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Jul/Aug.09 Im Archiv

Im Archiv - loopzeitung.ch€¦ · (im Idealfall: DeLorean DMC-12), Bergpreis-punkten, Swatch-Uhren, Pokalen, Eidechsen, Spuckbeuteln, Hard-Rock-Café-Shirts, Trilobi-ten, Saucièren,

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Jul/Aug.09

Im Archiv

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EINSCHLAUFEN

Ein kleines Schächtelchen. Ein Briefchen mögli-cherweise, das eine Kollektion von fl achen oder kantigen Hölzchen beherbergt. An sich eigent-lich unspektakulär und verschiedenen Zwecken dienlich, die den diskreten Raucher von Welt für gewöhnlich gar nicht interessieren. Man zieht den roten Zündkopf über die braune Reibefl ä-che, entfacht eine Flamme und nutzt diese dann dazu, eine Kerze, einen Gasboiler oder den Bren-ner unter dem Fondue-Chinoise-Pfännchen in Betrieb zu setzen.Das klassische Streichholz ist natürlich längst zum mythischen Kulturgegenstand geworden. In unzähligen Romanen und Erzählungen – etliche davon aus der Feder von Heinrich Böll – ver-ewigt, hat es seinen Dienst selbst in stürmischen Zeiten, hinter vorgehaltener Hand, verrichtet, eine kleine Flamme gespendet und für einen kur-zen Augenblick das Dasein erhellt.Streichholzbriefchen oder -schächtelchen sind natürlich auch Sammlerobjekte. Sie erzählen kleine Geschichten von grossen Reisen oder wagemutigen Exkursionen ins Nachtleben. Es sind veritable Erinnerungswertgegenstände, und genau davon handelt diese Ausgabe. Vom sys-tematischen Suchen, Beschaffen und aufbewah-ren von Dingen und Informationen aus dem weiten Gebiet der Populärmusik. Natürlich hätten wir uns auch mit anderen Objekten be-

fassen können, etwa mit Kafferahmdeckelchen, Pez-Figuren, Happy Hippos, Ansichtskarten, Ölgemälden, Aquarellen, modernen Oldtimern (im Idealfall: DeLorean DMC-12), Bergpreis-punkten, Swatch-Uhren, Pokalen, Eidechsen, Spuckbeuteln, Hard-Rock-Café-Shirts, Trilobi-ten, Saucièren, antiken Sonnenbrillen, Kartoffel-chips mit den Umrissen von US-Bundesstaaten, grosskalibrigen Faustfeuerwaffen, elektrischen Schreibmaschinen, Spongebob-Figürchen, Zinn-bechern, 8-Track-Kassetten, Kochbüchern von Johann Lafer, Festnetztelefonen, lustigen Hüten, Zimmerbrunnen, Kristallen, karierten Jacketts oder Fabergé-Eiern. Aus naheliegenden Gründen haben wir dies freilich unterlassen und uns statt-dessen in die Archive versenkt. Eine klassische Sommerangelegenheit – denn in Erinnerungsge-mächern herrschen in der Regel angenehm tiefe Temperaturen.Doch nun, da die letzten Buchstaben getippt, die Schreibtische geräumt und die Aschenbe-cher geleert sind, verstauen wir die gesammel-ten Erinnerungslücken wieder und verreisen in den wohlverdienten Urlaub. In ein Land, wo die Melonen blühn. Und «where everybody knows your name».Cheers!

Clifford Clavin

Impressum Nº 06.09DER MUSIKZEITUNG LOOP 12. JAHRGANG

P.S./LOOP VerlagPostfach, 8026 ZürichTel. 044 240 44 25, Fax. …[email protected]

Verlag, Layout: Thierry Frochaux

Administration, Inserate: Manfred Müller

Redaktion: Philippe Amrein (amp), Koni Löpfe

Mitarbeit: Philipp Anz (anz), Reto Aschwanden (ash), Silvio Biasotto (sio), Thomas Bohnet (tb), Pascal Cames (cam), Christian Gasser (cg), Michael Heisch (hei), Nick Joyce (nij), Nino Kühnis (nin), Hanspeter Künzler (hpk), Tony Lauber (tl), Markus Naegele, Philipp Niederberger, Walter Niederberger (wn), Benedikt Sartorius, Martin Söhnlein

Druck: Rotaz AG, Schaffhausen

Das nächste LOOPerscheint am 27. August 2009Redaktions-/Anzeigenschluss: 20.8.2009

Titelbild: Alexandra

Ich will ein Abo: (Adresse)10 mal jährlich direkt im Briefkasten für 30 Franken (in der Schweiz).LOOP Musikzeitung, Langstrasse 64, Postfach, 8026 Zürich, Tel. 044 240 44 25, [email protected]

Betrifft: Die gesammelten Erinnerungslücken

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DER MÄPPCHENJÄGERJedes Archiv ist nur so gut wie derjeni-ge, der es benutzt. Loop-Autor Hanspeter Künzler klärt uns über das Zustandekom-men seines eigenen Poparchivs auf.In den mittleren Achtzigerjahren entdeckte das Schweizer Radio die Popkultur. Nur war es in jenen vorsintfl utlichen Zeiten ohne das Internet nicht gerade einfach, an die In-formationen heranzukommen, die der Berichterstattung den gewünschten Tiefgang verpasst hätte. Es gab zwar ein Archiv im Radio, doch darin waren höchstens ein paar Ar-tikel aus der deutschsprachigen (Musik-)Presse abgelegt. Just in dem Moment beschloss George Tremlett, der selbst-ernannte «erste freischaffende englische Musikschreiber», sein Archiv zu verscherbeln. DRS war gewillt, dafür einen ordentlichen Batzen auf den Tisch zu legen, denn damit hätte man sich auf einen Schlag die ganzen Sixties und Seventies erschlossen. Aber natür-lich wollte man das Geld nicht blindlings aus dem Fenster werfen. So durfte ich denn ins walisische Laugharne (aus-gesprochen «Laarn») fahren, wo Tremlett gerade einen auf Dylan Thomas (der einst in dem Dorf gelebt hatte) spezi-alisierten Bücherladen eröffnet hatte und an einer Biogra-phie über die Frau des Dichters arbeitete. Das zum Verkauf ausgeschriebene Archiv war im Keller gelagert: Dutzende von Zügelkartons, in denen in alphabetischer Folge eine endlose Anzahl von Kartonmäppli mit Zeitungsausschnit-ten eingeordnet waren.

DREI SCHACHTELN BEATLES

Nur schon die Beatles hatten drei solche Schachteln für sich allein. Hier trugen die Mäppchen Aufschriften wie «Beatles – Schuhe», «Beatles – Krawatten» oder «Beatles – Konzer-te». In seinen Anfangszeiten, so berichtete Tremlett, habe es noch so wenige erfolgreiche und damit medienwürdige Bands gegeben, dass man halt alle sechs, sieben Wochen wieder die gleichen zum Interview getroffen habe – so eben auch die Pilzköpfe aus Liverpool. Ich war mächtig beeindruckt von dem Archiv und vergrub mich stundenlang in den Sixties. Dass ich die Mäppchen aus der Perspektive der Achtzigerjahre betrachtete, mach-te die Sache nur noch spannender. Bereits ein fl üchtiges Durchstöbern zeigte, wie sehr sich vieles verändert hatte, und vermittelte auch erste Hinweise darauf, wo die Gründe für diese Veränderungen zu suchen waren. Ich ging nach Hause und bestellte beim Papeterie-Grosshändler sogleich zweihundert sogenannte MQ-Mappen in Blau.

EIN ROCKSTAR ALS ARCHIVAR

Während alle anderen meiner Versuche, ein bisschen Geld zur Seite zu legen, an Bankencrashes, Infl ationen und sons-tigen Finanznöten gescheitert sind, habe ich die Zeit- und Geldinvestition in mein Archiv keine Sekunde lang bereut. Nach etwa zehn Jahren konnte mich keine noch so obsku-re Anfrage aus der Fassung bringen. Irgendwo in meinen blauen Mäppchen gab es zu jedem Thema Informationen – als zusätzliche Sammelgebiete waren in der Zwischenzeit auch Soziologie, Politik, Film und Kunst dazugekommen, einfach alles, was mich irgendwie interessierte.Mittlerweile sorgte ein veritabler «Archivar» für Ordnung. Duncan war Bassist, zuerst bei einer fulminanten Rock-band namens Milk, dann bei Stereolab. Die zwei Jobs er-

gänzten sich perfekt: Er verdiente ein paar Batzen, auch wenn er nicht auf Tournee war, andererseits machte es nichts, wenn er mal zwei Monate durch die USA tingelte.

DIE GEWALT DES INTERNETS

Als er später arbeitslos wurde, starteten wir sogar den Versuch, kommerziellen Gewinn aus dem Unterfangen zu schlagen. Doch da bekamen wir bald die Gewalt des Inter-net zu spüren – und zwar anders, als wir es vorausgeahnt hätten. Per Internet wurden wir von den beiden Copyright-Agenturen ausfi ndig gemacht, die in Grossbritannien am Ruder sind. Die eine kümmert sich um die Rechte von Zeitschriften, die andere um die von Zeitungen. Beide wa-ren sie von den grossen Verlagen selber gestartet worden, beide verlangten sie horrende Lizenzbeträge für das Recht, Fotokopien zu verschicken, und verhinderten damit das Aufkommen von Konkurrenz für ihre eigenen, natürlich ebenfalls sauteuren Archivdienste. £ 250 kostete mich eine aufschlussreiche Stunde mit einem auf Copyright spezialisierten Rechtsanwalt. Dieser eröff-nete mir, dass beide Agenturen wegen ihrer überrissenen Preise dutzendfach von Bibliotheken, Universitäten und Privatfi rmen eingeklagt worden seien, dass es aber noch Jahre dauern werde, bis eine akzeptable Lösung gefunden sei – bis dahin würde ich mit einer Zuwiderhandlung Kopf und Kragen riskieren. Das hiess: Goodbye «Klipjoint», goodbye Duncan.

EXTREMELY VERGNÜGLICH

Seither haben diverse Schüler und Studenten ein redu-ziertes Archiv nachgeführt. Ich könnte darauf auch im Internet zeitalter nicht verzichten. Ein Mäppchen, auf dem man auf den ersten Blick sieht, welche Zettel für die Ar-beit interessant sind und welche nicht, ist so viel simpler als endlos jeden Link anzuklicken, um herauszufi nden, ob sich dahinter nützliche Infos verstecken, und dann die Sei-te erst noch auszudrucken. Übrigens ist das Mäpplisurfen auch extremely vergnüglich: Man nehme nur schon eine Sequenz wie diese: Banton, Buju; Barlow, Gary (see also Take That); Baker, Anita; Barrett, Syd; Basement Jaxx; Bat for Lashes. Wahrhaft weltumspannend, diese Mäppchen, oder etwa nicht?

Hanspeter Künzler

hanspeter künzler

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DIGITALE SCHATZINSELGenickbruch oder Hilfestellung? Wäh-rend sich Musikindustrie und Internet noch immer in den Haaren liegen, setzt man andernorts auf die Vernunft. Tatort Free Music Archive.Schon eine ganze Weile lang geht es sehr schnell. Das pas-sende Programm aufgestartet oder genügend Zeit und Ner-ven für Suchmaschinenabfragen aufgewendet, fi ndet die Welt im Internet, was sie will. Auch und gerade Musik. Laut einer Pressemitteilung der International Federation of the Phonographic Industry (IFPI) lag der Anteil unau-torisierter Musikdownloads 2008 bei über 40 Milliarden Songs, also satten 95% der gesamten Musikdownloads. Ist die fortschreitende Digitalisierung der Musik ein gi-gantisches Schwarzes Loch? Aufgrund der anhaltenden Klagen der Industrie müsste man das annehmen. In der Realität siehts dann aber anders aus. Denn dasselbe böse Internet, dieselben bösen UserInnen sind auch der am stärksten wachsende Markt der Musikindustrie. Weltweit 3.7 Milliarden US-Dollar wurden 2008 mit digitaler Mu-sik umgesetzt, was gut 20% der Einnahmen dieses Wirt-schaftszweigs entspricht. Und die Tendenz zeigt nicht nur in den USA seit Jahren nach oben. Auch in England, Japan, Frankreich und Deutschland stehen die digitalen Zeichen auf Wachstum. Grund zum Jubel, eigentlich. Die Statistik jedenfalls lässt die Grossen hoffen.

ALLES! JETZT! FÜR ALLE!

Für die Kleinen und Kleinsten war das Internet schon im-mer eher Hoffnung denn Bedrohung. Noch nie liess sich so einfach ein so grosses Publikum erreichen, wie Hole-Frontfrau Courtney Love bereits Ende der Neunzigerjahre zu betonen nicht müde wurde. Die Möglichkeit, die eigene Kunst per Upload ohne Umwege unter Hunderttausenden zu streuen, lässt nicht nur KünstlerInnen frohlocken, son-dern zuweilen auch Labels. Wie die Macher des US-Netla-bels Quoteunquote Records per E-Mail beteuern, ver-zichten sie sogar gerne auf Profi te, wenn sie im Gegenzug gehört werden, und setzen vollumfänglich auf das Prinzip freiwilliger Spenden.

