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22. Jahrgang 2/2009 Volume 22 2/2009 Humanitäres Völkerrecht Informationsschriften ISSN 0937-5414 G 10364 Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht Deutsches Rotes Kreuz Journal of International Law of Peace and Armed Conflict

Human itäresVölkerrecht · 1267 24,1333 25,und1390 26 zumGegenstandhatte.27 InArti- kel2Absatz1diesesStandpunkts–fürdessenUmsetzungin ihre jeweilige einzelstaatliche Politik

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22. Jahrgang2/2009

Volume 222/2009

Humanitäres VölkerrechtInformationsschriften

ISSN 0937-5414G10364

Institut für Friedenssicherungsrechtund Humanitäres Völkerrecht

Deutsches Rotes Kreuz

Journal of International Law of Peace and Armed Conflict

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Herausgeber:

Deutsches Rotes Kreuz e.V., Generalsekretariat, Carstennstraße 58,12205 Berlin-Steglitz, Tel. (0 30) 8 54 04-0, Fax (0 30) 8 54 04-4 50,Internet: www.drk.de

Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht(IFHV), Ruhr-Universität Bochum, 44780 Bochum, Tel. (02 34)32-2 73 66, Fax (02 34) 32-1 42 08, Internet: www.ifhv.de

ISSN 0937-5414Manuskripte: Herausgeber und Redaktion haften nicht für Manuskripte,die unverlangt eingereicht werden. Sie können nur zurückgegeben werden,wenn Rückporto beigefügt ist. Mit der Annahme zur Veröffentlichung über-trägt der Autor den Herausgebern alle Rechte für die Zeit bis zum Ablaufdes Urheberrechts, insbesondere auch die Befugnis zur Einspeicherung ineine Datenbank sowie das Recht der weiteren Vervielfältigung zu gewerb-lichen Zwecken im Wege eines fotomechanischen oder eines anderen Ver-fahrens. Dem Autor verbleibt das Recht, nach Ablauf eines Jahres anderenVerlagen eine einfache Abdruckgenehmigung zu erteilen.

Urheber- und Verlagsrechte: Die in dieser Zeitschrift veröffentlichtenBeiträge sind urheberrechtlich geschützt. Der Rechtsschutz gilt auch ge-genüber Datenbanken und ähnlichen Einrichtungen. Alle Rechte, insbe-sondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, bleiben vorbehalten. KeinTeil dieser Zeitschrift darf ohne schriftliche Genehmigung der Herausgeberin irgendeiner Form – durch Fotokopie, Mikrofilm oder andere Verfahren –reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbei-tungsanlagen, verwendbare Sprache übertragen werden. Auch die Rechteder Wiedergabe durch Vortrag, Funk- oder Fernsehsendung, im Magnet-tonverfahren oder ähnlichemWege bleiben vorbehalten. Fotokopien für denpersönlichen und sonstigen eigenen Gebrauch dürfen nur von einzelnenBeiträgen oder Teilen daraus als Einzelkopien hergestellt werden.

Bezug:

Erscheinungsweise vierteljährlich; Inlands-Abonnementpreis jähr-lich EUR 35,00 (inkl. MwSt. 7% und Porto undVersand);Auslands-Abonnementpreis jährlich EUR 44,50 (inkl. Porto und Versand);Einzelheftpreis Inland: EUR 9,90 (inkl. MwSt. 7%, zzgl. Porto undVersand EUR 1,28); Einzelheftpreis Ausland: EUR 22,75 (inkl.Porto, Versand und Bankgebühren).

Bestellungen unter DRK-Service GmbH, Geschäftsbereich Verlag,Berliner Straße 83, 13189 Berlin, Tel. (0 30) 47 90 04-50,Fax (0 30) 47 90 04-54, E-Mail: [email protected]

Das Abonnement kann nur schriftlich mit einer Frist von dreiMonaten zum Jahresende beim Verlag gekündigt werden.

Verlag:

DRK-Service GmbH, Geschäftsbereich Verlag, Berliner Straße 83,13189 Berlin, Tel. (0 30) 47 90 04-50, Fax (0 30) 47 90 04-54,E-Mail: [email protected]

Druck:

Mediengruppe UNIVERSAL, Kirschstraße 16, 80999 München,Tel. (0 89) 54 82 17-0, Fax (0 89) 55 55 51, Internet:www.universalmedien.de

Redaktion:

Verantwortlicher Redakteur: PD Dr. Hans-Joachim HeintzeDr. Math Noortmann, LL.M., MSc und Heike Montag, Bochum

Ständige Mitarbeiter:

Dr. Cristina Churruca Muguruza, Bilbao/Spanien; Prof. Dr. Den-nis T.G. Dijkzeul, Bochum; Prof. Dr. Wolff Heintschel v. Heinegg,Frankfurt (Oder); Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Knut Ipsen, Bochum;Prof. Dr. Claus Kreß LL.M., Köln; Prof. Dr. Thilo Marauhn,Gießen; Dr. Sven Peterke M.A., Brasilia/Brasilien; Dr. MichaelaSchneider, Bochum; Gregor Schotten, Berlin; Dr. Heike Spieker,Berlin; Prof. Dr. Joachim Wolf, Bochum; Dr. Messeletch WorkuLL.M., Bochum

Korrespondierende Mitarbeiter:

Dr. Knut Dörmann, Genf; Dr. Robert Heinsch LL.M.,Berlin; Dr. Avril J.M. McDonald M.A., LL.M., Den Haag;Dr. Sascha Rolf Lüder, Hagen

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Editorial 66

Das Thema / TopicDie „Schwarze Liste“ des Al-Qaida/Taliban AusschussesKonzept, Umsetzung, DefiziteMichael Allmendinger / Björn Hofmann 68International oder nicht-international? –Die Konfliktqualifikation in der Lubanga-Entscheidungdes IStGHStephan Weber 75

Beiträge / Notes and CommentsArtikel / ArticlesBlue Helmets and international humanitarian law:how they come togetherJoana Abrisketa 85

Panorama / PanoramaDas Kolumbianische „Ley de Justicia y Paz“ –Wendepunkt oder Fallstrick?Caroline Görzig / Katrin Planta 94

Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften (HuV-I)

Journal of International Law of Peace and Armed Conflict (JILPAC)

22. Jahrgang2/2009

Volume 222/2009

Konferenzen / ConferencesDer Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in derPraxis – Kurztagung 2009 der Deutschen Sektionder Internationalen Juristenkommission e.V.,Berlin 13. März 2009Christine Dechmann 10019. Tagung zum Humanitären Völkerrecht inBad Mergentheim vom 27.–28. März 2009– „Völkergewohnheitsrecht, das ungeschriebeneVölkerrecht“ –Heike Montag 104“Shari’a Law and Military Operations Seminar”NATO School, 15 - 19 December 2008Frederic Ischebeck-Baum 105Seminar “Legal Dimensions of Maritime Operations”16. bis 20. März 2009Elisabeth Gawrych / Torsten Grapatin /Carolin Marx / Christina Schröder 108

Buchbesprechungen / Book ReviewsBuchankündigungen 110Frauke Valeska Pfarr, Post-Conflict: Wiederherstellungvon Staatlichkeit, Völkerrechtliche Aspekte desNationbuilding in AfghanistanSimone Kumor 111Phil Shiner and AndrewWilliams, The Iraq Warand International LawJan P. P. Ganschow 113

65Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften / Journal of International Law of Peace and Armed Conflict

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Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften / Journal of International Law of Peace and Armed Conflict 67

Editorial

Während der Fertigstellung dieser Ausgabe der „Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften“ sah sich die Welt erneut

mit einer humanitären Katastrophe in Sri Lanka konfrontiert. Zeitgleich mit der Verkündung des Sieges über die Tamil Tigers

durch den Präsidenten von Sri Lanka, Mahinda Rajapaksa, trafen Berichte über die große Zahl von Opfern, Flüchtlingen und

fehlender humanitärer Versorgung ein. Das Internationale Rote Kreuz sprach von einer „unimaginable humanitarian catastro-

phe“. Dennoch weigerte sich die Regierung Sri Lankas humanitären Organisationen den Zugang zur hilfsbedürftigen Zivil-

bevölkerung zu gewähren. Selbst UN-Generalsekretär Ban Ki-moon vermochte es nicht, den Präsidenten Sri Lankas und seine

Regierung von der Notwendigkeit internationaler humanitärer Hilfe zu überzeugen.

Angesichts dieser Konstellation stellte sich einmal mehr die Frage, welche Macht das humanitäre Völkerrecht, die huma-

nitären Prinzipien der NGOs und die Völkergemeinschaft haben. Welche Bedeutung kommt UN-Resolutionen, dem Interna-

tionalen Strafgerichtshof oder dem Verhalten der UN-Blauhelme zu? Dazu äußern sich in dieser Ausgabe der HuV-I Michael

Allmendinger, Björn Hofmann, StephanWeber und Joana Abrisketa.Weiterhin wird der Beitrag von Tagungen über das huma-

nitäre Völkergewohnheitsrecht, „Sharia Law“ und „maratime operations“ zur Durchsetzung des Rechtes diskutiert.

Die Autoren kommen durchgängig zu dem Ergebnis, dass die Missachtung von anerkannten humanitären und völkerrecht-

lichen Grundsätzen der Weiterentwicklung der Prinzipien und Regeln des humanitären Völkerrechts nicht im Wege stehen

darf. Diese Weiterentwicklung kann nur durch eine andauernde Diskussion über die Art und Weise von Hilfe, die Verdeut-

lichung derAnwendung von völkerrechtlichen Regeln und die Effektivität von humanitären Einsätzen zustande kommen. Dass

das humanitäre System insgesamt durch die humanitäre Debatte und die humanitären Publikationen – wie die HuV-I – geför-

dert wird, kann nicht geleugnet werden. Gleichzeitig verstärkt die humanitäre Diskussion aber auch die unverletzlichen Basis-

grundsätze des humanitären Völkerrechts. Dank und nicht trotz dieser humanitären Debatte können die anti-humanitären

Beschlüsse der Regierung von Sri Lanka in der Öffentlichkeit diskutiert und kritisiert werden.

Im letzten Jahr hat die UN dem Sri Lankan peacekeeper Lance Corporal A. Jayhanta postum die Dag-Hammarskjöld-Medail-

le verliehen. Die Regierung von Sri Lanka ließ seinerzeit verlautbaren, dass die Teilnahme Sri Lankas an den Friedensmissio-

nen der UN eine Manifestation „of Sri Lanka’s solidarity with the international community and determination to shoulder

international responsibilities“ sei.

Internationale Verantwortlichkeit zeichnet sich nicht nur durch die Teilnahme an UN-Friedensmissionen aus. Es gehört mehr

dazu, wie in dieser Ausgabe der HuV-I verdeutlicht wird. Die Frage von Joana Abrisketa „Blue Helmets and international

Humanitarian Law: how they come together“ könnte sich direkt auf die Position von Sri Lanka beziehen. Ebenso der Artikel

von Stephan Weber, wenn man bedenkt, dass Sri Lanka noch immer nicht dem IStGH beigetreten ist.

Math Noortman, Redaktionsmitglied

Wir möchten Sie auf unsere neue Rubrik „Buchankündigungen“ aufmerksam machen, in der wir Ihnen Neuerscheinungen

vorstellen.

Die Redaktion schließt diesen redaktionellen Auftakt mit dem Hinweis, dass die Inhalte der Beiträge nicht zwangsweise die

Meinung der Redaktion widerspiegeln. Nun hoffen wir, dass sich Information und Lesevergnügen auch in dieser Ausgabe der

HuV-I verbinden und wünschen Ihnen interessante Einblicke und Freude bei der Lektüre.

Ihre HuV-I Redaktion

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Thema

Die „Schwarze Liste“ des Al-Qaida/Taliban Ausschusses nachdem „Kadi-Urteil“Michael Allmendinger / Björn Hofmann*

In its “Kadi decision” as of 3 September 2008 the European Court of Justice (ECJ) ruled out that EC-Regulations implement-ing decisions by the Security Council are fully revisable by the courts of the European Community in order to ensure improvedhuman rights protection for terror suspects. This article examines possible implications of this decision on the efficiency andfunctionality of the UN peace securing system in general and in particular on the Security Council’s smart sanctions system.For that purpose the legal foundation of the “Consolidated List with respect to Al-Qaida, Usama bin Laden, and the Taliban”,the contemporary guidelines for listing and de-listing, the European and German implementing procedures as well as the crit-icism passed on it will come under closer scrutiny. After summarizing the legal problems underlaying the decision a compre-hensive assessment of the expected implications of the “Kadi decision” will be given and contrasted with recommendationsput forward in the final statement.

Im sogenannten „Kadi-Urteil“ vom 3. September 2008 entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH), dass auch EG-Ver-ordnungen, die Beschlüsse des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen umsetzen, durch die Gemeinschaftsgerichte überprüf-bar sind, um den Menschenrechtsschutz von Terrorverdächtigen zu stärken. Gegenstand des vorliegenden Aufsatzes ist dieUntersuchung der Folgewirkungen dieses Urteils für die Effizienz und die Funktionalität des Friedenssicherungssystems derVereinten Nationen imAllgemeinen und der Individualsanktionen im Besonderen. Zu diesem Zweck werden anhand der kon-solidierten Liste des Al-Qaida/Taliban Ausschusses dessen Rechtsgrundlage, das gegenwärtige Verfahren der Listung undStreichung, die europäische und deutsche Umsetzungspraxis sowie die daran geäußerte Kritik näher untersucht. Auf die Dar-stellung der dem Urteil zugrunde liegenden Rechtsprobleme erfolgt eine umfassende Bewertung der zu erwartenden Auswir-kungen des „Kadi-Urteils“, denen in der Schlussbetrachtung alternative Handlungsvorschläge gegenübergestellt werden.

1. Einleitung

Die Verhängung von Individualsanktionen zusammen mitder Listung von verdächtigen Personen und Unternehmengilt als effektives Mittel zur Bekämpfung des internationalenTerrorismus und erfreut sich in der Praxis des Sicherheitsratsder Vereinten Nationen großer Beliebtheit.1 Im Unterschiedzu herkömmlichen Sanktionen können diese sogenannten„intelligenten“ Sanktionen2 zielgerichtet gegenüber be-stimmten Einzelpersonen oder Unternehmen verhängt wer-den. Jedoch hat diese Praxis auch zur Folge, dass der Einzel-ne durch die Listung unmittelbarer Adressat einer bindendenEntscheidung des Sicherheitsrats wird. Dies zusammen mitder Konzeption des Sanktionsregimes und der Organstrukturder Vereinten Nationen warf bereits sehr früh die Frage nachder Beachtung der Verfahrensrechte der Betroffenen auf. Be-sonders das Fehlen eines effektiven Rechtsschutzmechanis-mus für betroffene Personen wurde in diesem Zusammen-hang heftig kritisiert.

Nunmehr hat der EuGH im September 2008 in seinem vielbeachteten „Kadi-Urteil“ entschieden3, dass auf Grund die-ser Defizite die zur Umsetzung des Sanktionsregimes ergan-gene europäische Umsetzungsverordnung nichtig sei. Frag-lich ist nun, wie dieses Urteil zu bewerten ist. Ist dies einweiterer Meilenstein für den internationalen Menschen-rechtsschutz oder möglicherweise eine Gefahr für die inter-nationale Sicherheitsarchitektur der Vereinten Nationen?

* Dr. Michael Allmendinger und Dr. Björn Hofmann sind Rechtsanwälte inStuttgart und Freiburg.

1 Vgl. dazu UN Doc. S/Res/1132 v. 8. Oktober 1997; S/Res/1171 v. 5. Juni1998; S/Res/1267 v. 15. Oktober 1999; S/Res/1333 v. 19. Dezember2000; S/Res/1390 v. 28. Januar 2002; S/Res/1455 v. 17. Januar 2003;S/Res/1483 v. 22. Mai 2003; S/Res/1493 v. 28. Juli 2003; S/Res/1521v. 22. Dezember 2003; S/Res/1526 v. 30. Januar 2004; S/Res/1532 v.12. März 2004; S/Res/1533 v. 12. März 2004; S/Res/1584 v. 1. Februar2005; S/Res/1591 v. 29. März 2005; S/Res/1596 v. 3. Mai 2005; S/Res/1617 v. 29. Juli 2005; S/Res/1636 v. 31. Oktober 2005; S/Res/1649 v.21. Dezember 2005; S/Res/1698 v. 31. Juli 2006; S/Res/1718 v. 14. Okto-ber 2006; S/Res/1727 v. 15. Dezember 2006; S/Res/1735 v. 22. Dezem-ber 2006; S/Res/1737 v. 27. Dezember 2006; S/Res/1747 v. 24. März2007; S/Res/1805 v. 20. März 2008.

2 Diese „intelligenten Sanktionen“ („smart sanctions“) zeichnen sich da-durch aus, dass sie nicht wie herkömmliche Sanktionen gegen einen Staatgerichtet sind, sondern einen individuellen Adressatenkreis haben, wo-durch die Sanktion zielgerichteter wirken kann (S. Bartelt / H. Zeitler, In-telligente Sanktionen zur Terrorismusbekämpfung in der EU, in: EuZW23 (2003), S. 712). Sie werden gemeinhin als Fortschritt gegenüber denklassischen Sanktionen und als effektives Mittel zur Bekämpfung desTerrorismus angesehen (vgl. dazu die Stellungnahmen im Rahmen derDebatte im Sicherheitsrat zum Thema „Strengthening international law:rule of law and maintenance of international peace and security“ am22. Juni 2006 von Japan (UN Doc. S/PV.5474, Report of the 5474thMeeting of the Security Council am 22 Juni 2006, S. 13), USA (id.,S. 14), Frankreich (id., S. 18), Ghana (id., S. 25), Kongo (id., S. 28) undder EU (id., S. 33), Kanada (UN Doc. S/PV.5474 (Resumption 1), Reportof the 5474th Meeting of the Security Council am 22 Juni 2006, S. 8) unddem Sicherheitsrat selbst (UN Doc. S/PRST/2006/28, Statement by thePresident of the Security Council vom 22. Juni 2006)).

3 Dabei handelte es sich um die verbundenen Rechtssachen Kadi v. Coun-cil and Commission (Az. C-402/05) und Yusuf and Al Barakaat Interna-tional Foundation v. Council and Commission (Az. C-415/05), EuR 1(2009), S. 80.

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Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften / Journal of International Law of Peace and Armed Conflict 69

Zur Beantwortung dieser Frage ist es zunächst erforderlich,die besondere Menschenrechtsproblematik der Sanktions-regime exemplarisch anhand der konsolidierten Liste des Al-Qaida/TalibanAusschusses darzustellen. Dazu wird zunächstdie Rechtsgrundlage (2.) und das gegenwärtigeVerfahren derListung und Streichung (3.) in diesem Unterausschuss desSicherheitsrats erläutert. Anschließend wird eine Übersichtüber die entsprechenden Umsetzungsmaßnahmen auf supra-nationaler und nationaler Ebene gegeben (4.), wobei derSchwerpunkt auf der Europäischen Union und Deutschlandliegt. Es folgt eine Darstellung der Kritik, die bereits vor dem„Kadi-Urteil“ am Sanktionsregime des Al-Qaida/TalibanAusschusses geäußert wurde (5.). Daran schließt sich einekurze Darstellung des „Kadi-Urteils“ und der zugrunde lie-genden rechtlichen Implikationen an (6.). Schließlich soll ineiner Bewertung (7.) der Frage nach den praktischen Folgendes „Kadi-Urteils“ für das Friedenssicherungssystem derVereinten Nationen imAllgemeinen und den Individualsank-tionen im Besonderen nachgegangen werden.

2. Rechtsgrundlagen

Grundlage des Sanktionsregimes des Al-Qaida/TalibanAusschusses ist die Resolution des Sicherheitsrats 1267 vom15. Oktober 1999.4 Kernpunkt dieser nach Kapitel VII derUN-Charta verabschiedeten und damit für alle Mitgliedstaa-ten verbindlichen Resolution5 ist die Verpflichtung, „Gelderund andere Finanzmittel, einschließlich Gelder, die aus Ver-mögenswerten stammen oder erzeugt wurden, die den Tali-ban gehören oder direkt oder indirekt ihrer Verfügungsge-walt oder der eines Unternehmens im Eigentum oder unterder Kontrolle der Taliban unterstehen“ einzufrieren undsicherzustellen.6 Im Laufe der Zeit und insbesondere unterdem Eindruck der Terroranschläge vom 11. September 2001wurde dieses Sanktionsregime mehrmals modifiziert und an-gepasst.7 Heute erfasst das Sanktionsregime alle natürlichenund juristischen Personen, die Verbindungen zu Al-Qaida,Osama bin Laden oder den Taliban haben, und verpflichtetdie Mitgliedstaaten Gelder und andere finanzielle Vermö-genswerte oder wirtschaftliche Ressourcen dieser Personenunverzüglich einzufrieren, die Einreise dieser Personen inoder ihre Durchreise durch ihr Hoheitsgebiet zu verhindern,sowie zu verhindern, dass diesen Personen Rüstungsgüterund sonstiges Wehrmaterial jeder Art sowie Hilfe oder Aus-bildung hinsichtlich militärischer Aktivitäten auf direktemoder indirektemWeg geliefert, verkauft oder übertragen wer-den.

Zudem wurde mit der Resolution des Sicherheitsrats 1267vom 15. Oktober 1999 der sogenannte Al-Qaida/Taliban-Sanktionsausschuss8 eingerichtet. Dabei handelt es sich umeinen Unterausschuss des Sicherheitsrats gemäß Artikel 29UN-Charta9, der sich ausVertretern aller fünfzehn Mitgliederdes Sicherheitsrats zusammensetzt. Dieser Unterausschussüberwacht einerseits die Umsetzung des Sanktionsregimesdurch die Mitgliedstaaten. Andererseits führt er auch dieListe der natürlichen und juristischen Personen mit Verbin-dungen zu Al-Qaida, Osama bin Laden oder den Taliban; erentscheidet über Ergänzungen dieser Liste oder die Strei-chung einzelner Personen.10 Im Jahr 2008 wurden insgesamt

31 natürliche Personen und eine juristische Person der Listehinzugefügt,11 sodass zum Ende des Jahres 2008 die Listeinsgesamt 507 natürliche und juristische Personen enthielt.12

3. Verfahren

Grundlage der Listung einer Person durch den Ausschusssind Eingaben der Mitgliedstaaten.13 Dabei ist für eine derar-tige Eingabe weder erforderlich, dass die betreffende Personbereits strafrechtlich verurteilt wurde, noch dass überhauptein Strafverfahren gegen diese Person eröffnet wurde.14 Inso-fern sind die Mitgliedstaaten frei darin, welchen Grad anVerdacht sie für einen Listungsantrag voraussetzen. Sie sol-

Topic

4 UN Doc. S/Res/1267 v. 15. Oktober 1999.5 J. Delbrück, Article 25 in: B. Simma u.a., The Charter of the UnitedNations: A Commentary, Vol. 2, 2. Aufl. 2002, Rn. 8 ff.

6 Daneben wurde den Mitgliedstaaten noch die Verpflichtung auferlegt,näher bezeichnete Luftfahrzeuge, die sich im Eigentum der Taliban befin-den oder von diesen oder in deren Namen angemietet oder betrieben wer-den, die Erlaubnis zum Start oder zur Landung in ihrem Hoheitsgebiet zuverweigern.

7 Vgl. dazu UN Doc. S/Res/1333 v. 19. Dezember 2000; S/Res/1390 v.28. Januar 2002; S/Res/1455 v. 17. Januar 2003; S/Res/1526 v. 30. Januar2004; S/Res/1617 v. 29. Juli 2005 und S/Res/1735 v. 22. Dezember 2006;S/Res/1822 v. 30. Juni 2008.

8 Security Council Committee established pursuant to resolution 1267(1999) concerning Al-Qaida and the Taliban and Associated Individualsand Entities, unter: vgl. http://www.un.org/sc/committees/1267/index.shtml. (am 16. Mai 2009).

9 In Bezug auf die Bekämpfung des Terrorismus hat der Sicherheitsrat ins-gesamt drei Unterausschüsse eingerichtet: den Al-Qaida/Taliban Aus-schuss (vgl. UN Doc. S/Res/1267 v. 15. Oktober 1999), den Antiterroris-musausschuss (vgl. UN Doc. S/Res/1373 v. 28. September 2001) und denAntiproliferationsausschuss (vgl. UN Doc. S/Res/1540 v. 28.April 2004).

10 Die konsolidierte Liste kann unter http://www.un.org/sc/committees/1267/consolist.shtml. (am 16. Mai 2009) abgerufen werden. Darü-ber hinaus findet sich die Liste auch auf der Seite von Interpol(unter: http://www.interpol.int/Public/NoticesUN/Search/Recent.asp. (am16. Mai 2009)), nachdem im Jahre 2005 auf Wunsch des Sicherheits-rats die so genannte „INTERPOL-United Nations Special Notice“ ein-geführt wurde (vgl. Resolution No AG-2005-RES-05 der Generalver-sammlung von INTERPOL). Die europäische Liste findet sich unterhttp://ec.europa.eu/external_relations/cfsp/sanctions/list/consol-list.htm.(am 16. Mai 2009).

11 Darunter auch die zwischenzeitlich vor dem Staatsschutzsenat desOberlandesgerichts Düsseldorf u.a. wegen Mitgliedschaft in einer terro-ristischen Vereinigung und Vorbereitung eines Sprengstoffverbrechensangeklagten und als Sauerlandgruppe bekannten Fritz Martin Gelowicz,Daniel Martin Schneider und Adem Yilmaz (vgl. Pressemitteilung desSicherheitsrats UN Doc. SC/9484 v. 28. Oktober 2008).

12 UN Doc. S/2008/848 v. 31. December 2008, Annex: Report of the Secu-rity Council Committee established pursuant to resolution 1267 (1999)concerning Al-Qaida and the Taliban and associated individuals andentities, S. 3, Ziff. 6.

13 Über die Listung einer Person oder die Ergänzung eines bereits vorhande-nen Eintrags entscheidet der Ausschuss durch einstimmigen Beschluss(vgl. Guidelines of the Committee for the Conduct of its Work, adoptedon 7 November 2002, as amended on 10 April 2003, 21 December 2005,29 November 2006, 12 February 2007 and 9 December 2008, Ziff. 3 (a),unter: http://www.un.org/sc/committees/1267/pdf/1267_guidelines.pdf.(am 16. Mai 2009)).

14 Vgl. Guidelines of the Committee for the Conduct of its Work, adoptedon 7 November 2002, as amended on 10 April 2003, 21 December 2005,29 November 2006, 12 February 2007 and 9 December 2008, Ziff. 6 (d).Begründet wird dies mit dem bloß präventiven Charakter der Listung undden sich daraus ergebenden Folgen.

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Die in Artikel 2 Absatz 2 und Artikel 3 des gemeinsamenStandpunkts angekündigten Maßnahmen der EuropäischenGemeinschaft wurden durch die Verordnung des RatesNr. 881/200228 umgesetzt. Mit dieser auf Artikel 60, 301 und308 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemein-schaften gestützten Verordnung übernimmt die EuropäischeGemeinschaft die Liste des Sanktionsausschusses desSicherheitsrats der Vereinten Nationen in Anhang I der Ver-ordnung und bestimmt in Artikel 2 Absatz 1 der Verordnungdas Einfrieren „alle[r] Gelder und wirtschaftlichen Ressour-cen, die einer vom Sanktionsausschuss benannten und inAnhang I aufgeführten natürlichen oder juristischen Person,Gruppe oder Organisation gehören oder in deren Eigentumstehen oder von ihr verwahrt werden“.

Diese Verordnung der Europäischen Gemeinschaft und diedarin enthaltenen Verbote entfalten gemäß Artikel 249 Ab-satz 2 EG Vertrag unmittelbare Geltung in allen Mitglied-

2/200970

len lediglich in einem sogenannten „Statement of Case“15

ihren Listungsantrag näher begründen und Art und Umfangder verfügbaren Beweise gegen die entsprechende Persondarlegen.16

Eine gelistete Person hat zwei Möglichkeiten, die Streichungihrer Eintragung zu beantragen. Einerseits kann sich diebetroffene Person an ihren Wohnsitz- bzw. Heimatstaat wen-den, der – nach entsprechender Prüfung des Begehrens –wiederum einen Antrag auf Streichung beim Ausschuss stel-len kann.17 Andererseits besteht auch die Möglichkeit, dasssich betroffene Personen direkt an den sogenannten „FocalPoint“ beim Sekretariat der Vereinten Nationen wenden,18

um dort unmittelbar einenAntrag auf Streichung zu stellen.19

In beiden Fällen entscheidet der Ausschuss bzw. der Sicher-heitsrat selbst durch einstimmigen Beschluss über denAntrag auf Streichung. Dabei kann unter anderem berück-sichtigt werden, ob die betreffende Person auf Grund einerVerwechslung auf die Liste gesetzt wurde oder die Voraus-setzungen für eine Listung nicht mehr erfüllt. Letzteres sollinsbesondere dann der Fall sein, wenn die Person verstorbenist oder nachgewiesen wurde, dass sämtliche Verbindungendieser Person zu den Taliban, zuAl-Qaida, zu Osama bin La-den oder anderen gelisteten Personen abgebrochen wurden.20

4. Umsetzung

Die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen sind zur Um-setzung der Sanktionsmaßnahmen des Al-Qaida/TalibanAusschusses des Sicherheitsrats verpflichtet, da dessen Be-schlüsse ebenso bindend sind wie die Entscheidungen desSicherheitsrats selbst.21 Im Hinblick auf Deutschland und dieübrigen Mitgliedstaaten der europäischen Union wurden dieentsprechenden Resolutionen des Sicherheitsrats überwie-gend auf europäischer Ebene umgesetzt.22

Der Rat der Europäischen Union verabschiedete am 27. Mai2002 einen gemeinsamen Standpunkt23, der die Umsetzungdes Sanktionsregimes der Resolutionen des Sicherheitsrats126724, 133325, und 139026 zum Gegenstand hatte.27 In Arti-kel 2Absatz 1 dieses Standpunkts – für dessen Umsetzung inihre jeweilige einzelstaatliche Politik die Mitgliedstaatengemäß Artikel 15 EU Vertrag Sorge zu tragen haben – wirddie Weitergabe von Rüstungsgütern jeglicher Art an die Tali-ban, Osama bin Laden oder andere Mitglieder Al-Qaidassowie andere gelistete Personen, Gruppen, Unternehmen undEinrichtungen verboten. Darüber hinaus enthält dieser ge-meinsame Standpunkt die Ankündigung, dass die Europä-ische Gemeinschaft im Rahmen ihrer Kompetenzen weitereSchritte ergreifen wird, um die Umsetzung des Sanktions-regimes zu gewährleisten. Dies beinhaltet die Verhinderungder Lieferung oder Weitergabe von technischer Beratung,Hilfe oder Ausbildung im Zusammenhang mit militärischenTätigkeiten an gelistete Personen (Artikel 2 Absatz 2) sowiedas Einfrieren von Geldern und sonstigen Vermögenswertenvon gelisteten Personen (Artikel 3). Letztlich werden dieMitgliedstaaten auch aufgefordert, die erforderlichen Maß-nahmen zu ergreifen, um gelisteten Personen die Einreise inbzw. die Durchreise durch die Hoheitsgebiete der Mitglied-staaten zu verweigern (Artikel 4).

Thema

15 Das Erfordernis eines „statement of case“ wurde mit S/Res/1617 einge-führt (vgl. UN Doc. S/Res/1617 v. 29. Juli 2005, Ziff. 4). Zuvor waren dieMitgliedstaaten lediglich aufgefordert, ihrem Listungsantrag entspre-chende Hintergrundinformationen – sofern möglich – beizulegen (vgl.UN Doc. S/Res/1526 v. 30. Januar 2004, Ziff. 17).

16 Vgl. dazu auch Guidelines of the Committee for the Conduct of its Work,a.a.O. (Fn. 14), Ziff. 6 (d).

17 Vgl. zum Verfahren Guidelines of the Committee for the Conduct of itsWork, id., Ziff. 7 (b).

18 Mit UN Doc. S/Res/1730 v. 19. Dezember 2006, Ziff. 1 wurde der Gene-ralsekretär aufgefordert, innerhalb des Sekretariats einen „Focal Point“einzurichten. Ziel dieser Maßnahme war es, Privatpersonen und Unter-nehmen die Möglichkeit zu geben, sich unmittelbar und selbst um eineStreichung von der Liste zu bemühen. Mit Schreiben vom 29. März 2007informierte der Generalsekretär den Vorsitzenden des Sicherheitsratsdarüber, dass der „Focal Point“ innerhalb des Sekretariats eingerichtetwurde und seine Arbeit aufgenommen hat (vgl. UN Doc. S/2007/178v. 30. März 2007).

19 Vgl. zum Verfahren De-Listing procedure, Document annexed to UNDoc. S/Res/1730 v. 19. Dezember 2006; Guidelines of the Committee forthe Conduct of its Work, a.a.O. (Fn. 14), Ziff. 7 (g).

20 Vgl. UN Doc. S/Res/1735 v. 22. Dezember 2006, Ziff. 14. Verfahrens-regeln für die Streichung einer verstorbenen Person enthält UN Doc.SCA/2/06(8) v. 25. April 2006. Demnach muss dem Ausschuss ein offi-zielles, den Tod der Person bestätigendes Dokument vorgelegt werden.Zudem soll der Ausschuss auch darüber informiert werden, ob einRechtsnachfolger des Verstorbenen sich ebenfalls auf der Liste befindet.

21 S. Bartelt / H. Zeitler, a.a.O. (Fn. 2), S. 713. Vgl. für einen Überblick überdie von den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen ergriffenen Maßnah-men zur Umsetzung des Sanktionsregimes auch die gemäß UN Doc.S/Res/1455 v. 17. Januar 2003, Ziff. 6 übermittelten Staatenberichte(unter: http://www.un.org/sc/committees/1267/memstatesreports.shtml.(am 16. Mai 2009)).

22 Vgl. zum Ganzen D. Al-Jumaili, Stationen im Kampf gegen die Terroris-musfinanzierung – NewYork – Brüssel – Berlin, in: NJOZ 4 (2008), S.188.

23 Gemeinsamer Standpunkt des Rates vom 27. Mai 2002 betreffend restrik-tive Maßnahmen gegen Osama bin Laden, Mitglieder der Al-Qaida-Orga-nisation und die Taliban sowie andere mit ihnen verbündeten Personen,Gruppen, Unternehmen und Einrichtungen und zur Aufhebung derGemeinsamen Standpunkte 96/746/GASP, 1999/727/GASP, 2001/154/GASP und 2001/771/GASP, EU Doc. 2002/402/GASP.

24 UN Doc. S/Res/1267 v. 15. Oktober 1999.25 UN Doc. S/Res/1333 v. 19. Dezember 2000.26 UN Doc. S/Res/1390 v. 28. Januar 2002.27 Vgl. für vorangegangene Maßnahmen D. Al-Jumaili, a.a.O. (Fn. 22),S. 197.

28 Verordnung (EG) Nr. 881/2002 des Rates v. 27. Mai 2002; zuletzt geän-dert durch Verordnung (EG) Nr. 1190/2008 der Kommission v. 28. No-vember 2008.

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staaten. Daraus ergibt sich insbesondere die unmittelbareVerpflichtung aller nationalen Kredit- und Finanzdienstleis-tungsinstitute, Gelder und andere Vermögenswerte gelisteterPersonen einzufrieren.29 Zusätzlich besteht in Deutschlanddie Verpflichtung, Geschäftsverbindungen, die ein Kredit-oder Finanzdienstleistungsinstitut mit einer gelisteten Personunterhält, der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsauf-sicht (BaFin)30 anzuzeigen.31

Zur Umsetzung der Reisebeschränkungen wurden die gelis-teten Personen – sofern ausreichende Daten zur eindeutigenIdentifikation vorhanden waren – in das Schengen Informa-tionssystem eingegeben. Dieses Informationssystem ermög-licht den Mitgliedstaaten des Schengener Übereinkommensden Zugriff auf die Daten von im Schengen-Raum gesuchtenPersonen und Sachen und gewährleistet somit die effektiveUmsetzung des den gelisteten Personen auferlegten Ein- undDurchreiseverbots. Zusätzlich hat Deutschland die gelistetenPersonen in die nationale Datenbank der nichteinreisebe-rechtigten Personen aufgenommen, auf die alle deutschenGrenzschutzbehörden Zugriff haben.32

5. Kritik am Regime bis zum „Kadi-Urteil“

Das Sanktionsregime des Al-Qaida/Taliban-Sanktionsaus-schusses war bereits in den Jahren vor dem Erlass des so-genannten „Kadi-Urteils“ des EuGH zunehmend heftigererKritik ausgesetzt. ImMittelpunkt dieser Kritik standen vor al-lem die fehlende Transparenz und die Defizite bei der Beach-tung rechtsstaatlicher Grundsätze im Verfahren der Listungbzw. Streichung. So bescheinigte der Hohe Kommissar fürMenschenrechte dem Sanktionsregime in seinem Bericht ausdem Jahre 200733: “Improvements to the current UnitedNations sanctions regime have been made, however, furtherimprovements are necessary in order to ensure a listingprocess which is transparent, based on clear criteria, and withan appropriate, explicit, and uniformly applied standard ofevidence, as well as an effective, accessible and independentmechanism of review for individuals and concerned States”.34

Auch imRahmen einer offenenDebatte des Sicherheitsrats am22. Juni 2006 zum Thema „Strengthening international law:rule of law and maintenance of international peace and secu-rity“ wurde das Sanktionsregime im Hinblick auf den Men-schenrechtsschutz kritisiert. Der Rechtsberater der VereintenNationen betonte, dass zur Sicherstellung eines transparentenund fairenVerfahrens zumindest gewährleistet werden müsse,dass eine betroffene Person über ihre Listung informiert wird,dass ihr ein Anhörungsrecht eingeräumt wird, dass sie dieÜberprüfung der Listung in einem effektiven Verfahren ver-langen kann und eine solcheÜberprüfung periodisch auch vonAmts wegen durchgeführt wird.35 Auch im weiteren Verlaufder Debatte wurde die Notwendigkeit der Gewährleistungeines fairenVerfahrens und effektiven Rechtsschutzes imHin-blick auf das gegenwärtige Sanktionsregime mehrmals be-tont.36Abschließend erklärte der Präsident des Sicherheitsrats,dass der Rat weiterhin bestrebt sein werde, das Verfahren derListung und Streichung weiter zu verbessern.37

Ebenfalls kritisch hinsichtlich des gegenwärtigen Sanktions-regimes äußerte sich der Berichterstatter der Parlamentari-

schen Versammlung des Europarats. In seinem Berichtbeschrieb er die praktischen Folgen einer Listung undschlussfolgerte: “The UN’s current ‘blacklisting’ procedurenot only violates fundamental rights, by doing flagrant injus-tice to many persons against whom there is no proof of anywrongdoing. It also decredibilises the whole of the interna-tional fight against terrorism, which is badly needed andought to be able to rely on the widest possible support fromthe international community and public opinion”.38 Aucheine vom Rechtsberater der Vereinten Nationen initiierteStudie kommt zu dem Ergebnis, dass die Notwendigkeit derVerbesserung der Rechtsschutzmöglichkeiten für den Einzel-

Topic

29 Aus dem Länderbericht Deutschlands aus dem Jahre 2003 ergibt sich,dass zu diesem Zeitpunkt in Deutschland zehn Konten mit einemGesamtguthaben von € 4.935,75 eingefroren waren (vgl. UN Doc.S/AC.37/2003/(1455)/10, Note Verbale dated 16April 2003 from the Per-manent Mission of Germany to the United Nations addressed to theChairman of the Committee – Annex v. 17. April 2003, S. 10).

30 Die BaFin wurde durch das Gesetz über die Bundesanstalt für Finanz-dienstleistungsaufsicht (FinDAG) v. 22. April 2002 errichtet (vgl. BGBl.I, S. 1310). Gemäß § 4 FinDAG übernahm die neu errichtete Bundesan-stalt die bis dahin dem Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen, demBundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen und dem Bundesauf-sichtsamt für den Wertpapierhandel übertragenen Aufgaben. DerenAufgabe war es zunächst auch, die deutschen Kredit- und Finanzdienst-leistungsinstitute über die gelisteten Personen zu informieren (vgl. UNDoc. S/AC.37/2003/(1455)/10, ibid.). Mit Rundschreiben 3/2006 vom11. April 2006 (vgl. Rundschreiben 3/2006 (GW) – Sicherungsmaßnah-men gegen den Missbrauch zu Zwecken der Terrorismusfinanzierung inKredit- und Finanzdienstleistungsinstituten vom 11. April 2006, unter:http://www.Bafin.de. (am 16. Mai 2009)) hob die BaFin ihre bisher ver-sandten Rundschreiben und die damit verbundenen Listen auf und ver-wies alle Institute auf die im Internet verfügbare aktuelle Fassung derkonsolidierten EU-Sanktionsliste.

