

Bed BanksInternal

Inv.

Internal

Inv.

Internal

Inv.

Inventory-Kopplungsschicht

Distributionskopplungsschicht

Verschiedene Vertriebskanäle

Tour Operator Engine

Produkt-

konfigurationKalkulation

Rechnungsstellung/

Regulierung

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408 Stefanie Berk, Reinhard Eschbach

Kernbuchungssystem und weiteren neuen Einzelkomponenten erbrachtwerden sollen.Um einen solchen „Best of Breed“-Ansatz einer Vielzahl von Neu- und

Altkomponenten auf europäischer Ebene zu ermöglichen, wurde der Auf-bau einer Integrationsplattform in Form eines „Enterprise Service Bus“ fürdie Gesamtlösung unerlässlich. Insgesamt können hierdurch mehrere Vor-teile erreicht werden

• Reduktion des Migrationsrisikos und -aufwands durch Entkopplung derEinzelmigrationen und durch den Erhalt von bestehender Funktionalitätin Altanwendungen

• Zukunftssicherheit durch die Möglichkeit, vergleichsweise schnell undflexibel Einzelbausteine von Funktionalitäten austauschen zu können

• lokale Anpassungsmöglichkeit von Funktionalitäten, zum Beispiel desPreiskalkulationsmoduls

• keine Abhängigkeit von einem einzigen Software- beziehungsweiseHardware-Hersteller

Sicherlich könnten hier noch weitere Erfolgsfaktoren genannt werden.Wir glauben aber, dass gerade die drei genannten Erfolgsfaktoren für mul-tinationale Unternehmen bei der Unterstützung von neuen Geschäftsmo-dellen, die durch innovative IT-Lösungen ermöglicht werden, von beson-derer Bedeutung sind und reappliziert werden können.

Zusammenfassung und Ausblick

In diesem Beitrag wurde dargestellt, wie sich Thomas Cook auf die dras-tisch verändernden Bedingungen im Touristikmarkt eingestellt hat undwelche Maßnahmen ergriffen wurden, um die Wettbewerbsfähigkeit vonThomas Cook langfristig zu sichern. Erste Erfolge können bereits ver-zeichnet werden: So hat sich die Zusammenarbeit zwischen den Ge-schäftsbereichen und der IT – aber auch innerhalb der europäischen IT –erheblich verbessert. Transparenz und Abstimmung wurden deutlich er-höht. Ebenso konnten die Weichen gestellt werden, um die erheblichenHerausforderungen im Reisegeschäft in den kommenden Jahren zu meis-tern.Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Beitrags befand sich das Projekt

Globe in der Phase der Finalisierung der Anbieterauswahl sowie der ab-schließenden Erstellung einer Wirtschaftlichkeitsbetrachtung zur Freigabeder nicht unerheblichen Investitionsentscheidung durch den Aufsichtsrat.Wenn diese Projekthürden genommen werden können, steht Thomas Cook

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IT als Enabler für neue Geschäftsmodelle in der Touristik 409

vor einem mehrjährigen Implementierungs- und Veränderungsprojekt. Andessen Ende werden vollkommen neue IT-Fähigkeiten bereitstehen, dieneue und innovative Geschäftsmodelle und -prozesse ermöglichen, die denveränderten Marktanforderungen gerecht werden. Die neuen Möglichkei-ten erfolgreich zu nutzen bleibt jedoch nach wie vor Aufgabe der Ge-schäftsbereiche und damit deren Kreativität überlassen.Die Herausforderung dieses Programms wird von uns keineswegs unter-

schätzt – Thomas Cook steht erst am Anfang einer spannenden Reise ineine neue Zukunft.

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Skalierbare IT-Geschäftsmodelle

Dr. Sven Lorenz, Leiter Informationssysteme Porsche AG

Einleitung

Die Automobilindustrie als tragende Säule der großen Industrienationenund zunehmend auch der asiatischen Emerging Markets sieht sich aktuellgroßen Herausforderungen gegenüber

• Verdrängungswettbewerb mit Rabattschlachten der Volumenherstellervor allem in den USA

• zunehmender Qualitätsdruck durch steigende Komplexität der Produkteund höhere gesetzliche Anforderungen

• neue Marktteilnehmer aus Asien konkurrieren auf ihren aufstrebendenHeimmärkten, zunehmend aber auch auf allen anderen Weltmärkten

Die Porsche AG, als Sportwagenhersteller ein Nischenanbieter, hat sichdiesem Druck in den letzten Jahren erfolgreich widersetzen können undsich zum deutlich profitabelsten Automobilhersteller der Welt entwickelt.Dies geht einher mit einem konstanten organischen Wachstum: aufbauendauf 911er und Boxster zunächst über die dritte Baureihe Cayenne sowiedie kürzlich angekündigte vierte Baureihe Panamera. In Stückzahlen aus-gedrückt, ist das Wachstum noch augenfälliger: von circa 19 000 Fahrzeu-gen im Geschäftsjahr 1995/96 auf mehr als 88 000 im zurückliegendenGeschäftsjahr 2004/05.Ziel der Porsche AG ist es unter anderem, dieses Wachstum mit einem

möglichst geringen Fixkostenanstieg zu realisieren. Hierzu ist ein „at-mungsfähiges“ Geschäftsmodell notwendig. Ein Beispiel für dieses Modellist die Produktion des Boxsters, der sowohl im Stammwerk Zuffenhausenals auch beim Auftragsfertiger Valmet in Finnland gebaut wird. Je nachAuslastung des Zuffenhausener Werks können Produktionsvolumina flexi-bel verlagert werden. Ablesbar sind die Effekte der Strategie zum Beispiel

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412 Dr. Sven Lorenz

an der Entwicklung der Stückzahl im Vergleich zur Mitarbeiterentwick-lung in der Porsche AG (siehe Abbildung 1).Den gleichen Anspruch erhebt Porsche an seine IT. Mit Stückzahl-

wachstum und neuen Baureihen müssen die existierenden Systeme ausge-baut werden. Die Ausgaben für die Aufrechterhaltung des laufenden Be-triebs („Run Rate“) sollen dabei aber nicht oder nur unwesentlich steigen.Daneben erfordern die notwendigen Optimierungen der Kernprozesse zumFreispielen von Kapazitäten für das Wachstum der Porsche AG verstärkteine Umgestaltung oder Neuentwicklung der prozessunterstützenden IT-Systeme. Es müssen mehr Projekte mit höherer Komplexität und steigen-der Funktionsvielfalt in immer kürzerer Zeit bewältigt werden. Folglich istder Anteil der Ausgaben für diese Veränderungen („Change Rate“) in denvergangenen Jahren spürbar angestiegen.Wie muss sich nun in dieser Situation eine IT-Organisation aufstellen,

um Wachstum abzubilden, ohne einen Fixkostenanstieg durch proportio-nales oder gar überproportionales eigenes Wachstum auszulösen? Wiemuss sie sich aufstellen, um nicht gleichzeitig durch reine Kostenfixiert-heit und Auslagerung von Kernkompetenzen ihre Innovationsfähigkeit zuverlieren?

Abb. 1. Absatz- und Mitarbeiterentwicklung 1995 bis 2004 (in Tsd.)

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

95/96 96/97 97/98 98/99 99/00 00/01 01/02 02/03 03/04 04/05

Mitarbeiter Fahrzeuge

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Skalierbare IT-Geschäftsmodelle 413

Hierauf versucht der vorliegende Artikel eine Antwort zu geben und an-hand der Entwicklung der Porsche-IT zu illustrieren. Insbesondere stelltder Artikel die dazu notwendigen Organisationsformen, Methoden undWerkzeuge vor. Die Kernthesen sind

• Wachstum ist nicht gleich Fixkostenanstieg IT• Effizienz und eine „atmende“ IT sind kein Widerspruch: zusätzlicherOverhead durch notwendige Steuerungsfunktionen kann durch Effi-zienzgewinne aufgrund einer Konzentration auf Kernkompetenzen aus-geglichen werden

• eine gut aufgestellte flexible, atmungsfähige IT-Organisation ist innova-tionsfördernd, nicht -hemmend

Ausgangssituation und Problemstellung

Organisation

Die Porsche-IT war in den 90er-Jahren klassisch aufgestellt: Die funktio-nale Aufbauorganisation der Porsche AG mit Entwicklung, Produktion,Vertrieb sowie Finanzen/Controlling/Einkauf und Personal als Quer-schnittsfunktionen spiegelte sich in einer entsprechenden, nach funktiona-len Gesichtspunkten untergliederten IT-Aufbauorganisation. Die Unter-nehmensprozesse bewegten sich weitgehend innerhalb der funktionalenBereiche. Entsprechende Strukturen waren in der IT abgebildet

• heterogene Plattformen• relativ fein zergliederte Anwendungslandschaft• kaum Unterstützung integrierter übergreifender Prozesse• organisatorische Trennung von technischer und betriebswirtschaftlicherDatenverarbeitung

• wenig übergreifendes IT-/Business-Alignment

Die Entwicklung der IT-Organisation sollte der Zielsetzung einer stärke-ren Prozessorientierung in der Organisation des Porsche-Konzerns folgen(siehe Abbildung 2): Mit der Einführung von Prozessorganisations-einheiten wie der Baureihenorganisation oder der Kunde-Kunde-Pro-zessorganisation sollte auch die IT-Organisation entlang der Unterneh-mensprozesse ausgerichtet werden.

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414 Dr. Sven Lorenz

Abb. 2. Schematische Darstellung der Ausgangs- und Zielsituation

Systemseitig hat mit diesem Übergang eine Weiterentwicklung in tech-nischer wie organisatorischer Hinsicht zu erfolgen

• integrierte Systeme mit breiterer Prozessunterstützung, Beispiel: stattfragmentierter und unterschiedlicher Auftragsabwicklungssysteme überdie Handelsstufen hinweg ein durchgängiges Auftrags-Management-System, das den gesamten Kunde-Kunde-Prozess integriert unterstützt

• durchgängige Objektmodelle und -services, Beispiel: statt zahlreicher,zum Teil datenredundanter und unterschiedlich strukturierter Kundenda-tenbanken auf den unterschiedlichen Ebenen der Vertriebsorganisation(Handel/Importeur/Zentrale) ein integriertes „Customer RelationshipManagement“(CRM)-System, mit einer zentralen Definition des Ge-schäftsobjekts „Kunde“, einer zentralen Datenbasis aller Kunden undInteressenten sowie standardisierten Servicefunktionen rund um das Ob-jekt „Kunde“, um Kundendaten zentral und einheitlich für andere Pro-zesse und Anwendungssysteme bereitzustellen

• flexible und standardisierte Infrastrukturkomponenten, Beispiel: Konso-lidierung der weltweiten Rechenzentren auf wenige Standorte (Zentraleplus Ausfallstandort) mit gleichzeitiger Virtualisierung der Ressourcen(CPUs, Speicher, Bandbreite)

• atmungsfähige IT-Organisation, Beispiel: Statt in sich geschlossener„Full Service“-Einheiten mit großer Wertschöpfungstiefe je Einzelfunk-tion im Unternehmen eine Ausrichtung der IT-Organisation entlang derIT-Wertschöpfungskette „Plan Build Run“ mit standardisierten Prozes-

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Skalierbare IT-Geschäftsmodelle 415

sen und definierten Übergängen für die Vergabe von Aufgaben an ex-terne Partner.

Partnerstrategie

Der Grundsatz der Atmungsfähigkeit, der sich letztlich aus den leidvollenErfahrungen Anfang der 90er-Jahre ableitet, als Porsche Mitarbeiter ab-bauen musste, lässt dem Thema „Make or Buy“ und damit der gewähltenPartnerstrategie eine zentrale Bedeutung zukommen.Die Partnerstrategie zu Beginn der 90er war geprägt durch hohen Kos-

tensenkungsdruck und die Notwendigkeit des Stellenabbaus. Rechenzent-rum und Datennetzbetrieb wurden outgesourct und in ein Joint Venture miteinem Outsourcing-Anbieter eingebracht. Dieser Weg stellte sich wenigspäter als Sackgasse heraus. Die Kostensenkungsziele wurden zwar er-reicht, aber die IT-Infrastruktur überalterte. Notwendige Investitionenwurden nicht getätigt, und Innovation fand nicht statt. Aufkommende Her-ausforderungen wie die Euro-Einführung und die Sicherstellung der Jahr-2000-Fähigkeit, die unter anderem durch einen Wechsel von SAP R/2 aufR/3 gemeistert werden sollten, stellten in dieser Konstellation ein Risikodar. Die gewählte Outsourcing-Strategie musste überdacht werden. DieBereitschaft, dafür auch signifikante IT-Investments zu tätigen, war Mitteder 90er-Jahre durch die verbesserte Ertragslage von Porsche gegeben.Als weitere Herausforderung neben der Modernisierung der Infrastruk-

tur stellte sich auch die Sicherung der notwendigen Kapazität und des not-wendigen Know-hows für die Migration der Anwendungslandschaft, ins-besondere der SAP-Umstellung, dar. Durch die Überhitzung des IT-Arbeitsmarkts wegen der Euro- und Jahr-2000-Thematik sowie des auf-kommenden Internet-Hypes entstand ein Risiko, keine geeigneten Res-sourcen für die anstehenden Aufgaben und für den Ausbau der internen ITzu finden. Insbesondere in den strategischen Kernthemen der IT hätte dieszu einer inakzeptablen Abhängigkeit von externen IT-Dienstleistern führenkönnen. Auch hier sollte durch eine geeignete Partnerstrategie eine Lösunggefunden werden.

Lösungsansatz

Die Zielkoordinaten zur Weiterentwicklung der IT-Organisation in deroben geschilderten Ausgangssituation waren klar gesetzt

• Zentral-Dezentral: Dem Grundsatz „So zentral wie möglich, so dezen-tral wie nötig“ folgend, sollte eine weitere Stärkung der zentralen IT er-

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416 Dr. Sven Lorenz

folgen. Die Kompaktheit der Porsche-Organisation als Ganzes erlaubtedies auch ohne großen Verlust an Kundennähe, aber mit dem Vorteil derressort- und funktionsübergreifenden Integrationsmöglichkeiten. Als ei-ne der wesentlichen Maßnahmen erfolgte die Zusammenführung dertechnischen und der betriebswirtschaftlichen IT unter zentraler Führung.Produktdaten-Management ist ein typisches Beispiel für die Integrationvon technischer und betriebswirtschaftlicher Informationsverarbeitung.Im Rahmen von Simultanous Engineering arbeiten heute Ingenieure undBetriebswirte parallel in gemischten Produktentwicklungsteams. Kon-struktion, Kalkulation und Einkauf benötigen die gleichen Produktstruk-turen, im einen Fall zum Beispiel zu geometrischen Untersuchung vonZusammenbauten (Kollisionsprüfungen, „Digital Mock-Up“, DMU), imanderen Fall zum Beispiel zur Zielkostenüberwachung dieser Zusam-menbauten oder zur Bildung von Vergabeumfängen für Zulieferer.

• Make or Buy: Die Vorgabe der Atmungsfähigkeit verbot die Wiederein-gliederung der outgesourcten Infrastruktur-Tochtergesellschaft. Ebensosollten die notwendigen Kapazitäten in Anwendungsentwicklung undAnwendungsbetreuung nicht komplett intern aufgebaut werden. Diesführte letztlich zu den zwei Kernelementen der heutigen flexiblen Por-sche-IT-Organisation.– 1996 wurde das Joint Venture zum Betrieb der IT-Infrastruktur aufge-löst, die Gesellschaftsanteile komplett vom JV-Partner zurückgekauftund die heutige PIKS (Porsche-Information-Kommunikation-ServicesGmbH) als hundertprozentige Tochter der Porsche AG weitergeführt.– Die nahe liegende Idee, auch Anwendungsentwicklung und Applica-tion Management in die PIKS zu verlagern, stellte sich als undurchführ-bar heraus. 1999 erfolgte daher die Beteiligung an dem SAP-Beratungshaus MHP (Mieschke, Hofmann & Partner) zunächst mit 49Prozent, heute ausgebaut auf 74,8 Prozent. Dies sicherte einerseits zu-sätzlich Kapazitäten und zusätzliches Know-how für die SAP-Migrationund stellte andererseits in der Folge die verlängerte Werkbank für dieinterne IT entlang der gesamten IT-Wertschöpfungskette sicher, von derProzessberatung über die Anwendungsentwicklung bis zum ApplicationManagement.

Die interne IT folgte konsequent dieser neuen Ausrichtung. Mit der zu-nehmenden Vergabe von Software-Entwicklung, Wartung und Supportsowie Infrastrukturservices an die beiden IT-Tochtergesellschaften oderweitere Partner erfolgte eine Fokussierung auf Planungs-, Überwachungs-und Steuerungsaufgaben. Schematisch lässt sich dieser Wandel im IT-Geschäftsmodell von Porsche wie in Abbildung 3 darstellen.

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Skalierbare IT-Geschäftsmodelle 417

Diese Umgestaltung des IT-Geschäftsmodells ging mit einer Standardi-sierung der IT-Prozesse sowohl im Projektgeschäft (Einführung des Por-sche-Vorgehensmodells für IT-Projekte in Anlehnung an das V-Modell)als auch im IT-Betrieb (Einführung von IT-Service-Management nachITIL) einher. Ein wesentliches Element in diesem Umgestaltungsprozessadressiert die Themen „IT-Governance“ und „IT-/Business-Alignment“.2001 wurde durch Gründung eines mit hochrangigen Fachbereichs- undIT-Vertretern besetzten IT-/Business-Integration-Boards die Vorausset-zung für ein verbessertes IT-/Business-Alignment und eine geschäftsziel-orientierte IT-Governance geschaffen. Grundprinzip ist eine Trennung derIT-Nachfrage- („Fachbereiche“) und IT-Angebotseite („IT-Bereich“).

• Das Gremium entscheidet über die Budgetallokation aus Business-Sichtund steuert unterjährig das Portfolio. Die Stimmenmehrheit liegt aufFachbereichseite. Dadurch ist sichergestellt, dass Business-Ziele undnicht IT-Ziele bei der Budgetallokation im Vordergrund stehen.

• Die IT hat im Wesentlichen eine beratende Rolle, zeigt Chancen und Ri-siken, sowie technische Möglichkeiten und Notwendigkeiten auf. Fernerist sie umsetzungsverantwortlich und berichtet gegenüber dem Gremiumüber den Abarbeitungsstatus des Portfolios.

Abb. 3. Übergang der internen IT als Komplettdienstleister mit hoher Wertschöp-fungstiefe zum internen IT-Management-DL mit flexibler Vergabe an die eigenenIT-Tochtergesellschaften

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418 Dr. Sven Lorenz

Dadurch dass die Nachfrageseite eigenverantwortlich über Struktur undSchwerpunkte des IT-Portfolios entscheidet – letztlich den Budgeteinsatzkontrolliert –, ist die Einbindung der Fachbereiche in IT-Vorhaben und dieAkzeptanz von IT-Vorhaben durch die Fachbereiche signifikant gestiegen.Die Zusammenarbeit zwischen Fachbereich und IT hat sich durch dieseMaßnahmen deutlich verbessert.

Beispiele für Effektivität und Effizienz desLösungsansatzes

Mit dem zunehmenden wirtschaftlichen Erfolg und dem Wachstum derPorsche AG stiegen die Herausforderungen an die IT sowohl in quantitati-ver als auch in qualitativer Hinsicht.Allein zwischen 2000 und 2004 stieg das jährlich durch die IT abzu-wickelnde Projektvolumen um fast 300 Prozent. Gleichzeitig wuchs die in-terne IT-Organisation um gerade einmal 3 Prozent. Dies ließ sich natürlichnur durch massive Ausnutzung des „atmungsfähigen“ Geschäftsmodells,insbesondere der Nutzung von MHP als verlängerte Werkbank der inter-nen IT, umsetzen. Da MHP ein signifikantes Geschäftsvolumen außerhalbdes Porsche-Konzerns hat, kann hier eine Kapazitätsnivellierung wesent-lich besser dargestellt werden, als das mit einer rein internen IT möglichwäre. Gleichzeitig verbleibt kritisches Know-how im Porsche-Konzern.

Abb. 4. Anstieg der Mitarbeiter der zentralen IT und Entwicklung der Ausgabenfür IT-Projekte (indexiert, 2000/01 = 100)

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2000/01 2001/02 2002/03 2003/04 2004/05

IT-Ausgaben Projekte IT-Mitarbeiter

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Skalierbare IT-Geschäftsmodelle 419

Die erfolgreiche Umsetzung der Vorhaben, die hinter diesem enormenAnstieg der „Change“-Investitionen stehen, beweist auch, dass die Innova-tionsfähigkeit bei einem atmungsfähigen Geschäftsmodell nicht verlorengehen muss, solange die Strategie, Planung und Steuerung intern wahrge-nommen werden und durch ein adäquates IT-/Business-Alignment dieAusrichtung der IT an den Unternehmenszielen sichergestellt wird. Im Fal-le von Porsche hat es gerade dieses flexible Geschäftsmodell erst erlaubt,in kurzer Zeit IT-Großprojekte in den Bereichen Product Lifecycle Ma-nagement (PLM), Supply Chain Management (SCM) und Customer Rela-tionship Management (CRM) zu starten und erfolgreich umzusetzen. Bei-spiele sind die komplett bis zur automatisierten Händlerbevorratung integ-rierte Supply Chain im Ersatzteilwesen, das integrierte Auftrags- und Res-sourcen-Management im Kunde-Kunde-Prozess oder die Integration zahl-reicher Kundendaten-Management- und Marketing-Unterstützungssystemein ein integriertes CRM-System.Natürlich sind die IT-Ausgaben durch die Häufung der Großprojekte

absolut gesehen angestiegen. Betrachtet man dagegen allein das Segment„Run“, zeigt sich, dass das Porsche-IT-Geschäftsmodell auch unter Effi-zienzgesichtspunkten erfolgreich agieren kann.

• Leistungsbereinigt sind die internen Verrechnungspreise (zum BeispielEuro je Host-Transaktion, Euro je CAD-h etc.) für Infrastrukturservicesin den vergangenen Jahren im Schnitt um jährlich zehn Prozent gesenktworden.

Abb. 5. Entwicklung der internen Verrechnungspreise (IVP) für die IT-Infrastruktur (2002/03 = 100, leistungsbereinigt)

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420 Dr. Sven Lorenz

• Setzt man die IT-Betriebsausgaben in Relation zur Anzahl der abgesetz-ten Fahrzeuge, kann man die Effizienzsteigerung sogar noch deutlicherablesen. Die IT-Betriebsausgaben je Fahrzeug sanken von 2001 bis2005 um insgesamt 30 Prozent.

Abb. 6. Fahrzeugabsatzentwicklung im Vergleich zur Entwicklung der IT-Be-triebsausgaben (indexiert, 2000/01 = 100)

Ein Grund für den effizienten Infrastrukturbetrieb wurde in einerBenchmark-Untersuchung des SAP-Betriebs aus dem Jahr 2004 deutlich.Die PIKS als hundertprozentige Konzerntochter agiert nah am Kernge-schäft, ist in Projekten und im Anwendungsbetrieb eng eingebunden undkann daher wesentlich höhere Auslastungsniveaus der Infrastruktur ver-kraften, die bei externen Outsourcing-Anbietern aufgrund ihrer standardi-sierten Prozesse und Regelungen nicht akzeptiert würden und dort zwangs-läufig höhere Betriebskosten mit sich bringen.Neben messbaren Verbesserungen hat das Porsche-IT-Geschäftsmodell

weitere qualitative Vorteile

• Leistungstransparenz: Durch die Beauftragung eigenständiger Tochter-gesellschaften entstehen klare Auftragnehmer-Auftraggeber-Beziehun-gen mit der Folge einer hohen Leistungs- und Kostentransparenz. Diewesentlichen Leistungen sind durch klare Service Level Agreements ge-regelt, Projekte erfahren eine formale Abnahme, Aufträge auf der Basisvon Zeit und Material werden exakt über Tätigkeitsnachweise abge-rechnet etc.

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200

2000/01 2001/02 2002/03 2003/04 2004/05

Fahrzeugabsatz Ausgaben IT-Betrieb

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Skalierbare IT-Geschäftsmodelle 421

• Preistransparenz: Es bestehen Rahmendienstleistungsverträge mitBenchmark-fähigen Preisen für Basisdienstleistungen. Die Preislistenfür Infrastrukturleistungen werden jährlich überarbeitet, um Rationali-sierungspotenziale kontinuierlich heben zu können.

• Wettbewerb/Vergleichbarkeit: Leistungen von MHP im Bereich An-wendungsentwicklung und -betrieb stehen voll im Wettbewerb. Es gibtkeinen Kontrahierungszwang, sodass ein hohes Maß an Vergleichbar-keit gegeben ist.

• Geringe Abstimmungsprobleme: Durch die enge Einbindung in den Por-sche-Konzern und – in der Folge – die hohe Porsche-spezifische Aus-richtung der beiden externen Hauptdienstleister lassen sich Abstim-mungsprobleme vermeiden und die üblichen Reibungsverluste zwischeninterner IT und externen Anbietern verringern. Eine Kongruenz der Zie-le ist über einen abgestimmten Zielvereinbarungsprozess für die IT-Leitung und die Geschäftsführungen der Tochtergesellschaften sicher-gestellt.

Zusammenfassung

Die Aufgabe, ein ohne Fixkostenanstieg skalierbares, aber gleichzeitig ef-fizient und effektiv arbeitendes IT-Geschäftsmodell zu kreieren, das nichtinnovationshemmend, sondern -fördernd ist, löste die Porsche AG durcheine duale, selektive Partnerstrategie.

• Kernaufgaben des Informations-Managements (IT-Strategie, Portfolio-planung, Projekt-Management, IT- und Prozessberatung der Fachberei-che, IT-Architekturen, Integrations-Management und Service-Manage-ment) werden durch die interne IT wahrgenommen.

• Die Mehrheitsbeteiligung MHP als führender Prozess- und IT-Berater inder deutschen Automobilindustrie agiert als verlängerte Werkbank derinternen IT, insbesondere im Application Management und der Anwen-dungsentwicklung sowie in der Prozess- und Anwendungsberatung.

• Die hundertprozentige Tochter PIKS stellt Infrastrukturservices für denPorsche-Konzern bereit, ist damit auf das Porsche-Kerngeschäft zuge-schnitten und gleichzeitig transparent und messbar.

Der flexible Zugang zu quasi internen Ressourcen erlaubt eine hohe„Change Rate“ und damit einen hohen Innovationsgrad.Zur Vermeidung einer Versorgungsmentalität durch den Mutterkonzern

findet insbesondere zusammen mit der PIKS eine regelmäßige Optimie-rung des IT-Betriebs statt.

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422 Dr. Sven Lorenz

Die Führung als echtes Profitcenter mit signifikantem Drittgeschäft undohne Kontrahierungszwang für die Muttergesellschaft – wie im Falle derMHP – sorgt hier bereits von vornherein für Optimierungsdruck, von demdie Porsche AG und MHP gleichermaßen profitieren.

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Innovative IT-Steuerung und -Management

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Aktivitätenbasiertes IT-Controlling alsFührungsinstrument

Uwe Herold, CIO Brose Fahrzeugtechnik GmbH & Co. KG

Die Voraussetzung: weltweite Transparenz der IT-Kosten

Der heutige CIO ist vom Gestalter und Betreiber der IT-Infrastruktur zumBusiness-Partner gereift und sieht sich als Konsequenz im besonderen Ma-ße neuen Herausforderungen der Fachbereichsseite ausgesetzt: Die mitt-lerweile IT-kundigen internen Kunden fordern zum einen natürlich weiter-hin einen hochverfügbaren Betrieb der bestehenden IT-Systeme, zum an-deren aber auch eine aktive Mitgestaltung der Geschäftsprozesse. Weiter-hin existiert die berechtigte Erwartung, dass die gesamte Leistungserbrin-gung möglichst effizient erfolgt. Das gilt es zu gewährleisten und nachzu-weisen.Der Automobilzulieferer Brose fokussiert sich auf wenige Funktionen

im Automobil, auf Sitze und Türen. Die Produkte unterscheiden sich vonKunde zu Kunde und von Region zu Region nicht grundsätzlich. ÄhnlicheProdukte werden weltweit gleichartig produziert und erlauben weltweitvereinheitlichte Abläufe. Die Etablierung von Standardprozessen undstandardisierten IT-Systemen bedingen sich wechselseitig. Mittels IT im-plementierte Geschäftsprozesse lassen sich einfacher durchsetzen undnachhaltiger aufrechterhalten als rein organisatorisch vorgegebene Abläu-fe. Allerdings bleibt das nur bezahlbar, wenn die Anzahl und Varianz derGeschäftsprozesse und der IT-Systeme überschaubar gehalten werden.Das Ziel lautet Rationalisierung von Geschäftsprozessen. Das Mittel ist

Prozessintegration in Standard-Software-Systemen. Die Rahmenbedingun-gen sind Komplexitäts- und Kostenreduzierung durch eine konsolidierteProzess- und Systemlandschaft.Daraus ergeben sich die Fragen: Wie kann erreicht werden, dass es

weltweit nur IT-Aktivitäten geben kann, die diesem Ziel dienen und die

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diesen Rahmenbedingungen folgen? Wie muss die IT-Organisation in ei-nem internationalen Unternehmen geführt werden, um das durchzusetzen?Eines der dazu wirksam einsetzbaren Führungsinstrumente ist die ziel-

konforme Budgetsteuerung. Sie erfordert die Transparenz der IT-Kosten,zuerst im Plan, später auch im Ist.

