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СЛОВО О ПЛЪКУ ИГОРЕВЕ, ИГОРЯ СЫНА СВЯТЪСЛАВЛЯ, ВНУКА ОЛЬГОВА Das Lied vom Heerzug Igors, des Swjatoslawsohnes, des Oleg-Enkels

Igorlied [de Baumann]

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Deutsche Übersetzungdes rusischen Igorliedesmit Einleitung und Gliederung

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СЛОВО О ПЛЪКУ ИГОРЕВЕ,ИГОРЯ СЫНА СВЯТЪСЛАВЛЯ,

ВНУКА ОЛЬГОВА

Das Lied vom Heerzug Igors,des Swjatoslawsohnes,

des Oleg-Enkels

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Wladimir A. Faworskij, Bojan.

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Die Komposition ist im ganzen durchsichtig: nach einer kurzen Einleitung, in welcher derVerfasser den Wunsch äußert, in Übereinstimmung mit der Wirklichkeit zu singen, undnicht im Stil des älteren Dichters, Bojan, beginnt sofort die Erzählung (повесть, pověst’,wie es im Text heißt) von dem Anfang des Feldzuges, dem anfänglichen Sieg und derschließlichen Niederlage.

Der zweite Teil beginnt mit einem klar umrissenen neuen Anfang: der Verfasserführt uns nach Kiev in den ”goldüberdachten Palast“ des Fürsten Svjatoslav, erzählt vom

”unheilverkündenden“ Traume Svjatoslavs und von der traurigen Niederlage Igor’s undlegt dem Fürsten die ”goldene Rede“ in den Mund, in welcher er die anderen Fürstenzur Eintracht im Kampf gegen die Polovzer auffordert: das Ende der ”goldenen Rede“ist (beabsichtigt?) unklar, an Stelle Svjatoslavs beginnt der Verfasser selbst zu sprechenund verliert sich in Erinnerungen an die Vergangenheit.

Völlig klar sind die beiden Grenzen des dritten Teils, des ”Klageliedes“ Jaroslavnas.Der letzte Teil schildert nur die Flucht Igors. Einige wenige Schlußzeilen – ein Lobgesangan die Fürsten und das Heer.

Dmitrij Tschižewskij, Geschichte der altrussischen Literatur im 11., 12. und 13. Jahrhundert (Kiever Epo-che), 1948, S. 331f.

Das Gedicht beginnt mit einem Auftakt. Der Verfasser, der Griechisch konnte, hatteAuftakt

im Eingang zu der Darstellung des Trojanischen Krieges bei MANASSES eine glänzendeFormel gefunden, in der der byzantinische Chronist klar zu verstehen gab, daß er nicht dieAbsicht habe, den zaubervollen (θελξίνους, thelxínous) HOMER nachzuahmen,1 sondernnur die Absicht, den Verlauf des Krieges historischenWerken treu nachzuerzählen. DieseFormel benutzte nun der Verfasser des Igor’-Epos, indem er seinen Lesern mitteilte, daßer keineswegs den Volkssänger, den zaubervollen BOJÁN (вещий Боянъ, věščij Boján,V. 9) nachzuahmen, sondern den Heereszug Igor’s nach den geschichtlichen Berichtender Gegenwart (по былинамь сего времени, po bylínam segó vrémeni, V. 7) zu schildernwünsche. Nachdem er ein paar Proben von BOJÁNs Stil gegeben hat, beginnt er sein Eposvom Fürsten Igor’, der sein Hirn mit Kraft stählte und sein Herz mit Mut schärfte und, vonkriegerischem Geist erfüllt, seine tapferen Scharen gegen das kumanische Land für dasrussische Land führte (V. 30-35).

Das erste Bild schildert die Vorbereitungen zum Heereszuge: Fürst Igor’ ist marsch-1. Bild

bereit und wartet nur auf seinen Bruder (V. 78), Fürst Vsévolod, der versprochen hat,zu ihm zu stoßen; die Hörner hallen in Nóvgorod, die Kriegszeichen sind aufgerichtet inPutívl’ (V. 76-77). Da kommt ihm die Botschaft von seinem Bruder:

Sattle, mein Bruder, deine raschen Rosse! Meine stehn schon bereit, im vorausgesattelt in der Stadt Kursk.

Meine Leute aus Kursk sind erprobte Mannen.Sie sind beim Klange der Hörner geboren, im Schutze der Helme gesäugt, an der

Spitze der Speere erzogen.

1 Constantini Manassis Brerviarium hostoriae metricum / Κονσταντίνου τοῦ Μανασσῆ Σύνοψις ἱστο-ρικὴ διὰ στίχων, rec. I. Bekker, 1837 (Corpus Scriptorum Historiae Byzantinae), p. 50, v. 1114:Ὅμηρος γὰρ ὁ μελιχρὸς τὴν γλῶσσαν καὶ θελξίνους ... / Nam Homeris lingua mellitus et ille-cebrosus ...

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2 Das Lied vom Heerzug Igors, des Swjatoslawsohnes, des Oleg-Enkels

Mit den Wegen sind sie vertraut, die Schluchten kennen sie.Ihre Bogen sind gespannt, ihre Köcher stehen offen, ihre Säbel sind geschliffen.Sie selber reiten dahin wie die grauen Wölfe in der Steppe! (V. 84-97)

Schon hier sehen wir die ziemlich trockene martialische Manier der Chroniken mitHilfe kühner, metaphorischer Mittel zu Poesie sublimiert. Die direkte Beschreibung undSchilderung ist durch bildliche Ausdrücke ersetzt, die einander stützen. Der syntaktischeParallelismus, demwir schon im rhetorischen Stil begegnet sind, wird bewußt benutzt undausgesprochen rhythmischen Effekten dienstbar gemacht, und die Stimmungswirkung,die an die Stelle der religiösen und moralischen Meditation getreten ist, ist der Sprachezugute gekommen. Es ist charakteristisch für das Igor’-Epos, daß es die steife Tracht derAllegorie zugunsten gestalthafter, anschaulicher Symbole vermeidet.

Der lyrische Stil des Epos wird überdies durch eine erstaunlich sichere Verwendungder Naturpersonifikation vertieft. Die ganze Dichtung ist von einer so lebendigen Na-turauffassung durchdrungen, wie man ihr sonst nur selten in der altrussischen Literaturbegegnet. Sie verdunkelt ganz die vorsichtigen Versuche der Chroniken, die Natur in diegeschilderten Kämpfe eingreifen zu lassen, und im Gegensatz zu der homiletischen Gat-tung, besonders in ihrer Ausformung bei KYRILLOS VON TÚROV, wo die Natur nur einVorwand für allegorische Finessen war, wird sie hier um ihrer selbst willen oder wegender poetischen Wirkung geschildert, die durch sie erzielt werden kann.

Mit besonderer Schärfe kommt diese Naturlyrik im zweiten Bilde der Dichtung zum2. Bild

Ausdruck, in der Schilderung der Sonnenfinsternis, die auch nach dem Bericht des CodexHypatianus vom Heereszuge Igor’s diesen vor der Fortsetzung des Einmarsches in dasfeindliche Kumanenland warnte:

Da schaute Igor’ zur hellen Sonne empor und sah die Finsternis sich über seineTruppen senken. (V. 36-39) ...