31 Vgl. dazu UN Doc. S/AC.37/2003/(1455)/10, id., S. 2.32 Id., S. 12.33 UN Doc. A/HRC/4/88 v. 9. März 2007, Report of the United NationsHigh Commissioner for Human Rights on the protection of human rightsand fundamental freedoms while countering terrorism, Ziff. 31.

34 Insbesondere folgende Punkte werden vom Menschenrechtskommissarim Hinblick auf das Sanktionsregime als bedenklich eingestuft: respectfor due process rights, standards of proof and evidence in listing proce-dures, notification, time period of individual sanctions, remedies (vgl. id.,Ziff. 25). Ein weiterer Punkt, Accessibility, wurde durch die Einführungdes „Focal Point“ (siehe oben unter 2.) aufgegriffen und vom Menschen-rechtskommissar auch begrüßt (vgl. id., Ziff. 28).

35 UN Doc. S/PV.5474, a.a.O. (Fn. 2), S. 5. Diese Punkte waren zuvor vomGeneralsekretär im Annex eines Briefes vom 15. Juni 2006 an den Präsi-denten des Sicherheitsrats übermittelt worden. Der Generalsekretär wardiesbezüglich aktiv geworden, weil er von der Generalversammlung auf-gefordert worden war, den Sicherheitsrat bei der Verbesserung des Lis-tungs- und Streichungsverfahrens zu unterstützen (UN Doc. A/Res/60/1,2005 World Summit Outcome, Ziff. 109).

36 So etwa Großbritannien (vgl. UN Doc. S/PV.5474, id., S. 10), Slowakei(id., S. 12), Japan (id., S. 13), USA (id., S. 14), Peru (id., S. 15), Russland(id., S. 17), Frankreich (id., S. 18), Argentinien (id., S. 20), Qatar (id.,S. 21), Tanzania (id., S. 22), Griechenland (id., S. 24), Ghana (id.,S. 25 f.), China (id., S. 26), Kongo (id., S. 28), Österreich im Namen derEU (id., S. 33), Guatemala (vgl. UN Doc. S/PV.5474 (Resumption 1),a.a.O. (Fn. 2) S. 7), Kanada (id., S. 8), Liechtenstein (id., S. 9), Schweiz(id., S. 10 f.), Irak (id., S. 15), Norwegen (id., S. 18) und Nigeria (id.,S. 19). Venezuela äußerte in diesem Zusammenhang sogar die Ansicht,dass die gegenwärtige Praxis des Sicherheitsrats im Hinblick auf Indivi-dualsanktionen rechtswidrig sei (vgl. id., S. 17).

37 Vgl. UN Doc. S/PRST/2006/28, a.a.O. (Fn. 2).38 AS/Jur (2007) 14, UN Security Council Black Lists, IndroductoryMemorandum v. 19. März 2007, Ziff. 16.

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sind. Eine mittelbare Wirkung ergibt sich allerdings auch aufdie Europäische Gemeinschaft, da sie nach dem Grundsatzder Gemeinschaftstreue die völkerrechtlichen Pflichten derMitgliedstaaten ebenfalls beachten muss.51 Im vorliegendenFall ergab sich daher nun die Frage, inwiefern eine rechtlicheÜberprüfung von Entscheidungen des Sicherheitsrats auf derEbene der Mitgliedstaaten überhaupt möglich ist.

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nen im Hinblick auf das gegenwärtige Sanktionsregime derVereinten Nationen bestehe39; ebenso eine von Schweden,Deutschland und der Schweiz in Auftrag gegebenen Studiezum Sanktionsverfahren40 und der Abschlussbericht einerösterreichischen Veranstaltungsreihe zum Thema „The UNSecurity Council and the Rule of Law“.41 Zudem mehrensich auch im völkerrechtlichen Schrifttum die Stimmen, diedie Rechtsschutzmöglichkeiten der gelisteten Personen fürnicht ausreichend erachten.42

Schließlich wandten sich betroffene Personen auch zuneh-mend auf nationaler oder supranationaler Ebene gegen dieUmsetzungsakte. So wurden Klagen gegen die Umsetzungdes Sanktionsregimes vor Gerichten in Pakistan, in derSchweiz, in der Türkei, in Großbritannien und in den Verei-nigten Staaten von Amerika erhoben.43 Daneben wurden al-lein vor dem EuG insgesamt neun Klagen in Zusammenhangmit der das Sanktionsregime umsetzenden Verordnung erho-ben.44 In vier Fällen hat der EuG bereits entschieden und dieKlagen abgewiesen.45 Gegen all diese Urteile wurdenRechtsmittel zum EuGH eingelegt46, was schließlich zumUrteil im „Kadi-Fall“ geführt hat.

6. Das „Kadi-Urteil“

Die Richter der großen Kammer des EuGH haben in ihremUrteil vom 3. September die europäische Umsetzungs-verordnung im Hinblick auf Herrn Kadi für nichtig erklärt.Dieses Urteil – mit dem den Klägern Kadi und Al BarakaatInternational Foundation erstmals effektiver Rechtsschutzgewährt wurde – erscheint zunächst geradezu zwangsläufig,bedenkt man die bereits erwähnten Defizite im Hinblickauf die Verfahrensrechte gelisteter Personen im Sanktions-regime des Al-Qaida/Taliban Ausschusses.47 Das tatsäch-liche Rechtsproblem, vor dem die Richter standen, war aller-dings nicht die Frage, ob die Verfahrensrechte der Betroffe-nen im Hinblick auf das Sanktionsregime gestärkt werdenmüssten, sondern wie und vor allem durch wen dies sicher-gestellt werden sollte.

Eine solche Stärkung wäre einerseits dadurch erreichbar,dass auf Ebene der Vereinten Nationen, insbesondere demSicherheitsrat und seinem Al-Qaida/Taliban Ausschuss, dieRechte des Einzelnen eine stärkere Berücksichtigung findenund das Verfahren derart gestaltet werden würde, dass esrechtsstaatlichen Ansprüchen genügte.48 Andererseits wäreaber auch denkbar, den Menschenrechtsschutz auf derUmsetzungsebene anzusiedeln und den effektiven Schutzder Verfahrensrechte den nationalen und supranationalenSpruchkörpern zu überlassen – im konkreten Fall des HerrnKadi also den europäischen Richtern. 49 Fraglich war aber zudiesem Zeitpunkt, ob Letzteres rechtlich überhaupt zulässigwäre.

Das Sanktionsregime des Al-Qaida/Taliban Ausschusses hatseine Grundlage in mehreren Resolutionen des Sicherheits-rats.50 Hieraus ergibt sich die völkerrechtliche Verpflichtung,das Sanktionsregime national umzusetzen. Diese Verpflich-tung trifft dabei lediglich die Mitgliedstaaten der Europäi-schen Union, da nur diese Mitglieder der Vereinten Nationen

Thema

39 Vgl. B. Fassbender, Targeted Sanctions and Due Process, unter:http://www.un.org/law/counsel/Fassbender_study.pdf. (am 16.Mai 2009).

40 Vgl.Watson Institute for International Studies, Strengthening Targeted Sanc-tions through Fair and Clear Procedures, unter: http://www.watsoninstitute.org/pub/Strengthening_Targeted_Sanctions.pdf. (am 16. Mai 2009).

41 Vgl. S. Chesterman, The UN Security Council and the Rule ofLaw, unter: http://www.bmeia.gv.at/fileadmin/user_upload/bmeia/media/Vertretungsbehoerden/New_York/Kandidatur_SR/FINAL_Report_-(_The_UN_Security_Council_and_the_Rule_of_Law.pdf. (am 16. Mai 2009).

42 Vgl. etwa H. Aust / N. Naske, Rechtsschutz gegen den UN-Sicherheitsratdurch europäische Gerichte?, in: ZÖR 4 (2006), S. 587; D. Frank, UN-Sanktionen gegen Terrorismus und europäische Menschenrechtskonven-tion in: S. Breitenmooser u.a. (Hrsg.), Human Rights, Democracy and theRule of Law, Baden-Baden 2007, S. 237; S. Schmahl, Effektiver Rechts-schutz gegen targeted sanctions des UN-Sicherheitsrats?, in: EuR 4(2006), S. 566; Ch. Tomuschat, Human Rights: Between Idealism andRealism, 2003, S. 90; C. Warbrick, The European Response to Terrorismin anAge of Human Rights, in: EJIL, 5 (2004), S. 989; K.Wellens, Reme-dies against International Organisations, 2002, S. 89.

43 Vgl. dazu UN Doc. S/2007/677, Letter dated 30 September 2007 from theCoordinator of the Analytical Support and Sanctions Monitoring Teamestablished pursuant to resolution 1526 (2004) addressed to the Chairmanof the Security Council Committee established pursuant to resolution1267 (1999) concerning Al-Qaida and the Taliban and associated individ-uals and entities v. 29. November 2007, Annex 1.

44 Vgl. Yusuf and Al Barakaat International Foundation v. Council andCommission (Az. T-306/01); Kadi v. Council and Commission (Az.T-315/01); Othman v. Council and Commission (Az. T-318/01); Ayadiv. Council (Az. T-253/02); Hassan v. Council and Commission (Az.T-49/04); Al-Faqih v. Council (Az. T-135/06); Sanabel Relief Agencyv. Council (Az. T-136/06); Abdrabbah v. Council (Az. T-137/06); Nasufv. Council (Az. T-138/06).

45 Vgl. Yusuf and Al Barakaat International Foundation v. Council andCommission (Az. T-306/01), Urt. v. 21. September 2005; Kadi v. Counciland Commission (Az. T-315/01), Urt. v. 21. September 2005; Ayadi v.Council (Az. T-253/02), Urt. v. 12. Juli 2006; Hassan v. Council andCommission (Az. T-49/04), Urt. v. 12. Juli 2006. Die Urteile sind imVolltext auf der Homepage des EuGHs verfügbar (vgl. unter:http://curia.europa.eu/de/content/juris/index_form.htm. (am 16.Mai 2009)).

46 Vgl. Kadi v. Council and Commission (Az. C-402/05); Yusuf andAl Barakaat International Foundation v. Council and Commission (Az.C-415/05); Hassan v. Council and Commission (Az. C-399/06); Ayadiv. Council (Az. C-403/06).

47 Siehe oben unter 5.48 Teilweise wurden von den bereits oben unter 5. angeführten Kritikernentsprechende Lösungsvorschläge unterbreitet. Siehe hierzu auch die ent-sprechende Aufbereitung bei P. Schneider / K. Pfeiffer, Die Terrorlisten-praxis verliert vor Gericht, Das EuGH-Urteil und seine Folgen fürdie gezielten Sanktionen der VN, in: Humanitäres Völkerrecht – Informa-tionsschriften 1 (2009), S. 4.

49 Vgl. zum Ganzen M. Bothe, Targeted Sanctions and Due ProcessInitiative, S. 4, unter: http://www.liechtenstein.li/pdf-fl-aussenstelle-newyork-explanatory-memorandum-prof-bothe-delisting-workshop-2007-11-8.pdf. (am 16. Mai 2009).

50 Siehe oben 2.51 Vgl. T. Meerpohl, Individualsanktionen des Sicherheitsrates der Verein-ten Nationen. Das Sanktionsregime gegen die Taliban und Al Qaida vordem Hintergrund des Rechts der VN und der Menschenrechte, München2008, S. 190 f.

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Die Mitgliedstaaten haben ihrer genuinen völkerrechtlichenVerpflichtung entsprochen und das Sanktionsregime desAl-Qaida/Taliban Ausschusses auf europäischer Ebene um-gesetzt.52 Problematisch ist dabei, dass das Sanktionsregimedes Ausschusses den Mitgliedstaaten bei der Umsetzungkein Ermessen einräumt und deshalb jede Überprüfung desUmsetzungsakts auf nationaler bzw. supranationaler Ebeneletztlich eine Überprüfung der Resolution des Sicherheitsratsselbst darstellen würde. Deshalb ist fraglich, inwieweit eineÜberprüfung der europäischen Umsetzungsakte überhauptstattfinden kann. Der EuG hatte hierzu die Auffassung ver-treten, dass „die fraglichen Resolutionen des Sicherheitsratsgrundsätzlich nicht der Kontrolle durch das Gericht unterlie-gen und dass das Gericht nicht berechtigt ist, ihre Recht-mäßigkeit im Hinblick auf das Gemeinschaftsrecht – und seies auch nur inzident – in Frage zu stellen“.53 Dem gegenüberargumentierte der Generalanwalt im Rechtsmittelverfahren,dass die Organe der Europäischen Union auch im Falle derUmsetzung einer nach Kapitel VII der UN-Charta erlassenenResolution an die Gemeinschaftsgrundrechte gebunden sindund die Verletzung dieser Grundrechte vom EuGH überprüftwerden darf.54 Etwas anderes hätte allenfalls dann geltenkönnen, wenn „es auf der Ebene der Vereinten Nationeneinen genuinen und effektiven Mechanismus gerichtlicherKontrolle durch eine unabhängige Instanz“ gegeben hätte.55

Dieser Auffassung sind die Richter des großen Senats desEuGH in ihrer Entscheidung im Ergebnis gefolgt.56 Siegleicht im Kern derjenigen des Bundesverfassungsgerichtsin der Solange I-Entscheidung57, wenngleich sich die Mehr-ebenenproblematik im „Kadi-Fall“ nicht im VerhältnisGemeinschaftsrecht und innerstaatliches Recht, sondern imVerhältnis Völkerrecht und Gemeinschaftsrecht stellt.58

7. Bewertung

Im Folgenden stellt sich nun die Frage, wie dieses Urteil unddie sich daraus ergebenden Konsequenzen zu bewerten sind.Dabei sollen die Ausführungen des EuGH nicht hinsichtlichihrer rechtlichen Richtigkeit bewertet werden. Vielmehr istzu untersuchen, ob, und wenn ja welche praktischen Auswir-kungen das „Kadi-Urteil“ im Hinblick auf die Effizienz undFunktionalität des Friedenssystems der Vereinten Nationenund deren Sanktionsregime hat.

Eine derartige Auswirkung des „Kadi-Urteils“ wäre im Er-gebnis dann nicht gegeben, wenn Mitgliedstaaten der Eu-ropäischen Union auf nationaler Ebene verpflichtet blieben,das Sanktionsregime der Vereinten Nationen umzusetzenund dieser Pflicht auch nachkommen.59 In diesem Zusam-menhang stellt sich die Frage, wie sich die Umsetzungs-pflicht zu anderen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten – seies aus Völkerrecht oder aus nationalem Recht – verhält.60

Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Artikel 103 UN-Chartaim Hinblick auf dasVerhältnis zwischen denVerpflichtungender Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, die sich aus derUN-Charta ergeben, und deren Pflichten aus anderen inter-nationalen Übereinkommen, eine entsprechende Kollisions-vorschrift enthält.61 Demnach hat die UN-Charta Vorrang vorallen anderen vertraglichen Verpflichtungen der Mitglied-staaten.62 Dabei spricht Artikel 103 UN-Charta nicht etwa

nur von den Regelungen der Charta selbst. Vielmehr stelltder Wortlaut ausdrücklich auf „obligations […] under thepresent Charter“ ab. Darunter fallen auch solche Entschei-dungen von Organen der Vereinten Nationen, die für dieMitgliedstaaten verbindlich sind, was jedenfalls für Ent-

Topic

52 Siehe oben unter 4.53 Kadi v. Council and Commission; Urt. v. 21. September 2005, Ziff. 225.54 Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro vom 16. Januar2008 in der Rechtssache C-402/05 P,Yassin Abdullah Kadi gegen Rat derEuropäischen Union und Kommission der Europäischen Gemeinschaf-ten, Ziff. 40. Dieser Schlussantrag ist im Volltext auf der Homepage desEuGHs unter http://curia.europa.eu/de/content/juris/index_form.htm. (am16. Mai 2009) verfügbar). Vgl. dazu auch FAZ v. 17. Januar 2008, S. 1:Anti-Terror-Verordnung der EU rechtswidrig; SZ v. 23. Januar 2008, S. 2:Die Macht des Verdachts.

55 Id., para. 54.56 In Erfüllung der vom EuGH auferlegten Pflicht hat die Europäische Kom-mission die Kläger angehört und anschließend entschieden, dass die Vor-aussetzungen einer Listung nach wie vor vorliegen und die Aufnahme derKläger in die Liste angeordnet (vgl. Verordnung (EG) Nr. 881/2002 desRates v. 27. Mai 2002; zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr.1190/2008 der Kommission v. 28. November 2008.

57 BVerfG, Beschl. v. 29. Mai 1974, BVerfGE 37, 271 ff.: „Solange der In-tegrationsprozess der Gemeinschaft nicht so weit fortgeschritten ist, dassdas Gemeinschaftsrecht auch einen von einem Parlament beschlossenenund in Geltung stehenden formulierten Katalog von Grundrechten ent-hält, der dem Grundrechtskatalog des Grundgesetzes adäquat ist, istnach Einholung der in Art. 234 EG geforderten Entscheidung des Eu-ropäischen Gerichtshofs die Vorlage eines Gerichtes der BundesrepublikDeutschland an das Bundesverfassungsgericht im Normenkontrollverfah-ren zulässig und geboten, wenn das Gericht die für es entscheidungser-hebliche Vorschrift des Gemeinschaftsrechts in der vom EuropäischenGerichtshof gegebenen Auslegung für unanwendbar hält, weil und soweitsie mit einem der Grundrechte des Grundgesetzes kollidiert.“

58 Vgl. dazu auch J.A. Kämmerer, Das Urteil des Europäischen Gerichtshofsim Fall Kadi: Ein Triumph der Rechtsstaatlichkeit?, in: EuR 1 (2009),S. 114.

59 Diese Frage stellt sich freilich nicht nur im Hinblick auf die Mitgliedstaa-ten der Europäischen Union. Vielmehr kann allgemein die Frage gestelltwerden, inwiefern die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen der Umset-zung des Sanktionsregimes andere völkerrechtliche Verpflichtungen odernationales Recht entgegenhalten können.

60 So ergibt sich etwa dieVerpflichtung zur Gewährleistung von rechtlichemGehör und effektivem Rechtsschutz aus Art. 2, Art. 9 und Art. 14 desweltweit von 160 Staaten ratifizierten (Stand: 11. April 2008) Internatio-nalen Pakts für bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember1966, UNTS, Vol. 999, S. 171, BGBl. 1973 II, S. 1533. Auch Art. 5undArt. 6 der von insgesamt 47 europäischen Staaten ratifizierten (Stand:11. April 2008) Europäischen Menschenrechtskonvention vom 4. No-vember 1950 (EMRK), BGBl. 1952 II, S. 686 enthält eine vergleichbareRegelung. Darüber hinaus existieren noch weitere regionale Menschen-rechtsübereinkommen, die entsprechende Regelungen über die Gewähr-leistung rechtlichen Gehörs und effektiven Rechtsschutzes enthalten. Soetwa die American Convention on Human Rights, die African Charter onHuman and Peoples’ Rights und die Arab Charter on Human Rights (vgl.dazu B. Fassbender, a.a.O. (Fn. 39), S. 45 ff.). Auch die AllgemeineErklärung der Menschenrechte garantiert in Art. 8 den Anspruch aufeffektiven Rechtsschutz (vgl. UN Doc. A/Res 217 (III) v. 10. Dezember1948). Diese Erklärung ist aber als Resolution der Generalversammlunggemäß Art. 10 und 14 UN-Charta für die Mitgliedstaaten nicht verbind-lich. Ferner finden sich auch in zahlreichen nationalen Rechtsordnungenentsprechend garantierte Verfahrensgrundrechte (vgl. dazu B. Fassbender,id., S. 45, 49 ff.).

61 Englischer Text: „In the event of a conflict between the obligations of theMembers of the United Nations under the present Charter and theirobligations under any other international agreement, their obligationsunder the present Charter shall prevail.”

62 Vgl. dazu Case Concerning Military and Paramilitary Activities In andAgainst Nicaragua, Nicaragua v. United States (Nicaragua-Fall), Urt. v.26. Juni 1984, ICJ Rep. 1984, S. 392, 440, Ziff. 107.

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tet werden.72 Daher sollte das Ziel der Verbesserung desRechtsschutzes für gelistete Personen deshalb nicht durcheine Suspendierung der Umsetzungsmaßnahmen auf regio-naler Ebene, sondern durch ein konzertiertes Zusammenwir-ken der europäischen Staaten73 auf der Ebene der VereintenNationen verfolgt werden.74

8. Schlussfolgerung

Das Sanktionsregime des Al-Qaida/Taliban Ausschussesweist im Hinblick auf die Beachtung rechtsstaatlicher Ge-sichtspunkte erhebliche Defizite auf. Insbesondere mangeltes derzeit an einem effektiven Rechtsschutzmechanismus fürgelistete Personen auf der Ebene der Vereinten Nationen.Aus diesem Grund sind zahlreiche Verfahren vor nationalenund supranationalen Gerichten anhängig gemacht worden, indenen gelistete Personen die entsprechenden Umsetzungs-akte angreifen. Im prominentesten Verfahren gab der großeSenat des EuGH im September 2008 der Nichtigkeitsklagedes Yassin Abdullah Kadi statt.

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scheidungen nach Kapitel VII der UN-Charta zutrifft.63

Daraus folgt auch, dass die sich aus den Resolutionen desAl-Qaida/Taliban Ausschusses ergebenden Verpflichtungengegenüber jeglicher Verpflichtung aus völkerrechtlichen Ver-trägen vorgehen. Eine Verpflichtung zur Gewährleistung vonVerfahrensrechten bei der Umsetzung des Sanktionsregimeskann sich folglich nicht etwa aus den Menschenrechtspaktenergeben.64 Aus demselben Grund geht die Verpflichtung zurUmsetzung des Sanktionsregimes auch demVertrag über dieEuropäische Union und dem Vertrag zur Gründung der Eu-ropäischen Gemeinschaften und den darin enthaltenen Re-geln zum Schutz der Grundrechte vor.65 Schließlich soll auchnationales (Verfassungs-)Recht hinter den Verpflichtungenaus der UN-Charta zurücktreten.66 Insoweit lehnte auch derSchweizerische Bundesgerichtshof seine Kompetenz zurÜberprüfung mit der Begründung ab, dass die Schweiz andie Resolutionen des Sicherheitsrats gebunden und es ihrdeshalb verwehrt sei, selbstständig über die Weitergeltungvon Sanktionen gegen eine auf der Liste des Sanktionsaus-schusses aufgeführten Person oder Organisation zu entschei-den.67

Problematisch könnte jedoch die Vorbildwirkung des Urteilsdes EuGH sein. So hat etwa der Präsident des Bundesverfas-sungsgerichts – Prof. Dr. Papier – bereits angedeutet, dasseine Übertragung der Solange-Rechtsprechung auf das Sank-tionsregime der Vereinten Nationen nicht ausgeschlossenist.68 Damit würde sich das Bundesverfassungsgericht imErgebnis der Rechtsprechung des EuGH im „Kadi-Urteil“anschließen.

Bereits hieran wird die Wirkung des „Kadi-Urteils“ als Prä-zedenzfall sichtbar. Auch auf Ebene der Nationalstaaten wirddem Schutz der Verfahrensrechte Vorrang vor den vomSicherheitsrat auferlegten völkerrechtlichen Verpflichtungeneingeräumt. Dies allerdings kann erhebliche negative Folge-wirkungen auf das Friedenssystem der Vereinten Nationenhaben, da es die Position des Sicherheitsrats maßgeblichschwächt. Auch wenn dem EuGH im Hinblick auf die Not-wendigkeit der Beachtung rechtsstaatlicher Grundsätze undder Gewährleistung elementarer Verfahrensrechte für geliste-te Personen im Rahmen des Sanktionsregimes zuzustimmenist, so ist doch bei der vorliegenden Mehrebenenproblematikdie besondere Rolle der Vereinten Nationen im Allgemeinenund die Rolle des Sicherheitsrats als Wahrer des Friedensund der internationalen Sicherheit69 im Besonderen zuberücksichtigen. Die Konsequenz der vom EuGH vertrete-nenAnsicht wäre, dass alle Staaten das Sanktionsregime mit-telbar an ihren eigenen Grundrechtsmaßstäben messen dürf-ten.70 Im Ergebnis wäre damit die einheitliche Umsetzungdes Sanktionsregimes gefährdet und das Institut der Indivi-dualsanktion insgesamt in Frage gestellt. Deshalb muss dieverfahrensrechtliche Besserstellung gelisteter Personen nichtauf der Umsetzungsebene, sondern auf der Ebene der Verein-ten Nationen selbst erfolgen.71 Diesbezüglich ergibt sich ausArtikel 307 Absatz 2 EG Vertrag für alle Mitgliedstaaten derEuropäischen Union – besonders aber für die ständigen Mit-glieder des Sicherheitsrats – die Verpflichtung, auf der Ebeneder Vereinten Nationen darauf hinzuwirken, dass grund-legende Prinzipien der Gemeinschaftsrechtsordnung beach-

Thema

63 Vgl. R. Bernhardt, Article 103 in: B. Simma u.a., a.a.O. (Fn. 5), Ziff. 9.Vgl. dazu auch Questions of Interpretation and Application of the 1971Montreal Convention arising from the Aerial Incident at Lockerbie,Libyan Arab Jamahiriya v. United States of America (Lockerbie-Fall),Beschl. v. 14. April 1992, ICJ Rep. 1992, S. 114, 126, Ziff. 42.

64 Vgl. dazu auch das Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts vom14. November 2007, BGE II, 450, 457.

65 Dennoch ist der Generalanwalt in diesem Zusammenhang der Ansicht,dass die Mitgliedstaaten ihre Befugnisse unter Wahrung des Gemein-schaftsrechts ausüben müssten (vgl. Schlussanträge des GeneralanwaltsPoiares Maduro vom 16. Januar 2008 in der Rechtssache C-402/05 P,a.a.O. (Fn. 54), Ziff. 30).

66 Völkerrechtlich ergibt sich aus Art. 27 desWiener Übereinkommens überdas Recht der Verträge vom 23. Mai 1969: BGBl. 1985 II, S. 927; 1155UNTS 331, dass ein Vertragsstaat sich nicht auf innerstaatliches Rechtberufen kann, um die Nichterfüllung einesVertrages zu rechtfertigen. DasSanktionsregime beruht aber auf Resolutionen des Sicherheitsrats, derenVerbindlichkeit für die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen sich ausder UN-Charta ergibt. Folglich kann auch die Umsetzung des Sanktions-regimes des Al-Qaida/Taliban Ausschusses nicht mit dem Hinweis aufinnerstaatliches Recht verweigert werden.

67 Vgl. Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts, a.a.O. (Fn. 64), S. 464.68 Vgl. hierzu das Spiegel-Gespräch mit dem Präsidenten des Bundesverfas-sungsgerichts Hans-Jürgen Papier, in: Der Spiegel 3/2008 v. 14. Januar2008, S. 24. Darin lässt Papier die Frage nach der Zuständigkeit des Bun-desverfassungsgerichts unbeantwortet, verweist aber auf die Solange-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und das Fehlen einesIndividualrechtsschutzes auf Ebene der Vereinten Nationen.

69 Vgl. dazu Art. 24 der Charta der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945:BGBl. 1973 II, 431.

70 Vgl. S. Alber, Kurzbesprechung der Schlussanträge des GeneralanwaltsPoiares Maduro vom 16.1.2008 in der Rechtssache C-402/05 P (Kadi/Ratund Kommission) und vom 23.1.2008 in der Rechtssache C-415/05 (AlBarakaat International Foundation/Rat und Kommission) – Sanktions-beschlüsse der Vereinten Nationen im Spannungsfeld mit Grundrechten,EuZW 6 (2008), S. 164, 165.

71 So auchM. Bothe, a.a.O. (Fn. 49), S. 4.72 Vgl. dazu auch Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro vom16. Januar 2008 in der Rechtssache C-402/05 P, a.a.O. (Fn. 54), Ziff. 32.

73 Auf der Ebene der Vereinten Nationen sind derzeit auch europäischeStaaten außerhalb der Europäischen Union – wie etwa Liechtenstein unddie Schweiz – sehr aktiv im Hinblick auf die Vereinbarkeit des Sanktions-regimes der Vereinten Nationen mit rechtsstaatlichen Grundsätzen.

74 Vgl. dazu auch Ch. Tomuschat, Die EU und ihre völkerrechtlichen Bin-dungen, in: EuGRZ 1 (2007), S. 1.

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Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften / Journal of International Law of Peace and Armed Conflict 75

Dieser Präzedenzfall ist – wenn auch rechtlich nicht angreif-bar – auf Grund seiner negativen Auswirkungen auf dieFunktionalität des internationalen Systems zur Sicherung desFriedens und der Sicherheit nicht unproblematisch. Vorzugs-würdig ist daher die schon vom EuG vertretene Ansicht, dasseine Überprüfung von Umsetzungsakten nicht möglich sei,da dies mittelbar eine Überprüfung der entsprechenden Re-solutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen dar-stellen würde. Der Maßstab einer solchen Überprüfung aufder Ebene der Umsetzung wären die jeweiligen nationalenbzw. supranationalen Grundrechte; das Sanktionsregime wä-re der Disposition der Mitgliedstaaten ausgesetzt und desseneinheitliche Umsetzung damit gefährdet. Diese Entwicklungkönnte von Staaten dazu missbraucht werden, künftige Ent-scheidungen des Sicherheitsrats – auch in anderen Bereichen– nicht umzusetzen. Damit wäre die Autorität des Sicher-heitsrats nachhaltig angegriffen und die effektive Erfüllungder Hauptaufgabe des Sicherheitsrats – die Erhaltung vonFrieden und Sicherheit – insgesamt gefährdet.

Das Problem im Hinblick auf die Gewährleistung effektivenRechtsschutzes für gelistete Personen auf der Ebene der Ver-

einten Nationen liegt im System. Ursprünglich entworfen,um militärische Konflikte zwischen Staaten zu verhindern,trifft der Sicherheitsrat heute mehr und mehr Entscheidun-gen, die legislativen Charakter haben und sich zudem aufEinzelpersonen auswirken. Gleichwohl fehlt es in diesemZusammenhang an einer ausreichenden Ausprägung derJudikativen. Zwar ist der IGH gemäß Artikel 92 UN-ChartaHauptrechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen. Jedochsind gemäß Artikel 34 IGH-Statut75 nur Staaten befugt alsPartei vor dem IGH aufzutreten, nicht aber Individuen. Esbesteht demnach Handlungsbedarf, um die Rechtsschutz-möglichkeiten des Einzelnen weiter zu verbessern. Hierbeisind alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen aufgefor-dert, aktiv und kreativ an der Reform des Sanktionsregimesmitzuarbeiten.76 �

Topic

75 Statut des Internationalen Gerichtshofs vom 26. Juni 1945: BGBl. 1973II, S. 505.

76 Dies gilt im Hinblick auf die europäischen Staaten in besonderem Maßefür die der europäischen Grundrechtsordnung verpflichteten ständigenMitglieder des Sicherheitsrats Großbritannien und Frankreich.

International oder nicht-international? – Die Konfliktqualifikationin der Lubanga-Entscheidung des IStGHStephan Weber*

In its decision of 29 January 2007 on the confirmation of charges in the proceedings against Thomas Lubanga Dyilo, theInternational Criminal Court had the opportunity for the first time to comment on the differentiation between international andnon-international armed conflicts. Given the clear distinction drawn inArticle 8 of the ICC Statute, this differentiation is high-ly important. A closer look at what the ICC has to say in this respect raises various questions concerning the classification ofconflicts. This contribution focuses particularly on the relationship between military occupations and international armed con-flicts and the consequences for the scope of Article 8 of the ICC Statute, which contains two provisions each on internationaland non-international armed conflicts. It shows not only that the ICC’s decision fails to convince with regard to the classifica-tion of the conflict but also that sticking to the differentiation between international and non-international armed conflicts inthe ICC Statute is an obstacle to effective prosecution of war crimes.

In seiner Entscheidung zur Bestätigung der Anklage im Verfahren gegen Thomas Lubanga Dyilo vom 29. Januar 2007 hatteder Internationale Strafgerichtshof zum ersten Mal Gelegenheit, sich zur Differenzierung zwischen internationalen und nicht-internationalen bewaffneten Konflikten zu äußern, der angesichts der strikten Unterscheidung in Artikel 8 IStGH-Statut einehohe Bedeutung zukommt. Eine nähere Betrachtung der diesbezüglichen Ausführungen führt zu verschiedenen Fragen hin-sichtlich der Qualifikation von Konflikten. Dieser Beitrag thematisiert insbesondere das Verhältnis von militärischen Beset-zungen zu internationalen bewaffneten Konflikten und die Bedeutung für den Anwendungsbereich vonArtikel 8 IStGH-Statutmit seinen je zwei Vorschriften für internationale und nicht-internationale bewaffnete Konflikte. Im Ergebnis zeigt sich nichtnur, dass die Entscheidung in Bezug auf die Konfliktqualifikation nicht überzeugen kann, sondern auch dass das Festhalten ander Differenzierung zwischen internationalen und nicht-internationalen bewaffneten Konflikten im IStGH-Statut der effek-tiven Verfolgung von Kriegsverbrechen entgegen steht.

1. Einleitung

Die Demokratische Republik Kongo (nachfolgend: Kongo)ist seit 1998 Schauplatz bewaffneter Auseinandersetzungen,

* Der Autor ist cand. jur. an der Universität zu Köln. Bei diesem Beitraghandelt es sich um eine gekürzte und überarbeitete Fassung einer Arbeit,die im Rahmen eines Schwerpunktseminars bei Prof. Dr. Claus Kreß,LL.M. (Cambridge), Universität zu Köln, vorgelegt wurde.

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grundsätzlichen Überlegungen zu Artikel 8 IStGH-Statutsich aus der Analyse der Entscheidung ergeben.

2. Analyse

2.1 Überblick

Das Ergebnis der Kammer scheint schon insofern fraglich,als von dem bewaffneten Konflikt in Ituri ausgegangenwird,19 ohne zu thematisieren, ob nicht vielmehr ein ge-mischter bewaffneter Konflikt, bestehend aus verschiedenenTeilkonflikten mit möglicherweise unterschiedlichem Cha-rakter,20 vorgelegen haben könnte.

Es wird nicht deutlich, ob die Kammer damit demAnsatz derGesamtbetrachtung einer Situation im Gegensatz zur diffe-renzierten Betrachtung unterschiedlicher Facetten folgt.21

Die Entscheidung ist insoweit nicht eindeutig, als zwareinerseits die Möglichkeit des Bestehens eines bewaffnetenKonflikts, der sowohl internationale als auch nicht-inter-nationale Züge aufweist, erwähnt wird,22 andererseits eine

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die aufgrund ihres Ausmaßes sowie der Brutalität und Inten-sität, mit der sie von einer Vielzahl beteiligter Parteien ge-führt wurden und werden, in ihrer Gesamtheit auch als „Afri-kanischer Weltkrieg“ bezeichnet worden sind. Insbesondereder Einsatz von Kindersoldaten durch viele der involviertenbewaffneten Gruppen stellt ein zentrales Problem dar.

Vor diesem Hintergrund1 ist Thomas Lubanga Dyilo, ehema-liger Kommandant einer der im Kongo agierenden bewaffne-ten Gruppen,2 vor dem Internationalen Strafgerichtshof(IStGH) angeklagt.3 Ihm werden die Zwangsverpflichtungund Eingliederung von Kindern unter 15 Jahren sowie ihreVerwendung zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten4 vor-geworfen.5

Die besondere Bedeutung dieses Verfahrens – die Zeitspricht von der „Geburt der Weltjustiz“6 – liegt nicht nurdarin, dass es sich um das erste Verfahren handelt, welchesam IStGH das Stadium der Hauptverhandlung erreichthat. Vielmehr kennzeichnet die Situation im Kongo eineVielzahl von Faktoren, die für die komplexen Konfliktkon-stellationen moderner bewaffneter Konflikte typisch sind.Damit gewinnt – aufgrund der strikten Differenzierung inArtikel 8 IStGH-Statut7 zwischen Kriegsverbrechen, die ininternationalen, und solchen, die in nicht-internationalenbewaffneten Konflikten verübt wurden –8 die Qualifikationder Situation im Kongo zentrale Bedeutung weit über diesesVerfahren hinaus.

Die Vorverfahrenskammer I des IStGH hat sich bereits inihrer Entscheidung vom 29. Januar 2007,9 mit der sie dieAnklage gegen Thomas Lubanga Dyilo zugelassen hat, da-mit befasst, ob die ihm zur Last gelegten Kriegsverbrechenim Kontext eines internationalen oder eines nicht-internatio-nalen bewaffneten Konflikts begangen wurden.10 Sie kommtdabei abweichend von der Anklage11 zu dem Ergebnis, dasszunächst12 ein internationaler bewaffneter Konflikt13 und imAnschluss14 daran ein nicht-internationaler bewaffneter Kon-flikt bestanden habe.15

Im Mittelpunkt dieses Beitrags steht die Frage, ob diesesErgebnis der Kammer, nachdem erstens mit der Präsenzvon Truppen der Republik Uganda (nachfolgend: Uganda) inIturi eine militärische Besetzung vorgelegen habe,16 womitzweitens der dortige bewaffnete Konflikt bis zum Abzug derletzten Truppen Ugandas am 2. Juni 2003 als internationalanzusehen sei,17 einer näheren Betrachtung standhält. Hierzuwird insbesondere das Verhältnis von militärischen Beset-zungen zu internationalen bewaffneten Konflikten sowie dieBedeutung für denAnwendungsbereich vonArtikel 8 IStGH-Statut mit seinen je zwei Vorschriften für internationale undnicht-internationale bewaffnete Konflikte thematisiert.

Nachdem die Unterscheidung zwischen internationalen undnicht-internationalen bewaffneten Konflikten im IStGH-Statut schon kurz nach dessen Verabschiedung von Casseseals „somewhat retrograde“18 kritisiert wurde, führt dieLubanga-Entscheidung, in der diese Differenzierung erst-mals im Rahmen eines Verfahrens vor dem IStGH praktischeBedeutung erlangt hat, schließlich auch zu der Frage, welche

Thema

1 NachArt. 11Abs. 1 IStGH-Statut nur in Bezug auf Handlungen nach demInkrafttreten des Statuts am 1. Juli 2002.

2 Thomas Lubanga Dyilo war Gründer der Union des Patriotes Congolais(UPC), später umbenannt in Union des Patriotes Congo-lais/Réconciliation et Paix, und Kommandant ihres militärischen Arms,der Forces Patriotiques pour la Libération du Congo.

3 IStGH, The Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, ICC-01/04-01/06.4 Nach Art. 8 Abs. 2 b) xxvi) IStGH-Statut strafbar in internationalen undnach Art. 8 Abs. 2 e) vii) IStGH-Statut strafbar in nicht-internationalenbewaffneten Konflikten.

5 IStGH, The Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, Document Containingthe Charges v. 28. August 2006.

6 A. Böhm, Die Geburt der Weltjustiz, in: Die Zeit v. 29. Januar 2009, S. 6.7 Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs v. 17. Juli 1998,in Kraft getreten am 1. Juli 2002, UNTS Bd. 2187, S. 90 ff.; InternationalLegal Materials 37 (1998), S. 1002 ff. in korrigierter Fassung.

8 Art. 8 Abs. 2 a) und b) IStGH-Statut enthalten die Straftatbestände fürKriegsverbrechen in internationalen, Art. 8 Abs. 2 d) und e) IStGH-Statutdie Straftatbestände für Kriegsverbrechen in nicht-internationalen be-waffneten Konflikten.

9 IStGH, The Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, Entscheidung v.29. Januar 2007, ICC-01/04-01/06-803 (nachfolgend: Entscheidung).

10 Entscheidung, Ziff. 205-237.11 Die Anklage war für den gesamten Zeitraum von Juli 2002 bis Dezember2003 von einem nicht-internationalen bewaffneten Konflikt ausgegangen.

12 Von Juli 2002 bis zum 2. Juni 2003.13 Entscheidung, Ziff. 220.14 Vom 2. Juni 2003 bis Dezember 2003.15 Entscheidung, Ziff. 235.16 Entscheidung, Ziff. 212-217.17 Entscheidung, Ziff. 220; Die Kammer lässt offen, ob ihrer Auffassungnach am 2. Juni 2003 noch ein internationaler oder bereits ein nicht-inter-nationaler bewaffneter Konflikt vorlag.