Das Konzept: IT-Aktivität als Berichtseinheit

Was sind IT-Aktivitäten? Warum wurde bei Brose dieser Begriff einge-führt?Die IT erbringt Leistungen gegenüber ihrem Kunden. IT-Services sind

zum Beispiel die Bereitstellung von PC- oder CAD-Arbeitsplätzen, vonNetzwerkdiensten sowie von vielfältigen Software-Anwendungen. Hinzukommen Schulungs- und Beratungsleistungen.Zur Erbringung, Entwicklung oder Änderung der IT-Services werden

Ressourcen benötigt, wird das IT-Budget verbraucht. Üblicherweise erfol-gen die Budgetplanung und das Controlling über die Kostenrechnung. Siegibt zwar allerlei Auskunft, zum Beispiel wo Kosten entstehen – nämlichin Kostenstellen – welche Kosten anfallen und für welche Kostenarten, et-wa für Beratung oder Personal, aber nicht, warum sie entstehen. Insbeson-dere dann, wenn Aktivitäten über rechtliche Einheiten und Ländergrenzenhinweggehen, kann die Kostenrechung die Zusammenhänge nicht mehraufzeigen.Die Frage, warum Geld eingeplant wird, ist aber die entscheidende Fra-

ge.Das Warum beantwortet die IT-Aktivität. Sie ist die Brücke über Portfo-

lio-, Projekt- und Kostenplanung.Ein Beispiel macht es deutlicher: Nehmen wir an, es gilt, eine weltweite

Archivierungslösung einzuführen. Dazu soll Mitte nächsten Jahres ein Pro-jekt gestartet werden. Dieses Projekt wird mit unterschiedlichen Ressour-cen ausgestattet: Es muss in Europa, in Nordamerika und in Asien in dendortigen Rechenzentren Hardware installiert werden. Es müssen die Mitar-beiter der zentralen Software-Entwicklung Schnittstellen programmieren.Netzwerkverbindungen müssen neu dimensioniert werden und vieles ande-re mehr. Kurzum, verschiedene Kostenstellen, noch dazu in unterschiedli-chen rechtlichen Einheiten, werden für das Projekt Budget bereitstellenmüssen. Dazu ist es hilfreich, dieses Budget in diesen Kostenstellen imRahmen der Kostenstellenplanung einzustellen, es dann aber auch genaufür die Aktivität „Archivierungslösung“ verbindlich zu reservieren. Sonstwird der künftige Projektleiter „Archivierungslösung“ Mitte nächsten Jah-

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res verärgert feststellen, dass der Leiter IT Nordamerika sein Budget fürganz andere Dinge verwenden will und deshalb keine Ressourcen für dasProjekt bereitstellt.Was unterscheidet nun eine Aktivität von einem Projekt?Ein Projekt sammelt Kosten, prüft diese gegen das Projektbudget und

wird zum Beispiel auf Kostenstellen abgerechnet. Für Projekte werden vonPlanungsperioden abweichende Start- und Endtermine festgelegt, Ziele be-schrieben – in Arbeitspaketen zu Meilensteinen, deren Erreichung voraus-gedacht wird; es werden Risiken bewertet und Ressourcen zugeordnet. Daserfolgt sinnvollerweise zeitnah zum Projektstart. Projekte dienen dem ope-rativen Management, nicht der periodischen Budgetplanung.Eine Aktivität beschreibt die Absicht, in einer künftigen Planungs-

periode einen gewünschten Nutzen oder eine beabsichtigte Wirkung miteinem bestimmten Budget zu erzielen. Eine Aktivität ist ein Projektvorha-ben, aber auch die Bündelung und Zuordnung von Leistungsarten zu IT-Services. Der zentralen Software-Entwicklung ist es relativ gleichgültig obsie 200 Manntage der Leistungsart Java-Programmierung für Änderungenan bestehenden Materialwirtschaftsprogrammen einplant oder für das Ar-chivierungsprojekt. Wichtig ist es aber bei der Planungsentscheidung prooder kontra Archivierungslösung, dass damit ein Mannjahr in der Soft-ware-Entwicklungsabteilung gebunden wird.An der Aktivität hängen – wie an Gummibändern – die geplanten Bud-

gets über alle rechtliche Einheiten und Kostenstellen hinweg. Zieht man imRahmen der Planungsentscheidung eine Aktivität aus dem Portfolio her-aus, dann wird sichtbar, welches Budget in welchem Unternehmsteil mit-gezogen wird. Im Umkehrschluss kann der CIO in den allerorts beliebtenBudgetkürzungsrunden leichter belegen, welche Aktivitäten entfallen müs-sen, wenn in einem Unternehmensteil Personal, Investitionen oder Sach-kosten gestrichen werden. Die Zusammenhänge werden klar.Für Aktivitäten werden die Leistungen, ihre Erbringer und die Investiti-

onsgegenstände sowie deren Aktivierungsort eingeplant. Es gilt festzule-gen, aus welcher Kostenstelle wie viel welcher Kostenart (Beratung, Per-sonal etc.) in welchem Jahr pro Aktivität eingeplant werden muss. Zudemist es für die Priorisierung hilfreich, den erwarteten Nutzen der Aktivitätzuzuordnen. Das Ergebnis ist:

1. Das gesamte IT-Budget wird konkreten, beschriebenen Aktivitätenzugeordnet, für die die Nutzenerwartung der Auftraggeber und dieKostenerwartung der Leistungserbringer dokumentiert sind.

2. Die IT-Verantwortlichen stimmen die Leistungen für die Aktivitätenselbstständig ab und dokumentieren das.

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3. Es entsteht Transparenz, welcher Teil der IT-Organisation zu welcherdieser Aktivitäten welche Leistung verbindlich einplant. Bei Brosekann dies jeder IT-Mitarbeiter einsehen.

4. Die Sachkosten-, die Investitions- und Personalplanung leitet sichvollständig und nur aus den abgestimmten Aktivitäten ab. Die Pla-nung erfolgt gegen feste Zielwerte pro Kostenstelle, die im Dialogmit dem CIO im Planungsprozess justiert werden.

5. Die Schritte 1 bis 4 erfolgen rollierend im Plan/Ist-Abgleich mindes-tens für jede Quartalsvorschau.

Der Planungsprozess: Definition der richtigen Ziele

Auf den ersten Blick kann die aktivitätenbasierte Planung als Zusatzauf-wand erscheinen. Bei genauer Betrachtung und aus den praktischen Erfah-rungen zeigt es sich, dass dieser formale Mehraufwand durch eine syste-matische Kommunikation bei Weitem überkompensiert wird.Die jährliche Planung ist ein wesentlicher Teil des Zielfindungsprozes-

ses. Top Down entsteht das Portfolio der IT aus der Bündelung von Anfor-derungen der IT-Kunden sowie aus den Infrastrukturvorhaben. Das Portfo-lio wird in Aktivitäten aufgebrochen und in die aktivitätenbasierte Pla-nung, bei Brose in das so genannte Business Activity Planning System(BAPS), eingestellt. Das BAPS ist ein auf SAP Netweaver und SAP Busi-ness Warehouse gestütztes, weltweit verfügbares Planungs- und Berichts-werkzeug. In diesem ersten Schritt werden alle angeforderten Aktivitätenin einem Planungshorizont von maximal fünf Jahren allen Budgetverant-wortlichen sichtbar gemacht. Diese Aktivitäten besitzen bereits eine ausder Portfoliobewertung abgeleiteten Priorisierung und einen Eigner. Dasist bei Brose die IT-Führungskraft, die den zugehörigen IT-Service er-bringt. Die Aktivität „SAP-Logistik-Rollout“ für ein Werk in Asien würdezum Beispiel vom Leiter Logistikanwendung eingestellt, weil er später fürden laufenden Betrieb dieser Logistikanwendungen verantwortlich seinwird.Im gleichen System wird durch das IT-Controlling des CIOs pro Kos-

tenstelle und pro Kostenartengruppe (Personal, Sachkosten, kalkulatori-sche Kosten) ein Zielwert vorgegeben, der eine harte Kostengrenze dar-stellt. In diesem Schritt wird das aus der Unternehmenszielplanung kom-mende IT-Zielbudget in die IT-Zielplanung pro IT-Organisationseinheitüberführt.

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Abb. 1. Aktivitätenbasierter Planungsablauf

Der Eigner der Aktivität plant im nächsten Schritt die wesentlichenLeistungsarten und Investitionspositionen für die Umsetzung seiner Akti-vität. Bleiben wir bei dem Beispiel SAP-Logistik-Rollout: Der Leiter Lo-gistikanwendungen ordnet seiner Aktivität zum Beispiel die LeistungsartenMaterial-Management-Beratung, Produktionsplanungsberatung und SAP-Programmierung mit einer bestimmten Menge an Kapazität zu, aber auchdie notwendigen Investitionen, etwa Speichererweiterung im Rechenzen-trum, lokale Hardware im asiatischen Werk. Die Leistungsarten findet erim BAPS im Leistungskatalog der Kostenstelle, die die Leistung erbringt.Den Investitionspositionen ordnet er anhand des künftigen Einsatzorts dieKostenstelle zu, in der die Investition später aktiviert wird. Durch diesenSchritt meldet er bei den Kostenstellen, die die Leistungen bereitstellenoder die Investitionen tätigen sollen, seinen Bedarf an. Die jeweiligen Kos-

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tenstellenverantwortlichen sehen in ihrem Bedarfseingang alle auf sie zie-lenden Anforderungen mit Bezug zur Aktivität. Sie disponieren diese Be-darfspositionen und bestätigen diese damit verbindlich. Mit der Dispositi-on entstehen Plankapazitäten und Plankosten auf ihrer Kostenstelle, diegegen ihr Zielbudget laufen.Dabei handelt es sich um einen iterativen Vorgang; bei Brose ist dies

der Hauptabstimmungsprozess zwischen den IT-Verantwortlichen welt-weit. Es werden intensiv und nachvollziehbar Vorhaben, Leistungen undtechnologische Möglichkeiten diskutiert und Zielvorgaben realistisch ver-einbart.Das Ergebnis sind Aktivitäten, für die die benötigten Ressourcen ver-

bindlich in der untergelagerten Kostenstellenplanung eingestellt und reser-viert sind. Automatisch ableitbar entstehen die Sachkosten- die Investiti-ons- und die Personalkostenbudgets.Das bei Weitem noch wichtigere Ergebnis ist das hohe Maß an Verbind-

lichkeit einer global agierenden Organisation für gemeinsame und inein-ander verzahnte Ziele.

Die Umsetzung: damit aus Planung Realität wird

Jeder Segler oder Pilot weiß, dass er ohne aktive Gegensteuerung von derStrömung oder dem Wind abgetrieben wird. Er bestimmt regelmäßig seinePosition und korrigiert den Kurs, weil er sonst niemals am Ziel ankommenwird. Damit die Planung weiter die Richtung vorgibt, sollte sie regelmäßigüberprüft und angepasst werden.Diese Positionsbestimmung und Kurskorrektur läuft wie folgt ab:Wie bereits erwähnt, sind Aktivitäten noch keine Projekte, sondern für

Projekte reservierte Budgets. Bei der Projektbeantragung werden diese Re-servierungen abgerufen. Pro Aktivität wird sichtbar, welche Budgetanteilebereits Projekten zugeordnet sind. Projekte können nicht ohne Angabe derzugehörigen Aktivität beantragt werden. Sie können auch nicht mehr Pro-jektbudget erhalten, als für die Aktivität reserviert ist. Für ein ungeplantesProjekt oder für ungeplante IT-Services, zum Beispiel mehr Materialwirt-schafts-Support, müssen deshalb entweder erst zusätzlich Aktivitäten an-gelegt werden, oder das Budget bestehender Aktivitäten muss erhöht wer-den.Dieser Zwangsablauf führt spätestens bei Budgetabruf durch Projektbe-

antragungen zur Anpassung der Planung im Business Activity PlanningSystem (BAPS).

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Jedes Quartal werden die Aktivitäten insgesamt überprüft und ange-passt. Nach dieser Anpassung wird automatisch eine Vorschau für dieKostenstellenrechnung und Investitionsplanung erstellt und mit der Ur-sprungsplanung verglichen. Falls erforderlich, werden Zielwerte verändert.Dem nachfolgenden Schaubild (Abbildung 2) kann der Zusammenhang

zwischen Portfolio-Management, Business Activity Planning und Projekt-Management entnommen werden.

Abb. 2. Integration von Portfolio-Management, Business Activity Planning undProjekt-Management

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Das Ergebnis: ein wirksames Führungsinstrument für globaleServiceorganisationen

Steigerung des Dienstleistungsbewusstseins

Die aktivitätenbasierte Planung basiert auf der quantitativen Zuordnungvon Leistungsarten zu Aktivitäten. Bei dem erwähnten SAP-Logistik-Rollout wurden Material-Management-Beratung und Produktionspla-nungsberatung/Customizing sowie Software-Entwicklung geordert.Voraussetzung dafür ist ein Leistungsartenkatalog der anbietenden Kos-

tenstellen. Das führt zwangsläufig zur Frage nach dem Leistungsbeitrageinzelner Organisationseinheiten: „Herr IT-Kostenstellenverantwortlicher,welche Leistungen und Produkte liefern Sie aus? Wie sind diese beschrie-ben? Welche Kunden haben Sie?“Diese Fragen schärfen erheblich das Dienstleistungsbewusstsein. Die

Antworten, insbesondere die fehlenden, können zur Reorganisation ganzerIT-Bereiche führen, sofern sich herausstellt, dass eine klare Verantwortungfür konkrete Produkte und Leistungen in der bestehenden Organisationnicht erreichbar ist.

Bedarfsgerechtere, ambitionierte Ressourcenzuordnung

In jeder Organisation stellt sich die Frage, ob die Mitarbeiterkapazitätenrichtig zugeordnet sind. Das Problem dabei ist es, dass „richtig“ immer nurfür eine zeitlich begrenzte Periode richtig ist. Bei Organisationen mit rela-tiv hohem Anteil am Projektgeschäft, und dieser sollte bei innovativen IT-Organisationen mehr als 30 Prozent betragen, lässt sich die Ressourcen-planung nur bedingt aus der Vergangenheit ableiten. Nutzt man die aktivi-tätenbasierte Planung, vereinfacht sich die Kapazitätszuordnung erheblich.Die aufkommende Frage an den zuständigen Leiter lautet: Sind Ihre Res-sourcen für konkrete Aktivitäten reserviert, oder können Sie Personal ab-treten? Dabei geht es vor allem um die Ressourcen, die nicht in Projektengebunden sind, sondern für den laufenden Betrieb reserviert wurden. Es istimmer wieder erstaunlich, wie für interessante Projekte Ressourcen ausden Support-Bereichen wie Phönix aus der Asche steigen und dahin wie-der verschwinden, wenn Projekte uninteressant werden oder auslaufen.Dagegen hilft für die Support-Leistungsarten, die Ressourcen konkret zuplanen, zu überwachen und jedes Jahr um einige Prozent relativ zu einerLeistungskennzahl zu reduzieren.

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Erhöhung der Verbindlichkeit

Der zeitintensivste Teil der aktivitätenbasierten Planung ist die Abstim-mung der Leistungsbeiträge der jeweiligen Organisationseinheiten. Unddas ist gut so. Planung ist die gedankliche Vorwegnahme der Zukunft. Esist nützlich, dabei zu überprüfen, ob die gewollten Vorhaben mit den zuge-standenen Mitteln überhaupt erreichbar sind. Als Konsequenz wird demFachbereich, dem Kunden der IT, nicht mehr das Blaue von Himmel ver-sprochen. Die IT wird glaubwürdiger. Die Zielsetzungen und Leistungs-zusagen innerhalb der IT-Organisation werden sehr konkret, nachvollzieh-bar und verbindlich.

Selbstreinigung durch Transparenz

Bei Brose wird die aktivitätenbasierte Planung als ein wesentliches Kom-munikationsinstrument eingesetzt. Jeder IT-Mitarbeiter weltweit kann allegeplanten Aktivitäten mit allen Leistungsbeiträgen jederzeit einsehen. Spä-testens bei Steigerung der Zielanspannung entstehen Fragen. Hier natürlichnur ein fiktives Beispiel: Der IT-Gruppenleiter aus Brasilien fragt danndoch den Kollegen aus Detroit, wieso dieser seinen Anwendern vom ge-meinsamen IT-Budget so viele Highend-Laptops gönnt. Die Nachfragenwirken selbstreinigend – meist wirkt bereits das Wissen, dass fachkundigeKollegen nachfragen könnten.

Ein Führungssystem im Angebot

In den letzten Jahren haben IT-Organisationen nicht zuletzt durch die an-haltende Kostendiskussion ihre Strukturen gestrafft und sich als Service-erbringer professionalisiert. Die Konsolidierung führte zu regionaler oderglobaler Zentralisierungen. Dabei haben CIOs Organisationen zu führen,die global in Echtzeit operativ feinreguliert zusammenarbeiten müssen wieein Uhrwerk. Die IT wurde mit dieser Herausforderung früher konfrontiertals viele andere Servicefunktionen im Unternehmen und hat deswegen dieMittel entwickelt, um mit dieser Aufgabe erfolgreich fertig zu werden. Dieanderen Funktionen folgen, und die IT kann nun erprobte Werkzeuge,Technik, aber vor allem Methoden bereitstellen.Mit dieser zunehmenden Etablierung von „Shared Service“-Centern in

Unternehmen wird die Bedarfs- und Leistungsabstimmung immer bedeut-samer. Genau dazu dient die aktivitätenbasierte Planung mit zugehörigerLeistungsdisposition. Aus diesem Grund fiel bei Brose die Entscheidung,dieses in der IT erprobte Planungsverfahren auf alle Dienstleistungsberei-che des Unternehmens schrittweise auszudehnen.

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Die IT entwickelt und pilotiert ein Führungssystem für global agierendeShared Service Center – IT-Innovation einmal ganz anders.

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Innovative IT-Steuerung

Chittur Ramakrishnan, CIO RWE-KonzernMichael Semrau, Abteilungsleiter IT Strategy & IT Controlling RWE AG

RWE – ein Konzern im Wandel

RWE ist ein Unternehmen mit einer langen Historie. Bereits 1898 wurdeRWE als Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk Aktiengesellschaftgegründet. Der Fokus des Unternehmens lag jahrzehntelang auf der Ver-sorgung seiner Kunden mit Strom. Trotz dieser langen Geschichte ist RWEheute – genau wie 1898 – ein junges Unternehmen, denn innerhalb derletzten fünf Jahre veränderte sich die Struktur von RWE grundlegend. Be-ginnend mit der Fusion mit VEW im Jahr 2000 über den Einstieg in das in-ternationale Strom- und Wassergeschäft, wuchs RWE zu einem weltweittätigen Konzern, der 2004 mit 98 000 Mitarbeitern einen Umsatz von 42Milliarden Euro erwirtschaftete.Heute konzentriert sich RWE auf die Geschäftsfelder Strom und Gas in

den Kernmärkten Deutschland, Großbritannien sowie Mittel- und Osteuro-pa. Zur Strategie von RWE gehört es, in allen relevanten Märkten eineFührungsposition einzunehmen. Die erfolgreiche Geschäftspolitik der letz-ten Jahre hat dafür gesorgt, dass RWE zu den Schwergewichten im DAXgehört und seinen Aktionären eine hohe Dividendenrendite bieten kann.Natürlich hat diese Entwicklung nicht unerhebliche Anforderungen an

die Informationstechnologie des Konzerns mit sich gebracht. Immer neueAkquisitionen mussten integriert und insbesondere in die bestehende An-wendungslandschaft eingebunden werden.Doch nicht nur die Veränderungen der strategischen Geschäftsfelder o-

der die internationale Ausweitung in diesen Geschäftsbereichen führten zuVeränderungen für die benötigte Informationstechnologie. Im deutschenMarkt änderten sich gleichzeitig die Regeln des angestammten Geschäftsmit Strom und Gas grundlegend. Die zur Förderung des Wettbewerbsstaatlich vorgegebene neue Aufteilung der bis dato integrierten Wertschöp-

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fungsketten im Strom- und Gasgeschäft in regulierte und nicht regulierteBereiche führte zu weiteren deutlichen Veränderungen in der Informati-onstechnologie des Unternehmens. Dies galt jedoch nicht nur für RWE,sondern für alle Unternehmen, die bislang die verschiedenen Liefer- undLeistungsprozesse integriert hatten.Erstmalig in der Geschichte von RWE mussten beispielsweise bislang

verschmolzene Unternehmensteile aufgetrennt und in eigenständige juristi-sche Einheiten überführt werden. Diese unterschiedlichen juristischen Ein-heiten waren auf der Ebene der IT-Systeme sinnvoll zu trennen und diesich aus der Trennung ergebenden neuen Geschäftsprozesse abzubilden.Auf der Ebene des Konzerns wurde für die Neustrukturierung auf Be-schluss des Vorstands das Projekt „Akropolis“ aufgesetzt, welches fürRWE die neue Organisationsstruktur mit sechs Führungsgesellschaften mitdem Ziel vorgab, die Ertragskraft des RWE-Konzerns weiter zu steigern.In der Folge dieses Projekts startete dann eine Vielzahl von IT-Projektenzur Abbildung dieses tief greifenden Wandels in der Informationstechno-logie.

Abb. 1. RWE-Kundenportfolio weltweit 2004

Eine wesentliche Entwicklung in diesem Zeitraum war die Reorga-nisation der CIO-Funktion im RWE-Konzern. War diese Funktion langeZeit organisatorisch und personell (inklusive der Person des CIOs selbst)

Wasser1)

Gas

Strom

70

21

10

Gesamt: 101 Millionen versorgte Einwohner

1) Einschließlich Minderheitsbeteiligungen >= 20%Stand: 31.12.2004

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Innovative IT-Steuerung 437

mit dem größten IT-Dienstleister des Konzerns, der RWE Systems, ver-knüpft, so erfolgte Anfang 2004 die vollständige Trennung der CIO- undder IT-Dienstleistungsfunktion. Die CIO-Funktion wurde als Governance-Funktion in die Holding des Konzerns, das Group Center, integriert und inder Konzernstruktur durch die IT-Governance-Funktionen in den Füh-rungsgesellschaften („Informations-Management“) komplettiert. Der Kon-zern-CIO berichtet seitdem direkt an den CEO des Konzerns.Für die neu gebildete CIO-Funktion können damit zusammenfassend

vier wesentliche Aufgabenstellungen genannt werden

• die neuen Unternehmensstrukturen und die daraus resultierenden neuenGeschäftsprozesse in IT abzubilden

• die Internationalisierung IT-technisch umzusetzen• zum Ertrag des Konzerns durch eine gesteigerte Kosteneffizienz in derIT beizutragen

• eine effektive und effiziente IT-Steuerung für die IT im Konzern zu eta-blieren

„Closing the Loop“ – Aufbau einer globalen IT-Steuerung

Dieses Kapitel beschreibt die wesentlichen Elemente des aufgrund der ge-schilderten Anforderungen etablierten IT-Steuerungsmodells. Dabei botdie Reorganisation der CIO-Funktion die Chance, die bestehenden Steue-rungsprozesse zu überprüfen und gegebenenfalls zu ergänzen oder sogarzu ersetzen. Die im Folgenden vorgestellten Prozesse bilden eine logischeKette von ineinander greifenden Elementen.Nicht verschwiegen werden soll aber an dieser Stelle, dass die einzelnen

Steuerungsprozesse nicht in dieser logischen Reihenfolge etabliert wurden,sondern sich die Reihenfolge der Implementierung in den letzten zwei Jah-ren vor allem durch die Dringlichkeit des jeweiligen Prozesses ergab.So war beispielsweise angesichts der dargestellten Herausforderungen

zunächst die notwendige Transparenz in der IT herzustellen. Daraus folgt,dass zunächst der IT-Controlling-Prozess umgesetzt wurde, der zur Reali-sierung einer detaillierten IT-Planung befähigte.Die Steuerung der IT durch die CIO-Funktion erfolgt entlang der Pro-

zesse

• IT-Strategieprozess• IT-Controlling-Prozess• IT-Review-Prozess

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438 Chittur Ramakrishnan, Michael Semrau

Abb. 2. IT-Steuerungsprozesse im RWE-Konzern

Die Konzeption dieser Prozesse erfolgte unter dem Paradigma Closingthe Loop. Dieses Paradigma wird in drei unterschiedlichen Aspekten deut-lich.

Verzahnung der IT-Steuerungsprozesse

Closing the Loop bedeutet hier, dass die Ergebnisse eines Prozessesgleichzeitig die nachvollziehbaren Eingangsparameter des nächsten Pro-zesses sind und andererseits jeder Prozess auch eine Rückkopplung an dieübergeordnete Prozesshierarchie gibt.Hierzu ein Beispiel: Im Rahmen der IT-Strategieentwicklung werden

neben den strategischen IT-Zielen auch konkrete strategische Initiativenfestgelegt, welche die Zielerreichung unterstützen (strategische IT-Pla-nung). Diese strategischen Initiativen, mit einem zeitlichen Horizont vonetwa ein bis drei Jahren, werden durch konkrete Projekte umgesetzt, die imRahmen der IT-Budget- und Portfolioplanung (auf Basis der operativenIT-Planung in den Konzerngesellschaften) geplant und genehmigt werden.Die IT-Budget- und Portfolioplanung ist ein Teilprozess des IT-Con-trolling-Prozesses. Die Ergebnisse der schließlich durchgeführten IT-Projekte können so gegen die ursprünglichen strategischen Initiativen ge-spiegelt werden, sodass festgestellt werden kann, inwieweit deren Umset-zung zur Erreichung der strategischen IT-Ziele beigetragen hat.

Verzahnung von Drill Down und Aggregation

Closing the Loop in dieser Ausprägung bedeutet, dass die vorliegenden In-formationen – so weit wie notwendig – in Einzelteile aufgespalten werden,

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Innovative IT-Steuerung 439

aber genauso gut auch wieder konsistent zusammengeführt werden kön-nen. Für die IT-Budget- und Portfolioplanung hat dies unter anderem fol-genden Effekt: Um eine Steuerung des IT-Budgets zu erlauben, können dieAufwendungen für laufende Kosten (im Wesentlichen IT-Services) in Ein-zelbestandteile, wie zum Beispiel Desktop-Kosten, aufgesplittet werden.Diese Desktop-Kosten wiederum lassen sich weiter zergliedern in einzelneKomponenten (zum Beispiel Hardware). Auf Basis dieser Einzelkompo-nenten werden dann beispielsweise auch die Service Level Agreements(SLAs) für IT-Dienstleistungen verhandelt und vertraglich geregelt.

Verzahnung zwischen den organisatorischen Ebenen im Konzern

Closing the Loop stellt sicher, dass die wichtigen IT-Steuerungsprozesseauf Konzernebene mit den entsprechenden IT- Prozessen auf der nächstenorganisatorischen Ebene der Führungsgesellschaften verzahnt sind. Da diesechs Führungsgesellschaften von der Art ihres Geschäfts, ihrenAnforderungen an IT und ihren kaufmännischen Management-Prozessenzum Teil sehr unterschiedlich sind, ist eine spezifische Ausprägung vonIT-Steuerungsprozessen teilweise notwendig und akzeptabel, solange eineenge Verzahnung zu den Prozessen der Konzernebene gegeben ist. Diesheißt zum Beispiel, dass im Rahmen der IT-Budget- und Portfolioplanungkonzernweit einheitliche Definitionen für IT-Kostenarten eingesetztwerden oder die Kalkulation eines Business Case für ein Projekt nacheinheitlichen Regeln erfolgt.

Der IT-Strategieprozess

Der IT-Strategieprozess beschreibt die Entwicklung der IT-Strategien aufden Ebenen des Konzerns und der Führungsgesellschaften. Zielsetzung beider Konzeption dieses Prozesses war es, getreu dem Motto Closing theLoop einerseits die Vorgaben der Konzerngeschäftsstrategie aufzunehmenund andererseits eine nachvollziehbare Verbindung zwischen der Konzern-IT-Strategie und den IT-Strategien der Führungsgesellschaften zu realisie-ren.In der Vergangenheit wurde aus einer IT-fokussierten Sichtweise die IT-

Strategie des Konzerns im Zeitabstand von mehreren Jahren nur dann ak-tualisiert, wenn wesentliche Teile der Festlegungen aus technischer Sichtüberarbeitet werden mussten. Die Neugestaltung des IT-Strategieprozesseshebt von dieser IT-fokussierten Sicht ab. Da sowohl für den Konzern alsauch für die Führungsgesellschaften jährliche Strategieprozesse auf der

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Geschäftsseite durchgeführt werden, wurde auch für den IT-Strategie-prozess ein jährlicher, entsprechend verzahnter Zyklus eingeführt.Wesentliche Elemente der IT-Strategie des Konzerns sind neben den

strategischen IT-Zielen vor allem eine ausführliche Würdigung der strate-gischen Lücke zwischen dem heutigen Ist-Zustand und dem in den Zielenbeschriebenen Soll-Zustand sowie die Darstellung der zur Erreichung die-ser IT-Ziele aufzusetzenden strategischen IT-Initiativen.Wie aber kann die Verbindung zwischen Geschäftsseite und IT noch

stärker in die Strategieentwicklung einfließen?Als eine Antwort darauf wurde die so genannte IT-Reifegradein-

schätzung für RWE entwickelt, die insbesondere die Anforderungen undEinschätzungen der Geschäftsseite aufnimmt und in die IT-Strategie-entwicklung mit einfließen lässt (diese Methodik wird in Kapitel „Beson-dere Aspekte der IT-Steuerungsprozesse“ detaillierter beschrieben).Darüber hinaus wird die IT-Strategie des Konzerns nach der gemeinsa-

men Erarbeitung durch die CIO-Organisation sowie die Informations-Manager und IT-Vorstände der Führungsgesellschaften durch das GroupBusiness Committee (GBC) diskutiert und vom Konzernvorstand formalals Konzernrichtlinie beschlossen. Das GBC ist das höchste Gremium nachdem Konzernvorstand, in dem neben den Mitgliedern des Konzernvor-stands auch die CEOs der Führungsgesellschaften vertreten sind. DieseVorgehensweise stellt sicher, dass die IT-Strategie des Konzerns in einerfür die Geschäftsverantwortlichen nachvollziehbaren Weise die Ziele undAnforderungen der Geschäftsseite aufgenommen und in IT übersetzt hat.