Aber Fürst Igor’ stieg in seinen goldenen Steigbügel und ritt über die weite Ebenedahin.

Die Sonne versperrte ihm den Weg mit ihrer Finsternis. Stöhnend weckte dieNacht die Vögel mit ihrem Sturm. Das Geheul der Raubtiere erhob sich weit umher.Der Raubvogel rief hoch über dem Walde und hieß alle fremden Länder lauschen.

Auf ungebahnten Wegen flohen die Kumanen zum großen Don. Ihre Wanderwa-gen kreischten um Mitternacht wie aufgescheuchte Schwäne. Und Igor’ führte seineScharen zum Don.

Die Vögel im Eichenwalde aber ahnten schon seine kommende Not. Die Wölfewitterten den Sturm in den Schluchten. Die Adler riefen mit ihrem Schrei die Raub-tiere zum Leichenmahl. Und die Füchse bellten die mennig-roten Schilde an. (V. 99-123) ...

Die nun folgende Schilderung einer langen Reihe von Kampfszenen wird durch dieKampfszenen

beständige Erwähnung der Teilnahme der Natur und der Tierwelt an den Geschehnissenbesonders lebendig gemacht. Diese ersten Kampfszenen kulminieren in dem Siege, dendie Russen in der ersten Uberraschungsschlacht über die Kumanen davontrugen, und inder wilden Flucht der Kumanen nach Südost. Die Siegesbeute wird in einem ausführli-chen Katalog beschrieben, der aber nicht in trocken schematischer Form, sondern in ei-ner poetisch beseelten Sprache dargeboten wird. Er umfaßt Gold und Atlas und kostbareStoffe, Pelze und gestickte Röcke, Waffen und Banner und vor allem die schönen kuma-nischen Jungfrauen, deren Anmut in ganz Rußland gerühmt wurde. Aber die Kämpfe der

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folgenden Tage bringen den Russen die Niederlage, die ihnen von der SonnenfinsternisNiederlage

prophezeit worden war:der Russen

Am nächsten Tage in aller Frühe leuchtet das Morgenrot blutig auf. SchwarzeWolken rücken vom Meer heran. Sie wollen die Sonnen der Fürsten verdecken, undblaue Blitze knattern in ihnen. Ein großes Unwetter nähert sich. Der Regen bringtPfeile vom großen Don her.

Jetzt sollen Speere bersten, jetzt sollen Säbel an den kumanischen Helmen zer-springen! (V. 159-168)

Die Kumanen rücken in dichten Scharen von überallher vor, und wie ein Auerochsekämpft Vsévolod, Igor’s Bruder, verzweifelt gegen die Übermacht. Wieder sublimiertder Dichter den traditionellen martialischen Stil — wie wir ihn zum Beispiel aus demDigenisroman kennen —, wenn er sich mit einer kühnen rhetorischen Apostrophe, diehier poetisiert wird, an den tapferen Fürsten wendet:

Du stehst an der Wehr, du streust deine Pfeile über die Feinde aus, du dröhnstmit deinem stahlblanken Schwerte gegen ihre Helme.

Wo du vorspringst, blitzend mit deinem goldenen Helm, da sinken die heidnischenHäupter der Kumanen, da spalten deine stahlharten Säbel die avarischen Helme, duAuerochse Vsévolod! (V. 184-191)

Zwei ganze Tage dauert die Schlacht. Vergebens versucht Fürst Igor’ seinem Bruderzur Hilfe zu eilen. Er ist selber von Feinden umringt, und endlich am dritten Tage derSchlacht sinken die Kriegsfahnen Igor’s zur Erde:

Da wurden die zwei Brüder voneinander getrennt am raschen Kajala-Fluß. Daging der Wein aus. Da nahm das Fest ein Ende für die tapferen Russen. Die Hoch-zeitsgäste hatten ihren Durst gelöscht, sie selbst aber sanken hin für das russischeLand. (V. 243-247)

Fürst Igor’, sein Sohn und sein Bruder werden von den Kumanen gefangengenommenund zu ihren Lagern in der Steppe geführt. Wir wissen aus dem Codex Hypatianus, derIgor’s Feldzug in annalistischer Form geschildert hat, welchen Eindruck die Nachrichtvon der Gefangennahme Fürst Igor’s und seiner Verwandten im ganzen Lande machte.In einer Sprache, die ganz deutlich die poetische Sprache des Igor’-Epos ankündigte, er-zählte der Annalist, wie die Städte am Sem, im Lande Nóvgorod-Séversk und im ganzenLande Černígov in Aufruhr gerieten, und wie schwere Trauer und Klage sich über ganzRußland verbreitete, wie die Städte von Verwirrung ergriffen wurden wie die Fische imNetz, wie niemand mehr sich um das kümmerte, was ihm am nächsten lag, und wie vieledie Lust zum Leben verloren aus Leid über das Schicksal der Fürsten. Der Dichter desIgor’-Epos folgt dem Annalisten, wenn er die Not und das Elend beschreibt, das die dasLand verwüstenden Kumanen in dem schreckgelähmten Volke hervorriefen, und er fin-det besonders bewegende, innige Worte für die Klage der Frauen über die gefallenenMänner. Mit sehr fein abgestimmter Ausführlichkeit verweilt er bei der Schilderung desLeides des Großkönigs von Kíev über die tragischen Geschehnisse. Die kritische Hal-tung, die der Annalist in seiner Schilderung des Zornes und der Trauer des Großkönigsangedeutet hatte, kommt im Igor’-Epos außerordentlich klar und scharf zumAusdruck anden Stellen, wo der Dichter mit wohlberechneter Wirkung die Niederlage Igor’s den frü-heren Siegen König Sv’atoslávs über den Nomaden-Häuptling Kob’ák gegenüberstellt:damals drang der Ruhm des Königs bis nach Deutschland und Venedig, Griechenland

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und Mähren, jetzt dagegen weckt der Fall und die Gefangennahme Igor’s Jubel bei dengotischen Jungfrauen, die am SchwarzenMeer sitzen und mit dem klingenden russischenGold spielen. Sehr geschickt deutet der Dichter das Leid des Königs durch einen düste-Traum

ren Traum - ein wirkungsvoller Zug, den er sicher aus dem Digenisroman übernahm, unddes Königs

der Zorn König Sv’atoslávs erhält beredten Ausdruck in seinem goldenen Worte (V. 357),womit er die Eigenwilligkeit der jungen Fürsten brandmarkt. Diese ganze Partie mündetin einen großartigen Aufruf aus, den der König - oder der Dichter? - an die bedeutend-sten derzeitigen russischen Fürsten richtet mit der Bitte, Igor’ zu Hilfe zu eilen. Sie alleerhalten nacheinander ihre poetische Charakteristik.