18 A. Cassese, The Statute of the International Criminal Court: SomePreliminary Reflections, in: European Journal for International Law 10(1999), S. 150.

19 Entscheidung, Ziff. 220; Entscheidung, Ziff. 235.20 G. Werle, Völkerstrafrecht, 2. Auflage, Tübingen 2007, Rn. 967.21 Zu den beidenAnsätzen siehe J.G. Stewart, Towards a single definition ofarmed conflict in international humanitarian law: A critique of interna-tionalized armed conflict, in: International Review of the Red Cross 85(2003), S. 333 ff.

22 Entscheidung, Ziff. 209.

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Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften / Journal of International Law of Peace and Armed Conflict 77

solche Differenzierung aber gerade nicht vorgenommenwird. Da das Ergebnis, es habe in Ituri zeitweise ein bewaff-neter Konflikt internationalen Charakters bestanden, mit derPräsenz der Truppen Ugandas begründet wird, wäre es imSinne einer differenzierten Betrachtung nötig gewesen,darauf einzugehen, dass diese die Folge bewaffneter Ausein-andersetzungen zwischen dem Kongo, Uganda und weiterenbeteiligten Parteien war, deren Beginn weit vor der Grün-dung der UPC lag und die nicht auf Ituri beschränkt waren,sondern sich über weite Teile des Kongo erstreckten. Ob-wohl hierin zumindest ein deutlicher Hinweis auf eine kom-plexe Konfliktkonstellation mit verschiedenen Teilkonfliktenliegt, in der es zweifelhaft scheinen muss, ob eine Gesamt-betrachtung zu zufrieden stellenden Ergebnissen führenkann,23 unterbleibt eine nach den beteiligten Parteien diffe-renzierende Bewertung.

Folgt man zunächst der Argumentation der Kammer, so istfestzustellen, dass sie ihr Ergebnis, die Präsenz der TruppenUgandas habe eine militärische Besetzung dargestellt, womitder bewaffnete Konflikt in Ituri bis zu deren Abzug interna-tionalen Charakters gewesen sei, nahezu ausschließlich aufdas – keineswegs unumstrittene24 –Armed-Activities-Urteil25

des Internationalen Gerichtshofs (IGH) stützt. Auch wenndiese Bezugnahme als ein Schritt zur Vermeidung von Diver-genzen in der Rechtsprechung auf internationaler Ebenebegrüßt werden mag, wäre eine eigene Bewertung der Situa-tion erforderlich gewesen.26 Dies gilt schon deshalb, weil derIGH und der IStGH voneinander unabhängige Gerichtesind,27 zwischen denen in keiner Hinsicht ein hierarchischesVerhältnis besteht.28

Da die Kammer es bei den Ergebnissen des Armed-Acti-vities-Urteils bewenden lässt, unterzieht sie sowohl dasLusaka-Abkommen vom 10. Juli 199929 als auch das Luan-da-Abkommen vom 6. September 200230 – zwei einer Reihevon Vereinbarungen, die im Zuge von Versuchen, eineLösung der Situation im Kongo herbeizuführen, geschlossenwurden – keiner gesonderten Betrachtung. Damit übersiehtsie auch, dass das Luanda-Abkommen imVerfahren vor demIGH nur eine untergeordnete Rolle gespielt hat, da es dort imWesentlichen um den Zeitraum vor dessen Unterzeichnungging. Um die Entscheidung der Kammer in dieser Hinsichtbeurteilen zu können, soll daher zunächst, ausgehend von derSituation vor dem 10. Juli 1999, darauf eingegangen werden,welche Bedeutung den beiden Vereinbarungen bezüglich desBestehens eines bewaffneten Konflikts, dessen Charakteri-sierung, des Vorliegens einer militärischen Besetzung undder Anwendbarkeit des IStGH-Statuts zukommt.

2.2 Situation vor dem 10. Juli 1999

Der Begriff des internationalen bewaffneten Konflikts31 wirdim IStGH-Statut nicht definiert. Es setzt die Definition deshumanitären Völkerrechts, auf dem das Kriegsvölkerstraf-recht beruht,32 voraus und bezieht sich damit auf den ge-meinsamen Artikel 2 der Genfer Abkommen.33

Einer mittlerweile klassischen Definition zufolge ist hier-nach von einem weiten Begriff auszugehen, wonach bei fol-

genden Vorraussetzungen ein internationaler bewaffneterKonflikt gegeben ist:

„Any difference arising between two States and leading tothe intervention of the armed forces is an armed conflictwithin the meaning of Article 2 […]. It makes no differencehow long the conflict lasts, or how much slaughter takesplace.“34

Demnach besteht ein internationaler bewaffneter Konfliktimmer dann, wenn es zwischen zwei Staaten zurAnwendungmilitärischer Gewalt kommt, unabhängig von Dauer und In-tensität der bewaffneten Auseinandersetzungen.35 Bisweilenist argumentiert worden, es sei ein Mindestmaß an Intensitäterforderlich, denn nicht jeder militärische Zwischenfall stel-le einen bewaffneten Konflikt dar, zumindest sei die Staaten-praxis in der Beurteilung dieser Frage uneinheitlich.36 Vielspricht allerdings dafür, dass eine solche Schwelle für inter-

Topic

23 G. Werle, a.a.O. (Fn. 20), Rn. 968.24 Siehe für eine ausführliche Analyse P. N. Okowa, Congo’s War: TheLegal Dimension of a ProtracedArmed Conflict, in: The BritishYearbookof International Law 77 (2006), S. 205 ff.

25 Case concerning Armed Activities on the Territory of the Congo, Demo-cratic Republic of the Congo v. Uganda, Urt. v. 19. Dezember 2005,International Legal Materials 45 (2006), S. 271 ff. (nachfolgend: Armed-Activities-Urteil).

26 O. Bekou, Prosecutor v Thomas Lubanda Dyilo – Decision on the Confir-mation of Charges, in: Human Rights Law Review 8 (2008), S. 348.

27 Siehe hierzu C. Byron, Armed Conflicts: International or Non-interna-tional?, in: Journal of Conflict & Security Law 6 (2001), S. 80, Fn. 134.

28 G. de Beco, War Crimes in International Versus Non-International ArmedConflicts: „New Wine in Old Wineskins“?, in: International CriminalLaw Review 8 (2008), S. 324.

29 Ceasefire Agreement v. 10. Juli 1999, UN Doc. S/1999/815 v.23. Juli 1999. Das Lusaka-Abkommen wurde später durch den Kampala-Disengagement-Plan v. 8. April 2000 sowie durch den Harare-Disengage-ment-Plan v. 6. Dezember 2000 ergänzt.

30 Agreement Between the Governments of the Democratic Republic of theCongo and the Republic of Uganda on Withdrawal of Ugandan Troopsfrom the Democratic Republic of the Congo, Cooperation and Normalisa-tion of Relations Between the Two Countries v. 6. September 2002, unter:www.usip.org (am 10. Mai 2009). Das Luanda-Abkommen wurde späterdurch das Dar-es-Salaam-Abkommen v. 10. Februar 2003 ergänzt.

31 Der mit den Genfer Abkommen eingeführte Begriff des internationalenoder nicht-internationalen bewaffneten Konflikts hat den traditionellenBegriff des Krieges weitestgehend obsolet gemacht (K. Ipsen, in: ders.,Völkerrecht, 5. Auflage, München 2004, § 65, Rn. 6 f.).

32 G. Werle, a.a.O. (Fn. 20), Rn. 900.33 M. Cottier, in: O. Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute ofthe International Criminal Court, Observer’s Notes, Article by Article,2. Auflage, München 2008, Art. 8, Rn. 5. Sowohl der Kongo als auchUganda sind Vertragsparteien der Genfer Abkommen. Der Kongo ist ih-nen am 24. Februar 1961, Uganda am 18. Mai 1965 beigetreten. BeideStaaten haben keine Vorbehalte eingelegt.

34 J. S. Pictet, Commentary IV Geneva Convention, Genf 1958, S. 20.35 K. Ipsen, a.a.O. (Fn. 31), § 67, Rn. 7;D. Schindler, The Different Types ofArmed Conflict According to the Geneva Conventions and Protocols, in:Recueil des Cours 163 (1979-II), S. 128; G. Werle, a.a.O. (Fn. 20),Rn. 951;M. Cottier, a.a.O. (Fn. 33), Art. 8, Rn. 5.

36 C. Greenwood, in: M.D. Evans, International Law, 2. Auflage, Ox-ford (u.a.) 2006, S. 786; C. Greenwood, in: D. Fleck, The Handbook ofHumanitarian Law in Armed Conflict, 2. Auflage, Oxford (u.a.) 2008,Rn. 202.

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2.4 Das Luanda-Abkommen vom 6. September 2002

Dies führt zu der Frage, welcher Bedeutung dem Luanda-Abkommen als bilateraler Vereinbarung zwischen dem Kon-go und Uganda beizumessen ist, insbesondere ob es sich umeine bloße politische Erklärung oder um einen völkerrecht-lichen Vertrag handelt. Der IGH spricht von dem Luanda-Abkommen an einer Stelle als einem von „various treaties“53

und bezeichnet es darüber hinaus als „peace agreement“54.Hiermit drängt sich geradezu die Frage auf, ob es nicht alsein den internationalen bewaffneten Konflikt beendenderFriedensvertrag anzusehen ist.55

Gemäß der Definition völkerrechtlicher Verträge in Arti-kel 2 Absatz 1 a) WVK56 ist für eine zwischen zwei Staatengeschlossene, demVölkerrecht unterliegende Vereinbarung57

nicht die Bezeichnung, sondern allein der Bindungswille derParteien ausschlaggebend.58 Betrachtet man das Luanda-Abkommen, so wird schon aufgrund der detaillierten, in

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nationale bewaffnete Konflikte nicht existiert.37 Das wider-spräche schon der den Genfer Abkommen zugrunde liegen-den Idee, mit der Einführung des Begriffs des bewaffnetenKonflikts anstelle des Kriegsbegriffs zu verhindern, dass dieAnwendung des humanitären Völkerrechts Gegenstand vonDiskussionen oder gar der Bewertung der beteiligten Partei-en wird.38

Es ist unstrittig, dass der Unterzeichnung des Lusaka-Ab-kommens bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen demKongo, Uganda und weiteren beteiligten Parteien vorausgin-gen, die in ihrer Intensität weit über jedes möglicherweiseerforderliche Mindestmaß hinausgingen.39 Der damit beste-hende bewaffnete Konflikt war jedenfalls in Bezug auf diebeteiligten Staaten internationalen Charakters.

Aus der Präsenz fremder Truppen im Rahmen eines interna-tionalen bewaffneten Konflikts ergibt sich allerdings nichtautomatisch das Vorliegen einer militärischen Besetzung.40

Dies hat auch der Internationale Strafgerichtshof für das ehe-malige Jugoslawien (International Criminal Tribunal for theformerYugoslavia, ICTY) deutlich gemacht:

„[…] there is an essential distinction between the determina-tion of a state of occupation and that of the existence of aninternational armed conflict.“41

Hinsichtlich der somit erforderlichen getrennten Prüfung, obeine militärische Besetzung gegeben war, beziehen sich so-wohl der IGH42 als auch die Kammer43 auf die Definition inArtikel 42 der – wie der IGH mit großem Nachdruck fest-gestellt hat –44 auch völkergewohnheitsrechtlich geltendenHLKO.45 Die Truppen Ugandas haben – so sowohl der IGHim Armed-Activies-Urteil46 als auch die Kammer in ihrerEntscheidung47 – in Ituri die hiernach geforderte effektiveKontrolle48 ausgeübt, womit dort in Verbindung mit dembestehenden internationalen bewaffneten Konflikt auch einemilitärische Besetzung vorlag.

2.3 Das Lusaka-Abkommen vom 10. Juli 1999

Damit stellt sich die Frage, ob und inwieweit das Lusaka-Abkommen vom 10. Juli 1999 als multilaterale Vereinbarungzwischen dem Kongo, Uganda und anderen beteiligten Par-teien zu einer Veränderung der rechtlichen Situation geführthat. Diese Frage ist hier insofern relevant, als dass seitensUgandas im Verfahren vor dem IGH vorgebracht wurde,49

mit dem Lusaka-Abkommen habe der Kongo der Präsenz derTruppen Ugandas zugestimmt, womit die Anwendung deshumanitären Völkerrechts hinsichtlich der militärischenBesetzung ausgeschlossen sein könnte.50 Liegt eine solchejedoch nicht von Anfang an vor, kann sie allenfalls die Lega-lität einer militärischen Besetzung beeinflussen, nicht jedochdie Anwendung des humanitären Völkerrechts auss-chließen.51

Damit ändert das Lusaka-Abkommen nichts an dem Vorlie-gen einer militärischen Besetzung. Diese dauerte auch nachdem Lusaka-Abkommen als militärische Besetzung nacheinemWaffenstillstand an.52

Thema

37 Siehe hierzu C. Kreß, The 1999 Crisis in East Timor and the Threshold ofthe Law onWar Crimes, in: Criminal Law Forum 13 (2002), S. 412 f.

38 R. Cryer (u.a.), An Introduction to International Criminal Law and Proce-dure, Cambridge (u.a.) 2007, S. 233; T. Schweisfurth, Völkerrecht, Tübin-gen 2006, 13. Kap., Rn. 6.

39 So auch A.M.B. Mangu, Conflict in the Democratic Republic of Congo:An International Legal Perspective, in: South African Yearbook of Inter-national Law 28 (2003), S. 83 ff.; F.Z. Ntoubandi, The Congo/UgandaCase: A comment on the main legal issues, in: African Human RightsLaw Journal 7 (2007), S. 163 ff.

40 H. McCoubrey / N.D. White, International Law and Armed Conflict,Aldershot (u.a.) 1992, S. 282.

41 ICTY, The Prosecutor v. Mladen Naletili und Vinko Martinovi, Urt. v.31. März 2003, IT-98-34-T, Ziff. 214.

42 Armed-Activities-Urteil, Ziff. 174.43 Entscheidung, Ziff. 212.44 Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Pales-tinian Territory, Gutachten v. 9. Juli 2004, ICJ Rep. 2004, S. 136, Ziff. 89.

45 Haager Landkriegsordnung, Ordnung der Gesetze und Gebräuche desLandkriegs, Anlage zum Abkommen betreffend die Gesetze und Ge-bräuche des Landkriegs v. 18. Oktober 1907, in Kraft getreten am26. Januar 1910.

46 Armed-Activities-Urteil, Ziff. 167-178.47 Entscheidung, Ziff. 218-219.48 M. Bothe, Occupation, Belligerent, in: R. Bernhardt (Hrsg.), Encyclope-dia of Public International Law Volume III, Amsterdam 1997, S. 763 ff.

49 Armed-Activities-Urteil, Ziff. 43.50 C. Kreß, a.a.O. (Fn. 37), S. 434.51 D. Thürer, Current Challenges to the Law of Occupation, in: M.

Vuijlsteke / F. Oltenau, Current Challenges to the Law of Occupation,Proceedings of the Bruges Colloquium, Brüssel 2006, S. 10.

52 Siehe hierzu M. Bothe, Occupation after Armistice, in: R. Bern-hardt (Hrsg.), a.a.O. (Fn. 48), S. 761 ff.

53 Armed-Activities-Urteil, Ziff. 105.54 Armed-Activities-Urteil, Ziff. 40.55 D. Blumenwitz, Kriegsende, in: I. Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht,3. Auflage, Neuwied 2001, S. 241; W.G. Grewe, Peace Treaties, in:R. Bernhardt (Hrsg.), a.a.O. (Fn. 48), S. 938; C. Greenwood, in: D. Fleck,a.a.O. (Fn. 36), Rn. 246.

56 Wiener Konvention über das Recht der Verträge v. 23. Mai 1969, in Kraftgetreten am 27. Januar 1980, UNTS Bd. 1155, S. 331 ff.; InternationalLegal Materials 8 (1969), S. 679 ff.

57 H. von Heinegg, in: K. Ipsen, a.a.O. (Fn. 31), § 9, Rn. 1.58 S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, 9. Auflage, Tübingen /Basel 2008, S. 217.

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Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften / Journal of International Law of Peace and Armed Conflict 79

mehreren Annexen ergänzten Regelungen klar, dass es weitüber eine unverbindliche politische Erklärung hinausgehtund damit einen völkerrechtlichen Vertrag darstellt. Mangelseines eindeutigen Wortlauts ist jedoch nicht ohne weiteresdeutlich, ob es sich auch um einen Friedensvertrag handelt.

Hierzu ist zunächst festzustellen, dass seit dem Ersten Welt-krieg aus verschiedenen Gründen59 die Praxis, ausdrücklicheFriedensverträge abzuschließen, stark an Bedeutung verlorenhat.60 Es bestehen jedoch keinerlei besondere formelle An-forderungen an einen Friedensvertrag, jedem völkerrecht-lichen Vertrag kann die Wirkung eines solchen zukommen.61

Damit müssen die Auslegungskriterien von Artikel 31 WVKherangezogen werden, nach denen insbesondere auf dessenZiel und Zweck abzustellen ist.62

Die Äußerung eines Mitglieds der Verhandlungsdelegationdes Kongo für das Luanda-Abkommen, es handele sich umein „peace agreement“63 kann jedenfalls als ein Indikator an-gesehen werden, zumal den Parteien eine besondere Stellungbei der Auslegung von ihnen geschlossener völkerrechtlicherVerträge zukommt.64 Betrachtet man zudem einige der unterder Überschrift „[…] Cooperation and Normalisation ofRelations between two Countries“ aufgeführten Regelungen,so wird deutlich, dass das Luanda-Abkommen in der Tat aufeine für einen Friedensvertrag typische65 weit gehende Nor-malisierung der Beziehungen zwischen dem Kongo undUganda zielt. So heißt es dort beispielsweise:

„Article 3The parties agree to cooperate in efforts to restore full diplo-matic relations.

Article 5The parties agree to cooperate in the areas of defence andsecurity including training, coordinated border patrols, ex-change of intelligence and liaison work.

Article 7The parties agree to resolve any future differences betweenthem through dialogue and other peaceful means.“

Insbesondere dieWiederaufnahme diplomatischer Beziehun-gen geht in aller Regel mit der Beendigung des Konflikt- undder Wiederherstellung des Friedenszustands einher.66

Somit wird deutlich, dass das Luanda-Abkommen alsFriedensvertrag den internationalen bewaffneten Konflikt,in dessen Verlauf es zur militärischen Besetzung in Iturigekommen war, beendet hat. Gleichzeitig legte es jedochdie Grundlage für die weitere Präsenz der Truppen Ugandas,deren Abzug gemäß Annex A erst 70 Tage nach Unterzeich-nung beginnen sollte.

2.5 Militärische Besetzung nach Konfliktende

Die Beendigung moderner bewaffneter Konflikte bedeutetoftmals den Beginn einer rechtlich schwierig einzuordnen-den Übergangsphase. Diese transformative Natur vieler Post-Konflikt-Situationen, in denen der Konfliktszustand (tradi-tionell: Kriegszustand) zwar de jure beendet, ein Friedens-

zustand jedoch de facto noch nicht wieder – oder wenigstensnicht vollständig – erreicht ist, ist eine Herausforderung fürdas Völkerrecht,67 das bisher ausschließlich zwischen Frie-dens- und Konfliktszustand unterscheidet.68

Mit der andauernden Präsenz der TruppenUgandas auch nachder Beendigung des internationalen bewaffneten Konfliktswar in Ituri bis zu deren endgültigen Abzug am 2. Juli 2003eine solche Übergangsphase gegeben, womit sich die Fragestellt, welche Bedeutung den GenferAbkommen in einer der-artigen Post-Konflikt-Situation zukommt. Die Einordnungder fortdauernden Präsenz der Truppen Ugandas betrifft da-mit das Verhältnis zwischen internationalem bewaffnetenKonflikt und militärischer Besetzung oder die Frage: Kanneine militärische Besetzung im Sinne der Genfer Abkommenvorliegen, ohne dass ein bewaffneter Konflikt besteht, handeltes sich also um einen Sonderfall des internationalen bewaff-neten Konflikts oder um eine besondere, ebenfalls vomhumanitären Völkerrecht erfasste Situation?69

Nimmt man als Ausgangspunkt erneut die Definition mi-litärischer Besetzung in Artikel 42 HLKO, so wird klar, dassdiese sich bereits dem Wortlaut nach nur auf eine bestimmteArt militärischer Besetzung,70 nämlich auf feindliche Beset-zungen71 bezieht.72 Schon die Überschrift des entsprechen-den Abschnitts lautet „Military Authority Over the Territoryof the Hostile State“ (Hervorhebung hinzugefügt) – eineFormulierung, die in Artikel 42 HLKO mit dem Begriffder „hostile army“ wieder aufgegriffen wird.73 Von einerfeindlichen Besetzung wird jedoch nach Abschluss eines

Topic

59 Siehe hierzu Y. Dinstein, War, Aggression and Self-Defence, 4. Auflage,Cambridge (u.a.) 2005, S. 34 ff.

60 W.G. Grewe, a.a.O. (Fn. 55), S. 944 f.61 K. Doehring, Völkerrecht, 2. Auflage, Heidelberg 2004, Rn. 650 f.62 H. von Heinegg, a.a.O. (Fn. 57), § 11, Rn. 10.63 Integrated Regional Information Networks, Interview with governmentofficial Vital Kamerhe v. 10. September 2002, unter www.irinnews.org(am 10. Mai 2009); Bell stellt in Bezug auf zwischen zwei Staaten ab-geschlossene Friedensvereinbarungen ausdrücklich klar, dass es keineRolle spielt, ob diese als Friedensabkommen oder -vertrag bezeichnetwerden: „Peace agreements in ‘pure’ interstate conflicts clearly constitutetreaties […]“ (C. Bell, PeaceAgreements: Their Nature and Legal Status,in: American Journal of International Law 100 (2006), S. 380).

64 H. von Heinegg, a.a.O. (Fn. 57), § 11, Rn. 1.65 D. Blumenwitz, a.a.O. (Fn. 55), S. 241.66 K. Doehring, a.a.O. (Fn. 61), Rn. 651.67 C. Stahn, ‘Jus ad bellum’, ‘jus in bello’… ‘jus post bellum’? – Rethink-ing the Conception of the Law of Armed Force, in: European Journal ofInternational Law 17 (2006), S. 923.

68 Y. Dinstein, a.a.O. (Fn. 59), S. 16.69 C. Kreß, a.a.O. (Fn. 37), S. 414, wirft ebenfalls diese Frage auf, allerdingsin Bezug auf militärische Besetzungen, die von Anfang an auf keinenbewaffneten Widerstand stoßen.

70 Siehe für eine umfassende Darstellung A. Roberts, What is a MilitaryOccupation?, in: The British Yearbook of International Law 55 (1984),S. 249 ff.

71 Siehe hierzuM. Bothe, a.a.O. (Fn. 48), S. 763 ff.72 R. Arnold / P.-A. Hildbrand, International Humanitarian Law and the 21stCentury’s Conflicts, Changes and Challenges, Lausanne 2005, S. 102.

73 A. Roberts, a.a.O. (Fn. 70), S. 251 f.

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des internationalen bewaffneten Konflikts, sondern eine be-sondere, ebenfalls von den GenferAbkommen erfasste Situa-tion darstellt, die in Verbindung mit einem internationalenbewaffneten Konflikt stehen kann, aber auch unabhängigdavon oder nach Beendigung eines solchen auftreten kann.88

Angesichts der Post-Konflikt-Besetzung, die in Ituri mit derPräsenz der Truppen Ugandas ab dem Luanda-Abkommenvom 6. September 2002 vorlag, schließt sich hieran die Fragean, welche Bedeutung dieser weite Anwendungsbereich derGenferAbkommen für dieAnwendbarkeit des IStGH-Statutshat, also ob Kriegsverbrechen im Sinne des IStGH-Statutsauch in Situationen, in denen die Anwendung der GenferAbkommen nicht auf dem Bestehen eines internationalenbewaffneten Konflikts, sondern auf dem Vorliegen einermilitärischen Besetzung beruht, begangen werden können.Zugespitzt formuliert kann man fragen: Können Kriegsver-brechen verübt werden, ohne dass ein bewaffneter Konflikt(traditionell: Krieg) besteht?

2.6 Militärische Besetzung nach Konfliktendeund IStGH-Statut

Ein Hinweis zur Beantwortung der Frage, ob Kriegsver-brechen im Sinne des IStGH-Statuts auch in Situationenmilitärischer Besetzung, in denen kein internationaler be-waffneter Konflikt besteht, begangen werden können, findetsich in Fußnote 34 der Verbrechenselemente89, die auch dieKammer in ihrer Entscheidung erwähnt:90

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Friedensvertrags nicht mehr die Rede sein können,74 wasDinstein auf den Punkt bringt:

„There is simply no room for belligerent occupation in theabsence of belligerence, namely, war.“75

An diesem Punkt wird klar, dass es zu kurz gegriffen ist,wenn die Kammer sich in ihrer Entscheidung hinsichtlichdes Vorliegens einer militärischen Besetzung ausschließlichauf Artikel 42 HLKO bezieht, denn mit der Beendigung ei-nes internationalen bewaffneten Konflikts liegt gerade keineBesetzung im Sinne von Artikel 42 HLKO mehr vor.76 Eineehemals feindliche Besetzung besteht, sofern nach wie voreine effektive Kontrolle durch fremde Truppen ausgeübtwird, als friedliche Besetzung77 fort,78 wobei Post-Konflikt-Besetzung die präzisere Bezeichnung ist.79 Tatsächlich wardie Überarbeitung des Besatzungsrechts gerade vor demHintergrund negativer Erfahrungen während des ZweitenWeltkriegs ein wesentliches Anliegen bei den Vorbereitun-gen der Genfer Abkommen.80 Dies hat unter anderem dazugeführt, dass in Ergänzung der HLKO deren Anwendungs-bereich weiter ist.81 Deutlich wird dies in Absatz 2 desgemeinsamen Artikel 2 der Genfer Abkommen, der auchmilitärische Besetzungen einschließt, die auf keinen bewaff-neten Widerstand stoßen, bei denen also von Anfang an keinbewaffneter Konflikt besteht.82 Hierzu führt Benvenisti aus:

„[…] any distinction between these two types of occupationshas all but disappeared“.83

Diese Feststellung findet ihre Bestätigung an verschiedenenStellen des IV. Genfer Abkommens.84 So heißt es in Arti-kel 6 Absatz 1 IV. Genfer Abkommen zum Beginn der An-wendung:

„The present Convention shall apply from the outset of anyconflict or occupation mentioned in Article 2.“ (Hervor-hebung hinzugefügt)

Artikel 6 Absatz 3 IV. Genfer Abkommen enthält eine ent-sprechende Regelung für das Ende der Anwendung:

„In the case of occupied territory, the application of the pre-sent Convention shall cease one year after the general closeof military operations; however the Occupying Power shallbe bound, for the duration of the occupation […] by theprovisions of the following Articles of the present Conven-tion […].“85 (Hervorhebung hinzugefügt)

Mit diesen Regelungen wird der bereits im gemeinsamenArtikel 2 Absatz 2 der Genfer Abkommen niedergelegte,weiteAnwendungsbereich noch einmal explizit verdeutlicht.86

Dieser ist immer dann eröffnet, wenn ein internationaler be-waffneter Konflikt oder eine militärische Besetzung vorliegt.Bei militärischen Besetzungen gilt speziell das IV. GenferAbkommen nach der allgemeinen Einstellung der Kampf-handlungen weiter, also auch in den Fällen, in denen nicht nurdie bewaffneten Auseinandersetzungen, sondern der interna-tionale bewaffnete Konflikt an sich beendet wurde.87 Damitsteht fest, dass eine militärische Besetzung kein Sonderfall

Thema

74 Id., S. 273.75 Y. Dinstein, The International Legal Status of theWest Bank and the GazaStrip – 1998, in: IsraelYearbook on Human Rights 28 (1998), S. 42.

76 K. Ipsen, a.a.O. (Fn. 31), § 69, Rn. 22.77 Siehe hierzu M. Bothe, Occupation, Pacific, in: R. Bernhardt (Hrsg.),a.a.O. (Fn. 48), S. 766 ff.

78 E. Benvenisti, The International Law of Occupation, Princeton 1993, S. 3;H.-P. Gasser, in: D. Fleck, a.a.O. (Fn. 36), Rn. 537.

79 Bothe spricht von hybrider Besetzung (M. Bothe, Beginning and End ofOccupation, in: M. Vuijlsteke / F. Oltenau, a.a.O. (Fn. 51), S. 27), Ipsenvon occupatio mixta (K. Ipsen, a.a.O. (Fn. 31), § 69, Rn. 23).

80 J. S. Pictet, a.a.O. (Fn. 34), S. 3 ff., A. Roberts, a.a.O. (Fn. 70), S. 252 ff.81 R. Arnold / P.-A. Hildbrand, a.a.O. (Fn. 72), S. 102; E. Benvinisti, a.a.O.(Fn. 78), S. 4.

82 M. Bothe, a.a.O. (Fn. 79), S. 27; A. Roberts, a.a.O. (Fn. 70), S. 257;M. Sassòli / A.A. Bouvier, How does Law Protect in War?, Cases, Docu-ments and Teaching Materials on Contemporary Practice in InternationalHumanitarian LawVolume I, 2.Auflage, Genf 2006, S. 187;D. Schindler,a.a.O. (Fn. 35) S. 132.

83 E. Benvenisti, Applicability of the Law of Occupation, in: American Soci-ety of International Law, Proceedings of the Ninety-Ninth Annual Meet-ing of the American Society of International Law, NewYork 2005, S. 29.

84 M.J. Kelly, Restoring and Maintaining Order in Complex Peace Opera-tions, The Search for a Legal Framework, Leiden (u.a.) 1999, S. 152.

85 Die Beschränkung der Anwendung des gesamten IV. Genfer Abkommensauf ein Jahr nach Beendigung der bewaffneten Auseinandersetzungenmuss als unbefriedigend angesehen werden und hat in der Praxis keineBedeutung erlangt (A. Roberts, a.a.O. (Fn. 70), S. 271 ff.).

86 M.J. Kelly, Non-Belligerent Occupation, in: Israel Yearbook on HumanRights 28 (1998), S. 31.

87 K. Ipsen, a.a.O. (Fn. 31), § 69, Rn. 23.88 So im Ergebnis auch G. Werle, a.a.O. (Fn. 20), Rn. 957.89 Elements of Crimes v. 9. Februar 2002, ICC-ASP/1/3 Part II-B.90 Entscheidung, Ziff. 205.

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Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften / Journal of International Law of Peace and Armed Conflict 81

„The term ‘international armed conflict’ includes militaryoccupation. This footnote also applies to the correspondingelement in each crime under article (2) (a).“

Während die Kammer davon auszugehen scheint, dass derFußnote rein deklaratorische Bedeutung zukommt, und nichtweiter auf diese eingeht, ist dieser Schluss keineswegs zwin-gend. Es kann insbesondere nur als überraschend bezeichnetwerden, dass die Kammer, obwohl es um Kriegsverbrechennach Artikel 8 Absatz 2 b) IStGH-Statut geht, mit keinemWort den zweiten Satz der Fußnote erwähnt, der diesezunächst ganz eindeutig ausschließlich in Bezug zu den Ver-brechenselementen zu Artikel 8 Absatz 2 a) IStGH-Statut zusetzen scheint.91

Vor dem Hintergrund, dass militärische Besetzungen sowohlin Verbindung mit einem internationalen bewaffneten Kon-flikt als auch unabhängig oder im Anschluss an einen sol-chen auftreten können, scheint vielmehr eine differenzierteBetrachtung nötig. Sollte die Fußnote lediglich klarstellen,dass diejenigen militärischen Besetzungen, die in Zusam-menhang mit einem noch andauernden internationalen be-waffneten Konflikt stehen, in den Anwendungsbereich desIStGH-Statuts fallen, besäße sie keinerlei eigenen Inhalt.Denn dann würde bereits der internationale bewaffneteKonflikt völlig unabhängig vom Bestehen oder Nichtbeste-hen einer militärischen Besetzung zur Anwendbarkeit desIStGH-Statuts führen. Bei einer solchen Lesart erschienezudem der zweite Satz der Fußnote unverständlich, dennauch die Anwendbarkeit von Artikel 8 Absatz 2 b) IStGH-Statut ist beim Bestehen eines internationalen bewaffnetenKonflikts in jedem Fall gegeben. Wäre es also nur um dieKlarstellung gegangen, dass militärische Besetzungen, die inVerbindung mit einem internationalen bewaffneten Konfliktstehen, unter das IStGH-Statut fallen, hätte der zweite Satzohne weiteres so formuliert werden können – und dies wäredann sogar sachlich geboten gewesen –, dass er auch die Ver-brechenselemente zu Artikel 8 Absatz 2 b) einschließt.

Angesichts dieser Überlegungen ist es nicht überzeugend,von einer rein deklaratorischen Bedeutung der Fußnote aus-zugehen oder sie ohne weiteres auch auf die Verbrechensele-mente zu Artikel 8 Absatz 2 b) IStGH-Statut zu beziehen.92

Es scheint wesentlich sinnvoller, sie stattdessen zunächstim Zusammenhang mit der Systematik von Artikel 8 IStGH-Statut zu betrachten.

Während in Artikel 8 Absatz 2 a) IStGH-Statut die Strafbar-keit von „schwere[n] Verletzungen der Genfer Abkommen“geregelt ist,93 enthält Artikel 8Absatz 2 b) IStGH-Statut „an-dere schwere Verstöße gegen die […] im internationalen be-waffneten Konflikt anwendbaren Gesetze und Gebräuche“.94

Anknüpfungspunkt für Artikel 8 Absatz 2 a) IStGH-Statutsind also die in den Genfer Abkommen enthaltenen Regelun-gen95 zu schweren Verletzungen derselben – ein Kernbestanddes Kriegsvölkerstrafrechts.96

In diesem Kontext ist interessant, dass Artikel 8 Absatz 2 a)IStGH-Statut selbst den Begriff des internationalen bewaff-neten Konflikts gar nicht enthält, wie auch Schabas feststellt:

„The grave breaches of the Geneva Conventions are set outin Article 8(2)(a) of the Rome Statute. Nothing in paragraph(a) insists that these apply only to international armedconflict […].“97

Trotzdem ist es vor allem in Anbetracht der Rechtsprechungdes ICTY, der sich deutlich gegen die Annahme, es besteheeine völkergewohnheitsrechtliche Strafbarkeit schwerer Ver-letzungen der Genfer Abkommen in nicht-internationalenbewaffneten Konflikten, gewendet hat,98 eindeutig, dassKriegsverbrechen im Sinne des Artikel 8 Absatz 2 a) IStGH-Statut typischerweise im Kontext eines internationalen be-waffneten Konflikts begangen werden müssen.99

Es ist dennoch bezeichnend, dass der Begriff des internatio-nalen bewaffneten Konflikts in Artikel 8 Absatz 2 a) IStGH-Statut nicht enthalten ist. Dies steht jedoch im Einklang mitder Definition der schweren Verletzungen als besondersschwer wiegende Verstöße gegen das in den Genfer Abkom-men geregelte humanitäre Völkerrecht.100

Die mit Artikel 8 Absatz 2 a) IStGH-Statut kriminalisiertenschweren Verletzungen der Genfer Abkommen101 beziehensich hiernach auf den gesamten Anwendungsbereich derGenfer Abkommen.102 Betrachtet man dies vor dem Hinter-grund des Ergebnisses, dass das humanitäre Völkerrechtauch die besondere Situation einer militärischen Besetzungohne das Bestehen eines internationalen bewaffneten Kon-flikts regelt, ist es eindeutig, dass auch diese Situation vonden Regelungen zu den schweren Verletzungen erfasst istund dass das IStGH-Statut im Zuge der Kriminalisierung

Topic

91 So auch O. Bekou, a.a.O. (Fn. 26), S. 347, Fn. 20.92 So aber – ohne weitere Begründung – K. Dörmann / E. la Haye / H. von

Hebel, in: R.S. Lee (Hrsg.): The International Criminal Court, Elementsof Crimes and Rules of Procedure and Evidence, Ardsley 2001, S. 115.

93 C. Kreß, in: H. Grützner / P.-G. Pötz / C. Kreß, Internationaler Rechts-hilfeverkehr in Strafsachen, 3. Auflage, Heidelberg 2007, Stand:6. Ergänzungslieferung (August 2008), Vor III 26, Rn. 41; M. Bothe,in: A. Cassese / P. Gaeta / R.W.D. Jones (Hrsg.), The Rome Statuteof the International Criminal Court: A Commentary, Volume I, Oxford(u.a.) 2002, S. 386;M. Cottier, a.a.O. (Fn. 33), Art. 8, Rn. 10.

94 C. Kreß, a.a.O. (Fn. 93), Vor III 26, Rn. 42; M. Bothe, a.a.O. (Fn. 93),S. 386; K. Dörmann, in: O. Triffterer (Hrsg.), a.a.O. (Fn. 33), Art. 8,Rn. 30.

95 Art. 50 I. Genfer Abkommen; Art. 51 II. Genfer Abkommen; Art. 130III. Genfer Abkommen; Art. 147 IV. Genfer Abkommen.

96 H. von Hebel / D. Robinson, in: R.S. Lee (Hrsg.): The International Crim-inal Court, The Making of the Rome Statute, Den Haag (u.a.), S. 108.

97 W.A. Schabas, An Introduction to the International Criminal Court,3. Auflage, Cambridge (u.a.) 2007, S. 120 f.

98 ICTY, The Prosecutor v. Duško Tadic (u.a.), Entscheidung v. 2. Okto-ber 1995, IT-94-1-A, Ziff. 80 f.

99 So auchW.A. Schabas, a.a.O. (Fn. 97), S. 120 f.100K. Dörmann, War Crimes under the Rome Statute of the InternationalCriminal Court, with a Special Focus on the Negotiations on the Elementsof Crimes, in: Max Planck Yearbook of United Nations Law 8 (2003),S. 344.

101G. Venturini, War Crimes in International Armed Conflicts, in: M. Politi /G. Nesi (Hrsg.): The Rome Statute of the International Criminal Court,A Challenge to Impunity, Burlington 2001, S. 96 f.

102G. Dahm / J. Delbrück / R. Wolfrum, Völkerrecht Band I/3, 2. Auflage,Berlin 2002, S. 1054.

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in denen die Genfer Abkommen aufgrund einer von eineminternationalen bewaffneten Konflikt unabhängigen militäri-schen Besetzung Geltung entfalten.

Hiermit bestätigt sich auch, dass eine differenzierte Betrach-tung komplexer Konfliktkonstellationen nicht nur eine Fragejuristischer Präzision ist,105 sondern dass die bereits vomICTY getroffene Feststellung, eine Gesamtbetrachtung kön-ne zu absurden Ergebnissen führen,106 zutreffend ist. Nähmeman, der Kammer folgend, ausschließlich die Präsenz derTruppen Ugandas als Basis für die Beurteilung der Situationin Ituri hinsichtlich des Bestehens eines bewaffneten Kon-flikts und dessen Charakterisierung, so käme man zu dem inder Tat grotesken Ergebnis, dass ab dem 6. September 2002gar kein bewaffneter Konflikt vorlag, obwohl kein Zweifelbesteht, dass auch nach dem 6. September 2002 die UPC undweitere beteiligte Parteien in bewaffnete Auseinandersetzun-gen erheblicher Intensität verwickelt waren.

3. Fazit

Die vorliegende Entscheidung zeigt in aller Deutlichkeit nichtnur die praktische Bedeutung, die der Frage, ob ein bewaff-neter Konflikt internationalen oder nicht-internationalenCha-rakters ist, in Verfahren zu Kriegsverbrechen vor dem IStGHzukommt. Sie verdeutlicht auch die Probleme, die mit demVersuch einer präzisen Einordnung der heute weit überwie-genden107 komplexen Konfliktkonstellationen einhergehen.