Der IT-Controlling-Prozess

Der Begriff IT-Controlling steht bei RWE für die eher kaufmännische Be-trachtung der IT. Hierzu gehören neben der IT-Budget- und Portfolio-planung vor allem die unterjährige, quartalsweise Prognose und die Dar-stellung der aufgelaufenen Ist-Kosten gegenüber dem geplanten IT-Budget.Neben der notwendigen Bereitschaft aller, an der Transparenz des IT-

Budgets mitzuarbeiten, sind wesentliche Voraussetzungen für den Erfolgdieses Prozesses das konzernweit einheitliche Verständnis der notwendi-gen Definitionen für IT-Kosten und die einheitliche Berechnung von Busi-ness Cases. Obwohl der IT-Budget- und Portfolioplanungsprozess beiRWE bereits dreimal in sehr ähnlicher Form durchgeführt wurde, sindimmer noch so genannte Transparenzeffekte zu verzeichnen. Dabei handeltes sich meist um in Fachbereichen versteckt geplante IT-Aufwendungen,die nur nach und nach durch die IT-Community identifiziert werden.

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Innovative IT-Steuerung 441

Abb. 3. Verzahnung von Geschäfts- und IT-Strategieprozess und deren Einflussauf die IT-Planung

Innerhalb von RWE werden die IT-Budgets aller Gesellschaften, die imKonzernabschluss konsolidiert werden, in einem einheitlichen, intranetba-sierten Werkzeug erfasst. Dies erlaubt den schnellen Vergleich zwischenIT-Projekten und die Entdeckung möglicher Synergieeffekte. Ein weitererZweck der einheitlichen Konsolidierung des IT-Budgets ist die Priorisie-rung aller IT-Ausgaben im Konzern. So werden alle Projekte klassifiziertund mit einer entsprechenden Priorität versehen. Damit werden die IT-Ausgaben auf diejenigen IT-Projekte fokussiert, die für den Konzern dengrößten Wert haben. Auch Kürzungen des IT-Budgets lassen sich damit soumsetzen, dass aus einer Konzernperspektive eine möglichst geringe Be-einträchtigung entsteht.Jedes Projekt muss einer der Kategorien „Mandatory“, „Business Criti-

cal“ oder „Value Producing“ zugeordnet werden. Ein Projekt ist Mandato-ry, wenn es allein dazu dient, Anforderungen des Gesetzgebers oder einesRegulators umzusetzen. Business-kritische Projekte zeichnen sich dadurchaus, dass ohne diese Projekte ein bestehender Geschäftsprozess nicht mehrso wie zuvor durch IT unterstützt werden könnte. In diese Kategorie fallenzumeist IT-Projekte, die Anwendungssysteme modernisieren, wenn etwaeine verwendete Software aus der Wartung läuft und die reibungsloseFunktion der Anwendung nicht anders sichergestellt werden kann.

Konzern-Strategieentwicklung

Konzern-IT-Strategie-Rahmenwerk: Über-

arbeitung/Entwicklung

FG-Strategieentwicklung

FG-IT-Strategie-Rahmenwerk: Über-

arbeitung/Entwicklung

FG-Planung in denFührungsgesellschaften

IT-Planung in derFührungsgesell.

Priorisierung/Ausrichtung amKonzerngeschäft

Konzern-Strategiekonferenz

FG-Strategiekonferenz

Konzern-IT-Budget-verab-schiedung

VierteljährlichesIT-Review-Gespräch

IT-Ebene

Geschäftsebene

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IT-Projekte der Kategorie „Value Producing“ zeichnen sich allein durcheinen positiven Business Case aus und tragen so zur Verbesserung deswirtschaftlichen Ergebnisses der betreffenden Gesellschaft bei. Über einspezifisches Renditemaß werden diese Projekte in ein konzernweites Ran-king gebracht und sind somit vergleichbar. Dies setzt die etablierte, ein-heitliche Berechnung des Business-Effekts voraus.

Der IT-Review-Prozess

Der IT-Review-Prozess schließlich bildet den logischen Abschluss der IT-Steuerungsprozesse aus Konzernsicht. Dieser Prozess stellt die Verbin-dung zwischen der IT-Planung und dem tatsächlich ausgeführten Projekt-portfolio her. Darüber hinaus stehen die großen, bedeutenden IT-Projektegrundsätzlich im Fokus dieses Prozesses.Auch die IT-Planung ist, wie jede Planung, Veränderungen unterworfen,

da sich die Realität nicht immer präzise genug voraussagen lässt. Daherwurde ein Konzept entwickelt und implementiert, wie diese Veränderun-gen in Projektportfolios abgebildet werden können und trotzdem die imRahmen der Planung geltenden Rahmenbedingungen, etwa hinsichtlich dergeforderten Rentabilität, eingehalten werden. Damit steht ein jederzeit ak-tuelles Projektportfolio zur Verfügung, welches sich durch die IT-Com-munity steuern lässt.Nach der Reorganisation der CIO-Funktion im RWE-Konzern wurde

zunächst die IT-Planung eingeführt. Doch wie erwartet hat sich rechtschnell gezeigt, dass eine allein auf der Planung und den entsprechendenBudgetprognosen abgestützte IT-Steuerung nicht möglich ist. Zu umfang-reich waren die Änderungen am geplanten Projektportfolio, sodass der Fo-kus im zweiten Jahr der CIO-Funktion stark auf der Verfolgung der Ver-änderungen des Projektportfolios lag.Einmal im Quartal werden nun sowohl die aktuelle Prognose des IT-

Budgets als auch der Status der großen IT-Projekte und des Gesamtportfo-lios auf Vorstandsebene mit jeder Führungsgesellschaft in so genanntenQuarterly Review Meetings (QRM) diskutiert.Teil des IT-Review-Prozesses sind aber auch Projekt-Reviews für weni-

ge ausgesuchte, große IT-Projekte. Hierbei führen Experten für das IT-Pro-jekt-Management und gegebenenfalls erfahrene IT-Projektleiter Interviewsmit den Projektleitern der zu betrachtenden Projekte durch. Diese Reviewshaben zwei Ziele:Zum einen sollen drohende Schieflagen von Projekten möglichst früh-

zeitig erkannt werden, damit der Projektleiter, der Auftraggeber des Pro-jekts oder, falls notwendig, sogar der CIO eingreifen kann.

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Innovative IT-Steuerung 443

Vor allem aber sollen die Projektleiter durch ihre Kollegen darin unter-stützt werden, ihr eigenes Projekt-Management selbst zu verbessern. Da-mit soll eine Hilfestellung zur Sicherstellung des Projekterfolgs gegebenwerden. Weitere Details zu den Projekt-Reviews werden im Abschnitt„Top-IT-Projekt-Reviews“ ausgeführt.Auf der Basis gegenseitigen Vertrauens konnten in den letzten Jahren

besondere Maßnahmen zur IT-Steuerung eingeführt werden, welche diegemeinschaftliche Entwicklung der IT im RWE-Konzern unterstützen.Diese neuen Aspekte sind im folgenden Kapitel beschrieben.

Besondere Aspekte der IT-Steuerungsprozesse

In die Konzeption der geschilderten Prozesse sind einige besondere Aspek-te eingeflossen, die im Folgenden detaillierter dargestellt werden sollen.Dabei handelt es sich um

• die IT-Reifegradeinschätzung zur Verknüpfung von Business und IT(„Business/IT-Alignment“) sowie dem Abgleich der jeweiligen Sicht-weisen von Business- und IT-Verantwortlichen zum Stand der Informa-tionstechnologie heute und zum gewünschten Zustand in etwa zwei bisdrei Jahren

• die Verknüpfung von IT-Strategie und IT-Planung zur Sicherstellung derIT-Strategieumsetzung und zur Fortschritts- beziehungsweise Erfolgs-kontrolle

• die Top-IT-Projekt-Peviews zur Etablierung von Best Practices im Pro-jekt-Management, zur frühzeitigen Diskussion möglicher Projektrisikensowie als Frühwarnsystem für die Projektauftraggeber

Die IT-Reifegradeinschätzung

Von der Positionsbestimmung (Wo steht unsere Informationstechnologieheute?) über die Zielbestimmung (Welche Erwartungen haben wir an dieIT in den nächsten Jahren? ) bis hin zur Erfolgskontrolle (Haben wir in derIT erreicht, was wir uns vorgenommen haben?) reicht die Bandbreite derFragen, die im Rahmen der IT-Strategieentwicklung und Umsetzung be-antwortet werden müssen.Ohne nachvollziehbare und akzeptierte Antworten auf diese Fragen be-

steht eine nachhaltige Angreifbarkeit der gesamten IT-Strategie. Darüberhinaus könnten vielfach konkret ausgesprochene Anforderungen der Ge-schäftsseite im Rahmen der IT-Strategieentwicklung verloren gehen.

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444 Chittur Ramakrishnan, Michael Semrau

Abb. 4. Überblicksdarstellung der Reifegradeinschätzungs-Ergebnisse (illustrativ)

Innerhalb des RWE-Konzerns werden die geschilderten Probleme durchdie IT-Reifegradeinschätzung gemeinschaftlich von Business und IT ver-hindert. Bei dieser Methodik handelt es sich um ein auf Experteninter-views mit Managern der Geschäftsseite und der IT sowie IT-Kennzahlen(Key Performance Indicators, KPIs) gestütztes Verfahren, welches die Si-tuationsbestimmung und die Erhebung von Erwartungen durchführt.Im Rahmen dieser Methodik werden zentrale Themenstellungen bezo-

gen auf die strategischen IT-Ziele so abgefragt beziehungsweise durchKennzahlen bewertet, dass eine Einordnung der IT bezüglich ihrer (Kos-ten-)Effizienz („IT Consolidation“) oder des Grads der Geschäftsunterstüt-zung (Effektivität, „IT Optimization“) möglich wird. Dabei werden zweiZeitpunkte betrachtet: die Einschätzung der Ist-Situation sowie die erwar-tete Entwicklung der IT in zwei bis drei Jahren.Abbildung 4 zeigt als konsolidierte Zusammenfassung der Ergebnisse

einer IT-Reifegradeinschätzung für eine Führungsgesellschaft, die Ein-

100

75

50

25

0

0 25 50 75 100

Grad der IT-Konsolidierung

Gra

d d

er

IT-O

pti

mie

run

g

HoheGeschäfts-unterstützung

GeringeGeschäfts-unterstützung

GeringeKosteneffizienz

HoheKosteneffizienz

Heutiger Reifegrad (inkl. Kennzahlen)

Zukünftiger Reifegrad (exkl. Kennzahlen)

Heutiger Reifegrad (exkl. Kennzahlen)

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Innovative IT-Steuerung 445

schätzung bezüglich der gegenwärtigen Situation (Current Maturity) sowiedie Erwartung bezüglich der zukünftigen Situation (Future Maturity). Inder Regel bestätigten die verwendeten Key Performance Indicators (Cur-rent Situation inklusive KPIs) die Einschätzung der befragten Expertensehr gut. Nur in Ausnahmefällen ergaben sich deutlichere Abweichungen.Diese Darstellung dient jedoch nur zur Diskussion der Ergebnisse auf

Management-Ebene. Zur Verwendung im Rahmen der IT-Strategie-entwicklung werden die Ergebnisse detaillierter aufgebrochen. Die folgen-de Abbildung 5 zeigt die nächste Schicht des möglichen Drill Down. Hierwerden am Beispiel der IT-Kosteneffizienz („IT Consolidation“) die Er-gebnisse der IT-Reifegradeinschätzung in der nächsten Ebene auf konkreteThemen, wie zum Beispiel „Consolidation of IT operations“, herunter-gerochen.Ein Drill Down kann dabei nach unterschiedlichen Schnitten erfolgen,

zum Beispiel: Vergleich Business/IT, Vergleich heutige Situation/zukünf-tige Situation oder Darstellung der unterschiedlichen Bewertungen in denFührungsgesellschaften (minimale, maximale und durchschnittlicheMerkmalsausprägung).

Abb. 5. Einschätzung einzelner Themengebiete aus dem Bereich IT-Konsolidie-rung (illustrativ)

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446 Chittur Ramakrishnan, Michael Semrau

Für eine noch detailliertere Diskussion kann ergänzend ein weitererDrill Down auf der Ebene von Einzelfragestellungen erfolgen. Auf der Ba-sis dieser Auswertungen lassen sich noch konkretere und spezifischereMaßnahmen zur Verbesserung der IT ableiten, entwickeln und umsetzen.

Verknüpfung von IT-Strategie und -Planung

Die Qualität und die Wirkung einer IT-Strategie zeigt sich nicht nur an de-ren Inhalten, sondern viel entscheidender daran, ob diese Inhalte auch inreale Umsetzungsprojekte Eingang finden, sodass die formulierten strate-gischen IT-Ziele tatsächlich erreicht werden können. Eine wesentlicheHerausforderung ist hierbei die Übersetzung einer an die Entscheidungser-fordernisse des Top-Managements orientierten IT-Strategie in konkrete in-formationstechnische Maßnahmen.Dazu erfolgt aufbauend auf der IT-Reifegradeinschätzung die IT-

Strategieentwicklung mit dem wesentlichen Bestandteil der strategischenIT-Planung. Hierbei werden sowohl auf Konzern- als auch auf Gesell-schaftsebene strategische IT-Initiativen definiert.Im Übergang zur jährlichen IT-Budget- und Portfolioplanung werden

diese, unter Umständen auf mehrere Jahre angelegten Initiativen in kon-krete Projekte heruntergebrochen.Im Rahmen des gesamten Planungsprozesses kann dann die Abbildung

von strategischen IT-Initiativen zu geeigneten Projekten hinterfragt undnachvollzogen werden.Eine Nachverfolgung der Projekterfolge wiederum erlaubt dann die

Darstellung der Zielerreichung und des Umsetzungserfolgs im Sinne derdefinierten IT-Strategie.

Top-IT-Projekt-Reviews

Ein weiterer wesentlicher Baustein der IT-Steuerung sind die bereits er-wähnten Projekt-Reviews.Die Motivation zu diesen Reviews basiert auf der Annahme, dass gutes

Projekt-Management in hohem Maße zum Projekterfolg beiträgt. Für Pro-jekte stellen beispielsweise technische Probleme oder sich ändernde An-forderungen der Auftraggeber immer wieder Herausforderungen dar. Ver-schiedene Studien der letzten Jahre zum Erfolg von IT-Projekten haben je-doch gezeigt, dass die Qualität des Projekt-Managements in ganz erhebli-chem Ausmaß den Projekterfolg beeinflusst. Es werden in den Reviewsdaher nicht nur die direkten Projektergebnisse betrachtet, sondern vielmehr

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Innovative IT-Steuerung 447

die Prozesse und deren Qualität, die zur Erarbeitung der gewünschten Er-gebnisse etabliert sind.Für den verantwortlichen CIO eines Konzerns ist es unabdingbar, über

sich abzeichnende Schieflagen der Top-IT-Projekte möglichst frühzeitiginformiert zu werden. Neben der Regelkommunikation in den entspre-chenden Auftraggeber- oder Leitungskreisen leisten hier die Projekt-Reviews einen wertvollen Beitrag. Dies ist jedoch nicht ihr Hauptzweck,ebenso wenig soll durch von der CIO-Organisation selbst durchgeführteProjekt-Reviews die Revision ersetzt beziehungsweise eine „Nebenrevisi-on“ etabliert werden.Der Hauptzweck liegt vor allem in der Unterstützung des stark belaste-

ten Projekt-Managements vor Ort. Durch fokussierte Interviews mit denProjektverantwortlichen sollen Vorschläge zur Verbesserung des Projekt-Managements erarbeitet werden. Die Reviewer sind Experten aus dem Be-reich Projekt-Management mit eigener Projekterfahrung, meist im Bereichder Qualitätssicherung. Ob die Verbesserungsvorschläge umgesetzt wer-den, verbleibt allerdings in der Verantwortung des Projektleiters. Er trägtdie Verantwortung und soll nach eigenem Ermessen entscheiden können.Daher werden über die detaillierten Verbesserungsvorschläge weder derAuftraggeber noch der CIO informiert.

Abb. 6. Risiken werden nach Schadensausmaß und Eintrittswahrscheinlichkeitklassifiziert (illustrativ)

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448 Chittur Ramakrishnan, Michael Semrau

Der als Review-Ergebnis gemeinsam vom Projekt-Management und denReviewern erstellte Bericht besteht daher aus einem öffentlichen Teil fürdas IT-Management und einem nicht öffentlichen Teil, der im Projekt ver-bleibt.Neben der Prüfung des Business Case geht es in den Reviews zum einen

um die Aufnahme von bestehenden Projektrisiken und möglichen Maß-nahmen gegen diese Risiken. Zum anderen werden zwölf typische Projekt-Management-Prozesse auf ihre Qualität hin untersucht.Die zwölf betrachteten Prozesse des Projekt-Managements (siehe Ab-

bildung 7) reichen von der Berechnung des ersten Business Cases (Profita-bility Analysis) über Projektdurchführung und Qualitäts-Management biszum Nutzeninkasso (Benefit Tracking). Je nach Projekt und entsprechendfestgelegtem Schwerpunkt des Reviews werden im Rahmen des Projekt-Reviews nicht immer alle zwölf Prozesse gleichermaßen betrachtet.

Abb. 7. Bewertung der Projekt-Management-Prozesse (illustrativ)

Jeder Projekt-Management-Prozess wird dabei im Rahmen des Reviewseinem von fünf Reifegraden zugeordnet. Je höher der Reifegrad, desto hö-her die Qualität des betrachteten Prozesses. Abbildung 7 verdeutlicht diezusammenfassende Darstellung des Review-Ergebnisses. Dabei markiertdie schwarze Linie die Mindestanforderungen an das Projekt-Management

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Innovative IT-Steuerung 449

aus Sicht des zuständigen Informations-Managers der entsprechenden Füh-rungsgesellschaft. Die graue Fläche dagegen zeigt den durch das Projekttatsächlich erreichten Reifegrad.Wichtiger jedoch als diese zusammenfassende Darstellung sind die da-

hinter liegenden, vom Projekt-Management und den Reviewern erzieltenErkenntnisse und die daraus abgeleiteten Verbesserungsvorschläge.Derzeit werden im RWE-Konzern etwa acht bis zehn Top-IT-Projekt-

Reviews pro Jahr durch die CIO-Organisation durchgeführt. In den letztenJahren hat sich hierbei gezeigt, dass es nur sehr selten zu abweichendenEinschätzungen eines Projekts zwischen Projektleiter und dem Review-Team gekommen ist. Insbesondere Projektleiter, die bereits Erfahrungenmit diesen Reviews haben, nehmen die Verbesserungsvorschläge positivauf. In anderen Fällen ist im Rahmen des Reviews durchaus eine gewisseSkepsis zu spüren, die sich jedoch spätestens bei der gemeinsamen Erar-beitung des Ergebnisberichts legt.

Closing the Loop – was noch fehlt

Ein Aspekt des Closing the Loop – und damit sinnbildlich der IT-Steuerung – stellt auch für die IT-Community im RWE-Konzern nach wievor eine besondere Herausforderung dar:

Verzahnung der IT-Projektbenefits mit dem Business

Closing the Loop in diesem Zusammenhang wäre durch den Nachweis ge-geben, dass der mit dem Business Case eines Projekts versprochene Nut-zen wirklich realisiert werden konnte.Die Beurteilung eines Projekts danach, ob die geforderten Ergebnisse in

der versprochenen Zeit, Qualität und zu den geplanten Kosten abgeliefertwurden, stellt heute keine besondere Herausforderung mehr dar.Schon schwieriger, aber mit einem gewissen Aufwand aus unserer Sicht

durchaus machbar, gestaltet sich die Nachvollziehbarkeit der in der Reali-tät eintretenden monetären IT-Benefits. Hierbei können diese Benefits be-stimmten Servicekosten direkt zugeordnet werden. Auf vergleichbarer Ba-sis sollten die Servicekosten durch die entsprechenden Projekte also imgeplanten Rahmen sinken oder, was leider auch häufig vorkommt, in demgeplanten Rahmen steigen.Wesentlich schwieriger ist es dagegen, die Benefits auf der Geschäfts-

seite nachzuvollziehen, die mit einem IT-Projekt geplant waren. Die kauf-männische Planung mit den verschiedensten, über die Jahre variierenden

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450 Chittur Ramakrishnan, Michael Semrau

Einflussgrößen lässt es in der Regel nur selten zu, dass der versprochenemonetäre Projekterfolg wirklich nachvollzogen werden kann.Hierzu konnte bis heute keine zufrieden stellende Lösung gefunden

werden, auch wenn IT-Budgets und die resultierenden Projektbenefits be-reits Eingang in die kaufmännischen Steuerungsinstrumente bei RWE, wieetwa die Balanced Scorecard, gefunden haben.

Fazit

Zusammenfassend haben die geschilderten IT-Steuerungsmechanismen imRWE-Konzern einen Reifegrad erreicht, der nach unserer Einschätzung füreine ganzheitliche, verantwortliche, aber auch effiziente Steuerung der ITausreicht.Selbstverständlich werden alle IT-Steuerungsprozesse jährlich auf mög-

liche Verbesserungspotenziale hin untersucht, doch steht ein weiterer Aus-bau oder eine grundlegende Umgestaltung dieser Prozesse nicht mehr imFokus.Zwei Jahre nach der Reorganisation der CIO-Funktion kann man damit

diesen wesentlichen Teil der CIO-Aufgaben als vollständig umgesetzt be-trachten.

Page 440: Innovationen durch IT: Erfolgsbeispiele aus der Praxis  GERMAN

Innovation erfordert eine geänderte IT-Governance

Klaus Rausch, Sprecher Geschäftsführung HVB Systems GmbHDr. Andreas Rothe, Geschäftsführer Dr. Rothe Management-Beratung

Einleitung

Die deutschen Banken befinden sich in einer Phase des Umbruchs. Sie ste-hen unter erheblichem Druck, ihre Kosten weiter zu senken. Bei den meis-ten Banken sind jedoch nach Jahren der Kostensenkungen die Möglichkei-ten für „einfache“ Einsparungsmöglichkeiten ausgeschöpft. Gefordert sinddaher Prozessinnovationen, um Kosten weiter senken zu können sowieProdukt- und Serviceinnovationen um bei stagnierenden Zinsmargen dasProvisionsgeschäft zu verbessern. Der Druck auf den IT-Bereich, die Kos-ten durch Innovationen zu senken und gleichzeitig durch Innovationen denWertbeitrag der IT für das Unternehmen zu verbessern, steigt dadurch er-heblich. Nach Erlös- und Kostenprogrammen ist nun die Fähigkeit der IT(wieder) gefragt, sich selbst zu erneuern und gleichzeitig die Innovations-fähigkeit des Unternehmens insgesamt zu verbessern.Governance bedeutet Beherrschung oder Steuerung und kann mit ange-

messener Unternehmensorganisation zur Optimierung der Unternehmens-führung und -kontrolle wiedergegeben werden. Ziel der IT-Governance istes, die Führungs- und Organisationsstruktur der IT entsprechend ihrer Be-deutung für den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens auszurichten,Risiken zu beherrschen und Kontrollinstrumente zur Messung der IT-Leistungen einzurichten.1 Zarnekow/Brenner erweitern diese Aufgaben umdie Grundsätze der Organisation wie zum Beispiel die strategische Positio-nierung der IT, die sich daraus ergebende Rollenverteilung sowie Grund-sätze für Liefer- und Leistungsbeziehungen, Eskalations- und Schlich-tungsprozesse, Budgetierungsverfahren, Preisbildungsmethoden und Leis-

1 vgl. Meyer, Zarnekow, Kolbe (2003), S. 446 f; Zarnekow, Brenner (2003), S. 12

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452 Klaus Rausch, Dr. Andreas Rothe

tungsverrechnung sowie das Risiko- und Performance-Management.2 Ne-ben diesen Management-Prozessen sind die Prozesse zur Steuerung derKultur über Leitbilder, Führung und Veränderungs-Management demganzheitlichen Governance-Modell, wie er in diesem Beitrag verstandenwird, hinzuzufügen.Bei der Veränderung befinden sich die deutschen Finanzdienstleister in

einem Dilemma: auf der einen Seite der weiter bestehende Kostendruckund auf der anderen Seite die Notwendigkeit zur Innovation, die weitausmehr bedeutet als bloße Investition. Der folgende Beitrag zeigt am Bei-spiel einer für viele Banken durchaus bekannten Fusionssituation, wie ge-rade dieser gegenläufige Druck auf die IT als notwendiger Treiber für eineVeränderung der üblichen Wege genutzt werden kann. Es wird gezeigt,wie sich ein Unternehmen im Fusionsprozess durch Innovation gerade ineiner solchen Situation wesentliche Vorteile erarbeiten kann, anstatt durchdie Beschäftigung mit sich selbst und der Lösung schwieriger und lang-wieriger Integrationsaufgaben im Hinblick auf mögliche Innovationen undden Wettbewerb auf der Stelle zu treten. Der Beitrag spannt dabei einenBogen von der Notwendigkeit organisatorischer Anpassungen, über As-pekte der neuen/geänderten Rollen der IT bis hin zu einer fundamentalveränderten (strategischen) Planungs- und Budgetkontrolle. Zudem wirdgezeigt, wie durch eine Veränderung der Entlohnungssysteme der Schwer-punkt von einem Kostendenken zu einem Prozess(innovations)denken ver-lagert werden kann. Zudem wird aufgezeigt, wie durch die Messung vonKomplexität und die daraus abgeleiteten Maßnahmen zur gezielten Kos-tenverringerung die IT im Unternehmen auch langfristig in der Lage ist,hinreichend flexibel reagieren zu können.

Basiskonzepte der IT-Governance

Mit rund 20 Prozent des Verwaltungsaufwands stellt die IT neben den Per-sonalkosten den größten Kostenblock dar und ist damit automatisch imFokus der anhaltenden Kostendiskussion. In zahlreichen aktuellen Artikelnwerden die Steigerung der Agilität der IT, die Erhöhung ihres Wertbeitragsund die Notwendigkeit von Innovationen gefordert, doch dürfen dieseMaßnahmen nichts oder zumindest nicht viel kosten. Häufig wird bei derdabei stattfindenden Kostendiskussion lediglich auf die in der Bilanz er-scheinende Position „sonstiger Verwaltungsaufwand“ geschaut. Ist diesergesunken, hat die IT einen guten Job gemacht. Dabei wird leicht verges-

2 vgl. Zarnekow, Brenner (2003), S. 12.

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Innovation erfordert eine geänderte IT-Governance 453

sen, dass die IT auch wesentliche Auswirkungen auf andere Bilanzpositio-nen hat, die aber nicht so leicht ersichtlich und daher auch schwer darstell-bar sind. Ein kurzes Beispiel soll dies verdeutlichen.Im Rahmen einer Fusion sollte für die Kreditsachbearbeitung geprüft

werden, ob die bestehende Eigenentwicklung oder eine Standard-Software-Lösung die bessere Lösung ist. Der erste Vergleich zeigte zu-nächst ähnliche IT-Kosten, ebenso der Vergleich der Anzahl Mitarbeiterim Marktfolgebereich (Personalkosten). Erst die Anzahl der bearbeitetenKredite machte deutlich, dass mit der Eigenentwicklung rund sechsmal (!)so viele Darlehenskonten betreut werden konnten als mit der Standard-Software-Lösung. Dieses Beispiel verdeutlicht die Notwendigkeit, die IT-Kostendiskussion in Unternehmen anders als bisher gewohnt zu führen.Was wäre in diesem Beispiel passiert, wenn die IT-Kosten für beide Sys-teme nicht gleich gewesen wären, sondern die Standard-Software jährlichnur ein Viertel der Eigenentwicklung gekostet hätte? Zudem zeigt das Bei-spiel das Potenzial von Innovationen in der Prozessgestaltung. Gerade inder langfristigen Betrachtung kommt dabei die Frage auf, ob in Kernpro-zessen die eigene Innovationskraft nicht größer ist als die eines Lieferan-ten. Innerhalb der Kostendiskussion ist es auf jeden Fall geboten, nicht al-lein auf die IT-Kosten, sondern auch auf die möglichen Erträge durchProdukt- und/oder Prozessinnovationen zu schauen, da diese die IT-Kostenum ein Vielfaches übersteigen können.Eine besondere Herausforderung an das IT-Management ist es, wenn

sich der Finanzdienstleister in einer Fusionssituation befindet. Eine Beina-he-Standardsituation, wenn man die vielen Fusionen in Deutschland be-trachtet und der These der Unternehmensberater Glauben schenken darf,dass der Konsolidierungsdruck im deutschen Finanzwesen weiterhin hochist. Sich selbst als CIO und ebenso die gesamte IT auf Fusionen und Über-nahmen einzustellen gehört auch laut Gartner zu den zehn wichtigstenEmpfehlungen für das IT-Management3. Während bereits ein Unterneh-men ohne Fusion wenig freie Mittel für Innovationen zur Verfügung hat,gilt dies für fusionierte Unternehmen umso mehr.

3 vgl. Hermann (2006), S. 11

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454 Klaus Rausch, Dr. Andreas Rothe

Abb. 1. IT-Kostenverteilung und Verlauf nach einer Fusion

Abbildung 1 zeigt einen einfachen Zusammenhang des Kostenverlaufsunterteilt nach der Art der Ausgabennotwendigkeit. Im Verlauf der Fusionist zunächst in beiden IT-Bereichen der laufende Betrieb der IT sicherzu-stellen. Darüber hinaus müssen in beiden IT-Bereichen zumindest die ge-setzlichen Anforderungen in die bestehenden Systeme integriert werden.Ein erheblicher Teil der Mittel wird für die Migration der Daten und fürnotwendige funktionale Erweiterungen der neuen, integrierten System-landschaft gebunden (Integrationsaufwand). Für die fachliche und strategi-sche Weiterentwicklung der Systeme bleibt damit wenig übrig. Dies birgtdie Gefahr sinkender Wettbewerbsfähigkeit durch Überalterung der Sys-teme, da Integrationsaufgaben Neuentwicklungen weitgehend verhindern.Auch im Zeitablauf verändert sich an der Budgetsituation für die fachlicheund strategische Weiterentwicklung der IT wenig: Der im Verlauf sinken-de Integrationsaufwand und vor allem die erzielten Synergiepotenzialewerden in der Regel nicht für strategische Maßnahmen zur Erweiterungder IT frei, sondern als geplante Kostensynergiepotenziale eingefordert.Fusionierte Unternehmen haben dadurch eine doppelte Schwierigkeit – dieBeschäftigung mit sich selbst, die sich in der kompletten Ausrichtung allerRessourcen auf die Integrationsaufgabe widerspiegelt, und die dadurchverlorene Innovationsmöglichkeit der IT, sich an den neuen Anforderun-gen des Wettbewerbs auszurichten. Insbesondere für solche Institute, dienicht nur eine, sondern mehrere Fusionen hintereinander bewältigen müs-sen, entsteht so eine große Herausforderung, gleichzeitig die IT-Kosten zusenken und ihrer Unterstützung des Gesamtbankgeschäfts durch Prozess-und Produktinnovationen nachzukommen.