Seinen Höhepunkt erreicht aber das Gedicht in dem Abschnitt, wo die Gattin desFürsten Igor’, Euphrosyne, die Tochter Jaroslávs, mit ihrer Klage über den Fall ihresKlage der

Mannes in die Dichtung eingeführt wird:Jaroslávna

Die Stimme der Jaroslávna klingt wie die Klage eines einsamen Kuckucks in derMorgenfrühe:

- Ich will dahinfliegen wie ein Kuckuck den Fluß entlang. Ich will meinen Biber-pelzärmel in den Fluß Kajalá tauchen. Ich will die blutigen Wunden am gehärtetenLeib meines Geliebten netzen. -

Jaroslávna weint in der Morgenfrühe auf der Stadtmauer von Putívl’:- O Wind, du mein Wind! Warum bläst du so gewaltig, mein Gebieter? Warum

treibst du mit deinen leichten Schwingen die hunnischen Schützen gegen die Mannenmeines Geliebten? Findest du nicht Genüge daran, hoch oben unter den Wolken zuwehen oder die Schiffe zu wiegen auf dem blauen Meere? Warum, mein Gebieter,hast du meine Freude über das Gras der Steppe verstreut? -

Jaroslávna weint in der Morgenfrühe auf der Stadtmauer von Putívl’:- O Dnjepr, weitberühmter Fluß! Du hast dir einen Weg durch die steinharten

Felsen, durch das Land der Kumanen gebahnt. Du hast einstmals auf deinen Wogendie Boote König Sv’atoslávs gegen die Scharen Chan Kob’áks getragen. Trage nun,mein Gebieter, auch meinen Geliebten zu mir zurück, damit ich es nicht mehr nötighabe, meine Tränen in der Morgenfrühe nach dem Meere zu senden. -

Jaroslávna weint in der Morgenfrühe auf der Stadtmauer von Putívl’:- Du meine helle, dreimal helle Sonne! Du bist warm und schön für alle. Warum,

meine Gebieterin, hast du deine brennenden Strahlen gegen die Mannen meines Ge-liebten gerichtet? In wasserloser Wüste hast du ihre Bogen mit Durst gespannt undihre Köcher mit Verzweiflung gefüllt. - (V. 357-591)

Hinter dieser von Zärtlichkeit und Schmerz getragenen elegischen Poesie ahnen wirdie Todesklagen byzantinischer Frauen an den Leichen ihrer Gatten oder Söhne. Sie istvon einem Dichter komponiert, der seine poetischen Stilmittel bewußt benutzt. Es liegtnicht nur ein mythologischer Inhalt in den Worten der Fürstin an den Wind, den Flußund die Sonne, die im russischen Text alle Maskulina sind und mit der Anrede Herr oderGebieter apostrophiert werden, sondern auch eine in der altrussischen Literatur so außer-ordentlich seltene weibliche Gefühlsart, die gleich in der ersten Strophe des Gedichtesoder der Klage zum Ausdruck kommt. Überraschend kühn und wirkungsvoll ist die An-wendung der Wiederholung sowohl in der Schilderung der Situation (die einsame Gestaltder Fürstin frühmorgens auf der Stadtmauer von Putívl’) als auch in der Form der Klageselbst.

Von diesem poetischen Höhepunkt eilt das Epos rasch weiter zumAbschluß. Die letz-Abschlu

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ten Bilder zeigen uns den Fürsten auf der Flucht aus der Gefangenschaft. Mit souveränerÜberspringung aller poetisch irrelevanten historischen Einzelheiten, sogar mit Auslas-sung von Details, die den Zusammenhang vielleicht etwas leichter verständlich gemachthätten, gibt uns der Dichter in raschen und knappen Strichen einen Eindruck von derSchnelligkeit der Flucht. Fürst Igor’ eilt wie ein Hermelin durch das Schilf (V. 611) undstürzt sichwie eine Kriekente (V. 612) insWasser, er reitet dahin auf seinem raschen Roß,springt von ihm ab wie der graue Wolf (V. 614) und fliegt über die Don-Ebene wie einHabicht unter den Wolken (V. 616). Vergeblich versuchen die kumanischen Chane ihneinzuholen. Unter dem Jubel der Bevölkerung zieht er in Kíjev ein und hält nicht an,bevor er das Tor der Muttergotteskirche erreicht.

Ein Bericht über das Igor’-Epos, der notwendigerweise summarisch sein muß, kanndem Leser nur einen sehr unvollkommenen Eindruck von der Dichtung selbst wie auchvon ihren poetischen Qualitäten geben. Indem der Bericht gewisse Teile der Dichtungverschweigt, färbt er allzusehr die anderen, die er behandelt. Er verschweigt vor allem dieTatsache, daß die Dichtung in einem sehr mangelhaften Zustand überliefert ist, wobei eskeine Rolle spielt, ob das dem Umstand zuzuschreiben ist, daß sie von unverständigenSchreibern, durch deren Hände sie gegangen ist, verdorben wurde, oder vielmehr demUmstand, daß sie von Anfang an nicht abgeschlossen gewesen ist. Der Verfasser desIgor’-Epos scheint selber recht deutlich zu sagen, daß er nicht die Absicht gehabt habe,nur ein Epos vom Heerzug Igor’s zu schreiben, sondern die ganze ereignisreiche Zeitvon Vladímir dem Alten bis zum jetzigen Igor’ (V. 29), d. h. von Vladímir Monomách (der1126 starb) bis zumFeldzuge des Teilfürsten Igor’ im Jahre 1187 zu behandeln. Jedenfallsdurchbrechen einige Exkurse in frühere Zeiten die Ordnung des Epos in seiner heutevorliegenden Form.

Ein großer Abschnitt handelt zum Beispiel von den traurigen Ereignissen, die mehrals 100 Jahre vor dem Feldzug Fürst Igor’s stattfanden, als nämlich einer seiner Ah-nen unablässig die Kumanen nach Rußland führte, um das Erbe wiederzugewinnen, des-sen ihn seine Verwandten beraubt hatten, bis es ihm endlich gelang, sein Ziel wirklichzu erreichen. Der Dichter schildert diese Zeit mit starken Worten als eine Zeit, da derAckermann selten hinter seinem Pfluge rief, während die Raben oft krächzten, wenn siedie Leichen unter sich teilten (V. 218-220). Ein anderer Exkurs führt noch weiter zurück,bis in jene ferne Zeit, da ein Fürst von Pólock (um 1068) sich das Ziel setzte, den gol-denen Thron Kíjevs zu gewinnen, ihn aber in der Schlacht an der Nemíga wieder verlor:da mähte man Köpfe wie Garben, drosch mit stahlblanken Flegeln, breitete Leben auf derTenne aus, trennte Seelenkorn von der Spreu der Leiber (V. 525-528). Diese Teile, dieübrigens ganz vorzüglich den Übergang von dem annalistischen martialischen Stil zumkonsequent durchgeführten episch-metaphorischen Stil veranschaulichen, stehen jetzt —wie auch andere Textstücke—wie isolierte Exkurse mitten in der Dichtung. Man hat denEindruck, daß der Dichter ursprünglich ein grandioses, viele Jahrhunderte umspannen-des Klagelied über das Elend hat anstimmen wollen, das die unablässigen Fürstenfehdenüber das Land brachten, sich aber schließlich - wir wissen nicht aus welchem Grunde- damit begnügte, einen einzelnen, aber typischen Fürstenfeldzug, eben den des jungenIgor’s, zu schildern. Aber auch als Torso bringt das Epos die Idee des Dichters von dentragischen Folgen des Fürstenegoismus deutlich zum Ausdruck und wahrt dadurch seineEinheitlichkeit.

Adolf Stender-Petersen, Geschichte der russischen Literatur. Erster Band, 1957, S, 120-127.