Die Aufnahme von in nicht-internationalen Konflikten be-gangenen Kriegsverbrechen ist zu Recht als eine der großenErrungenschaften des IStGH-Statuts begrüßt worden,108

nachdem die Diskussionen zu diesem Punkt eines der beson-ders strittigen Themen der Verhandlungen waren.109 DasErgebnis des Artikel 8 IStGH-Statut mit seiner striktenDifferenzierung zwischen in internationalen und in nicht-internationalen bewaffneten Konflikten verübten Kriegsver-brechen und der weiteren Unterteilung in zwei Vorschriftenfür jede Konfliktart, wird allerdings zutreffend als übermäßigkompliziert kritisiert.110 Betrachtet man die Situationen, mit

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derselben diesen weiten Anwendungsbereich auch auf dasKriegsvölkerstrafrecht überträgt.103

Damit wird zweierlei deutlich: Das System der schwerenVerletzungen der Genfer Abkommen greift immer dann,wenn diese zurAnwendung kommen, also auch in der beson-deren Situation einer militärischen Besetzung ohne odernach dem Ende eines internationalen bewaffneten Konflikts.Dieser Begriff wurde damit aus gutem Grund nicht in Arti-kel 8 Absatz 2 a) IStGH-Statut aufgenommen, denn dieswürde eine Verkleinerung des Anwendungsbereichs bedeu-ten, auf die Fälle, in denen die Genfer Abkommen aufgrundeines internationalen bewaffneten Konflikts zur Anwendungkommen. Die Verbrechenselemente, die in Bezug auf Arti-kel 8 Absatz 2 a) IStGH-Statut überhaupt erst den Begriffdes internationalen bewaffneten Konflikts erwähnen, stellennach Artikel 9 Absatz 1 IStGH-Statut lediglich eine Ausle-gungshilfe dar und sind somit nicht verbindlich.104 Betrach-tet man die fragliche Fußnote vor diesem Hintergrund, sozeigt sich, dass durch sie – in einer allerdings missverständli-chen Formulierung – die erst durch die Verbrechenselementevorgenommene Einschränkung des Anwendungsbereichsvon Artikel 8 Absatz 2 a) IStGH-Statut auf internationalebewaffnete Konflikte in Bezug auf militärische Besetzungenwieder aufhebt und damit den Anwendungsbereich desgemeinsamen Artikel 2 Absatz 2 der Genfer Abkommenwiderspiegelt.

Somit stellt sich die Frage, ob davon ausgegangen werdenkann, dass auch Artikel 8 Absatz 2 b) IStGH-Statut diesenauf Situationen militärischer Besetzung ohne internationalenbewaffneten Konflikt „erweiterten“ Anwendungsbereichaufweist. Ein solcher Rückschluss scheitert jedoch schon ameindeutigenWortlaut vonArtikel 8Absatz 2 b) IStGH-Statut,der sich ausdrücklich auf internationale bewaffnete Konflik-te bezieht. Es würde diesem diametral widersprechen, hier-unter auch Situationen zu subsumieren, in denen eben keininternationaler bewaffneter Konflikt vorliegt. Dies bedeutet,dass Artikel 8 Absatz 2 a) IStGH-Statut imVergleich zuArti-kel 8 Absatz 2 b) IStGH-Statut einen geringfügig weiterenAnwendungsbereich besitzt.

2.7 Ergebnis

Bei der näheren Betrachtung der Ausführungen der Kammerzum Bestehen eines internationalen bewaffneten Konfliktshat sich klar gezeigt, dass das scheinbar nahe liegendeErgebnis, die Präsenz der Truppen Ugandas habe einemilitärische Besetzung in Verbindung mit einem internatio-nalen bewaffneten Konflikt dargestellt, falsch ist. Zwar be-stand bis zur Unterzeichnung des Luanda-Abkommens am6. September 2002 ein internationaler bewaffneter Konflikt.Dieser endete jedoch mit dessen Verabschiedung, woraufhindie militärische Besetzung bis zum endgültigen Abzug derTruppen Ugandas als Post-Konflikt-Besetzung andauerte. Inder Folge waren in Zusammenhang mit dieser militärischenBesetzung nur Kriegsverbrechen nach Artikel 8 Absatz 2 a)IStGH-Statut strafbar, da dieser als Kontextelement nichtzwingend einen internationalen bewaffneten Konflikt vor-aussetzt, sondern auch in solchen Fällen Anwendung findet,

Thema

103So auch G. Werle, a.a.O. (Fn. 20), Rn. 957.104K. Dörmann, Elements of War Crimes under the Rome Statute of theInternational Criminal Court, Sources and Commentary, Cam-bridge (u.a.) 2002, S. 8.

105C. Kreß, Friedenssicherungs- und Konfliktvölkerrecht auf der Schwellezur Postmoderne, in: Europäische Grundrechte-Zeitschrift 23 (1996),S. 644.

106ICTY, The Prosecutor v. Duško Tadic (u.a.), a.a.o. (Fn. 98), Ziff. 76 f.107E. Crawford, Unequal before the Law: The case for the Elimination of theDistinction between International and Non-International Armed Conflict,in: Leiden Journal of International Law 20 (2007), S. 442; J.G. Stewart,a.a.O. (Fn. 21), S. 316.

108D. Momtaz, War Crimes in Non-International Armed Conflicts under theStatute of the International Criminal Court, in:Yearbook for InternationalHumanitarian Law 2 (1999), S. 191 f.; K. Dörmann, a.a.O. (Fn. 100),S. 348.

109L. Moir, The Law of Internal Armed Conflict, Cambridge (u.a.) 2002,S. 163.

110W.A. Schabas, a.a.O. (Fn. 97), S. 116.

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denen der IStGH derzeit befasst ist,111 so ist es keineswegsverwunderlich, dass schon die erste Entscheidung einerKammer des IStGH zu einem „Testfall“ für diese Regelungder Kriegsverbrechen, der „Keimzelle des Völkerstraf-rechts“112, geworden ist.

Wie die vorangegangeneAnalyse gezeigt hat, sind die Ergeb-nisse der Kammer in ihrer Entscheidung in dieser Hinsichtnicht überzeugend. Führt man sich vor Augen, dass dies dieerste Gelegenheit für eine Kammer des IStGH darstellte, sichzur Unterscheidung zwischen internationalen und nicht-in-ternationalen bewaffneten Konflikten im IStGH-Statut zuäußern, wäre eine größere Präzision nicht nur hinsichtlichdes Verhältnisses von militärischen Besetzungen zu interna-tionalen bewaffneten Konflikten, sondern auch zu weiterenFragen wünschenswert gewesen. So geht die Kammer auchnicht darauf ein, ob Satz 2 des den Anwendungsbereich vonArtikel 8 Absatz 2 e) IStGH-Statut beschreibende Arti-kel 8 Absatz 2 f) IStGH-Statut, der in der auf Arti-kel 8 Absatz 2 c) IStGH-Statut bezogenen und ansonstengleich lautenden Parallelvorschrift von Artikel 8 Absatz 2 d)IStGH-Statut nicht enthalten ist, in Bezug auf nicht-inter-nationale bewaffnete Konflikte den neuen Begriff des „pro-tracted non-international armed conflict“ (lang anhaltendernicht-internationaler bewaffneter Konflikt) als im Vergleichzu Artikel 8 Absatz 2 c) IStGH-Statut höhere Schwellefür die Anwendung von Artikel 8 Absatz 2 e) IStGH-Statuteinführt. Auch die Frage, ob durch das Eingreifen vonUN-Missionen – im Kongo der Mission de l’Organisationdes Nations Unies en République démocratique du Congosowie zeitweise der von der Europäischen Union geführtenOperation Artemis – ein nicht-internationaler bewaffneterKonflikt internationalisiert werden kann, wird nicht thema-tisiert.

Dabei greift das IStGH-Statut mit der Aufnahme der Straf-barkeit von in nicht-internationalen bewaffneten Konfliktenbegangenen Kriegsverbrechen eine mit der Rechtsprechungdes ICTY begonnene Entwicklung auf.113 Eine zu großer Be-kanntheit gelangte Feststellung des ICTY scheint daher be-sonders geeignet, daran zu erinnern, warum dieser Thematikzentrale Bedeutung zukommt:

„What is inhumane, and consequently proscribed, in inter-national wars, cannot but be inhumane and inadmissible incivil strife.“114

Dieser – eher rechtspolitische – Gedanke macht deutlich,dass das im humanitären Völkerrecht und damit auch imKriegsvölkerstrafrecht verankerte Prinzip der Unterschei-dung zwischen internationalen und nicht-internationalen be-waffneten Konflikten mit einem geringeren Schutzstandardfür letztere115 unbefriedigend ist,116 zumal nicht-internatio-nale bewaffnete Konflikte dazu tendieren, mit größerer In-tensität geführt zu werden.117 Diese Differenzierung erweistsich als umso problematischer, wenn man sich vor Augenführt, dass viele moderne bewaffnete Konflikte einer eindeu-tigen Abgrenzung nicht ohne weiteres zugänglich sind.118 Sowird man in vielen Fällen auf ähnliche Probleme stoßen wiejene, denen sich die Kammer in ihrer Entscheidung gegen-

über sah. Denn die Realität orientiert sich, wie Aldrich aus-führt, nicht an rechtlichen Kategorien:

„Reality can be messy, and armed conflicts in the real worlddo not always fit neatly into the two categories – internation-al and non-international – into which humanitarian law isdivided.“119

Diese Trennlinie des humanitären Völkerrechts ist bereitsseit langem Gegenstand intensiver Diskussionen,120 aller-dings durch die auch in der Rechtsprechung des ICTY re-flektierte völkergewohnheitsrechtliche Entwicklung zumin-dest teilweise in Auflösung begriffen. So ist es sicherlichrichtig, die strenge Trennung im IStGH-Statut hinsichtlichder Strafbarkeit von Kriegsverbrechen als – wie eingangszitiert – „somewhat retrograde“121 oder auch „antiquiert“122

zu bezeichnen.

Die vorangegangene Analyse hat jedoch auch gezeigt, dasssie mehr ist als nur veraltet. Zum einen ist festzuhalten, dassdas IStGH-Statut nicht nur zwischen internationalen undnicht-internationalen bewaffneten Konflikten unterscheidet,sondern dass jedenfalls auch die Anwendungsbereiche derzwei Vorschriften zu internationalen bewaffneten Konfliktenin bestimmten Situationen militärischer Besetzung vonein-ander abweichen. Zum anderen kann davon ausgegangenwerden, dass die Schwierigkeiten bei der Einordnungbewaffneter Konflikte, wie sie in der vorliegenden Entschei-dung noch einmal deutlich geworden sind, auch in zukünf-tigen Verfahren die Anklage und die befassten Kammern mitgrößeren Problemen konfrontieren werden.

Dies ist insbesondere insoweit misslich, als für eine Vielzahlder im IStGH-Statut enthaltenen Kriegsverbrechen bereitsEinigkeit zu deren Strafbarkeit nach Völkerrecht in interna-tionalen und in nicht-internationalen bewaffneten Konfliktenerzielt werden konnte. In diesen Fällen ist es allein aufgrundder Aufteilung der Straftatbestände in unterschiedliche Vor-schriften nach wie vor erforderlich, nicht nur das Bestehen

Topic

111Neben der Situation im Kongo, ICC-01/04, mit der Situation in Uganda,ICC-02/04, in der Zentralafrikanischen Republik, ICC-01/05, sowie inDarfur, Republik Sudan, ICC-02/05.

112C. Kreß, a.a.O. (Fn. 93), Vor III 26, Rn. 38.113D. Momtaz, a.a.O. (Fn. 108), S. 183.114ICTY, The Prosecutor v. Duško Tadic (u.a.), a.a.o. (Fn. 98), Ziff. 119.115C. Kombos / M. Hadjisolomou, The Traditional Distinction BetweenInternational and Internal Armed Conflict: Legal Artefact of Legal Fact?,in: Mediterranean Journal of Human Rights 10 (2006), S. 145 ff.

116A. Cassese, International Criminal Law, 2. Auflage, Oxford (u.a.) 2008,S. 96.

117D. Robinson / H. von Hebel, War Crimes in Internal Conflicts: Article 8 ofthe ICC Statute, inYearbook of International Humanitarian Law 2 (1999),S. 199; so auch D. Schindler, a.a.O. (Fn. 35), S. 126, schon 1979.

118E. Crawford, a.a.O. (Fn. 107), S. 442.119G.H. Aldrich, The Laws of War on Land, in: American Journal of Inter-national Law 94 (2000), S. 62.

120Siehe für eine umfassende Darstellung E. Crawford, a.a.O. (Fn. 107).121A. Cassese, a.a.O. (Fn. 18), S. 150.122G. Werle, a.a.O. (Fn. 20), Rn. 947.

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IStGH-Statut die Gelegenheit haben, den 1998 in Rom mitdessen Verabschiedung eingeschlagenen Weg der Einbezie-hung von in nicht-internationalen bewaffneten Konfliktenbegangenen Kriegsverbrechen konsequent fortzusetzen. DieTatsache, dass das humanitäre Völkerrecht nach wie vorzwischen verschiedenen Arten bewaffneter Konflikte diffe-renziert, sollte dabei nicht als Hinderungsgrund für die Ab-schaffung dieser Unterscheidung im IStGH-Statut gesehenwerden, sondern vielmehr als Chance für eine Emanzipie-rung des Kriegsvölkerstrafrechts.129 Die Lubanga-Entschei-dung hat in aller Deutlichkeit klar gemacht, wie dringenddies notwendig ist. �

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eines bewaffneten Konflikts, sondern auch dessen Charakterzu bestimmen. Diese Einordnung wird damit, wie letztend-lich auch in demVerfahren gegen Thomas Lubanga Dyilo, zueiner juristischen Übung ohne besondere Berechtigung.123

Vor diesem Hintergrund verdichtet sich der Eindruck, dasseine Überwindung des traditionellen „two box approach“124

im IStGH-Statut nicht nur eine Option,125 sondern eine drin-gende Notwendigkeit darstellt, um eine effektive und homo-gene Verfolgung von Kriegsverbrechen durch den IStGHsicherzustellen.126

Dies ist vor allem angesichts der besonderen Bedeutung desKriegsvölkerstrafrechts wichtig. In ihm kristallisiert sich dieletzte Hoffnung auf eine ordnende Wirkung des Rechts, aufGerechtigkeit selbst in Folge von Situationen, in denen dashumanitäre Völkerrecht seinem Anspruch, Menschen vorden Gräueln des Kriegs zu schützen, nicht gerecht werdenkonnte. Die eingangs zitierte Überschrift der Zeit, die dasVerfahren gegen Thomas Lubanga Dyilo als „Geburt derWeltjustiz“127 bezeichnet, beinhaltet all diese Erwartungenund Hoffnungen. Um ihnen zu genügen, bedarf es einerrechtlichen Grundlage, die überkommene Differenzierungennicht aufrecht erhält, sondern sich – dem ihr zugrunde lie-genden Gedanken folgend – in vollem Umfang in die als„Humanisierung des Völkerrechts“128 bezeichnete Entwick-lung einfügt.

In diesem Sinne werden die Vertreter der Vertragsstaaten imRahmen der 2010 anstehenden Überprüfungskonferenz zum

Thema

123So auch R. Cryer (u.a.), a.a.O. (Fn. 38), S. 232.124K. Ambos, Internationales Strafrecht, Strafanwendungsrecht, Völkerstraf-recht, Europäisches Strafrecht, 2. Auflage, München 2008, § 6, Rn. 16.

125Siehe für eine umfassende Darstellung verschiedener Vorschläge,D. Willmott, Removing the Distinction Between International and Non-International Armed Conflict in the Rome Statute of the InternationalCriminal Court, in: Melbourne Journal of International Law, 5 (2004).

126So auch R. Cryer (u.a.), a.a.O. (Fn. 38), S. 232; G. de Beco, a.a.O.(Fn. 28), S. 329; D. Willmott, a.a.O. (Fn. 125), S. 218 f.

127A. Böhm, a.a.O. (Fn. 6), S. 6.128Siehe hierzu T. Meron, The Humanization of International Law, Lei-den (u.a.) 2006, S. xv.

129Ein Schritt, der im deutschen Völkerstrafgesetzbuch, dessen §§ 8-12 inweiten Teilen nicht mehr zwischen internationalen und nicht-internatio-nalen bewaffneten Konflikten unterscheiden, schon vollzogen wurde(K. Ambos, a.a.O. (Fn. 124), § 7, Rn. 229; G. Werle, a.a.O. (Fn. 20),Rn. 307).

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Notes and Comments – Articles

85Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften / Journal of International Law of Peace and Armed Conflict

powerless to curb the spiral of violence. The focus of thisarticle is to give an overview of the dilemmas regardingapplicability of humanitarian law to the peacekeeping mis-sions.Accountability – particularly criminal – for actions or omis-sions of United Nations soldiers in the field and what kind ofaccountability processes are available are, both from a legaland political perspective, relevant to states contributing con-tingents to the United Nations, and to the local populationitself. This article sets out to examine how the UnitedNations has assumed the applicability of humanitarian law inpeace operations3 and the concrete steps taken by the UnitedNations to address responsibility.

1. Introduction

During the ColdWar, United Nations peacekeeping missionswere mostly involved in managing interstate conflicts. How-ever, the end of the Cold War led to a change in the inter-national environment which brought about new types of con-flicts, mainly intra-state conflicts. The international responseto the armed conflicts inside states required more complexmeasures. In addition to the obtaining of a peace agreement,the protection of civilian population and post-conflict recon-struction emerged as critical components of the missions.These changes evoked new challenges for the internationalcommunity. Apart from the traditional task of assuring acease fire, as, for example, during the first mission in Israel-Palestine in 1948 (United Nations Truce Supervision Organi-zation), the mandates of the United Nations peacekeepingforces have become more and more multi-dimensional anddiverse because classic United Nations peacekeeping provedto be insufficient.The functions and structure of peacekeeping missions haveevolved over the last two decades. In this context, integratedmissions have come into existence as a way to channel acommon goal under the United Nations organizational struc-ture. During the first missions, the Blue Helmets, as actors ofthe peacekeeping missions, were authorized to use force on-ly in self-defence1. In more recent years, there has also beenthe emergence of larger authorizations of force, always withthe sole aim of fulfilling the mandate of the mission. The cur-rent mandates of peacekeepers, established by the SecurityCouncil, are vast. In this framework, issues such as the ap-plicability of international humanitarian law become moreand more relevant2. During the nineties the violation of inter-national humanitarian law by the Blue Helmets came intofocus as states began to admit that army personnel of UnitedNations missions could violate international conventionsregarding armed conflicts.The spectrum of peace and security activities as well as theactors are broad and keep growing. Peace missions nowoperate in more extensive contexts when governments are

* Joana Abrisketa is a Professor of Public International Law and EuropeanLaw, at the University of Deusto, Bilbao, Spain. She has a PhD on “Theright to humanitarianAssistance as a human right” published as DerechosHumanos y Acción Humanitaria, San Sebastián, Alberdania, 2004. Shehas been co-director of the Joint European Master on HumanitarianAction (NOHA) and coordinates the Law Module of the Master since2001. She has visited the Universities of York, Canada and Columbia,NewYork, thanks to the Erasmus Mundus Project for Scholars.

1 Related to the legal status of the visiting armed forces see D. Fleck (ed.),The Handbook of The Law of Visiting Forces, Oxford, Oxford UniversityPress, 2001; G. Zarranz Doménech, “El estatuto jurídico de una Fuerzade apoyo a la paz”, in C. Ramón Chornet, Problemas actuales del Dere-cho Internacional Humanitario, I Jornadas de Derecho InternacionalHumanitario, Valencia, University of Valencia, 2001, pp. 95-104; D.Liñán Nogueras and J. Roldán Barbero (eds.), El estatuto jurídico de lasFuerzas Armadas Españolas en el exterior,Madrid, Plaza y Valdés, 2008.

2 R. Murphy, “United Nations Military Operations and InternationalHumanitarian Law: What rules apply to peacekeepers?”(2003) 14 Crimi-nal Law Forum, 153-194.

3 For an overview of 2008 operations see Center on International Coopera-tion, Annual Review of Global Peace Operations 2008, London, LyneeRienner Publishers, 2008, R.Rubinstein, Peacekeeping under fire: cultureand intervention, Boulder, 2008 and for historical perspective A. IglesiasVelasco, Las operaciones de mantenimiento de la paz: concepto, evo-lución histórica y características (1948-2002), Colección de Estudios,Universidad Autónoma de Madrid, Madrid, 2002 and P.A. FernándezSánchez, Operaciones de las Naciones Unidas para el Mantenimiento dela Paz, vol. I and II, Huelva, Universidad de Huelva Publicaciones, 1998.

Blue Helmets and international humanitarian law:how they come togetherJoana Abrisketa*

Das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts gestaltete sich kritisch für die Entwicklung von Peacekeeping Operations unter demMandat der Vereinten Nationen. Die bisherigen Errungenschaften einer Einigung hinsichtlich der Anwendbarkeit der Normendes humanitären Völkerrechts für Peacekeeper im humanitären Völkerrecht könnten als ungenügend angesehen werden.Dieser Artikel strebt danach, die Rechtsstruktur der Peacekeeping Operation der Vereinten Nationen und die Bindung derPeacekeeper an das humanitäre Völkerrecht nach den neuen Maßstäben seit 1999, die die Vereinten Nationen bestimmt haben,zu erforschen.

The first decade of the XXI century has been critical for the development of peacekeeping operations under the mandate of theUnited Nations. However, under international humanitarian law the achievement of a general consensus regarding the deter-mination of its applicability for peacekeepers could be considered insufficient. This article seeks to explore the legal frame-work of United Nations peacekeeping operations and the ways peacekeepers are bound by international humanitarian lawunder the new measures given by the United Nations Organization since 1999.

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Beiträge – Artikel

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The biggest innovation of the United Nations Charter is thatarticle 42 states that the Security Council can implement thenecessary military measures if it is of the opinion that themeasures provided in article 41 would be, or have alreadyproved to be, inadequate. This occurs with the contributionof armed forces from member states of the United Nations.Originally, the United Nations was meant to have a perma-nent army at its disposal, and the strategic command was tobe run by a Military Staff Committee. The Committee wasnever set up, and the Cold War paralyzed any attempt to setup the system in its entirety. This mechanism is also knownas the “collective security system”. It means that states agreenot to use force unilaterally; instead, they agree to participatein a process in order to take decisions based on a collectiveagreement.As a result of the failure to achieve a legally establishedcollective security system during the Cold War, the UnitedNations implemented in 1956 what is known as the firstpeacekeeping operation during the Suez Canal Crisis inEgypt. The shipping canal is 171 km long and connects theMediterranean with the Red Sea. It was opened in 1869 andin 1956, the former President of Egypt, Nasser, announcedunilaterally the unilateral nationalization of the Canal.Britain and France, who shared ownership of the Canal,landed with their troops to the north. Two days later, Egyptwas invaded by the Israeli Army.As a response to the Suez Canal crisis, the former Secretary-General, Hammarskjöld, formulated the idea of the firstUnited Nations peacekeeping operation. In the course ofa Security Council meeting over the so-called Suez Crisis,the Secretary-General declared that “the principles of theCharter are, by far, greater than the organization in whichthey are embodied, and the aims which they are to safeguardare holier than the policies of any single nation or people”.7

The Secretary-General drew up a plan to establish “an emer-gency international United Nations force to secure andsupervise the cessation of hostilities”8. This mechanism wasnot foreseen by the Charter, but was an alternative to the fail-ure of collective security. Since there is no legal basis forsuch measures, the justification for such operations is oftenreferred to as Chapter VI and a half. The United Nations’strength, in effect, arose from its weakness.9

2. The legal foundation of peacekeeping missions

The goal of the United Nations Charter is to maintain inter-national peace and security and, to that end, to take effectivecollective measures for the prevention and removal of threatsto or breaches of peace. Chapter VII is the section of theUnited Nations Charter which is especially devoted to thepreservation and restoration of peace.4

As an initial phase, the Security Council must strive to facil-itate the peaceful settlement of disputes among the states con-cerned. States have the obligation to seek peaceful solutionsto their controversies, whether through negotiation, inquiry,mediation, conciliation or arbitration (article 33). If the per-petuation of the dispute is likely to endanger internationalpeace and security, states are under the obligation to submittheir disputes to the Security Council. The Security Councilwould then take a decision based somewhere between Chap-ter VI, focused on a peaceful settlement, and Chapter VII,based on peace enforcement. Currently, the elements of tra-ditional peacekeeping and peace enforcement are combinedin one mandate and are known as hybrid operations.That said, Chapter VII is applicable in cases of threats to thepeace, breaches of the peace, and acts of aggression. Most ofthe United Nations peacekeeping operations currently func-tioning fall under Chapter VII. Article 39 is the first article ofChapter VII. Article 39 lays out that the Security Council hasexclusive competences and authority to identify a situationas a breach of peace and then impose measures. The SecurityCouncil determines the existence of a threat to the peacewhich opens the route to large-scale intervention underChapter VII. With the end of the Cold War, the opportunitiesopen to the Security Council became much greater. In fact,on 31 January 1992, the Security Council held the first-evermeeting at the level of the Head of State and Government inconnection with the item entitled “The responsibility of theSecurity Council in the maintenance of international peaceand security”.5 This meeting remains a symbol of the endof the Cold War and a reactivation of the Security Council,never again blocked by one of the super powers. In saidmeeting, the Security Council declared that not just openarmed conflicts could be qualified as a threat to the peace,but also situations such as extreme violence within a state,humanitarian crises, and grave breaches of human rights.In fact, in the beginning of the nineties, when authorizingmilitary interventions, the Security Council issued resolu-tions insisting that grave violations of human rights may con-stitute a threat to international peace and security.6 Thethreshold of a threat to – or breach of – international peaceand security is not limited to interstate conflicts, but alsocomprises conflicts within states when there is human suffer-ing involved.There are a range of measures the Security Council couldtake. Article 40 of the United Nations Charter provides pro-visional measures to prevent an aggravation of the situation.Article 41 of the United Nations Charter extends the SecurityCouncil’s options by giving it the opportunity to decide whatmeasures not involving the use of armed force are to be em-ployed. These may include complete or partial interruptionof economic relations and means of communication and theseverance of diplomatic relations.

4 B. Simma, The Charter of the United Nations: a commentary, Oxford,Oxford University Press, 1995, p. 608, E. Suy, “Peacekeeping opera-tions”, in R.J. Dupuy, A Handbook on International Organizations, 2nded., Hague Académy of International Law, Nijhoff Publishers, 1998 andR. Higgins, UN Peacekeeping, 1946-1967: documents and commentary,Oxford, Oxford University Press, 1970.

5 Security Council, Note by the President 23500, UN Doc. S/23500,31 January 1992. Normally the meetings of the Security Council are heldby the delegates of the state members, but not by the Head of State orGovernment or Ministers of Foreign Relations.

6 Security Council, Resolution 688, UN Doc. S/688/1991, 5 April 1991, onthe situation in Iraq; Resolution 941, UN Doc. S/941/1994, 23 September1994, on the situation in Bosnia; Resolution 955, UN Doc. S/955/1994,8. November 1994, on Rwanda; Resolution 1203, UN Doc. S/1203/1998,24 October 1998, on Kosovo.

7 J. Traub, The best intentions, NewYork, Farrar, Straus and Giroux, 2006,p. 11.

8 Ibid.9 Ibid.

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Notes and Comments – Articles

87Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften / Journal of International Law of Peace and Armed Conflict

However, from the facts perspective, the moment UnitedNations forces resort to a use of force that reaches the thresh-old of an armed conflict, humanitarian law applies to them.Humanitarian law is a question of ius in bello. Once UnitedNations forces are involved in armed conflict, humanitarianlaw applies.The applicability of humanitarian law is determined by thefacts, not by the mandate. In addition, the obligation of statesto provide instruction in humanitarian law to their armedforces is mentioned in the 1949 Geneva Conventions andtheir 1977 Additional Protocols; in the 1954 Hague Conven-tion for the Protection of Cultural Property and its 1999 Sec-ond Protocol; and finally in the 1980 Convention on CertainConventional Weapons, all of which specify that the obliga-tion to train the armed forces in humanitarian law applies intimes of peace as well as in times of armed conflict.12 Asstate practice is referred, some states have an official policyto this effect (Germany, Italy, Jordan, Malaysia and Spain).

4. The United Nations position towardshumanitarian law

The United Nations position has evolved significantly overtime. In the beginning, the United Nations refused to applyhumanitarian law to its operations. The United Nations’ ar-guments were that the United Nations is not part to the 1949Geneva Conventions and 1977 Protocols (the final clauses ofthe Conventions do not, in fact, provide for participation ofinternational organizations, such as the United Nations); thatthe Blue Helmets could not be assimilated to combatants;and that it is not possible to put into practice some articles in-cluded in the 1949 Geneva Conventions and 1977AdditionalProtocols such as those concerning the treatment of prisonersof war or those regulating the prosecution and punishment ofgrave breaches of the law. Another argument was that peace-keeping operations are not coercive in nature, therefore theUnited Nations activities may not be properly classified asarmed conflicts. In conclusion, the United Nations’ perspec-tive was that humanitarian law was not conceived for peacekeepers.In addition, nowhere in Chapter VII, and in article 42 in par-ticular, is “war” mentioned. The Charter refers to “such ac-tion by, sea, air or land forces as may be necessary […] andmay include demonstrations, blockade, and other operationsby air, sea or land forces of members of the United Nations”.Article 103 of the United Nations Charter may also be usedto support the argument that the obligations of member states

Between 1948 and 2008 there have been a total of 63 peaceoperations. Currently 16 are active. The total number of per-sonnel presently serving in the Department of PeacekeepingOperations led by the United Nations is 111,612.

3. The structure of Peacekeeping Operations

The forces are deployed under the direct authority of theUnited Nations and the Secretary-General is responsible forthe organization of the operations. He nominates for eachoperation a Force Commander, who is the head of the mili-tary component and is in charge of the operational commandon the ground. The Force Commander selects the membersof his military staff from the officers on the national contin-gents placed at his disposal.The Force Commander is responsible for the overall orderand discipline of the troops10. He runs a military police force.This military force has the mandate to arrest any of its mem-bers, and the Commander can impose transfers or assign-ments as sanctions. He can also request that a state recalls allits military personnel. However, the real disciplinary powerremains under the jurisdiction of the state providing thetroops. To this effect, the state must name an officer withinits contingent who acts as the national chief of the militarypolice. The Force Commander is informed of any disci-plinary measures and may consult the commander of thenational contingent and even the authorities of the contribut-ing state, if he considers that these measures were insuf-ficient.Currently, the non-governmental organization Save the Chil-dren, has published a very revealing report called No One toTurn To, a result of a global investigation into the nature andextent of the problem of non-accountability of the BlueHelmets. The report was written in 2007 after field tripsto Southern Sudan, the Ivory Coast and Haiti. The studyfocused on sexual exploitation and abuse and concluded thattypes of abuse such as forced sex, inappropriate touching andverbal abuse were common among military personnel. Thelast result of this conduct is a general mistrust and rejectionof military personnel by the local population.To ensure respect of international humanitarian law, and torespect it, is a crucial task of United Nations peacekeepingoperations because missions are often deployed into conflictand/or post-conflict environments, where violence may beongoing or conflict could reinitiate.11 The question is whatkind of commitment could be expected from the UnitedNations forces in the pursuit of respect of internationalhumanitarian law. To answer this question, two perspectivesmust be explored, one regarding the mandate – ius ad bellum– and the other one regarding the facts – ius in bello.From the mandate perspective, the function of a peacekeep-ing operation is to keep the peace. Troops are in the field todischarge a mandate that puts them in a situation similar tothat of an international police. Accordingly, when they useforce, they do not become adversaries, but just exercisepolice powers. Therefore, even when they resort to force, theparties have no right to target them. The Blue Helmets have atask to perform, they are not party to a conflict, and humani-tarian law is not applicable to them as long as they carry outtheir mandate impartially.

10 D.C.F. Daniel / Leigh C. Caraher, “Characteristics of Troop Contributorsto Peace Operations and Implications for Global Capacity” (2006) 3International Peacekeeping 297-315.

11 Department of Peacekeeping Operations, United Nations PeacekeepingOperations. Principles and Guidelines, NewYork, United Nations, 2008,p. 15.

12 GC I art. 47; GC II art. 48; GC III art. 127; GC IV art. 144; AP I art. 83;AP II art. 19; Hague Convention for the Protection of Cultural Property,art. 25; Second Protocol to the Hague Convention on the Protection ofCultural Property art. 30; Convention on Certain Conventional Weaponsart. 6.

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Beiträge – Artikel

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Military forces could not be bound under United Nationscommand by weaker rules than under national command.

6. Immunity ends

Peacekeeping operations are deployed on the basis of a reso-lution given by the Security Council. They become UnitedNations organs and, in general terms, their personnel havethe status of officials subject to the General Convention onthe Privileges and Immunities of United Nations of 1946.Section 18 of the General Convention provides that officialsare immune from legal process in respect of words spokenor written and all acts performed by them in their officialcapacity.20

The question is to determine if the United Nations is directlyliable for all acts undertaken by members of peacekeepingforces. In practice, however it is difficult to hold the UnitedNations accountable before international or national entities.At an international level, the available recourses only work ifthe victims are states or international organizations. Hence,individuals or juridical persons (e.g. non-governmental orga-nizations) have no recourse before any international organ incase of injury caused by an international organization, unlessthe institutional system of the organization itself foreseessuch a possibility. In the case of the United Nations, it enjoysimmunity from jurisdiction – that is, from legal process (arti-cle 104 of United Nations Charter and article 2 of the 1946Convention on the Privileges and Immunities of the UnitedNations).Immunity is a privilege enjoyed by certain persons thatenables them to exercise their functions free from outsideconstraints or pressures, including legal ones. The purpose ofgranting immunity to international organizations is to protectthem against interference by the individual government ofthe state in which they are located. Individuals entitled toimmunity from jurisdiction could thus avoid legal pursuit.The aim of immunity is to shelter United Nations personnel

arising from the Charter take precedence over the interna-tional treaties, including the Geneva Conventions and Addi-tional Protocols.

The first peacekeeping operations for Israel-Palestine, Con-go and Cyprus contained a mention to the observance andrespect of “the principles and spirit” of the Geneva Conven-tions. The first agreements between the United Nations andthe contributing states contained the same point.13 What isbinding upon individual states is binding upon the UnitedNations as it is an organization established by states, throughwhich individual states act.

5. The International Committee of theRed Cross’s position towards the applicabilityof humanitarian law to peace keepers

The position of the International Committee of the RedCross is that states party to the 1949 Geneva Conventionsmust “respect and ensure respect” for the Geneva Conven-tions and Protocols “in all circumstances”. This means alsoin a peacekeeping mission.The characteristic of the peacekeepers which directly raisesthe question of applicability of humanitarian law is that itsmembers are armed.14 Both the International Committee ofthe Red Cross and the International Conference of the RedCross have on many occasions expressed their opinion on theapplicability of humanitarian law both to and by peacekeep-ers. One relevant example dates back to 1965 when the 20thInternational Conference of the Red Cross adopted the firstresolution regarding this point. It emphasized that it was of“paramount importance” that governments provide adequateinstruction in the Geneva Conventions to contingents madeavailable to the United Nations before they left the country.15

The most recent achievement has been made by the rules ofCustomary International Humanitarian Law edited by theInternational Committee of the Red Cross.16 One of thesecustomary rules declares that:“States and parties to the conflict must provide instruction ininternational humanitarian law to their armed forces.”17

This rule is established as a norm of customary internationallaw applicable to all states. Due to the increasing use of statesoldiers as peacekeeping forces, they must be trained in theapplication of humanitarian law before being deployed.Some states have an official policy to this effect.18 Sub-sequently, as it is set forth in article 87 (2) of AdditionalProtocol I, commanders have the obligation to ensure thatmembers of the armed forces under their command are awareof their obligations under humanitarian law. The most effec-tive way to ensure compliance with the states’ obligationto instruct their armed forces is by making commandersresponsible for the instruction of the armed forces under theircommand.19 The commanders’ obligation to ensure instruc-tion in humanitarian law is supported by official statements,examples of which are provided by Canada, the Netherlands,the United States and Zimbabwe.In conclusion, the Geneva Conventions and Protocols createan obligation for state parties to ensure that members of thearmed forces participating in peacekeeping missions areproperly trained and familiar with the relevant provisions.

13 Secretary-General, Report 46/185, UN Doc. A/46/185, 23 May 1991,Model Agreement between the United Nations and member statescontributing personnel and equipment to United Nations peace keepingoperations.

14 U. Palwankar, “Applicability of international humanitarian law to UnitedNations peace-keeping forces”,(1993) 294 International Review of theRed Cross 227-240.

15 The Resolution XXV adopted in the 20th International Conference of theRed Cross was called “Application of the Geneva Conventions by theUnited Nations Emergency Force”.

16 See also D. Shraga / R. Zacklin, “The Applicability of International Hu-manitarian Law to United Nations Peacekeeping operation: Conceptual,Legal and Practical Issues”, in International Committee of the Red Cross,Symposium on Humanitarian Action and Peacekeeping OperationsReport, Geneva, International Committee of the Red Cross, 1994, at 40.

17 J.M. Henckaerts / L. Doswald-Beck, Customary International Humani-tarian Law, Volume I: Rules, Cambridge, Cambridge University Press andInternational Committee of the Red Cross, p. 501.

18 Ibid., pp. 3207-3268. The practice of Germany, Italy, Jordan, Malaysiaand Spain is highlighted in this book.

19 Ibid., p. 504.20 General Assembly, Letter from the Secretary-General to the Presidentof the General Assembly 59/710, UN Doc. A/59/710, 24 March 2005,Comprehensive review of the whole question of peacekeeping operationsin all their aspects, Annex p. 32.

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Notes and Comments – Articles

89Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften / Journal of International Law of Peace and Armed Conflict

and they continue to benefit from this immunity even afterthey are no longer members of the operation.However, the immunity granted by the 1946 Convention isnot absolute. The Convention establishes that the United Na-tions Secretary-General can waive an individual’s immunity“in any case where, in his opinion, the immunity wouldimpede the course of justice and can be waived without pre-judice to the interests of the United Nations” (sections 20 to23 of the 1946 Convention). It is therefore left to the Secre-tary-General’s discretion whether to lift immunity.As Rawski stated, “to recognize the existence of a generaland unrestricted immunity from prosecution on the part ofthe personnel of the United Nations […] is carrying theprinciple of immunity completely out of bounds”.23 The fol-lowing international-law treaties establish that individualsaccused of war crimes or crimes against humanity cannotresort to immunity from jurisdiction or official status toavoid facing justice:� The 1948 Convention on the Prevention and Punishmentof the Crime of Genocide (article 4)

� The 1984 Convention against Torture and Other Cruel, In-human, or Degrading Treatment or Punishment (article 1)

� The 1949 Geneva Conventions (GC I article 59, GC IIarticle 50, GC III article 29, and GC IV article 146)

� The Statute of the International Criminal Court (article 27).

In all cases, the United Nations’ accountability does notexclude the states’ accountability since members of nationalcontingents remain subject to their national laws, whether ornot they are under United Nations command. This means thatUnited Nations troops are responsible for respecting human-itarian law under a double mandate: under regulation of theforce to which they belong, and under their national laws. Infact, the contributing state must assure to the Secretary-Gen-eral that they are willing to exercise their jurisdiction overany crimes that may be committed by members of their con-tingent.However, in cases where the person acted outside of officialUnited Nations functions, the state of which the individual isa national is accountable. To this effect, the agreementssigned between the United Nations and the contributingstates set forth that the states concerned must ensure that themembers of their national contingents know the rules of hu-manitarian law.According to the Committee of Human Rights General Com-ment, state parties are required by article 2, paragraph 1 ofthe Covenant, to respect and to ensure the Covenant rights toall persons who may be within their territory and to all per-sons subject to their jurisdiction. This means that a stateparty must respect and ensure the rights laid down in theCovenant to anyone within the power or effective control of

from national pressures and to ensure the “exclusively inter-national character” of their mission in conformity with arti-cle 100 of the United Nations Charter. This immunity existsmainly for diplomats, United Nations personnel, and parlia-mentarians, as well as government members and heads ofstate or government. However, immunity is not absolute andis generally restricted to acts committed in the exercise of of-ficial functions during the time the person holds that officialposition. They may not be arrested, criminally prosecuted, ordetained by domestic foreign courts.The 1946 Convention on the Privileges and Immunities ofUnited Nations is applicable only to individuals who are offi-cials and experts of the United Nations in the strictest sense.Personnel working in the field for humanitarian agencies ofthe United Nations are mostly under contract and are there-fore not covered by the 1946 Convention.The immunities foreseen for members of peacekeepingforces depend on their status, which is determined by theagreement signed between the United Nations and the coun-try in which the operation takes place. United Nations per-sonnel enjoy immunity based on the Convention on thePrivileges and Immunities of the United Nations adopted on3 February 1946. Military Observers, Civilian Police andCivilian Staff in United Nations peacekeeping missionsoperate under the status of “experts performing missions”,giving them functional immunity applicable under officialfunctions. These personnel are subject to local civil andcriminal jurisdiction for acts committed by them in the hostcountry that do not form part of their official functions. How-ever, many countries where peacekeeping missions takeplace do not have properly functioning legal systems, mak-ing it extremely difficult to initiate local prosecutions.21

The model agreements regulating the status of peacekeepingforces establish several different regimes depending on thecategories of personnel:

The ability to hold individual peacekeepers accountable col-lides with the immunity from jurisdiction that peacekeepingforces enjoy through their status as subsidiary organs of theUnited Nations (according to the 1946 Convention on thePrivileges and Immunities of the United Nations22). This im-munity is cited in the different agreements signed when theforce is created. Peacekeepers thus enjoy immunity fromjurisdiction for acts committed in the conduct of their duties,

– Special Representative of theSecretary-General

– Force Commander– Chief of the Civilian Police Full diplomatic immunityHigh-level officials cooperatingwith the special representativeand the commander

– Military observers Immunity from arrest and detention– Members of the United Nations during the period of their missionCivilian Police

– Civilian agents who are not Immunity from jurisdiction for actscivil servants accomplished in the performance

of their mission

Military personnel of national Immunity from jurisdictioncontingents assigned to the military for acts carried out in the exercisebranch of the peacekeeping operation of their functions

21 J. Khaleeli, “Addressing the Sexual Misconduct of Peacekeepers. Brief-ing Note”, in S. Martin / P. Gantz, Refugees International, September2004, www.effectivepeacekeeping.org. (accessed 26 January 2009).