VERNUNFTSMOTOR

Auf denselben Doppelantrieb von Vernunft und Fairness setzt auch das Free Music Archive (FMA), das am 4.April online ging und die Direktspende zum Fundament nimmt. Das FMA ist ein Gemeinschaftsprojekt von namhaften freien US-amerikanischen Radios. Ihr Ziel ist die Abbil-dung des Aspekts der freien Verfügbarkeit von Musik im Internet, wie er in den Funkwellen tagtäglich geschieht. WMFU aus New Jersey, KEXP aus Seattle und weitere Ra-diostationen, die sich selbst ebenfalls vernunftbasiert aus Mitgliederbeiträgen fi nanzieren, kuratieren, was an Musik in das Archivprojekt einfl iesst und 24 Stunden am Tag auf Mausklicks wieder aus ihm herausfl iesst. Im FMA gibt es also nicht einfach alles, was sich an frei verfügbarer Musik in den Weiten des Netzes tummelt. Aber es gibt sehr vieles, und vieles ist interessant. Momentan steht der Zähler bei 10264 Songs aus rund 84 Subgenres von Freak-Folk bis Moderner Klassik. Songs, die gratis gestreamt oder herun-tergeladen werden können. Lange, kurze, schräge, schöne

Songs, die viele Unterschiede haben, aber auch Gemein-samkeiten. Immer nämlich sind es Songs von MusikerInnen und/oder Bands, die nicht viel von juristischem Hickhack, Businessplänen und Marketingstrategien halten, wenn es um ihre Kunst geht. Vielmehr sind die hier versammelten Songs freigegeben zum Download, zur Konsumation, zur Weiterverarbeitung entlang der Creative-Commons-Lizen-zen. Freigegeben letztlich auch zur Verwendung als poli-tisch korrekter Soundtrack zu einem politisch korrekten Leben, in dem man sich gegenseitig hilft, und jeder nach seinen Fähigkeiten das Leben der anderen versüsst.

ALLES GRATIS. ALLES GUT?

Mit der freien Verfügbarkeit ohne Kaufzwang bleiben die Songs dann aber überaus häufi g auch einfach gratis, da die Vernunft auch 360 Jahre nach Descartes noch überschätzt wird. Und so stellt sich auch beim Free Music Archive die Frage nach dem Wert von Musik. In den Augen der In-dustrie erschöpft sich die Frage traditionellerweise in der Suche nach angemessenen Gegenwerten. Dabei geht ver-loren, dass Musik mehr ist als Ware. Dass sie Leben und Liebe retten, dass sie Menschen vereinen, dass sie Sinn stif-ten kann. So gesehen ist der Wert von Musik immer eine äusserst subjektive Sache, und mit einem adaptiven Preis-modell dürfte ihr mehr gedient sein als mit einem fi xen, kartellhaft abgesprochenen Preis, der sich seit der Einfüh-rung der CD reziprok zu den Herstellungskosten verhält und noch immer so intransparent ist wie eine Backstein-mauer. Grundsätzlich lässt sich zudem fragen, ob es beim Musikmachen nicht ohnehin initial darum geht, Gemüter zu bewegen und nicht Geldscheine.

Nino Kühnis

www.freemusicarchive.org

Die Daten zur Musikindustrie entstammen dem aktuellen Report der IFPI,

zu fi nden unter www.ifpi.org/content/library/DMR2009.pdf

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DER AUFBEWAHRER

Vom Sammler zum Archivar: Der Berner Musik journalist und Schlagzeuger Sam Mumenthaler über seine grosse Schwei-zer Populärmusikkollektion – und den Sammlerinstinkt.In einer Dachwohnung im Berner Breitenrainquartier fi n-det sich eine wahre Schatzkammer: Zeitungsausschnitte aus den Beat-Zeiten, die Notenhefte des jungen Polo Ho-fer, Autogrammkarten, Konzertfl yer, Popmagazine – unter anderem die gesammelten Ausgaben von Jürg Marquards «Pop» –, gegen 600 Konzertplakate, eine riesige Samm-lung von 45rpm-Singles mit etwa 4000 Exemplaren sowie, beinahe selbstredend, zahllose LPs: Alle diese Sachen und Objekte dokumentieren die Schweizer Populärmusikge-schichte. Es sind Dokumente, die Sam Mumenthaler, Mu-sikjournalist und Schlagzeuger, seit Jahren zusammenträgt.

DIE DUNKLE SEITE DER BESESSENHEIT

«Ich bin noch nicht im digitalen Zeitalter angekommen. Das ist vielleicht auch der Grund, dass ich ein Freak, ein Sammler bin, da ich gerne das Objekt habe, nicht nur das digitale, und mir bei der Musik nicht nur der Ton wich-tig ist.» Die Form gehe zuweilen über den Inhalt, und das sei ja auch die gefährliche Seite des Sammlers, meint der 47-jährige Urschlagzeuger von Züri West, der mittlerweile in Bubi Rufeners Band Boob trommelt. Ein «Briefmärke-ler» sei er aber nicht. «Briefmärkeler», das sind diejenigen, die für die spezielle Original-Pressung einer Beatles-LP mit einer bestimmten Bestellnummer schon mal ein paar tau-

send Franken ausgeben. Natürlich habe das Sammeln auch bei ihm verbissene Züge, aber er versuche, die dunkle Seite der Besessenheit zu refl ektieren.Einen «Ausrutscher» gesteht Mumenthaler freimütig ein: «Vor Jahren kaufte ich auf einer Auktion ein Teil einer Gi-tarre, die Pete Townshend am Monterey Pop Festival 1967 zerschlagen hat. Ein simples Stück Holz, das historisch aber bestens belegt ist.» Das kleine Teil war in einer Berner Aus-stellung über die Stromgitarre zu sehen, «der Ausrutscher hat sich irgendwie rentiert, aber rational ist das natürlich zu begründen. Wieso bedeutet mir das etwas? Was soll das?»Mumenthaler kann aber rational begründen, wieso er Do-kumente der Schweizer Populärmusik sammelt: Jahrelang sei – speziell die frühe – Rockgeschichte ignoriert und ins «Dumpfbackenlager» gestellt worden. Rock und Beat als schnelles Amüsement ohne Wert für die Nachwelt. Dage-gen wolle er ankämpfen. In seiner Sammlung fi nden sich auch frühe Relikte der Jazzgeschichte: Populäre Musik, die den Zeitgeist prägte und erfasst hat, fasziniert ihn, beson-ders jene aus den Pionierzeiten.

DIE METAPHYSISCHE KOMPONENTE DES SAMMELNS

Die Sammlung sei langsam ausgeufert, da eine klare Grenz-ziehung zwischen den Genres – «wo hört Beat auf und wo fängt Schlager an?» – kaum zu ziehen sei. «Ich habe mitt-lerweile das Gefühl, dass ich gar nicht für mich sammle.» Zunehmend abstrahiere er von seinem eigenen Geschmack, besitze Sachen, die ihm inhaltlich eigentlich gar nicht viel bedeuten. So fi nden sich in der Singles-Sammlung nebst den geliebten Beat-Platten viele Schlager, die Mumenthaler noch gar nicht angehört hat. «Bei vielen Schweizer Liedern packt einem das nackte Grauen. Aber ich denke, es ergibt mehr Sinn, Sachen zu sammeln, die nicht jeder sammelt, und diese an die Schweizer Geschichte zu koppeln.» Mumenthaler nahm immer mehr die Rolle des Archivars ein. Mit einem gewichtigen Unterschied zum professio-nellen Ordner: Er habe ein «huere Puff». Ein Chaos, das

sam mumenthaler

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durch den Mangel an Zeit, aber vor allem durch seine journalistische Arbeit mit dem Material verursacht wurde. Sam Mumenthaler schreibt zur Zeit die Serie «50 Jahre Berner Rock» für die «Ber-ner Zeitung BZ», und für diese arbeitsintensive Reihe krallt er immer neues Ma-terial, immer neue Anek-doten, stapelt Papiersäcke an Dokumenten in seinem Raum und interviewt die Zeitgenossen der Berner Musikgeschichte. Vor vier Jahren veröffent-lichte er aus der Warte des bewussten Chronisten die Oral History zu Polo Hofer und schrieb das Standard-werk «Beat Pop Protest: Der Sound der Schweizer Sixties». Für dieses Buch recherchierte Mumenthaler minutiös die Geschichte der Sauterelles, und während den Arbeiten stiess er in der «Fundgrube» auf ein «Inserätli»: «Zu verkaufen. Schlagzeug der ehem. Gruppe Les Sau-terelles» stand da geschrieben – die «metaphysische Kom-ponente des Sammelns» hatte zugeschlagen: «Wenn man sich mit etwas intensiv beschäftigt, dann fl iegt es einem zu. Sachen, nach denen ewig gesucht wurde oder Sachen, von denen du gar nicht weisst, dass diese überhaupt existieren. Die landen auf einmal bei dir.» In einem Technoladen sei es gestanden, mitsamt dem Original-Fell und dem Sauterel-les-Logo. Schliesslich fand Mumenthaler dank einem Foto heraus, dass dies das erste Schlagzeug der Beat-Band war, noch vor der Zeit des legendären Düde Dürst. Dass das Schlagzeug bei ihm landete, sei ein schöner Zufall: «Ge-spielt habe ich das Set noch nie, es tönt glaube ich auch nicht gut. Das Schlagzeug ist ein Imperial, ein Schweizer Fabrikat, das Set alleine ist etwas wert, und dann noch mit dieser Geschichte verbunden.»

EIN VERMÖGEN AUSGEGEBEN

Nebst diesen Zufallsfunden sei Ebay eine wichtige Quelle für seine Sammlung – auch wenn Dokumente der Schwei-zer Populärmusik rar gesät sind, da sie keinen Markt besit-zen. Sein Lieblingsposter fand er dennoch auf der Internet-börse, ein «verrückter» Fund: Von der einfl ussreichen Band The Yardbirds, damals in der Besetzung mit Eric Clapton, wisse man, dass diese ihre ersten Auslandkonzerte im Tes-sin gespielt habe – unter anderem in der Spielzeugabteilung eines Warenhauses. Allein, Mumenthaler fand keine Doku-mente, die diese Gastspiele belegten. «Eines Tages besuchte ich Ebay und sah ein wunderbares Yardbirds-Plakat mit der ureigenen Typographie, da dachte ich: U läck, geil, und dann las ich ‹Lido Locarno›. Da bekam ich Schweissaus-brüche.» Mittlerweile sei dies sein liebstes Stück in seiner schweizbezogenen Sammlung, die auch ein Foto der Who im verschneiten Grindelwald enthält, wie sie vor dem Ho-tel Spinne posieren. Auch frühe Schweizer Jazzplatten fand Mumenthaler übers Internet in den USA, etwa die Platten der Lanigiro Band, den «Syncopating Melody Kings», 1929 eingespielt. Und so wächst das Archiv weiter. Ein Archiv, das Sam Mu-menthaler irgendwann weitergeben möchte. Das Problem bei einer Weitergabe sei, dass diese in aller Regel unentgelt-lich geschehe – «und ich habe ein Vermögen ausgegeben. Wirklich ein Vermögen, quasi am Essen abgespart.» Na-türlich sei aber der Grund des Sammelns nicht das Geld, denn neben dem Besitzen zähle vor allem das Jagen und Aufspüren von neuen Objekten. Auch ist ein Museum an-gedacht, eine schweizerische Hall Of Fame, die natürlich rockgerecht ausfallen müsste. «Die Vorbilder im Umgang mit dem rockmusikalischen Erbe liegen klar im angloame-rikanischen Raum. Hierzulande existiert trotz der damali-gen gesellschaftlichen Sprengkraft von Rock’n’Roll keine Lobby, die sich für den Erhalt des entsprechenden Erbes einsetzt.»Irgendwann müsse er sich eine Auszeit nehmen, um die Sammlung wieder zu ordnen, meint Mumenthaler, der Pos-ter zuweilen restaurieren lässt und von einer Ausstellung zur Schweizer Popgeschichte träumt. Es wäre der letzte Schritt des Sammlers hin zum Archivar des Schweizer Pop.

Benedikt Sartorius

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TAKING WOODSTOCKVor vierzig Jahren fand in der Nähe von Woodstock ein epochales Festival statt. Aber eigentlich war es eine Katastrophe. «Ziit vom Flower-Power

isch verbi, Woodstock isch Scheisse gsii.»

Sperma, «Züri Punx», 1979

Als sich im Sommer 1969 rund eine Million Blumenkinder Rich tung Bethel, New York, aufmachten, markierte dies einerseits den Höhepunkt der Hippie-Bewegung – kündigte aber zugleich auch ihr Ende an. Die Protestbewegung hatte sich zu einem Lifestyle für junge Leute entwickelt, bei dem Mode, Musik und Drogen in den Vordergrund, politische Anliegen hingegen zunehmend in den Hintergrund rück-ten. Und während man bei Woodstock II von 1994 zurecht die dem Anlass zugrunde liegende Abzockermentalität kri-tisiert hat, geht leicht vergessen, dass bereits Woodstock I mit der Absicht organisiert wurde, viel Geld zu verdienen.

FESTIVAL DER ZWEITEN GARDE

Die Idee für ein Festival for Peace and Music hatte Michael Lang, ein junger Musikproduzent, der in Woodstock ein Aufnahmestudio eröffnet hatte und mit dem Gewinn aus dem Festival die Kosten dafür decken wollte. Zusammen mit seinem Nachbarn Artie Kornfi eld gelang es ihm, zwei ebenfalls junge Investoren aus New York für das Projekt zu gewinnen – die Firma «Woodstock Ventures» entstand. Der Ort der geplanten Veranstaltung musste nach Protes-ten aus der Bevölkerung mehrmals verlegt werden, schliess-lich fand man in White Lake in der Nähe des 4000-See-len-Dorfes Bethel ein geeignetes Gelände. An dem Namen Woodstock hielten die Veranstalter dennoch fest. Einerseits weil er besser klang, vielleicht aber auch, weil man den ein-getragenen Firmennamen nicht ändern wollte.Das Ziel der frischgebackenen Geschäftsmänner war, ge-linde ausgedrückt, ambitiös. Mit Gagen, die deutlich über dem marktüblichen Schnitt lagen, versuchte man an die ganz grossen Namen heranzukommen. Mit mässigem Er-folg. Sowohl die Beatles wie auch Bob Dylan, The Doors, Johnny Cash, The Rolling Stones, Led Zeppelin und na-türlich Elvis Presley lehnten dankend ab. Die Veranstalter musste sich quasi mit der zweiten Garde zufrieden geben – vermutlich der Hauptgrund, weshalb sie den Besucheran-drang derart katastrophal unterschätzten. Mit einem für damalige Verhältnisse hohen Budget von 200000 Dollar allein für die Bands kam dann doch noch ein leidlich attraktives Programm zustande. Man darf aller-dings nicht vergessen, dass viele Künstler wie etwa Richie Havens, Sha-na-na oder Santana durch ihren Auftritt in Woodstock erst bekannt wurden. Zu den echten Headliner zählten The Who, die schliesslich für eine Gage von 11200 Dollar zusagten, während den oben erwähnten Sha-na-na gerade mal 300 Dollar in Aussicht gestellt wurden. Die Jungs von Woodstock Ventures schienen einigermassen er-nüchtert und warben fl eissig in Zeitungen für das Festival. Auf den Boden der Realität zurückgekehrt, rechneten sie mit etwa 60 000 Besuchern.

