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II.) Die „Rezeption des Römischen Rechts“ nördlich der Alpen
1.) Der Vorgang der „Rezeption“ und ihre
Träger (47 B.) 2.) rechtswissenschaftliche Methoden und
Stile der Rezeption: Vom mos italicus zum usus modernus pandectarum (55 f.)
3.) Einige charakteristische Elemente der frühneuzeitlichen Rechtskultur im Reich:
a) „Rechtsquellenpluralismus“:
„Gemeines Recht“ und heimisch-deutsches Partikularrecht
b) steigende Bedeutung der Gesetzgebung: „Rechtsreformationen“ (57 f.) c) Gerichtsbarkeit: Ihre Instanzen und die allmähliche Professionalisierung des Justizpersonals
Modernität des Römischen Rechts * Personenrecht: rechtliche Gleichheit der Freien geburtsständisch gegliedertes Recht grundsätzl. rechtl. Gleichstellung der Frau mindere Rechtsstellung der Frau * Vermögenszuordnung: individuelle Vermögenszuordnung Bindung an Sippe und Familie * Bodenrecht „kapitalistisches“ Bodenrecht feudales Bodenrecht
V.) Das Zeitalter der Aufklärung: Naturrecht und Kodifikationsbewegung
1.) Die Bedeutung des Naturrecht a) Begriffe: „Naturrecht“ – „Vernunftrecht“ b) Ziel: Systembildung c) Methode: Deduktion d) Kontext: Aufklärung und Rationalismus
e) Besonders bedeutsame inhaltliche Gesichtspunkte: - Staatstheorie: Gesellschaftsvertragslehre - Grund- und Menschenrechte als unverzichtbarer Kern menschlicher Freiheit - Gedanke der Gleichheit im Naturzustand f) Geltung des Naturrechts g) Naturrecht und Kodifikationsgedanke e) Personen
Gottfried Wilhelm Leibniz,
Bedenken welcher Gestalt den Mängeln des
Justiz-Wesens abzuhelfen:
„Sind demnach zwei Haupt-Tugenden aller
Gesetze: Klarheit und Kürze. Diese Tugenden
nun beide mangeln den römischen Gesetzen
nur allzu viel, denn wie vernunftmäßig sie
auch größtenteils (sein mögen), so sind sie
doch durch ihre dunkle Weitläufigkeit ein
Deckmantel vieler Ungerechtigkeiten
worden.“
Gottfried Wilhelm Leibniz,
Bedenken:
„Die elementa iuris romani brevis et certi können
bestehen in einer einzigen Tafel, etwa in
Größe einer großen holländischen Landkarte,
darinnen alle Haupt-Regeln also begriffen, daß
aus deren Kombination alle vorfallenden
Fragen entschieden werden können,
dergleichen noch nie vorgekommen, viel
weniger gesehen worden.“
Johann Georg Schlosser,
Vorschlag und Versuch einer
Verbesserung des deutschen bürgerlichen
Rechts ohne Abschaffung des römischen
Gesetzbuches, Leipzig 1777:
„Das weitläufige corpus iuris, das seit 100
Jahren nicht 50 Juristen durchgelesen
haben, ist auf einen mäßigen Oktavband
von weniger als zehn Bogen zu bringen!“
Franz von Zeiller:
„Die schweren und (immer) noch begründeten
Forderungen, welche die Philosophie an die
Gesetzgebung macht, dass ein Gesetzbuch
kurz, allgemein fasslich und zugleich
vollständig sein soll, lassen sich nur dadurch
vereinigen, dass es ein tief durchdachtes, aber
einfaches System allgemeiner, auf alle
Rechtsverhältnisse sich verbreitender
Rechtsregeln ausmacht.“
Karl Friedrich Hommel,
Principis cura legis oder des Fürsten
höchste Sorgfalt: Die Gesetze (1765):
„Man kann die unzähligen Materien des
Rechts auf eine kleine Anzahl
beschränken, wenn man alles auf gewisse
Grundbegriffe und Grundregeln
zurückführt, aus welchen sich alles übrige
dann von selbst ergibt!“
2.) Der Aufstieg des Kodifikations-gedankens und seine Verwirklichung a) Begriff der „Kodifikation“:
- umfassend - grundsätzlich abschließend
- systematisch
Kompilation:
fragmentarische, unsystematische
Sammlung überlieferten Rechts
b) rechtspolitische Motive für die Kodifikation:
-> Vereinheitlichung des Rechts innerhalb
des Staates -> Verkürzung der Prozesse -> Bindung der Justiz an die (staatlichen)
Gesetze c) Naturrecht und Kodifikationsgedanke
Systemgedanke
Bemühen um Reduktion durch allgemeine Begriffe
d) Eine kurze Kodifikationsgeschichte: Entstehung der naturrechtlichen
Kodifikationen in Preußen, Frankreich und Österreich
aa) Vorläufer: Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis (1756) bb) Preußen: Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten (1794) cc) Frankreich: Code Civil (1804) dd) Österreich: Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch
(1. 1. 1812)
Preußisches Allgemeines Landrecht Teil II. Titel 2 §§ 67,68: „Eine gesunde Mutter ist ihr Kind selbst zu
säugen verpflichtet. Wie lange sie aber dem
Kinde die Brust reichen solle, hängt von der
Bestimmung des Vaters ab“.