22 The question of subsidiary organs of the United Nations can be found inart. 22 and 29 of the United Nations Charter.

23 F. Rawski, “To waive or not to waive: Immunity and Accountability inUN Peace Operations”, (2002) 18 Connecticut Journal of InternationalLaw 103-132.

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tion of the civilian population and rules relating to means andmethods of combat; treatment of civilians and persons horsde combat; treatment of detained persons; and protection ofthe wounded, the sick, and medical and relief personnel.Thus, peacekeepers are obliged to protect civilians, and thismeans a prohibition of violence to life or personal safety andto cruel treatment such as torture, rape, enforced prostitution,any form of sexual assault, humiliation and degrading treat-ment, and enslavement. One could say that peace missionshave as their objective to promote freedom from fear.In terms of punishing violations of humanitarian law, the bul-letin has not made significant progress. Precisely, Section 4of the bulletin states:“In case of violations of international humanitarian law,members of the military personnel of a United Nations forceare subject to prosecution in their national courts”.As the military forces are exempted from the criminal juris-diction of the host state, they are immune from legal processin the territory where they are deployed. On an internationallevel, the most severe action that can be taken is repatriationof the accused – at the contributing nation’s expense – and,if the accused is eventually found guilty, a block on futureservice in United Nations missions. The bulletin did not takeinto consideration two of the most relevant achievements ofinternational law of the last decade: the principle of universaljurisdiction and the consideration of a war crime as a viola-tion of humanitarian law by the Rome Statute of 1998.The arrangements guaranteeing prosecution in nationalcourts could be criticized. From their texts, it does not looktotally consistent that troop-contributing states have criminaljurisdiction over forces for which the United Nations isresponsible. Different states may have different views onwhich crimes committed by their troops, if any, they want toprosecute.The exercise of criminal jurisdiction left to the troop-con-tributing state is illustrated in practice. Belgian and Canadianpeacekeepers have been brought before national courts forcrimes committed during peace operations. Sri Lanka is pro-cessing 111 Blue Helmets repatriated from the Ivory Coastbecause of sexual abuse. Nigeria did the same in 2005against 11 soldiers and Bangladesh repatriated 5 Blue Hel-mets from Liberia. Consequently, an overall analysis of thebulletin must be made.Regarding the legal status of the bulletin of the Secretary-General, the experts who met in Geneva in December 2003

that state party, even if not situated within the territory of thestate party.24 Extraterritorial obligations are recognised bythe Committee. However, states do not tolerate having theiractions questioned.

7. Recent steps towards the application ofhumanitarian law by the United Nations forces

The recent steps taken towards the application of humanitar-ian law by peacekeepers are many. Probably the most rele-vant are the United Nations Secretary-General’s Bulletin onthe Observance by the United Nations Forces of Internation-al Humanitarian Law of 199925, and the recent Guidelines(also called Training Cards) of the Department of Peacekeep-ing Operations applicable to the Status of ForcesAgreements(SOFA).Based on those documents and depending on the level ofmisconduct, the personnel of a peacekeeping operation maybe subject to different consequences: disciplinary action,repatriation and termination of contract, criminal proceed-ings and financial liability. The controversial aspects of thesetools are going to be examined in the following pages.26

7.1. The United Nations Secretary-General’s Bulletinon the Observance by the United Nations Forcesof International Humanitarian Law

It was in the year 1999, celebrating the 50th anniversary ofthe 1949 Geneva Conventions, when the Secretary-Generalof the United Nations, Kofi Annan, set out some fundamentalprinciples and rules of humanitarian law applicable to UnitedNations forces in the Bulletin on the Observance by theUnited Nations Forces of International Humanitarian Law27.The Secretary-General reached a comprehensive solutionand issued a statement declaring that “The fundamentalprinciples and rules of international humanitarian law […]are applicable to United Nations forces when in situationsof armed conflict they are actively engaged therein ascombatants, to the extent and for the duration of theirengagement. They are accordingly applicable in enforcementactions or in peacekeeping operations when the use of forceis permissible in self-defence.”28

A state’s or a coalition of states’ national contingents autho-rized to initiate an operation under Chapter VII of the UnitedNations Charter are bound by humanitarian law in conformitywith their state systems. Protection in self-defence ismore than protecting oneself. When civilian population isattacked, a peacekeeper could consider that it is an attackagainst him and react by the use of force. The use of the term“forces” means that all forms of United Nations operationsare covered by this bulletin, as the Secretary-General has notspecified any type of operation. The bulletin covers peace-keeping operations and United Nations-controlled enforce-ment operations. The bulletin does not cover United Nations-authorised enforcement operations that are not under UnitedNations command and control, although these operationsusually function with the application of humanitarian law.The provisions established from Sections 5–9 of the bulletinprovide the fundamental principles of humanitarian lawwhich forces are obliged to abide by. Those include protec-

24 Committee on Civil and Political Rights, CCPR/c/21/Rev. 1/Add.13,General Comment n. 31 Nature of the General Obligation imposed onstate Parties to the Covenant, 26 May 2004, para. 10.

25 A. Ryniker, “Observance by the UN Forces of international humanitarianlaw: comments on the Secretary General’s Bulletin of 6 August 1999”,(1999) 863 International Review of the Red Cross, 795-805.

26 For the concrete issue of sexual exploitation and sexual abuse see Secre-tary-General, Bulletin 13, UN Doc. ST/SGB/2003/13, 9 October 2003,Special measures for protection from sexual exploitation and sexualabuse.

27 Secretary-General, Bulletin 13, UN Doc. ST/SGB/1999/13, 6 August1999.

28 P. Rowe, “Maintaining Discipline in United Nations Peace Support Oper-ations”, (2000) 5 Journal of Conflict and Security Law 45, 52.

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Notes and Comments – Articles

91Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften / Journal of International Law of Peace and Armed Conflict

tenance of discipline and good order among such personneland the investigation of, and accountability for, violations”.The sending state reserves full jurisdiction over misconductby military troops serving as peacekeepers. Repatriation isthe United Nations’ only disciplinary option. This model ofMemorandum adds a new disciplinary code. As provided bythe United Nations, the Organization achieves further author-ity. Therefore, the United Nations is authorized to requestinformation concerning the investigation and the politicalwill of the country of origin. In this respect, one of the keyreforms advocated by the Adviser to the Secretary-Generalon sexual exploitation and abuse by United Nations peace-keeping personnel was that the MOU should contain the“United Nations standards of conduct” which provide threetypes of rules:

1. Ten Rules–Code of Personnel Conduct for BlueHelmets

2. We Are United Nations Peacekeepers pocket card3. Prohibitions on sexual exploitation and abuse.

These rules represent an attempt to integrate the respect ofhuman rights and humanitarian law in peace operations. Thegovernment must ensure that the commander of its nationalcontingent is vested with the necessary authority for the pur-pose of maintaining discipline and good order among allmembers of the national contingent and ensuring that theycomply with the United Nations’ standards of conduct. Thecommander of the national contingent will communicate re-ports of any disciplinary action to the Force Commander ofthe United Nations peacekeeping mission.However, in these cases there is not an international jurisdic-tion; it is not the United Nations which exercises jurisdiction.The United Nations does not have a court martial structure orother integrated penal system to deal with crimes committedby peacekeepers. Investigations into serious violations ofUnited Nations rules – including IHL – are conducted bymembers of the United Nations Office of Internal OversightServices (OIOS).34 As a result of a United Nations investiga-tion, a contingent commander can be repatriated if he is

agreed that the bulletin was an internal document of the Unit-ed Nations. The Bulletin is binding upon troops under UnitedNations command and control, but does not constitute a legalobligation stricto sensu upon states.29 The bulletin reflectsexisting rules of humanitarian Law and the minimum normsapplicable to peacekeeping forces, and also lays down prohi-bitions that do not exist under treaty-based or customary law– in particular the absolute prohibition in Section 6.2 onbooby traps and incendiary weapons, the use of which ismerely restricted under humanitarian law.During the 2003 meeting, the necessity to clarify the statusof the bulletin was also highlighted. If it is considered a poli-cy statement it should nevertheless be approved by a resolu-tion of the United Nations Security Council, which autho-rizes operations. If it is intended to reflect actual humanitari-an law, it should be approved by states.30 However, even withthe bulletin, the observance of humanitarian law by BlueHelmets remains unresolved in specific applications. Thebulletin is only binding for the United Nations staff mem-bers. Civilian police and military observers agree to bebound by directives which, since approximately mid-2004,have included a summary of those prohibitions. The situationof military members of contingents is unclear. Rules can bemade binding on military members of contingents only withthe agreement of, and action by, the troop-contributingcountry concerned.31

Once the decision to deploy a peacekeeping mission hasbeen approved, troop-contributing countries must decidewhether to send personnel or not. As the United Nations doesnot have a standing army, it relies upon each member state tovolunteer both military and police personnel. The deploy-ment of peacekeepers, including the financial costs, remainsunder the authority of the government which volunteers thetroops. The troops are subject to the conditions outlined inthe following two agreements: the Memorandum of Under-standing (MOU) and the SOFA.

7.2. MOU: Department of Peacekeeping OperationsGuidelines and Rules

When a state offers its forces for intervention in a United Na-tions mission, that state and the Organization sign a MOU,which sets the legal framework of the mission. Therefore, themodel agreement is signed by the United Nations and eachcountry which contributes troops.The Model of the MOU prepared by the Secretary-Generalin May 1991 specified that “United Nations peacekeepingoperations shall observe and respect the principles and spiritof the general international conventions applicable to theconduct of military operations”.32 In 2006, the model of theMemorandum between the United Nations and troop-con-tributing countries was revised to incorporate relevant provi-sions.33

The new model of agreement provided in article 3 adds theduty of accountability in the following terms:Article 3 “The purpose of the present MOU is to establish theadministrative, logistics and financial terms and conditionsto govern the contribution of personnel, equipment andservices provided by the Government in support of (UnitedNations peacekeeping mission) and to provide for the main-

29 A. Faite / J. Labbé, Experts Meeting on Multinational Peace Operations,Applicability of International Humanitarian Law and InternationalHuman Rights Law to UN Mandated Forces, Geneva, International Com-mittee of the Red Cross, 11-12 December 2003, p. 10.

30 Ibid., p. 11.31 UN Doc. A/59/710, 24 March 2005, supra note 15, p. 12, para. 22.32 These Conventions would include the 1949 Geneva Conventions and the1977 Protocols as well as the Convention on the Protection of CulturalProperty from 1954. See C. Greenwood, “International HumanitarianLaw and United Nations Military Operations”, (1998) 1 Yearbook ofInternational Humanitarian Law 3, and D. Shraga, “UN PeacekeepingOperations: Applicability of International Humanitarian Responsibilityfor Operations-Related Damage”, (2000) 94 American Journal of Inter-national Law 406.

33 Secretary-General, Note 61/494, UN Doc. A/61/494, 3 October 2006,Revised draft Model MOU between the United Nations and (participatingstate) contributing resources to (the United Nations Peacekeeping Opera-tion).

34 Secretary-General, Note 57/465, UN Doc. A/57/465, 11 November 2002,Investigation into sexual exploitation of refugees by aid workers in WestAfrica, Report of the Secretary-General on the activities of the Office ofInternal Oversight Services, delivered to the General Assembly.

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Beiträge – Artikel

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If a peacekeeper commits a criminal offence, in judicialterms, the individual is under the exclusive jurisdiction of hisor her state. This is part of the agreement signed betweenthe United Nations and host states or between the UnitedNations and contributing states. In a case in which the crimeconstitutes a grave breach of humanitarian law, these provi-sions are problematic because they contradict the principle ofuniversal jurisdiction. The principle of universal jurisdiction,codified by the 1949 Geneva Conventions, established thatall states have an obligation to search for and prosecute indi-viduals accused of such crimes. By virtue of the hierarchy ofnorms, this obligation prevails over the different agreementssigned at the time the forces are deployed. In practice, how-ever, it is unlikely that a state would agree to see a member ofits armed forces judged by any foreign jurisdiction.38

8. Conclusion

Peacekeeping operations still face many challenges. Althoughat a formal level achievements have been made, at the opera-tional level the responsibility of the Blue Helmetsremains fragile, therefore there is a need to take concretemeasures in order to investigate and penalize violations ofhumanitarian law. Peacekeepers, as guardians of peace, mustalso be controlled by a more proactive system in order toavoid any further violations of humanitarian law.The aim is transparency, testimony, and a clear reportingchain and mechanism of sharing information in order toavoid gaps. If impunity remains, peacekeeping forces will befragile. The United Nations is only as strong as its memberstates. Countries that contribute with peacekeeping forcesmust adapt their legislation to prosecute their peacekeepersupon repatriation.A good working relationship between the Blue Helmets andthe local population is essential in order to foresee potentialclashes. The Blue Helmets would lose vital trust should theircredibility and legitimacy be called into question. Violationof humanitarian law would cause serious irreparable damagehindering any hope of constructive progress.Let it also be said that foreign states not respecting the lawappear as „enemies“ of both the belligerents and the civilianvictims. If they are perceived as an enemy, the danger theyface automatically increases. The solution therefore, is todo everything possible not to be perceived by the warringparties as a threat. The victims have the right to obtain repa-ration for the damage they have suffered; this would be asymbolic act and would facilitate reconciliation whilst alsorepairing the positive potential of humanitarian law.It is necessary to highlight the importance of staff training.The thorough preparation of professionals is increasinglyvital to ensure that Blue Helmets in the field do not fall into

found to have failed to cooperate during an investigation. Atmost, the United Nations can repatriate an individual, butcannot see those cases followed through in the country oforigin. The function of the Office of Internal Oversight Ser-vices as such is insufficient because it does not have criminaljurisdiction or disciplinary power.Together with the MOU, every United Nations peace opera-tion is based on two types of agreement: one (the SOFA),concluded between the UN and the state in whose territorythe United Nations force is deployed; and the other one, con-cluded between the United Nations and troop-contributingstates (Participation Agreement or Status of Mission Agree-ment SOMA). Both of them are the legal instrument settingout the duties and rights of foreign peacekeepers in the hostnation. In conformity with Section 3 of the bulletin, “theUnited Nations undertakes to ensure that the force shall con-duct its operations with full respect for the principles andrules of the general conventions applicable to the conduct ofmilitary personnel”. This means that it is the Chief Comman-der’s responsibility to control the application of humanitari-an law by the peacekeeping contingents.

7.3. SOFA

The SOFA usually assures immunity to the military person-nel in the host state, so that they can be judged only by theirstate of nationality.The root cause of the lack of respect of humanitarian law is,among others, the absence of an authority to implement IHL,a problem which becomes bigger when the troop-contribut-ing states are the ones with weak state structures and ineffec-tive local complaints mechanisms. Humanitarian law doesapply to peacekeeping operations when they use armedforces; however, available resources are rare. It is difficult tohold the United Nations itself accountable because of theoverall immunity it enjoys.In peacekeeping operations, the General Convention on thePrivileges and Immunities of the United Nations is supple-mented by the SOFA. In 1990, the Secretary-General pro-duced a Model SOFA for peacekeeping operations and pre-sented it to the General Assembly. The model was acceptedby the General Assembly and is being applied in numerousSecurity Council resolutions.35 It is signed between the hoststate and the United Nations. It clarifies the terms underwhich the foreign military is allowed to operate and coversmatters such as facilities, logistics, privileges and immunitiesof persons, and dispute settlement procedures.36

Although each status-of-forces agreement is formulated tothe specific needs of a particular mission, they are all basedon the model which notes that the peacekeeping operationand its members are to respect all local laws and regulations,while the government in question undertakes to respect theexclusively international nature of the operation.The model status-of-forces agreement stipulates that the Sec-retary-General will obtain formal assurances from a troop-contributing country that it will exercise criminal jurisdictionover its troops in return for the immunity conferred uponthem by the host state under the terms of the status-of-forcesagreement.37 Such formal assurances are not always ob-tained, however.

35 General Assembly, Resolution 52/12, UN Doc. A/52/12 B, 19 January1997.

36 General Assembly, Report 45/594, UN Doc. A/45/594, 9 October 1990.37 UN Doc. A/59/710, 24 March 2005, supra note 15, p. 6.38 F. Bouchet-Saulnier, The Practical Guide to Humanitarian Law, Row-man and Littlefield Publishers in cooperation with Doctors WithoutBorders, 2007, 2nd English edition, p. 311.

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Notes and Comments – Articles

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ment; and $5 for personal weaponry. This is a significantsource of revenue for a developing country. By providingtraining and equipment for the soldiers as well as salaries,United Nations peacekeeping missions allow developingnations the chance to maintain larger armies than they other-wise could. About 4.5% of the troops and civilian policedeployed in United Nations peacekeeping missions comefrom the European Union and less than one percent from theUnited States.The peacekeeping doctrine has not yet developed a satisfac-tory answer to this question. There is no homogeneous crim-inal justice system for members of a peacekeeping force.Therefore, stronger measures must be taken to avoid contin-ued uncertainty and cynicism about the peace process andthe United Nations’ role. �

traps of their own making. These precautions must be takenfrom the time of recruitment and continue through trainingand during employment in the field.The United Nations is slowly moving in its attempt to endabuse by peacekeepers. However the problem remains unre-solved as there is a lack of authority to implement humani-tarian law within the countries from where the soldiers origi-nate. As the majority of the troops come from states withfragile state structures, the opportunities to achieve account-ability are few. Developing countries tend to participate inpeacekeeping more than developed countries due to econom-ic motives. The rate of reimbursement by the United Nationsfor troop-contributing countries per peacekeeper per monthtotals: $1,028 in salary and allowances; $303 supplementarypay for specialists; $68 for personal clothing, gear and equip-

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In 2006 the Colombian government passedthe “Ley de Justicia y Paz”. The “Law ofJustice and Peace” served as judicial basisfor the demobilization of the Colombianparamilitary and was simultaneously de-signed to compensate its victims. This pa-per applies the findings of William Zart-man’s and Victor Kremenyuk’s editionPeace versus Justice to the Colombian“Ley de Justicia y Paz”. Zartman and Kre-menyuk conclude that backward-lookingnegotiations do often not lead to a success-ful outcome but reiterate the conflict indiplomatic terms, as “war by other means”.Forward-looking negotiations, in turn, leadmore often to a resolving outcome. Withinthe frame of this Colombia-case study itwill be investigated which potential the“Ley de Justicia y Paz” holds with regard tothe differentiation between backward- andforward looking perspectives.

Im Jahre 2006 verabschiedete die kolum-bianische Regierung das „Ley de Justicia yPaz“. Das „Gesetz der Gerechtigkeit unddes Friedens“ diente als juristische Grund-lage für die Entwaffnung der kolumbiani-schen Paramilitärs und sollte gleichzeitigeinen Ausgleich für ihre Opfer schaffen.Dieser Artikel wendet den Befund vonWilliam Zartmans und Victor Kremenyuksherausgegebenem Buch „Frieden versusGerechtigkeit“ auf das kolumbianische„Ley de Justicia y Paz“ an. Zartman undKremenyuk kommen zu dem Schluss, dassrückwärtsgewandte Verhandlungen oftnicht im Verhandlungserfolg münden undden Konflikt auf diplomatische Weise per-petuieren, sozusagen als „Krieg mit ande-ren Mitteln“. Vorwärtsgerichtete Verhand-lungen, im Gegenzug, führen häufiger zueinem Lösungsergebnis. Im Rahmen dieserKolumbienfallstudie wird beispielhaft un-tersucht, welche Potentiale das „Ley deJusticia y Paz“ im Sinne der Unterschei-dung zwischen rückwärtsgewandter undvorwärtsgerichteter Perspektive birgt.

1. Einleitung

Wenn man an den kolumbianischen Kon-flikt denkt, so denkt man an Drogenkar-telle, Pablo Escobar oder Kokainkuriere.Einige gehen noch weiter und assoziierendas schmutzige Geschäft mit Kolumbienselbst. Und tatsächlich erscheint der ko-lumbianische Konflikt sonderbar: „Es gibtkeine ethnische Komponente, keine religiö-

zeilen. Das 2006 verabschiedete „Ley deJusticia y Paz“ (LJP), das als juristischeGrundlage für die Entwaffnung der Parami-litärs dienen und gleichzeitig einen Aus-gleich für ihre Opfer schaffen sollte, stehtin der Schusslinie. Während das Gesetzals Hoffnungsträger für den schwierigenBalanceakt zwischen Frieden und Gerech-tigkeit einen Wendepunkt im kolumbiani-schen Konflikt einläuten sollte, könnte essich heute als Fallstrick für die Zukunft desLandes erweisen.

Das kolumbianische Dilemma ist jedochkein Einzelphänomen. Weltweit befassensich Forscher zunehmend mit dem schwie-rigen Verhältnis von Frieden und Gerech-tigkeit. Die „Übergangsjustiz“, die „tran-sitional justice“, soll einen Ausgleichzwischen Anreizen zu Friedensverhandlun-gen für die Konfliktparteien und den Forde-rungen der Opfer nach Gerechtigkeit schaf-fen. Doch die Frage nach Gerechtigkeit istein kontroverses Konzept im Rahmen vonFriedensverhandlungen. Es kann keinenFrieden ohne Gerechtigkeit geben sagendie einen. Aber wie können wir mit Schul-digen umgehen und gleichzeitig Gerechtig-keit erreichen und den Frieden vorwärtsbringen, fragen die anderen.7 Was, wieder-um, wenn zu hohe Forderungen an Gerech-tigkeit im Sinne von Täterbestrafung Frie-

se Komponente, es geht nicht um Abspal-tung.“1 Aber worum geht es dann? Um einpaar Guerillas, die für „ein linkes Dschun-gelimperium“2 kämpfen? Oder hat tatsäch-lich „das Phänomen des Drogenhandelsdie ideologische Konfrontation denaturali-siert und letztlich kriminalisiert“?3

Wenn es etwas gibt, was über den kolum-bianischen Konflikt gesagt werden kann,dann „dass es ein Konflikt ohne Regeln ist,die einzige Regel ist, dass es keine Regelgibt.“4 Warum das so ist, wird von einemInterviewpartner wie folgt beantwortet:„Krieg kann man nicht humanisieren,Krieg ist inhuman. Sollen wir uns auf hu-mane Weise töten, auf gesunde Weise, sozu-sagen menschlich?“5 Und tatsächlich, diekolumbianischen Konfliktparteien setzenalles daran, dass der Krieg so inhuman wiemöglich geführt wird. Menschenrechtewerden dabei nicht einfach nur nicht res-pektiert, sie werden auch zur Kriegswaffeinstrumentalisiert. Oder wie kann es sein,dass alle Kriegsakteure Menschenrechteangeblich anerkennen, deren Missbrauchjedoch gleichzeitig steigt? Es kann sein,dass Menschenrechte zu politischenWaffeninnerhalb der Kriegslogik geworden sind.Die jeweils gegnerische Seite wird beschul-digt, grundlegende Gesetzte nicht zu befol-gen – ein Alibi für den Beschuldiger, sieebenfalls zu missachten. Die Bevölkerungist indessen des traurigen Images ihres Lan-des müde, wie es auch im folgenden geflü-gelten Wort zum Ausdruck kommt: „WennKolumbien eine Drogendemokratie ist, soist die USA eine Diktatur der Drogenkonsu-menten.“ In diesem Sinne betont auch AlejoVargas von der Universidad Nacional inBogota, dass die Drogenproduktion eineKette ist, die sich bis zum Konsumenten inMünchen zieht.6 Die buchstäbliche Plünde-rung der kolumbianischen Gesellschaftzum Vorteil einiger Weniger zermürbt dasLand. Die Unterstützung der Bevölkerungfür die bewaffneten Gruppen schwindet in-dessen.

So demonstrierten noch im Januar 2008über eine Million Kolumbianer auf denStraßen der Welt gegen den Terror derFuerzas Armadas Revolucionarias deColombia (FARC). Doch während die Be-freiung Ingrid Betancourts zunächst zumSymbol für den kolumbianischen Aufbruchunter Präsident Álvaro Uribe wurde, sorgtdas Land zurzeit für zwiespältige Schlag-

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Das kolumbianische „Ley de Justicia y Paz“Wendepunkt oder Fallstrick?Carolin Görzig / Katrin Planta*

* Carolin Görzig promoviert an der Ludwig-Maximilians-Universität München zum The-ma „Verhandeln mit Terroristen“. Im Rahmenihrer Doktorarbeit führte sie Feldforschungenunter anderem in Kolumbien durch, auf des-sen Basis dieser Artikel in Zusammenarbeitmit Katrin Planta entstand. Katrin Plantaführte im Rahmen ihrer Diplomarbeit und inZusammenarbeit mit dem Andenbüro derInternational Crisis Group Interviews mitNGO-Mitarbeitern, Regierungsangestellten,Kirchenvertretern und Personal von interna-tionalen Organisationen in Bogota durch. Seitsie im September 2008 ihren Master in Kon-flikttransformation an der University of Brad-ford mit einer Arbeit über urbane Gewalt inLateinamerika abgeschlossen hat, unterstütztsie jetzt als Junior-Fachkraft das Programm„Ziviler Friedensdienst“ des DED in Bolivien.

1 Interview mit Alexandra Guaqueta in Bogota,Kolumbien, Frühjahr 2006.

2 Interview mit Jeff deLaurentis in Bogota,Kolumbien, Frühjahr 2006.

3 Interview mit Lorenzo Morales in Bogota,Kolumbien, Frühjahr 2006.

4 Interview anonym in Bogota, Kolumbien,Frühjahr 2006.

5 Interview anonym in Bogota, Kolumbien,Frühjahr 2006.

6 Interview mit Alejo Vargas in Bogota, Kolum-bien, Frühjahr 2006.

7 P.H. Baker, in: Ch.A. Crocker (Hrsg.), Turbu-lent peace: The Challenges of Managing Inter-national Conflict, Washington 2002, S. 762.

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Ermittlungen […] zugestanden wurden,Opfern nur sehr eingeschränkte Möglich-keiten für Wiedergutmachungsforderungeneingeräumt wurden auch für schwersteVerbrechen nur niedrige Höchststrafen vor-gesehen wurden und das kolumbianischeJustizwesen von seinen Ressourcen hergesehen unter einem erheblichen Druckstehen wird, wenn es den aus dem neuen

die vollständige Demobilisierung der AUCbis Ende 2005 vor.14 Während in den ersten18 Monaten nach Vertragsabschluss nurknapp 3.700 Demobilisierte zu verzeichnenwaren, legten im Jahr 2005 über 10.000ihre Waffen nieder. Bis April 2006 hattensich über 30.000 Personen demobilisiert.15

Auf den ersten Blick eine positive Bilanz.Doch während die Zahl der Demobili-sierten zu Beginn 2006 „astronomischeHöhen“ erreichte16, erntete die Regierungfür das von ihr erarbeitete LJP, das denGrundstein für den Reintegrationsprozessder Demobilisierten bilden sollte, von vie-len Seiten Kritik.

Das am 21. Juni 2005 nach langen Debat-ten vom Kongress abgesegnete LJP17 sollteneben der Festlegung alternativer Strafenfür die Demobilisierten die Entschädigungder Opfer regeln. Die durch das LJP ge-gründete Spezialeinheit der Staatsanwalt-schaft18 wurde beauftragt, mit Hilfe vonSondereinheiten der Kriminalpolizei undanhand der Geständnisse der Paramilitärszu ermitteln.19 Die maximal zu verbüßendeHaftzeit wurde auf acht Jahre festgelegt.20

Zeitgleich mit der Verkündung der Haft-strafe wird die von dem Verurteilten zuerbringende Entschädigung der Opfer fest-gesetzt, illegal erworbene Besitztümermüssen abgegeben werden. Den Opfern an-dererseits muss der Staat Zugang zur Justizgarantieren und für ihre Sicherheit sowiefür die Sicherheit von eventuellen ZeugenSorge tragen. Die Opfer haben Anrecht aufeine schnelle und integrale Entschädigungdurch die Täter.21 Kann kein Täter identi-fiziert werden, wird die Entschädigungaus einem kollektiven Fonds bezahlt.22

Eine auf acht Jahre berufene nationaleKommission wurde beauftragt, den Wie-dergutmachungs- und Versöhnungsprozesszu überwachen.23 Einen Prozess, der zuFrieden und Gerechtigkeit beitragen sollte,indem er den hauptverantwortlichen Para-militärs eine Möglichkeit einräumt, denKonflikt unter juristischen Sonderregelun-gen zu verlassen, während den Opfern ihrerGewalt gleichzeitig eine Entschädigunggarantiert wird…, soweit die Theorie. Inder Praxis fürchten heute viele, dass dieTäter straffrei davonkommen und bangenum die finanzielle Absicherung der Opfer-entschädigung.

Bereits 2005 warnte die Europäische Unionbezüglich des JPL,

„[…]dass nicht genügend Nachdruck aufeinen wirksamen Abbau der kollektivenparamilitärischen Strukturen gelegt wurde,keine deutliche Unterscheidung zwischen‚politischen‘ und anderen Straftaten ge-macht wurde, jeweils nur kurze Fristen für

densverhandlungen verhindern? MachtGerechtigkeit ohne Frieden Sinn?

Dieser Artikel untersucht beispielhaft dieErgebnisse von William Zartmans und Vic-tor Kremenyuks herausgegebenem Buch„Frieden versus Gerechtigkeit“, indem esdessen Befund auf das KolumbianischeLJP anwendet. In „Frieden versus Gerech-tigkeit“ schlussfolgern Zartman und Kre-menyuk, dass rückwärtsgewandte Verhand-lungen oftmals nicht zu erfolgreichen Ver-handlungen führen und stattdessen denKonflikt verlängern. Vielmehr sind es gera-de vorwärtsgerichtete Verhandlungen, diehäufiger zum Verhandlungserfolg führen.8

Der Unterschied liegt zwischen Parteien,die auf vergangenem Leiden und Forderun-gen nach Wiedergutmachung und Bestra-fung beharren und Parteien, die Maßnah-men einleiten, um vergangene Rivalitätenhinter sich zu lassen und sich auf das Baueneiner gemeinsamen Zukunft zu konzentrie-ren.9 Im Rahmen dieser Kolumbienfallstu-die wird beispielhaft untersucht, welchePotentiale das LJP im Sinne der Unter-scheidung zwischen rückwärtsgewandterund vorwärtsgerichteter Perspektive birgt.

2. Der Blick zurück: Kein Friedenohne Gerechtigkeit

Mit dem Amtsantritt von Uribe im Jahr2002 schien in Kolumbien eine neue Epo-che angebrochen zu sein. Im Rahmendes Plan Patriota10, dessen effektive Umset-zung im Mai 2004 begann, erhöhte derPräsident Militäraktionen deutlich. OberstePriorität galt dabei der Wiederherstellungder staatlichen Kontrolle über das Territori-um und der Verbesserung der Sicherheits-lage im ganzen Land. Während der PlanPatriota hauptsächlich auf die militärischeAusschaltung der Guerilla abzielte11, ver-folgte der Präsident eine Verhandlungstak-tik mit den Paramilitärs. Zunehmendemilitärische Niederlagen und innereAuseinandersetzungen schwächten derenDachorganisation Autodefensas Unidas deColombia (AUC), die zudem immer mehrunter den Einfluss der Drogenmafia zu ge-raten drohte.12 Die Erklärung der AUC zurterroristischen Organisation durch die USAam 10. November 2001 war laut Internatio-nal Crisis Group (ICG) entscheidend fürdie AUC, einen verhandelten Weg aus demKonflikt zu suchen.13 Anstatt sich in einenzermürbenden Kampf mit regulären Regie-rungskräften zu begeben, fingen die Para-militärs mit der Umwandlung ihrer mi-litärischen in politische und wirtschaftlicheMacht an, sich auf die Postkonflikt-Situa-tion vorzubereiten. Der im Juli 2003 unter-zeichnete Acuerdo de Santa Fe de Ralitopara contribuir a la paz en Colombia sah

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8 W. Zartman / V. Kremenyuk, in: dies., Peaceversus Justice, Maryland 2005, S. 290, 291.

9 Id., S. 291, 292.10 Zur Durchführung des Plans wurden 18.000Soldaten zur Verfügung gestellt, der Militär-haushalt wurde deutlich erhöht, in: Semana v.30. August 2004, S. 38.

11 „Für die Regierung des Präsidenten Uribe istder Plan Patriota die Endschlacht gegen dieFarc“, in: El Tiempo v. 2. Mai 2005 online.

12 Vgl. R. Rojas / O. Patiño, Gente invisible,Bogota, 2006, S. 304. Die Autoren nennen un-ter anderem die politischen Bemühungen der„Paras“, die Veränderungen im Innern derOrganisation, die zunehmende internationaleAblehnung der Bewegung sowie den abneh-menden Rückhalt der regulären Streitkräfte.Human Rights Watch (HRW) stellt dagegendas Streben der Paramilitärs nach einer Ver-hinderung der Ausweisung in den Vorder-grund: „Two years ago, paramilitary com-manders initiated demobilization negotiationswith the administration of President ÁlvaroUribe in the hope that they could obtain a dealthat would allow them to avoid extraditionand potentially lengthy prison terms in theUnited States for drug trafficking.”, in: HRWKolumbien Report August 2005; Semana v.20. Dezember 2004, S. 78.

13 Vgl. ICG, Latin America Report Nr. 5, 2003,S. 17.

14 Vertragstext online unter: www.altocomisionadoparalapaz.gov.co/acuerdos/index.com.(am 19. April 2006).

15 Siehe: http://www.altocomisionadoparalapaz.gov.co/g_autodefensa/9. (am 16. Mai 2006).

16 Anfänglichen Schätzungen zufolge, wurdennur rund 20.000 Demobilisierte erwartet.

17 Das Gesetz 782 aus dem Jahr 2002 enthältbereits eine Klausel über Straffreiheit für„politische Delikte“ (darunter fallen Rebel-lion, Volksverhetzung und Aufstand). Jedochist es nicht auf Straftaten wie Verbrechengegen die Menschlichkeit, Terrorismus, Ent-führung, Genozid und außerhalb der Kampf-handlungen begangene Morde anwendbar.

18 „Unidad Nacional de Fiscalía para la Justiciay Paz“.

19 Nach Presseberichten verfügt die Sonder-einheit der Staatsanwaltschaft dazu über 20Staatsanwälte, 20 Assistenten und 150 spe-zielle Kriminalermittler.

20 Wovon die bereits in der „Zona de ubicación“verbrachten Monate abgezogen werden.

21 LJP, Art. 38.22 „Fondo para la Reparación de las Víctimas“.23 „Präsident der Comisión Nacional de Repara-ción y Reconciliación“ ist Eduardo Pizarro.

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Gesetz resultierenden Anforderungen ge-recht werden will.“24

Tatsächlich wurde der Gesetzentwurf viel-fach von (inter)nationalen Organisationen,Politikern, Juristen und den Medien als zulasch25 kritisiert. Neben der Bezeichnungdes Gesetzes als „kolumbianische Kapitu-lation“ durch die New York Times26, er-folgte eine der härtesten Kritiken durch dieInteramerikanische Menschenrechtskom-mission der Organisation AmerikanischerStaaten (OAS), die unter anderem diemangelnde Herstellung der historischenWahrheit durch das Gesetz anprangerte.27

Die Menschenrechtsorganisation HumanRights Watch (HRW) führte als Hauptkri-tikpunkt die hohen Zugeständnisse an dieDemobilisierten (kurze Ermittlungsphase,niedrige Haftstrafen etc.) an.28 So urteiltedie kolumbianische WochenzeitschriftSemana bereits im Juni 2005, dass das Ge-setz zwar zweifelsohne die Demobilisie-rung erleichtere, ein Abbau der mafiösenStruktur der paramilitärischen Gruppen da-mit jedoch noch nicht erreicht sei. Verliererdes Prozesses seien – wie immer – dieOpfer.29 So kritisierte der Direktor derkolumbianischen Juristenvereinigung30 dasGesetz als „erzwungene Versöhnung“. Lautihm werden 90% der Demobilisierten straf-frei ausgehen.31 Die Mehrheit der Kolumbi-aner (58%) ist laut einer Umfrage davonüberzeugt, dass die Ex-„Paras“ nicht aus-reichend bestraft werden. Insbesonderewird angezweifelt, wie die kolumbianischeJustiz, die für ihre Probleme bekannt ist32,den Mammutberg an Ermittlungen bewälti-gen soll.33 Die wirklichen paramilitärischen„Größen“ lassen sich währenddessen in dieUSA ausliefern wo sie statt wegen Men-schenrechtsverbrechen „nur“ wegen Dro-genhandels angeklagt werden. Laut Presse-berichten wurden im Mai 2008 bereits 14ehemalige paramilitärische Anführer andie USA ausgeliefert.34 Dieser Vorgangverschärft noch die ohnehin große Skepsisgegenüber der zukünftigen Durchführungder Opferentschädigung durch die Nationa-le Wiedergutmachungs- und Versöhnungs-kommission. Eine der ersten Aufgaben derKommission sollte die Durchführung einerAufklärungskampagne der Bevölkerungsein, da viele potentielle Opfer über keineInformationen zu dem Gesetz verfügen undihre Rechte somit auch nicht geltend ma-chen können.35 Doch auch wenn die Opferihre Rechte einklagen, ist ihre Entschädi-gung noch ungewiss. So wird es in vielenFällen sehr schwierig sein, die einzelnenTäter zu identifizieren. Kollektive Entschä-digungszahlungen durch ganze parami-litärische Einheiten, sofern ihre Beteiligungan Verbrechen nachgewiesen werden kann,sind jedoch nicht vorgesehen. Doch selbst

werden kann, muss der gesamte Prozessweiterhin kritisch beobachtet werden. Mit

wenn dies der Fall sein sollte, bleibt nochdas Problem der Finanzierung der Entschä-digung, die sich aus den Einnahmen derDemobilisierten, staatlicher und internatio-naler Hilfe zusammensetzen soll. So warn-te sowohl der Kommissionsdirektor alsauch der Vizepräsident angesichts derhohen Opferzahl davor, keine falschenHoffnungen bezüglich hoher Entschädi-gungssummen zu wecken.36 Um einetatsächliche materielle Entschädigung derOpfer garantieren zu können, müsste dergrößte Teil der Summe in Form vonzurückgegebenen Ländereien von dendemobilisierten Paramilitärs selbst auf-gebracht werden. Doch selbst wenn diemitspielen, sei die Rückkehr der ehemali-gen Besitzer in ihre Häuser und Höfe nochnicht gewiss. Die vorläufige Rückgabevon über 100 Stadt- und Landhäusern in LaGabarra im Departament Norte de Santan-der im Februar 2006 brachte nur sehr be-scheidene Ergebnisse. Aus Angst vor An-griffen der Guerilla, die Zeitungsangabenzufolge schon einige der leerstehendenHäuser besetzt hatten, kehrten viele der al-ten Besitzer nicht auf ihre Grundstückezurück.37 Und so weist eine Mitarbeiterinder kolumbianischen Juristenvereinigungauf die fatalen Konsequenzen eines Geset-zes hin, dessen Titel sie für ironisch undeuphemistisch hält. In ihren Augen garan-tiert das Gesetz weder Gerechtigkeit nochWahrheit oder Wiedergutmachung. Wie einHohn scheine es, dass die „Wiedereinglie-derungshilfe“ für ehemalige Paramilitärshöher ausfalle als die Entschädigung derOpfer.38 Und so ist es nicht verwunderlich,dass viele das Versöhnungspotential desGesetzes anzweifeln. Insbesondere weilauch die tatsächliche Wiedereingliederungder Paramilitärs ins zivile Leben nurstockend vorangeht und Berichte über denMachterhalt der alten paramilitärischenStrukturen und die Gründung neuer Grup-pen nicht abreißen. Während die „StiftungSicherheit und Demokratie“39 betont,dass der Demobilisierungsprozess wederdie politischen noch die wirtschaftlichenStrukturen der Paramilitärs zu Fall gebrachthat, zieht der ParlamentsabgeordneteGustavo Pedro folgenden Schluss: „DasLand steht vor der Konsolidierung einerMafiawirtschaft.“40 So ist es einigen para-militärischen Anführern gelungen, ihreInvestitionen zu diversifizieren und neueGeschäftszweige zu infiltrieren. Zum Kaufvon Ländereien in Ekuador und Costa Ricasind demnach der Schmuggel von Benzin,Reis und Elektrogeräten sowie die Infiltra-tion von Glückspiel, Prostitution, Bauge-werbe und öffentlichem Verkehr hinzuge-treten. Auch wenn die Entwaffnung undDemobilisierung von über 30.000 Personenals grundsätzlich positiver Schritt gewertet

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24 Rat der Europäischen Union, Mitteilungen andie Presse 12514 (Presse 241), Kolumbien:– Schlussfolgerungen des Rates, S. 11, Rn. 5.