Zeit

Sicherstellung des laufenden Betriebs

Gesetzliche Erfordernisse

Integrationsaufwand

„„StrategieStrategie““

Jahr 1 Jahr 2 Jahr 3

Kapazität

Page 444: Innovationen durch IT: Erfolgsbeispiele aus der Praxis  GERMAN

Innovation erfordert eine geänderte IT-Governance 455

Akzeptiert die IT, dass von ihr trotz der Unveränderlichkeit der beste-henden Kostenklammer mehr Leistung verlangt wird, besteht hierin einegroße Chance. Denn nur durch Innovation ist es möglich

• interne Prozesse in der IT zu verbessern, um bei geringeren oder zumin-dest gleichen Kosten eine Leistung in kürzerer Zeit bei höherer Leistungund Qualität zu erbringen

• die Prozesse der Bank durch innovative Gestaltung der unterstütztenProzesse zu verbessern

• neue Produkte der Bank schnell und flexibel zu unterstützen

Die IT-Organisation hat in Zeiten dieser besonderen Anforderungenzwischen Kostendiktat und Markterfordernis die Möglichkeit, in den obengenannten Umgestaltungsprozessen eine führende Rolle zu übernehmen.Der Vorsprung der IT in Sachen Agilität, die strukturierte Denkweise ihrerMitarbeiter und ihr ganzheitliches und unabhängiges Gesamtprozess- undGesamtproduktwissen bieten hierbei eine gute Chance, die Rolle der IT indem Unternehmen von einem Kostenblock zu einem in der Bank gefragtenBerater und Dienstleister zu verändern.

Produktlinien-Management4

Die Rahmenbedingungen im Finanzdienstleistungsmarkt zwingen die Ver-antwortlichen der Finanzdienstleister, nach neuen Lösungsansätzen für dieBereitstellung der erforderlichen IT-Serviceleistungen zu suchen. Um ausSicht der Fachbereiche die IT gezielt neu auszurichten, muss das Steue-rungsinstrumentarium der IT statt aus der technischen aus der fachlichenEcke kommen. Bisher orientiert sich das Steuerungsinstrumentarium derIT in ihrer Grundkonzeption weitgehend an den Strukturen von Anwen-dungssystemen und an den klassischen Phasen der Software-Entwicklung:Planung, Entwicklung und Produktion. Durchgängige Management-Prozesse, wie sie im Rahmen der industriellen Produktfertigung existieren,fehlen weitgehend.5 Leistungen und Projekte werden zudem auf Anforde-rung der Fachabteilungen entwickelt und bereitgestellt. Es ist wenig ver-wunderlich, dass die IT so als reiner Lieferant von Informationstechnikwahrgenommen wird und nicht als Partner zur gemeinsamen Definition ei-ner effektiven IT-Unterstützung zur Verbesserung der Wettbewerbsfähig-keit des Unternehmens. Erforderlich ist eine Anpassung der bankbetriebli-

4 vgl. Rothe (2004), S. 103 ff.5 vgl. Zarnekow, Brenner (2003), S. 8

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456 Klaus Rausch, Dr. Andreas Rothe

chen Produktions- und Management-Strukturen, die alte Denk-, Aufbauor-ganisations- und Software-Strukturen überwinden. Mit der Ausrichtungder Steuerungskonzeption der IT an für den Fachbereich nachvollzieh-baren fachlichen Kosten- und Leistungsstrukturen können die in der tech-nischen Steuerungskonzeption begründeten Kommunikations- und Zu-sammenarbeitsbarrieren überwunden werden. Die konsequent anBankprodukten und -prozessen orientierte IT-Produktstruktur ist die Basisfür das darauf aufbauende Management-Gesamtkonzept.Das Produktlinienmodell ist eine metastrukturelle Sicht auf die IT des

Finanzdienstleisters. Sie ermöglicht es, durch das gemeinsame Bezugssys-tem „Produktlinie“ Aufgaben und Prozesse eines ganzheitlichen IT-Governance-Modells aufeinander abgestimmt zu entwickeln. So sind alleAufgabenbereiche eines für die IT-Steuerung erforderlichen IT-Gover-nance-Modells an der in Abbildung 2 dargestellten Struktur auszurichten.Alle in diesem Beitrag dargestellten Konzepte beruhen auf dieser, in derindustriellen Fertigung selbstverständlich angewandten Steuerungskonzep-tion. Auf eine Darstellung des auf diesem Ansatz beruhenden ganzheitli-chen IT-Governance-Modells (IT-Management-Ansatz) kann hier verzich-tet werden, da nur die wesentlichen Aspekte der Innovationswirkung aufdas IT-Governance-Modell dargestellt werden sollen.

Abb. 2. Die IT-Produktlinien eines Finanzdienstleisters

Page 446: Innovationen durch IT: Erfolgsbeispiele aus der Praxis  GERMAN

Innovation erfordert eine geänderte IT-Governance 457

Transparenz6

Eine nachhaltige Verbesserung der Kostenpositionen erfordert Transpa-renz über Kosten und Leistungen der IT. Der erste Schritt hierzu ist dieStrukturierung der IT in klar definierte Leistungseinheiten, in Produkt-linien und Produkten. Dies schließt die Ausrichtung der korrespondieren-den Leistungsverträge (Service Level Agreements, SLAs) mit ein, da nureine definierte Leistung sinnvoll in ihrer Werthaltigkeit (zumindest imSinne des Preises, der dafür bezahlt wird) durch die Fachabteilung beurteiltwerden kann. Mit den SLAs kann der Grad ihrer Über- beziehungsweiseUntererfüllung dargestellt werden. Fehlen solche Vereinbarungen, kannder Eindruck entstehen, dass der IT-Bereich zu wenig leistet, da dem Preisnur eine subjektive Erwartung gegenübersteht. IT-Leistungen werden sofür den Fachbereich transparent und überprüfbar.Je Produkt sollten mit den Fachbereichen Preise für die jeweiligen (Teil-

)Leistungen vereinbart werden. Um diese bestimmen zu können, müssenalle Kosten auf die Kostenträger-IT-Produkte verrechnet werden. So wer-den stufenweise über Verrechnungsschlüssel die Leistungen des Rechen-zentrums, des IT-Managements und schließlich der Anwendungsentwick-lung auf die IT-Produkte verrechnet. Zusätzlich sind die zugeordnetenKosten noch nach der Art der Notwendigkeit der Ausgabe zu klassifizieren(siehe Abbildung 3).Ein Vergleich von Studien zeigt bei den Banken ein homogenes Bild der

prozentualen Verteilung der Wertbeitragskategorien. So werden circa 70Prozent der IT-Aufwendungen für den Betrieb der Anwendungen (Run)ausgegeben. Für Zukunftsinvestitionen steht damit nur ein relativ kleinerBetrag zur Verfügung. Für den CIO ist es gemeinsam mit der Fachabtei-lung immanent wichtig, die Produktlinien nach der erforderlichen Innova-tionsdynamik zu bewerten. Dafür ist in dem Dschungel von Informationenein Steuerungssystem notwendig, das zeigt, wie und in welchem Bereichzum Beispiel durch die Senkung von zu hohen Run-Kosten Mittel für In-novationen frei werden könnten. Um dies zu überprüfen, ist eine ergän-zende Information durch den Vergleich der Ausgaben mit anderen Institu-ten hilfreich.

6 vgl. Rausch, Rothe (2005), S. 541 ff.

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458 Klaus Rausch, Dr. Andreas Rothe

Abb. 3. Kostensenkungsstrategie je Ausgabenkategorie

Benchmarking

Einen realistischen Überblick über Kostensenkungspotenziale bietet einBenchmark mit vergleichbaren Partnern. Hierzu dient ein fachlicher IT-Benchmark auf Basis der oben eingeführten IT-Produktstruktur und dengenannten Ausgabenstrukturen, der zurzeit bei bereits 20 Instituten konti-nuierlich durchgeführt wird. Dabei werden in den Häusern gemeinsam miteinem der Autoren alle IT-Kosten den IT-Produkten zugeordnet, um eineeinheitliche Zuordnung der Kosten sicherzustellen.Durch den Benchmark stehen dem CIO wichtige zusätzliche Informati-

onen zur Steuerung der IT-Ausgaben zur Verfügung.

• Durch den Benchmark wird deutlich, wie viel IT-Ausgaben auf ein Pro-dukt entfallen. Diese Information ist zunächst schon unabhängig vomVergleich mit anderen Partnern wertvoll, da die Fachabteilung so über-prüfen kann, ob die IT-Ausgaben in der genannten Höhe überhauptfachlich sinnvoll sind. Schon die bloße Darstellung der Ausgaben nachProduktlinien stößt oftmals auf Erstaunen, wenn aufgezeigt wird, wofürim Vergleich zu den Partnern die höchsten IT-Kosten anfallen. Das zumBeispiel die Kosten des Bankbasisarbeitsplatzes die größte Ausgaben-position sind, wird in einer Projektsicht nicht deutlich. Dies ist zum Bei-spiel hinsichtlich der Frage problematisch, an welchen Stellen durchAusgabendisziplin vorhandene Potenziale für Innovationen frei werdenkönnten.

Change I„must do“

RunEffizienz der

IT-Organisation

20%Umsetzung von gesetzlichenund quasi gesetzlichenMaßnahmen

10%

Erweiterung der IT-Leistungenzur Optimierung desBankbetriebs und der Prozessedie durch den Kunden direktwahrgenommen werden

50 bis 70%

Aufwand zur Aufrechterhaltungdes laufenden Betriebs derAnwendungenund technischen Plattformen(Erhaltung des Status quo)

Change IIStrategie

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Innovation erfordert eine geänderte IT-Governance 459

Abb. 4. IT-Ausgaben einer Vergleichsgruppe nach Ausgaben je Produktlinie

• Durch den Vergleich mit den Partnern können IT-Kosten plausibel ge-macht werden. Wenn einem Arbeitsplatz nach Zurechnung der imBenchmark definierten Kosten ein Preis von zum Beispiel 5000 Euround einem Run-Anteil von 80 Prozent herauskommt, kann der CIO nunbeurteilen, ob dieser Preis und der Run-Anteil angemessen sind oder obman damit vielleicht am Ende der Vergleichsgruppe liegt.

Durch die kontinuierliche Durchführung des Benchmark können in denjeweiligen Peer Groups Investitionen (zum Beispiel in Standard-Softwareoder Teil-Outsourcing-Maßnahmen) in ihren Wirkungen verfolgt werden.Hieraus können für die eigene IT-Steuerung wichtige Hinweise gewonnenwerden, welche Maßnahmen zum Beispiel den größten Erfolg versprechen.

Run/Change-Anteil je Produktlinie

900

800

700

600

500

400

300

200

100

0

Million

OfficeAuto-

mation

04 04 04 04 04 04 04 04 04 04 04

Basis-produkte

GBS Handel Informa-tions-

systeme

Vertriebs-wege

AssetManage-

ment

Wert-papier-

geschäft

Innen-betrieb

GesamtInfor-mationStore

19,2%

31,4%

57,0%

68,6%

80,8%

43,1%

68,3%

31,7% 66,1%

33,9%

54,0%

46,0%

1,6%

98,4%

30,8%

33,2%

66,8%

69,2%64,8%

35,2% 42,2%

57,4%

RTB CTB

Page 449: Innovationen durch IT: Erfolgsbeispiele aus der Praxis  GERMAN

460 Klaus Rausch, Dr. Andreas Rothe

Abb. 5. Vereinfachte Darstellung einer komplexen IT-Anwendungslandschaft,strukturiert nach fachlichen IT-Produktlinien

Architektur-Management

Um aus den genannten Informationen Handlungsoptionen erarbeiten zukönnen, ist es für das IT-Management sinnvoll zu wissen, was sich hinterden IT-Kosten verbirgt. Es ist daher zweckmäßig, auch den IT-Bebauungs-plan nach den gleichen Strukturen – das heißt den IT-Produktlinien – zuuntergliedern (siehe Abbildung 5).Durch die einheitliche Untergliederung ist es nun aus Sicht des Innova-

tions-Managements möglich, die Kosten und Ausgabenstrukturen mit dendahinter liegenden Architekturen in Verbindung zu bringen. So könnenzum Beispiel die nach Produktlinien geordneten IT-Systeme mit weiterenInformationen angereichert werden, zum Beispiel mit Angaben zum Alterder IT-Systeme (Lifecycle-Status), einer Bewertung ihrer Erweiterbarkeit,Flexibilität etc. Diese verdichteten Informationen können dann gemeinsammit der Fachabteilung für das Innovations-Management genutzt werden. Inwelcher Weise dies geschehen kann, soll im Folgenden an einem Aspektdes Lifecycle Management gezeigt werden.

Handel

Customer Service InterfaceLBBW Workplace

Kontoprodukte Wertpapiergeschäft Partnerprodukte

Beraterarbeitsplatz Communication Center Direkt Banking Portale Selbstbedienung

ProFIS

LBS

Visual Immo

ARGUS

Erben &

Vererben

Fonds-DB

IPP

RPMS

S-Fonds-

consult

ZuSI-Advisor

Unternehmenssteuerung Customer Relationship ManagementKIS

KIS-2

UWD

UPS

Auskunft

Plus

Handelsregisterinfo

Schufa-

Online

Wiederanlage

schreiben

Unipost

Unimail

Kampagnenm

gmnt

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Rechnungswesen Controlling Meldewesen

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Risikomanagement Treasury

Konto3000

ATOS

SPAR

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CSB-

DarlehenHK Restant

(Giro/HK)

Marzipan

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DB

DA

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staffel

Abit

Recht.net

DAA

MIDASStuttgart

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CapitalMarkets

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Twister

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DIS

TelefonBanking

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SAP COSAP FI(HGB)

IAS Mart CO Mart

ZiBi PoolIS

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Marktinfodienste

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Quote Maschine

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BondTr@der

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Opics

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HAPL

David

LEDIS

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P&L

Handel

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Seas2000 Risque

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Kompakt

Sparkassen

BOS-Online

BOS-Online

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Skontro

Lukas

ZASt

ABS

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Giro3270

Lukas-Online

WPL-Online

WPL-Online

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FW Dispo

Applix

Digitec d3

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Moosmüller

Finanzmathem. Fkt.

3270

32

70

ZeUS

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Zahlungsverkehr

Währungsbuchhaltung

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S-Interpay

Doka

Kontoführende &Kontingentführende Stellen

(SI, von Essen KG, LRP,

Spk Pforzheim)

Winword(MS Office)

Betriebsanwendungen

Interflex MBTI

SAP HR

Zeiterfassung Personalverwaltung

Material-

wirtschaft

DIS KIS

ADA

RTGSPlus

Merva/EAS/Swift

Corona

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EBS2000

EWH (SAS)

LLS

RVS

TNV

Wechsel

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SparkassenVersicherung

LBS

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Züricher Versicherung

Neue Leben

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RTP

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B+S Sparkassen

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Ransys

DWZ

Deka

XETRA

WM Verlag(Stammdaten)

Eurex

Euwax

EurexRepo

GFI

Broker Tec

Morcom360T.com

EBS

eMid

eMidder

Dealing

3000

Bloomberg

Bondtrader

eSpeed

lpa

Toolbox

Kobra PPPro

VWD

EDR

Treasury nutzt Handelssysteme !

Risikomanagement nutzt Handelssysteme !

Twister

e-Brokerage

CBFXONTRO

FiTAX

BOEGA

LZB KAG V3

DWERT

Notes / Domino

ARS

Inasys

Finca

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AKL / RiskManDat

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Ablage Recht

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Messaging

SMS Fax Telex Scan to Mail

eMailInstant

MessagingPDA

UnifiedMessaging

SparkasseneMail

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Sortenerkennung(eLearning)

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LexikonEuroglot PONS

Translator 98

PONSTranslator 2000

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Hoppenstedt

Fondsführer

Hoppenstedt

Konzerne

Hoppenstedt

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Steuer-

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Fundstellen-

nachweis ARechtsformular-

handbuchEFG-HFRDatenbank

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Verwaltungs DB

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Dauerauftrag

Eventmanagement Material-beschaffung

Tools

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Elekt. Vorlagen QuarkXPressBlueNet PDF-

Vorlagen

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Quality Manager Kred RevHama Flash-

Karten-SW

Win-Fax-Client

CallCenter

WinkonsSIV

Cashver

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SIM

AKT

HICOM

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IVR

S-Förder-

beratung

SB Autorisierungszentralen

(SI Fellbach, FinanzIT)

LRP

Front

ArenaRoLV

Skontro

XEMAC

CCP

Umsatzinformationen für

Sparkassen (Ongum)

Landebank Baden-Württemberg

IT-Bebaungsplan

Legende

Symbole

IT-System

Farblich hervorgehobeneIT-Systeme

IT-Produktlinie

KIS

FDB

Kondor+

BOS

Konto3000

1613 Architekturmanagement

Datum der Erstellung

Ersteller

Version

Revisionen

NR. Datum Datum

NR. Datum Datum

NR. Datum Datum

NR. Datum Datum

NR. Datum Datum

11/2004

8.0

MarketingMart

KredoMart

Caesar

Gebäude-

brand

TP Aktiv

Feri

Projektware

Markus

Ebil

Deka

SV Online

FINNexus

L-Bank Niederlassungen

Versorgung von BankkundenSAP-Systemen

Tochtergesellschaften

alpha pegasus, beta pegasus, gamma pegasus, LBBW Trust, Austria, Milpitas, SüdVenture Capital, Süd Private Equity, Atlas, Laurus, SI Immobilien Fonds, Deutsches

Industrie- und Handelszentrum in Singapur, Süd-Kapitalbeteiligungsgesellschaft, RNBeteiligungs GmbH, LBBV Beteiligungsverwaltungsgesellschaft, LG

Grundstücksanlagengesellschaft, Stuttgarter Aufbau Bau- und Verwaltungsgesellschaft,

Britta Grundstücksverwaltungsgesellschaft, Franca Grundstücksverwaltungsgesellschaft,Süddeutsche Allgemeine Finanz- und Wirtschaftsgesellschaft, Remseck

Grundstücksverwaltungsgesellschaft, G + R Kühlhaus Betriebsgesellschaft, LBBWGrundstücksverwaltungsgesellschaft, L-Immobilien Gesellschaft, SPI Süd Project, IG

Immobilien Gesellschaft, Radon Bad Menzenschwand,SüddeutscheKommunalinvestitionsgesellschaft, Vereinsbank Heidelberg, HVK

Leasingverwaltungsgesellschaft, LBBW Spezialprodukte-Holding, Deborah 2000

Vermögensverwaltungsgesellschaft, LBBW Banken-Holding GmbH, SüdImmobilienGmbH, LBBW Immobilien-Holding, BW-Holding GmbH, Susette-Holding GmbH

BW Bank

(ab Januar 2005)

Algo

Personalcontrolling

KreditrisikoMart

Unternehmenssteuerung

GLS

FDB (SAS)

olling Meldewesen

Samba

Risikomanagement

CO

art

iBi Pool

Sira

Medina

RMS

Linien

datenbank

DSGV

Standardrating

LLS

F

Sm(

AKL /

Ca

Ban

Kred

Kredi

Page 450: Innovationen durch IT: Erfolgsbeispiele aus der Praxis  GERMAN

Innovation erfordert eine geänderte IT-Governance 461

Abb. 6. Lebenszyklus einer Anwendung7

Zarnekow stellte in einer Untersuchung der Kosten für die Entwicklungund den Betrieb von Anwendungen fest, dass rund 80 Prozent der Kostenauf den Block „Produktion und Weiterentwicklung“ entfallen. Bei einerlängeren Laufzeit als der unterstellten fünf Jahre verschiebt sich dieser An-teil noch einmal nach oben. Die entscheidende Bedeutung der Produkti-ons- und Weiterentwicklungskosten für die Gesamtkosten von IT-An-wendungen und somit für die IT-Kosten wird in der Praxis nichtausreichend berücksichtigt. Die unternehmerische Entscheidung, zum Bei-spiel hinsichtlich des betriebswirtschaftlich sinnvollsten Zeitpunkts derAußerbetriebnahme einer IT-Anwendung, kann durch die heutige Kosten-rechnung in den meisten Unternehmen nicht mit den dafür notwendigenInformationen unterstützt werden. Deshalb wird diese Entscheidung –wenn überhaupt – heute meist auf der Basis von technischen Überlegungenoder Ad-hoc-Entscheidungen und nicht im Rahmen eines institutionalisier-ten Management-Prozesses getroffen. Für ein tragfähiges Innovations-Management ist es jedoch erforderlich, in einem dedizierten Verrech-nungsmodell je IT-Anwendungssystem (verdichtet zum IT-Produkt) dieverschiedenen Kostenbestandteile über die Jahre zu erfassen und darzustel-len. Nur so wird es möglich, dem Management transparent darzustellen,wann es sich betriebswirtschaftlich tatsächlich lohnt, eine bestehende An-wendung im Rahmen des Lifecycle durch eine neue zu ersetzen.

Innovation gezielt ausrichten

Eine der stets wiederholten Hauptforderungen der Literatur zur strategi-schen IT-Planung in den vergangnen 20 Jahren ist und bleibt die Ausrich-tung der IT an den Erfordernissen des Unternehmens. Auch die aktuelleBerichterstattung hebt diesen Aspekt besonders hervor. Nach Auffassungder Autoren könnte diese Forderung durch die konsequente Anwendung

7 vgl. Zarnekow, Scheeg, Brenner (2004), S. 182

Planung Erstent-

wicklung

Produktion(Betrieb, Support,

Wartung)

Außer- betriebnahme

Weiter-entwicklung

Page 451: Innovationen durch IT: Erfolgsbeispiele aus der Praxis  GERMAN

462 Klaus Rausch, Dr. Andreas Rothe

der zum Teil schon 20 Jahre alten Planungsmethoden einfach realisiertwerden. Das folgende Beispiel soll dies verdeutlichen.Um die Steuerung der IT zu verbessern, sind die im Abschnitt „Transpa-

renz“ eingeführten Begriffe von Run/Change und die im Abschnitt „Archi-tektur-Management“ dargestellten Lifecycle-Kennzahlen um weitere (be-kannte) Strategieinstrumente zu ergänzen. Um Strategie, fachlicheAnforderungen, bestehende Kosten und geplante Maßnahmen sowie dietechnischen Möglichkeiten zusammenzubringen, sind auch die strategi-schen Planungsinstrumente innerhalb der (immer gleichen) Produktlinien-struktur anzuwenden. Die einfache Darstellung von Run/Change innerhalbder Produktlinien kann bereits Hinweise geben, ob die Verteilung der In-vestitionen über die Produktlinien hinweg richtig ist (siehe Abbildung 7).

Abb. 7. Strategische Planungsmethoden im Kontext der Produktlinien

Werden zum Beispiel in einem Unternehmen ausschließlich Investitio-nen durch die Betrachtung des ROI bewertet, kann es sein, dass eine be-stimmte Produktlinie einen hohen Investitionsanteil (Change II) aufzeigt,obwohl sich aus Produktliniensicht ein ganz anderes Bild ergibt. In einemsolchen Fall ermöglich die Darstellung innerhalb der Produktlinien gege-benenfalls dem Management, Korrekturen vorzunehmen und trotz hohem

Page 452: Innovationen durch IT: Erfolgsbeispiele aus der Praxis  GERMAN

Innovation erfordert eine geänderte IT-Governance 463

ROI Investitionen in eine andere Produktlinie zu verschieben. Um zu ent-scheiden, in welcher Produktlinie die Investitionen schlussendlich amsinnvollsten sind, müssen zum Beispiel mithilfe der bekannten strategi-schen Portfoliotechniken weitere Informationen ermittelt werden (Abbil-dung 7 oben).Auf Grundlage der zusätzlichen, etwa mithilfe der Portfoliotechniken

gewonnen Informationen ist dann zu prüfen, ob in einem fachlichen Be-reich eher Investieren, Halten oder gar Abbauen die gewünschte Strategieist. Nur so kann gezielt die Frage etwa nach notwendigen Investitionsver-lagerungen sicherer beantwortet werden. Wenn wie hier im Beispiel derProduktlinie Vertriebswege fachlich-strategisch deutlich ausgebaut werdensoll, ist zu prüfen, ob nicht die relativ hohen strategischen Investitionen imBereich Unternehmenssteuerung stärker in den Bereich Vertriebswege ver-lagert werden sollen. So kann der CIO zusammen mit den Fachbereichs-kollegen entscheiden, ob durch eine entsprechende Steuerung von Projek-ten der Strategieanteil (Change II) von der Produktlinie Unternehmens-steuerung auf die Produktlinie Vertriebswege verlagert werden sollte.Denn auch wenn alle Business Cases positiv sein sollten, können mit die-ser Unterteilung scheinbar gleich wertvolle Projekte besser priorisiert wer-den.Die strategischen Steuerungsinformationen in dem Beispiel sollen durch

zwei weitere Strategiekonzepte ergänzt werden. Nehmen wir zum Beispielan, in dem betrachteten Bereich der Vertriebswege ist zwischen einer Stra-tegie zur Qualitätsführerschaft und einer Kostenführerschaft (auch Diffe-renzierungsstrategie genannt) zu wählen. Das Unternehmen entscheidetsich aus marktstrategischen Gründen für die Kostenführerschaft. Würde inder Produktliniendarstellung (siehe Abbildung 8) gleichzeitig der Life-cycle-Status dargestellt werden, so könnte es sein, dass die gewünschtefachliche Strategie verändert werden müsste. Würde sich herausstellen,dass die in diesem Bereich eingesetzten Systeme eher am Ende des Life-cycle stehen, müsste nämlich aus IT-Sicht zunächst massiv in die Erneue-rung der Systeme investiert werden.Eine oder wenige Kennzahl(en) aus dem IT-Architektur-Management

als zusätzliche Information kann fachlich-strategische Entscheidungen ge-nauso beeinflussen. So deuten zum Beispiel hohe Komplexitätskennzahlen(Anzahl der Systeme in dem Produkt, Anzahl der Schnittstellen) auf dieGefahr hin, gewünschte fachliche Prozess- oder und Produktinnovationenlangfristig zu bremsen, da sich dadurch der Entwicklungsaufwand wahr-scheinlich erhöht.

Page 453: Innovationen durch IT: Erfolgsbeispiele aus der Praxis  GERMAN

464 Klaus Rausch, Dr. Andreas Rothe

Abb. 8. Ergänzende Planungsmethoden innerhalb der Produktliniendarstellung

Vermutlich wird jetzt klar, inwieweit bei strategischen Entscheidungendie Produktlinien unterstützend verwendet werden können. Um den Wert-beitrag für das Unternehmen zu erhöhen, müssen alle Investitionen an denfachlichen Strategien des Unternehmens ausgerichtet werden. Dies kannauf Basis von bekannten – in der Regel recht einfachen – Strategieinstru-menten geschehen. Mithilfe der Produktlinien wird die IT fachlich geglie-dert und eine fachliche Steuerung dadurch unterstützt. So entsteht Transpa-renz, auch im Hinblick auf Innovationsentscheidungen. Anstelle vonwenig transparenten Planungspositions- und Kostentabellenlisten reichenin der Regel sieben Produktlinien und wenige, aber entscheidende Kenn-zahlen aus, um Innovationsentscheidungen betriebswirtschaftlich sinnvollzu treffen und abzusichern.

Innovation in ausgewählten Governance-Prozessen

Die bisher gezeigten Instrumente der IT-Governance ermöglichen es demCIO, auf Basis der transparenten Darstellung der IT und der gewünschtenfachlich-strategischen Ausrichtung bestehende Potenziale zu erkennen.Dies ist jedoch nur eine notwendige, aber nicht ausreichende Bedingungfür die Beseitigung der Innovationslücke. Aus der umfangreichen Literaturzum Innovations-Management lassen sich leistungsfähige Konzepte ablei-ten, die ebenso wie die oben dargestellten Konzepte seit Jahren bekanntsind, aber ebenso konsequent angewendet werden müssen. Allerdings ist

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Innovation erfordert eine geänderte IT-Governance 465

es zu beachten, dass die vor allem in den 90er-Jahren entwickelten, zahl-reichen Konzepte zu dem damaligen Modethema Innovation heute unterdem Diktat der beschriebenen Kostenklammer betrachtet und gegebenen-falls verändert werden müssen. Waren in den 90er-Jahren und in der dar-auf folgenden Boomzeit Innovationen fast selbstverständlich mit Investiti-onen und vor allem im Sinne von Bugetausweitungen zu verstehen, istheute Innovation in den bestehenden engen Grenzen durchzuführen. UmInnovation in der IT eines Unternehmens zu verbessern, sind die bestehen-den Prozesse des Governance-Modells in dieser Hinsicht auf Verbesse-rungspotenzial zu überprüfen.Um die Prozesse des Governance-Modells auf dieses Verbesserungspo-

tenzial überprüfen zu können, sollen keine neuen Prozesse erfunden, son-dern auf die in der Literatur beschriebenen Konzepte zurückgegriffen wer-den. In der Literatur existieren zahlreiche Vorschläge für IT-Governance-Prozesse, die sich teilweise überschneiden oder ergänzen – wie zum Bei-spiel ITIL8, International IT Guidelines9 oder COBIT10. COBIT ist im Ver-gleich zu anderen Standards und Richtlinien in der Breite als der umfang-reichste Standard im Rahmen der IT-Governance anzusehen11. Es ist sehrleicht möglich, aus den angegebenen Kontrollzielen die notwendigenMaßnahmen abzuleiten, um den jeweiligen Prozess optimal zu implemen-tieren. Aus Sicht des Innovations-Managements sind diese Ziele um dasZiel der Innovation jeweils in den bestehenden Prozesskontrollzielen zuergänzen. Im Folgenden sollen ausgewählte COBIT-Prozesse12 in diesemSinne betrachtet werden.