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6 Das Lied vom Heerzug Igors, des Swjatoslawsohnes, des Oleg-Enkels

PART I.

I. PROEM. Esordio nel ricordo di Bojan

1 Wär’s nicht das Rechte, Brüder,mit althergebrachten Worten zu beginnenden kummervollen Bericht vom Heerzug Igors,

5 Igors, des Swjatoslawsohnes?2 Dieses Lied aber soll beginnen

gemäß den Begebenheiten unserer Zeitund nicht nach der Eingebung Bojans.

3 Wenn nämlich der Seher Bojan10 zum Ruhm eines andern zu singen gedachte,

dann schweifte er in Gedanken durch Baumwipfel,als Grau-Wolf über die Erde,als Grau-Adler in den Wolken.

4 Denn so beschwor er, wie er sagt,15 die frühesten Zeiten der Zwietracht.

Dabei ließ er zehn Falken los auf einen Zug Schwäne,und wen sie ergriffen als ersten,der hatte das Lied anzustimmenvom alten Jaroslaw,

20 Mstislaw, dem Kühnen,der Rededja durchstieß vor dem Heer der Kassoger,von Roman, dem schönen Swjatoslawsohn.

5 Bojan aber, Brüder, ließ eben nicht zehn Falkenauf einen Zug Schwäne los,

25 sondern er legte seine zauberkundigen Fingerauf die lebendigen Saiten,

und sie rauschten von selbst auf zum Ruhme der Fürsten.

II. THE NARRATIVE.

6 Last uns nun, Brüder, erzählen, was sich zutrugvom alten Wladimir bis hin zu Igor,

30 der mit Stärke gürtete seine Brust,sein Herz mit Mannesmut schliffund seine tapferen Kriegsscharen,

7 von Kampflust erfüllt,gegen das Polowzerland führte

35 für das Land der Russen.

III. ÍGOŔ STARTS. Il presagio dell’eclisse

8 Da suchte Igordie helle Sonne,

und er sah sein Heermit Finsternis bedeckt.

9 Und Igor sprach

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zu seinem Gefolge:10 «Brüder,

Getreue!Lieber lassen wir uns erschlagen,

45 als uns zu ergeben.11 Besteigen wir, meine Krieger,

unsere schnellen Pferde,auf daß wir erschauen

den blauen Don!»12 Und es fing Feuer

des Fürsten Sinn.Begierde, vom großen Don zu kosten,

verstellte ihm den Blick für die Zeichen.13 «So will ich», sprach er, «einen Speer brechen55 am äußersten Rand der Polowzer-Steppe,

mit euch, ihr Russen, will ich das Haupt verlierenoder aus diesem Helm trinken vom Don.»

IV. INVOCATION OF BOYAN. La schiera di Igor’ marcia verso la battaglia

14 O Bojan, Nachtigall alter Zeit,so würdest du diese Heerfahrt besingen,

60 als Nachtigall hüpfend im Baum der Gedanken,im Geiste unter Wolken hinfliegend,verwebend den Ruhm beider Hälften der Zeit,schweifend auf den Spuren Trojans

über Steppen, die Berge hinauf.15 Und so erhöbe der Weles-Enkel

sein Preislied auf Igor:16 «Nicht der Sturm hat Falken verschlagen

in weite Steppen,Dohlenschwärme ziehen

70 zum großen Don.»17 Oder so ertönte dein Aufgesang,

Bojan, du Seher,Enkel des Weles:

18 «Pferde wiehern jenseits der Sula,75 Heilrufe steigen auf über Kiew,

Hörner erschallen in Nowgorod,Standarten stehn in Putiwl, der Stadt.»

V. THE ARRIVAL OF VSÉVOLOD SVYATOSLÁVIČ. L’Incontro di Igor’ con Vsevolod

Igor wartet auf Wsewolod, seinen liehen Bruder.19 Und so spricht zu ihm Wsewolod, der grimmige Ur:20 «Mein einziger Bruder,81 mein einzig strahlendes Licht –

du Igor!Beide sind wir Swjatoslaws Söhne.

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8 Das Lied vom Heerzug Igors, des Swjatoslawsohnes, des Oleg-Enkels

21 Bruder, laß satteln85 deine schnellen Pferde!22 Bereit stehn die meinen,

gesattelt im voraus zu Kursk.23 Und meine Kursker, erprobte Krieger,

unter Trompeten in Windeln geschlagen,90 gekost unter Helmen,

großgefüttert mit Lanzenspitzen –24 sie kennen die Straßen,

sind heimisch in Schluchten,immer sind ihre Bogen gespannt,

95 offen die Köcher,die Klingen geschärft.

25 Sie jagen, graue Wölfe der Steppe,sich selber zur Ehre, zum Ruhm ihres Fürsten.

VI. ÍGOŔ’S MARCH. Marcia di Igor’ attraverso le tenebre

26 Dann schwang sich Fürst Igor in goldne Steigbügel100 und ritt in die offene Steppe hinein.27 Die Sonne vertrat ihm den Weg mit Verfinsterung,28 mit Gewitterstöhnen schreckte die Nacht Vögel auf,

schrille Laute brachen aus Tieren.29 Der Diw erhob sich –105 er schreit in Baumwipfeln

und heißt namenlose Länder aufhorchen:das Land an der Wolga,Landstriche am Meer,Land an der Sula,

110 bei Suroshund Cherson –

und dich, den Götzen von Tmutorokan!

VII. THE ADVANCE OF THE ENEMY.

30 Die Polowzer aber eilen auf Wegen,noch unbefahren, zum großen Don.

115 Es kreischen um Mitternacht ihre Karrenwie aufgeschreckte Schwäne.

Igor führt seine Krieger zum Don!31 Und schon lauern auf sein Verderben

die Vögel im Eichwald.120 Wölfe erregen in Schluchten Gewitter.

Die Adler rufen mit ihrem Schrei die Tiere an den Tisch,der mit Gebeinen gedeckt ist.

123 Fuchsgebell schlägt gegen purpurne Schilde.32 O Russenland, schon liegst du hinter den Hügeln!33 Lange hielt sich die fahle Nacht.34 Morgenröte glomm auf.

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127 Nebel bedeckte die Felder.35 Das Lied der Nachtigallen verstummte,

Dohlengeschwätz wurde wach.36 Die Russen steckten das Feld mit purpurnen Schilden ab –131 sich selber zur Ehre, zum Ruhm ihres Fürsten.

VIII. THE BATTLE. Incursione dei Russi nel campo polovesiano

37 Mit Anbruch des Freitagmorgens begannen sie,die heidnischen Heerhaufen der Polowzer niederzustampfen.Gleich Pfeilen über das Feld hin schwirrend,

135 entführten sie schöne Polowzermädchenund mit ihnen Gold,brokatene Stoffe,kostbaren Samt.

38 Mit Decken,140 Umhängen,

Mänteln aus Pelzbegannen sie über Sümpfe und schlammige Wege

Brücken zu schlagen,mit vielerlei polowzischem Prunkzeug.

39 Die purpurne Fahne,146 das weiße Banner,

der purpurne Pferdeschweif,der silberbeschlagene Schaft

fielen dem kühnen Swjatoslawsohn in die Hand.