25 HRW Kolumbien Report August 2005: „OnJune 21, 2005, the Colombian Congressapproved a demobilization law that givesparamilitaries almost everything they want.“

26 In dem am 4. Juli 2005 erschienenen Artikelforderte die NYT die Umformulierung desGesetzes in „Impunity for Mass Murderers,Terrorists and Major Cocaine TraffickersLaw“, unter: http://select.nytimes.com/gst/abstract.html?res=FB0E12FC355E0C778CDDAE0894DD404482. (am 25. April 2005).

27 Vgl. El Tiempo v. 16. Juli 2005 online. DieRegelungen des Gesetzes erleichtern es denBetroffenen laut CIDH, Teile ihrer Taten zuverschweigen.

28 HRW Kolumbien Report August 2005.29 Vgl. Semana v. 20. Juni 2005, S. 38: „Este

proyecto sin duda facilitará la desmoviliza-ción de los grupos paramilitares. Lo que esmenos claro es que conduzca al desmonte desu estrucura mafiosa. Las víctimas, comosiempre, perdieron. Ni su derecho a la verdad,ni a la justicia ni a la reparación fueron teni-dos en cuenta.“

30 „Comisión Colombiana de Juristas“.31 El Tiempo 14. Februar 2006, S. 5.32 Vgl. W. Heinz, Die Menschenrechtssituationin Kolumbien, in: W. Altmann / T. Fischer, /K. Zimmermann (Hrsg.), Kolumbien heute.Politik-Wirtschaft-Kultur. Frankfurt am Main,Vervuert, 1997, S. 204 f.: „Justiz ist ‚chro-nisch unfähig‘ Mordfälle aufzuklären“.

33 Zumal mehrere Fälle von Drogenhändlern be-kannt wurden, die angesichts der Vorzüge desGesetzes versuchten, sich als Paramilitärs zu„tarnen“. So „kauften“ die Brüder Mejía lautPresseberichten für zwei Millionen Dollar ei-ne paramilitärische Einheit in Arauca, um sichdamit an den Verhandlungstisch zu bringen.Vgl. ICG, Latin America Report Nr. 17, 2006,S. 10: “The need for an effective filteringmechanism has become all the more urgentas a result of attempts by drug traffickers topurchase paramilitary ‘franchises’ in order toinflitrate the demobilisation process.”; sieheauch Cambio v. 24. Oktober 2005, S. 42 f.

34 Siehe Berichterstattung in El Tiempo von Mai2008.

35 Dazu erklärte Eduardo Pizarro Leongómez,Präsident der Kommission, dass eine der Prio-ritäten die Schaffung einer Datenbank seinmuss, in die sich die Betroffenen einbringensollen. Eine durch die Medien verbreitete In-formationsfibel sowie der Schutz der Opfer(und Zeugen) vor Racheakten sollen dazu bei-tragen, dass sich die Opfer melden, in: Cam-bio v. 19. September 2005, S. 47; siehe auchSemana v. 8. August 2005, S. 52.

36 Cambio v. 19. September 2005, S. 48.37 El Tiempo v. 2. Februar 2006, S. 4.38 Interview anonym in Bogota, Kolumbien,Frühjahr 2006.

39 „Fundación Seguridad y Democracia“.40 El Tiempo v. 3. Juli 2005, S. 4 f.

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Schritt, um anschließend Gerechtigkeit zuschaffen. Es ist nämlich genau die Zer-brechlichkeit des kolumbianischen Staates,die Forderungen nach Einhaltung der Men-schenrechte in die Leere laufen lässt. Aberdie Problematik greift noch tiefer. Wenn esdem Staat am legitimen Gewaltmonopolmangelt, können Gesetze universellenRechts missbraucht werden, um Krieg undGewalt zu reproduzieren – ein Teufelskreis-lauf. In Kolumbien ist genau dies der Fall.

Kolumbiens Geografie, die staatliche Kon-trolle nur erschwert, sowie die Korruptionweitläufiger sozialer Schichten durch dasDrogengeschäft erklären die Schwäche desLandes – Bedingungen unter denen Men-schenrechte nicht zum Tragen kommen.Folgender Ausspruch eines Mitgliedes derRebellengruppe FARC bringt die verhäng-nisvolle Logik irregulärer Kriegsführungauf den Punkt: „Wir werden überhauptkeine Regel humanisieren, denn den Kriegkann man nicht humanisieren… es gab nie-mals eine Unterscheidung zwischen Bürgerund Kombattant.“49 Und genau diese Logikhaben sich alle kolumbianischen Kriegs-teilnehmer zu Eigen gemacht – ein Garantfür das Nicht-Garantieren von Menschen-rechten. Dies gilt insbesondere dann, wennKonflikt gleichbedeutend wird mit „Augeum Auge“ oder in den Worten eines Inter-viewpartners: „Die Leute verteidigen sicheben.“50 Oder auch: „wenn der Staat dieRegeln universellen Rechts nicht einhaltenkann, wie kann man dies dann von ein paarAufständigen erwarten?“51

Die Verstrickung in einen internen Kriegimpliziert fast automatisch, dass der ko-

weder oder“ eine Spannung auf, die höchstschädlich für Friedensprozesse ist.44 DieseSpannung ist dabei gerade deshalb irre-führend, weil Frieden und Gerechtigkeitletztlich ein und dasselbe Ziel verfolgen –nämlich die Beendigung des Konfliktes.Beide Autoren kommen daher zu demSchluss, dass Gerechtigkeit, Wahrheit undWiedergutmachung nicht die Bedingung si-ne qua non für den Beginn von Friedens-verhandlungen sein sollten, sondern dassder Friedensprozess selbst erst den Wieder-aufbau von sozialem Vertrauen und Institu-tionen anstößt.45 Gerechtigkeit zu erwirkenist daher ein gradueller Prozess, insbeson-dere nach bewaffneten Auseinandersetzun-gen.46 In dieser Logik ist die Demobilisie-rung eines bewaffneten Akteurs ein guterSchritt nach vorne, um von hier aus Ge-rechtigkeit aufzubauen. Dabei geht es kurz-fristig um den Zugewinn von Sicherheitund die Rückeroberung des staatlichenGewaltmonopols als Grundvoraussetzungfür den langfristigen Aufbau von Frieden.Im kolumbianischen Fall hat die Demobili-sierung des Paramilitärs auch tatsächlich zueiner Verbesserung der Sicherheitslage undeiner Reduzierung des Bedrohungspoten-tials der Bevölkerung geführt. Diese positi-ve Veränderung wäre durch eine zu harteAuslegung des LJP möglicherweise verhin-dert worden, denn viele Paramilitärs hättensich unter härteren Bedingungen gar nichterst zur Demobilisierung bereit erklärt.

So spricht auch folgender Ausruf vonSalvatore Mancuso47 für sich selbst: „DieAnführer werden nicht eine Minute, ja nichteine Sekunde im Gefängnis verbringen,weder innerhalb noch außerhalb Kolum-biens.“ Dieses Zitat bringt das Schlüssel-dilemma zum Ausdruck – die schier unrea-lisierbare Gradwanderung zwischen Frie-den und Gerechtigkeit. Aber während eswohl wahr ist, dass dort, wo es keineGerechtigkeit gibt, Rachefeldzüge auf derTagesordnung stehen, muss gleichzeitig be-dacht werden, was die Paramilitärs droh-ten: „Wenn die langwierigen Verhandlun-gen damit enden, dass wir uns auf erniedri-gende Weise der Justiz beugen müssen,werden wir uns dafür entscheiden, in denBergen zu bleiben und Krieg und Tod insAuge schauen.“48 Damit stand der Frie-densprozess vor der Feuerprobe, denn einkontinuierliches Beharren auf Justiz würdedie Verhandlungen weiter in die Sackgasseführen.

Im Gegensatz zum vorherigen Teil zeigtdieser Abschnitt, dass auch Gerechtigkeitohne Frieden keine Chance hat. Vielmehrist die Stärkung des staatlichen Gewalt-monopols durch Demobilisierung einesKriegsakteurs ein vielversprechender

der Demobilisierung scheint leider nichtautomatisch die Entparamilitarisierung zuerfolgen. Beunruhigende Berichte überfortlaufende illegale Aktivitäten bereits„demobilisierter“ Paramilitärs sowie ihreEinflussnahme auf politische Prozesseund staatliche Institutionen lassen ernsthaf-te Zweifel am Gelingen des Friedens-prozesses aufkommen. Nachdem VincenteCastaño, ehemaliger Anführer der AUC,bereits am Ende des Demobilisierungspro-zesses schätzte, dass „wir mehr als 35%der Kongressabgeordneten auf unsererSeite haben“41, gibt es heute handfesteBeweise für die Zusammenarbeit mancherAbgeordneter mit den Paramilitärs. Über30 Kongressabgeordnete befinden sich be-reits in Untersuchungshaft, darunter auchMario Uribe Escobar, ein Vetter des Präsi-denten. Aufgrund der Verflechtung staat-licher Autoritäten in die weiterhin beste-henden Netzwerke der Paramilitärs beste-hen ernsthafte Zweifel an der tatsächlichenDemontage der Strukturen. Die Konse-quenz einer nur oberflächlichen Entwaff-nung der Paramilitärs darf aber keineswegsunterschätzt werden. Eine Versöhnung zwi-schen Opfern, die sich von ihrer Regierungim Stich gelassen fühlen und Tätern, dieweiterhin ihren kriminellen Aktivitätennachgehen, ist schwer vorstellbar. Es bleibtdaher fraglich, ob das LJP als Grundsteinfür einen Friedensprozess dienen kann.Nichtsdestotrotz muss auch berücksichtigtwerden, wie schwierig es ist, eine Balancezwischen der gerechten Bestrafung derTäter und der Aufrechterhaltung der Ver-handlungsbereitschaft von Konfliktparteienzu finden. In diesem Balanceakt „alles odernichts“ zu fordern ist realitätsfern und igno-rant gegenüber der Komplexität der Situa-tion. Gefragt, ob das LJP ein Schritt nachvorne ist, bringt es Alejo Vargas daher aufden Punkt: „Es ist ein Schritt, um eine sehrkomplexe Situation zu lösen.“42 Wohl auchaus diesem Grund hatte die EuropäischeUnion die schnelle Schaffung eines recht-lichen Rahmens für den Demobilisierungs-prozess zunächst als Schritt in die richtigeRichtung gewürdigt.43

Denn das zweifache Potential des Gesetzes,zur Wiederherstellung des staatlichen Ge-waltmonopols beizutragen und positiveSignale an in Zukunft möglicherweise ver-handlungsbereite Guerillagruppierungenzu senden, ist als Chance für Frieden undGerechtigkeit nicht zu unterschätzen.

3. Der Blick nach vorn: KeineGerechtigkeit ohne Frieden

Kees Koonings und Kjell-Ake Nordquist zu-folge baut die Gegenüberstellung von Frie-den und Gerechtigkeit im Sinne von „ent-

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41 Semana v. 6. Juni 2005, S. 34.42 Interview mit Alejo Vargas in Bogota, Kolum-bien im Frühjahr 2006.

43 Rat der Europäischen Union, a.a.O. (Fn. 24).44 K.Koonings / K.-A.Nordquist, Proceso de paz,cese al fuego, desarme, desmovilizacion yreintegracion CDDR – paramilitary y (apoyointernational a la) Mision deApoyo al Procesode Paz de la OEA – MAPP/ OEA – en Colom-bia, Valoracion conjunto comisionada por lasembajadas de Holanda y Suecia, Informefinal, 3 de octubre de 2005/ Uppsala, Utrecht,S. 68.

45 Id., S. 69.46 Ibid.47 Salvatore Mancuso war einer derAnführer derAUC.

48 Analisis de la Semana, August 2005, S. 9.49 Interview anonym in Bogota, Kolumbien,Frühjahr 2006.

50 Interview anonym in Bogota, Kolumbien,Frühjahr 2006.

51 Interview anonym in Bogota, Kolumbien,Frühjahr 2006.

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lumbianische Staat die Regeln universellenRechts missachtet. Da innerstaatliche Ge-waltkonflikte die Differenzierung zwischenKombattant und Nicht-Kombattant ad ab-surdum führen, bekämpft der Staat durchAngriffe auf die eigene Bevölkerung letzt-lich sich selbst. Wenn es dem Staat anMacht fehlt, wird dieser der Implementie-rung von Regeln nicht mehr Herr. Schließ-lich, so Friedensforscherin Alexandra Gua-queta, „muss man auch das Verhältnis vonMacht und Recht in Betracht ziehen. Was,wenn man zum Beispiel nicht die Kapazitätan Gefängnissen hat, um sie alle einzusper-ren?“ Das fehlende und schwindende Ver-trauen der Bevölkerung in den Staat kanndabei dem Teufelskreislauf weiteres Futtergeben. Dies bezeugt auch das kolumbiani-sche Beispiel. Da die Armee selbst Rechtemissbraucht und Gewalt gegen die Bevöl-kerung in ihrem Kampf gegen die Guerillasverübt, schenkt die Bevölkerung ihr keinVertrauen mehr. Ohne das Vertrauen hat dieArmee wiederum zu wenig Macht, um dieBevölkerung zu schützen.

Aber es ist nicht nur die sich selbstverewi-gende interne Gewalt, die den kolumbiani-schen Staat unterminiert. Ebenso, mit inter-nen Faktoren aufs engste verquickt, tragenauch externe Faktoren zur Schwächung desGewaltmonopols Kolumbiens bei.

Der kolumbianische Staat ist nämlich auchdann zum Scheitern verurteilt, wenn ex-terne Akteure das Ende des Konfliktesbeschwören, jedoch gleichzeitig ambiva-lente Signale setzen. Prototypisch für einesolche Ambivalenz ist eine internationaleAnerkennung für Rebellengruppen, dieeinem Interviewpartner zufolge sogar dieAnerkennung des kolumbianischen Staatesübersteigt. Demnach hätte zum Beispiel dieFARC gar stärkere diplomatische Bezie-hungen als Kolumbien selbst.52 Der Nach-geschmack des europäischen Gustos fürden romantischen Ideologen ist bitter fürden kolumbianischen Kleinbauern, dessenAlltag mit realitätsfernen Vorstellungeneines lateinamerikanischen Robin Hoodswenig zu tun hat. Durch die Schwächungdes kolumbianischen Gewaltmonopolswerden grundlegende Menschenrechte deroben genannten Logik zufolge weiteruntergraben.

Unter Betracht des kolumbianischen Man-gels am legitimen Gewaltmonopol – gefüt-tert von innen und außen – kommt dieFrage auf, ob der Ausschluss substaatlicherKriegsakteure durch den Fokus auf die Ver-gangenheit und die Suche nach Justiz letzt-lich nicht ein Hindernis auf dem Weg zurVerwirklichung von Gerechtigkeit darstellt.Das Einklagen von Rechten könnte dann

der Nationalen Befreiung ELN – die klei-nere der beiden Guerillagruppen – istin Kolumbien seit den frühen 60ern aktiv.Es war Ende des Jahres 2005, als Vor-gespräche zwischen der ELN und der ko-lumbianischen Regierung im kubanischenHavanna begannen. Besonders bemerkens-wert waren dabei die Konsultationen imVorlauf der Vorgespräche. Die Bevölkerungwurde nämlich durch das öffentlich zu-gängliche Casa de Paz in Medellin direktinvolviert. Dieses „Haus des Friedens“diente dazu, Kontakte zwischen der Zivil-bevölkerung und den ELN-Mitgliedern und-Anführern zu erleichtern. Tatsächlichmachte die ELN von Anfang an deutlich,„dass Verhandlungen den Einschluss derZivilbevölkerung bedeuten sollen. Sie be-trachten sich nicht als Stimme des Volkesund möchten dieses daher in den Prozesseinschließen.“56

Die Öffnung der Gruppe für den Dialog mitder kolumbianischen Gesellschaft ist einbedeutender Schritt. Es ist ein Blick nachvorne. Verhandlungen werden dann vor-wärtsgerichtet, wenn die Verhandlungspart-ner nach neuen Wegen aus dem Krieg su-chen und sich nicht weiter gegeneinanderausspielen. Tatsächlich stand die ELN mitdem gestärkten staatlichen Monopol imZuge der Demobilisierung der Paramilitärsvor einer wichtigen Entscheidung – einerEntscheidung zwischen der Beteiligung amDrogenhandel oder der Öffnung für Vorver-handlungen.

Auf die Frage, was ihn bewegte, sich zudemobilisieren, antwortet ein ehemaligerELN-Kommandant wie folgt:

„[…] es kam zu entscheidenden Verände-rungen in Lateinamerika… und zweitensmischte sich die politische Gewalt mitanderen Formen der Gewalt. Das ist eineDynamik des Krieges und entweder duentfliehst dieser Dynamik oder sie ist dieeinzige Dynamik des Überlebens. Die ELNmöchte anders sein und in diesem Willenannulliert sie sich selbst als Guerilla […]Denn das Fortsetzen des Krieges bedeutetdie Verquickung in den Drogenhandel.“57

zur Achillesverse der Schaffung und Um-setzung neuer rechtlicher Institutionen wer-den. Damit stellt sich auch die Frage nachdem kleineren Übel oder nach der Ent-scheidung für ein Ende mit Schrecken odereinem Schrecken ohne Ende. Das Wartenauf einen besseren Moment zahlt sich ebennicht immer aus und könnte das Ende mitSchrecken gar noch schrecklicher werdenlassen und das insbesondere wenn wir an-haltende Gewalt als Motor für neue Gewaltverstehen. Natürlich sind Menschenrechteein Ziel an sich und sollten um keinen Preisverwirkt werden. Manchmal können Men-schenrechte jedoch als konfliktverlängern-des Werkzeug missbraucht werden und un-intendierte Effekte nach sich ziehen. MitKriminellen zu verhandeln ist sprichwört-lich ein Balanceakt. Bis jetzt, so ein Inter-viewpartner, „ist jeder, der versucht hat denKonflikt zu lösen, gescheitert… es gibt soviele Elemente die verhindern, dass sichdie Lösung zeigt.“53 Eines dieser Elementeist der Blick in die Vergangenheit. Gerech-tigkeit zur Bedingung sine qua non zu ma-chen wird gleichbedeutend mit Frieden, derzur Illusion wird. Stattdessen muss erst derStaat gestärkt werden, um Gerechtigkeitund die neue Suche danach zu ermöglichen– sicherlich keine leichte Aufgabe undQuelle moralischer Dilemmata.

4. Testfall Guerilla

Eine zu harsche Bestrafung der Täter kanndazu führen, dass nicht nur gegenwärtigeFriedensverhandlungen und Demobilisie-rungsprozesse ins Stocken geraten, sonderndass auch andere Gruppen von Verhandlun-gen abgeschreckt werden. Dies gilt geradeim kolumbianischen Fall, wo mit dem Ejer-cito de Liberacion Nacional (ELN) undder FARC noch zwei Guerillagruppen mi-litärisch aktiv sind. So betont AlexandraGuaqueta zwar, dass strenge Gesetze wich-tig sind, um verbindliche Regeln für dieZukunft aufzustellen und sicherzustellen,dass Straflosigkeit eine Ausnahme dar-stellt.54 Sie hebt aber auch deutlich dasRisiko einer zu strengen Bestrafungen fürweitere Verhandlungen mit den verbleiben-den bewaffneten Gruppen hervor:

„Wenn man sagt, dies ist eine Ausnahmeund dass der Staat von nun an äußerststreng ist und es keine Menschenrechtsver-letzungen mehr gibt, so ist das Problem inunserem Fall, dass die FARC noch aktiv ist.Die FARC und die ELN stecken in einerZwickmühle, wenn von nun an die Regelnsehr streng angewendet werden.“55

Werfen wir daher einen Blick auf die Reak-tionen dieser beiden Gruppen auf die De-mobilisierung der Paramilitärs. Die Armee

Panorama

2/2009

52 Interview mit Lorenzo Morales in Bogota,Kolumbien, Frühjahr 2006.

53 Interview anonym in Bogota, Kolumbien,Frühjahr 2006.

54 Interview mit Alexandra Guaqueta in Bogota,Kolumbien, Frühjahr 2006.

55 Ibid.56 Interview mit Alejo Vargas in Bogota, Kolum-bien, Frühjahr 2006.

57 Interview mit Leon Valencia in Bogota,Kolumbien, Frühjahr 2006.

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spricht und versucht zwecklos zwei Ge-gensätze zu versöhnen, die sich eben nichtversöhnen lassen. Warum das so ist erklärtAlejo Vargas, demzufolge eine Gruppe nurdann verhandele, wenn das Verhandeln dierationalste Alternative ist, wenn Verhand-lungen profitabler seien als alles andere.Und für viele Kommentatoren liege es aufder Hand, dass die Paramilitärs immensenProfit aus den Demobilisierungsverhand-lungen schlagen.

Bezeichnenderweise nehmen einige Inter-viewpartner den Deal als ein Geschäftwahr, einen Kuhhandel, aber

„[…] der kolumbianische Konflikt wirdnicht verhandelt, denn es gibt nichts zu ver-handeln. Verhandeln bedeutet, dass Frie-den ein Geschäft ist, wie ein Verkaufspro-dukt, ein Schnäppchen […] aber Frieden inKolumbien ist kein Geschäft. In Kolumbienwird es kein Verlust-Gewinn-Geschäft ge-ben. Es kommt entweder zum Verlust-Ver-lust oder Gewinn-Gewinn.“71

Vielleicht ahnte dieser Gesprächspartnerwie wahr sein Ausspruch ist. Verlust-Ver-lust versus Gewinn-Gewinn trifft nämlichden Nagel auf den Kopf. Das Differentialbeider Gleichungen kann mit dem Konzeptrückwärts- versus vorwärtsgerichteter Ver-handlungen übersetzt werden, wie in Zart-mans und Kremenyuks „Frieden versusGerechtigkeit“ beschrieben. Der Befunddes Buches erscheint unkonventionell, ge-rade im Hinblick auf die bisherige Debatte.Oft wird nämlich davon ausgegangen, dass

Valencia64 bringt die Gründe für die Rea-litätsentrückung der Gruppe wie folgt aufden Punkt:

„[…] die FARC ist ein Feind der Regie-rung, der bereits aufs extremste radikali-siert ist. Sie kümmern sich nicht mehr umihr politisches Image, denn als sie politischwaren folgte eine äußerst aggressive Ge-genreaktion. Damit rechtfertigen sie ihreTaten und sie fühlen, dass sie ein histori-sches Schicksal erfüllen.“65

Das historische Schicksal der FARC ist ge-kennzeichnet durch die buchstäbliche Ab-schlachtung der Mitglieder ihrer gegründe-ten Partei – der Union Patriotica. Als dieGuerillagruppe die Union Patriotica 1985als Ergebnis von Friedensverhandlungenmit Belisario Betancur gegründet hatte,führte immense Gewalt in das faktischeVerschwinden der Partei. Infolgedessen er-scheint es wenig überraschend, dass dieGruppe weit davon entfernt ist, nach vornezu schauen und stattdessen Justiz einfor-dert. So bricht es auch aus einem Interview-partner heraus: „Uribe und der Rest glau-ben, dass das kolumbianische Volk allesvergessen und vergeben wird. Aber daswird nicht passieren. Die Menschen verges-sen nicht wer sie massakriert hat. Es mussGerechtigkeit geben, denn wo es keine Ge-rechtigkeit gibt – und das sagt die Bibel –,da gibt es Rache.“66 Offensichtlich wird dieVerhandlungsbereitschaft der FARC nichtzunehmen, wenn sie weiter militärischangegriffen wird. Denn „es muss eineÜbereinkunft geben, eine politische Über-einkunft, die nicht mehr militärisch auf-gezwungen werden kann.“67 Es war gerademilitärische Gewalt, die vergangene Repo-litisierungsversuche der Gruppe zunichtemachte. Und diese militärische Gewaltresultierte aus der Unfähigkeit des Staateszu schützen. Folglich vereitelten die Para-militärs jegliche Friedensversuche. Aberdiesmal sitzen die Paramilitärs selbst amVerhandlungstisch und der Staat ist durchderen Demobilisierung gestärkt. Was be-deutet das für die FARC? Einige habenZweifel: „Es ist bereits zu spät.“68 Anderehaben Hoffnung: „Vielleicht kann dieFARC eines Tages demselben Beispiel fol-gen.“69

5. AusblickDie Gegenüberstellung von Kurz- undLangzeiteffekten materialisiert sich in der„Frieden versus Gerechtigkeitsdebatte“.Der kolumbianische Fall bietet ein Para-debeispiel für eine Dichotomie ohne leich-ten Ausweg. Denn „wo es keine Gerechtig-keit gibt, da gibt es Rache.“70 Vielen Stim-men zufolge hält das „Gesetz der Gerech-tigkeit und des Friedens“ nicht, was es ver-

Es sind die Kolonien der Cocafarmer, wel-che die Basis des Krieges bilden: „es isteine Form, sich in der Welt zu bewegen.“58

Die Verschärfung von Auslieferungsgeset-zen beugt dieser Form, sich in der Welt zubewegen, nicht vor. Im Gegenteil: Geradedie Demobilisierung und Reintegration derParamilitärs bringt andere Kriegsakteurezum Zweifeln. Die ELN steckt nämlichtatsächlich in der Zwickmühle. Sie stehtunter dem Druck, nun auch dem Drogen-handel zu frönen oder sich gleichfalls zudemobilisieren. Mit der zunehmenden Stär-ke des Staates durch Eliminierung eines be-waffneten Akteurs – dem Paramilitär –benötigen die Guerillas zusätzliche Mittel,um in ihrem Widerstandskampf zu beste-hen. Oder sie setzen sich an den Verhand-lungstisch. Alexandra Guaqueta hat völligRecht, wenn sie sagt, dass „diese Demobi-lisierung der Paramilitärs dabei helfenwird, eine schärfere Differenzierung zwi-schen Kriminalität und Konflikt vorzuneh-men. Die, die im Drogengeschäft bleibenwollen, werden es tun – aber wenigstenswissen wir dann, wer mit Drogen handeltund wer nicht.“59

Doch wie stehen die Dinge mit Kolumbiensgrößerer Guerillagruppe – der FARC? Lo-renzo Morales von der kolumbianischenStiftung Ideen für den Frieden zufolge übtdas Verhandeln mit der ELN Druck auf dieFARC aus – „sie sind damit sogar nochanachronistischer.“60 Und der Deal zwi-schen den Paramilitärs sowie die Vorver-handlungen mit den ELN üben Druck aufdie FARC aus, denn mit jedem Friedens-prozess erscheinen Gruppen, die noch im-mer kämpfen, terroristischer. Das bedeutetnicht, dass das Terrorismuslabel genutztwerden soll, andere Gruppen auszu-schließen – insbesondere nicht von Frie-densgesprächen. So warnt auch AlexandraGuaqueta, dass das „Bezeichnen einerGruppe als Terroristen impliziert, dass die-se aus der Gesellschaft ausgeschlossen undnicht mehr reingelassen wird.“61 Und diesist die Krux: zu signalisieren, dass dieTüren für Gespräche offen stehen währendsich die Türen für weitere Imagegewinnedurch Gewalt schließen. Das wiederumwird am besten signalisiert durch das Um-setzen von Worten in Taten und der Praxisdes Einbeziehens anderer durch Friedens-prozesse.

Aber warum sitzen dann die FARC-Rebel-len gerade nicht am Verhandlungstisch?Stimmt es, dass „die Guerillas immer nochfür dasselbe kämpfen, als wäre die Zeit ste-hen geblieben und als verstünden sie nicht,dass sich die Welt verändert hat“?62 IhreDoktrin ist so vehement, dass es scheint als„vergäßen sie den Rest der Welt“.63 Leon

Panorama

Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften / Journal of International Law of Peace and Armed Conflict

58 Ibid.59 Interview mit Alexandra Guaqueta in Bogota,Kolumbien, Frühjahr 2006.

60 Interview mit Lorenzo Morales in Bogota,Kolumbien, Frühjahr 2006.

61 Interview mit Alexandra Guaqueta in Bogota,Kolumbien, Frühjahr 2006.

62 Ibid.63 Ibid.64 Leon Valencia ist Leiter der Stiftung NuevoArco Iris in Bogota und war selbst ehemaligerGuerrillero der ELN.

65 Interview mit Leon Valencia in Bogota,Kolumbien, Frühjahr 2006.

66 Interview anonym in Bogota, Kolumbien,Frühjahr 2006.

67 Ibid.68 Ibid.69 Interview mit Maria Gotsi in Bogota, Kolum-bien, Frühjahr 2006.

70 Interview anonym in Bogota, Kolumbien,Frühjahr 2006.

71 Interview anonym in Bogota, Kolumbien,Frühjahr 2006.

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Bestrafung die Voraussetzung zur Präven-tion zukünftiger Katastrophen ist. So be-merkt auch der „Political Counselor“ derAmerikanischen Botschaft in Bogota JeffdeLaurentis, dass „die Auslieferung andie USA ein ausschlaggebendes Ab-schreckungsinstrument gegen Drogenbosseist“72. Und Alexandra Guaqueta meintebenfalls, dass strenge Gesetze Regelnschaffen. Gleichzeitig fügt sie bei: „DasProblem ist, dass die FARC immer noch daist. Die FARC und die ELN stecken in einerZwickmühle, wenn von nun an die Regelnsehr streng angewendet werden.“73

Wie entkommt man dieser Zwickmühle?Kees Koonings und Kjell-Ake Nordquist zu-folge baut die Gegenüberstellung von Frie-den und Gerechtigkeit eine Spannung auf,die sich als schädlich für den Friedenspro-zess erweisen könnte. Ein vorwärtsgerich-teter Ansatz würde stattdessen implizieren,dass Kolumbianer gemeinsame neue Insti-tutionen schaffen. Während die ELN denSchritt zu Vorverhandlungen bereits gegan-gen ist, scheint die Zeit für die FARC nochnicht reif. Die Kolumbienfallstudie bietetein geeignetes Beispiel für weiterführendeForschung, zu untersuchen unter welchen

sprach dabei auch den am 4. März 2009gegen den sudanesischen PräsidentenOmar Al Baschir erlassenen Haftbefehl an.Am Beispiel der Verhaftung von Jean-Pier-re Bemba Gombo am 24. Mai 2008 in Brüs-sel aufgrund eines am Vortag durch denIStGH ausgestellten Haftbefehls wurdesehr spannend verdeutlicht, dass der IStGHnicht über eine eigene Polizei oder Voll-zugsgewalt verfügt, sondern insoweit aufdie Mitwirkung und Kooperationsbereit-schaft der Vertragsstaaten angewiesen ist.Problematisch seien für die Arbeit desGerichts auch die politischen Widerständewichtiger Nicht-Vertragsstaaten. Hier wiesDr. h.c. Hans-Peter Kaul auf die Wichtig-keit des Beitritts weiterer Staaten zumRömischen Statut hin.

Anschließend folgte der Vortrag von Prof.Dr. Andreas Zimmermann zu dem Thema„Internationale Strafgerichtsbarkeit zwi-schen Friedenswahrung und Gerechtig-keit“. Er unterschied darin zunächst imHinblick auf ein mögliches Spannungsver-hältnis zwischen Strafverfolgung und Frie-denswahrung drei Szenarien: zum einen diefür die Strafverfolgung unproblematischeSituation nach einem bereits durchgeführ-ten Regimewechsel, in der die Strafverfol-gung mit Billigung der neuen Regierungerfolge oder aber das Gebiet durch Dritt-staaten oder die internationalisierte Ge-meinschaft kontrolliert werde und in derdie Strafverfolgung gerade der politischen,moralischen und juristischen Delegitima-tion des früheren Regimes und damit derStabilisierung des Friedensprozesses diene.Zum anderen diejenige, für das Spannungs-verhältnis zwischen Friedenswahrung undStrafverfolgung ebenfalls unproblemati-sche Situation, in der ein erwünschter zu-künftiger Regimewechsel durch Strafver-folgungsmaßnahmen unterstützt werdensolle und letztlich die eigentlich problema-tische dritte Situation, in der Personen, dieverdächtigt werden, völkerrechtliche Kern-verbrechen begangen zu haben oder nochzu begehen, Partei eines noch andauerndenoder unter Umständen wieder auflebendenKonflikts seien und deren Mitwirkung aneinem Friedensprozess notwendige Bedin-gung sei, um eine friedliche Konfliktlösungzu ermöglichen. In dieser dritten, proble-matischen Fallgruppe obliege es dem VN-Sicherheitsrat, das Spannungsverhältniszwischen Friedenswahrung und Strafver-folgung zu beurteilen. Da der Sicherheitsratnach der Charta der VN die Hauptverant-wortung für die Wahrung des Weltfriedenstrage, sei ihm auch die Entscheidung über-tragen worden, wie das Spannungsverhält-nis zwischen Strafverfolgung und Frie-denswahrung (wenn überhaupt) aufzulösensei. Während in den erstgenannten Fällen

Bedingungen Konfliktparteien bereit sind,den Blick nach vorn zu richten und wannsie weiterhin zurückschauen. Vorangegan-gene Gewalt lässt die FARC ihr histori-sches Schicksal erfüllen. Zu hoffen bleibt,dass der Zugewinn an Gewaltmonopol deskolumbianischen Staates durch die Demo-bilisierungsverhandlungen mit den Parami-litärs und prospektiv den Verhandlungenmit der ELN soviel Sicherheit ermöglichen,dass eine Basis für einen gemeinsamenDialog geschaffen werden kann. Bis jetztfehlt dieser noch. So beklagt auch eineGesprächspartnerin, dass es „an Dialog, aneiner Kultur der Demokratie mangelt“.74

Aber vielleicht ist das LJP tatsächlich einSchritt. In welche Richtung der Weg geht,wird dabei vor allem auch von der Schaf-fung solch eines gemeinsamen Dialogesabhängen. �

Panorama – Konferenzen

2/2009

72 Interview mit Jeff deLaurentis in Bogota,Kolumbien, Frühjahr 2006.

73 Interview mit Alexandra Guaqueta in Bogota,Kolumbien, Frühjahr 2006.

74 Interview anonym in Bogota, Kolumbien,Frühjahr 2006.

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in derPraxis – Kurztagung 2009 der Deutschen Sektionder Internationalen Juristenkommission e.V., Berlin13. März 2009Christine Dechmann*

Am 13. März 2009 veranstaltete die Deut-sche Sektion der Internationalen Juristen-kommission e.V. (IJK) mit Förderung derBundesrepublik Deutschland im Europa-Saal des Paul-Löbe-Hauses des DeutschenBundestages ihre Kurztagung 2009 zumThema „Der Internationale Strafgerichts-hof in der Praxis“, an der ca. 100 Teilneh-mer aus den verschiedensten juristischenBereichen teilnahmen.

Die Tagung begann mit der Begrüßungdurch den Vorsitzenden des Präsidiums der

Deutschen Sektion der IJK, Richter desBundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Sieg-fried Broß, und den ehrenamtlichen Gene-ralsekretär der Deutschen Sektion der IJK,Dr. Stefan Sinner, gefolgt von einemGrußwort von Frau Bundesministerin a.D.Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin,MdB.

Im Anschluss daran hielt Dr. h.c. Hans-Peter Kaul, Richter am IStGH, einen Vor-trag zum Thema „Der Internationale Straf-gerichtshof – bisherige Arbeit und Perspek-tiven“, in dem er insbesondere auf dieArbeit in den Vorverfahrenskammern II(Uganda) und III (Zentralafrika) einging.Dabei führte er aus, dass das Verhältniszwischen der Vorverfahrenskammer undder Hauptverfahrenskammer noch nicht ab-schließend geklärt sei. Auch ging er auf dieMöglichkeit des Erlasses von Haftbefehlendurch die Vorverfahrenskammer ein und

* Christine Dechmann ist Rechtsberaterin undWehrdisziplinaranwältin im Rechtsberater-zentrum der Luftwaffe in Köln-Wahn undnimmt dort vorwiegend Aufgaben für dasLuftwaffenausbildungskommando wahr.

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die Studie „Assessing Damage, UrgingAction“ der IJK zu Terrorismusbekämp-fung und Menschenrechten oder dieAufsätze von Dr. Stefan Kirsch „Die Tätig-keit der beiden ad hoc-Tribunale für dasehemalige Jugoslawien und Ruanda – Ver-such einer Bilanz“1 und von WolfgangSchomburg „Wahrheitsfindung im interna-tionalen Gerichtssaal“2 mitzunehmen, folg-te der Vortrag von Wolfgang Schomburgzum Thema „Erfahrungen aus der Arbeitder beiden ad hoc-Tribunale für die Tätig-keit des IStGH“.

Wolfgang Schomburg war VorsitzenderRichter der Strafkammer II des ad hoc-Strafgerichtshofs für das ehemalige Ju-goslawien (ITCY) und Richter in derBerufungskammer am Jugoslawien- undRuanda-Strafgerichtshof. Er führte aus,dass eine internationale Strafgerichtsbar-keit nur dann effektiv funktionieren könne,wenn die Aufsplitterung in situations-bedingte Tribunale überwunden werde undauf der Basis der uneingeschränkten Ko-operation aller Staaten ein IStGH als genui-nes unabhängiges Instrument einer refor-mierten VN agieren könne. Er ging hierbeiauch auf die Auswahl der Richter, Anklägerund Mitarbeiter des IStGH ein. Als wichtigstellte er heraus, dass die Mitarbeiterzumindest teilweise auch über forensischeErfahrung verfügen müssten. Ebenfallsnotwendig sei die Aus- und Fortbildung,wobei eine VN-Rechtsakademie anzustre-ben sei. Eingegangen wurde auch auf dasVerfahrensrecht, wobei die Ausrichtung amparteibetriebenen Verfahren unter Hinweisauf dessen Nachteile gerügt und eine nach-haltige Abkehr von diesem, sowie eineStärkung der Richterrolle gefordert wurde.Anzustreben sei ein Ausbau der Zuständig-keit des IStGH mit dem Ziel eines Straf-gerichtshofs, der als ultima ratio für alleglobal strafbewehrten Taten zuständig ist,wenn die nationale oder regionale Straf-justiz nicht willens oder in der Lage ist,den Rechtsfrieden wieder herzustellen. Ineiner globalisierten Welt sei eine unabhän-gige internationale Strafgerichtsbarkeit dieletzte Antwort auf Angriffe gegen globaleInteressen.

Im Anschluss bestand die Möglichkeit zurDiskussion über die vorangegangenen Vor-träge, von der auch seitens der Teilnehmerrege Gebrauch gemacht wurde.

kämen, wenn die Entscheidung über das„ob“ der Strafverfolgung bereits gefallensei, erscheine es daher sachgerecht, demjeweiligen Ankläger dann kaum mehr einErmessen einzuräumen, ob er eine Straf-verfolgung durchführt oder nicht.