Das Desaster begann sich bereits am Morgen des 16. Au-gust abzuzeichnen. Jugendliche aus dem ganzen Land blo-ckierten mit ihren Fahrzeugen die Highways sowie sämt-liche Zufahrten zum Gelände. 400 000 kamen schliesslich an, geschätzten 600 000 blieb der Zugang verwehrt; sie mussten sich wieder auf den Heimweg machen. Die Helfer waren völlig überfordert. Man hatte es verpasst, rechtzeitig die Zelte für den Ticketverkauf zu errichten, so dass es zu massiven Staus kam. Schon bald rissen frustrierte Festival-besucher die Abschrankungen herunter, was schliesslich zu dem berühmt gewordenen Satz von Michael Lang führte: «It’s a free festival from now on!»

GUTE DROGEN

Lang sah dabei verdächtig glücklich aus. Melanie Safka sollte später zu Protokoll geben, dass sie den Eindruck hatte, «die Einzige zu sein, die nicht unter Drogen stand.» Vergleicht man die Bilder von Woodstock mit denjenigen von Altamont, muss allerdings die Qualität der Drogen – vorwiegend LSD und Meskalin – eine ganz hervorragende gewesen sein. Der bald einsetzende Regen, der Umstand, dass sich vor den insgesamt 600 Toiletten hundert Meter lange Schlangen bildeten, die ungenügende Verpfl egung (bereits am ersten Tag wurden 500000 Hamburger und Hot-Dogs verzehrt) sowie eine zu leise Musikanlage dürf-ten der allgemeinen Stimmung jedenfalls nicht besonders zuträglich gewesen sein. Dass der Anlass derart gewaltfrei verlief (es gab lediglich zwei Drogen- und ein Unfallopfer), ist das eigentliche Sensationelle an Woodstock.Doch auch die Musiker, die grösstenteils mit Hubschrau-bern aufs Gelände gebracht werden mussten (ausgerechnet bei Iron Butterfl y hat das nicht geklappt), hatten es nicht leicht. Wegen des Regens kam es auf der Bühne immer wieder zu Stromstössen. Mehrere Auftritte mussten früh-zeitig abgebrochen oder verschoben werden. Die Organi-sation hinter der Bühne war im Grunde keine. Es wurden Künstler auf die Bühne gezerrt, die gar nicht wussten, dass sie auftreten sollten, wie etwa John Sebastian. Nur wenige waren mit ihrem Auftritt zufrieden. Creedence Clearwa-ter Revival und Janis Joplin wollten ihre Konzerte weder auf Schallplatte noch auf Film verewigt wissen, während Blood, Sweat & Tears nach ihrer Ansicht zu wenig Gage dafür erhalten hatten. Eine falsche Entscheidung, wie sich im Nachhinein herausstellen sollte.Denn mehr noch als das Festival selbst, das sich für die nach Woodstock hochverschuldeten Organisatoren als absolutes Waterloo herausstellte, ist es die kollektive Erin-nerung daran, die Woodstock zum eigentlichen epochalen Ereignis werden liess. Der von Martin Scorsese edierte Film wurde zum Kassenschlager, das Dreifach-Album verkaufte sich ebenfalls sehr gut. Rechtzeitig zum Jubiläum kommt Ang Lees «Taking Woodstock» in die Kinos – der Film spielt vor der Kulisse des berühmtesten Rock- und Folkfes-tivals aller Zeiten.Dass allerdings kollektives Erinnern auch seine Tücken ha-ben kann, beweist der Umstand, dass es bis heute keine verlässliche Information darüber gibt, in welcher Reihen-folge denn nun die Bands und Künstler eigentlich aufgetre-ten sind. Es existieren unterschiedliche Stagepläne und Set-lists. Und daran erinnern mag sich auch niemand mehr so richtig. «If you remember the sixties, you probably weren’t there», soll dazu der damalige Sicherheitsbeauftragte Wavy Gravy gesagt haben. Der Drogenkonsum muss an jenem Wochenende wirklich enorm gewesen sein.

Martin Söhnlein

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GESAMTKUNSTWERKSeit Jahren vorbereitet, von den Fans sehnlich erwartet. Anfang Juni erschien der erste Teil von Neil Youngs «Archives». Ein Gespräch mit den Produzenten.Auf dem Bildschirm ist zu sehen, wie Neil Young einen Brief öffnet. Schlicht und einfach. Trotzdem ist Larry John-son ganz aufgeregt. Er sitzt in einem Atelier in San Fran-cisco, das bis zum Umbau ein Warenhaus war. Heute wird hier eines der ehrgeizigsten Projekte in der Geschichte der Popmusik vorangetrieben. Die lange erwarteten, immer wieder verschobenen «Archives» von Neil Young, eine Se-rie von Boxen mit Blu-Ray-Discs und nichts weniger als der Versuch, das über 40 Jahre umfassende Gesamtwerk des Rockmusikers neu zu präsentieren, zu dokumentieren und gleichzeitig auf den neusten technischen Stand zu bringen.Was wie der banale Griff zu einem Briefumschlag aussieht, kann da für Fans und Historiker von immenser Bedeutung sein. «Schauen Sie», gerät Larry Johnson in Fahrt, «das ist der Brief, den Neil sich vor fast 50 Jahren geschrieben hat. Er enthält den Text seines ersten Songs, und er schickte ihn an seine alte Adresse in Kanada zurück, um ihn dort sicher aufbewahrt zu wissen.»Johnson hat die Szene im Hinblick auf die «Archives»-Serie mit der Kamera festgehalten. Der 62-Jährige ist so etwas wie der fi lmische Biograf des Musikers. Kennen gelernt ha-ben sich die beiden vor 40 Jahren am Festival von Wood-stock, wo Larry Johnson sich mit einem medienscheuen Neil Young konfrontiert sah, der sich weigerte, gefi lmt zu werden.Ein Widerstand, den der heute 63-jährige Rockmusiker bald aufgab. Larry Johnson jedenfalls hat ihn seither im-mer wieder gefi lmt – seine Konzertmitschnitte werden auch in den «Archives» zu sehen sein. Johnson zappt weiter durch die Blu-Ray-Discs und hält bei einer Szene, in der

Neil Young aus einem alten Brief an seine Mutter vorliest. Darin bettelte er sie Mitte der Sechzigerjahre um 50 Dol-lar an: «Mort» sei eben «gestorben», sein 49er Dodge, mit dem Young aus Toronto nach Los Angeles gereist war, wo er 1966 mit Stephen Stills Buffalo Springfi eld gründete, sei-ne erste wichtige Band.

ÜBER 100 STUNDEN MUSIK UND FILM

Der Aufwand, den Neil Young und sein Team für die «Ar-chives» betrieben, ist enorm. Mehr als zehn Jahre lang sichteten sie Tausende von Fotos und Erinnerungsstücken, hörten Hunderte von alten Aufnahmen durch, sortierten Notenblätter und Notizen. Und über ein Jahr arbeitete ein Team von Designern und Software-Experten in San Fran-cisco an der künstlerischen und technischen Präsentation des Materials. Das Resultat ist nun erhältlich: eine Archiv-schachtel mit zehn Blu-Ray-Discs. Weitere vier Sets mit über hundert Stunden Musik und Film sind in Planung.Die Idee zu diesem audiobiografi schen Gesamtkunstwerk trug Neil Young schon seit Mitte der Neunzigerjahre mit sich herum. Doch erlaubte es die Technik damals noch nicht, neben Songs und Konzerten auch Videos, Fotos und andere Dokumente interaktiv verfügbar zu machen. Erst die Blu-Ray-Technik, die von den Studios seit letztem Jahr als neuer Standard akzeptiert wird, gab ihm diese Möglich-keit. «Neil hat gewartet, bis die Technologie seinen Erwar-tungen entsprach», so Johnson: «Höchste Qualität – ob die Leute dafür bezahlen wollen oder nicht.»Trotz dieser hehren Ziele stellt sich die Frage, ob Young die Nachfrage der Fans und die Wirkung des Werks nicht überschätzt. In den einschlägigen Foren des Internets kri-tisieren Dutzende von Fans nicht nur den Preis, sondern auch den Umstand, dass Teile der ersten Folge der «Ar-chives» schon früher auf CD erschienen sind. Produzent Larry Johnson kennt die Einwände – und sie seien auch dem Chef bekannt. «Neil ging es darum, sein Werk in der bestmöglichen Qualität aufzuarbeiten und zu erhalten. Ihm ist es letztlich egal, wie gut sich die ‹Archives› verkaufen.»Neil Young sei halt ein Technikfreak und begnadeter Bast-ler, sagt Ole Lütjens, künstlerischer Gestalter der Blu-Ray-Discs, bei der Präsentation im Studio. «Ich nenne ihn gern den Daniel Düsentrieb des Rock’n’Roll», so der deutsche Software-Experte, der seit sechs Jahren in San Francisco lebt und arbeitet. Auf der Broken-Arrow-Ranch, eine Fahr-stunde südlich der Stadt, hat Young eine Modelleisenbahn-anlage aufgebaut, die er für seinen behinderten Sohn mit einer Fernbedienung ausgestattet hat. Das Patent für diese Erfi ndung machte den Musiker auch zum Mitbesitzer der amerikanischen Modellbaumarke Lionel.In Wichita, Kansas, bastelt Young zudem seit Jahren an einem Ökoauto, ausgehend von einem 59er Lincoln Con-tinental. Ziel ist, mit einer Gallone Benzin (3,7 Liter) 100 Meilen (160 Kilometer) zu schaffen. «Momentan sind wir bei 88 Meilen», sagt Larry Johnson, «aber die 100 Meilen werden wir bald erreicht haben.» In der Garage in Wichita war es auch, da ein Fan auftauchte und seltene Backstage-Fotos von einem Buffalo-Springfi eld-Konzert aufstöberte. «Neil war begeistert», erinnert sich Ole Lütjens. «Aber natürlich hiess das auch, dass er sie unbedingt noch in die ‹Archives› einbauen wollte. Obwohl die Discs eigentlich schon fertig waren.»

FOTOS, LIEDTEXTE, BIERDECKEL

Jetzt, da die Rockmusik und ihre ersten Stars in die Jahre gekommen sind, soll Neil Young nicht der Einzige sein, der neil young

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Neil YoungArchives, Vol. 1(Reprise/Warner)

Die erste Folge der «Ar-chives 1963 bis 1972» ist am 2. Juni erschienen. Sie setzt ein mit sechs Songs der Squires, Youngs früher Surfband in Toronto, und endet mit dem Film «Jour-ney Through the Past». Dazwischen liegen das erste Solo-Album und Konzert-mitschnitte im «Riverboat» in Toronto (1969), im «Fill-more East» in New York (1970) und in der «Massey Hall» in Toronto (1971). Dazu gibt es Aufnahmen mit Buffalo Springfi eld und Crazy Horse sowie bisher unbekannte Stücke aus der «After the Goldrush»-Ära und der «Harvest»-Session. Total sind es 128 Songs, von denen 43 offi ziell nie veröffentlicht wurden und 13 erstmals überhaupt zu hören sind. Die Box kostet in den USA bei Amazon 276, auf der Website von Neil Young 300 US-Dollar, dafür sind hier die Trans-portkosten nach Europa billiger. Sie wird auch in Einzelteilen erhältlich sein. Die «Archi ves» erscheinen als Blu-Ray-Discs. Diese klingen viel besser als her-kömmliche Tonträger, da sie etwa fünfmal mehr Daten speichern als eine DVD. Sie sind nicht ländercodiert und können also auch in Europa problemlos abgespielt wer-den. Die Wiedergabequalität er reicht fast die der klassi-schen Vinylplatten, ohne die Stör- und Kratzgeräusche natürlich: Aufnahmen aus den Sechzigerjahren klingen brandneu. Neil Young will die «Archives» zudem stän-dig aktualisieren: Wer die Blu-Ray-Discs kauft, erhält die Garantie, dass spätere Fundsachen über das Inter-net nachgeliefert werden. (wn)

Neil YoungA Fork in the Road(Reprise/Warner)