IX. THE NIGHT AFTER THE BATTLE. Riscossa dei Polovcy

40 Auf dem Schlachtfeld ruht Olegs verwegene Brut,151 zu weit ausgeflogen.41 Nicht zur Beute war sie geboren –

weder dem Falken,noch dem Habicht,

155 noch dir, dem finsteren Raben,dir heidnischem Polowzer!

X. THE SECOND DAY’S BATTLE.

42 Chan Gsak flieht, ein Grauwolf –und Kontschak bringt ihn auf die Fährte zum großen Don.

43 Am andern Morgen in erster Frühe160 verkündet blutige Röte den Tag.44 Schwarze Wolken rücken vom Meere heran,

um die vier Sonnen zu verdüstern,Wolken, von blauen Blitzen durchzuckt.

45 Ein gewaltiges Unwetter zieht auf.165 Am Don wird ein Regen von Pfeilen fallen,46 Speere werden brechen,

Schwerter stumpf werden

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10 Das Lied vom Heerzug Igors, des Swjatoslawsohnes, des Oleg-Enkels

an Polowzerhelmenhier beim Flusse Kajala,

170 am großen Don.47 O Russenland, schon liegst du hinter den Hügeln!48 Sieh da: Stribogs Enkel, die Winde, wehn Pfeile

vom Meer her in das kühne Heer Igors!49 Die Erde stöhnt,175 trüb ziehen die Flüsse,

Staubwolken bedecken das Feld.50 Die Fahnen melden:

Nun kommen die Polowzer vom Don,vom Meere,

51 von allen Seiten die russischen Scharen bedrängend.52 Die Satanssöhne umzingeln die Steppe mit Kampfgeheul,182 die tapferen Russen halten ihnen ihre Purpurschilde entgegen.53 Wsewolod, du grimmiger Ur,

du stehst in der Brandung der Schlacht,185 Pfeile schüttest du gegen die Feinde,

mit Stahlschwertern donnerst du gegen Helme.54 Wo der wilde Ur auch reitet,

leuchtend in einem goldenen Helm –überall fallen da die Köpfe der heidnischen Polowzer.

XI. THE EXALTATION OF VSÉVOLOD SVYATOSLÁVIČ. Vsevolod, toro impetuoso

55 Mit feuergehärteten Schwertern werden awarische Helme zerhauen191 von dir, Wsewolod, du grimmiger Ur!56 Was, Brüder, können Wunden anhaben

dem, der Ehre und Gut vergißt,seine Stadt Tschernigow, den Goldthron der Väter

195 und auch seine Freude: Umgang und Zwiesprachmit Glebs schöner Tochter?

XII. THE FEATS OF OLÉG SVYATOSLÁVIČ. Oleg, il seminatore di discordie

57 Vorüber sind die Zeiten Trojans,gewesen Jaroslaws Jahre,hinab Olegs Heerscharen,

200 Olegs, des Swjatoslawsohns.58 Dieser Oleg schmiedete mit seinen Schwerthieben Zwietracht

mit Pfeilen übersäte er alles Land.59 Stieg er in Goldbügel in Tmutorokan,60 vernahm Jaroslaw, der einst groß war, den Klang;61 und Wladimir, Wsewolods Sohn, hielt sich die Ohren zu206 in Tschernigow jeden Morgen.62 Boris, den Wjatscheslawsohn, den tapferen jungen Fürsten,

brachte seine Ruhmsucht vor des Höchsten Gerichtund breitete für ihn ein grünes Bahrtuch ausan der Kanina, weil er Oleg beleidigt hatte.

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Das Lied vom Heerzug Igors, des Swjatoslawsohnes, des Oleg-Enkels 11

63 Vom Strand der gleichen Kajala ließ Swjatopolkseinen Vater zwischen Zeltern aus Ungarnzur Heiligen Sophia von Kiew bringen.

64 Damals, zur Zeit Olegs, des Unglückssohnes,215 begann die Saat der Fehden zu wuchern.

Vernichtet wurde das Erbe der Enkel Dashbogs;Fürstenzwist kürzte Menschenleben.

65 Selten erklang zu jener Zeit auf russischer Erde ein Pflügerruf –alltäglich aber war das Gekrächz von Raben,

220 die sich in die Erschlagenen teilten,und Dohlen besprachen sich in ihrer Sprache,

ehe sie hinflogen zum Fraß.

XIII. THE THIRD DAY’S BATTLE. La sconfitta di Igor’

66 So war es üblich in der Zeit jener Fehden und Feldzüge –doch unerhört war solch ein Waffengang:

225 Von der Morgenröte bis in den Abend,vom Abend bis zum Anbruch des Tagesflogen die gehärteten Pfeile,erdröhnten Helme von Schwerthieben,

229 krachten stählerne Lanzen67 auf dem Schlachtfeld, dem namenlosen

mitten im Land der Polowzer.Die schwarze Erde unter den Hufen war mit Gebein übersät,

getränkt mit Blut.234 Drangsal ging auf aus der Aussaat im russischen Land.68 Welch ein Laut kommt zu mir,

was klingt da auf69 lang vor Tagbeginn?

Igor versucht seine Scharen zum Stehen zu bringenin Sorge um seinen lieben Bruder Wsewolod.

70 Einen Tag kämpften sie,241 sie kämpften den zweiten,

gegen Mittag des dritten Tages fielen die Banner Igors.71 Und da mußten die Brüder sich trennen am Ufer der schnellen Kajala.72 Es war nicht genug des blutigen Weins,73 und da machten die kühnen Russen dem Gastmahl ein Ende:246 Sie hatten die Freier trunken gemacht und lagen nun selbst

hingestreckt für das Land der Russen.74 In Mitleid welkte das Gras,

und die Bäume beugten sich trauernd zur Erde.

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12 Das Lied vom Heerzug Igors, des Swjatoslawsohnes, des Oleg-Enkels

PART II.

I. PROEM. La discordia e il dolore opprimono la terra russa

75 Denn nun, Brüder, kamen Zeiten des Grams.251 Die Steppe deckte die Krieger der Streitmacht.76 Geleitet vom Heer der Dashbog-Enkel hob die Schande

als Jungfrau kam sie in Trojans Land, [das Haupt,sie peitschte mit Schwanenflügeln

255 das blaue Meer an der Mündung des Don.77 Sie brachte das Ende der fetten fahre.

Zerschellt ist der Fürstenkampf gegen die Heiden,ein Bruder hält nun dem anderen vor:

«Dies ist mein, und mir gehört auch noch das da!»260 Vom Kleinen behaupteten die Fürsten:

«Es ist doch groß.»Sie stifteten Zwietracht untereinander,

78 da kamen die Heiden von allen Seiten264 als Sieger in das russische Land.79 Oh, weit war der Falke geflogen, Vögel schlagend, bis an das Meer!80 Igors tapfere Schar kann niemand mehr erwecken.