Preußisches Allgemeines Landrecht 1. Theil, 1. Titel: § 1. Der Mensch wird, in so fern er gewisse Rechte in der bürgerlichen Gesellschaft geniesst, eine Person genannt. § 17. Geburten ohne menschliche Form und Bildung haben auf Familien- und bürgerliche Rechte keinen Anspruch. § 18. In so fern aber dergleichen Missgeburten leben, müssen sie, nach § 11, ernährt, und so viel als möglich erhalten werden.
§ 19. Wenn Zwitter geboren werden, so bestimmen die Aeltern, zu welchem Geschlechte sie erzogen werden sollen. § 20. Jedoch steht einem solchen Menschen, nach zurückgelegtem achtzehnten Jahre, die Wahl frey, zu welchem Geschlecht er sich halten wolle. [Die Bestimmung des Zubehörs] § 96. Zu einer Bibliothek werden auch die Repositorien und Schränke gerechnet, in welchen die Bücher sich befinden. § 97. Auch zu Naturalien und Kunstsammlungen gehören die zu deren Aufstellung gewidmeten Behältnisse. § 98. Bildsäulen und andre Sachen, die ausser den Behältnissen, bloss zur Auszierung des Zimmers bestimmt waren, sind keine Pertinenzstücke der Bibliothek, oder des Narturalienkabinets. § 99. Dagegen werden Erd- und Himmelskugeln, Landkarten, Zeichnungen und Kupferstiche, sie mögen gebunden oder ungebunden seyn, zur Bibliothek gerechnet. § 100. Kupferstiche hingegen, die in Rahmen gefasst sind, gehören nicht zur Bibliothek.
zu dd) Die Entstehung des ABGB - 1766 Entwurf eines Codex Theresianus Iuris Civilis -> „römisches Recht in natür-licher Ordnung“ - 1772 neue Gesetzgebungskommission unter Johann Bernhard Horten: Auftrag für ein Zivilgesetzbuch „aus dem Geiste der natürlichen Billigkeit“ - 1786 Teil-ABGB (seit 1811 „Josephini-sches Gesetzbuch“ genannt): personen- und familienrechtlicher Teil des Entwurfs Horten - 1790 neue Gesetzgebungskommission unter Karl Anton Freiherr von Martini
- 1796 Entwurf Martini -> „Westgalizi-sches Gesetzbuch“ -> „Bürgerliches Gesetzbuch für Galizien“ (1.1.1798) - Überarbeitung des „Bürgerl. Gesetzb. für Galizien“ unter Franz von Zeiller - 1.1.1812 Inkraftsetzung als „Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch für die gesamten deutschen Erbländer der österreichischen Monarchie“
Geltung im gesamten Kaisertum Österreich ohne Ungarn
Aus dem Westgalizischen Gesetz-buch (1797): 2. Hauptstück: Von den Rechten der Personen. § 28. Menschen, die sich in eine bürger-
liche Gesellschaft vereinigen, legen des-
wegen weder ihre natürlichen Pflichten
noch die ihnen angeborenen Rechte ab.
Nur eine gewisse Richtung und Beschrän-
kung dieser Rechte findet in sofern statt,
als sie zur Einschränkung der allgemeinen
Wohlfahrt nothwendig ist.
§ 29. Zu den angebohrenen Rechten der
Menschen gehören vorzüglich das Recht
sein Leben zu erhalten, das Recht die dazu
nöthigen Dinge sich zu verschaffen, das
Recht seine Leibes- und Geisteskräfte zu
veredeln, das Recht sich und das Seinige
zu vertheidigen, das Recht seinen guten
Leumund zu behaupten, endlich das Recht
mit dem, was ihm ganz eigen ist, frey zu
schalten und zu walten.
§ 30. Die Freyheit mit seinem Eigenthume
willkürlich zu schalten …
§16 ABGB
Jeder Mensch hat angeborene, schon durch
die Vernunft einleuchtende Rechte…
Einleitung ALR §82
Die Rechte des Menschen entstehen durch
seine Geburt, durch seinen Stand…
Franz von Zeiller,
Kommentar zum ABGB:
„Die Vollständigkeit eines Gesetzbuches
kann nie durch eine, auch noch so ausge-
dehnte, ängstliche Kasuistik, worin man
jeden einzelnen Fall buchstäblich entschie-
den finden soll,
aber wohl durch Forschung nach dem
allgemeinen in dem einzelnen, und durch
Vereinfachung der Rechtsvorschriften,
deren Anwendung der verständigen
Beurteilung der Richter überlassen ist,
erreicht werden.“
e) Die Justiz und die neuen Gesetzbücher:
Der neue Diskurs zu Freiheit und Bindung des Richters
-> Einerseits: Neuartige „Gesetzesbindung“ der Justiz -> Andererseits: Justizpolitisches Postulat der „Unabhängigkeit des Richters“ von der Politik
Problemfeld: Die Unabhängigkeit des Richters
oder:
„Machtspruch“ versus „Rechtsspruch“
Der „Müller-Arnold-Prozess“: Reicher Gutsbesitzer gegen armen Müller
Entscheidung des preußischen Kammer- gerichts zu ungunsten des Müllers.