Die Veröffentlichung der «Archives» wurde Anfang Jahr nochmals verscho-ben – nicht zuletzt, weil Neil Young vorher noch ein neues Album aufneh-men musste: «A Fork in the Road». Eines hat Neil Young damit erreicht: Er hat Apple-Chef Steve Jobs verärgert, ihn gar zu einem Protest veranlasst. Grund war der übers Internet vor-ab verbreitete Titelsong. In einem auf seiner Farm ge-drehten Clip zum Song hält Young einen Apfel in der Hand, mit dem er durch Kopfhörer verbunden ist. «Das klingt scheisse», singt er lachend und wirft den angebissenen Apfel weg; ein schelmischer Hinweis auf Youngs Aversion gegen den iPod und seine schwa-che Wiedergabequalität.Das Album ist allerdings auch nicht gerade stark. Es bringt wenig Neues. Young zitiert sich ausgie-big selber, manchmal bis an die Grenze des Kitschigen und Plumpen. Die meis-ten Songs drehen sich um sein aktuelles Projekt, ei-nen Lincvolt auf sparsame Technik umzurüsten. Das Album rumpelt ohne grosse Überraschungen und Um-wege voran, getrieben von einer Mischung aus fadem Garagenrock und Boogie-Blues. Die Ballade «Light a Candle» ist raffi nierter. Wo Young aber Kommen-tare zur zeitgenössischen Politik abgibt, vorwiegend zu den bereits vergessenen Bush-Jahren, wird es haus-backen und simpel. Ausser Steve Jobs dürfte sich darü-ber kaum jemand den Kopf zerbrechen. (wn)

sein Werk mit Hilfe der neuesten digitalen Technologie auf-arbeiten will. Als mögliche Kandidaten für vergleichbare Projekte werden etwa Lou Reed, Led Zeppelin, Brian Eno oder Bob Dylan gehandelt. Larry Johnson sagt, er habe be-reits mit Dylan gesprochen, den er von gemeinsamen Pro-jekten («Rolling Thunder Review», «Renaldo & Clara») her kennt. «Er war interessiert. Aber ich bin mir nicht ganz sicher, ob er es tun wird. Nicht jeder ist wie Neil. Nicht jeder wühlt gern in seinen alten Sachen.»Neil Young aber beschäftigt sich gerne und ausgiebig mit seinem Leben und seinem Werk. Die Basis dafür ist das

Warenlager in San Francisco, in dem er Briefe, Konzertpro-gramme, Fotos, Notenblätter, Liedtexte und sogar alte Bierde-ckel hortet. Ole Lütjens’ Firma MX erhielt Anfang 2008 nach einem Auswahlverfahren gegen grosse, in Hollywood tätige Firmen den Auftrag, Neil Youngs Ideen umzusetzen und dieses Material zu verarbeiten. Bis zu 15 Designer und Software-In-genieure, erzählt Lütjens, waren vier Monate lang beschäftigt; oft bis tief in die Nacht. Was dabei nicht zu vermeiden war: Lütjens’ Leute, die meisten halb so alt wie Neil Young, haben bis auf Weiteres genug Songs von ihm gehört.

Walter Niederberger

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FOTOGENIn der letzten Ausgabe erzählte Drummer Düde Dürst aus seinem ereignisreichen Leben mit Les Sauterelles und Krokodil. Nun folgen weitere Bilder aus dem Archiv.

the starlights (1964)

probe mit jodlerkönig peter hinnen (1966)

the counts (1965)

mit carl perkins im fernsehstudio (1978)

bei dieter dierks im studio (1972)model für willy bogner (1970)

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DIE NEUEN PLATTENAlexandraNeben Hildegard Knef war die früh verstorbene Alex-andra (bürgerlich Doris Treitz) die wohl ambitionierteste deutsche Sängerin der Nachkriegszeit, irgendwo zwischen ernsthaftem Schlager, Pop und deutschem Chanson ange-siedelt. Zum vierzigsten Todestag gibt es diese schöne Best-of-Sammlung mit 25 Songs und einer Bonus-DVD.Zahlreiche Legenden ranken sich um die schöne, dunkel-haarige Sängerin mit der dunklen, warmen Stimme, die 27-jährig bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist. Geboren im ostpreussischen Memelland im heutigen Litau-en, vertrieben von der Roten Armee, wuchs sie in Ham-burg auf, lernte mit 10 Klavier spielen und begann früh Lieder zu schreiben. Heirat mit 19 (einen 30 Jahre älteren Russen), Mutter mit 20, Scheidung mit 21.Neben ihren eigenen Hits, dem vielleicht originellesten frü-hen Ökosong «Mein Freund der Baum ist tot» (1968), dem grossen Hit «Sehnsucht (Lied der Taiga)» oder «Zigeuner-junge» gibt es noch zwei Bonustracks: die französische Ver-sion von «Sehnsucht» («La Taiga») sowie Shirley Basseys englische Fassung des von Alexandra gemeinsam mit Udo Jürgens geschriebenen «Illusionen» («If I Never Sing Ano-ther Song»). Wunderbare Songs, romantisch, sehnsuchts-voll, aber auch mit Witz und Verve, etwa ihr «Im sechsten Stock» oder ihre Version von «Those Were the Days».Die 30-minütige Bonus-DVD ist eine Musikdokumentati-on des legendären TV-Produzenten Truck Branss mit etli-chen Songs, frühen Videos und – allerdings recht knappen – Statements der Sängerin zu ihrem Werdegang.

Thomas Bohnet

Alexandra: «Die Stimme der Sehnsucht» (Koch/Universal)

Damian LazarusSmoke the Monster Out(Get Physical/Namskeio)

Damian Lazarus steht auf der hippen Seite des Le-bens. Mit seinem Label City Rocker ritt er zuoberst auf der Electropunk-Welle. Als dann die Tanzwelt nach Minimal zu schreien begann, war er schon mit Crosstown Rebel auf dem Plan. Lazarus wird mass-geblich zugeschrieben, Mi-nimal in England populär gemacht zu haben. Neben dem Clubtrendsetting hat der Brite aber immer auch Weitblick bewiesen, auf einigen Mix-Compilations und noch deutlicher mit seinen «Lazpod»-Casts bei iTunes. Das übliche DJ-Al-bum war also nicht zu er-warten. «Smoke the Mons-ter Out» nun aber klingt so, als habe hier jemand sein ganzes Leben lang nichts anderes gemacht, als im Proberaum feinsinnige Popsongs gebastelt und gesungen. Anfänglich noch von verschlungen-dunkler Elektronik geprägt, öffnet sich das unerhört gute De-büt im weiteren Verlauf im-mer mehr den wahren Ido-len Lazarus‘: Jeff Buckley, Lou Reed, Neil Diamond, Scott Walker (ein Cover von «It’s Raining Today») und Nick Cave (mit einem Sample aus «Red Right Hand» – Gerüchte, dass Cave sein neues Album deswegen «Dig Lazarus Dig!!!» getauft habe, konn-ten nicht bestätigt werden). Das Album schliesst mit dem sinnigen Titel «After Rave Delight» ab. Wohlan!

sio.

StadeFreewheel(Sub Rosa)

Bereits die ersten modalen Takte auf «Freewheel» erin-nern stark an Miles David. Auf «Triceratops at Work», dem dritten Stück, ist man dem elektronischen Miles dann schon sehr nahe. Das Ohr des Jazz-Laien wurde nicht getäuscht: Es gehe darum, das Erbe von Mi-les Davis’ elektronischen Experimenten mit dem Vo-kabular von HipHop und Electronica und den akus-tischen Inputs der Gastmu-siker zu verbinden, verrät die Presseinfo zum neuen Album von Stade. Gast an der Trompete ist Erik Truffaz, ein alter Bekann-ter von Pierre Audétat und Christophe Calpini, die seit ihrem Wirken bei der Lau-sanner HipHop-Combo Silent Majority durchwegs mit spannenden Projekten und Kollaborationen auf-gefallen sind. Mit Stade haben sie ihre eigene Form gefunden. «Freewheel» mit den beiden weiteren hoch-karätigen Gästen Gregoire Maret (an der Mundhar-monika) und Avantgarde-Grösse Elliot Sharp führt das Duo zurück zu den Jazz-Wurzeln. In der oben genannten Tradition ver-mag der Fünfer interessan-te und zeitgemässe Akzent zu setzen. Mehr Freigeist und Witz allerdings bewei-sen Stade auf der ebenfalls aktuellen CD «Live at La Guinguette». Mit ihren Vo-kalpartnern Infi nite Livez und Joy Frempong spielen sich Stade in ein fortge-schrittenes lyrisches und di-gitales Improvisations-De-lirium. Die zwei Seiten von Stades Experimentiertum.

sio.

Nouvelle VagueNV 3(PIAS/MV)

Drittes Album der Pari-ser Band um Olivier Li-baux und Marc Collin, die damit ihre Trilogie mit Coverversionen alter Punk- und New-Wave-Hits abschliesst.Im Sommer 2004 sorgten Nouvelle Vague mit ihrem Debütalbum für den Über-raschungserfolg des Jahres. Ohne grössere Medienprä-senz und ohne ein grosses Label im Rücken verkauf-te sich das Album alleine durch Mund-zu-Mund-Pro-paganda. Die luftigen, an Bossa Nova geschulten und von verschiedenen Sänge-rinnen gesungenen Cover-versionen von zahlreichen Punk-und New-Wave-Hits haben den Nerv vieler Fans getroffen. Diesmal liessen sich Collin und Libaux von Country und Bluegrass inspirieren. Die zweite Änderung: Für einige der Tracks hat man die Originalsänger gewin-nen können. So singt nun Ian MacCulloch von Echo & The Bunnymen zusam-men mit Melanie Pain «All My Colours», Marina Ce-leste performt den Fun-Boy-Three-Titel «Our Lips Are Sealed» mit Terry Hall und Martin Gore von De-peche Mode ist bei der Sin-gle «Master and Servant» zu hören. Diskussionsstoff bietet die sanfte Version von «God Save the Queen» der Sex Pistols. Darf man das, einen rebellischen Song ent-rebellisieren?

tb.

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DIE NEUEN PLATTEN

Priscilla AhnA Good Day(Blue Note/EMI)

Priscilla Ahns Stimme ist makellos. Sie kann Songs schreiben, und als Gitar-ristin ist sie auch nicht schlecht. Vieles ist fi ligran delikat, und wenn man Ecken und Kanten sucht, ist man an dieser Stelle am falschen Platz. Elf Songs hat die CD, acht davon hat Ahn selbst geschrieben und auch die meisten Inst-rumente (Piano, Cembalo, Ukulele, Zither, Glocken-spiel) selbst eingespielt. With a little help from her friends: wie zum Beispiel Joey Waronker, den man von R.E.M. her kennt, oder eine gewisse Ursula Knudson an der singen-den Säge. Das Album hat nicht nur seine schönen Pop-trifft-Country-und-Folk-Momente, sondern auch seine originellen, wie zum Beispiel «Astronaut» mit seiner kirmesartigen Musik oder die pointiert witzige Eifersuchtsschilde-rung «I Don’t Think So» mit Mundharmonika und einem Touch Dylan im Sprechgesang. An einer an-deren Stelle kommt einem eine gewisse Marilyn Mon-roe in den Sinn, die ja auch schon mal mit Ukulele «ge-rockt» hat. Priscilla Ahn wird bald keine «Wallfl o-wer» mehr sein. Wie es der gleichnamige Song schon zeigt: Für ein Mauerblüm-chen ist sie einfach zu gut.

cam.

Regina SpektorFar(Sire/Warner)

Es sieht so aus, als wäre der verwaiste Kate-Bush-Thron endlich wieder be setzt. Längst hat sich herum-gesprochen, dass Regina Spektor, New Yorkerin mit russisch-jüdischen Wurzeln, interessante Songs schreibt und diese eigenwillig singt und am Klavier begleitet. Grosse funkelnde Balla-den, Songs mit Drive und Brüchen. «Begin to Hope» war ihr Millionseller 2007. Statt nun ihr Album alleine zu produzieren, hat sie den Job gleich an vier Leutchen vergeben, unter anderem an den Verschlimmbesserer Jeff Lynne. Aber vorneweg: Lynne blieb unter seinen Möglichkeiten, Spektor ist immer noch Spektor, klas-sisch geschult, aber halt auch witzig und kühn. «Far» ist mit manchmal schwermütigen Klangfar-ben gemalt und dann wie-der in heiteren Farben und zarten Pinselstrichen. Das Schöne an diesem eigenwil-ligen und manchmal selt-sam temperierten Album sind Songs, die zum Nach-denken anregen. Und sie sind mindestens so weise und ausgebufft wie vieles, was man von bestimmten Musikern kennt, die ganz auf Stimme (in allen Facet-ten) und Piano (von leicht bis hämmernd) vertrauen – egal, ob nun Bass, Cello oder Tuba mitspielen oder die Welt einstürzt.

cam.

Iron and Wine Around the Well(Sub Pop/Irascible)

Allein die Cover-Version von New Orders «Love Vigilantes» als zurück-haltender, roh produzier-ter Country-Song ist ein Grund, seine Skepsis Ra-ritätensammlungen gegen-über abzulegen. Meistens gibt es ja Gründe, weshalb Obskures obskur geblie-ben ist. Im Fall von Iron And Wine, deren Kopf Sam Beam geradezu berüch-tigt ist für seine erratische Veröffentlichungspolitik, macht «Around the Well», eine Zusammenstellung von Un veröffentlichtem, De-mos, Sampler- und Sound-trackbeiträgen, Songs und ähnlichem durchaus Sinn. Während das letzte Al-bum von Iron and Wine, «The Shepherd’s Dog» (2007), sich erfrischen-dem Folkrock zuwandte, kehrt man auf «Around the Well» zurück zu verhusch-tem, leicht psychedelisch verbrämtem Countryfolk. Die erste CD – Sam Beam allein zuhause – zieht sich zugegebenermassen etwas in die Länge; reizvoller ist die zweite CD, in der Banjo, Piano, Perkussion, Gitarren, Akkordeon, ge-hauchte Chöre und andere Instrumente sich um Beams Klampfe und Flüsterge-sang herum zu dichteren, abwechslungsreicheren Ar rangements verknüpfen und in den überraschenden Cover-Versionen von Stere-olab, New Order, Flaming Lips und Postal Services ihre Höhepunkte fi nden.

cg.