II. KONČÁK’S INVASION.

81 Hinter ihr drein schrie Karna, und Shljajagte über das russische Land,

82 und sie warf auf die Menschen Feuer aus brennendem Horn.270 Russenfrauen wehklagten und sprachen:83 «Nie mehr werden wir unsere Lieben

ersinnen im Sinn,in Gedanken erdenken,mit Augen erschauen,

275 und Gold und Silber werden wir nie mehr in Händen halfen.».84 Da stöhnte, Brüder, Kiew vor Gram,

in Drangsal Tschernigow.85 Über das russische Land ergoß sich Trübsal,

ein Leidensstrom floß durch das Land der Russen.86 Die Fürsten schürten das Feuer der Fehde,87 indessen die Heiden von Sieg zu Sieg282 vorrückten im russischen Land,

Tribut sammelnd: ein Eichhornfell je Gehöft.

III. THE CONSEQUENCES OF ÍGOŔ’S DEFEAT. Elogio del gran principe Svjatoslav

88 Denn die zwei kühnen Swjatoslawsöhne285 Igor und Wsewolod

hatten das Übel wieder erregt,das von ihrem Vater, dem mächtigen Großfürsten von Kiew, Swjatoslaw,

mit starker Hand gebannt worden war.

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89 Er hatte mit seinen mächtigen Scharen290 und mit stählernen Schwertern die Feinde geschlagen.

Er drang in polowzisches Land ein,zerstampfte Hügel und Schluchten,rührte Flüsse und Seen auf bis zum Grundund ließ die Bäche und Moore austrocknen.

295 Kobjak, den heidnischen Khan, entriß er am Meerden eisernen, großen Polowzerscharen,

gleich einem Wirbelsturm.In der Burg von Kiew fiel Kobjak,

in der Halle des Swjatoslaw.90 Davon singen Deutsche und Venezianer,301 Griechen und Mährer:

von Swjatoslaws Ruhm.Sie schelten den Fürsien Igor,

der den Hort auf dem Grunde des Heidenflusses, der Kajala,305 der russisches Gold dort vertat. [versenkte,91 Und da mußte Fürst Igor aus goldenem Sattel

umsteigen in den Sattel eines Sklaven.

IV. THE DREAM OF SVYATOSLÁV VSÉVOLODIČ. Il sogno di Svjatoslav

92 Die Mauern der Burgen standen in Trauer,309 die Freude ging unter.93 Swjatoslaw aber hatte einen verwirrenden Traum94 zu Kiew auf den Bergen.

«Diese Nacht, gleich am Abend», so sprach er,«wurde ich in einen schwarten Mantel geschlagen

314 und auf ein Eibenholzbett gelegt.95 Man schöpfte für mich blauen Wein,

mit Kummer vermischt,96 und schüttete mir aus leeren Heidenköchern

große Ferien in meinen Schoß,97 und man pflegte mich gut.320 Doch schon fehlte der Firstbalken

an meiner Halle, mit Gold gedeckt.98 Die ganze Nacht, schon seit dem Abend,

krächzten graue Raben ihr Unheilslied99 auf dem Anger von Plessensk.

Sie waren im Dickicht von Kisan325 und zogen in Schwärmen zum blauen Meer.100 Zum Fürsten sagten da die Bojaren:101 «O Fürst, wenn dir Sorgen den Sinn umwölken,102 so kommt es daher, weil zwei Falken aufflogen

vom Goldthron der Väter,330 um aufzusuchen die Stadt Tmutorokan

oder aus dem Helm zu trinken vom Don.Doch schon sind den Falken die Flügel beschnitten

von heidnischen Klingen,

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sie selbst sind in Fesseln335 aus Eisen gelegt.

V. THE INCURSION OF THE PÓLOVTSY.

103 Dunkel wurde es am dritten Tag:Für zwei Sonnen trat eine Finsternis ein,die beiden Purpursäulen erloschen,

mit ihnen gingen zwei junge Monde,340 Oleg und Swjatoslaw,

gehüllt in Dunkel,im Meere unter.In den Steppenvölkern erregte das verwegene Freude.

104 Am Kjalafluß deckte das Finstre den Tag zu,105 über russische Erde breiteten sich346 wie Pantherbrut die Polowzer aus.106 Schmach setzte ihren Fuß auf den Ruhm,107 Unterdrückung begrub die Freiheit,108 und nieder zur Erde stürmte der Diw.109 Denn siehe, schöne gotische Mädchen351 begannen zu singen am blauen Meer,

behängt mit klingendem Russengold.Sie singen von den Zeiten des Boos,

354 sie preisen den Rächer von Scharokhans Schmach.110 Und wir, die Gefolgsleute, lechzen nach Freude!».

VI. THE LAMENT OF SVYATOSLÁV VSÉVOLODIČ. L’aureo discorso del gran principe

111 Da sprach der erhabene Swjatoslawsein goldenes Wort,

das mit Tränen vermischt war,359 und er sprach also:112 «Ihr Vettern Igor und Wsewolod!

Zu früh fingt ihr an, polowzisches Landmit dem Schwert heimzusuchen,um Ruhm zu gewinnen für euch.

Doch unrühmlich ging die Schlacht für euch aus,365 nicht in Ehren habt ihr heidnisches Blut vergossen.113 Zwar sind eure tapferen Herzen

aus festem Stahl geschmiedet,gehärtet im Wagnis –

114 doch was habt ihr meinem silbernen Haar angetan!115 Ich vermisse die Macht371 meines starken,

reichen,kriegsgewaltigen

Bruders Jaroslaw, der umgeben war375 von seinen Großen aus Tschernigow,

von seinen Moguten,

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Tatranen,Scheibiren,Toptschaken,

380 Rewugen,Olbiren:

Diese nämlich besiegten ihre Feinde schildlos,das Messer im Stiefelschaft, mit wildem Geheul,mit dem sie den Ruhm ihrer Väter ausschrien.

116 Ihr aber sagtet: Ermannen wir uns!386 Wir selbst wollen uns den alten Ruhm erwerben

und in neu errungene Ehre uns teilen.117 Was Wunder, Brüder, wenn sich da ein Alter verjüngt.118 Ist der Falke in der Mauser,390 schlägt er die Vögel hoch in den Lüften.

Er läßt nicht zu, daß Unrecht ans Nest rührt.119 Doch schlimm ist: Von den Fürsten kommt mir keine Hilfe.»120 Zunichte wurden die großen Zeiten.121 Bei Rimow ist Wehgeschrei unterm Schwert der Polowzer,395 Wladimir stöhnt unter Wunden.122 Kummer und Schmerz befiel den Sohn Glebs.

VII. THE APPEAL TO THE PRINCES. Appello ai principi

(1) TO VSÉVOLOD YÚŔEVIČ OF SÚZDAL’.

123 Großfürst Wsewolod!Willst du nicht auf Geistesschwingen herfliegen,

399 den goldenen Thron deiner Väter zu schütten?124 Du kannst ja mit Rudern die Wolga verstäuben

und den Don mit Helmen ausschöpfen!125 War’ mit dir zu rechnen –

so kostete eine Sklavin nur eine Nogalaund nicht mehr als eine Resana ein Knecht.

126 Du vermagst ja sogar über das feste Land hin406 lebende Wurfgeschosse zu schleudern:

Glebs mutige Söhne.

(2) TO RÚRIK AND DAVID ROSTÍSLAVIČ.

127 Ihr Ungestümen, Rurik und David!Sind nicht eure Krieger

410 mit goldenen Helmen in Blut geschwommen?128 War es nicht eure tapfere Heerschar,

die gleich einer Wildstierherde brüllte,getroffen von gehärteten Schwerternim Feld ohne Namen?