Strategische und operative Planung

Wie bereits in Kapitel „Innovation gezielt ausrichten“ dargestellt, kanndurch konsequente Anwendung der bekannten Planungsmethoden die indem COBIT-Prozess (Define a Strategic IT Plan) geforderte Ausrichtungam Business erreicht werden. Aus Sicht des Top-Managements bieten diein diesem Beitrag bereits eingeführten Instrumente eine gute Basis, um diegeforderten Investitionen besser zu steuern oder den Run-Anteil zu senken,um Mittel für Innovationen zu erhalten. Durch die hohe Mittelbindung derKategorie „Run“ muss hier der Fokus auf stringenter Kostenreduzierung

8 vgl. Rummel, H. (o. J.), S. 19 vgl. Zarnekow, Brenner (2003), S. 710 vgl. o.V. (2000), S. 1 ff.11 vgl. Hochstein, Hunziker (2003), S. 5012 vgl. o.V. (2000), S. 23 ff., vgl. ausführlich Rothe (2004), S. 103 ff.

Page 455: Innovationen durch IT: Erfolgsbeispiele aus der Praxis  GERMAN

466 Klaus Rausch, Dr. Andreas Rothe

liegen. Die Senkung des Run-Anteils ermöglicht es, bei gleich bleibendenoder sinkenden Budgets mehr Mittel für die strategische Weiterentwick-lung der IT-Produkte zu erreichen.So bietet die strukturierte Darstellung des IT-Aufwands nach

Run/Change und die weitere Unterteilung in gesetzliche und strategischeMaßnahmen die Möglichkeit, den Run-Anteil durch innovative Zielvorga-ben langfristig zu senken. Insbesondere der Block „gesetzliche Maßnah-men“ ist für eine Veränderung des Run-Anteils von entscheidender Wir-kung, da hier sehr viele Anwendungen verändert und ergänzt werden.Unter diesem Aspekt sollte eine Management-Vorgabe lauten, dass jedesgesetzlich induzierte Projekt klare Vorschläge liefern muss, wie durch ins-besondere innovative Ideen und innovative neue Technologien der Run-Anteil langfristig gesenkt werden kann.Ähnlich dem Jahr-2000-Projekt können durch zusätzlich Management-

Vorgaben umfangreiche Veränderungen der IT-Systemwelt langfristigumgesetzt werden. So wurde in vielen Unternehmen lange vor dem eigent-lichen Jahr-2000-Projekt die Management-Vorgabe gemacht, alle Pro-gramme die im Rahmen einer Änderung angepasst werden, gleichzeitigJahr-2000-fähig zu machen. Langfristig können durch solche Vorgaben in-novative Ideen durch Änderungsprogramme kostengünstig im Rahmen dernormalen Projekte mit nur geringem Zusatzaufwand umgesetzt werden.Vor allem direkte Schnittstellen zwischen Programmen, die zu einer im-mensen Komplexität führen, können an bestehende „Enterprise Applicati-on Integration“-Lösungen angeschlossen werden, um so langfristig dieKomplexität zu verringern. Im Gegensatz zu einem schwer realisierbarenMammutprojekt wie zum Beispiel die Einführung flexibler Enterprise-Application-Integration-Lösungen mit Anpassung Hunderter Schnittstellenist die Verringerung der Komplexität im Rahmen des langsamen, aber ge-steuerten Veränderungsprozesses durchaus möglich.In der Kategorie „Change the bank“ ist es erforderlich, stringent die In-

vestitionen nach ihrem Wertbeitrag zu beurteilen. Leider keine Selbstver-ständlichkeit, wenn zahlreiche Unternehmensberater davon ausgehen, dassbis zu 65 Prozent der Projekte einen rein taktischen Charakter haben odergar nicht mit der Geschäftsstrategie verknüpft sind, keine realistische Aus-sicht auf erfolgreiche Einführung der Software nachweisen können oderschlicht bei einer Kosten-Nutzen-Analyse einen negativen Wertbeitragliefern13. Die im Kapitel „Innovation gezielt ausrichten“ dargestellten stra-tegischen Planungsinstrumente sind aus Sicht des Innovations-Manage-ments durch weitere Informationen zu ergänzen, wie zum Beispiel diefachlich erwartete Veränderungsdynamik (neue fachliche Produkte, verän-

13 vgl. o. V. (2002), S. 6

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Innovation erfordert eine geänderte IT-Governance 467

derte Prozesse, Technologiebrüche etc.). Durch diese Information könnendann beispielsweise in Korrelation zur bestehenden IT-Architektur (Life-cycle der Systeme, Komplexität von Schnittstellen etc.) wichtige planungs-relevante Informationen erzeugt werden. Maßnahmen in den Produktlinienkönnen so gezielt geplant werden.

Architektur-Management

Die COBIT-Prozesse „Define the Information Architecture“ und „Deter-mine Technological Direction“ zeigen deutlich auf, welche Konzepte undEntwicklungsstufen einer Organisation erforderlich sind, um Innovationenin der Organisation zu nutzen und so den Wertbeitrag der IT zu erhöhen.Die in jedem COBIT-Prozess definierten Schlüsselerfolgsfaktoren sindhier aus Sicht des im Rahmen eines hier vorgestellten Innovations-Managements konsequent anzuwenden. So sollte nach einer COBIT-Empfehlung die Einheit „Architektur-Management“ nicht nur eine Richtli-nien-Kompetenz-Verordnungsabteilung sein, sondern kompetent neueTechnologien unter Beachtung der fachlich-strategischen Anforderungenin Form von konkreten Beispielen (Prototypen) in die Praxis umsetzen.

„The potential business impact of technological change is reviewed at seniormanagement levels and the decisions to act reflect the contribution of human andtechnological influences on information solutions. … The entity has a robust tech-nology infrastructure plan that reflects the business requirements, is responsiveand can be modified to reflect changes in the business environment. There is acontinuous and enforced improvement process in place. Industry best practices areextensively used in determining the technical direction.“ 14

Neben diesen Empfehlungen bietet das COBIT-Modell auch die für dieErfolgsmessung notwendigen Kennzahlen wie zum Beispiel die „durch-schnittliche Zeit zwischen der Identifikation von potenziell relevantenneuen Technologien und der Entscheidung, wie diese neue Technologie imUnternehmen zu nutzen sind“. Aus Sicht des Innovations-Managementssollten diese Kennzahlen noch erweitert werden. Wesentlich ist es hierbei,durch konkretes Handeln über messbare Kennzahlen das Verständnis fürdie Bedeutung von Innovation für das Unternehmen aufzuzeigen und um-zusetzen. In einem Unternehmen sollte es eine klare Lieferverpflichtungder IT sein, die Möglichkeiten einer neuen Technologie in einer für dieFachbereiche verständlichen (!) Form darzustellen. Oft hilft hier ein Proto-

14 vgl. o. V. (2000), S. 29

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468 Klaus Rausch, Dr. Andreas Rothe

typ der fassbar und plastisch die Vorteile von Innovationen zeigt, mehr alseine zwanzigseitige, hervorragend ausgearbeitete Technologiestudie.

Sourcing-Strategie entscheiden und umsetzen

Je Produktlinie muss entschieden werden, ob die IT-Dienstleistung selbst,(in Teilen) durch Dritte oder für Dritte bereitgestellt werden soll. Im Rah-men der strategischen Planung ist es zu prüfen, ob die erforderliche Inno-vationsdynamik durch die eigene organisatorische Fähigkeit (Rollen, Pro-zesse, Skills) genügend abgedeckt werden kann. Je nach Ergebnis derwiederholt zu prüfenden Ausgangssituation, ist entsprechend der strategi-schen Anforderungen an die Produktlinie eine Sourcing-Strategie festzu-schreiben. Entscheidet sich ein Unternehmen, diese bei einer IT-Produktlinie nicht outzusourcen, da sie eine Kernkompetenz des Unter-nehmens darstellt, müssen dann die entsprechenden Maßnahmen getroffenwerden, um das Personal in die Lage zu versetzen, den Herausforderungengerecht zu werden. Das betrifft neben den notwendigen aufbau- und ab-lauforganisatorischen Voraussetzungen und notwendigen Schulungsmaß-nahmen auch das Innovationsklima in der betroffenen Einheit (siehe Kapi-tel „Ganzheitliches Innovations-Management“).Schafft ein Unternehmen durch eine vorausschauende Planung und kon-

sequente Durchführung dies nicht umzusetzen, bleibt dem Unternehmenoft nichts anderes übrig, als eine Produktlinie oder einen Geschäftsprozessan einen Dritten auszulagern. So wächst gerade der Markt für diese neueVariante des innovationsmotivierten Outsourcing besonders stark.

Anwendungsentwicklung optimieren

Innovation bedeutet im Fall der Entscheidung für eine Eigenentwicklungoder die Integration von Standard-Software die Fähigkeit, neue Technolo-gien rasch für die Steigerung der eigenen Entwicklungs-Performance zunutzen. Gerade hier gibt es in den letzen Jahren interessante neue Entwick-lungen hinsichtlich der Anwendungsentwicklungsmethoden,15 um die Ent-wicklungs-Performance wesentlich effektiver (bessere Berücksichtigungder Kundenanforderungen) und effizienter zu gestalten (zum Beispieldurch Verringerung der Dokumentation). Zu den interessantesten Ansätzengehören hier sicherlich die Open-Source-Entwicklungsmethoden, die (ver-

15 vgl. ausführlich Heilmann, Strahringer (2003), S. 1

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Innovation erfordert eine geänderte IT-Governance 469

einfacht dargestellt) ohne eine erkennbare Projekt-Management-Instanz zuhervorragenden Produkten führen (etwa Linux). Es ist sicherlich nochnicht abzusehen, welche Auswirkung eine Adaption der Entwicklungs-methoden auf die Entwicklung von Banken-Software hat. Sie versprichtaber interessante neue Konzepte bis hin zu völlig veränderten Modellender Zusammenarbeit zwischen den Banken.Auch in diesem Prozess kann durch einfache Kennzahlen im Rahmen

des Governance-Modells überprüft werden, ob die Organisation innovativeProzesse der Anwendungsentwicklung und der Prozessoptimierung nutztbeziehungsweise in welchem technischen/methodischen Reifegrad sich dieOrganisation befindet.

Ganzheitliches Innovations-Management

Die Veränderung des Selbstverständnisses von einem selbstbestimmtenEigenentwickler zu einem aus einer ganzheitlichen Sicht agierenden Soft-ware-Produzenten erfordert ein modifiziertes Leitbild und die Veränderungder Unternehmenskultur. In diesem Veränderungsprozess können die an-gesprochenen Governance-Modelle durch das in ihnen enthaltende Know-how und die Unterstützungs- und Vergleichsmöglichkeiten sehr hilfreichsein. Die Umsetzung der Modelle mit den in der Regel nach Reifegrad ge-gliederten Entwicklungsstufen bedeutet neben technischen Aspekten vorallem auch Know-how-Aufbau der Mitarbeiter, Veränderung der Einstel-lung zur eigenen Rolle im IT-Leistungsbereitstellungsprozess bis hin zuveränderten Modellen der Zusammenarbeit mit der Fachabteilung. DerVeränderungsprozess erfordert dabei die Unterstützung aller Management-Ebenen. Um den Erfolg des Konzepts der Innovation sicherzustellen, mussaber jeder Mitarbeiter in den Veränderungsprozess durch innere Überzeu-gung einbezogen werden. Die nachhaltige Veränderung des Denkens einesjeden Mitarbeiters ist der entscheidende Erfolgsfaktor für das Konzept, danur mit der inneren Überzeugung aller Mitarbeiter wirkliche Veränderun-gen bewirkt werden können. Wichtig ist es dabei, den Veränderungspro-zess in dem Unternehmen ganzheitlich zu betrachten. So ist mit der imKapitel „Innovation in ausgewählten Governance-Prozessen“ beispielhaftdargestellten Veränderung der IT-internen Governance-Prozesse gleichzei-tig auch die interne Kultur des Unternehmens zu verändern. Die Verände-rung kann dabei nicht selektiv, sondern nur ganzheitlich durchgeführt wer-den, da die einzelnen Elemente sich gegenseitig bedingen (sieheAbbildung 9).

Page 459: Innovationen durch IT: Erfolgsbeispiele aus der Praxis  GERMAN

470 Klaus Rausch, Dr. Andreas Rothe

Abb. 9. Elemente eines ganzheitlichen Innovations-Managements (Auswahl)

Die Auswirkungen dieses Veränderungsprozesses sind weit reichendund erfordern neben der Veränderung der Leistungserstellungsprozesse ei-nen langfristigen Veränderungsprozess der Kunden-Lieferanten-Beziehungund des Selbstverständnisses der IT. Die Geschäftsbereiche werden zuKunden der IT, die auf Basis eines gemeinsamen Verständnisses der Ge-schäfts- und Marktentwicklung die notwendige, langfristige IT-Leistungplanen. Diese Partnerschaft erfordert transparente Liefer- und Leistungs-beziehungen und marktähnliche Mechanismen bei marktgerechten Preisen,orientiert an den geschäftlichen Anforderungen der Bank. Der Kunde derIT-Produkte, die Prozesse und der Markt rücken in den Fokus des IT-Ma-nagements statt – wie bisher üblich – Anwendungssysteme, Aufträge undProjekte. Ziel des aktiven, partnerschaftlichen Kunden-Managements istes, vorausschauend mit den Fachbereichen als Partner die Entwicklung desMarkts, der Bankprodukte und Kunden gemeinsam zu analysieren, um sodurch innovative Ideen mit IT-Unterstützung den Wertbeitrag für das Un-ternehmen zu optimieren.

Fazit

Es wird deutlich, dass Innovation insbesondere durch den bestehendenKostensenkungsdruck notwendig ist. Die wenigen Mittel müssen so einge-setzt werden, dass ein optimaler Nutzen für das Gesamtunternehmen ent-steht. Innovation kann durch ein ausgefeiltes Governance-Modell auf

Architektur-Management

Standardisierungsgrad

Selbstverständnis

Auftraggeberverhältnis

Entlohnungssystem

Fachkonzepte

Planungsstrategie

Innovations-Management

Leitlinien

Keine

Auftragsfertiger

Kostenfaktor

Budget-einhaltung (E)

Traditionell

Technisch

Nicht existent

Konvention

Partner

Dialog

Vorhanden, abereher Intuitiv

Vorbild/Treiber

Weitgehend & markt-adäquat (SIZ/DIN)

Produktanbieter

Wertbeitrag

Prozessoptimierungs-grad (P)

Einbeziehung derNutzer (Open Source)

Fachlich

Integratives Modell

Ausprägung

Inte

rdep

en

den

zen

Page 460: Innovationen durch IT: Erfolgsbeispiele aus der Praxis  GERMAN

Innovation erfordert eine geänderte IT-Governance 471

Grundlage der fachlichen Produktlinien, der konsequenten Anwendungbekannter strategischer Planungsinstrumente und den ergänzenden Infor-mationen aus dem Benchmark optimal initiiert und gesteuert werden.Hierzu sind eine enge Kooperation zwischen der IT und den Fachberei-chen und ein verändertes Selbstverständnis der IT erforderlich. Basis hier-für ist eine ganzheitliche Veränderung der Unternehmenskultur und desLeitbilds der IT.

Literaturverzeichnis

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Rummel, H. (o. J.) IT Infrastructure Library, Einführung basierend auf der ITIL-Foundation, Vorlesungsbegleiter einer Vorlesung an der BerufsakademieStuttgart

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Page 461: Innovationen durch IT: Erfolgsbeispiele aus der Praxis  GERMAN

Zusammenfassung und Ausblick

Dr. Lothar Dietrich, Strategic Business Development Executive IBMDeutschland

An dieser Stelle folgt der Abschluss einer Kapitelreise durch erfolgreicheBeispiele aus der Praxis, und dennoch liegt genau hier der Beginn unsererZukunft. Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung(DIW) ergab in 2005, dass Deutschland bei der Innovationsfähigkeit imVergleich mit 13 Industrienationen den sechsten Platz belegt. VorDeutschland liegen die USA, Finnland, Schweden, Dänemark und Japan.Ziel sollte daher sein, nicht nachzulassen, damit Deutschland seine Positi-on eher verbessert als verschlechtert. Da mit Sparen allein der Wettbewerbim Zeitalter der Globalisierung nicht gewonnen werden kann, haben dieBeispiele dieses Buchs hoffentlich dazu beigetragen, jetzt neue Ideen inUnternehmen für unterschiedliche Märkte umzusetzen.Siemens-Konzernvorstand Thomas Ganswindt stellt in seinem Beitrag

fest: „Innovationen sind weit mehr als Erfindungen. Dabei ist eine Erfin-dung schon viel, nämlich eine schöpferische Leistung, die etwas Neueszum Ergebnis hat. Doch erst der Nachweis, dass eine Erfindung einen ge-sellschaftlichen oder wirtschaftlichen Nutzen hat, macht sie zu einer Inno-vation. Erfindungen als Wegbereiter von Innovationen.“Erfolgsbausteine für Innovation finden sich in den gewählten Innovati-

onsstrategien, der Entscheidung für einen Innovationstypus, der Organisa-tion, den Innovationsprozessen sowie der Kultur des Unternehmens. Eini-ge Elemente ziehen sich durch alle Buchbeiträge immer wieder alsKernpunkte erfolgreicher Innovationen hindurch (siehe Abbildung 1).Innovation als Neuerung technischer, organisatorischer oder strategi-

scher Art hat in allen Beiträgen dieses Buchs eine wichtige Rolle gespielt.Dabei wurden aus unterschiedlichen Branchen Beispiele von Innovationenin Produkten, Geschäftsprozessen und Geschäftsmodellen beschrieben.Wenn es auch kein Patentrezept gibt, um „Innovationen zu machen“ (sieheEinleitungskapitel) soll nachfolgend doch versucht werden, ein Fazit zuziehen und vielleicht doch einige Eckpunkte aufzuzeigen, auf die es an-kommt, um im Unternehmen erfolgreich zu sein.

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Abb. 1. Best Practice der Innovationen

Wenn die gezeigten Beispiele dazu beitragen, dass Führungskräfte undMitarbeiter in Unternehmen darüber nachdenken, wie Business verändertwerden muss, um neue Potenziale für das Unternehmen zu entwickeln, istein wichtiges Ziel der Herausgeber und Autoren erreicht.

Innovations-strategie

Folgende Elemente ziehen sich durch alle Buchbeiträge immer wiederals Kernpunkte von erfolgreichen Innovationen hindurch

Ermitteln von Innovations-Potenzialen

Innovationsstrategie und Unternehmensstrategie in Einklang bringen

Art der Innovationsstrategie (Als Pionier, Imitation oder Nischenlösung)

Zeitpunkt der Ablösung von Vorgänger-Produkten bestimmen

Innovationsbeitrag im Produkt, im Geschäfts-Prozess oder Geschäftsmodell

Schlagkräftige Organisation aufbauen für die Ermittlung, Entwicklung undUmsetzung von Innovation

Verzahnung von zentraler und dezentraler Forschung und Entwicklung

Innovationstyp

Organisation

Bilden von Partnerschaften

Vernetzen von Organisationseinheiten

Innovations-prozesse

Ressource „Wissen“ managen“

Innovationsmanagement

Geschwindigkeit und Effizienz

Controlling

Mehrwert für den Kunden ermitteln

Barrieren zwischen Kunden und Lieferanten senken

Beteiligung von Kunden am Innovationsprozess

Service- und Reaktionszeiten verringern

Collaborative Engineering (parallele Konstruktion und Entwicklung an mehrerenStandorten weltweit gleichzeitig)

Differenzierung im Wettbewerb

Verkürzung des Produktionsprozesses

Komplexitätsreduzierung

Neue Plattformen der Medien (z. B. interaktives Fernsehen)

Einsatz virtueller Methoden

Kunden-orientierung

Sicherheit in elektronischen Netzen

Ver- und Entschlüsselung von Daten

Fälschungssicherheit

Integration von Know-How-Trägern weltweit und intern sowie extern in denInnovationsprozess

Vorbildfunktion des oberen und mittleren Managements

Fördern von „Community-Denken“ (Durchbrechen starrerOrganisationsstrukturen)

Sicherheit

Globalität

Kultur

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Innovationsstrategie und -Management als Kernpunktedes Innovationserfolgs

Zunächst wurde in diesem Buch der Bogen gespannt von der Innovations-strategie bis zur Umsetzung. Die Analyse von Booz Allen Hamilton überverschiedene Branchen und Unternehmen ergab, dass der Innovationspro-zess großen Einfluss auf Wachstum und Profitabilität hat. Dass dabei eineffizientes Innovations-Management eine wichtige Rolle spielt, stellt ins-besondere Thomas Ganswindt in seinem Beitrag eindrucksvoll dar. Bei derFahndung nach Innovationen muss dabei sicherlich darauf geachtet wer-den, dass es sich hierbei zum Beispiel bei neuen Produkten tatsächlich umNeuerungen handelt und nicht allein um Varianten von bisherigen Produk-ten. Oft laufen Unternehmen in die Falle, dass immer neue Varianten er-zeugt werden, was zwangsläufig zu kleineren Losgrößen und dadurch zusteigenden Herstellungs- beziehungsweise Fixkosten mit immer geringerenMargen führt. Das Zauberwort „Teile- und „Baugruppen-Standardisie-rung“ spielt hierbei eine wichtige Rolle, um Kosten überhaupt akzeptabelzu gestalten. Der kundenorientierte Fokus sollte erst sehr spät im Produkti-onsprozess erreicht werden, was nur dann möglich ist, wenn man eine kla-re Produktstrategie entwickelt.Die immer komplexer werdende „Innovationsmaschine“ macht es not-

wendig, Geschwindigkeit und Effizienz durch ein straffes Innovations-Management zu erreichen und damit zu einem wettbewerbsentscheidendenCharakter zu verhelfen. Daran hat es in der Vergangenheit in vielen Unter-nehmen in Deutschland gemangelt, weil es hier keine ausreichend straffeKonzentration auf das Innovations-Management gegeben hat.Erfolgreiche Unternehmen verstehen es, zukünftige Trends aus unter-

schiedlichen Quellen zu kondensieren und mit einer schlagkräftigen Ein-heit unter Einbeziehung von zentralen und dezentralen Einheiten zum Er-folg zu führen. Dabei spielen nicht nur die Innovationsstrategie undOrganisation eine wichtige Rolle, sondern auch das Kundenverständnis.Daher kann ein wichtiger Erfolgsfaktor sein, von vornherein Kunden inInnovationsprozesse einzubeziehen, denn sie sind es am Ende, die Käuferdieser neuen Produkte sein werden.Sowohl die konkrete Umsetzung im Siemens-Konzern als auch die Ana-

lysen in anderen Unternehmen zeigen, dass der Innovationserfolg wesent-lich von folgenden drei Phasen abhängt:

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Abb. 2. Phasenverlauf erfolgreicher Innovationen

Verstärkt wird dieses durch eine entsprechende Innovationskultur imUnternehmen, wozu auch die Weitergabe von Ideen durch Mitarbeiter undeine Community-Organisation beitragen. Mit Community ist gemeint, dassauch Querbeziehungen in Unternehmen gefordert sind und dass das Arbei-ten nicht nur innerhalb hierarchischer Strukturen erfolgt. Neue Möglich-keiten zum Beispiel unter Nutzung von Intranetlösungen können hierzuwichtige Beiträge leisten. Auch nach außen können Partnerschaften förder-lich sein, indem zum Beispiel Kosten und Risiken geteilt werden. Manch-mal kann es dann sogar sinnvoll sein, wenn im Wettbewerb stehende Un-ternehmen in Teilbereichen zusammenarbeiten.Booz Allen Hamilton befasst sich in einem Beitrag mit dem Thema

Technologietrends. Hier wird insbesondere der Fortschritt bei der Leis-tungsfähigkeit von mobilen Endgeräten angesprochen, der zu innovativenEntwicklungen am „Point of Sales“ (dort wo der Kunde etwa Kassen oderAutomaten bedient) führt. Dadurch wird insbesondere die Möglichkeitmobiler Zahlungen gefördert. Die elektronische Signatur wird weitere in-novative Möglichkeiten schaffen, weil sie Anwendungen insgesamt siche-rer macht.Beschrieben werden auch neuartige Kombinationen von Services, die

zukünftig etwa Google auf Basis neuer Techniken anbieten wird.In den Beiträgen wird besonders darauf hingewiesen, dass die IT-

Architekturen heute in den meisten Fällen nicht darauf ausgelegt sind, dienotwendige Flexibilität von Unternehmen zu unterstützen. Es wird ein er-heblicher Nachholbedarf prognostiziert, was in die Empfehlung mündet,„CIOs sollten besser heute als morgen die Zukunftssicherheit ihrer IT-Architektur untersuchen“. Die Aussage von Unternehmensverantwortli-chen, im Schnitt planten sie, rund 25 Prozent ihrer Mitarbeiter mit mobilenAnwendungen auszustatten, lässt weitere innovative Entwicklungen erwar-ten. Dass damit auch eine Veränderung von Systemstrukturen einschließ-lich der Sicherheitsthematik erfolgen muss, braucht sicherlich nicht beson-ders betont zu werden. Als Beispiele werden angeführt, die Effizienz undEffektivität von Außendienst oder Servicetechnikern durch integrierte mo-bile Anwendungen signifikant zu erhöhen.

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Außerdem wird die Verschmelzung der klassischen Telefonwelt und derDatenwelt durch VoIP die Inhalte von Lösungen signifikant verändern.Da bisher nur circa zehn Prozent der Unternehmen diese Möglichkeiten

nutzen, ist hier ein erheblicher Nachholbedarf des Markts zu erwarten,zumal sich die Möglichkeiten der mobilen Kommunikation und Anbin-dung an die Unternehmens-IT in Zukunft in Verbindung mit Technolo-gien, die hohe mobile Bandbreiten zur Verfügung stellen (UMTS,HSDPA), deutlich erweitern werden. Die Verbindung der Technologienund das Zusammenwachsen der Infrastrukturen wird unmittelbare Auswir-kung auf die Entwicklung von Anwendungen und Services haben. Aus-wirkungen auf etablierte Geschäftsmodelle sind damit wahrscheinlich. Zu-künftig wird die Beherrschbarkeit und Wirtschaftlichkeit des Betriebs vonintegrierten Lösungen verschiedenster Informations- und Kommunikati-onstechnologien über den Geschäftserfolg entscheiden.Folgendes Zitat von Eckhard Geulen, Deutschen Telekom, bringt das

heutige Problem auf den Punkt: „Der Wohlstand in den 80er- und 90er-Jahren beruhte weitgehend auf der Abschöpfung der Innovationsrentenvergangener Jahre, die sich heute in vielen Märkten verbraucht haben.“ Erstellt klar, dass es einerseits um technische Neuerungen in Produkten geht,wohingegen Prozessinnovationen eher auf Kostensenkungen und Quali-täts- sowie Leistungsverbesserung zielen. Dabei weist er daraufhin, dass esbei Produktinnovationen einen sehr großen Nutzerkreis gibt, während Pro-zessinnovationen meistens nur einen kleinen Nutzerkreis etwa in einemeinzelnen Unternehmen haben. Innovationsstrategien als Pionier, Imitatoroder Nischeninnovator sind von höchster Relevanz für ein Unternehmenund werden begleitet vom Aufbau von Key Performance Indicators (KPIs).Diese KPIs können zum Beispiel als Umsatzanteil am Gesamtumsatz mitneuen Produkten berechnet werden, die weniger als drei Jahre im Marktsind, oder als F&E-Ausgaben im Verhältnis zum Gesamtbudget oder alsUmsatzanteil/EBIT mit Neuprodukten.Kennzahlen wie die Anzahl erfolgreicher Projekte zur Gesamtzahl aller

Innovationsprojekte geben in sich Aufschluss über das Innovationsver-ständnis eines Unternehmens und die Risikobereitschaft, Innovation zubetreiben.Primäres Ziel ist heute nicht mehr die Informations- und Kommunikati-

onstechnologie an sich, sondern die Integration durch intelligente Vernet-zung entlang von Wertschöpfungsketten und Prozessen. Dabei geht esnicht um die Realisierung von einzelnen Innovationen, sondern um die Ef-fizienz sich wiederholender Abläufe von der Ideenentwicklung bis hin zurMarkteinführung. Ein kritischer Faktor ist dabei die Tatsache, eigene be-stehende Produktreihen zugunsten disruptiver Technologien aufzugeben.

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Folge dieses „Innovator’s Dilemma“ ist es, dass Unternehmen, die heutenoch in einer Technologie führend sind, den Übergang in die Nachfolge-technologie oft nicht mehr an der Spitze stehend schaffen. Dabei misst sichder Wert von Innovationen ausschließlich am Mehrwert für den Kunden.Die konsequente Ausrichtung unternehmerischen Handelns auf die konti-nuierliche Entwicklung und Platzierung marktgerechter Innovationenscheint damit das Mittel der ersten Wahl, um im Wettbewerb mit den der-zeit noch produktionslastigen Unternehmen aufstrebender Volkswirt-schaften wie China nicht nur zu bestehen, sondern die führende Position zuhalten.An einem anderen Beispiel wird gezeigt, wie Unternehmen mittels eines

Informationsportals intelligent auf verteiltes Wissen im Unternehmenzugreifen. Damit können Unternehmen Informationen als kollektiven Wis-sensvorsprung im Wettbewerb nutzen. Wenn Unternehmen das Wissen ih-rer Mitarbeiter konzentrierter nutzen könnten, wäre dies ein entscheidenderBeitrag für den Unternehmenserfolg. Neue Systeme wie Intranet und Wis-sens-Management können Innovationen auf eine Erfolgsspur bringen, weilMitarbeiter in Verbindung mit Datenbanken und Suchmaschinen weltweitden Überblick und den Zugang zu allen im Unternehmen verfügbarenMarktinformationen, Branchennachrichten, Berichte und Länderstudienerhalten.