Sunn O)))In der Musik von Sunn O))) überlagern sich seit jeher die verschiedensten Traditionen: Metal, Industrial, Laptop-Elektronik, aber auch akademische Minimal Music. Auf dem neuen Album «Monoliths & Dimensions» (Southern Lord) hört man zudem noch einen dissonanten Frauchen-chor aus Österreich und schliesslich einen erhebenden Or-chestersatz mit Posaunen, Waldhörnern und einer perlen-den Harfe. «Wir sind nie engstirnige Metal-Hörer gewesen. Wir haben immer schon alle Arten von Musik in uns aufge-sogen», sagt Stephen O’Malley in einem Interview in einem deutschen Musikmagazin. Wenn man auf ihre Vorbilder zu sprechen kommt, werden interessanterweise sofort die Schweizer Avantgarde-Metaller Celtic Frost genannt. Seit Stephan O’Malley in seinen zahlreichen Nebenprojekten auch die Kunstgalerien beschallt, fühlen sich neuerdings auch leidenschaftliche Vernissagenbesucher und Frank-furter Schule lesende Neue-Musik-Hörer vom apokalypti-schen Sound angezogen. Auf dem siebten Album «Monoliths & Dimensions» kommt die bislang nuancierteste Forschungsarbeit des Drone-Duos aus Seattle ins Stocken. Fast scheint es, als wä-ren Steve O’Malley und Greg Anderson in ihrem Versuch, in den Kern eines Schwermetall-Gitarrenriffs zu dringen, an die Grenze des eigenen Entwurfs gestossen. Natürlich wird immer noch in tiefsten Sphären gebrummelt und fl eis-sig rückgekoppelt. Gewaltige Klangräume entstehen so dann, in denen die Klischees des Avantgarde-Heavy Metal nur mehr schwach widerhallen. Aber bisweilen wühlt sich durch diese tief gelegten Soundlandschaften dann plötzlich so etwas wie eine Melodie. Das Geschrei des ungarischen Gastvokalist Attila Csihar («Mayhem») nimmt gesangs-ähnliche Formen an, es entstehen tatsächlich Strukturen. Wenn gegen Ende des Albums eine hell schimmernde Trom-pete ertönt, dann hat erstmals im Werk von Sunn O))) der Optimismus triumphiert. Ein Gefühl erhebt sich, als ob die Sonne über den dunklen Klangfl ächen von Sunn O))) auf-gehe. «Es soll ganz leicht klingen. Und schön» (O’Malley). Entsteht Fortschritt manchmal eben doch durch vermeint-lichen Rückschritt? Doch Sunn O))) mit herkömmlichen Massstäben zu messen, hat noch nie Sinn gemacht.

Michael Heisch

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DIE NEUEN PLATTEN

The Minus 5Killingsworth(Cooking Vinyl/MV)

Gitarrist Scott McCaughey ist am besten bekannt als ständiges Mitglied der Kon-zertformation von R.E.M, ist sich aber auch nicht zu schade dafür, in der Band des urenglischen Robyn Hitchcock den Bass zu be-dienen. Dabei ist er selbst ein eleganter Songschreiber und gewiefter Bandleader – sinnigerweise erstreckt sich der Stil seiner Musik zwi-schen den Gitarrenteppi-chen von R.E.M. und dem Witz von Hitchcock. Sein neustes Werk in eigener Re-gie ist nach dem Künstler-viertel in Portland, Oregon, benannt, wo die meisten Songs entstanden sind. Zu den Mitwirkenden gehören nebst Peter Buck und Ken Stringfellow (auch er ein Mitglied der Live-Version von R.E.M.), diverse De-cemberists, Richmond Fon-taines, ex-Mendoza Lines und vor allem die Frauen-stimmen von den Shee Bee Gees. Geboten wird wie bei McCaughey üblich rund-um feinste Country/Folk/Rock-Ware. Ein spezielles Glanzlicht ist das banjo- und akkordeongetriebene «The Lurking Barrister», dessen witziger Titel auch einiges über den Ton der Texte aussagt.

hpk.

Chris IsaakMr. Lucky(Warner Music)

Er kanns noch! Sieben Jahre nach seinem letz-ten Studioalbum «Always Got Tonight» endlich wie-der eine neues Werk von Chris Isaak. Keiner heult so schön wie der 53-jäh-rige Kalifornier, der seine grössten Hits in den Acht-zigern hatte: «Dancing»! «Blue Hotel»! Und später eben «Wicked Game», ein Jahrzehntsong, 1989 ent-standen, der erst via Da-vid Lynchs Film «Wild At Heart» zwei Jahre später zu einem Hit wurde, mit dem später auch die fi nnischen Dünnbrettbohrer Him mit ihrem Vorturner Pille Palle punkten konnten.Seine Klasse macht Isaak schon mit dem zarten Ope-ner «Cheater’s Town» deut-lich. «We Let Her Down» ist kräftiger und rockt, ehe es wieder ruhiger wird: «You Don’t Cry Like You». Ein herrlicher Song. Mit Country geht es bei «We’ve Got Tomorrow» weiter, wo im feinen Arrangement nicht nur eine Steel-Gitarre weint, sondern auch Bläser erklingen. Countrysongs sind auch seine beiden Du-ette mit den Sängerinnen Trisha Yearwood, einer Grösse der Countrymusik, und mit der jungen Charts-Dame Michellle Brand.Eine federleichte, swingen-de Nummer ist «Take My Heart», bei der Isaak den Brian Setzer gibt, wäh-rend «Big Wide Wonderful World» zum Steh-Blues lädt. Ach…

tb.

Elvis CostelloSecret, Profane & Sugarcane (Hear Music/Universal)

Elvis Costello hat in Nas-hville ein Dutzend akusti-scher Balladen eingespielt. Alle in prächtiger Folk-Country-Instrumentierung (Dobro, Fiddle, Mandoli-ne, Akkordeon, Bass), die souverän auffängt, was ihr Costellos schroffe Stimme entgegenschleudert. Zu den vier Songs aus dem Zyklus «The Secret Songs» (einer unvollendeten Auftrags-arbeit für das Königlich Dänische Opernhaus über Hans Christian Andersons obsessive Liebe zur Sänge-rin Jenny Lind) gesellt sich Material, das für Johnny Cash («Hidden Shame», «Boom Chicka Boom»), im Team mit Produzent T-Bone Burnett sowie mit Loretta Lynn geschrieben wurde («I Felt the Chill»). Die Highlights: «The Crooked Line» mit Emmy-lou Harris, Costellos uniro-nisches Plädoyer für Treue, und «Sulphur to Sugarca-ne», die Art von obszöner Bluesballade wie sie Ma Rainey oder Bessie Smith bevorzugt haben. Von Ge-heimnissen, die besser nie gelüftet werden, handelt «Hidden Shame». In «Red Cotton» wiederum verar-beitet Costello das Thema menschliche Gier und de-ren Preis. «Secret, Profane & Sugarcane» klingt frisch und inspiriert, ist aber eher ein Übergangsalbum als ein Meilenstein wie das akus-tische «King of America» (1986).

tl.

WilcoJeff Tweedy ist Gott! Na ja, also vielleicht nicht so richtig der Herrgott mit all seinem Gedöns, aber wenn der Dylan Bob für all die Nickelbrillen-Buchhalter Gott sein darf, dann darf das der Tweedy Jeff für mich ja wohl allemal. Der Kerl ist einfach allmächtig. Macht seit mittlerweile auch schon gut 20 Jahren fast alles richtig, lieferte erst mit Uncle Tupelo die Blaupause für Alternative-Country (auch wenn er das gar nicht so gern hört) und mischte den Country-Rock später bei Wilco zunächst mit grosser, dann mit experimenteller Pop-Musik. Kritiker und Fans liegen ihm zu Füssen. Er macht kein Geschiss, bleibt stets leicht mürrisch und doch sympathisch, singt mit Brian Wilson, bekämpft tapfer im Stillen seine Tablettensucht, tritt auch gerne mal alleine mit seiner abgewrackten Wandergitarre auf und spielt sich uneitel durch die halbe Musikgeschich-te. Ach ja, hab ich schon geschrieben, dass er ganz einfach der beste Sänger der Welt ist? Nicht wegen einem sagen-haften Stimmumfang oder der spitzen Kieker und Stöhner am Ende einer jeden Strophe. Nein, er hat einfach die beste, unaufgeregteste Stimme, wenn es um songorientierte Pop-musik geht. Im Grunde eine Stimme, die unter die Haut geht, wenn es nicht so scheisse klingen würde. Eine Soul-Stimme für 4-Akkord-Schrammler. Und immer sofort wie-dererkennbar. Für mich noch einen Tick besser als Evan Dando, wobei der in seinen grosen Momenten auch ganz unglaublich… Und jetzt das neue Album, grosse Vorfreude, hurra! Klar, die Kritiker überschlagen sich und queranalysieren alles und jedes. Ich sage: Gutes Album, wahrscheinlich besser als (fast) alles, was es gegenwärtig sonst noch so gibt. Trotz-dem für mich eher eine kleine Enttäuschung, zu wenige Gänsehautnummern, ein paar etwas schleppende Midtem-posongs, die nicht so recht aus den Puschen kommen. Die Band spielt natürlich wieder super, im Detail auch feine Arrangements, aber was hilft das, wenn die Songs nicht von innen strahlen? Bei einem Gott erwarte ich Grosstaten, immer und jederzeit. Oder hat der auch mal einen Hänger?

Markus Naegele

Wilco: «Wilco (the album)» (Nonesuch/Warner)

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DIE NEUEN PLATTEN

Buffy Sainte-MarieRunning for the Drum(Cooking Vinyl/MV)

Buffy Sainte-Marie wur-de vor 68 Jahren in einem Indianer-Reservat in Ka-nada geboren. In den po-litisch motivierten Sixties machte sie sich für die Red-Power-Bewegung stark. Dann und wann geisterten ihre Platten durch die Hit-paraden, aber ihre gröss-ten Erfolge feierte sie als Songlieferantin für Janis Joplin, Taj Mahal, Barbra Streisand, The Charlatans oder auch Quicksilver Mes-senger Ser vice. In den Sieb-zigerjahren wurde es stiller um sie – Sainte-Marie war überzeugt, dass sie in den USA wegen ihrer militan-ten Haltung mundtot ge-macht worden war. In den frühen Neunzigern tat sie sich mit dem englischen Produzenten Chris Birkett zusammen und passte ihren Sound der Zeit an. Birkett sass auch diesmal wieder hinter den Reglern. Und Buffy Sainte-Marie hat nichts von ihrer Fähigkeit verloren, politischen Zorn in prägnante Lyrics zu ver-packen. Das Album könn-te stürmischer und stärker nicht beginnen – «No No Keshagesh» ist ein druck-voll und euphorisch ro-ckender Protestsong («Send in the troopers if the nati-ves resist / Old stroy, boys; that’s how ya do it, boys»). Die ersten vier Songs treten alle mit superbreiten Schul-tern auf, aber dann schlägt die Stimmung plötzlich auf middle-of-the-roadige Bal-laden um – immer noch mit saftigen Texten zwar, aber doch etwas gar plätscherig.

hpk.

MaplewoodYeti Boombox(Tapete/Irascible)

Retro geht immer – solange sich Staub und Schimmel in Grenzen halten. Auch das zweite Album der New Yorker Band Maplewood ist eine Nachbetrachtung der Ereignisse westlich der Rocky Mountains zwi-schen 1968 und 1972. Schon beim Hören fallen einem die Platten ein, die man schon lange mal wie-der hören wollte, dann aber doch im «Giftschrank» ge-lassen hat. Schrammte das Debüt vor vier Jahren manchmal hart am Plagiat vorbei, geht es heute eigenständiger zur Sache. «Yeti Boombox» klingt, als seien die vielen, vielen guten Westcoast-Einfl üsse zu einem weh-mütigen und nostalgischen Sound verschmolzen. Map-lewood sind zu gemächli-chen Reitern auf der Prärie geworden, die Songs sind unaufgeregt und mit kla-rer Struktur, hier und da gibts auch mal ein Kabi-nettstückchen Gitarre und eine schräge Mundharmo-nika. «Yeti Boombox» ist ein Album, das keinen Hit braucht, aber trotzdem jede Menge schöner Songs hat. Ein Mädchen wie «Chris-tine» darf sich glücklich schätzen, so verewigt zu werden.

cam.

The Rural Alberta AdvantageHometowns(Saddle Creek/Irascible)

Die kanadische Band The Rural Alberta Advantage (RAA), soviel steht nach mehrmaligem Hören ihrer neuen Scheibe fest, lässt sich nicht gerne in die Kar-ten schauen. Beginnt die Platte «Hometowns» noch mit Indietronics, so steuert sie bereits im zweiten Song in Richtung Country-Folk, um schon beim dritten wie-der völlig anders nach Folk-punk im Stile von This Bike Is A Pipe Bomb zu klingen. Und denkt man, das Feld sei damit abgesteckt, irrt man gewaltig. Im Verlauf der elf Songs gibts Pfannendeckel-Drum’n’Bass mit Violine, repetitive Rhythmusstudien mit Trance-Struktur (und Bon-Jovi-Runaway-Ära-Melodieführung), melan-cho lische Four-to-the-Floor-Discorock-Heuler sowie Grun ge-Skatepunk-Hybriden mit Bläsereinsätzen. Vollführen die Songs auf «Hometowns» stilistisch auch einen vielbeinigen Spagat, so muss man sagen, dass sie isoliert betrachtet durchs Band Sinn machen. Klar kann man wettern und fragen: «Wo bleibt hier die Kohärenz?» Andererseits bewährt sich genau dieser Ansatz in seichten Hitpara-denpop-Gefi lden ja schon seit Jahren. Und es ist erfri-schend zu sehen, dass der Ideenshift auch mal vom Mainstream zum Indie ver-laufen kann.

nin.