129 Ihr Herren, den Fuß in die goldenen Bügel,416 zu kämpfen gegen das Unheil der Zeit,

für das russische Land,

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für die Wunden Igors,des verwegenen Swjatoslawsohns!

(3) TO YAROSLÁV VLADÍMIRKOVIČ OF GALICIA.

130 Jaroslaw von Galitsch, Fürst mit acht Sinnen,421 Hoch thronst du auf deinem

goldgetriebenen Sitz;du hast die Berge der Ungarn umgeworfen

mit eisernen Scharen,425 dem Ungarnkönig den Weg versperrt,

die Donau mit Toren verriegelt.Wurfgeschosse schleuderst du in die Wolken,Gericht haltend bis hin zur Donau;

131 dein Grollen zieht über die Länder,430 du öffnest die Tore von Kiew

und triffst vom Goldthron der Väter aus jene, die da als Sultanesitzen in fernen Landen.

132 Triff, Herr, den Kontschak,den heidnischen Knecht,

435 für das russische Land,für die Wunden Igors,

des verwegenen Swjatoslawsohns!

(4) TO ROMÁN ANDMSTÍSLAV ROSTÍSLAVIČ.

133 Und du, tapferer Roman und Mstislaw!439 Ein kühner Sinn bewegt euch zur Tat,134 Hochflug trägt euch in Abenteuer,

wie der Falke mit seinen Schwingen den Wind nutzt,wenn ihn Begier treibt, verwegen die Vögel zu schlagen.

135 Tragt ihr doch Kettenpanzerund lateinische Helme!

445 Erbittern ließen sie die Erde,vielerlei Länder:

das Land der Steppenvölker,das Land der Litauer,das Land der Jatwjagen,

450 das Land der Deremeljer.Die Polowzer warfen ihre Landen weg

und beugten die Köpfeunter diesen stählernen Schwertern.

136 Aber nun hat sich Igors455 Sonne verfinstert,

nichts Schlimmes ahnend verloren die Bäume ihr Laub:137 Verteilt sind die Städte am Ros, an der Sula.

Nicht mehr wird Igors Heer schar erstehn.138 Dich, den Fürsten, ruft der Don,460 euch Fürsten alle ruft er zum Siege.139 Die Oleg-Enkel, die kühnen Fürsten, sind schon im Kampf.

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(5) TO ÍNGVAŔ AND VSÉVOLOD YAROSLÁVIČ.

140 Ingwar, Wsewolodund alle drei Mstislawsöhne,Sechsflügler aus keinem minderen Nest,

465 ihr brauchtet euch nicht durch Siegestateneure Besitztümer zu erringen –

141 warum setzt ihr nun eure goldenen Helme,die Lanzen aus Polen,die Schilde nicht ein?

142 Schließt die Steppentore471 mit euren scharfen Pfeilen

für das russische Land,für die Wunden Igors,

des verwegenen Swjatoslawsohns!

(6) REMINISCENCE OF IZYASLÁV VASÍL’KOVIČ.

143 Schon fließt die Sula nicht mehr in Silberwellen476 nach Perejaslawl,

die Dwina schleicht unterm Heidengeschreiund ist nur noch ein morastiges Rinnsal

für die Polozker.144 Einzig Isjaslaw, der Sohn des Wassilko,

ließ scharfe Schwerterauf Litauerhelmen erklingen.

So hielt er den Ruhm seines Ahnherrn Wseslaw aufreebt,auch wenn er selbst unter purpurnen Schilden

485 auf blutigem Rasenvon Litauer Schwertern festgebohrt ward.Während er wie mit der Liebsten aufs Lager sank,

145 klagte er:146 «Über dein Gefolge, Fürst,490 breiteten Vögel die Flügel,

wilde Tiere leckten das Blut.».147 Und weder sein Bruder Brjatschislaw war da,

noch Wsewolod, sein anderer Bruder –er war allein, als er seine perlengleiche Seele

495 aus dem kühnen Leibdurch goldene Spangen aufgab.

148 Da wurden alle Stimmen betrübt,die Freude erstarb,und in Grodno erklangen die Hörner.

VIII. REPROACH TO YAROSLÁV VSÉVOLODIČ AND THE PRINCES.

149 Jaroslaw und ihr Wseslawenkel alle,501 haltet eure Fahnen gesenkt,

die schartigen Schwerter steckt in die Scheiden!150 Gründlich habt ihr den Ruhm eurer Väter vertan:

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151 Habt ihr doch in euren Bruderfehden begonnen,505 die Heiden zu ziehen

in das russische Land,in das Erbe Wseslaws.

152 Es war euer Zwist, der die Züchtigung riefaus dem Land der Polowzer!

IX. REMINISCENCES.

(1) OF VSÉSLAV BRYÁČISLAVIČ. Vseslav, il principe stregone

153 Im siebenten Zeitalter Trojans511 warf Wseslaw das Los

um die fungfrau, die er begehrte.154 Mit List schwang er sich auf Pferde

und sprengte bis zur Stadt Kiew.515 Mit dem Lanzenschaft rührte er an

den goldnen Thron Kiews.155 Er rannte davon als ein wildes Tier

aus Belgorod um Mitternacht,in einen blauen Nebel gehüllt.

156 Dreimal erschnappte er sich einen Glücksbrocken;521 Er brach die Tore von Nowgorod,

Jaroslaws Ruhm schlug er in Stücke,157 erjagte, ein Wolf,

von Dudutki bis zur Nemiga.525 An der Nemiga werden Garben von Köpfen gebreitet,

dort wird gedroschen mit stählernen Flegeln,Menschenleben werden abgelegt auf der Tenne,und beim Worfeln werden Leiber von Seelen geschieden.

158 An den blutigen Ufern der Nemiga530 werden nicht ersprießliche Saaten gesät –

ausgesät wird dort das Gebein von Russensöhnen.159 Fürst Wseslaw saß über das Volk zu Gericht,

die Städte gab er an Fürsten als Lehen,des Nachts aber geisterte er als ein Wolf

535 vorm Hahnschrei von Kiew nach Tmutorokan.Als Wolf kreuzte er den Weg Chors, des großen Gottes;

160 mit den Glocken der heiligen Sophia von Polozkwurde ihm zur Frühmesse geläutet,

und er vernahm den Klang bis Kiew.161 Doch ob auch eines Zauberers Seele im tapferen Leibe war –541 er litt viele Nöte.162 Daher hat Bojan, der weise Seher,

von ihm in seinem alten Spruch gesagt:163 «Weder der Schlaue,545 noch der Geschickte,

noch der wendige Vogelentkommt seinem Schicksal,

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das Gott ihm bestimmt hat.»

(2) OF SAINT VLADÍMIR. Il pianto della terra russa

164 Ach, wehklagen sollte das russische Land,wenn der früheren Zeiten gedacht wird,

550 früherer Fürsten.165 Nichts konnte Wladimir, den Alten,

festnageln an Kiews Bergen.166 Seine Fahnen wurden zu Runks Fahnen,

die übrigen aber zu Feldzeichen Davids.555 In verschiedene Winde zeigen die Fahnentücher,167 da singen die Lanzen.