Erfolgreiche Innovationen im Produkt

Unter „Innovationen im Produkt“ sind nicht allein Gegenstände zu verste-hen, sondern Produkte können auch neue Services etwa in Form neuerMedien sein. Hierzu zählen innovative Produkte selbst, produktbegleitendeServices und Services um das Produkt herum. Beispiele aus diesem Buchzeigen Lösungen zu den Themen Chargenverfolgung in der Pharmaindus-trie mit RFID, zum Schutz vor Produktfälschungen und zur Umsetzungvon Diagnose- oder Simulationssystemen. Weiterhin werden neue Lösun-gen aufgezeigt, die erst durch den Einsatz digitaler Signaturen möglichsind – wie der Online-Abschluss von Versicherungs- oder Kreditverträgen.Sehr interessant sind hierbei die Beschreibungen, wie neue Produkte der

Medien entstehen. Dabei verschmelzen Fernsehen, Internet und Mobil-funk. Dargestellt werden Beispiele, wie Downloads von Fernsehserien er-möglicht oder Filme auf mobile Endgeräte wie Mobiltelefone übertragenwerden können. Durch die Nutzung von Rückkanälen wird zukünftig dieInteraktion mit den Zuschauern selbstverständlich, was wieder neue Mög-lichkeiten eröffnet. In der richtigen Kombination von Technologie, Ge-

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schäftsmodell und unmittelbarem Kundenmehrwert lassen sich heute inkurzer Zeit sogar Weltunternehmen aufbauen (Beispiele sind Google undEbay).Ein Produkt wie das Handy wird dadurch von einem reinen Telefon-

apparat zum persönlichen, mobilen „Media Device“ zum Abspielen vonMusik, Fotos, Video und Live-Fernsehen. Mittels derartiger, neuer Pro-dukte sind auch völlig neue Fernsehsendungen möglich. Dabei hat die„Schlacht ums Zuhause“ erst begonnen, was eine interessante Zukunft er-warten lässt.Ein weiterer innovativer Weg ist es, Rundfunk, Fernsehen, Internet und

das Telefon über das Kabel nutzbar zu machen. Hierdurch entstehen völligneue Geschäftsmodelle und Services wie Video on Demand oder interakti-ves Fernsehen. Für derartige Services sind natürlich auch neue Abrech-nungssysteme notwendig. In diesem Buch wird gezeigt, wie ein Unter-nehmen mit entsprechenden Geschäftsprozessen diese Herausforderungenannimmt und effektive Prozesse auch in Richtung ihrer Kunden – etwa inForm von neuen Abrechnungssystemen – aufgebaut hat. In vielen neuenAnsätzen geht es darum, die Reaktionsfähigkeit von Unternehmen zuverbessern, die Kosten zu senken und neue Services oder Produkte fürKunden bereitzustellen. Dabei gibt es meistens gleichzeitig Ansätze inRichtung Innovation im Produkt, im Geschäftsmodell und in den Prozes-sen.Ein anderer Beitrag befasst sich mit der konkreten Frage, wie Behinder-

te sich im Internet zurechtfinden können. So wie vor einigen Jahren nochRollstuhlfahrer vor einer Treppe stehen bleiben mussten, weil es für siekeine behindertengerechten Zugänge gab, bleibt ihnen heute das Internetversperrt. Aber es gibt innovative Lösungen im Internet, mit denen einebarrierefreie Kommunikation auch für Blinde und Gehörlose möglich ist.Die in diesem Buch gezeigten Ansätze zeigen, dass der Begriff „unmög-lich“ aus unserem Vokabular gestrichen werden sollte, weil in Innovatio-nen unsere Chance für neue Märkte liegt.Bei der Entwicklung neuer Produkte muss auch an den Sicherheitsas-

pekt gedacht werden. IT-Innovationen müssen mit Innovationen der IT-Sicherheitstechnik verbunden werden, um die innere Sicherheit eines Lan-des zu erhöhen. Es wird gezeigt, wie die Verlässlichkeit und Vertraulich-keit von übermittelten Informationen über elektronische Netze deutlichverbessert werden einschließlich der Möglichkeit zur Ver- und Entschlüs-selung von Daten. Mit diesem Ansatz erscheint die breite Einführung in-ternetbasierter Geschäftsabläufe auf höchstem Sicherheitsniveau möglich,was in der heutigen Zeit aufgrund von verstärkt stattfindenden Fälschun-gen und Angriffen im Internet eine schnelle und gute Lösung erfordert.

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Der Schutz vor Dokumentenmissbrauch wird bei der Einführung neuerReisepässe mit biometrischen Daten deutlich, die dem gesamten Bio-metriesektor Auftrieb gibt. Innovative IT-Lösungen spielen schon heuteeine wesentliche Rolle bei der Fortentwicklung sicherheitspolitischer Kon-zepte.

Erfolgreiche Innovationen im Geschäftsprozess

Innovationen im Geschäftsprozess werden in der heutigen Zeit unter fol-genden Aspekten immer wichtiger: Einerseits geht es um die Beschleuni-gung des Durchlaufs von Produkten – vom Entwicklungs- und Produkti-onsprozess über die Auslieferung an den Kunden bis zu nachfolgendenServices –, andererseits um die Entwicklung innovativer Prozessideen, mitdenen neue Geschäftsfelder entwickelt werden können. Parallel dazu gehtes aber auch um Steuerungs- und Unterstützungsprozesse etwa für den Fi-nanz-, Controlling- und Personalbereich.Durch den Einsatz von Informationstechnologien können sich Unter-

nehmen im Wettbewerb differenzieren, etwa durch die Vernetzung vonOrganisationseinheiten mit externen Partnern entlang der Wertschöp-fungskette. Ziel ist hier zum Beispiel die Sicherstellung von hoher Pro-duktvielfalt bei gleichzeitig niedrigen Kosten und dem Ziel, die „Time toMarket“ zu verkürzen.Unternehmen gehen neue Wege im Bereich von Produktentwicklung

und Produktionsplanung, mit denen bisherige physische Modelle durchSimulationen am Computer ersetzt werden. Weiterhin wird angestrebt,elektronische Komponenten sowie die jeweilige Software einzubeziehen.Auf diesem Wege sind deutliche Kostensenkungen bei gleichzeitigerVerkürzung der Auslieferungszeiten an die Kunden möglich. Ziel dercomputergestützten Simulation ist es dabei auch, einen besseren Reifegradvon Entscheidungen zu erreichen.Simulationen sind ein wichtiger Schwerpunkt bei Innovationen. Sie hel-

fen im Automobilbau beim Bau neuer Fabriken und bei der Fahrzeugent-wicklung zur Verbesserung der Fertigungsprozesse; ebenso werden sie fürinnovative Schulungskonzepte eingesetzt. In diese Betrachtungen mussauch der Mensch einbezogen werden, etwa über Ergonomie-Unter-suchungen im Fahrzeuginnenraum und die Schulung der späteren Nutzer.Dabei reichen die Einsatzgebiete von der Steuerung eines großen Schiffsbis hin zur Steuerung eines Autos im Straßenverkehr.Bei anderen Herstellern erfolgt die Freigabe bestimmter Prozesse oder

Produkte erst, wenn eine Produktionsstätte am Rechner alle Simulations-,

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Planungs- und Integrationsschritte erfolgreich durchlaufen hat. Zur Ver-kürzung von Durchlaufzeiten tragen auch andere Systeme wie zum Bei-spiel Portale bei, über die Lieferanten und Kunden gleichermaßen Zugriffauf alle Planungsstände haben.Aus einem der Beiträge geht hervor, wie die Verbesserung der Qualität

sowohl in der Planungs- als auch in der Produktionsphase zu erreichen ist.Auch hier spielt das Thema Simulation eine wichtige Rolle, um Produkti-onsabläufe für künftige Prozesse hinsichtlich Fehleranfälligkeit und Effi-zienz zu optimieren.Auch auf der Beschaffungsseite sind Innovationen notwendig und mög-

lich: Von der Bereitstellung zentraler einheitlicher Stammdaten, über daseffektive Management von Kontrakten (Verträge mit Lieferanten, auf dieMitarbeiter eines Unternehmens zugreifen können) bis hin zum effektivenControlling werden innovative Wege mittels des Einsatzes von Portalenmöglich, die entsprechende Prozesse effektiv machen. Dabei habenWorkflows eine sehr wichtige Funktion. Dieses sind Prozesse, die automa-tisch erzeugt werden, etwa um einen anderen Anwender per Mail aufzu-fordern, eine Zahlung im Unternehmen freizugeben oder die angestrebteQualität eines Produkts als erreicht zu bestätigen.Dies erspart viel Papier im Unternehmen und langwierige Postwege.

Durch die Verwendung von Software-Lösungen, die Workflows erzeugen,lassen sich Zeit und Geld einsparen. In diesen Prozessen ist auch hinter-legt, wer wann etwas freizugeben hat. Diese innovativen IT-Lösungen sol-len zum einen dazu dienen, dass der Anwender im Unternehmen in die La-ge versetzt wird, die verhandelten Kontrakte ohne weitere Bearbeitungdurch die Einkaufsfunktion selbst zu nutzen, zum anderen soll die Erfas-sung von Belegen in der gesamten Prozesskette mit dem Lieferanten mi-nimiert werden.Beim Thema RFID werden die Geschwindigkeit und die Qualität der

Lieferketten zu einem entscheidenden Wettbewerbsfaktor. Es gibt dadurchauch gute Lösungsansätze, die der Produktpiraterie entgegenwirken kön-nen, neue Wege für eine effektivere Logistik und sogar neue Möglichkei-ten der Kundenbindung.Mit einer innovativen „eService-Plattform“, die der Kundenseite den

Einkauf von Produkten deutlich erleichtert, wird mancherorts eine Integra-tion der Auftragsprozesse über Unternehmensgrenzen hinweg geschaffen.Hierdurch wird die Transparenz und Effizienz für alle Beteiligten gestei-gert, etwa für den Einkäufer des Kunden, Lagerhalter, Servicecenter, Zerti-fizierungsgesellschaften, Transportgesellschaften, Verkäufer auf der Liefe-rantenseite und andere. Eine derartige Serviceplattform ist damit einegemeinsame Informations- und Kommunikationsplattform, die allen An-

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wendern bei Geschäftspartnern und im eigenen Haus gleichzeitig, ortsun-abhängig und gleichartig strukturiert zur Verfügung steht.Nicht der elektronische Zugriff auf die Dokumente, sondern der Kon-

textbezug zu den Geschäftsprozessen bietet hier eine neue innovative Qua-lität. Mit dieser Lösung wird das Problem der Erfassung desselben Vor-gangs in zwei verschiedenen Systemen richtig erkannt – nämlich beimKunden und beim Lieferanten. Der Abstimmaufwand wird mit einer derar-tigen innovativen Lösung deutlich reduziert; manuelle redundante Tätig-keiten beim Kunden und auf Lieferantenseite werden auf ein Minimum re-duziert, was gleichzeitig auch zur Verkürzung von Prozesslaufzeiten führt.Der Zugang über das Internet wirkt sich dabei insbesondere bei räumlichverteilten Projektmitgliedern positiv aus, die auch in verschiedenen Län-dern sitzen können.Im Anlagenbau werden die Möglichkeiten des Internet ebenfalls ge-

nutzt. Konstruktion und Entwicklung für dieselbe Anlage werden von ver-schiedenen Partnern gleichzeitig durchgeführt. Dies allein ist schon eineHerausforderung und stellt einen wichtigen innovativen Ansatz dar, dervor allen Dingen auch international umgesetzt werden kann.Die Verlagerung von IT-Themen durch die Zusammenarbeit mit einem

Outsoucing-Partner ist ein anderes Beispiel, das zeigt, wie Innovationengefördert werden können. So wie Unternehmen heute flexibel gegenüberdem Markt und den Kunden reagieren müssen, sind entsprechende adapti-ve Lösungen für IT-Services innerhalb des Unternehmens in Zusammen-arbeit mit einem Outsourcing-Partner sinnvoll und notwendig. Um dieWertschöpfungstiefe des eigenen Unternehmens zu verringern, werden IT-Aufgaben an externe Partner ausgelagert. Mergers and Acquisitions, Un-ternehmensteilverkäufe und -ausgliederungen, strategische Kooperationen,Neufokussierung und damit einhergehende Verringerung der Spartenzahl,Verlagerung von Produktionsstätten und Änderung der Fertigungstiefe: Alldas sind Vorgänge, die in der Regel die betriebswirtschaftlichen IT-Unterstützungssysteme, meist aber auch die gesamte IT vor große Heraus-forderungen stellen.Die Spielregeln des adaptiven Outsourcing in unserem Beispiel sehen

eine nahezu beliebige Veränderbarkeit der bezogenen Services währendder Vertragslaufzeit vor. Dabei ist ein modulares Vertragswerk als Platt-form wichtig. Kern des adaptiven Outsourcing ist das grundsätzliche Rechtdes Kunden, beliebige Services während der Vertragslaufzeit jederzeit zukündigen und dabei den entgangenen Gewinn und die Fixkosten dem Ver-tragspartner zuzusichern. Interessant ist der Aspekt, dass damit ein Wett-bewerb zwischen Kunde und Dienstleister um die Identifizierung und Um-

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setzung von Einsparungspotenzialen in der (Dienst-)Leistungserbringungeingeleitet wird.Eine wichtige, ungeschriebene Regel des adaptiven Outsourcing besagt,

dass sich beide Parteien in gewissen Punkten auf die partnerschaftlicheZusammenarbeit während der Vertragslaufzeit verlassen, ohne alle Even-tualitäten und Details vertraglich zu fixieren, was ohnehin nicht möglichist. Eine enge, partnerschaftliche Zusammenarbeit mit dem Dienstleisterinsgesamt ist notwendig, da der Kunde teilweise in das Unternehmen desDienstleisters hineinregiert. Damit ergibt sich ein für beide Vertragspartei-en fairer Vertrag, der zudem die Schwächen herkömmlicher SLAs (ServiceLevel Agreements) überwindet und somit auch für Unternehmen geeignetist, die wegen schlechter Erfahrungen eine Abkehr vom Outsourcing er-wägen.Auch interne IT-Services können als „atmungsfähiges“ Geschäftsmodell

entwickelt werden. Eine flexible Anpassung an Veränderungen des Marktsund des Unternehmens selbst wird so eher erreicht als mit starren Struktu-ren und unflexiblen Serviceverträgen.Am Beispiel Voice over IP kann man sehen, wie IT-Innovationen zügig

in marktreife Produkte und Dienstleistungen umgewandelt werden können.Die neuen Geschäftsfelder Breitband-Internet- und Telefondienste via Ka-bel enthalten weiteres Wachstumspotenzial. Die Vernetzung von mehrerenStandorten, das Anbinden von „Teleworkern“ über DSL-Anschlüsse oderdie Nutzung des firmeneigenen LANs für Telefongespräche bietet neueMöglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern unterschiedli-cher Unternehmen.Mit Unified Messaging werden eingehende Nachrichten wie zum Bei-

spiel SMS, Fax und Sprachnachrichten unter einer Oberfläche gebündelt.Der Empfänger kann auf diese Nachrichten von verschiedenen Endgerätenwie PC, Handy oder Bürotelefon zugreifen oder wird an seinem bevorzug-ten Endgerät über den Erhalt einer neuen Nachricht informiert. Interessantist hier der Ansatz, dass nicht mehr Produkte oder komplette Lösungenverkauft werden, sondern Dienstleistungen in Form von „Managed Ser-vices“. Den Unternehmen wird dabei nicht nur Technologie bereitgestellt,sondern durch qualitativ hochwertige Leistungen ein klarer Mehrwert ge-boten, indem etwa Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jederzeit über einheit-liche Rufnummern erreichbar sind.

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Erfolgreiche Innovationen im Geschäftsmodell

Unter einem Geschäftsmodell verstehen wir die ganzheitliche Beschrei-bung des Was und Wie einer Strategie. Das heißt, es wird dargelegt, wel-che Produkt- und Marktstrategie verfolgt wird und wie – im Zusammen-spiel mit externen Partnern zum Beispiel Kunden und Lieferanten – dieGeschäftsprozesse aussehen sollen.Welche fundamentalen Änderungen der Geschäftsmodelle wird es in

Zukunft geben? Der Bankenbereich beispielsweise könnte sich von einemreinen Kontenverwalter zu einem Lebensbegleiter wandeln. InnovativeAnsätze in Form von digitalen Signaturen vermeiden zukünftig die heutebestehenden Medienbrüche und ermöglichen Einsparungen bei der Ab-wicklung der notwendigen Prozesse. Dabei muss darauf geachtet werden,dass hierbei niemand ausgegrenzt wird, etwa ältere Personen, weil sie sichin einer papierloseren Welt nicht mehr zurechtfinden. Zusätzliche Ge-schäftsprozesse, die bisher der Schriftform bedürfen, können zukünftigauch online angeboten werden (im Bankenbereich etwa Freistellungsauf-träge, Vollmachten, Zweitkonten etc.). Hierdurch sind auch völlig neueVertriebskanäle möglich, die Unternehmen und Kunden nutzen können.Neue mediale Vertriebswege durch Internet- und Telefon-Banking ste-

hen nicht nur im Spannungsfeld zwischen Mehrwert für den Kunden undnotwendiger Kostenreduzierung, auch die IT-Plattformen stoßen hierschnell und deutlich an ihre Grenzen. Vor allem mangelnde Offenheit,Flexibilität und Skalierbarkeit sorgen dafür, dass die Applikationen häufigdie Geschäftsabläufe eher behindern als unterstützen. Daher werden neueLösungen von IT-Technologien wie serviceorientierte Lösungen benötigt.In den zukünftigen Workflows steht dabei stets der Kunde im Mittelpunktder durchgängigen Geschäftsprozesse. Der Erfolg von Banken, Sparkassenund auch Versicherungen wird davon abhängen, wie gut es den Unterneh-men gelingt, die zunehmend individueller werdenden Wünsche und Präfe-renzen ihrer Kunden rechtzeitig zu erkennen, sie zielorientiert und be-darfsgerecht auf den unterschiedlichen Vertriebskanälen anzusprechen undfür sich zu gewinnen.Ebenso wichtig ist es, dass sich Unternehmen darauf einstellen, auf

Veränderungen des Markts, etwa Fusionen und Unternehmensteilungen,stets reagieren zu können. Langwierige Transformationsprojekte sind beidiesen organisatorischen und prozessualen Änderungen nicht akzeptabel,was auch neue Herausforderungen für IT-Bereiche bedeutet. Es sind neueOrganisationsmodelle notwendig, durch die entsprechend schnell reagiertwerden kann. Dreh- und Angelpunkt beim Vertrieb von Finanzproduktenwird es daher im Banken- und Versicherungsbereich sein, den Kunden

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überall dort zu erreichen, wo er seine Geldgeschäfte erledigt. Derpersonalisierte Bereich im Internet wird so zu einer Informations- undKommunikationsplattform für Kunden und Berater.Im Tourismussektor bedeutet das zum Beispiel: Es werden individuali-

sierte, dynamisch erstellte Pakete für den Kunden aus Bausteinbeständen(Flüge, Hotelbetten) wie auch aus externen Bausteinen zusammenge-schnürt, die erst unmittelbar im Rahmen des Konfigurationsprozesses vonDrittanbietern eingekauft werden („Dynamic Sourcing“).

Innovativ: IT-Steuerung und -Management

Innovationen zu managen ist ein entscheidender Punkt auf dem Weg zumErfolg. Diese Erkenntnis zieht sich durch alle Beiträge dieses Buchs. Esgeht um den Weg, Ideen zu finden und darum, den Enthusiasmus der In-novatoren in Einklang zu bringen mit den Beharrungskräften des etablier-ten Managements, die mit den Erfolgen von gestern groß geworden sind.Dabei gilt es, gleichzeitig die Veränderungsbereitschaft der Mitarbeiter zuwecken und die unterschiedlichen Disziplinen im Unternehmen zusam-menzubringen: insbesondere Forschung und Entwicklung, IT, Marketing,Prozess- und Unternehmensstrategie und nicht zuletzt den Bereichen Fi-nanzen und Controlling.

Abb. 3. Erfolgsbausteine für Innovationen

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Es ist für Innovatoren sehr wichtig, Führungsinstrumente für die Bud-getsteuerung und für die Transparenz der Kosten zu besitzen. Dies mussheute mehr als je zuvor über Ländergrenzen hinweg geschehen. Ein wich-tiger Ansatz ist es, nicht nur die Kosten transparent zu halten, sondernauch den Nutzen von Lösungen oder Innovationen aufzuzeigen und zubewerten.Wie kann die Steuerung von Innovationen mit der Governance-

Thematik (Strategieentwicklung und Steuerung im Unternehmen) verzahntwerden? Hier spielen die Stufen Strategieprozess, Controlling und Revieweine entscheidende Rolle. Durch eine so genannte IT-Reifegrad-einschätzung kann jedes Projekt oder jeder innovative Lösungsvorschlagregelmäßig bewertet werden. Hierbei werden sowohl auf Konzern- alsauch auf Gesellschaftsebene strategische IT-Initiativen definiert. Im Über-gang zur jährlichen IT-Budget- und Portfolioplanung werden diese, unterUmständen auf mehrere Jahre angelegten Initiativen in konkrete Projekteheruntergebrochen. Im Projekt-Management-Prozess werden dabei imRahmen von Reviews die Projekte verschiedenen Reifegraden zugeordnet.Auch Portfoliotechniken und Benchmarking sind wichtige Methoden

zur Messung des Erfolgs von Innovationen. Zum Beispiel kann als Para-meter die „durchschnittliche Zeit zwischen der Identifikation von poten-ziell relevanten neuen Technologien und der Entscheidung, wie diese neueTechnologie im Unternehmen zu nutzen sind“ gelten. Mit entsprechendenKennzahlen kann ein Unternehmen überprüfen, in welchem techni-schen/methodischen Reifegrad sich die Organisation gerade befindet.Fortschritt ist die Fortsetzung von Ideen. Es geht darum, wichtige Zu-

kunftsfelder in eine langfristige Strategie zu überführen. Ideen für neueProdukte zu entwickeln sollte systematisch betrieben werden. Dabei soll-ten die Ideen der eigenen Mitarbeiter und der Partner in der ganzen Weltgenutzt werden. Es geht aber auch darum, diese Ideen erfolgreich zu ma-nagen. Dies bedeutet in der heutige Zeit auch entsprechend schnell markt-beziehungsweise kundengerecht zu handeln, um mit der richtigen Ideezum richtigen Zeitpunkt am Markt zu sein.Die Beiträge dieses Buchs haben gezeigt, dass es sich bei Produkten

nicht nur um gegenständliche Produkte, sondern auch um Services alsNutzen für den Kunden handeln kann. Märkte können damit nicht nur er-schlossen, sondern mit völlig neuen Ideen auch geschaffen werden. Dabeikommt es darauf an, seine Kräfte zu konzentrieren, weil niemand auf allenGebieten gleichzeitig arbeiten kann. Die Beiträge dieses Buchs haben di-verse Ideen für neue Produkte und Geschäftsmodelle gezeigt. Gleichzeitigwurden Wege deutlich, Innovationen zu managen, den Erfolg durch Cont-rolling zu belegen und dabei die Prozesskosten im Blick zu behalten.

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Ein weiteres Fazit lautet sicherlich auch: Innovationen zu schaffen istkein Zufall, sondern gestaltete aktive Arbeit mittels klarer und konkreterProzessschritte. Diese einzuleiten und zum Erfolg zu führen ist damit zu-nächst vor allem eine strategische Management-Aufgabe.Mit Innovationen erfolgreich zu sein heißt, darüber nachzudenken, wie

man sein Business verändern kann. Ob Innovationen für Produkte, Ge-schäftsmodelle oder Prozesse entwickelt werden oder für eine Kombinati-on daraus, muss jedem Entscheider selbst überlassen sein.Innovationspessimismus ist leider kein neues Phänomen. Das zeigen

drei Beispiele aus der Vergangenheit, die die Zeitschrift „Newsweek“ zu-sammengetragen hat:

• Wilbur Wright (Flugpionier), 1901: „In den nächsten 50 Jahren wirdkein Mensch fliegen.“

• Kaiser Wilhelm II: „Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist nur einevorübergehende Erscheinung.“

• William Orton, Vorstand von Western Union, als ihm Alexander Gra-ham Bell seine kleine Telefongesellschaft für 100 000 Dollar zum Ver-kauf anbot: „Welchen Nutzen könnte unsere Firma schon aus einem e-lektronischen Spielzeug ziehen?“

Wenn das vorliegende Buch dem Leser hingegen Anregungen für Inno-vationsoptimismus geben konnte, wurde das Ziel der Herausgeber und al-ler Autoren erreicht.

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Autorenverzeichnis

Stefanie Berk

Stefanie Berk (geboren 1967) leitet seit 1. Februar 2004 das „Profit CenterFlug Fern“ von Neckermann Reisen. Sie zeichnet für das Produkt von Ne-ckermann Reisen in der Karibik und Lateinamerika, in Afrika, Asien undNordamerika verantwortlich. Neben Produkt-Management gehören die Be-reiche Hoteleinkauf und Flugsteuerung Fernreisen in ihre Verantwortung.Stefanie Berk berichtet an Dr. Peter Fankhauser, Vorstand der ThomasCook AG.Ihre berufliche Laufbahn startete die Diplom-Betriebswirtin im Februar

1991 bei der Deutsches Reisebüro GmbH als Trainee. Im selben Jahr kamsie in die Abteilung Marktforschung, die sie von 1992 bis 1994 leitete. An-schließend wechselte sie in das Produkt-Management von Dertour, wo sieals Produktleiterin das Südamerika-Programm aufbaute und im Markt ein-führte. 1996 übernahm Stefanie Berk bei Dertour die Produktleitung fürLateinamerika und die Karibik und zeichnete ab 1998 darüber hinaus fürdie Dertour Generalagentur des Club Méditerranée in Deutschland verant-wortlich. 1999 wurde sie Produktleiterin für das Nordamerika-Angebotvon Dertour und verantwortete darüber hinaus seit Mai 2000 das Amerika-Programm von ADAC Reisen. Im Februar 2002 wechselte Stefanie Berkals Direktorin Hoteleinkauf zur Thomas Cook AG.

Frank Bildstein

Leiter Datenbasengenerierung Fahr-/Flugsimulation RheinmetallDefence Electronics GmbH

Frank Bildstein ist Leiter der Datenbasengenerierung Fahr-/Flugsimulationbei der Rheinmetall Defence Electronics GmbH in Bremen. Zuvor war er

Direktorin Neckermann Fernreisen Thomas Cook AG

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in Unternehmen als Entwicklungsingenieur im Bereich Datenbasengene-rierung tätig. Davor arbeitete er als DV-Organisator bei der Firma KodakAG, Stuttgart. Bildstein ist Diplom-Informatiker und schloss sein Studiuman der Universität Bremen ab.

Franz-Theo Brockhoff

Stellvertretender Vorsitzender der Geschäftsführung SparkassenInformatik

Franz-Theo Brockhoff (geboren 1954) studierte Mathematik mit dem Ne-benfach Betriebswirtschaftslehre. Nach der ersten beruflichen Station(1980 bis 1995) bei der Nixdorf Computer AG (später: Siemens NixdorfInformationssysteme AG) in verschiedenen Aufgaben und Leitungsfunkti-onen in der System- und Anwendungsentwicklung wechselte Brockhoff1995 in die Sparkassenorganisation. Brockhoff hat als Geschäftsführer dieEntwicklung der in 2001 aus der Fusion von drei Unternehmen entstande-nen Sparkassen Informatik mitgestaltet.Heute ist er bei dem Sparkassen-IT-Dienstleister für die Bereiche Markt

und Vertrieb, Client/Server sowie Finanzen verantwortlich. Seit 2003 istBrockhoff stellvertretender Vorsitzender der Geschäftsführung der Spar-kassen Informatik.

Dr. Johannes Bussmann

Partner Booz Allen Hamilton

Dr. Johannes Bussmann ist Partner bei Booz Allen Hamilton und dort ver-antwortlich für das europäische IT-/Financial-Services-Team. Als GlobalLeader des Customer, Chanels and Markets Team koordiniert er weltweitdie Aktivitäten im Bereich Vertrieb. Er ist seit 18 Jahren Strategieberatermit dem Schwerpunkt Informationstechnologie und hat breite Erfahrungenaus Projekten, in denen innovative Konzepte durch den Einsatz von ITentwickelt und realisiert wurden.