Sound SurprisenBeinahe wären diese Schellackplatten in den Achtzigerjah-ren bei einer Räumungsaktion des Radiosenders WSM in Nashville im Müll gelandet – hätte nicht ein Fan Wind von der Entsorgungsaktion gekriegt und die Aufnahmen geret-tet. Gut zwei Jahrzehnte später, nach endlosem juristischem Hickhack, erscheinen 54 Songs aus diesen Sessions auf der 3-CD-Box «Hank Williams: The Unreleased Recordings» sowie auf den beiden Einzel-CDs «The Unreleased Recor-dings» und «Gospel Keepsakes» (Time Life/Musikver-trieb). Und das ist nichts weniger als eine Sensation.1951 war Hank Williams der grösste Star der Country-Musik. Er war die Stimme der weissen Unterschicht, seine Songs beherrschten die Hillbilly-Charts und Jukeboxes im ganzen Land, und er war dabei, den Sprung in den Pop-Markt zu schaffen. Williams war pausenlos auf Tour, im Studio und im Radio – und doch war er wegen seiner Her-kunft aus sehr armen Verhältnissen nicht in der Lage, zu-sätzliche lukrative Engagements abzulehnen. So kam es, dass er 1951 mit seiner Begleitcombo The Drif-ting Cowboys für den Radiosender WSM-AM und seinen Sponsor, den Mehlproduzenten Mother’s Best, 72 je 15 Mi-nuten lange Radiospecials, eine Mischung aus Live-Musik, Plaudereien und Werbung, aufzeichnete, die jeden Morgen um 7.15 Uhr ausgestrahlt wurden. In diesen Shows spielte Hank Williams – und darin liegt die historische Bedeutung dieser CD-Box – nicht nur die Songs, die man von ihm kennt und erwartet. Neben eigenen Hits wie «Hey, Good Lookin’», «Cold Cold Heart» oder «I’m So Lonesome I Could Cry» interpretierte er eine Vielzahl von Songs, die man nie zuvor von ihm gehört hatte, und deren verblüf-fende Bandbreite einen aufschlussreichen Einblick in seine musikalische Herkunft und seine Einfl üsse erlaubt: klassi-sche viktorianische Lieder des 19. Jahrhunderts, afroame-rikanische Gospel-Standards, weisse religiöse Hymnen (zu-sammengefasst auf der Einzel-CD «Gospel Keepsakes»), Folksongs aus den Appalachen, populäre Gassenhauer der Zeit und natürlich zahlreiche Interpretationen von Vorläu-fern und Zeitgenossen wie Ernest Tubb und Roy Acuff. Im umfangreichen Booklet kommentiert der Country-Spezi-alist und Hank-Williams-Kenner Colin Escott jeden Song und macht in wenigen Worten die relevanten Bezüge und Zusammenhänge nachvollziehbar.Abgesehen von ihrem historischen Wert lassen die Aufnah-men auch musikalisch und soundtechnisch keine Wünsche offen. Hank Williams und die Drifting Cowboys spielen in der relativen Intimität des Radiostudios entspannt auf. Williams’ näselndes Wehklagen ist von berührender Ein-dringlichkeit, ob er nun eigene Songs singt oder sich mit Fremdkompositionen identifi ziert – es ist unmöglich, etwa «Cool Water» ohne Gänsehaut zu hören. Andererseits ent-puppt sich Hank Williams als ein durchaus witziger und schlagfertiger Entertainer, der offenbar nicht immer so schwermütig war, wie seine Songs es suggerieren. Zwei überaus erfolgreiche Jahre später, in der Neujahrs-nacht 1953, starb Hank Williams während der Fahrt zu einem Konzert auf dem Rücksitz seines Cadillacs. Er war erst 29. Der Erfolg, der Druck, sein massloser Alkohol-konsum und seine fragile Konstitution hatten ihren Tribut gefordert. In seinem viel zu kurzen Leben nahm Williams gerade mal 80 Songs auf. Deshalb sind diese «Unreleased Recordings» so interessant.

Christian Gasser

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DIE NEUEN PLATTEN

And Also The TreesWhen The Rains Come(AATT/Irascible)

Ein Album mit Unplugged-Versionen alter Stücke ist an sich eine abgeschmack-te Sache. Doch And Also The Trees sind keine ge-wöhnliche Band. Von den Dark-Wave-Anfängen bis zu den fl irrenden Jazz- und Surfstücken aus der jünge-ren Vergangenheit versuch-te sich die Gruppe um die Brüder Justin und Simon Huw Jones immer wie-der in anderen Stilen. Für «Rains» verfolgte man kein simples «Stecker raus»-Konzept, sondern redu-zierte die Arrangements für die gerade mal viertägige Aufnahmesession konse-quent. Schlagzeug gibt es gar keines und auch keinen Firlefanz. Zu Gitarre und Kontrabass kommen wahl-weise Akkordeon, Melo-dica und Dulcimer. Viele Songs dieser Band lebten ursprünglich nicht zuletzt von geschickt eingesetzten Gitarreneffekten; umso er-freulicher, dass Justin Jones auch an der akustischen Gitarre ohne Tremolo und Delay überzeugt. Eintau-schen möchte man die bekannten Versionen von «A Room Lives In Lucy», «The Street Organ» oder «Dialogue» zwar nicht ge-rade. Als stimmungsvolle Alternativen für besondere Momente aber entwickeln die Neueinspielungen ihren ganz eigenen Reiz. «Too british for the Bri-tish», fand John Peel diese Band schon vor 25 Jahren. In die Jetztzeit übersetzt: Sie sind einfach zu gut für diese Welt.

ash.

My Latest NovelDeaths & Entrances(Bella Union/Irascible)

Womöglich haben Sie von diesem Album schon an-derswo gelesen. Erschienen ist es bereits Ende Mai und seither gab es eine Reihe guter Kritiken. Das Zweit-werk der fünf Glasgower ist tatsächlich eine gelun-gene Sache. Gleich der Auf-takt «All in All in All Is All» trägt einen davon. Die tro-cken geschlagene Gitarre weist den Weg, eine Geige zeichnet die Bodenwellen nach und darüber erheben und umspielen sich nach und nach vier verschiedene Gesangsstimmen. Dazu er-klingen Hörner und allerlei Schlagwerk. Assoziationen zu Arcade Fire liegen nahe, allerdings gehen die Schot-ten leichtfüssiger ans Werk. Das brachte ihnen beim De-büt vor drei Jahren Verglei-che mit Belle & Sebastian ein – die stammen schliess-lich auch aus Glasgow. Heute erinnert die Art, wie das Quintett folknahe Mi-niaturen zu vielschichtigen Epen ausbaut, mehr an das dänische Duo Murder, die Tindersticks oder auch an manche Postrock-Bands. Identitätsstiftend wirkt die Stimme von Hauptsänger Chris Deveney, der ähnlich schwelend intoniert wie Eddie Vedder oder auch – der Vergleich mag auf Pa-pier etwas seltsam erschei-nen – Tracy Chapman. Und weil My Latest Novel zu alldem noch ein Bündel er-innerungswürdiger Lieder geschrieben haben, zählt «Death & Entrances» zu den erfreulicheren Platten des ersten Halbjahres.

ash.

Cymbals Eat GuitarsWhy There Are Mountains(www.insound.com)

Eigentlich ist es ja ziem-lich bekloppt. Man sucht und sucht nach dem neuen heissen Scheiss, um letztlich doch wieder dort zu lan-den, wo man schon längst zu Hause ist. Momentan zum Beispiel ist der neue heisse Scheiss der Sound der (wunderbaren) Neun-zigerjahre. Sonic Youth, die Flaming Lips, die Breeders, Dinosaur Jr. und Pavement klingen immer wieder mal durch, wenn irgendein Me-dium mit Hype-Zwang das Gefühl hat, den Stein der Weisen in Form einer Band gefunden zu haben. Jüngs-tes Beispiel ist das Quartett Cymbals Eat Guitars aus Brooklyn, das mit seinem Debütalbum «Why There Are Mountains» einen Wir-bel zu verursachen wusste. Ein rundes, schönes Album voll mit abwechslungsrei-chen, schlauen Songs, wel-che die ganzen alten Hel-den anklingen lassen und darüber hinaus mit einem Schuss Arcade Fire in ih-rer Soundsuppe beweisen, dass sie nicht vollends in der Vergangenheit hängen-geblieben sind. Das weitaus Tollste am Debüt von Cym-bals Eat Guitars ist freilich, dass «Why There Are Mountains» kein willkür-liches Aneinanderreihen von guten Songs, sondern ein echtes Album ist. Eines mit Aufbau, Schwung und Substanz, das man von An-fang bis Ende durchhört. Und dann nochmals. Und nochmals. Grossartig. Fast ein wenig so, als stammte es aus einer anderen Zeit.

nin.

Solar PlexusDer französische Komponist Olivier Messiaen (1908-1992) war viel unterwegs. Auf seinen Weltreisen ging er einer wahren Obsession nach und sammelte Vogelrufe, die er sorgfältig zu Notenpapier brachte. Messiaen war in der Lage, mühelos 700 Vogelrufe zu unterscheiden und wen-dete diese in seinen (Orchester-)Werken an. Der zweite Satz für Klavier solo aus «Des Canyons aux étoiles» wid-met sich beispielsweise dem Gesang der Spottdrossel. Jene Gattung gilt als typisch für die Südstaaten der USA und taucht ebenso im Titel von Harper Lees Bestseller «To Kill a Mockingbird» auf (der auf Deutsch allerdings unter dem nachlässig übersetzten Titel «Wer die Nachtigall stört» er-schien). Messiaen verschaffte sich jedenfalls mit seinen or-nithologischen Feldstudien eine gewisse Berühmtheit.Den Dichter und Maler Max Dauthendey kennen heute hingegen wohl die wenigsten. Das ist nicht weiter schlimm. Viele Talente gehen mit der Zeit vergessen. Wenn wir ehrlich sind, kommen wir heute auch ohne Dauthendeys Arbeiten bestens aus. Vorausgesetzt, wir beschäftigen uns nicht mit Singvögeln und deren anrührender Empfi ndsam-keit. Dauthendey erzählte nämlich einmal, wie er abends nach Hause spazierte und an einer Zoohandlung vorbei-kam. Dort hockten chinesische Nachtigallen, australische Sittiche und vergleichbare Exoten auf Stangen und piepsten und krächzten lautstark vor sich hin. Dauthendey erkann-te im Lärmen ein einzig grosses Lamento: «Sie singen aus Notwehr, wenn sie Stimme und angeborene Musik in sich tragen; sie singen sich ihr Weh vom Leibe. Sie singen sich vom Gift der Qualen frei.»Das klingt nach Dramenstoff und grosser Oper: Tief in der gefi ederten Brust der kleinen Nachtigall wohnt ein grimmiger Schmerz, und nur der reine Gesang vermag Linderung zu schaffen. Nun ja, das klingt zugegeben eben-so etwas kitschig. Aber gerade in diesen Tagen erhält die Dauthendey’sche These vom schmerzstillenden Vogelge-sang eine stabile wissenschaftliche Fundierung aus den USA. Der Biologe Carlos Botero, so berichtet die Fachzeit-schrift «Current Science», hat 29 Arten von Spottdrosseln genau abgehört und kann dazu Folgendes ziemlich ver-bindlich sagen: Je ärger die Umweltverschmutzung, oder noch drastischer: je beschissener die Weltlage, desto schö-ner singt der Drosselmann. Das Drosselweib denkt: «Toller Hecht! Sogar bei Sturm und erhöhter Feinstaubbelastung hält er den Ton an.» Doch was passiert mit all den ande-ren Vögeln, den talentierten und weniger ambitionierten? All diejenigen werden keine Chance haben, weil der Sturm des Vergessens über sie hinwegfegen wird, wie einst über Max Dauthendey. Immerhin soll Stefan George über seine Gedichte bemerkt haben, sie seien „das einzige, was jetzt in der ganzen Literatur als vollständig Neues dasteht. Eine eigenartige Kunst, die reicher geniessen lässt als Musik und Malerei, da sie beides zusammen ist.»Dauthendeys Vater hatte für die künstlerischen Ambitio-nen seines Sohnes wenig Verständnis, weswegen er ihn als Nachfolger des väterlichen Photoateliers bestimmte. Diese ungeliebte Tätigkeit führte immer wieder zu heftigen Aus-einandersetzungen. Dauthendeys renitentes Verhalten ver-anlasste seinen Vater sogar, ihn kurzzeitig in eine Nerven-heilanstalt einweisen zu lassen. Max Dauthendey starb mit 51 Jahren in Malang auf Java an Malaria. Seine Arbeiten sind praktisch nur noch antiquarisch erhältlich.

Michael Heisch

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DIE NEUEN PLATTEN

Jason Lytle Yours Truly, The Commuter(Anti-/Phonag)

«Last thing I heard I was left for dead» – die erste Zeile, die Jason Lytle auf seinem Solo-Debüt ins Mikrophon fl üstert, muss jetzt schon als heisser Anwärter auf eine Top-Ten-Platzierung der besten ersten Zeilen gehandelt werden. Zudem macht sie klar, in welch bi-zarrer Welt sich Jason Lytle tummelt, sowohl textlich als auch musikalisch. Mit Grandaddy schuf er in den Neunzigerjahren eine ei-genwillige Mischung aus akustischem Folk und elek-trischem Rock’n’Roll, die er durchsetzte und unterlief mit raffi niert eingesetzter Elektronik und psychede-lischen Einschüben. Genau so klingt «Yours Truly, The Commuter» – mitunter wie ein Grandaddy-Album, das Lytle allerdings in aller Un-abhängigkeit im eigenen Studio einspielte. Seine Songs sind immer gross, ja überwältigend, aber sie sind nie hymnisch: Lytle zelebriert die grosse Geste mit einem schon fast pro-vokanten Understatement. Seine Songs klingen beiläu-fi g und bei aller Intensität und Dichte wunderbar un-aufgeregt, gleichzeitig aber sehr spannungsvoll. Dies nicht zuletzt wegen seines verschwörerisch klagenden Flüstergesangs und seiner eigenartigen Texte über den Geist seines toten Hun-des und über Vögel, die Ju-gendliche vom Selbstmord abhalten. Eine bizarre Welt. Wunderbare Musik.

cg.