Als ultima ratio sei es bei den „Normalfäl-len“ völkerrechtlicher Verbrechen (selbstmassiver Art) noch hinnehmbar, auch dieHauptverantwortlichen nicht bzw. nochnicht zur Verantwortung zu ziehen, wennnur so eine Friedenswiederherstellungmöglich sei. Das Grundproblem bei derAbwägung zwischen Frieden und Strafver-folgung liege in der zeitlichen Dimension,da sich praktisch nie mit hinreichenderSicherheit sagen lasse, ob ein Verzicht aufStrafverfolgung zu einer echten Befriedungführe oder ob ein solcher Verzicht nichtgerade kontraproduktiv sei. Daher sei dieRegelung des Artikel 16 IStGH-Statut, alsodie Möglichkeit, die Ermittlungen oder dieStrafverfolgung für einen Zeitraum von12 Monaten aufzuschieben, zu begrüßen.Prof. Dr. Zimmermann ging auch auf diemöglichen Auswirkungen einer Straffrei-heit auf die Täter ein. Diese könne die Tätermotivieren, möglichst lange und möglichsteffektiv an der Macht zu bleiben, da da-durch die politischen Kosten für die Durch-führung einer Strafverfolgung und einendamit einhergehenden Verzicht auf einenFriedensschluss stiegen. Umgekehrt führedie konsequente Durchführung von Straf-verfolgungsmaßnahmen dann zu einemRückgang von Gewalt, wenn man eine ge-neralpräventive Wirkung auch im Bereicheiner solchen „Makrokriminalität“ anneh-me, wobei offen sei, ob eine solche wirk-lich bestehe. Problematisch sei es, wenndem Täter zunächst ein Verzicht auf Straf-verfolgung in Aussicht gestellt werde, die-ser aber später zurückgenommen werde, dadies die Gefahr beinhalte, dass in der Zu-kunft betroffene Täter noch sehr viel längeran ihrer Machtposition festhalten werden.

Der Verzicht auf eine Strafverfolgung er-scheine insgesamt nur dann als legitim,wenn dadurch eine dauerhafte Befriedung,wenn auch nicht sichergestellt, so doch zu-mindest mit hinreichender Wahrscheinlich-keit erleichtert werde. Es obliege dabei denprimär dazu berufenen Akteuren, dieseGüterabwägung vorzunehmen. Zum einen,weil nur diese dazu legitimiert seien, zumanderen, weil nur sie über die entsprechen-den Mechanismen verfügten, gegebenen-falls eine Strafverfolgung auch wieder zureaktivieren.

Nach einer kurzen Kaffeepause, in der fürdie Tagungsteilnehmer die Möglichkeitbestand, ausgelegte Unterlagen wie u.a.

die Strafverfolgung ein mögliches Mittelsei, eine Bedrohung des Weltfriedens zubekämpfen, stelle sie im letztgenanntenFall gerade eine Gefahr für denWeltfriedendar. Mit der Entscheidung zugunsten des„ob“ einer Strafverfolgung übertrage derSicherheitsrat die weiteren Entscheidungenüber das „wie“ der konkreten Strafverfol-gung auf autonom handelnde Organe desjeweiligen Gerichts und nehme damit auchdessen Entscheidungen in seinen Willenund in seine Güterabwägung zwischenFriedenswahrung und Strafverfolgung auf.Hier verwies Prof. Dr. Zimmermann auchauf die Möglichkeit des Sicherheitsrates,aufgrund seiner Zuständigkeit nach KapitelVII, nachträglich seine Einschätzung desSpannungsverhältnisses zu revidieren und /oder zu präzisieren und dabei auch zu derÜberzeugung zu gelangen, dass eine Straf-verfolgung durch den IStGH oder aber eineStrafverfolgung durch Einzelstaaten fürdie Bewahrung des Friedens per se kontra-produktiv sei und das von ihm wahrgenom-mene Spannungsverhältnis auf der Grund-lage seiner Befugnisse nach Kapitel VII zuLasten der Strafverfolgung aufzulösen.

In Situationen, in denen kein Bezug zuKapitel VII vorliege, seien die Einzel-staaten berufen, eine Abwägung zwischenStrafverfolgung und Friedenswahrung vor-zunehmen. Ein Territorialstaat sei in jedemFall dazu legitimiert, sich positiv für eineVerfolgung der auf seinem Gebiet oderdurch seine Staatsangehörigen begangenenschwersten Verbrechen zu entscheiden, zu-mal dort, wo eine Pflicht zur Strafverfol-gung bestehe. Aber auch ein Verzicht aufStrafverfolgung durch eine demokratischlegitimierte Regierung, die durch alterna-tive Formen der Wahrheitsfindung begleitetwerde, sei als legitim anzusehen und dasKomplementaritätsprinzip des Rom-Statutsin diesem Lichte auszulegen. Eine Ent-scheidung durch einen Einzelstaat zuguns-ten der Strafverfolgung sei auch darin zusehen, dass er selbst die Gerichtsbarkeit desIStGH akzeptiere und unter Umständen gardie Situation im eigenen Land selbst an denIStGH überweise. Problematisch hingegensei es, wenn eine entsprechende Straf-verfolgung nicht mehr von einem breiteninnenpolitischen Konsens innerhalb desbetroffenen Staates getragen werde. Zubedenken sei auch, ob die zeitlich weit vor-gelagerte „abstrakte“ Ratifikation desRom-Statuts alleine nicht mehr als ratio-nale Abwägung zwischen Friedenswahrungund Strafverfolgung, bezogen auf die spä-ter eintretende konkrete Situation, gesehenwerden kann.

Da die Anklagebehörden der internationa-len Gerichte immer erst dann zum Zuge

Panorama – Conferences

Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften / Journal of International Law of Peace and Armed Conflict

1 Humanitäres Völkerrecht – Informations-schriften 2 (2008), S. 66 ff.

2 Vereinte Nationen 1 (2009), S. 3 ff.

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Den nächsten Vortrag hielt Ministerial-direktor Dr. Georg Witschel, Völkerrechts-berater der Bundesregierung und Leiter derRechtsabteilung des Auswärtigen Amtes,über „Die Rolle Deutschlands in der inter-nationalen Strafgerichtsbarkeit“. Zu Be-ginn seines Vortrages verwies er darauf,dass die Geschichte Deutschlands schondurch die Nürnberger Kriegsverbrecherpro-zesse eng mit der Entwicklung des moder-nen Völkerstrafrechts verbunden sei. Diesehätten den Weg geebnet, der knapp 60 Jah-re später zur Einrichtung eines permanen-ten Internationalen Strafgerichtshofs inDen Haag geführt habe. Deutschland enga-giere sich in der Debatte um das Verhältnisvon Frieden und Gerechtigkeit. Das Römi-sche Statut des IStGH betrachte Völker-rechtsverletzungen als eine Bedrohung fürden Frieden, die Sicherheit und das Wohlder Welt. Ziel des Völkerstrafrechts seies, der Straflosigkeit der Täter ein Endezu setzen und so zur Verhütung solcherVerbrechen beizutragen. Da die Verfolgungdieser Verbrechen Frieden und Sicherheitförderten, liege die Unterstützung der in-ternationalen Strafgerichtsbarkeit im deut-schen Interesse. Dr. Witschel führte aus,dass die internationale Strafgerichtsbarkeitgrundsätzlich komplementär und derIStGH nur zuständig sei, soweit ein Staatnicht willens oder in der Lage sei, die Straf-verfolgung selbstständig durchzuführen.Die deutsche Justiz habe mit dem Völ-kerstrafgesetzbuch (VStGB) von 2002eine Möglichkeit, Völkerrechtsverbrechenselbst zu verfolgen, wobei es bisher wenigpraktische Erfahrung gebe. Dabei erfassedas VStGB auch Straftaten, die keinen Be-zug zu Deutschland haben. Das RömischeStatut sei damit nicht nur Gründungsver-trag des IStGH, sondern begründe auchWechselbeziehungen zwischen Völker-strafrecht und nationalem Strafrecht. Hin-gewiesen wurde auch auf die UnterstützungDeutschlands bei den internationalen adhoc-Strafgerichtshöfen für das ehemaligeJugoslawien und für Ruanda, die wesent-lich zur strafrechtlichen Aufarbeitung vonKonflikten und zur richterlichen Fortbil-dung beigetragen hätten. Die Anklage ge-gen ein ehemaliges Staatsoberhaupt undVerurteilungen wegen Massenvergewal-tigungen seien Meilensteine. Mit Ablaufihrer Mandate werde der ständige IStGHweiter in den Mittelpunkt rücken und sollelangfristig ad hoc-Tribunale entbehrlichmachen. Da die internationale Strafge-richtsbarkeit einen wichtigen Beitrag zurFörderung des Rechtsstaatsgedankens leis-te, unterstütze Deutschland daher die sog.„hybriden“ Gerichtshöfe, bei denen dieinternationale Gemeinschaft mit der Justizdes Tatortstaates zusammenarbeitet, wieder Sondergerichtshof für Sierra Leone, das

zum „Verbrechen in der Aggression“ in dasRömische Statut aufgenommen werden.Wichtig sei dabei, die im Römischen Statutgefundene Balance zwischen IStGH undden VN weitgehend unangetastet zu lassen.Für den IStGH sei die Frage, welche Rolledem Sicherheitsrat bei der Einleitung vonStrafverfahren wegen des Aggressions-verbrechens zukommen soll, von großerBedeutung.

Skeptisch zu beurteilen seien aber aus deut-scher Sicht Initiativen zur Aufnahme weite-rer Straftaten wie etwa den internationalenDrogenhandel, Terrorismus oder Pirateriein das Römische Statut, da damit der Kernder Straftaten gegen die internationale Ge-meinschaft als Ganzes und das Völkerge-wohnheitsrecht verlassen, sowie die Gren-zen zur gewöhnlichen Gewalt- und Wirt-schaftskriminalität verwischt würden. EinKonsens erscheine insoweit aber ohnehinunrealistisch.

Zum Ende wurde noch darauf hingewiesen,dass sich die Rolle Deutschlands in derinternationalen Strafgerichtsbarkeit nichtnur auf die Bundesregierung beschränke,sondern parteiübergreifend sowohl vomParlament als auch von der Zivilgesell-schaft und der Wissenschaft getragen undkritisch begleitet werde.

Es folgte ein Vortrag von Ministerialdirek-tor Thomas Dittmann, Leiter der Straf-rechtsabteilung im Bundesministerium derJustiz über „Die Zusammenarbeit Deutsch-lands mit internationalen Strafgerichts-höfen“. Dittmann stellte ebenfalls heraus,dass die internationale Strafgerichtsbarkeitauf die solidarische Unterstützung derStaatengemeinschaft in besonderem Maßeangewiesen sei. Deutschland habe im In-teresse der wirksamen Erfüllung seinervölkerrechtlichen Verpflichtungen zur Zu-sammenarbeit mit internationalen Strafge-richtshöfen gesetzliche Regelungen getrof-fen, die sowohl die Gewährung von Hilfefür die internationalen Strafgerichtshöfewie auch deren Inanspruchnahme zumGegenstand haben. So leiste Deutschlandin erheblichem Umfang Rechtshilfe zurGewinnung von verfahrensrelevanten Er-mittlungsergebnissen belastender und ent-lastender Art und habe sich zur vorläufigenFestnahme und Überstellung oderAusliefe-rung beschuldigter Personen, sowie zurÜberstellung von Personen an den IStGHverpflichtet. Ebenso übernehme Deutsch-land bei der Vollstreckung von Strafen derinternationalen Strafgerichtshöfe großeVerantwortung und stelle dabei nationaleSicherheitsinteressen gegenüber der solida-rischen Verantwortung mit der Strafrechts-pflege auf internationaler Ebene zurück.

Khmer-Rouge-Tribunal in Kambodschaund das Sondertribunal für Libanon. Hier-bei verwies Dr.Witschel auch auf die finan-zielle Unterstützung Deutschlands fürdie internationale Strafgerichtsbarkeit:Deutschland sei der zweitgrößte Beitrags-zahler des IStGH und habe im Jahr 2008einen Pflichtbeitrag von 10,4 MillionenEuro geleistet. Die deutschen Beiträge fürden Strafgerichtshof für das ehemaligeJugoslawien und für Ruanda haben 2008insgesamt ca. 18 Millionen Euro betragen.Zudem seien Deutsche zu Richtern sowohlam Strafgerichtshof für das ehemaligeJugoslawien als auch am IStGH gewähltworden. Daneben trage Deutschland weite-re Mittel bei der Übernahme Verurteilterzur Strafvollstreckung in Deutschland.Deutschland nehme auch in der Versamm-lung der Vertragsstaaten des RömischenStatuts Sitz und Stimme wahr und spiele et-wa bei der Wahl der Richter oder bei derVerabschiedung des Haushalts eine aktiveRolle.

Dr.Witschel stellte heraus, dass es das Zielsei, eine weltweite Gerichtsbarkeit desIStGH durch globale Mitgliedschaften zuerreichen und Versuche, durch bilateraleAbkommen den Anwendungsbereich desrömischen Statuts einzuschränken, mit die-sem unvereinbar seien. Auch in diesemVortrag wurde darauf hingewiesen, dass derIStGH nicht über Zwangsmittel zur Durch-setzung seiner Maßnahmen verfüge, son-dern auf die Zusammenarbeit mit den ein-zelnen Staaten angewiesen sei, wozu letzt-lich auch die politisch-diplomatische Un-terstützung von Maßnahmen des IStGHgehöre. Deutschland habe seine Verpflich-tungen gegenüber dem IStGH im „Gesetzüber die Zusammenarbeit mit dem Interna-tionalen Strafgerichtshof“ von 2002 um-gesetzt.

Hervorgehoben wurde die förmliche Betei-ligung der Opfer von Völkerrechtsverbre-chen am Strafverfahren als eine besonderswichtige Neuerung des Römischen Statuts.Diese stelle die Einbeziehung der Opfer-perspektive in die Aufarbeitung desUnrechts auch prozedural sicher und ver-hindere eine Marginalisierung der Opfer,womit der IStGH einen wichtigen Beitragzu „Peacebuilding“ und Aussöhnung inpost-konfliktären Gesellschaften leiste.Deutschland trage dazu durch Unterstüt-zung des beim IStGH angesiedelten Opfer-schutzfonds bei.

Angesprochen wurde auch der aktive Ein-satz Deutschlands bei der Fortentwicklungdes Völkerstrafrechts. Auf der Konferenzzur Überprüfung des Römischen Statuts imFrühsommer 2010 solle eine Bestimmung

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seit langem für die Errichtung einer perma-nenten Einrichtung zur Bekämpfung derschwersten Verbrechen wie z.B. Völker-mord und Kriegsverbrechen engagierthaben und Amnesty International für eineuniverselle Ratifikation des RömischenStatuts eintrete. Sie verwies auf die Heraus-forderungen, vor denen der IStGH stehe.Diesem müsse eine angemessene Zeit ein-geräumt werden, dieAnwendung des neuenRechts zu erproben. Die Forderung nachschnellen Resultaten verkenne, dass es vorallem um die Durchführung fairer Strafver-fahren gehe. Zudem werden aus Sicht vonAmnesty International auch die Vertrags-staaten und die VN dadurch auf die Probegestellt, dass nun die uneingeschränkteKooperation mit dem IStGH gefordert sei.Gerade an dieser mangele es zuweilen, sodass Amnesty International mit Sorge ver-folge, dass realpolitische Entscheidungendie Aufrechterhaltung der Prinzipien desStatuts des IStGH gefährdeten, wobei alsBeispiele die Situation in Uganda und Dar-fur genannt wurden. Die aktuellen Diskus-sionen um das Thema Frieden und Gerech-tigkeit zeigten, dass es auch unter deut-schen Entscheidungsträgern Skeptiker ge-be, die den IStGH als Störfaktor der inter-nationalen Beziehungen sähen. AmnestyInternational setze sich nachdrücklich dafürein, dass dem IStGH die erforderliche inter-nationale Unterstützung nicht nur finan-zieller Art, sondern auch in Form politi-scher Unterstützung gegenüber denjenigen,die zur Auslieferung der Angeklagten so-wie zur Beilegung der Konflikte beitragenkönnen, gewährt werde. Über die verschie-denen Thesen wurde angeregt diskutiert.

Insgesamt wurde das internationale Straf-recht facettenreich aus verschiedenen Per-spektiven beleuchtet. Es ist zu wünschen,dass die Veranstaltung in ähnlicher Artwiederholt wird und weiterhin auf breitesInteresse stößt.

Die gelungene Veranstaltung wurde da-durch abgerundet, dass in ihrem Anschlussdie Möglichkeit bestand, an einer durchden Besucherdienst des Deutschen Bundes-tages organisierten Führung durch dieGebäude des Deutschen Bundestages teil-zunehmen. �

testgehend selbstständig festschreiben. DieRechtsprechung der internationalen Straf-gerichtshöfe schwäche nicht selten diePosition der Verteidigung statt deren Mög-lichkeiten zu stärken, den Gang und dasErgebnis des Verfahrens mit zu gestalten.Zu kritisieren sei auch, dass das an den adhoc-Strafgerichtshöfen angewandte mate-rielle Recht den Anforderungen der Be-stimmtheit nur unzureichend genüge. Diesgelte neben einzelnen Tatbeständen desBesonderen Teils wie z.B. die unter Verbre-chen gegen die Menschlichkeit fallendenHandlungen der „Verfolgung“ oder „ande-ren unmenschlichen Handlungen“ auch fürdie Zurechnungsnormen des AllgemeinenTeils wie z.B. den Begriff des „Joint Crimi-nal Enterprise“. Ein Blick auf die sich ent-wickelnde Praxis des IStGHs lasse insoweitkeine Verbesserung erkennen. Die Beteili-gung von Opfern scheine vielmehr zu einerweiteren Deformation des verfahrensrecht-lichen Kräftegleichgewichts zu führen.Diese dargestellten Probleme stellten mit-tel- bis langfristig die Legitimität der Tätig-keit internationaler Strafgerichtshöfe inFrage. Verurteilungen unter Anwendungbedenklicher Straf- und Zurechnungsnor-men und aufgrund fragwürdiger Feststel-lungen unterminierten die Basis internatio-naler Strafverfolgung. Zum Ende seinesVortrages wies Dr. Kirsch auf die vielfälti-gen Ursachen für die von ihm dargestelltenProbleme hin, die sich seiner Meinungnach u.a. in den Unterschieden zwischenangloamerikanischem und kontinentaleu-ropäischem Verfahrensrecht oder zwischenStraf- und Völkerrecht begründeten, abernicht unlösbar seien.

Es schloss sich eine Podiumsdiskussion un-ter der Moderation von Frau Bundesminis-terin a.D. Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin,MdB an, bei der die Teilnehmer die Mög-lichkeit hatten, sich mit den Vortragendenund Dr. Leonie von Braun zum Thema„Perspektiven der internationalen Straf-gerichtsbarkeit“ auszutauschen. Dr. Leonievon Braun ist Expertin für internationaleStrafgerichtsbarkeit bei Amnesty Interna-tional und Sprecherin der Amnesty-Gruppegegen Straflosigkeit. In dieser Diskussionstellte Frau Dr. von Braun heraus, dass sichOrganisationen wie Amnesty International

Dittmann wies aber auch darauf hin, dassim Gegenzug die deutschen Ermittlungs-behörden durch die Übermittlung von Er-kenntnissen, die bei den internationalenStrafgerichtshöfen vorliegen und für deut-sche Verfahren benötigt werden, unterstütztwerden.

Den letzten Vortrag des Tages hielt Rechts-anwalt Dr. Stefan Kirsch aus der Sicht desStrafverteidigers über „Die Verteidigungvor den internationalen Strafgerichts-höfen“. Dr. Kirsch ist eingetragen in dieAnwaltsliste beim Internationalen Straf-gerichtshof und war in drei Verfahren vordem Internationalen Jugoslawienstraf-gerichtshof sowie in einem weiteren Ver-fahren vor dem Ruandastrafgerichtshoftätig. Zunächst stellte Dr. Kirsch heraus,dass es Aufgabe der Verteidigung sei, dasInteresse des Beschuldigten zu schützen,nur aufgrund wahrer und unzweifelhafterFeststellungen und nur aufgrund derAnwendung hinreichend bestimmter undvorhersehbarer Strafnormen des materiel-len Rechts verurteilt zu werden. DiesenAn-forderungen könne die Strafverteidigungvor internationalen Strafgerichtshöfen der-zeit aber allenfalls unzureichend genügen;es bestehe die Gefahr, dass die Verfahrenzu einer „Alibi-Veranstaltung“ verkom-men. Problematisch sei zum einen das anden ad hoc-Strafgerichtshöfen praktizierte„adversarische“ Strafverfahren des com-mon law, das nur dann zur Feststellungeines wahren Sachverhalts führe, wenn dieBeteiligten über vergleichbare Möglich-keiten zur Beeinflussung des Verfahrensverfügten. Die Möglichkeiten der Verteidi-gung, den Gang und das Ergebnis des Ver-fahrens zu beeinflussen, seien in der Praxisder internationalen Strafgerichtshöfe aberaußerordentlich eingeschränkt. So verfügedie Verteidigung bei eigenen Ermittlungen– im Gegensatz zur Anklagebehörde – überkeinerlei Zwangsmöglichkeiten, so dass sieinsoweit auf die Inanspruchnahme gericht-licher Hilfe angewiesen sei. Zudem verfügedie Verteidigung auch regelmäßig nichtüber ausreichende sachliche und personelleMittel für Ermittlungshandlungen bei denäußerst komplexen Sachverhalten. Auf-grund dieser Defizite für die Verteidigungkönne die Anklage den Sachverhalt wei-

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Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften / Journal of International Law of Peace and Armed Conflict

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Zum 19. Mal jährte sich die Tagung derRechtsberater und Rechtslehrer der Bun-deswehr und der Konventionsbeauftragtendes Deutschen Roten Kreuzes in Zusam-menarbeit mit dem Institut für Friedenssi-cherungsrecht und Humanitäres Völker-recht der Ruhr-Universität Bochum. DieTagung zum Humanitären Völkerrecht, diesogenannte „Teinacher Tagung“ fand vom27. – 28. März 2009 in Bad Mergentheimstatt und stand unter dem „Motto“ „Völker-gewohnheitsrecht, das ungeschriebeneVölkerrecht“. Als Referenten konnten indiesem Jahr wieder hervorragende Kennerder Materie aus Wissenschaft und Praxisgewonnen werden, die aufschlussreicheVorträge hielten. Den Organisatoren ist mitder Auswahl der Referenten und der Vor-tragsthemen eine außerordentlich anspre-chende Veranstaltung gelungen, zu der sichetwa 100 Teilnehmer einfanden.

Aufgrund der positiven Resonanz, die dieHuV-I-Redaktion zu Artikelanfragen zurTagung in Bad Mergentheim erhalten hatund Dank des dahingehenden VorschlagsJean-Marie Henckaerts’, ist ein Themen-heft der HuV-I über die Tagung, bzw. zumTagungsthema, geplant, das voraussichtlichals Ausgabe 3/2009 erscheinen wird. Ausdiesem Grund ist dieser Tagungsbericht –im Vergleich zu den letztjährigen – kurzgefasst.

Am frühen Nachmittag des 27. März be-grüßte Hans Heinz MdL, Landesgeschäfts-führer das DRK-Landesverbandes Baden-Württemberg, die Referenten und Gäste derTeinacher Tagung im Evangelischen Ge-meindezentrum Bad Mergentheim. In sei-nen Grußworten erwähnte er die Schlachtvon Solferino, die sich am 24. Juni 2009zum 150. Male jähren wird, die denSchweizer Geschäftsmann Henry Dunantgeprägt hat und in der sich die Parole „Allesind Brüder“ formte. Seine Erfahrungen hatHenry Dunant in dem bekannten Buch mitdem Titel „Eine Erinnerung an Solferino“niedergeschrieben. Das Werk, in dem erSorge um diejenigen verlangt, die nichtoder nicht mehr am Kampf teilnehmen undHilfe brauchen, hat großen Anklang gefun-

besonders berührten Staaten („speciallyaffected“) nur in einem sehr beschränktenMaße eine gewichtigere Rolle spielen alsnicht involvierte Staaten.

Im Anschluss an diesen abstrakten Einstiegin die Materie befasste sich Prof. Dr. HorstFischer, Professor for International Huma-nitarian Law, Universiteit Leiden, konkretmit dem Gewohnheitsrecht. Sein Beitrag„Die Anwendung von Völkergewohnheits-recht im Gaza-Konflikt“ widmete sicheinem aktuellen Problem, weswegen derRedner zunächst die Fakten des Konfliktsin Gaza erläuterte. Anschließend legte erdar, dass die Genfer Abkommen unabhän-gig davon, ob es sich um einen internatio-nalen oder nicht internationalen bewaffne-ten Konflikt handelt, anwendbar seien, dadie IKRK-Studie folgerichtig das huma-nitäre Völkerrecht auch bei internen Kon-flikten als Gewohnheitsrecht anerkenne.

Als Schlussfolgerung für die Studie unddarüber hinausgehend bewertete er sie alsdurch den Gaza-Konflikt gestärkt, da indiesem die Regeln der Studie als Teil desVölkergewohnheitsrechts bestätigt wordenseien. Darüber hinaus appellierte er dieEffektivität des Völkergewohnheitsrechtszu verbessern.

Nach der ersten Diskussionsrunde referier-te Dr. Heike Spieker, Bundeskonventions-beauftragte des Deutschen Roten Kreuzes,stellvertretende Bereichsleiterin NationaleHilfsgesellschaft, DRK-Generalsekretariat,über die „Methodik des Nachweises vonVölkergewohnheitsrecht“, wobei sie aufKritik an der Studie einging, soweit sie aufdie Methodik gerichtet war.

Zunächst umriss die Rednerin insbesonderedas objektive Element von Artikel 38 lit. bIGH-Statut: die allgemeine Übung, dieim Rahmen des humanitären Völkerrechtsjedes staatlicheVerhalten, auch Unterlasseneinbeziehe. Im Festlandsockel-Fall1 habeder IGH drei Kriterien – gewisse Einheit-lichkeit, gewisse Dauer und gewisse Ver-breitung – für die allgemeine Übung her-ausgearbeitet, wobei im humanitären Völ-kerrecht der Umstand der mangelnden

den und eine außerordentliche Entwicklungins Rollen gebracht.

Außerdem führte Hans Heinz an, dassBaden 1864 zu den ersten Unterzeichnernder ersten Genfer Konvention gehörte. Die-se habe bereits im Deutsch-DänischenKrieg (Februar bis Oktober 1864) Anwen-dung gefunden, ohne dass sie formell ratifi-ziert gewesen sei. Mit diesem Gedankenfand der Redner eine gelungene Überlei-tung zum Thema der diesjährigen Tagung,das an seiner Aktualität nichts eingebüßthabe – demVölkergewohnheitsrecht.

Der erste Referent, Ministerialrat a.D. Dr.Dieter Fleck, ehemaliger Leiter des Völker-rechtsreferats, Bundesministerium der Ver-teidigung, ging in seinem Beitrag „DieIKRK-Gewohnheitsrechtsstudie: polarisie-rend oder konsensbildend?“ dem Stellen-wert des an Tiefe, Umfang, Universalitätund Fachgerechtheit nie dagewesenen Pro-jekts für die Anwendung des humanitärenVölkerrechts in diesem Jahrzehnt nach. Erlegte dar, dass trotz der Kritik, die hinsicht-lich der Studie geäußert wurde, ein unbe-streitbarer Erfolg bereits heute absehbarsei: Die Studie habe die notwendigen Dis-kussionen über Inhalte des humanitärenVölkerrechts neu belebt und in die Welt ge-tragen. Denn nur durch kritische Auseinan-dersetzung könne der Konsens über Regelngebildet werden und erhalten bleiben, derdas Schicksal vieler Menschen betreffe.Daher genüge es nicht, gewohnheitsrecht-liche Regeln einseitig zu bestätigen, son-dern customary international law bleibeein Produkt der Zusammenarbeit. Insofernleiste die Studie, die keinesfalls daraufabziele, eine ablehnende Haltung zur Rati-fizierung bestimmter Verträge zu umgehen,bereits einen Beitrag zur Weiterentwick-lung des Rechts.

Die hohe Bedeutung der verbreiteten Dis-kussion über das Gewohnheitsrecht im hu-manitären Völkerrecht lasse sich dadurchuntermauern, dass – im Gegensatz zumallgemeinen Völkergewohnheitsrecht – imhumanitären Recht für die Bestimmung desGewohnheitsrechts die von einer Materie

Panorama – Konferenzen

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* Heike Montag ist Doktorandin der Rechtswis-senschaften und wissenschaftliche Mitarbeite-rin am Institut für Friedenssicherungsrechtund Humanitäres Völkerrecht der Ruhr-Uni-versität Bochum. Sie betreut die HuV-I redak-tionell.

1 North Sea Continental Shelf Case, Deutsch-land v. Dänemark (Nordsee-Festlandsockel-Fall), ICJ Rep. 1969, 3.

19. Tagung zum Humanitären Völkerrechtin Bad Mergentheim vom 27. –28. März 2009– „Völkergewohnheitsrecht, das ungeschriebeneVölkerrecht“ – Gleichzeitig Ankündigungeiner Themenausgabe der HuV-I zur Tagungin Bad MergentheimHeike Montag*

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men werde, da man dafür zunächst diePraxis, also die Materialien brauche, bevorman die Regeln nachbessern könne.

Letztlich beendete LRDir Sylvia Spies, Re-feratsleiterin Verfassungsreferat, Bundes-ministerium der Verteidigung, die Vortrags-reihe mit ihrem Beitrag „Berücksichtigungdes humanitären Völkerrechts in Einsätzenaußerhalb bewaffneter Konflikte“ und lenk-te damit den Blickwinkel auf die Bundes-wehr. Nach einer kurzen Vorbemerkung zurStaatenpraxis behandelte sie anhand derEinsatzplanung in Afghanistan die Rah-menbedingungen zu der Tatsache, dass dieBundeswehr überwiegend außerhalb be-waffneter Konflikte zum Einsatz kommeund die Berücksichtigung des humanitärenVölkerrechts insbesondere auch bei Inge-wahrsamnahmen.

In der anschließenden Podiumsdiskussionstellten sich die Referenten Fleck, Hen-ckaerts, Müller, Parks, Spieker und Spiesnicht nur – in einer ersten Runde – den Fra-gen des Diskussionsleiters MinDir Dr. Die-ter Weingärtner, Leiter der Rechtsabteilungdes Bundesministeriums der Verteidigung,sondern – in einer zweiten Runde – auchden zahlreichen Fragen der Gäste.

Die Tagung schloss mit Dankeswortendes Landeskonventionsbeauftragten desDRK-Landesverbandes Baden-Württem-berg, Rechtsanwalt Dr. Rudolf Goldmann,worin er insbesondere die Organisatorendes DRK-Kreisverbandes Bad Mergent-heim, Prof. RomenWerner undKlaus Eckel,hervorhob. Außerdem gab er bekannt, dassfür den Beginn des 20-jährigen Jubiläumsder Tagung der 19. März 2010, 15:00 Uhr,vorgesehen sei. �

sowohl im internationalen als auch im na-tionalen bewaffneten Konflikt anwendbarsein soll und dem Redner zufolge eine Rei-he von Fehlern, beispielsweise hinsichtlichder Auswertung der Militärhandbücher undder Analyse der Staatenpraxis, aufweise.

ImAnschluss referierte Iris Müller, Resear-cherin Customary Law Study, BritischesRotes Kreuz, über ein „Follow-up derIKRK-Gewohnheitsrechtsstudie“. Sie istMitglied der Forschergruppe, die denIKRK-Gewohnheitsrechtsstudien-Band II(Praxis) überarbeitet. Eröffnend erläutertedie Sprecherin, dass das IKRK gemeinsammit dem Britischen Roten Kreuz an einerFortschreibung der Studie arbeitet, da dieursprüngliche Fassung schon bei der Veröf-fentlichung 2005 aufgrund der Formulie-rungen und des Veröffentlichungsprozessesauf dem Stand Ende 2002 / Anfang 2003gewesen sei und insbesondere deshalb,weil das Völkergewohnheitsrecht kein star-rer Prozess sei, der in Form einer „Fotogra-fie“ eingefangen werden könnte. Vielmehrlebe das Gewohnheitsrecht gerade von sei-ner Fortentwicklung. Frau Müller stelltezunächst die ursprüngliche Fassung anhanddes Hintergrundes, der Durchführung undder Rezeption dar, um dann auf die Fort-schreibung einzugehen. Insbesondere wer-de bei dieser die Staatenpraxis aktualisiertund die Praxis von fast 50 bisher noch nichtoder nicht vollständig erfassten Staaten zu-sätzlich einbezogen. Das Ziel des Follow-up, mit dem drei Forscher für zunächstzwei Jahre betraut sind, sei die Bereitstel-lung aktueller, akkurater, umfassender undgeographisch vielfältiger Informationen.Sie schloss mit der Bemerkung, dass nochnicht abgesehen werden könne, ob es auchzu einer Überarbeitung von Band I kom-

Gelegenheit zur operativen Praxis die Be-stimmung problematisiere. Jedoch besteheneben den besonders betroffenen Staatenfür alle Staaten die Aufgabe, für die Einhal-tung der Genfer Abkommen Sorge zu tra-gen. Dabei sei der Blick u.a. auf Militär-handbücher zu richten, da diese direkt undindirekt Ausdruck der Staatenübung seien.Die Vortragende stellte dar, dass usus undopinio iuris zumindest in der Praxis nichtisoliert voneinander betrachtet werden kön-nen, vielmehr sei ein Prozess zwischenihnen zu beobachten, wobei vor allem dieBeurteilung des Schweigens schwierig sei,die sich nur durch eine Einbeziehung derBegleitumstände klären lasse.

Der Kritik, Militärhandbücher seien ledig-lich Unterrichtsmaterialien und kein An-haltspunkt für Staatenübung, hielt dieSprecherin entgegen, dass es wenig über-zeugend sei, dass ein Staat Materialien er-stelle, die nicht seiner Rechtsüberzeugungentsprächen. Dieser Rechtsüberzeugung seigroßes Gewicht zu geben, damit ein Ver-stoß durch einen besonders betroffenenStaat nicht zu hoch bewertet werde.

Den letzten Beitrag an diesem ersten Vor-tragstag hielt der Mit-Autor der IKRK-Studie zum Gewohnheitsrecht Jean-MarieHenckaerts, Rechtsberater, IKRK, zumThema „Main Findings of and Conclusionsfrom the Customary Law Study“. Zunächststellte der Redner dar, dass er eine deutscheÜbersetzung der Studie für sinnvoll halte.In seinem Vortrag führte er anhand an-schaulicher Beispiele aus, dass die IKRK-Studie als praxisnahes Hilfsmittel zubewerten sei, um die Regeln des Völker-gewohnheitsrechts festzustellen und dasssie bereits in unterschiedlicher Art undWeise in der Praxis verwendet wurde.

Der Veranstaltungstag schloss mit einerweiteren Diskussion und dem traditionellenErfahrungsaustausch.

Der zweite Vortragstag begann – eingeleitetdurch eine kurze Begrüßung seitens Dr.Stephan Weber, LL.M., Leitender Regie-rungsdirektor der Bundeswehr am Zentrumfür Innere Führung in Koblenz – mit eineminteressanten Einblick aus amerikanischerPerspektive. W. Hays Parks, Senior Asso-ciate General Counsel (SL), InternationalAffairs, U.S. Department of Defence, be-merkte mit seinemVortrag „The position ofthe United States on customary humanitari-an law“ die aus seiner Sicht mangelndeUntersuchung der Staatenpraxis und Mate-rialfilterung in der IKRK-Studie an. ImFolgenden untermauerte er diese Kritik an-hand von Regel 77 der Studie, die das Ver-bot bestimmter Geschosse beinhaltet und

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“Shari’a Law and Military Operations Seminar”NATO School, 15 – 19 December 2008Frederic Ischebeck-Baum*

From 15 to 19 December 2008 the NATOSchool Oberammergau offered a uniqueseminar, the very first of its kind, in orderto provide instruction to military officers,legal advisers, operational planners, politi-cal and policy advisers by internationallypre-eminent scholars on Shari’a. The semi-nar was held in co-operation with the Inter-national Institute of Higher Studies inCriminal Sciences (ISISC) and specificallydiscussed Shari’a and the LOAC1, HumanRights, Criminal Justice, Rule of Law, Ter-rorism and Jihad.

Dr. iur. Katharina Ziolkowski, LL.M.(UNSW), Legal Adviser to the NATOSchool, opened the seminar with a warmwelcome to the audience and gave a briefoverview of what could be expected during

* Frederic Ischebeck-Baum is Trainee Lawyerat the Higher Regional Court Schleswig. InDecember 2008 and January 2009 he was alegal intern at the NATO School.

1 Law of Armed Conflict.

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the next five days, followed by an introduc-tion to the NATO School itself and its facil-ities. When Dr. Ziolkowski had finished,Dr. Giovanni Pasqua, Scientific and Ad-ministrative Director of ISISC, took thefloor. He introduced the institute and ex-plained its intention as well as its areas ofpractice.

Dr. Anver M. Emon2 then started the acade-mic day (“Introduction to Shari’a Law:History, Methodology, Different Schoolsand Approaches”) by introducing IslamicLaw to the audience. Dr. Emon began hislecture by explaining that there cannot beany understanding of Shari’a Law at allwithout having an idea of the history ofIslam, because in Islam God is consideredto be the original and overall authority andtherefore it must be internalised that to acertain extent studying the law meansstudying the religion. The latter tends to berather diverse, or as Dr. Emon frankly stat-ed: “Shari’a can be anything to anyone”.Due to this diversity, the desired clarity oflaw is very relative and depends entirely onits regional3 understanding, meaning thatthe law must always be seen in the contextof the environment in which it is dealt with.Even talking about the relationship of reli-gion and law, it is crucial that an environ-ment, i.e. a region is always seen in thelight of its history, because this is theground from which the branches of Islamhave been growing in different directionsand they very naturally continue to do so4.

For a general understanding, the originalsources of the Islamic Law are, first of all,God Himself as the monotheistic divineand most noble source of all. But God isnot a source of law as such; he is only thereligious authority from which the rulestake their ethic and moral justification. Therules themselves are the teachings of theKoran, being a general command in nature.Legally speaking yet they cannot be seen asfully defined rules or codes representing alegal regime. There is the Sunna, which isthe exemplary conduct and teaching of theProphet Muhammad5. This is regarded asthe very implementation or extract of theteachings of the Koran, and is now put intopractice in terms of a leading example forappropriate behaviour. Such a code of con-duct is written down and therefore is con-sidered to be another written source of lawbeside the Koran, called Hadith. After theseexplanations, the audience then enjoyed afirst brush of a somewhat exotic case studyrelating to the debate on alcohol consump-tion and Islamic legal sources. Dr. Emonpresented verses from the Koran whichwere to be examined in terms of their possi-ble binding nature and posed the question

or “Jihad bil Saif”, is the legitimate use offorce which can only be declared by a stateagainst apostates, rebels, highway robbers,violent groups, non-Islamic leaders or non-Muslim combatants.14 The problem is thefact that there is no Islamic state as such.Asto non-state actors, it should be noted thatin fact, according to the Koran, al Qaeda asa non-state actor is not able to declare Jihadat all. The al Qaeda declaration of Jihad onthe Western world can only be consideredas a kind of “Fatwa”, which is the Arabicword for “religious opinion on Islamiclaw”, i.e. a personal interpretation whichcan only be issued by a scholar. The prob-lem met by al Qaeda, however, is that noneof their leaders happens to be a scholar.Talking about states and their sovereignty,it should also be mentioned that Jihad alsomeans “self-determination” and thereforehumanitarian intervention operations suchas those in Kosovo or Rwanda cannot bejustified under Islamic Law.

as to whether they could in fact represent alegal basis for sanctions.

After Dr. Emon’s introduction, Judge Dr.Mohamed Ibrahim6 took the floor. Dr.Ibrahim emphasised the aims of Shari’a (tomaintain religion; to protect human life; topreserve the mind or reason; to protect fam-ily and descendants; to preserve property)and then, picking up where Dr. Emon hadstopped, he explained the categories ofcrimes in Shari’a. There are three of them,Hudud, Qesas and Taazir. Hudud crimes7

are fixed in the Koran and Hadith and arealready laid down offences. The sanction isalso explicitly stated and there is relativelylittle space for interpretation. The secondcategory is called Quesas. This can behomicide, wounding or any kind of physi-cal injury.8 Other than Hudud crimes thereare no specific definitions or regulationsfor penalty and such is entirely left to thejudicial evaluation. Finally, Taazir crimesare those not encompassed by the first twocategories. This third rule seeks to regulateconduct which results in tangible or intan-gible individual or social harm.9 Again, themeasurement and nature of penalty are leftto the judge. It could involve imprisonment,the infliction of corporal punishment, de-privation of liberty, the payment of com-pensation, the imposition of a fine, as wellas admonishment in accordance with theprinciple of rehabilitation.