Kassation des Urteils durch „Macht- spruch“ König Friedrichs II. von Preußen: „Schluss mit den Ficfaquereyen der Juristen!“
-> Inhaftierung der beteiligten Richter
aus den „Kronprinzenvorträgen“ von Karl Gottlieb Svarez, 1791/92: -> „Streitige Rechte der Untertanen
müssen nach den Gesetzen des Staates
durch die Gerichte untersucht und
entschieden werden!
-> Eine Entscheidung, die in streitigen
Fällen ohne rechtliches Erkenntnis gegeben
wird, heißt ein Machtspruch.
-> Machtsprüche wirken weder Rechte
noch Verbindlichkeiten!
-> Diese Sätze sind die Schutzwehr der
bürgerlichen Freiheit eines preußischen
Untertanen. Sie unterscheiden den Bürger
der preußischen Monarchie von dem
Sklaven eines orientalischen Despoten !“.
Kabinettsordre Friedrichs II. vom 14. April 1780: […] werden Wir nicht gestatten, dass
irgend ein Richter Unsere Gesetze zu
interpretieren sich einfallen lasse; sondern
es muß, wenn sich in der Folge Zweifel
oder Mängel an den Gesetzen finden, der
Gesetz-Commission davon Nachricht
gegeben (werden);
von dieser die Sache, mit Rücksicht auf
den Sinn und Absicht der übrigen Gesetze
genau in Erwägung gezogen
und wenn eine würkliche Veränderung
oder Zusatz nöthig wäre, Uns gutachtlicher
Bericht darüber erstattet werden.
§ 6 ALR:
Auf Meinungen der Rechtslehrer oder
ältere Aussprüche der Richter soll bei
künftigen Entscheidungen keine Rücksicht
genommen werden.
§ 47 ABGB:
Findet der Richter den eigentlichen Sinn
des Gesetzes zweifelhaft, so muss er seine
Zweifel der Gesetzkommission anzeigen
und auf deren Beurteilung antragen.
Der moderne verfassungsrechtliche Schutz der richterlichen Unabhängigkeit
-> Art 82 I B-VG: Die Richter sind in Ausübung ihres richterlichen Amtes unabhängig. -> Art 97 GG: Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen.
f) Folgen der Kodifizierung: -> Nationalisierung der europäischen
Rechtskultur
-> Gegensatz zwischen anglo- amerikanischem und kontinental- europäischem Rechtskreis
IV.) Das 19. Jahrhundert: Grundlegung der modernen
Rechtswissenschaft im Zeitalter des Liberalismus
1.) Wissenschafts- und Kodifikations-geschichte a) Die exegetischen Schulen in Frankreich und Österreich b) Historische Schule in Deutschland und die pandektistischen Kodifikationen
Franz Xaver Nippel, Erläuterung des ABGB, Wien 1830: „Die Vortrefflichkeit der Justizpflege
beruht auf der genauen Befolgung der
Gesetze von Seiten der Richter. Die
einzige Quelle des bürgerlichen Rechts ist
der erklärte allgemein verbindende Wille
des Oberhauptes, dass ist das Gesetz“.
b) Die Historische Schule in Deutschland und die
pandektistischen Kodifikationen aa) Das geltende Recht im Deutschen Bund außerhalb Österreichs
bb) Die „Historische Rechtsschule“: Rechtswissenschaft als Normquelle
Methode: *Historische Analyse des überlieferten Rechts
Römisches Recht „Deutsches Recht“ Pandektistik Germanistik
*Systembildung
cc) Der Weg zum BGB:
*Der Kodifikationsstreit * Rechtsvereinheitlichung im Dt. Bund: -Allgemeine dt. Wechselordnung 1848 -ADHGB 1861 -Entwurf eines einheitlichen Obligationen-rechts (Dresdner Entwurf von 1866)
Gründung des deutschen Reiches 1871 * ab 1874 Vorarbeiten an der Kodifikation eines einheitlichen Zivilrechts für das ganze Deutsche Reich
Josef Unger, System des österreichischen allgemeinen Privatrechts I, 1856, Vorrede: „Es ist bekannt, welcher bedeutende
Umschwung nunmehr auch in Österreich
in der Auffassung des Rechts und der
Aufgabe der Rechtswissenschaft einge-
treten ist. Man begnügt sich nicht mehr,
weder mit der exegetischen Methode
selbst, noch mit den dürftigen zusammen-
hanglosen Resultaten derselben; man findet
das Erklären des Gesetzbuches aus sich
selbst heraus, das paraphrasierende
Fortschreiten von einem Gesetzespara-
graph zum anderen unzulänglich,… .
(Skript, S. 160, Quelle 50)