Dinosaur Jr.Farm(PIAS/Musikvertrieb)

Ihre Songs explodieren in alle Richtungen, schwärm-te Sonic Youths Thurston Moore über die Gitarren auf Dinosaur Jr.s zweitem Album «You’re Living All Over Me». Das war 1987. Nun erscheint «Farm», das zweite Album seit sich die Originalbesetzung J Mascis, Lou Barlow und Murph 2007 wieder zu-sammenraufte. Und: Die zwölf Songs explodieren in alle Richtungen. Es ist fas-zinierend, wie J Mascis sich über all die Jahre hinweg treu blieb, sich auf geradezu autistische Weise abschot-tete von Einfl üssen, Trends und den Wandlungen des Zeitgeistes, um immer nur dem grossen, breiten, tiefen, wuchtigen Sound der ver-zerrten Rock’n’Roll-Gitar-re zu huldigen. So ist auch «Farm» eine euphorisch überschäumende Ode an die krachende Gitarrenwäl-le. Vom ersten Akkord im wunderbaren Opener «Pie-ces» bis zum theatralischen Wegzischen von J Mascis letztem Gitarrenlauf in «Imagination Blind» weiss man immer, wo man ist: In Dinosaur Jr.s unveänder-tem, ebenso unzeitgemäs-sen wie zeitlosem Sound zwischen Punk, Heavy Me-tal, Krach – und Pop. Denn die Grösse von Dinosaur Jr. waren schon immer die zwischen den hoch aufge-türmten Noisewällen und Mascis’ selbstvergessenen Soli aufblitzenden und sich im Ohr festkrallenden Pop-Melodien. Und davon gibts auch auf «Farm» zuhauf.

cg.

Graham CoxonThe Spinning Top(Transgressive)

Rechtzeitig zur vielbejubel-ten Reunion seiner Band Blur ist der beste Britpop-Gitarrist Graham Coxon auch noch mit einem So-loalbum fertig geworden. Kaum zu glauben, dass es schon sein siebtes ist. Bis jetzt haben sich selbige eher im Bereich von klapp-rigem LoFi/Garage/Indie/Folk-Rock bewegt. Nun klingt Coxon plötzlich frappant wie Nick Drake. Im Ernst. Jedenfalls am Anfang. Ja, das erste Stück kommt daher wie ein Out-take von «Bryter Layter». Produziert hat das Album Altmeister Stephen Street (Morrissey, Blur) – es soll ein Konzeptalbum sein, das die Lebensgeschichte eines Mannes erzähle. So steht es jedenfalls in der Wikipedia geschrieben. Aufgefallen wäre es diesem Schreiber nicht, zumal bei seinem Ex-emplar auch noch das CD-Büchlein fehlt und Coxons Website auch nicht gerade viele Infos bietet. Was in-des tatsächlich auffällt, ist der Sound, der über weite Strecken frappant an eine ganz bestimmte Art von britischen Sixties-Folkies gemahnt: hervorragende Akustikgitarrenzupfer, de-ren sensible Stimme man mag oder halt nicht (Ralph McTell, Dave Evans, Do-novan). Die Stimmung än-dert sich mit dem sechsten Stück, «Brave the Storm», wo ein Hauch Bossa Nova beigemischt wird, und da-raufhin geht mit «Dead Bees» sogar richtig der Krach los. Dann wirds wie-der still. Ein Album wie ein Holzofen im Januar.

hpk.

London HotlineAuch auf die Gefahr hin, dass sich die geneigte LeserIn-nenschaft jetzt dann sogleich stöhnend abwendet, komme ich nicht umhin, die beiden schicksalsschwangeren Wor-te auszusprechen: Michael Jackson. Ehrlich, es geht nicht anders. Denn ich habe sonst nichts zu erzählen. Seit dem März hat sich bei yours truly alles nur noch um den King of Pop gedreht. Das Unheil begann mit einer knappen E-Mail im März. Ob ich Lust hätte, auf die Londoner Konzerte von Michael Jackson hin eine Biographie über ihn zu schreiben. Hmmm. Ein Buch schreiben – nicht schlecht; die Möglichkeit, mich eine Weile lang intensiver mit einem einzigen Thema zu be-schäftigen – sehr gut. Und was sprach dagegen? Die Eile. Und die Tatsache, dass es ein Schreibtischjob würde, denn Jackson redet ja nur mit Leuten wie Jesse Jackson und Op-rah Winfrey. Diese Tatsache sprach dann aber auch wieder dafür: wenn er eh mit niemandem redet, schien es mir le-gitim zu sein, sich auf andere Quellen zu stützen. Ein biss-chen wie ein Studentenaufsatz halt, angereichert mit ein paar Anekdoten aus meinem reichhaltigen Zeitungsarchiv. Also unterschrieb ich meinen allerersten Buchvertrag. Am 1. Mai fi ng ich an zu schreiben. Täglich um neun Uhr gings los, um 14 Uhr gabs ein Schinkensandwich, um 19 Uhr Znacht, um Mitternacht war Schreibschluss. Es folg-ten zur Entspannung noch zwei, drei Bier bei Father Ted’s. Am 8. Juni wurde abgeliefert. Zwei Wochen Korrekturen und Bibliographien, und dann: ab zum Druck – und ab nach Zürich, zur Erholung. Die Erholung dauerte zwei Tage. Am Donnerstagabend sass ich mit Kollege Rogen-moser auf einem Bänkli vor dem Xenix, als ein Mini-Pete-Doherty vorbeitrottete, der sich ganz in der Art des Baby-shamble mit Kugi etwas aufs weisse T-Shirt gekritzelt hatte: «Michael Jackson ist tot». Da lief es mir schon ein bisschen eisig den Rücken hinunter. Am nächsten Tag diverse Ra-diointerviews, übers Wochenende ein neues Kapitel hinzu-gefügt und ein neues Vorwort – und zwei Wochen später ist man nun tatsächlich in der deutschen Bücherhitparade. Ich kann gar nicht beschreiben, wie surreal ich mich fühle in dieser Situation. Auf einmal ist meine unprätentiöse und hoffentlich auch ein bisschen solide Jackson-Biographie im Rampenlicht wie nichts, was ich je zuvor gemacht habe. Und auf einmal fl iegt mir auch Flak um die Ohren wie noch nie. Ich lese Rezensionen, bei denen ich echt das Ge-fühl habe, der Kritiker habe das Buch gar nie gelesen. Es gebe drin nichts Neues, beklagt man sich. Also, Hut ab vor ihrem umfassenden Wissen, Herr Kritiker! Den Vogel abgeschossen hat der Knallfrosch, der meine allererste Amazon.de-Review je aufschaltete: Er habe das Buch nicht gelesen, schreibt er, dafür die DVD gesehen, und die sei Vollscheisse, deshalb «Finger weg» vom Buch. Der Idiot hatte zwei Titel verwechselt und mir eine Ein-Stern-Wertung eingebrockt, die dann prompt übers ganze Wochenende auf der Frontseite prangte. Aber zum Glück durfte ich bei einem Profi Rat holen, nämlich bei David Gray, der gerade Interviews zu seinem neuen Album gibt. Er sagte: «Die Menschen hassen sich selber. Und um den Hass loszuwerden, hängen sie ihm jedem anderen Men-schen um den Hals, der zufällig an ihnen vorbeigeht.» Damit kann ich leben. Ich hoffe nur, dass sich die nächste Schauerkombo nicht das gleiche sagt, wenn sie meinen Ver-riss von ihrem garstigen neuen Konzeptalbum liest.

Hanspeter Künzler

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DIE NEUEN PLATTEN

The Mars VoltaOctahedron(Universal)

«Octahedron» dokumen-tiert einen verblüffenden Paradigmenwechsel. Bis anhin täuschten The Mars Volta nur dank energeti-schen Kraftakten über die schiere Rätselhaftigkeit ihrer Musik hinweg. Neu erfreuen sich die Kernmit-glieder Omar Rodriguez-Lopez und Cedric Bixler-Zavala an eingängigen Songs mit simplen Texten. Ohne Exzesse oder Explo-sionen kommt das Eröff-nungsstück «Since We’ve Been Wrong» aus; wären da nicht die kosmisch klim-pernden Gitarren, könnte man gar von einer Radio-Ballade mit Tagespro-gramm-Potenzial sprechen. Dieses vertonte Beziehungs-drama ist programmatisch für das ganze Album, ha-ben The Mars Volta doch ihre vordergründige Hand-werklichkeit zugunsten ei-ner schlauen Emotionalität zurückgeschraubt und den ätherischen Klangland-schaften und sich überstür-zenden Gitarrenriffs dabei eine Zerbrechlichkeit ver-liehen, die bislang nur an-gedeutet war.Je länger «Octahedron» dauert, desto eigenartiger werden die Stücke, und die Band bricht gegen Ende auch wieder zu Expedi-tionen an den Rand des Spielbaren auf. Nur hat das sphärische Geratter auf «Octahedron» eine neue Qualität. Und das ist gut so.

nij.

The 39 ClocksPain It Dark(Bureau B)

Ein echter Klassiker, der nun erstmals auf CD er-scheint. Die 39 Clocks waren ein deutsches Duo aus der Expo-Stadt Hanno-ver, das für seine wenigen exzentrischen Liveshows und seine minimalistischen Songs bei wenigen Fans und Kritikern geschätzt war. «Die beste deutsche Band der Achtziger» nann-te sie der Pop-Intellektuelle Diedrich Diedrichsen einst. Das mag leicht übertrie-ben sein, grandios waren Christian Henjes alias C.H.39 (er stand später der grossartigen Band Beauty Contest vor) und Jürgen Gleue (J.G.39) allemal. Dies zeigt auch ihr bestes Werk, das Debüt «Pain It Dark» von 1981. Schram-melige Gitarren, repetitive Rhythmen aus der Beat-Box und ein deutsch ge-färbter englischer Gesang. Wenn man so will, waren die 39 Clocks damals die deutsche Antwort auf Alan Vega und seine Suicide. Die Young Marble Giants und die allgegenwärtigen Vel-vet Underground mögen ebenfalls Inspirationsquel-len der Band gewesen sein. Songs wie «Shake the Hip-pie», «DNS» (mit Wave-Saxofon), das program-matische «Psycho Beat» oder das hypnotische «78 Soldiers Dead» vermitteln einen guten Eindruck von der Klasse der Band.Neben den elf Original-tracks gibt es als Bonus noch den unveröffentlich-ten Song «I Love a Girl» – nicht unbedingt das beste Stück des Duos.

tb.

45 PrinceWenn Northern Soul auf Disco trifft, dann kanns schnell mal lächerlich werden. Man schaue sich nur in den Clubs um oder auf YouTube Keb Darge an. Doch dieser Herr be-kennt sich ja mittlerweile auch zu Rockabilly – was ihn doch sehr sympathisch macht. Seit den Siebzigern als DJ, Tänzer und Produzent tätig, gräbt er hin und wieder echte Perlen aus. Henry Brooks «Mini Skirt» (P&P) ist harter, trockener Funk. Potheads gehen sich einen Joint drehen, Soulies verschwinden zum Nachparfümieren. Der Platz auf der Tanzfl äche kann nun von den wenigen Wilson-Pickett-Jüngern in Beschlag genommen werden. Jetzt wird mit den Köpfen gegen die Wände geschlagen und Löcher in die al-ten Jeans gerissen. The Rantouls melden sich zurück mit einem Doppelpack. «Little Green Hat» (Chocolate Covered) und vor allem «Little Bit of This» setzen vollends auf Novelty-Bubble-gum-Sixties-Pop. «The Songs of the Frontier Villagers» lässt zudem noch die Beach Boys um die Ecke kurven und so wird «Little Dune Buggy» (Sunnytrees) zum unwider-stehlichen Sandohrwurm. «Still 16» lädt dann kurzum auch noch die Vorband The Fevers auf die Ladebrücke und wird so zu einem Sommerhit, der selbst noch im Winter das Überleben von Schneemännern verunmöglichen wird.Der grosse Sky Saxon ist am gleichen Tag wie Michael Jackson gestorben. Tags darauf waren Gonn in Genf auf Tour. Die Zeitgefährten der Seeds veröffentlichten 1966 die unglaubliche Garage-Punk-Attacke «Blackout of Gre-tely». Ein Jahr später malträtierten sie ihre Instrumente und Stimme mit der gleichen Brutalität für «Doin’ Me In». Nun gibts endlich auch den dritten legendären Song dieser Aufnahmen auf Single. «Don’t Need Your Lovin’» war ur-sprünglich «Milkcow Blues» von Kokomo Arnold, wurde von den Kinks adaptiert, dann von Chocolate Watch Band geklaut und schliesslich von Gonn vollendet. Überborden-de Fuzzgitarre, schwerer Bass, Vox-Orgel und darüber ein Sänger, der riskiert, hier den letzten Take seines Lebens zu singen. «Death of an Angel» ersetzt die Magie der Kings-men mit Toughness. Dirty Water Records hat mal wieder alles richtig gemacht.