X. THE LAMENT OF YAROSLÁVNA. Il lamento di Jaroslavna

168 An der Donau hört man die Stimme der Jaroslawtochter,ungesehen gleich dem Kuckuck klagt sie in der Frühe:

169 «Fliegen will ich als Kuckuck die Donau entlang,170 den Ärmel aus Biberfell will ich in die Kajala tauchen171 und das Blut von den Wunden des Fürsten abwischen,562 von seinem mächtigen Leib.»

172 Die Jaroslawtochter klagt in der Frühezu Putiwl auf dem Wall, und so sagt sie:

173 «Wind, mein Wind]566 Warum, du Gewalliger, wehst du so heftig?174 Warum hast du die Pfeile vom Osten

getragen mit deinen leichten Flügelnins Heer meines Liebsten?

175 Genügt es dir nicht, dich in Wolken zu tummeln,571 Schiffe zu wiegen auf blauem Meer?176 Warum, Herr der Lüfte, hast du meine Freude

über das Gras der Steppe verweht?»

177 Die Jaroslawtochter klagt in der Frühe575 zu Putiwl auf der Mauer der Stadt:178 «O du mein Dnjepr, Ruhmentsprungener,

der den Weg sich brach durch die steinernen Bergeim Polowzerland –

179 du hast des Swjatoslaw Boote gewiegt auf dem Weg580 ins Lager des Kobjak.180 Bring, Herr der Wellen, mir meinen Geliebten,

daß ich nicht Tränen der Frühe ihm sendebis an das Meer!»

181 Die Jaroslawtochter klagt in der Frühe585 zu Putiwl auf dem Wall, und so sagt sie:182 «Du helle, dreifach strahlende Sonne,

alle wärmst du, bist für jeden schön –183 warum, Herrin, warfst du sengende Strahlen

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ins Heer des Geliebten?590 In wasserloser Steppe hast du ihnen die Bogen gekrümmt

und ihre Köcher mit Gram verschlossen.»

PART III.

I. ÍGOŔ’S ESCAPE. La fuga del principe Igor’

184 In halber Nacht rauscht das Meer auf,Windwirbel jagen in Nebeln daher –Igor, dem Fürsten, weist Gott einen Weg

595 aus dem Land der Polowzerin das russische Land,zum Goldthron der Väter.

185 Ausgelöscht ist die Abendröte.Igor schläft,

600 Igor hält Wache:Igor durchmißt im Geist die Steppe

vom großen Don bis zum kleinen Donez.186 Um Mitternacht holt Owlurs Pfiff ein Pferd

jenseits des Flusses – dem Fürsten ein Zeichen:605 Fürst Igor braucht nicht länger auszuharren.187 Ein Lärmen,

ein Erbeben der Erde,ein Rauschen im Gras –da begannen sich der Polower Zelte zu regen.

188 Und Igor, der Fürst,611 huschte, ein Hermelin, zum Schilf,

durchschwamm, eine weiße Wildente, das Wasser,189 er warf sich auf ein schnelles Pferd,

sprang ab von ihm, ein schleichender Wolf,190 er jagte zu einer Krümmung des Donez616 und flog, ein Falke, hin unter Wolken,

schlug Gänse und Schwänezum Frühstück,zu Mittag,

619 zum Abendessen.191 Und wenn wie ein Falke Fürst Igor flog,

so rannte Owlur wie ein Wolf,sie streiften den kalten Tau von sich ab.

624 Ihre Pferde aber hatten sie zuschanden geritten.

II. ÍGOŔ SPEAKS WITH THE RIVER DONÉTS. Dialogo del principe Igor’ col fiume Donec

192 Der Donez sprach:193 «Fürst Igor!

Nicht gering ist dein Ruhm,doch groß ist das Ärgernis für Kontschak,

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629 und das Land der Russen freut sich.».194 Und Igor sagte:195 «O Donez!

Nicht gering ist dein Ruhm,der du den Fürsten auf Wellen gewiegt hast,ein grünes Lager aus Gras ihm bereitet

635 an deinen silbernen Ufern,der du ihn zugedeckt hast mit wärmenden Nebeln

unter dem Schatten des grünen Baumes.196 Im Fluß hast du ihn gewarnt durch die weiße Wildente,

durch Möwen auf den Wellen,640 Schwarzenten auf den Winden.

197 Anders verhielt sich, so wird gesagt, die Stugna,die arm ist an Strömung.Nachdem sie fremde Bäche und Kähne verschlungenund nahe der Mündung sich ausgebreitet,

645 gab sie Rostislaw, dem jungen Fürsten,den Weg zum Dnjepr nicht frei.

198 Rostislaws Mutter weint am dunklen Dnjepr-Uferum Rostislaw, den jungen Fürsten.

199 Da welkten alle Blumen in Mitleid,650 die Bäume beugten sich trauernd zur Erde.»

III. THE PURSUIT AFTER ÍGOŔ. Gzak e Končak inseguono il principe Igor’

200 Das sind nicht Elstern, die da schwatzen, –Gsak und Kontschak sind auf Igors Spur!

201 Da krächzten keine Krähen,die Dohlen verstummen,

655 und auch die Elstern schwatzten nicht mehr –202 unterwegs waren nur noch die Schlangen.

Und der Spechte Geklopf weist den Weg zum Fluß,die Nachtigallen begrüßen mit frohen Liedern

659 den Tag, der nun anhebt.203 Gsak spricht zu Kontschak:204 «Entwischt uns in sein Nest der alte Falke,

so werden wir den jungen treffenmit unsern Goldpfeilen.»

205 Kontschak spricht zu Gsak:206 «Entwischt uns in sein Nest der alte Falke,666 so laß uns doch den jungen binden

an ein schönes Mädchen!»207 Doch Gsak spricht zu Kontschak:208 «Auch wenn wir ihn an ein schönes Mädchen binden –670 der junge Falke wird uns nicht bleiben

und nicht das Mädchen:

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ihre Brut würde uns in der Polowzersteppewiederum schlagen.»

IV. REMINISCENCE OF BOYÁN. Ancora una volta, la parola a Bojan

209 Bojan, der Sänger der alten Zeiten,675 hatte für die Zeit Swjatoslaws

und Jaroslawsund des Fürsten Oleg gesagt:

210 «Schwer ist es für dich, Haupt, ohne Schulternund schwer für dich, Leib, zu sein ohne Haupt» –

680 so steht’s auch um dich, Russenland, ohne Igor!

V. IGOŔ’S RETURN TO RUSSIA. Il ritorno del principe Igor’

211 «So wie die Sonne am Himmel leuchtet,leuchtet Fürst Igor auf russischer Erde»,

212 so singen die Mädchen an der Donau,684 Stimmen weben vom Meer bis Kiew.213 Igor reitet über den Boritschew

zur heiligen Gottesmutter Pirogoschtscha.214 Die Länder sind froh, es feiern die Städte.

215 Nachdem wir die alten Fürsten besungen haben,689 wollen wir nun, nach ihnen, die jungen rühmen:216 Ruhm sei für Igor, den Swjatoslawsohn,

den grimmigen Ur Wsewolodund Wladimir, den Igorsohn!

217 Gepriesen seien die Fürsten und ihr Gefolge,die da kämpfen für die Christen

695 wider heidnische Rotten!218 Ruhm komme auf die Fürsten und ihr Gefolge!

Amen.