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Dr. Lothar Dietrich

Strategic Business Development Executive IBM Deutschland

Dr. Lothar Dietrich (1950) studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der TUBerlin und promovierte in der Fachrichtung Maschinenbau zum Dr.-Ing.Er leitete diverse Großprojekte in der Industrie auf den Gebieten Ferti-gungstechnik und -organisation. Seit fast 20 Jahren ist Herr Dr. Dietrich inder Beratung für Geschäftsprozesse und Informationstechnologie tätig. Zuseinen Stationen gehörten die Unternehmen Krupp und Krauss-Maffei. Fürdas Unternehmen Siemens-Nixdorf war er zuständig für strategischeGroßprojekte in der Fertigungsindustrie. Unter anderem war er auch betei-ligt an der Vorbereitung der Fusion beider Unternehmen. Danach über-nahm er für neun Jahre bei einem Automobilzulieferer die Verantwortungfür die gesamte technische und kommerzielle IT einschließlich der Einfüh-rung von neuen Geschäftsprozessen auf Basis von SAP.Als CIO für den Babcock-Borsig-Konzern entwickelte er die IT zu ef-

fektiven Standards und führte SAP R/3 in allen wichtigen Gesellschaftenvon Anlagen- und Maschinenbau einschließlich des Werftbereichs HDWmit konzernweiten Standards ein. Standardisierte Geschäfts- und IT-Prozesse und die damit verbundenen IT-Systeme sind für Dr. Dietrich dieentscheidende Unterstützung für die Effektivität von Unternehmen. Ausseinen Erfahrungen referierte er mehrfach vor Praktikern beziehungsweiseManagern der Industrie in Deutschland, in den USA und in Asien. SeinMotto ist, die IT von der Bit- und Byte-Betrachtung zur Prozess-orientierung zu führen.Von 2003 bis Ende 2005 war Herr Dr. Dietrich Geschäftsführer des IT-

Beratungsunternehmens Manß & Partner GmbH. Seit Januar 2006 ist er alsStrategic Business Development Executive für die IBM Deutschland ver-antwortlich.

Dr. Hans Christoph Dönges

Leiter Competence Center für IT-Lösungen in der Logistik DematicGmbH

Dr. Hans Christoph Dönges (Jahrgang 1964) studierte Physik an der JustusLiebig Universität in Gießen und der University of Washington in Seattle,USA. Er leitete bei einem deutschen Software-Haus die Abwicklung gro-ßer Software-Projekte im Bereich Materialflusssteuerung, Lagerver-waltung und Supply Chain Management. Zu seinen Kunden gehörten Un-

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ternehmen aus Handel, Logistikdienstleistung und der Konsumgüter-industrie.Seit 2002 ist Dr. Dönges bei der Siemens AG für Logistiklösungen ver-

antwortlich, die RFID-Technologie beinhalten. Er begleitetet mehrere stra-tegische Projekte zum Thema RFID, zum Teil in leitender Position, zuletztmit dem Schwerpunkt auf Anwendungen in der pharmazeutischen Indust-rie. Er leitet das Competence Center der Dematic GmbH für IT-Lösungenin der Logistik. In dieser Position ist er weltweit an den RFID- Kundenpro-jekten beteiligt. In seiner Verantwortung liegt die Weiterentwicklung desRFID-Leistungsangebots der Dematic GmbH. Dr. Dönges ist Sprecher derRFID Boards der Siemens AG.

Heinz Dresia

schluss Diplom-Kaufmann – bekleidete Heinz Dresia diverse Positionenim Rheinmetall-Konzern, zuletzt als Generalbevollmächtigter und Leiterder Hauptabteilung Controlling und Unternehmensentwicklung. 2000 wur-de Dresia Geschäftsführer der EuroMarine Electronics GmbH und derSTN ATLAS Marine Electronics GmbH in Hamburg. 2003 hat er denVorsitz der Geschäftsführung der Rheinmetall Defence Electronics GmbHin Bremen übernommen.Heinz Dresia ist als Mitglied des Bereichsvorstands der Rheinmetall

AG, Unternehmensbereichs Defence, verantwortlich für die Geschäftsbe-reiche Air Defence (Oerlikon Contraves) und Defence Electronics(Rheinmetall Defence Electronics).

Reinhard Eschbach

CIO Thomas Cook AG

Reinhard Eschbach (geboren 1958) ist seit Mai 2005 als CIO für die ge-samte IT der Thomas Cook AG verantwortlich. Davor war er als CIO fürden Geschäftsbereich Corporates & Markets der Bayerischen Hypo-Vereinsbank AG zuständig. Dort implementierte er ein neues Governance-Modell zur Steuerung der ausgelagerten IT-Töchter und der im Geschäfts-feld angesiedelten IT. Eschbach managte zuvor fast sieben Jahre ein lang-fristiges Outsourcing-Arrangement mit der IBM in dem US-ameri-

Seit 1974 – nach einem Studium an der Universität Köln mit dem Ab-

Unternehmensbereich,Mitglied des Bereichsvorstands Rheinmetall

DefenceAG

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Autorenverzeichnis 493

kanischen Konzern Campbell Soup Company, wo er die Verantwortungals IS-Director für Europa inne hatte. 2000 wirkte er maßgeblich bei dergrößten europäischen Akquisition des Campbell-Soup-Konzerns mit. Inden Jahren 1992 bis Ende 1995 war er bei der Kaufring AG, Düsseldorf,tätig, wo er eine Client-Server-Architektur implementierte, ein Multime-dia-Kompetenzcenter einrichtete und als RZ-Leiter tätig war.Von 1989 bis Ende 1991 war Eschbach bei der KPMG in der Unter-

nehmensberatung tätig. Wesentliche Beratungsschwerpunkte waren dieKonzeptionierung und Realisierung von Decision Support und executiveInformationssysteme. Sein Studium als Diplom-Ingenieur für Produktions-technik absolvierte er in Köln. Während des Studiums startete er seineKarriere als geschäftsführender Gesellschafter seines eigenen Unterneh-mens, der Apricot Computer GmbH. Während der achtjährigen Bundes-wehrzeit machte er bei der Lufthansa AG eine Ausbildung zum Flugzeug-mechaniker.

Dr. Michael Fritsch

Principal Booz Allen Hamilton

Dr. Michael Fritsch ist Principal im Bereich Telecommunications und ITbei Booz Allen Hamilton. Er berät Telekommunikationsunternehmen instrategischen, technischen und organisatorischen Fragestellungen, von derEntwicklung strategischer Konzepte bis hin zu deren Umsetzung. Dr.Fritsch war zuvor bereits für mehrere internationale Unternehmens-beratungen tätig und hat als Geschäftsführer eines mittelständischen Un-ternehmens gearbeitet.

Thomas Ganswindt

Mitglied des Zentralvorstands Siemens AG

Thomas Ganswindt (geboren 1960) arbeitete nach Abschluss des Maschi-nenbaustudiums zwei Jahre beim Fraunhofer-Institut für Produktions-anlagen und Konstruktionstechnik in Berlin. Seine Laufbahn bei Siemensbegann er 1989 im Bereich Automatisierungstechnik in Berlin und Nürn-berg.Dort war er verantwortlich für Numerische Steuerungen. 1993 wech-

selte Ganswindt in den Bereich Verkehrstechnik nach Braunschweig. 1996wurde ihm die Leitung des Geschäftszweigs Sicherungssysteme für die

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Deutsche Bahn übertragen, ein Jahr später das Geschäftsgebiet Betriebs-führungssysteme Nahverkehr. 1999 übernahm Ganswindt die Verant-wortung für die Fernverkehrsbetriebssysteme und wurde in den Bereichs-vorstand des Siemens-Bereichs Transportation Systems berufen.Ab September 2001 leitete er den Siemens-Geschäftsbereich Infor-

mation and Communication Networks (ICN). Im Dezember 2002 wurde erzusätzlich zum Mitglied des Vorstands der Siemens AG bestellt. Seit Ok-tober 2004 gehört Ganswindt dem Zentralvorstand der Siemens AG an undbetreut hier die Siemens-IC-Bereiche. Zum September 2005 übernahmGanswindt zusätzlich zu seiner bisherigen Funktion den Vorsitz im Be-reichsvorstand von Siemens Communications.

Dr.-Ing. Eckhard M. Geulen

Senior Executive Vice President Deutsche Telekom/T-Com

Dr. Eckhard M. Geulen (Jahrgang 1966) studierte Elektrotechnik an derRheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen undpromovierte zum Thema „Offene Dienstanbietung in zellularen GSM-Netzen“. Seit nunmehr zwölf Jahren ist er in den Bereichen Forschung,Beratung und Innovation im Telekommunikationssektor in leitenden Funk-tionen tätig. Zwischen 1993 und 1998 bekleidete Dr. Geulen verschiedenePositionen bei der Ericsson Eurolab Deutschland GmbH, unter anderemals Forschungsingenieur, Gruppenleiter und Projektleiter. Die Leitung ei-nes multinationalen Verbundforschungsprojektes und seine Tätigkeit in derTrainingsabteilung führten ihn jeweils zu längeren Auslandsaufenthaltennach Schweden und Kanada. Ende 1996 gründete er die ForschungsgruppeMobile-Multimedia-Anwendungen, die er bis zu seinem Ausscheiden 1998leitete.Im Anschluss daran war Dr. Geulen einige Jahre in der Strategie- und

Management-Beratung tätig. Eine seiner Stationen war die Telecommuni-cations Practice der Boston Consulting Group, an deren Aufbau er verant-wortlich beteiligt war. Danach war er drei Jahre lang Mitglied der Ge-schäftsführung der deutschen Niederlassung des amerikanischen Tech-nologie- und Management-Beratungsunternehmens Sapient. Als Gesamt-bereichsleiter für die Sparten Medien/Technologie/Kommunikation führteer die Bereiche Vertrieb, Strategieberatung und Implementierung (Designund Technik).Seit 2004 ist Dr. Geulen für die Deutsche Telekom AG in Bonn tätig.

Nachdem er den Fachbereich Innovationsstrategie für den GesamtkonzernDeutsche Telekom aufgebaut und geleitet hat, ist er seit 2005 Leiter des

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Autorenverzeichnis 495

Bereiches Marketing Vertrieb Mehrwertdienste (MVM) der T-Com. Damitverantwortet er unter anderem die Geschäftsfelder öffentliche Tele-kommunikation, Datenredaktion, Sprachauskunft, Printmedien, Mehrwert-nummern und Audioconferencing.

Dr. Helmut Giger

Geschäftsbereichsleiter Marketing Large Enterprises und BranchenT-Systems Business Services

Dr. Helmut Giger (geboren 1959) absolvierte nach einer Ausbildung zumIndustriekaufmann ein Studium der Wirtschaftswissenschaften in Gießen.Seine Studienschwerpunkte waren Marketing, internationales Managementund Außenwirtschaftstheorie sowie zusätzlich internationale Wirtschaft.Nach seiner Promotion zum Dr. rer. pol. war Dr. Giger in verschiedenenIndustrieunternehmen kaufmännisch tätig.1993 trat Dr. Giger als Referent in der strategischen Unternehmens-

planung in die Zentrale der Deutsche Telekom ein. 1996 baute er dort denFachbereich Internationalisierungs- und Kooperationsstrategie innerhalbder Konzernstrategie der Deutschen Telekom auf. 1999 übernahm er denGeschäftsbereich Marketing Planung und Steuerung bei der DeTeSystemGmbH Frankfurt. 2001 wurde Dr. Giger Geschäftsbereichsleiter CorporateMarketing der T-Systems International in Frankfurt, 2003 Geschäfts-bereichsleiter Marketing Großkunden in der T-Com-Zentrale in Bonn. SeitJanuar 2005 ist Dr. Giger Geschäftsbereichsleiter Marketing Large Enter-prises und Branchen der T-Systems Business Services in Bonn. Dort ist erverantwortlich für Marketing-Management Large Enterprises, Marketing-Management Enterprise-Services und Branchen, Communications sowieBusiness Intelligence und TDN.

Dr. Thomas Goldbrunner

Principal Booz Allen Hamilton

Dr. Thomas Goldbrunner arbeitet als Principal bei Booz Allen Hamilton inder Operations Practice. Er ist darauf spezialisiert, Klienten der Autmobil-und Hightech-Industrie bei der Steigerung ihrer Innovationsleistung undEntwicklungseffizienz zu unterstützen. Im vergangenen Jahr fungierte erals Manager der globalen Innovation-Gruppe von Booz Allen Hamilton.

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Dr. Michael Gorriz

Vice President CIO Mercedes Car Group und Business SystemsDaimlerChrysler AG

Dr. Michael Gorriz ist CIO Mercedes Car Group & Business Systems beider DaimlerChrysler AG. Als Mitglied des konzernweiten IT-Manage-ments hat er die Verantwortung über alle Systeme der Marken Mercedes-Benz, Maybach und Smart (Mercedes Car Group) in den Bereichen Ent-wicklung, Produktion und Vertriebssteuerung sowie über die Systeme derKonzernfunktionalbereiche Finanzen, Personal und Kommunikation.Davor leitete er den Geschäftsbereich Unternehmenskunden bei der

Nortel Dasa in Frankfurt. Dort bekleidete er diverse Positionen innerhalbdes Konzerns im In- und Ausland. Dr. Gorriz ist Diplom-Physiker und hatim Fach Ingenieurwissenschaften promoviert. Er ist verheiratet und hatzwei Kinder.

Richard Hauser

Partner Booz Allen Hamilton

Richard Hauser ist Partner und Geschäftsführer bei Booz Allen Hamiltonin München. Er ist Mitglied des Global-Transportation-Teams und leitetden Bereich Aerospace im europäischen Raum. Seine Beratungsschwer-punkte liegen in den Bereichen Innovation, Operative Verbesserungen undChange Management für führende europäische Unternehmen der Airline-und Aerospace-Industrie.Hauser ist seit 16 Jahren als Unternehmensberater tätig. Vor dieser Zeit

arbeitete er als Projektleiter bei Andersen Consulting und am Institut fürOperations Research an der Universität St. Gallen. Im Rahmen seiner Be-ratungstätigkeiten war er unter anderem für die schweizerische Regierungtätig. Hauser ist Diplom-Mathematiker mit Abschluss der Universität Frei-burg sowie Lic. Oec. (Diplom-Kaufmann) der Universität St. Gallen.

Uwe Herold

CIO Brose Fahrzeugteile GmbH & Co. KG

Uwe Herold verantwortet seit 2002 bei Brose Fahrzeugteile GmbH & Co.KG konzernweit die Informationssysteme und die Organisations-

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entwicklung. Zuvor war er seit 1999 bei Brose für die globale SAP-Einführung als Gesamtprojektleiter tätig.Herold ist in der deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe DSAG e. V.

Sprecher des Arbeitskreises Automotive, in dem rund 100 deutsche Firmenihr Brancheninteresse vertreten.Vor seiner Tätigkeit für Brose war Herold mehrere Jahre in verschieden-

en Funktionen mit Prozessoptimierung und Projekt-Management im Ma-schinenbau beschäftigt.Herold ist von Beruf Diplom-Ingenieur, er hat Maschinenbau und In-

formatik an der Technischen Universität Chemnitz studiert.

Johannes Keusekotten

Leiter der Bundesstelle für Informationstechnik (BIT) und zugleichder Informationstechnik des Bundesverwaltungsamts

Die Bundesstelle für Informationstechnik wurde zum 1. Januar 2006 stu-fenweise für folgende Aufgaben eingerichtet

• Betrieb von E-Government-Basiskomponenten, Betrieb zentraler Syste-me

• IT-Beratungs- und Kompetenzzentren• Projekt-Management und Software-Entwicklung• Unterstützung des IT-Stabs des Bundesinnenministeriums im Rahmender Standardisierung und Koordinierung

• Netzinfrastrukturen der Bundesverwaltung und Zentrale Dienste• IT-Aufgaben in Bezug auf Verwaltungsgemeinschaften (Shared ServiceZentrum)

Das Bundesverwaltungsamt (BVA) entwickelt und betreibt als moder-ner Dienstleister der Bundesministerien große IT-Verfahren mit mehr als60 000 Nutzern und mit weltweiter Kommunikation. Dazu gehören nebenden gesetzlichen Aufgaben (etwa Ausländerzentralregistersystem/VISA-System, BAföG-System) auch Anwendungen für das Bundeskanzleramtund seit der CeBIT 2001 der Betrieb des Internetportals der Bundes-verwaltung (www.bund.de).Das BVA ist im Rahmen der Kanzlerinitiative BundOnline verantwort-

lich für die Kompetenzzentren Vorgangsbearbeitung (DMS, Workflow),Prozesse und Organisation (GPO) sowie CMS. Zu den wichtigen E-Go-vernment-Basiskomponenten, die das BVA entwickelt hat, gehört auch dieEntwicklung, die kundenspezifische Anpassung und der Betrieb einesmandantenfähigen CMS(Government Site Builder)-Produkts, das die Kri-

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498 Autorenverzeichnis

terien der Barrierefreiheit unterstützt. Das Bundesverwaltungsamt istPreisträger des ersten E-Government-Wettbewerbs der Bundes und Lan-desbehörden.Johannes Keusekotten arbeitet seit 1976 in der IT des BVA, zunächst in

der Software-Entwicklung sowie im Projekt-Management, seit 2000 alsLeiter der Referatsgruppe IT und als CIO. Er ist 55 Jahre alt.

Günter König

CIO Salzgitter Gruppe

Günter König (geboren 1945) absolvierte ein Strudium der AllgemeinenVerfahrenstechnik. Seit 1971 war er zunächst als Dozent für Regelungs-technik und Messtechnik nicht elektronischer Größen tätig. Zugleich warer Leiter des Rechenzentrums.Ende der 70er- bis Anfang der 80er-Jahre vernatwortete er umfan-

greiche Einführungen von SAP R/2. 1988 wechselte König in den Stahl-bereich zu mehreren Firmen bei Krupp und Thyssen. Als Direktor im Be-reit IT-Management war er dort zuletzt verantwortlich für die BereicheInformations-Management, Geschäftsprozessoptimierung und -organisa-tion.Innerhalb dieser Zeit, insbesondere seit 1993, verantwortete er die Ein-

führung von rund 30 SAP-R/3-Systemen, unter anderem im Jahr 1997 dieerste Implementierung eines kompletten R/3-Systems einschließlich derProduktionsplanung und Steuerung im Stahlbereich.Seit 2001 ist König CIO der Salzgitter Gruppe und Geschäftsführer der

SIT Salzgitter Information und Telekommunikation GmbH sowie derGESIS Gesellschaft für Informationssysteme mbH.

Dr. Mario Kuduz

IT-System-Manager DaimlerChrysler AG

Dr. Mario Kuduz ist seit April 2005 bei der DaimlerChrysler AG als IT-System-Manager tätig. Er ist zuständig für die IT-seitige Unterstützung derFahrzeugmontage im Werk Sindelfingen. Darüber hinaus betreut er werks-übergreifende IT-Projekte für die Marken Mercedes-Benz und Maybach.Dr. Kuduz ist Diplom-Physiker und promovierte im Oktober 2004 am

Institut für Materialphysik der Georg-August-Universität in Göttingen.

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Autorenverzeichnis 499

Nach Abschluss seiner Promotionsarbeit wechselte er in seine jetzigeFunktion bei der DaimlerChrysler AG.

Dr. Constantin Lange

Geschäftsführer RTL interactive GmbH

Dr. Constantin Lange (1968) absolvierte nach dem Studium der Betriebs-wirtschaft und Informatik in Frankreich und Deutschland ein MBA-Studium am Massachusetts Institute of Technology. 1993 begann Dr. Lan-ge bei der Bertelsmann AG als Referent in der Zentralen Unter-nehmensentwicklung in Gütersloh.Es folgten weitere Stationen als Projektleiter bei der UFA in Hamburg

und als Leiter des Vorstandsbüros von Rolf Schmidt-Holtz. Anfang 1997wechselte Dr. Lange zur CLT-UFA nach Luxemburg als Leiter des Be-reichs Ongoing Activities Pay TV, Rechtehandel und Produktion, ab Ok-tober 1997 als Vice President der Unternehmensentwicklung TV Inter-national. Im Mai 1999 promovierte Dr. Lange an der Universität Hohen-heim. Im März 2000 trat er das Amt des Generalsekretärs an und wurdeMitglied der Geschäftsleitung von RTL Television in Köln.Er verantwortete die Bereiche „Business & Legal Affairs“, „Program

Acquisitions & Sales“ sowie „Personal & Organisation“. Im März 2003übernahm er die Geschäftsführung der RTL interactive GmbH (vormalsRTL NEWMEDIA GmbH) in Köln. Zu seinem Verantwortungsbereichgehören auch die Gesellschaften RTL Shop, Universum Film, RTL Enter-prises, RTL Media Services.

Anno Lederer

Vorstandsvorsitzender GAD eG

Anno Lederer (geboren 1950) hat an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster Betriebswirtschaftslehre studiert, er trat 1977 nachseinem Abschluss als Diplom-Kaufmann in die Dienste der GAD Gesell-schaft für automatische Datenverarbeitung eG in Münster ein. Dort wurdeer zunächst Bereichsleiter für den Vertrieb von Online-Systemen, Electro-nic Banking, Electronic Cash und Chipkarten; 1988 stieg er zum Prokuris-ten auf, 1994 wurde er zum Generalbevollmächtigten ernannt. Von 1997bis 2002 war Lederer Vorstand für die Ressorts Entwicklung und Vertrieb;seit 2001 ist er Vorstandssprecher der GAD eG. Im Jahr 2002 wurde er

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Vorstand für die Ressorts Vertrieb, Lösungs-Management und den StabVorstandsunterstützung. Seit 2004 ist Lederer Vorstandsvorsitzender derGAD eG.

Dr. Sven Lorenz

Leiter Informationssysteme Porsche AG

Dr. Sven Lorenz (geboren 1964) studierte Informatik und Betriebs-wirtschaftslehre an der Universität Karlsruhe und der University of Oregonin den USA. Als Stipendiat des wissenschaftlichen Zentrums der IBMpromovierte er über die wissensbasierte Verarbeitung natürlicher Sprachenam Institut für maschinelle Sprachverarbeitung der Universität Stuttgart.Nach Stationen bei IBM in der Software-Entwicklung und A.T. Kearney inder Unternehmensberatung übernahm Dr. Lorenz Ende der 90er-Jahre dieGeschäftsführung einer E-Business-Tochtergesellschaft im Konzern Deut-sche Post World Net.Seit 2002 ist Dr. Lorenz als Leiter Informationssysteme der Dr. Ing.

h.c.F. Porsche AG für die Prozessorganisation, die Anwendungs-entwicklung und den Betrieb der Informationssysteme verantwortlich. Ne-ben zahlreichen IT-Großprojekten – zum Beispiel in den Bereichen SCM,Product Lifecycle Management und CRM – war ein Schwerpunkt seinerArbeit unter anderem die Einführung standardisierter Prozesse in Anwen-dungsentwicklung und Anwendungsbetrieb.

Peter Mißler

Zentralbereichsleiter Rechnungswesen und Reporting DeutschePost World Net

Peter Mißler (Jahrgang 1950) ist Diplom-Kaufmann. Nach Abschluss sei-nes betriebswirtschaftlichen Studiums hat er mehrjährige Erfahrung in ver-schiedenen großen internationalen Unternehmen im Finanzbereich ge-sammelt. Zu seinen Stationen gehörten die Preussag AG (heute TUI AG),Andreas Stihl und Gerresheimer Glas.1995 hat er als Projektleiter bei der Metro die Einführung von SAP R/3

erfolgreich abgeschlossen, zu dieser Zeit einer der weltweit größten SAP-Installationen.Herr Mißler ist seit 2001 bei der Deutschen Post World Net in Bonn Zent-ralbereichsleiter Rechnungswesen und Reporting. In dieser Funktion ist er

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verantwortlich für das weltweite Rechnungswesen. Dies umfasst auch diezentrale Verantwortung für das konzernweite Berichtssystem CREST.

Klaus Hardy Mühleck

CIO Volkswagen AG

Klaus Hardy Mühleck ist seit Oktober 2004 CIO des Volkswagen-Konzerns und Mitglied der Konzernleitung. In seiner CIO-Konzern-funktion für das Ressort Organisation und IT ist er unter anderem für diekonzernweite Definition der Prozesse als auch für die Ausnutzung aller er-kennbaren Synergien verantwortlich.Nach dem Studium der Prozess- und Automatisierungstechnik begann

seine berufliche Laufbahn bei der Siemens AG als Projektleiter für Auto-matisierungsanlagen in der Automobilindustrie. Anschließend wechselte erzur Daimler Benz AG und verantwortete dort die IT und Organisation ver-schiedener Unternehmensbereiche. Vor seinem Wechsel an die IT-Spitzedes Volkswagen-Konzerns hatte er die Position des Group-CIOs bei Audi,Seat und Lamborghini inne.

Jens Niebuhr

Principal Booz Allen Hamilton

Jens Niebuhr (geboren 1969) startete seine berufliche Karriere bei IBMDeutschland und Mummert Consulting. Nach einem MBA-Studium an derLondon Business School wechselte er zu Booz Allen Hamilton und ist dortheute als Principal und Mitglied der Geschäftsleitung primär im IT- undTelekommunikationsbereich tätig. Weiterhin beschäftigt er sich mit demThemenkreis Financial and Performance Management.

Christoph op de Hipt

Abteilungsleiter Deutsche Post World Net

Christoph op de Hipt (Jahrgang 1966) ist Diplom-Kaufmann und studiertean der Universität Paderborn Wirtschaftswissenschaften mit den Schwer-punkten Produktionswirtschaft, Wirtschaftsinformatik und Statistik.

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Anfang 1993 trat er bei der Deutsche Post World Net in der Zentrale imZentralbereich Konzern-Controlling ein. Er verantwortete dort mehrereProjekte im Themenumfeld Management Informations- und Planungs-systeme sowie die Abteilung Controlling-Systeme. 2001 wechselte er inden Zentralbereich Konzernrechnungswesen und Reporting.Bevor er die Projektleitung der konzernweiten Einführung eines ein-

heitlichen Reporting und Planungssystems CREST (Commen ReportingSystem) übernahm, war er für die Zentralabteilung Common System ver-antwortlich.

Gerhard Otterbach

Leiter Enterprise Solutions and Services Siemens Communications

Gerhard Otterbach (geboren 1960) studierter Betriebswirt, war zunächst 13Jahre im öffentlichen Dienst und in einer Organisation der Tourismus-werbung für die Bundesrepublik Deutschland tätig (Schwerpunkte Organi-sation und EDV-Projekt-Management). Danach arbeitete er zehn Jahre beider Gesellschaft für Zahlungssysteme; Aufgabenschwerpunkte waren Or-ganisation und EDV-Projekt-Management und anschließend die Leitungdes Geschäftsbereichs Abrechnungssysteme. 1999 trat er in die DresdnerBank als Bereichsleiter des Bereichs Technologie-, Innovations- und Zah-lungsverkehrs-Management ein, verantwortlich unter anderem für Com-mercial-Card-Services, E-Purchasing-Services sowie Business-IT-Servicesund den Aufbau des Internetunternehmens ALLAGO. Von April 2002 bisMärz 2003 war Otterbach Leiter Shared-IT-Services und Deputy CIO imGeschäftsbereich ICN der Siemens AG. Von April 2003 bis September2004 trug er den Titel CIO im Geschäftsbereich ICN; seit Oktober 2004 ister Geschäftsgebietsleiter Enterprise Services bei Siemens Communicati-ons.

Ulrich Otto

Principal Booz Allen Hamilton

Ulrich Otto (1969) startete seine Karriere bei der HypoVereinsbank nacheinen Wirtschaftsingenieurstudium. 1994 wechselte er zu ThyssenKruppund verantwortete Planung und Bau von Prozessanlagen in Asien. Nacheinem MBA an der London Business School trat er 1999 bei Booz AllenHamilton ein, wo er seit 2004 Mitglied der Geschäftsleitung ist. Er berät

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Industrie- und Technologieunternehmen in Portfolio- und Wachstums-themen sowie bei Kostensenkungsmaßnahmen.

Dr. Reinhold Pieper

Leiter des Produktfelds Karten- und Sicherheitssysteme GAD eG

Dr. Reinhold Pieper (geboren 1957) absolvierte ein Mathematikstudium ander Universität Dortmund, wo er 1985 als Diplom-Mathematiker ab-schloss. Im Anschluss promovierte er zum Dr.rer.nat. Das Thema der Dis-sertation lautete „Kryptoanalytische Untersuchungen rationaler Permutati-onen von kommutativen unitären Ringen“. Seit 1991 ist Dr. PieperMitarbeiter der GAD Gesellschaft für automatische Datenverarbeitung eGin Münster. Von 1999 bis 2002 war er dort Abteilungsleiter Sicherheit,Kryptografie und Key-Management-Systeme. Seit 2002 ist Dr. Pieper Lei-ter des Produktfelds Karten- und Sicherheitssysteme der GAD.

Chittur S. Ramakrishnan

CIO RWE-Konzern

Chittur S. Ramakrishnan (geboren 1951) machte 1971 den Abschluss Ba-chelor of Commerce in Finance an der University of Bombay und 1974den Abschluss als Industriekaufmann an der IHK Nürnberg. 1983 absol-vierte er den M.B.A von Insead im französischen Fontainebleau.1971 kam Ramakrishnan als Auszubildender zu Siemens India in Bom-

bay, 1972 wechselte er zu Siemens AG nach Deutschland. 1983 wurde erLeiter für die Strategische Planung des Bereichs Private Kommunikationund Netzwerke bei Siemens in München. Nach verschiedenen Stationen ab1986 als CFO bei Siemens Tochtergesellschaften in den USA wurde er1992 Executive Director/Leiter der Unternehmensrevision für die Aus-landsgesellschaften bei Siemens in München. 1995 wurde er zum Vorsit-zenden der Geschäftsführung der Siemens Business Services GmbH (SBS)München ernannt. 1997 wurde Ramakrishnan Corporate Vice Presi-dent/Head of Corporate Information and Knowledge Management (CIO),von 2001 bis 2003 war er Corporate Vice President bei Corporate Informa-tion and Operations (CIO) der Siemens AG. Seit Januar 2004 ist Ra-makrishnan CIO des RWE-Konzerns.

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Klaus Rausch

Sprecher der Geschäftsführung HVB Systems GmbH

Klaus Rausch (geboren 1959) absolvierte ein Studium der Elektrotechnikan der RWTH Aachen mit dem Schwerpunkt Nachrichtentech-nik/Technische Informatik. 1985 wurde er Entwicklungsingenieur bei IBMDeutschland, 1987 bis 1997 arbeitete er dort als Director Ban-king & Finance Solutions. 1998 wechselte Rausch als Bereichsleiter An-wendungsentwicklung zur Fiducia AG. Von 2000 bis 2005 war er als Lei-ter für den Bereich IT/Organisation der Landesbank Baden-Württemberg(LBBW) verantwortlich. Seit Januar 2006 ist Rausch Sprecher der Ge-schäftsführung der HVB Systems GmbH in München.