Philipp Niederberger

DevilDriverPray For The Villains(Roadrunner/MV)

Mal wieder was für Leu-te, die es ab und zu etwas härter brauchen. DevilDri-ver knüppeln auf Album-länge alles nieder. Groove Metal nennen Fachleute den Stil des Quintetts, unsereiner vernimmt mo-dernen Thrash amerika-nischer Bauart, der leicht an Machine Head (deren Ex-Gitarrist Logan Mader hier als Produzent amtete) erinnert. Groove hat diese Musik tatsächlich. Denn statt nur möglichst schnell zu schreddern (dies tun sie allerdings auch, keine Ban-ge), bollern DevilDriver lieber mit massiver Doub-lebass unten raus. Sänger Dez Fafara (hübsche Na-men tragen auch Gitarrist Spreitzer und Drummer Boecklin) gurgelt, grollt und grunzt – manchmal singt er sogar. Denn bei allem Willen zur Härte schätzt man auch Melodi-en. Zwischendurch gibts zweistimmige Gitarrensoli im Maiden-Stil, und Re-frains wie derjenige von «Ressurection Blvd.» ent-puppen sich bei wiederhol-tem Hören als heimliche Hymnen. Nicht dass wir uns falsch verstehen: Mit poppigen Hooklines wie bei Slipknot und Kornsor-ten hat das nichts zu tun. Eher mit gewachsenen Fä-higkeiten im Songwriting, denn schliesslich ist «Pray for the Villlains» bereits das vierte Album seit 2003. Die bisherigen Werke kom-mentierte die Metalpres-se wohlwollend. Diesmal dürften auch abgehärtete Headbanger ihre Matten kreisen lassen.

ash.

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Hüftschwung mit Primal Scream

Ein klarer Fall von «Die gibts noch?». Primal Scream sind Überlebende. Und zwar nicht nur, weil Bobby Gillespie mehr Drogen konsumiert hat als Sid Vicious warme Mahlzeiten. Kaum eine andere zeitgenössische Band hat stilistisch derartige Kapriolen geschlagen. «Loaded» brachte 1991 den Durchbruch und gehört zu den wenigen Rave-Nummern, die man auch heute noch anhören kann. Der Nachfolger «Give Out But Don’t Give Up» machte rechtsum kehrt: Statt Acid-Beats gabs gärigen Gitarrenrock im Geiste der Stones. Später fl irteten Gillespie und Co. mit Dub und Kraut-rock, bevor 2000 mit «XTRMNTR» ihr fi nsteres Elektrorock-Meister-werk erschien. Die folgenden Jahre brachten vor allem schlechte Kritiken. Zurück zu grosser Form fand die Truppe vor Jahresfrist mit «Beautiful Future». Es ist Primal Screams poppigste Platte, die weder vor gut gelaun-ten Refrains noch Glockengebimmel zurückschreckt und die Bandtradi-tion der prominenten Gäste fortführt: Diesmal geben sich Britfolk-Legende Linda Thompson (für ein Cover von Fleetwood Macs «Over and Over») und Josh Homme die Ehre. Auf Tour muss man auf die beiden verzichten. Aber mit dem Repertoire und der Erfahrung, die Bobby, Bassist Mani und der neue Gitarrist «Little Barrie» Cadogan mitbringen, sollte einem Abend mit Hüftschwung und Luftgitarre eigentlich nichts im Weg stehen. (ash)

16.8., X-tra, Zürich

c/o pop mit Beirut

2003 verabschiedete sich die Popkomm, die neben der Midem in Cannes grösste europäische Musikmesse, nach 13 Jahren aus Köln und zog nach Berlin. Ein Jahr später wurde in Köln erstmals die c/o pop (Cologne On Pop) als redimensionierte Nachfolgeveranstaltung durchgeführt. Anfäng-lich vor allem auf elektronische Musik fokussiert, bietet die nun anstehen-de sechste Ausgabe ein deutlich breiteres Programm. Eröffnet wird das Fes-tival von Zach Gordon und seiner Band Beirut, die ihre West-/Ost-Fusion in den Konzertsaal der Kölner Philharmonie bringen. Es folgen knapp 50 Konzerte und Partys mit doppelt so vielen Bands und DJs, darunter das Pop-Enfant-terrible Patrick Wolf mit Micachu & The Shapes als Vorband. Das Londoner Trio, das mit selbstgebauten Instrumenten Pop und Elektro mischt, hat bereits bei der Bad Bonn Kilbi begeistert. Weiter gibt es Anti-Folk mit Bill Callahan, melancholische Elektronik mit The Whitest Boy Alive, die Kölner Live-Premiere des Gas-Projekts von Wolfgang Voigt und natürlich Tanzmusik von Gus Gus über Theo Parrish bis hin zu Amanda Blank. Begleitet wird das Festival von einer zweitägi-gen Convention, die Diskussionen zur «Musik im digitalen Zeitalter» ins Zentrum rückt. Just das Thema also, das laut Popkomm-Gründer Dieter Gorny zur Absage der diesjährigen Messe in Berlin geführt hat: die Krise der Industrie wegen des «anhaltenden Diebstahls geistigen Eigentums im Internet». In Köln wird man die Berliner Probleme gelassen zur Kenntnis genommen haben. (anz)

12.-16.8., diverse Locations, Köln, www.c-o-pop.de

Nostalgie mit The Adolescents

Es gibt nur ein paar wenige Punkrockscheiben, die aufgrund ihrer Cover-gestaltung zu Ruhm gelangt sind: «Never Mind the Bollocks» von den Sex Pistols, «London Calling» von The Clash, das Album «(GI)» der Germs und natürlich das selbstbetitelte Debüt von The Adolescents. Rote Schrift auf blauem Grund, über und unter den Buchstaben jeweils eine schwarze Linie – mehr brauchte man damals nicht, um sich in den Rang einer Ikone hochzuschrauben.Mit ihren melodiösen Haudrauf-Songs hat die Band aus dem Orange County unzählige spätere Combos inspiriert. Die Adolescents selbst hinge-gen mochten sich nur widerwillig halten. Zwei Trennungen und Reunions haben in der Biografi e Zäsuren hinterlassen, doch seit sich die Musiker 2001 anlässlich ihres 20-Jahr-Jubiläums wieder zusammengerauft haben, sind sie – wenngleich in mitunter wechselnder Besetzung – unbeirrbar un-terwegs. Ein wenig angejahrt und etwas fülliger natürlich, aber noch im-mer Ikonen der guten alten Zeit. (amp)

28.7., Sedel, Luzern

Stadtsommer mit Anna

«Der prüfende Blick in den Himmel verheisst nichts Gutes. Dunkelgraue Wolken haben sich zusammengeballt und drohen mit Regen, doch vorerst bleibt das Firmament stabil. Die Zuschauer im Hof der Gessnerallee geben sich gelassen, denn in den vergangenen Jahren haben sie diese Situation im Rahmen der vom Popkredit der Stadt Zürich organisierten Stadtsommer-Konzerte unter freiem Himmel immer mal wieder erlebt und gemeistert. Man hält sich also tapfer an den Bierbechern fest und freut sich auf die anstehenden Konzerte.» So stand es geschrieben.Die Stadtsommer-Konzerte gehen natürlich auch heuer wieder über diverse Bühnen in der Stadt Zürich, und wenn die Wettergöttinnen einigermassen gnädig gestimmt sind, bleibt in diesem Jahr vielleicht auch das grosse Trop-fenvergiessen aus. Damit man sich ungestört den Konzerten von Chamber Soul, Palkomuski, Tim und Puma Mimi, Inferno Muzik, The Jackets und Oy widmen kann. Und natürlich dem Auftritt der grandiosen Rapperin Anna, die mit fl otter Band und netten Gästen auftreten wird. (amp)

30.7.-8.8., diverse Locations, Zürich, www.stadtsommer.ch

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NACHT SCHICHT

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NACHT SCHICHT

Paléo mit Amy Macdonald

Im Sommer 2007 hat Amy Macdonald ihr Debütalbum «This Is the Life» veröffentlicht. Es katapultierte die damals 19-Jährige innert kürzester Zeit ins grosse Rampenlicht. Das Werk verkaufte sich bestens und bescherte der jungen Schottin nicht nur einen Auftritt am legendären Glastonbury-Fes-tival, sondern trug ihr auch prominente Fans wie Elton John oder Travis-Sänger Fran Healy ein. Und Ende 2008 wurde sie von der Zeitung «Daily Record» auch noch zur «Scottish person of the year» gekürt.Amy Macdonalds musikalischer Werdegang begann im Alter von 15 Jah-ren. Ein Konzert von Pete Doherty in Glasgow beeindruckte sie derart, dass sie kurz darauf die Gitarre ihres Vaters hervorholte und sich die Be-dienung des Instruments selbst beibrachte. Ihre ersten Auftritte absolvierte sie in Pubs und Cafés der Umgebung sowie bei allen möglichen Open-Mic-Veranstaltungen.Die Lieder, die von so unterschiedlichen Dingen wie Fussballerfrauen, Fluchtgedanken und Freundeskreisbetrachtungen handeln, vermochten erst die Fachleute, später dann auch die Fans zu überzeugen. Denn in ihren souverän arrangierten und abgeklärt vorgetragenen Songs singt Amy Mac-donald ihren Altersgenossinnen aus der Seele.Sie thematisiert den Exzess (den sie im Gegensatz zur skandalumwitter-ten Namensvetterin Frau Winehouse nur in Massen pfl egt) und die grosse Leere am Morgen danach, schwärmt in mädchenhafter Verzückung von Schauspielern wie Jake Gyllenhaal und Ewan McGregor und verpackt die Ängste einer Heranwachsenden in unprätentiöse Texte, die sie mit burschi-koser Stimme vorträgt.Und nun gastiert sie also am Paléo-Festival – wo heuer auch Pete «Peter» Doherty ins Rampenlicht tritt, womit sich ein kleiner, aber bedeutender Kreis schliesst. (amp)

21.-26.7., Asse-Gelände, Nyon, www.paleo.ch

Rock oz’ Arènes mit Natalie Imbruglia

Ein Festival, das so ziemlich alles bietet, wonach dem geneigten Publikum der Sinn stehen könnte: Altmeister (Roger «Supertramp» Hodgson), Wüs-tenkönige (Calexico), Sonnenschein-Punks (The Offspring) oder Lokal-blueser (Philipp Fankhauser) – sie alle stehen in Avenches auf der Bühne. Das Hauptaugenmerk gilt freilich einer ewig jungen Australierin, die vor Jahren mit ihrem Überhit «Torn» im Radio und auf den Fernsehbildschir-men dauerpräsent war. Auch wenn die goldenen Zeiten der Hitparaden-dominanz längst hinter ihr liegen, singt Natalie Imbruglia einfach immer weiter. Und dabei sieht man ihr nach wie vor gerne zu. (amp)

12.-15.8., diverse Bühnen, Avenches, www.rockozarenes.com

Dockrock mit Jennifer Rostock

Wo nichts läuft, da zieht die Jugend entweder in die nächste Stadt oder selber was auf. Zum Beispiel ein Openair wie das Rock the Docks in Zug. Drei Tage lang gibt es Ende August Graffi ti-Action, Skateboard-Contests und natürlich Musik. Dabei drücken sich einheimische Bands, nationale Grössen und ein internationaler Headliner das Mikrophon in die Hand. Bei Letzterem handelt es sich um Jennifer Rostock aus Berlin. Mit dem Debüt «Ins offene Messer» und einer wahren Ochsentour eroberte das Quintett letztes Jahr die Herzen der deutschsprachigen Emo-Jugend. Mit Blondie und Ideal verglichen sie wohlwollende Zuhörer, Juli und Silber-mond vernahmen Verächter. Was ihr Zweitwerk zu bieten hat, zeigen die Amazone im Suicide-Girls-Outfi t und ihre Jungs am Freitag in Zug. Wem das zu blöd ist, der kann sich von den Lombego Surfers einen Tank voll Tiki spendieren lassen oder die Berner Aziz entdecken, die nach eigenen Angaben klingen, als würde Dave Grohl mit Joey Ramones Leiche auf der Proberaumcouch von Fu Manchu verkehren. Zarter Besaitete verschieben den Besuch auf Samstag, um zu Lee Evertons Reggaeklängen und HipHop von Stress zu schwofen. Aber Obacht: Mit den Basler Dogs Bollocks um Phébus-Guisy und Fucking-Beautiful-Baschi gibts auch am zweiten Festi-valtag Glamour von der dreckigeren Sorte. Und das Schönste zum Schluss: Der Eintritt ist frei. (ash)

28.-30.8., Podium 41, Zug

Gartenfestival mit Attwenger

Seit 1991 sind der singende Schlagzeuger Markus Binder und der damp-fende Handorgelquetscher Hans-Peter Falkner mit ihrer ruppigen Musik nun schon unterwegs, und in dieser Zeit haben sie nicht nur Tausende von Herzen zur Ekstase getrieben, sondern auch demonstriert, dass es durchaus möglich ist, in der alpinen Enge eine selbstbestimmte Existenz zu führen. Im Film «Attwenger Adventure» sieht man die beiden Hauptakteure, wie sie sich zwischen halbrenovierten Wohnungen, Backstage-Räumen, voll-gestopften Ateliers und der eigenen Biografi e einen Weg bahnen, der sie dorthin führt, wo sie sein wollen: ins schummrige Rampenlicht. Und die-ses Rampenlicht fi nden sie einmal mehr beim gloriosen Gartenfestival, mit dem das Café Kairo den Sommer zu zelebrieren pfl egt.Wie immer angelegt als feine (und vor allem kleine) Ergänzungsprodukti-on zum grossen Gurtenfestival, sind heuer neben den eingangs erwähnten Attwenger auch der Chansonnier Michael von der Heide und Herzinfarkt-bezwinger Olifr Guz mit von der Partie, wenn im Berner Lorraine-Quartier die heisse Jahreszeit gefeiert wird. (amp)

17./18.8., Café Kairo, Bern, www.cafe-kairo.ch

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