Dr. Andreas Resch

Vorsitzender der Geschäftsführung Bayer Business Services GmbH

Andreas Resch (geboren 1953) absolvierte ein Studium der Wirtschafts-und Sozialwissenschaften an der Freien Universität Berlin, das er 1976 mitdem Diplom und 1982 mit der Promotion abschloss. Fünf Jahre arbeiteteer zudem als Assistent.1983 trat Dr. Resch mit den Schwerpunkten Organisation und Datenver-

arbeitung dem kommunalen Dienstleistungsunternehmen BSR (BerlinerStadtreinigung) bei, wo er stellvertretender kaufmännischer Geschäftsfüh-rer wurde. Von 1988 bis 1993 übernahm er bei der Francotyp-PostaliaVertrieb und Service AG & Co. KG die Verantwortung für Datenverarbei-tung und Organisation. Im Juli 1993 wechselte er als kaufmännischer Lei-ter der Auslandsgesellschaften zur Herlitz AG, wo er 1997 zum VorstandLogistik und Informationstechnologie ernannt wurde.Im Juli 2000 wurde Dr. Resch Geschäftsführer des Logistikdienstleisters

Fiege Deutschland GmbH. Neben seinen operativen Aufgaben war er alsCIO für das Informations-Management der gesamten Fiege-Gruppe ver-antwortlich. Dr. Resch ist seit Januar 2004 Vorsitzender der Geschäfts-führung der Bayer Business Services GmbH.

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Dr. Oliver Riedel

Leiter Prozessintegration und Informations-Management Audi AG

Dr. Oliver Riedel (Jahrgang 1965) studierte Technische Kybernetik an derTU Stuttgart und promovierte an der Fakultät der Konstruktions- und Fer-tigungstechnik zum Dr.-Ing.; für seine Doktorarbeit erhielt er den VMI-Preis 1998. Seit über 15 Jahren beschäftigt sich Dr. Riedel mit den Grund-lagen und der praktischen Anwendung von Methoden zur virtuellen Unter-stützung in der Produktentwicklung. Er leitete in dieser Zeit zahlreicheProjekte für internationale Großunternehmen der Automobilindustrie undin der Energiewirtschaft zur Einführung virtueller Methoden. Nachdem erdas Thema „Virtuelle Realität“ am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirt-schaft und Organisation (IAO) ab 1990 als eines der Schwerpunktthemendes Instituts für die angewandte Forschung aufgebaut hat, war er bei derCENIT AG Systemhaus und der SiliconGraphics Inc. im Bereich Profes-sional Services tätig.Seit 2003 ist Dr. Riedel bei der Audi AG für die Prozessintegration und

das Informations-Management im Produktprozess verantwortlich. Schwer-punkt seiner Arbeit ist die prozessorientierte Einführung von virtuellenMethoden im gesamten Lebenszyklus eines Fahrzeugs. Neben seiner Lehr-tätigkeit an der FH München und der FH Heilbronn ist Dr. Riedel Gutach-ter der Europäischen Kommission für IT-Projekte.

Dr. Olaf Röper

Leiter Bereich Information Systems Uhde GmbH/CIO

Dr. Olaf Röper (1951) studierte Maschinenbau und promovierte 1978 zumDr.-Ing. Danach leitete er verschiedene IT-Entwicklungs- und -anwen-dungsprojekte und sammelte unter anderem Erfahrungen als IT-Pro-jektleiter im Rahmen großer Anlagenbauprojekte. Seit 1987 leitet Dr. Rö-per den Bereich Information Systems der Uhde GmbH. Zu seinenwesentlichen Aufgaben zählt dort die IT-Strategieentwicklung in einem in-ternationalen Umfeld.Neben den klassischen Aufgaben im Bereich der Anwendungssysteme

und der IT-Infrastruktur verantwortet er insbesondere die effektive undwirtschaftliche IT-Unterstützung der Kundenaufträge von der Angebotser-arbeitung über die technische Bearbeitung, die Auftragssteuerung, Procu-rement und Logistik bis hin zur IT-technischen Ausrüstung und den Be-

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trieb der Baustellen. Besonders engagiert hat sich Dr. Röper in der prakti-schen Umsetzung des Business Alignment der IT-Organisationen.

Dr. Andreas Rothe

Geschäftsführer der Dr. Rothe Management-Beratung

Andreas Rothe war in der Landesbank Baden-Württemberg als Senior-Berater im Bereich IT-Management tätig. In wechselnden Positionen lagsein Beratungsschwerpunkt auf der Entwicklung von Vorgehens- und Ma-nagement-Konzepten in den Bereichen Business Process Reengineering,IT-Architektur-Management, IT-Controlling und IT-Strategie. Ein Schwer-punkt war die Entwicklung eines umfassenden wertorientierten IT-Governance-Modells.Dr. Rothe studierte Informatik an der Fachhochschule Furtwangen so-

wie Betriebswirtschaftslehre an der Universität Stuttgart und promoviertezum Thema „Systematische Wiederverwendung von Software-Komponenten bei Finanzdienstleistern“ auf Basis eines Produktlinien-Managements. Seit Anfang 2006 hat sich Dr. Rothe mit dem Thema IT-Benchmark auf Basis eines umfassenden IT-Governance-Modells selbst-ständig gemacht.

Martin Schallbruch

IT-Direktor (Chief Information Officer) beim Bundesministerium desInnern

Martin Schallbruch ist verantwortlich für IT-Strategie und IT-Ko-ordinierung der Bundesverwaltung. In dem von ihm geleiteten IT-Stabwerden das Projekt-Management für die E-Government-Initiative Bund-Online 2005 ebenso gesteuert wie die Koordinierung der nationalen E-Government-Strategie Deutschland-Online. Seine Verantwortung erstrecktsich auch auf die IT-Sicherheitspolitik, das Bundesamt für Sicherheit inder Informationstechnik sowie Pässe, Personalausweise und Meldewesen.Vor der Berufung zum IT-Direktor war Schallbruch bis Ende 2001 persön-licher Referent der Staatssekretärin im Bundesministerium des Innern.Nach dem Studienabschluss als Diplom-Informatiker an der Techni-

schen Universität Berlin war Schallbruch zunächst wissenschaftlicher Mit-arbeiter an der Humboldt-Universität zu Berlin sowie Leiter eines IT-

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Servicezentrums der Universität, bevor er 1998 in den Dienst der Bundes-regierung eintrat.

Dr. Wolfgang Schirra

Senior Partner Booz Allen Hamilton

Dr. Wolfgang Schirra (1952) studierte Mathematik mit Nebenfach Physikan der Universität Kaiserslautern, wo er auch 1978 in Mathematik promo-vierte. Danach war er bis Anfang 1981 als wissenschaftlicher Mitarbeiterim Bundeskriminalamt, Wiesbaden, tätig. 1981 begann er seine Karriereals Berater bei McKinsey und Company, Inc. in Düsseldorf, wo er 1987zum Partner gewählt wurde.1994 verließ er McKinsey und wurde Geschäftsführer bei Knight Wend-

ling Consulting in Düsseldorf. 1996 wechselte er als Partner zu Booz AllenHamilton. Schirra ist Senior Partner in der globalen IT-Beratung und leitetseit Dezember 2005 das europäische Public Sector Geschäft von Booz Al-len Hamilton.

Sven Schmidt

Geschäftsführender Gesellschafter S2 Management Consulting

Sven Schmidt (Jahrgang 1964) studierte Wirtschaftswissenschaften und In-formatik an der Technischen Universität Braunschweig. Während dieserZeit sammelte er Erfahrungen als Software-Entwickler und selbstständigerBerater.1994 begann Schmidt seine Karriere bei der SAG AG als Berater in der

Informationstechnologie. Seine berufliche Entwicklung setzte er als Ma-nagement-Berater bei Booz Allen Hamilton fort, bevor er für die Hambur-ger Systematics-Gruppe das Outsourcing des Kunden Reemtsma verant-wortete. Mit dem Verkauf dieses Geschäftsbereichs an den IT-DienstleisterINFO AG übernahm er die Gesamtverantwortung für das Großkunden-Management und die Gestaltung des Leistungsprogramms der INFO AG.Als Bereichsleiter für das Produkt- und das Großkunden-Management

sammelte er über sieben Jahre Erfahrungen rund um das Thema Outsour-cing, angefangen bei der SLA-Vertragsgestaltung, über IT-Controlling undGestaltung der Preispolitik bis hin zum Aufbau eines effizienten IT-Service-Managements. Seit 2003 arbeitet er in enger Zusammenarbeit mit

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dem Kunden Imperial Tobacco/Reemtsma am Konzept des adaptiven IT-Outsourcing.Seit 2005 ist Schmidt Geschäftsführender Gesellschafter der S2 Mana-

gement Consulting GmbH.

Dr. Thomas Schmidt-Melchiors

CIO Reemtsma Deutschland

Dr. Thomas Schmidt-Melchiors leitet seit Oktober 2003 das Centre of Ex-cellence Supply Chain mit weltweiter Verantwortung für die SAP-Systemeder Imperial Tobacco Group und ist gleichzeitig CIO von ReemtsmaDeutschland. Neben der IT-Verantwortung für Deutschland, die er seit sie-ben Jahren trägt, verantwortete er in der Migrationsphase zu Imperial auchdie IT-Strategie im gesamten Unternehmen. Zuvor arbeitete er beiReemtsma in verschiedenen IT-Leitungsfunktionen.Neben zahlreichen SAP-Projekten war er für CRM und Data-

Warehouse-/Business-Intelligence-Projekte sowie Projekte der Optimie-rung (Produktion und Absatzplanung) verantwortlich. In den vergangenenJahren verantwortete er neben der IT-Positionierung in einem großenM&A-Prozess vor allem die Kostenoptimierung im Outsourcing und fürdie SAP/ERP-Landschaft.Bevor er sich der kommerziellen IT zuwandte, forschte und lehrte er an

der heutigen Helmut-Schmidt-Universität als Leiter eines ingenieur-wissenschaftlichen Labors.Dr. Schmidt-Melchiors schloss das Studium der Mathematik, Physik,

Informatik und BWL mit Diplom in Mathematik an der Universität Ham-burg ab. Danach promovierte er zum Dr.-Ing. an der damaligen Universitätder Bundeswehr Hamburg.

Christopher Schmitz

Principal Booz Allen Hamilton

Christopher Schmitz arbeitet als Principal in der IT- und Financial Ser-vices Practice im Frankfurter Büro von Booz Allen Hamilton. DerSchwerpunkt seiner Arbeit liegt in Strategie- und Transformationsprojek-ten für Finanzdienstleister mit dem Fokus auf Informationstechnologie undGeschäftsabwicklung. Vor seiner Zeit bei Booz Allen Hamilton arbeiteteSchmitz als Business Development Leader bei der IBM Unternehmensbe-

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ratung GmbH sowie im Stab des Bereichsvorstands „Global Technologiesund Services“ der Deutschen Bank AG.

Dr.-Ing. André Scholz

Senior Associate Booz Allen Hamilton

Dr. André Scholz ist Senior-Projektleiter in der europäischen Strategic In-formation Technology Group von Booz Allen Hamilton. Er arbeitet imBerliner und Münchener Büro und war in den vergangenen sechs Jahrenvorrangig im Finanz- und Telekommunikationssektor im Rahmen von stra-tegischen IT- und Transformationsprojekten tätig. Dr. Scholz studierte undpromovierte im Bereich Wirtschaftsinformatik unter anderem an denHochschulen Stuttgart, Konstanz und Magdeburg. Darüber hinaus studierteer Volkswirtschaftlehre, Philosophie und Rechtswissenschaften an derFernuniversität Hagen.

Michael Semrau

Leiter Abteilung „IT Strategy & IT Controlling“ RWE AG

Michael Semrau (geboren 1971) studierte Informatik an der RWTH Aa-chen. Seit neun Jahren arbeitet er als Diplom-Informatiker in Unter-nehmen, die in ihren Branchen zu den innovativen Anwendern modernerInformationstechnologie gehören. Als Experte für IT-Architektur führte erfür eine große norddeutsche Bank IT-Projekt-Management-Verfahren einund leitete Entwicklungsprojekte. Bei der Dresdner Bank AG baute er dieEinheit Business Innovation IT auf, die er auch leitete. Die Einheit „Busi-ness Innovation IT“ führte in Zusammenarbeit mit den Geschäfts-verantwortlichen neuartige IT-Lösungen mit direktem Produktbezug ein.In diese Zeit fallen Produktinnovationen wie Electronic Banking mit Mo-biltelefonen und anderen mobilen Endgeräten.Seit 2001 ist Semrau in unterschiedlichen Funktionen für die RWE AG

in Essen tätig. Innerhalb der Konzernentwicklung war er zunächst für dasThema IT-Strategie zuständig, später auch für die weltweite Koordinationder Online-Aktivitäten im Konzern. Nach einer Umstrukturierung desRWE-Konzerns leitet Semrau seit 2004 im neu geschaffenen CIO-Bereichdes Konzerns die Abteilung „IT Strategy & IT Controlling“.

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Klaus Straub

CIO Audi AG

Klaus Straub (Jahrgang 1964) studierte von 1984 bis 1990 an der Univer-sität Karlsruhe Allgemeinen Maschinenbau mit dem Schwerpunkt Pro-duktions- und Fertigungsautomatisierung. Seit seinem Berufstart bei derDaimler Benz AG arbeitete Straub im Umfeld von Prozess-Management,Change Management, Applikationsentwicklung und IT in der Automobil-industrie. Straub arbeitete zwölf Jahre auf der Automobilhersteller- unddrei Jahre auf der Automobilzuliefererseite (1st. Tier Supplier) in leitendeninternationalen Funktionen.Von 1990 bis 1992 war er bei Mercedes Benz in dem Programm Nach-

wuchsgruppe Leitende Führungskräfte eingesetzt, im Anschluss daran, bis1995, in der Organisation Datenverarbeitung Personenwagen (ODP). 1995wurde er Leiter der Abteilung Marketing Software-Produkte und -Systemebei der AEG Anlagen- und Automatisierungstechnik.Im August 1996 trat er in die Austauschgruppe Forschung und Technik

der Daimler Benz AG/DaimlerChrysler AG ein und übernahm 1998 dieLeitung der Abteilung Prozessintegration ODP/PI in der Mercedes CarGroup. Als CIO & Corp. Vice President war er bei Siemens VDO Auto-motive AG von 2002 bis 2004 beschäftigt. Seit Ende 2004 ist er CIO derMarkengruppe Audi (Marken Audi, Lamborghini, Seat) im VW-Konzern.

Dr.-Ing. Jürgen Sturm

CIO BSH Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH

Dr.-Ing. Jürgen Sturm (geboren 1963) studierte Maschinenbau mitSchwerpunkt Fertigungstechnik und Informatik an der Universität Erlan-gen-Nürnberg. Nach dem Studium war er als wissenschaftlicher Assistentmit Aufgaben der angewandten Forschung für die europäische Elektronik-industrie und elektrotechnische Industrie betraut.Nach seiner Promotion zum Dr.-Ing. war er zunächst als Leiter für „Bu-

siness Process Reengineering“-Projekte, Supply Chain Director und CIOin namhaften deutschen Industriekonzernen tätig. Seit 2003 verantwortetDr. Sturm als CIO die Informationstechnologie der BSH Bosch und Sie-mens Hausgeräte GmbH.

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Christof Wahl

Chief Operating Officer Kabel Deutschland GmbH

Christof Wahl (40) ist seit Oktober 2003 Mitglied der Geschäftsführungder Kabel Deutschland GmbH. Als Chief Operating Officer ist er für dieRessorts Service, Technik, IT und Prozess-Management verantwortlich.Zudem leitet er die Bereiche „Netzebene 4“ und „Zentrale Technik“.Wahl war zuvor im Bereich Informations- und Kommunikationsnetze

der Siemens AG in München für das Geschäft mit Carrier-Netzen verant-wortlich. Wahl schloss seinen Diplom-Studiengang an der TechnischenUniversität München als Ingenieur mit Auszeichnung ab. Darüber hinausverfügt er über ein Diplom in Betriebswirtschaft.

André Wehner

Chief Information Officer Kabel Deutschland GmbH

André Wehner (35) war vor seinem Eintritt bei Kabel Deutschland mehrals zehn Jahre auf nationaler und internationaler Ebene im Alcatel-Kon-zern tätig. Zuletzt verantwortete er als Vorsitzender der Geschäftsführungdes Konzerntochterunternehmens Alcanet International DeutschlandGmbH die IT-Aktivitäten und das interne Netzwerk der Alcatel inDeutschland (Alcanet). Gleichzeitig verantwortete er als COO den operati-ven IT-Betrieb auf europäischer Ebene und wirkte dabei wesentlich amAufbau einer zentralen IT auf europäischer Ebene mit.Wehner schloss sein BWL-Studium an der Berufsakademie Stuttgart mit

Auszeichnung ab. Er ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.Seit Januar 2004 ist André Wehner Chief Information Officer von Kabel

Deutschland und damit für den gesamten IT-Betrieb und die IT-Appli-kationsentwicklung verantwortlich.

Heiko Wieandt

Koordinator im Bereich Business Information Services T-Systems

Der Diplom-Verwaltungswirt Heiko Wieandt studierte an den Fach-hochschulen in Köln und Dieburg. Nach seinem Examen übernahm er1990 die Leitung einer Kontengruppe im Bereich der Lohn- und Gehalts-abrechnung bei der Post AG.

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Im Rahmen der Postreform wechselte er 1992 in die Zentrale der Tele-kom AG, um dort als stellvertretender Projektleiter eine neue Lohn- undGehaltsabrechnung zuerst für die neuen Bundesländer und anschließendfür die gesamte Telekom aufzubauen. In dieser Zeit nahm er diverse Lehr-aufträge an den Fachhochschulen Dieburg und Würzburg wahr und gehör-te einer Kommission zur Abnahme von Laufbahnprüfungen an. 1996wechselte er als Projektleiter zum neu gegründeten Multimediazentrum derTelekom AG in den Bereich Marketing. 1999 übernahm er den BereichMarktforschung für das Multimediazentrum.Mit der Neugründung der T-Systems aus Einheiten der Deutschen Tele-

kom AG und Debis wurde er für die betriebliche Markt- und Wettbe-werbsforschung zuständig. Seit 2004 ist er für die Koordination des Be-reichs Business Information Services bei T-Systems verantwortlich.

Thomas Zimmermann

Leiter Enterprise Systems Siemens Communications

Thomas Zimmermann (geboren 1968) studierte Wirtschaftsingenieurwesenan der Universität Karlsruhe (TH) sowie an der University of Massachu-setts und der Boston University, USA.Im Mai 1994 trat Zimmermann als Berater in die damalige Inhouse

Consulting der Siemens AG innerhalb der Zentralen Unternehmens-entwicklung ein. Ab 1999 war er Partner bei Siemens Management Con-sulting (SMC). Als Partner betreute er Projekte in den Bereichen Tele-kommunikation, Industrie und Verkehrstechnik. Von Juni 2001 bis April2005 leitet er SMC. Er begleitete in dieser Funktion den Merger der Sie-mens Geschäftsbereiche Information and Communication Networks (ICN)und Information and Communication Mobile (ICM) zu Siemens Commu-nications. Seit Mai 2005 ist Zimmermann Leiter des Geschäftsgebiets En-terprise Systems bei Siemens Communications

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Booz Allen Hamilton-Buchkernteam

Dr. Johannes Bussmann

Siehe Autorenverzeichnis

Dr. Elmar Pritsch

Dr. Elmar Pritsch ist Principal und Mitglied der Geschäftsleitung bei BoozAllen Hamilton in Düsseldorf. Er ist Experte für Geschäftsmodelle undOrganisationsdesign von IT-Dienstleistern und arbeitet in der globalen ITPractice mit dem Industrieschwerpunkt Banken und Versicherungen. Vorseiner Tätigkeit bei Booz Allen Hamilton arbeitete Dr. Pritsch fünf Jahrebeim schwedischen Telekommunikationskonzern Ericsson. Dort hat er un-ter anderem den Bereich Produktinnovation aufgebaut und war als Busi-ness Development Manager für E-Services im Marketing und Vertrieb tä-tig. Von dort wechselte Dr. Pritsch als Geschäftsführer zumGesundheitsportal Planet Medica. Dr. Pritsch studierte Informatik mit Ne-benfach BWL und promovierte an der RWTH Aachen über mobileZugriffskonzepte für verteilte Informationssysteme. An der Edinburgh Bu-siness School in Schottland schloss er parallel seinen MBA ab.

Dr. Bernhard Rieder

Dr. Bernhard Rieder ist Vice President bei Booz Allen Hamilton. DerSchwerpunkt seiner Arbeit liegt im Prozess- und Systemdesign. Im Laufeseiner über fünfzehnjährigen Beratungserfahrung hat er diverse großeTransformationsprojekte mit dem Fokus auf Prozessneugestaltung undERP-Implementierung geleitet. Die Kunden von Dr. Rieder kommenhauptsächlich aus den Branchen Automobil, Technologie, Chemie undPharma.

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Stefan Stroh

Stefan Stroh ist Partner und Geschäftsführer in der IT Group bei Booz Al-len Hamilton. Dort arbeitet er seit 1997. Stroh besitzt weitere sieben JahreBeratungserfahrung. Seine Schwerpunkte sind die Logistik-, die Automo-bil- und die Telekommunikationsbranche sowie IT-Service-Provider. Seinakademischer Hintergrund: ein Studium des Maschinenbaus.

Booz Allen Hamilton-Buchkernteam

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Booz Allen Hamilton-Autorenbetreuerteam

Dietmar Ahlemann

Siehe Autorenverezeichnis

Holger Brohm

Holger Brohm arbeitet als Principal in der IT- und Financial-Services-Beratung von Booz Allen Hamilton. Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegtauf Vertriebsthemen, auf strategischen Neuausrichtungen und Fusionensowie Firmengründungen. Vor seiner Zeit bei Booz Allen Hamilton arbei-tete Brohm bei einer internationalen Beratungsfirma mit dem Schwerpunktauf Organisation und Programm-Management.

Andreas Deckert

Andreas Deckert arbeitet als Senior Consultant im Frankfurter Büro vonBooz Allen Hamilton. Seine berufliche Erfahrung deckt sowohl die strate-gische IT-Beratung als auch operativen IT-Themen ab. Deckert hat bisherKunden in den Bereichen Telekommunikation, Versicherung und dem öf-fentlichen Sektor beraten. Vor seiner Tätigkeit für Booz Allen Hamiltonarbeitete er während des Studiums in der Strategieabteilung eines Logistik-konzerns und in der Software-Entwicklung eines großen IT-Unterneh-mens.

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Stephan Dresel

Stephan Dresel (geboren 1976) arbeitet seit vier Jahren bei Booz AllenHamilton in der IT-Practice. Sein Hauptfokus liegt auf Reorganisationenund Post-Merger-Integrationen bei IT-Service-Providern und Finanzinsti-tuten. Vor seiner Zeit bei Booz Allen Hamilton arbeitete er für verschiede-ne, international tätige Unternehmen. Sein Schwerpunkt lag in der Imple-mentierung von E-Commerce-Lösungen, im Bereich Software Develop-ment und Database Engineering.

Tim Habermann

Tim Habermann arbeitet seit 1999 bei Booz Allen Hamilton, er ist Projekt-leiter in der IT-Gruppe. Seine Beratungsschwerpunkte liegen in der Ent-wicklung und Umsetzung von IT- und Technologiestrategien, insbesonde-re in den Bereichen Bereich Telekommunikation und Logistik. Habermannhat Wirtschaftsingenieur/Elektrotechnik an der Technischen UniversitätDarmstadt studiert und promoviert zurzeit an der Handelshochschule Leip-zig in Betriebswirtschaftslehre.

Carsten Heina

Carsten Heina (geboren 1978) hat an der Universität Paderborn Wirt-schaftsinformatik studiert und einen Abschluss als Diplom-Wirtschafts-informatiker. Studienbegleitend sammelte er mehrjährige Erfahrung in derBeratung mittelständischer Unternehmen. Nach dem Ende des Studiumsarbeitete Heina zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fakultätfür Wirtschaftswissenschaften der Universität Paderborn, bevor er Anfang2004 zu Booz Allen Hamilton wechselte. Dort ist er als Senior-Berater inder ITG Practice tätig und arbeitet schwerpunktmäßig an Themen in denBereichen Strategieentwicklung, strategische Transformation und Finance/Controlling. Dabei liegt der Fokus auf Industrien, in denen IT eine wesent-liche Rolle spielt, wie etwa in der Reise-, Luftfahrt- und Transportindust-rie, in Banken sowie in Telekommunikationsunternehmen.

Booz Allen Hamilton-Autorenbetreuerteam

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Booz Allen Hamilton-Autorenbetreuerteam 517

Volkmar Koch

Volkmar Koch (geboren 1971) hat an der European Business School Wirt-schaftsinformatik studiert und besitzt einen Abschluss als Diplom-Kaufmann und einen als Diplom-Informatiker (FH). Zunächst war Kochmehrere Jahre im Finanz- und Controlling-Bereich von Procter & Gambletätig, 2001 wechselte er zu Booz Allen Hamilton und ist derzeit Senior-Projektleiter der ITG Practice. Seine Beratungsschwerpunkte liegen in denBereichen Strategieentwicklung, strategische Transformation, Post MergerIntegration und Finance/Controlling. In den vergangenen Jahren hat sichKoch zunehmend auf die Beratung von Kunden in der Reise-, Luftfahrt-und Transportindustrie spezialisiert.

Oliver Maier

Oliver Maier arbeitete bei Andersen als Assistent in der Wirtschaftsprü-fung und als Product Manager bei BlueSky International Inc. bevor er2003 zur Unternehmensberatung Booz Allen Hamilton wechselte. ImRahmen seiner Beraterkarriere arbeitete Maier für verschiedene GlobalPlayer in den Bereichen Financial Services, Utilities und Telecommunica-tions mit dem Hauptfokus auf Fragestellungen der IT-Governance und desRisiko-Managements.

Andreas Masuhr

Andreas Masuhr (geboren 1970) arbeitet als Senior Associate in der In-formation Technology Group von Booz Allen Hamilton und war in denvergangenen sechs Jahren als Team- und Projektleiter in Beratungsprojek-ten sowohl für öffentliche Auftraggeber als auch für Finanzdienstleister,Telekommunikationsunternehmen und Automobilhersteller tätig.Seine Projekterfahrung umfasst das Programm-Management für große

E-Government-Initiativen, die Etablierung von IT-Planungs- und Control-ling-Prozessen sowie die Prozess- und Systemintegration im Bereich Fi-nance und Controlling. Vor seiner Tätigkeit bei Booz Allen Hamilton ar-beitete Masuhr als Manager bei einem internationalen IT-System-integrator. Er studierte Physik an der Westfälischen Wilhelms-UniversitätMünster und promovierte im Bereich Materials Science am California In-stitute of Technology.

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Dr. Germar Schröder

Dr. Germar Schröder ist Senior-Projektleiter in der globalen IT-Gruppe. Erist seit 2002 bei Booz Allen Hamilton. Seine Beratungsschwerpunkte lie-gen in den Bereichen IT-Strategie, Compliance, IT-Controlling und IT-Effizienz vorwiegend in der Telekommunikations- und Transport- und Lo-gistikbranche. Dr. Schröder studierte Physik in Kiel und Hamburg, er pro-movierte am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam sowiean der Universität Hamburg mit Schwerpunkt Elementarteilchenphysikund Stringtheorie.

Andreas Späne

Andreas Späne (geboren 1972) arbeitet als Principal in der strategischenIT-Gruppe von Booz Allen Hamilton mit Beratungsschwerpunkt auf stra-tegischen Transformations- und Effizienzsteigerungsprogrammen sowieder Erarbeitung von Finanz- und Controllingkonzepten. Bevor er 2001 sei-ne Karriere bei Booz Allen Hamilton begann, arbeitete Späne als SystemsManager bei Procter & Gamble.

Niko Steinkrauß

Niko Steinkrauß (geboren 1971) startete 1998 nach Tätigkeiten bei derSiemens AG, einem Studium an der Technischen Universität Berlin undESCP-EAP Paris 1998 eine Beraterkarriere bei Booz Allen Hamilton. Erarbeitet vorwiegend mit Kunden aus der Medien- und Telekommunikati-onsindustrie an „Customer Centric“-Wachstumsstrategien. Steinkrauß lei-tet die Aktivitäten von Booz Allen Hamilton im Bereich Breitband-Konvergenz. Seit 2004 ist er Mitglied der Geschäftsleitung.

Dr. Raphael Volz

Innovation in der IT und Medientechnologien sind die Themengebiete, dieDr. Raphael Volz (geboren 1976) seit Langem antreiben. Dr. Volz hat ander Universität Karlsruhe im Bereich Wissens-Management über intelli-gente Verfahren zur Informationssuche im Internet promoviert, bevor er2004 seine Karriere bei Booz Allen Hamilton begann, wo er heute innova-tive Themen in der IT und im Finanzsektor großer Konzerne vorantreibt.

Booz Allen Hamilton-Autorenbetreuerteam

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Booz Allen Hamilton-Autorenbetreuerteam 519

Dr. Andrea Weierich

Dr. Andrea Weierich (geboren 1968) arbeitet als Senior Associate beiBooz Allen Hamilton. Sie ist spezialisiert auf die Optimierung der IT-Unterstützung von Geschäftsprozessen und Leistungsangeboten, insbeson-dere im Finanzdienstleistungssektor und bei Energieversorgern. Ihr zweiterSchwerpunkt liegt auf der Transformation von IT-Einheiten und IT-Dienstleistern. Vor ihrer Beratungstätigkeit war sie wissenschaftliche Mit-arbeiterin von Peter Mertens im Bereich Wirtschaftsinformatik der Univer-sität Erlangen-Nürnberg.