The day ended with a very lively discussionon the lectures heard and the audience ben-efitted greatly from the diversity of viewsand opinions.

The second day (“Shari’a and the Law ofArmed Conflict / Human Rights”) wasstarted by Dr. Niaz A. Shah10. Dr. Shah lec-tured on the relationship between IslamicLaw and the LOAC and then stressed thatthe difference between the Koran and whatis known as the basic LOAC principles11 isactually not very significant at all.12 In fact,the LOAC principles are very well recog-nised by Islamic Law. Moreover, when itcomes to the use of force, Islamic Lawdraws a thin line, very much similar to theone the UN-Charter uses. The Koran, likethe UN Charter, sees the prohibition of theuse of force as the desired state. Most natu-rally, there are some exceptions to this prin-ciple. There are two exceptions, to be pre-cise. Throughout history, their overall namehas always been seen with a prejudice andalso in the modern world today, particularlysince 9/11. It is Jihad. The first kind ofJihad, also called “lesser Jihad”, is the prin-ciple of self-defence, its basic rules beingsimilar to Article 51 of the UN-Charter.13

The second kind, known as “greater Jihad”

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2 Dr. Emon, LL.M. is the Assistant Professor tothe Faculty of Law, University of Toronto.

3 For example, there is a different understand-ing and interpretation in Saudi Arabia, Jordan,Morocco, Lebanon and Turkey.

4 As for the modern Muslim world, there areSecularists, Religious Liberals and Funda-mentalists, all using Shari’a but interpreting itin different ways.

5 The Prophet Muhammad was born in 570 CE,received revelation in 610 CE and died in632 CE.

6 Dr. Ibrahim, LL.M. is currently working withthe United Nations Mission in Sudan, UN-MIS: http://www.unmis.org. (accessed De-cember 2009), as a Senior Human RightsOfficer at the Human Rights Unit.

7 Such as adultery, defamation or slander, alco-holism, theft, brigandage, rebellion and cor-ruption of Islam.

8 The Koran refers to them as “Blood-crimes”,such as murder, voluntary homicide, involun-tary homicide, international crimes against theperson, non-international crimes against theperson and other infringements of the person’sbodily integrity that do not result in death.

9 The Arabic meaning of Taazir is correctivepenalty, which is of course the very intentionof all penalties in relation to an act of revenge.But Taazir explicitly intents regulating thesocial life of a society.

10 Dr. Shah, LL.B., M.A. is a lecturer in Lawfrom the University of Hull, United Kingdom.

11 Proportionality, distinction, military necessityand prohibition of unnecessary suffering.

12 E.g. Chapter 9 of the Koran on the Conduct ofWar.

13 The intention of a response to an armed attackis to end it and not to rise to a disproportionalact close to what can be considered an act ofrevenge.

14 To be understood in terms of LOAC.

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ture in northern Sudan but this is entirelyimpossible in the south, where there is noinfrastructure at all, leading to many diffi-culties on a daily basis.

After Dr. Ibrahim finished speaking, Mr.Charles Tucker20 took over. Before he start-ed his lecture Mr. Tucker emphasised thatseminars like this should be used to estab-lish relationships between nations throughnetworking by participants. He stronglyrecommended seeing the seminar not onlyas a welcome opportunity to exchangeviews and opinions, but also to buildbridges and support each other all aroundthe globe. As for his presentation (“Experi-ences in Rule of Law Operations”), Mr.Tucker preferred talking about US foreignpolicy and its political and strategic goalsand intentions, and professionally pro-voked the audience and encouraged themto participate actively in the lecture.

Throughout the week the subject of thetreatment of women and family matters ingeneral had often been raised, yet there hadbeen no chance to discuss them at length.Hence, to everyone’s delight, Dr. Emonspoke about Islamic families in modernstates and related issues. The three majorsubjects Islamic Family Law has to dealwith are marriage, divorce and inheritance.Again, for a Westerner, a somewhat ancientappearing image of women comes to mind,but by now everyone was well aware thatthis is simply one of the issues Islam has todeal with facing the modern world, torn be-tween tradition, belief and emancipation.However, this non-scheduled lecture wasvery well received. So was the followingdiscussion, and both served the purpose ofthe seminar well.

On the last day, the seminar was concludedby a panel discussion, which was held byDr. Emon, Dr. Ibrahim and Dr. Shah, deal-ing with all sorts of questions related to

was dedicated to the individual personaldevelopment of the participants. Dr.Ibrahim lectured on the interpretation ofShari’a in the Afghanistan Criminal JusticeSystem, entering the field of forensic legalpractice in terms of investigation, fact-find-ing, witnesses in court and evaluation ofevidence. These procedural rules are basi-cally influenced by Western legal thought,the Mujahedin regime from 1992 to 2001which declared Shari’a as the basis of lawfurther entrenched by the Taliban regime,and the 2001 Afghan Interim Administra-tion. Still, there are eye-catching, if notalarming differences from most Westernprocedural systems, such as the signifi-cance of a testimony given by a male orfemale. The female testimony is likely to beregarded as less reliable, which can be ex-plained by the cultural status of women inthe Islamic world. Dr. Ibrahim also present-ed the Sayed Parweiz Kambakhsh Blasphe-my Case18, in which an Afghan journalistwas sentenced to death because he pub-lished material on suspected violations ofhuman rights he thought Afghan authoritieshad committed in northern Afghanistan.Moreover, he published critical articlesabout the Koran itself. Kambakhsh wastried behind closed doors by a three-judgepanel and had little chance to defend him-self at all, let alone to enjoy the proceduralrights of an accused. His case is still ongo-ing.

Again, the academic day ended with livelydiscussions between the speakers and theattentive audience.

On the fourth day (“Rule of Law Opera-tions inAfghanistan, Iraq, Sudan and Koso-vo”) Dr. Ibrahim spoke first and shared hispersonal experience in establishing theRule of Law in Afghanistan, Iraq and Su-dan. He pointed out some of the difficultiesmet and, as an example, he mentioned thatthe English version of the Afghan constitu-tion lacks accuracy in its wording. This islikely to cause basic misunderstandings notonly amongst local authorities and the pop-ulation, but also amongst visiting nations.Furthermore there are only few if not anyprecedents to be found and therefore, it isnot easy to establish case-law. Case-lawwould of course serve what can be calledpredictability of legal decisions, and alongwith that, stability for the whole judicialbody. As for the legal problems in Iraq, theformer Iraqi Special Tribunal (IST)19 hadsimilar problems and therefore its statutewas reassessed. The IST is now called theSupreme Iraqi Criminal Tribunal (SICT).Meanwhile, the problem in Sudan happensto be of a more basic nature because it maybe possible to maintain a legal infrastruc-

It became clear that what is known as theLOAC, arising from The Hague and theGeneva stream, and Islamic Law’s under-standing of the use of force, have in factmore similarities than one might think –and in the Islamic understanding, when theKoran is properly followed, they do merge.

Dr. Emon then continued with the sametopic, emphasising that the line between re-ligion and law in Shari’a is a very thin one.He used the Danish cartoon incident15 as anexample; the rage caused in the Muslimworld by the cartoons of the ProphetMuhammad could be explained becausethese were regarded as an act of blasphemy.On the other hand this could never be seenas a legitimate basis for a violent act. Com-pared to that, the Afghan Apostasy Case16

shows what can happen under the rules ofIslamic law when it comes to converting toChristianity. In the latter case, a Christianconvert living in Afghanistan was accusedof having rejected Islam and was impris-oned. The decision was based on theAfghan constitution and Shari’a. In theaftermath, Afghan authorities faced severeinternational protest. Seemingly due to po-litical reasons, the case was then officiallydropped on technical grounds because theprosecutor found the accused “mentally un-fit”. This example shows how close religionand law can be.

The lectures were followed by a generaldiscussion during which the examplesgiven were again examined and discussed.

Dr. Ibrahim then lectured on Islamic Lawand human rights, explaining where basicrights can be found in the Koran and othersources. Again it became clear that thereare quite a few similarities with theWesternunderstanding and the effort of reachinga consensus in the Arab world is obvious.Although its effects and accuracy are stillarguable from the Western point of view,the Arab Charter on Human Rights of15 March 200817 could represent such aneffort. The conclusion Dr. Ibraim drew forthe audience was that there are humanrights to be found in Islamic Law, even iftheir understanding and implementationmay differ from the Western understandingto a certain extent.

The day was ended with a panel discussionduring which Dr. Emon, Dr. Ibrahim andDr. Shah, shared their views and opinionsnot only on human rights in Islamic Law,but on several other Shari’a issues.

The third day (“Shari’a and Criminal Jus-tice”) consisted of one lecture and anothergeneral discussion, and the rest of the day

Panorama – Conferences

Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften / Journal of International Law of Peace and Armed Conflict

15 At http://www.brusselsjournal.com/node/407.(accessed in December 2008).

16 At http://news.bbc.co.uk/2/hi/south_asia/4853904.stm. (accessed in December 2008).

17 At http://www.diplomacy.edu/arabcharter/default.asp. (accessed in December 2008).

18 At http://edition.cnn.com/2008/WORLD/asiapcf/01/23/afghanistan.journalist/index.html.(accessed in December 2008).

19 At http://www.law.case.edu/saddamtrial/documents/IST_statute_official_english.pdf.(accessed in December 2008).

20 Mr. Tucker, JD, BA is the Executive Directorof the International Human Rights Law Insti-tute (IHRLI), DePaul University College ofLaw, Chicago.

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Nacheilen und Aufbringen? Hilfe leisten inTerritorialgewässern eines Drittstaates?Selbstverteidigung mit allen Mitteln? Mari-time Sicherheit oder Freiheit der Meere?Während des jährlich einmal stattfindendenSeminars „Legal Dimensions of MaritimeOperations“ vom 16. bis 20. März 2009standen nunmehr zum 14. Mal rechtlicheAspekte und vielfach diskutierte Fragenmaritimer Operationen auf der Agenda.Fragen, für deren Entscheidung dem Kom-mandanten einer deutschen Fregatte imEinsatz vor der Küste Somalias oder imRahmen der UNIFIL-Mission oftmals nurMinuten bleiben – ein Dilemma, das solideund klare rechtliche Grundlagen und präzi-se Handlungsanweisungen unabkömmlicherscheinen lässt.

Neben völkerrechtlichen Experten undzahlreichen internationalen Gästen aus Bel-gien, Dänemark, Finnland, Großbritannien,Kanada, Norwegen und den USA, warenauch einige Studierende der Einladungnach Bremerhaven gefolgt, um die recht-lichen und operativen Dimensionen vonMarineeinsätzen zu beleuchten und zu dis-

innerhalb des Seminars vertreten, vorgezo-gene Selbstverteidigung sei als Reaktionauf einen unmittelbar drohenden Angriffauf Grundlage einer Prüfung der Verhält-nismäßigkeit vertretbar.

Der zweite Tag stand im Lichte der Pirate-rie, des Terrorismus und der bewaffnetenÜberfälle auf See. Zunächst wurden dierechtlichen Grundlagen der Thematik er-läutert und die Begriffe voneinander ab-gegrenzt, aber auch Maßnahmen gegenPiraterie aufgezeigt.3 Im zweiten Teil stell-tenVertreter aus Großbritannien, Dänemarkund Deutschland ihre operativen Erfahrun-gen im Rahmen von Antipiraterieeinsätzendar. Diskutiert wurde eingangs die Begriffs-definition aus Artikel 101 des Seerechts-übereinkommens der Vereinten Nationen(SRÜ). In rechtlicher Hinsicht wurden dasVorliegen eines privaten Zwecks alsVoraus-setzung, jedoch auch Abgrenzungsfragenzum Terrorismus und zur Kriminalität aufSee erörtert.4 Unter operativen Gesichts-punkten wurde angeführt, dass Piraten, dienicht unmittelbar illegale Handlungenbegingen, mitunter nur sehr schwer zu er-kennen seien. Die Operationsgebiete seienzudem sehr groß. Ein weiteres erheblichesProblem entstehe durch die rechtliche Un-

kutieren. Die Marineoperationsschule unddie Stadt Bremerhaven mit ihrer langenMarinetradition boten abermals einegroßartige Kulisse für eine Veranstaltung,die auf Grund ihrer Zusammensetzung ausjuristisch oder militärisch ausgebildetenVertretern spannende Debatten versprach.

Am ersten Tag wurde die Veranstaltungnach einer herzlichen Begrüßung mit einerEinführung in die völkerrechtlichen Di-mensionen des Einsatzes militärischer Ge-walt eröffnet. Zunächst wurden das Verbotvölkerrechtswidriger Gewalt und möglicheRechtfertigungsgründe für einen Gewalt-einsatz thematisiert. Einen Schwerpunktbildeten hierbei Systeme gegenseitiger kol-lektiver Sicherheit und Maßnahmen derVereinten Nationen zur Friedenssicherungund -konsolidierung, aber auch eine ge-rechtfertigte, durch die Charta tolerierteSelbstverteidigung gem. Artikel 51 UN-Charta. Diskutiert wurde insbesondere dievorgezogene Selbstverteidigung, die ihreGrundlage vor allem in der Caroline-For-mel aus dem Jahre 1864 findet.1 In ihrerLegalität grundsätzlich umstritten2, wurde

Panorama – Konferenzen

2/2009

Seminar „Legal Dimensions of Maritime Operations“16. bis 20. März 2009Elisabeth Gawrych / Torsten Grapatin / Carolin Marx / Christina Schröder*

* Elisabeth Gawrych und Torsten Grapatinsind Promotionsstudenten an der JuristischenFakultät der Heinrich-Heine-Universität Düs-seldorf; Carolin Marx ist Jura-Studentinder Europa-Universität Viadrina in Frankfurt(Oder) mit dem Schwerpunktbereich Völker-/Europarecht; Christina Schröder ist derzeitStudentin der Internationalen Beziehungen(B.A.) an der Technischen Universität Dres-den.

1 So sei eine Selbstverteidigung ausnahmsweisezulässig, wenn ihre Notwendigkeit, „instant,overwhelming, leaving no choice of means,and no moment of deliberation“ sei, vgl.Letter from Daniel Webster, U.S. Secretary ofState, to Henry Fox, British Minister in Was-hington (27. April 1841).

2 Für ein grundsätzliches Verbot: A. Randelz-hofer, in: B. Simma (Hrsg.): The Charter ofthe United Nations. A Commentary, Art. 51Rn. 34, inzwischen zeichne sich jedoch eineweniger restriktive Auslegung ab, sofern einAngriff tatsächlich unmittelbar drohe, vgl. M.Bothe, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.): Völker-recht, 4. Auflage, Berlin 2007, 8. Abschn.,Rn. 18.

3 Vgl. Art. 105 des Seerechtsübereinkommensder Vereinten Nationen v. 10. Dez. 1982,BGBl. 1994 II, 1799; 1833 UNTS 3 [SRÜ].

4 So schließt die Legaldefinition aus Art. 101SRÜ weder Überfälle zu privaten Zweckenin Territorialgewässern noch Meutereien aufeinem Schiff ein – das Vorhandensein zweierSchiffe ist ein zentrales Kriterium, vgl. R.Wolfrum, in: W. Graf Vitzthum: Handbuchdes Seerechts, 2. Auflage, München 2006,4. Abschn., Rn. 50.

Shari’a, including international responsesto Jihad and the socio-ethical backgroundof suicide-attackers. Each speaker tookabout one quarter of an hour to share hisfinal ideas and comments. Again, the audi-ence benefited a great deal from these ex-perts’ opinions. They disagreed with eachother rather regularly in the perfect comfortand astute atmosphere provided by whatcan only be described as an academic dis-course. Between the lines there was a finalmessage, which was entirely well receivedby everyone in the room and the panellistsabsolutely succeeded in getting the pointacross: keep your mind, eyes and ears openwhen going to a country belonging to an-other culture. Know where you are going.As for Shari’a, this also includes that onemust not forget that due to cultural, histori-cal and regional differences, and moreoverdue to the diverse nature of Shari’a itself,as mentioned earlier, it is very likely thatduring a military operation one might ex-perience a kind of Islamic Customary Lawand not the original Islamic Law itself.

Coming back to operational requirements,such ideas make perfect sense, because anyother is not likely to serve the overall goalnor does it help with providing safety onthe ground. Military history and presencebare many examples. There was no syndi-cate work scheduled for this seminar,which was good. Instead, all questionswere collectively presented and discussed,so everyone could hear and gather every-thing. Dealing with a rather exotic subject,this method seemed to be a useful ap-proach. This was a first for the seminar andthere is no doubt that such an extraordinaryconference will most certainly be of highinterest for NATO in the future, particularlywith regard to the new strategy. It shouldtherefore be held regularly.

The next “Shari’a and Military OperationsSeminar” is preliminarily planned for 2 – 6November 2009. For more informationcheck regularly www.natoschool.nato.intor contact Dr. Katharina Ziolkowski [email protected].

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nungsfelder zwischen operativer Notwen-digkeit zur Missionserfüllung und politi-scher sowie rechtlicher Beschränkungen.Es zeigte sich, dass ein gegenseitiger Aus-tausch der Operateure mit den juristischenBeratern sinnvoll ist, um vernünftige undverlässliche Einsatzregeln auszuarbeiten.Die Ergebnisse der vier Gruppen wurdenim Plenum am Freitagmorgen vorgestelltund besprochen.

Zum Abschluss wurde über finnische undkanadische operative Erfahrungen berichtetund diskutiert. Die Resonanz auf das Semi-nar war durchweg positiv. Aufgrund derunterschiedlichen fachlichen Vorkenntnissehaben die Teilnehmenden wechselseitig einVerständnis für operative bzw. rechtlicheProblemstellungen und Lösungsansätzeentwickelt. Dabei war man sich in wesent-lichen Punkten oft schneller einig, als manzunächst vermutet hätte.

Als Fazit ist festzuhalten, dass das Seminardurch denAustausch zwischen völkerrecht-lich interessierten Studierenden und denOperateuren, die inmitten der besproche-nen Konflikte ihren Dienst versehen, einegewinnbringende Plattform ist. Die intensi-ven Diskussionen und spannendenVorträgesind sicherlich für alle Beteiligten einewertvolle und interessante Erfahrung.

Besonderer Dank gebührt auch in diesemJahr der Marineoperationsschule Bremer-haven und den Organisatoren, die mit ihrerGastfreundschaft einen großartigen Rah-men für die Veranstaltung boten, den vieleninternationalen Gästen und Referenten,welche die Veranstaltung mit ihren Beiträ-gen bereicherten sowie allen voran Prof.Dr. Wolff Heintschel von Heinegg, der dasSeminar seit vielen Jahren unterstützt undmaßgeblich mitgeprägt hat. �

Basiskonzeption nicht rechtsetzend, präzi-sierten jedoch rechtliche Grundlagen inso-weit, als dass sie konkrete Handlungs-anweisungen für Operateure schüfen. Beider Entwicklung solcher Regeln seiendaher neben politischen, diplomatischenund rechtlichen Aspekten auch operativeGesichtspunkte zu berücksichtigen. Umge-kehrt könnten rechtlich zulässige und ope-rativ mögliche Maßnahmen im Einzelfallpolitisch nicht gewollt sein.

Auch am Nachmittag des dritten Tages teil-te sich das Seminar in vier Arbeitsgruppenund analysierte verschiedene Szenarien zuden vormittags besprochenen Regimen un-ter konkreten Fragestellungen. Im Vorder-grund standen hier die Anwendbarkeit die-ser völkerrechtlichen Regimes und die dar-aus resultierenden Einzelfallkompetenzen.Dementsprechend ergaben sich oft intensivdiskutierte Handlungsoptionen.

Der vierte Tag des Seminars begann wie-derum mit der Vorstellung der Arbeitser-gebnisse der einzelnen Gruppen und standanschließend ganz im Zeichen von „Rulesof Engagement“ (ROE). Einleitend berich-tete Cdr. Jacob Thomas Staib vom Norwe-gian Command & Staff College über dieHerausforderungen der Operationsführungunter den gegenwärtigen ROE. Im An-schluss beleuchtete Prof. Richard Gruna-walt vom United States Naval War Collegedas US-amerikanische ROE-System underläuterte anschaulich die Auswirkungenunklarer Einsatzregeln in bewaffneten Aus-einandersetzungen. Durch die Erfahrungs-berichte von Vorfällen im Einsatz (der USNavy) verdeutlichte Grunawalt, wie signi-fikant das Missionsziel das Erstellen vonROE und das Maß der erlaubten Gewalt-anwendung beeinflusst. So obliege jedeSituationseinschätzung und das Handelnunter den vorgegebenen Einsatzregeln demBefehlsinhaber vor Ort („operational com-mander“) und dessen Urteilsvermögen. Erhat oftmals keine Sekunde Zeit für eineausführliche Entscheidungsfindung, ob undinwieweit mittels wie viel Gewalt einge-griffen werden soll. Insoweit wurde klarge-stellt, dass man beim Formulieren von ROEdem Grundgedanken folgt, so viele Um-stände wie möglich vorherzusehen unddennoch gleichzeitig klare Vorgaben zumachen.

Am Nachmittag des vierten Seminartageswaren abermals die Teilnehmer selbst inden Arbeitsgruppen gefordert, wo anhandverschiedener Szenarien Herausforderun-gen im Zusammenhang mit Einsatzregelnzu meistern waren. Wiederum ergaben sichaufgrund der auslegungsfähigen Zielbe-schreibungen in UN-Resolutionen Span-

sicherheit: Bisher gebe es keine einheitlicheStrategie, wie mit festgenommenen Piratenumzugehen sei.

In der zweiten Tageshälfte waren die Teil-nehmenden selbst gefragt: In Arbeitsgrup-pen entwickelten sie in einem fiktivenSzenario aus operativer Sicht Handlungs-strategien gegen Bedrohungen durch Pira-ten. Fraglich waren hierbei insbesonderedie Reichweite der Pflicht zur Hilfeleis-tung5 und die Art der einzuleitenden Maß-nahmen gegen Piraterie.

Am Abend bot sich bei einem Seminardin-ner in geselliger Atmosphäre eine gelunge-ne Gelegenheit, die am Tag aufgeworfenenThemen zwischen Operateuren und Zivi-listen zu erörtern. Besonders bereicherndwar der persönliche Erfahrungsaustausch,der den teilnehmenden Studierenden dieverschiedenen Aspekte eines Einsatzes aufSee mal humorvoll, mal ernst veranschau-lichte. Wie nah die afrikanische Küste auf-grund betroffener deutscher Interessen ansicheren Überfahrten sein kann und warumdiese Probleme nicht nur hier, sondern auchdort mit Hilfe der deutschen Marine gelöstwerden müssen, war das allumfassendeThema des Abends.

Am dritten Tag wurden die Teilnehmendennach der Präsentation der Gruppenergeb-nisse und anschließender Diskussion in dieGrundlagen des Rechts des bewaffnetenKonflikts eingeführt. Die Abgrenzung in-ternationaler und nicht-internationaler be-waffneter Konflikte voneinander und dieVoraussetzungen für die Anwendbarkeithumanitären Völkerrechts standen hier imVordergrund. Das Seminar stellte in diesemZusammenhang die Ziele des Kriegsvöl-kerrechts (ius in bello) denen des präventivausgerichteten Friedensvölkerrechts6 ge-genüber. Die Anwendbarkeitsschwelle fürdas Recht des bewaffneten Konfliktes innicht-internationalen Auseinandersetzun-gen7 wurde insbesondere vor dem Hinter-grund verschiedener UN-Friedensmissio-nen umfassend analysiert. Vertreten wurdedie faktische Ansicht, nach der allein dasVorliegen eines bewaffneten Konfliktes dieAnwendbarkeit des zugehörigen Regimesbegründe.8 In diesem Zusammenhang istselbstverständlich die mögliche Über-schneidung unterschiedlicher Völkerrechts-regimes mit den sich ergebenden Kon-sequenzen diskutiert worden. Abgeschlos-sen wurde dieser Themenkomplex durchAusführungen zum völkerrechtlichenKombattanten-Begriff9 und zur Qualifika-tion militärischer Ziele. Es folgten hierananschließendVorträge zu den Einsatzregeln(„Rules of Engagement“) der NATO undihrer Mitgliedstaaten. Diese seien in ihrer

Panorama – Conferences

Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften / Journal of International Law of Peace and Armed Conflict

5 Art. 98 SRÜ.6 Vgl. etwa Art. 2 Nr. 4, 51, 39 ff. UN-Charta.7 Vgl. zur Anwendungsschwelle nach Inten-sitätskriterien M. Bothe, a.a.O. (Fn. 2), Rn.123; M. Herdegen, Völkerrecht, 7. Auflage,München 2008, § 56 Rn. 17 ff.; hierzu aus-führlich F. Schwendimann, Rechtsfragen deshumanitären Völkerrechts bei Friedensmissio-nen der Vereinten Nationen, Zürich 2006,S. 61 ff. m.w.N.

8 Vgl. hierzu F. Schwendimann, id., S. 64.9 Vgl. zu den Grundsätzen M. Bothe, a.a.O.(Fn. 2), Rn. 63.

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Buchankündigungen

„Auf dem Weg in einneues Mittelalter? Folterim 21. Jahrhundert“. Mitdiesem provozierendenTitel stellt AlexanderBahar eine Frage, derenRelevanz nach AbuGhraib und GuantánamoBay nicht mehr zu ver-

neinen ist. In einem lesbaren Stil führt derAutor den Leser in die Historie, die gegen-wärtigen Fälle und die menschenrechtlicheDebatte der Folter in Deutschland ein. DieWarnung, dass „dieses Gespenst der Un-menschlichkeit (noch) nicht gebannt“ sei,ist der Leitfaden dieses Buches. Es ist eineWarnung vor der Illusion, dass das Verbotder Folter in unserem Zeitalter grundsätz-lich und universal akzeptiert sei und dassAbu Ghraib und Guantánamo Bay nur Aus-nahmefälle wären. Es deutet sich, so meintBahar, eine „schleichende bis offene Auf-weichung des Folterverbots an.“Wer davon(noch) nicht überzeugt ist sollte unbedingtdas Buch lesen.

Alexander Bahar, Auf demWeg in ein neu-es Mittelalter? Folter im 21. Jahrhundert,München 2009, Deutscher TaschenbuchVerlag, 300 Seiten, € 16,90.

In seiner Fallstudie unter-sucht Marcel Schmutzler dieRolle dieses Kleinstaates inder Wiederherstellung desFriedens. Die wissenschaft-liche Studie bewertet das so-genannte Norwegische Mo-dell und lässt vor allem dieKomplexität der Friedens-

vermittelung deutlich werden. Darzustel-len, was man von dem NorwegischenModell lernen kann, ist eines der Ziele die-ser Fallstudie. Dargelegt wird, dass diesesModell der Friedensdiplomatie auch NGOsund Forschungsinstitute einbezieht. DieStudie zeigt auf, unter welchen Bedingun-gen Friedensdiplomatie erfolgreich seinkann. Das Werk ist nicht nur interessant fürForscher, die in diesem Bereich tätig sind,sondern auch für staatliche und nicht-staat-liche Akteure, die sich in der Praxis mitFriedendiplomatie beschäftigen. Die detail-lierten Beispiele machen die Studie weiter-hin interessant für alle, die sich direkt oderindirekt mit humanitärer Hilfe beschäf-tigen.

Marcel Schmutzler, Die norwegische Frien-densdiplomatie in internationalen Konflik-ten, Münster / New York 2009, WaxmannVerlag, 240 Seiten € 29,90.

national bedeutsamer Gefahrenlagen dar.Dabei behandelt er die Faktoren des in-ternationalen Terrorismus in Verbindungmit Massenvernichtungswaffen, natürlichesund industrielles ABC-Gefahrenpotenzial,Einflüsse der Globalisierung und des Kli-mawandels und die gesellschaftspolitischeLage in den westlichen Industrienationen.Indem der Autor konkrete Ereignisse be-schreibt und aus ihren Verläufen Empfeh-lungen für die künftige Ausgestaltung einesden Erfordernissen angepassten Bevölke-rungsschutzes ableitet, bietet er dem Leserein sachliches und umfangreiches Bild zuraktuellen Sicherheitslage. Dabei problema-tisiert er die in diesem Zusammenhangäußerst relevante Thematik der öffentlichenSicherheit im Verhältnis zur Freiheit unddefiniert die für das Verständnis notwendi-gen Begriffe. Das Buch richtet sich an je-den Bürger, der sich für die Sicherheitsvor-sorge angesichts aktueller Probleme undderen Auswirkungen für die Gesellschaftinteressiert, denn es vermittelt dem Leserdie für eine sachliche Beurteilung notwen-digen Kenntnisse über staatliches Wirkenin diesem Bereich.

Hans-Peter Weinheimer, Bevölkerungs-schutz in Deutschland – Kann der Staatseine Bürger schützen?, Hamburg / Berlin /Bonn 2008, Verlag E.S. Mittler und Sohn,296 Seiten, € 22,80.

Linda Jasmina Zaiane

Das Wörterbuch zur Si-cherheitspolitik von ErnstChristoph Meier, Klaus-Michael Nelte und WalterHuhn ist in einer vollstän-dig überarbeiteten Auflage(7.) erschienen. Die neue

Ausgabe erfasst alle Aspekte des sichschnell und umfassend ändernden Umfeldsder internationalen Sicherheitspolitik, ins-besondere für den deutschen Bereich. Dasmit Bildern, Schemata und Karten ergänzteWörterbuch darf auch im Bücherschrankderjenigen nicht fehlen, die sich nur amRande oder indirekt mit Sicherheitspolitikim engeren Sinne befassen.

Ernst Christoph Meier /Klaus-MichaelNelte /Walter Huhn, Wörterbuch zur Sicher-heitspolitik – Deutschland in einem ver-änderten internationalen Umfeld, 7.Auflage,Hamburg 2008, Verlag E.S. Mittler undSohn, 620 Seiten, € 24,80.

Math Noortmann

Hans-Peter Weinheimersetzt sich in seinem Buchzur nationalen Sicherheits-vorsorge mit der nichtpoli-zeilichen Gefahrenabwehrin Deutschland auseinan-der und stellt die Voraus-setzungen zur Bewältigung

Panorama – Buchbesprechungen

2/2009

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Auslegung des Bonner Abkommens. Die-ses am 5. Dezember 2001 verabschiedeteDokument traf zwar auch staatsorganisato-rische Grundentscheidungen, sollte abergerade vorwiegend die Übergangsphase biszu endgültigen Wahlen regeln.

Den ersten rechtlichen Schwerpunkt setztPfarr mit der Erörterung, hinsichtlich derUrheberschaft des Bonner Abkommens.So wurde zwar die Konferenz am Peters-berg in Bonn unter Schirmherrschaft derVN organisiert, doch war fraglich, wemdas Dokument als solches zuzurechnensei. Eine Zurechnung an die VN durch dieUnterzeichnung Lakhdar Brahimis alsZeuge scheide gerade aufgrund seiner Posi-tion als „Zeuge“ aus. Eine Zurechnungüber eine per Kapitel 7 der Charta erlasseneResolution scheide nach Pfarr ebenfallsaus, da die entsprechende Resolution 1383gerade nicht über dieses Kapitel erlassenworden sei. Auch eine Verbindung zu an-deren Resolutionen verneint die Autorin(S. 37 ff.).

Als nächsten Zurechnungsakteur prüft dieAutorin den Staat Afghanistan als Urheberdes staatsregelnden Dokuments (S. 40 ff.).Unterschiedliche, dem Staat untergliederteGruppierungen werden untersucht. In Be-tracht zieht sie eine Zurechnung zur de iureRegierung unter Burhanuddin Rabbanioder zu den Gegnern der Taliban im Gene-rellen. Im Anschluss daran überprüft dieAutorin, ob nicht die Zusammensetzungder Konferenzteilnehmer das gesamte af-ghanische Volk im Rahmen der Selbstbe-stimmung vertrete, welches immer dannwieder Träger und Ausübungsorgan werde,wenn eine staatliche Macht dazu, wie vor-liegend, nicht in der Lage sei. Dass dieseRepräsentation nicht demokratisch legiti-miert sein muss, erklärt Pfarr mit dem Un-terlaufen des Rechts auf Selbstbestimmungim zerfallenen Staat, wo legitimierendeWahlen wohl kaum stattfinden könnten.Aber auch wenn man die an der Konferenzteilnehmenden Personen als repräsentativesAbbild des afghanischen Volkes ohne legi-timierende Wahlen qualifizieren möchte,entstehen laut Pfarr Bedenken. So erweisees sich als schwierig, die Parteien in einemVielvölkerstaat genau zu definieren. Ver-sucht wird hier u.a eine Einteilung nachethnischer Zugehörigkeit, der im internenKonflikt beteiligten Parteien, aber auch al-lein durch die Befreiungsbewegung derMudjahedin. Zuletzt überprüft die Autorinnoch eine eventuelle Zurechnung über dieFigur des Treuhänders. Als Ergebnis derUntersuchung stellt Pfarr fest, dass wederden VN noch einem sonstigen Völker-rechtssubjekt das BonnerAbkommen zuzu-rechnen sei. Eine juristische Bindung wird

Thema des Post Conflicts sowohl die Poli-tikwissenschaft als auch die Rechtswissen-schaft gleichermaßen betrifft und faszi-niert, erläutert Pfarr in diesem Zusammen-hang unterschiedliche Verständnisse vonStatebuilding als Maßnahmen zur Stabili-sierung einer staatlichen Ordnung nichtnotwendigerweise nach westlichen Demo-kratievorstellungen (S. 14) und der desNationbuildings, das sich mit der Heraus-bildung zunächst eines staatstragendenBewusstseins beschäftigt. Es ist aber nichtauf dieses beschränkt, sondern es fließenhier auch wirtschaftliche und kulturelleAspekte des Wiederaufbaus ein, was zu-meist von mehreren Akteuren bestimmtwird. Mit ihrer Arbeit versucht Pfarr, dieDefizite gerade in der rechtswissenschaftli-chen Diskussion über das internationaleVorgehen zu beheben und spricht insoweitvom Nationbuilding.

Daher beginnt sie auf Seite 23 mit der Dar-stellung der ersten Schritte des internatio-nalen Engagements zum Wiederaufbau.Ausgehend von dem Fünf-Punkte-Plan desSondergesandten der VN für Afghanistan,Lakhdar Brahimi, den sich der Sicherheits-rat per Resolution 1378 zu eigen machte,erläutert sie dem Leser in gebotener Kürzedie wesentlichen Aussagen des Plans, ins-besondere die Staatsorganisation von derInterimsphase an bis hin zu den endgül-tigen Wahlen. Dies vermittelt dem Lesereine erste Einsicht in die Schwierigkeitender Etablierung eines Staatssystems nachwestlichen Vorstellungen in einem Land,dass insoweit nahezu keine Grundelementemehr aufweist.

Bereits auf den ersten Seiten macht die Au-torin immer wieder auf die intendierte Rol-le der VN aufmerksam. Das Konzept desWiederaufbaus durch die VN sollte einemzurückhaltenden Ansatz folgen. Dabei ver-wendet sie die durch die Literatur gepräg-ten Begriffe „hands off-approach“ und„light footprints“, derzufolge Ausübungund Durchführung des Wiederaufbausprimär bei der afghanischen Bevölkerungliegen – der Einfluss der VN insoweit nurein indirekter sein kann.

Ob die VN ihrem zunächst gesetzten Zielgerecht werden, analysiert Pfarr durch die

Mit dem von Frauke Valeska Pfarr verfass-ten Buch veröffentlicht der Carl HeymannsVerlag ein weiteres Werk zum Thema PostConflict: Wiederherstellung von Staatlich-keit. Neben den Fallstudien von BrigitteReschke – „Völkerrechtliche Aspekte derFriedenssicherung im Irak“ (Band 41) –und der von Kerstin A. Wierse zum Thema„internationale Verwaltung von Territorienals Methode des Peacebuildings“, unter-sucht anhand des Beispiels des Kosovos(Band 43), bietet der Verlag damit einevielseitige Aufarbeitung der Post ConflictFälle der Gegenwart.

Das hier darzustellende Werk „Post-Con-flict: Wiederherstellung von Staatlichkeit –Völkerrechtliche Aspekte des Nationbuil-ding in Afghanistan“ beschäftigt sich mitder völkerrechtlichen Aufarbeitung desWiederaufbauprozesses nach der Entmach-tung der Taliban im Jahr 2001, dem Enga-gement der Vereinten Nationen (VN) undin seinem dritten Teil unter der Überschrift„Die USA als Akteur“ auch mit der Recht-mäßigkeit des „Afghanistanfeldzuges“ alssolchem. In ihm werden insbesondere dieRechtsgrundlagen für die von den Ameri-kanern geführte Mission Operation Endu-ring Freedom (OEF) kritisch beleuchtet.

Beginnend mit einer kurzen Darstellungder tatsächlichen Begebenheiten des 11.Septembers 2001, der direkten Reaktionender USA (S. 3), dem ersten Tätigwerdender VN sowie der tatsächlichen SituationAfghanistans vor dem Eintreffen der erstenTruppen, geht Pfarr bereits auf die beidenin Afghanistan vorherrschenden Aufgaben-gebiete der Friedenskonsolidierung undTerrorismusbekämpfung ein. Die Darle-gung, inwieweit beide miteinander zusam-menhängen, welches Mandat welche Mis-sion abdeckt, ist unter anderem Ziel der Be-arbeitung.

Zunächst erläutert die Autorin jedoch unterden §§ 2, 3 und 4 der Einleitung den der-zeitigen Stand der Wissenschaft. Da das

Panorama – Book Reviews

Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften / Journal of International Law of Peace and Armed Conflict

* Simone Kumor ist Doktorandin der Rechts-wissenschaften am Institut für Friedenssiche-rungsrecht und Humanitäres Völkerrecht derRuhr-Universität Bochum.

Frauke Valeska Pfarr, Post-Conflict: Wiederherstellungvon Staatlichkeit, Völkerrechtliche Aspekte desNationbuilding in Afghanistan, München 2008,212 Seiten, € 57Simone Kumor*

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dem Dokument damit abgesprochen. Siebeschreibt es als „rechtliches Nullum“.

Mit diesem ersten, für den Leser zwar nachden Ausführungen stringenten und logischerscheinenden Ergebnis, verlässt die Auto-rin die Ebene der abstrakten Zurechnungund geht detailliert in ihrem zweiten Teilauf die Rolle der VN in der Umsetzungs-phase ein. Ob sie auch hier ihrer Doktrindes „hands off-approachs“ gerecht werden,ist übergeordnete Frage des Kapitels. ImDetail beschäftigt sich die Autorin dahermit denAusmaßen der durch die VN aufge-stellten Missionen UNAMA (§ 2 des zwei-ten Teils) und ISAF (§ 3 des zweiten Teils).Zunächst werden die möglicherweise tan-gierten völkerrechtlichen Verbote erörtert;im direkten Anschluss jedoch auch diejeweiligen Rechtfertigungen der Einwilli-gung einer wie auch immer bestehendenRegierung bzw. die Sicherheitsratsresolu-tion 1386 unter Kapitel 7. Im Rahmen desISAF-Mandats kommt der Leser ein weite-res Mal in den Genuss der intensiven Aus-einandersetzung der Autorin mit der Aus-legung von Resolutionen in Verbindung mitder VN-Charta. Mit präzisen Erörterungenkommt Pfarr daher zu dem Ergebnis, dassder Einsatz einer bewaffneten Schutztruppewie der ISAF völkerrechtlich als erforder-liche Maßnahme im Sinne des Artikel 42VN-Charta anzusehen sei. Der Einsetzungeiner Peacekeeping Einheit stünde insoweit– unter anderem – die zum Zeitpunkt derEtablierung nicht vorhandene effektiveKontrolle der Afghanen über ihr Staats-gebiet entgegen. So sollte doch gerade diein Rede stehende Mission der ISAF erst zueiner solchen verhelfen.

Der Auftrag der ISAF bezog sich auf dieHerstellung eines sicheren Umfeldes undUnterstützung der Umsetzung des BonnerAbkommens. Nicht in Abrede stellt dieAutorin, dass dies auch heute noch dieKernaufgabe des ISAF-Einsatzes darstelle.Jedoch stellten gerade die am Rande auf-tauchenden Tätigkeiten der Truppen, wiedie zivil-militärische Zusammenarbeit mitUNAMA bzw. die humanitäre Hilfe Pro-bleme dar. Pfarr erörtert die Rechtmäßig-keit der Maßnahmen auf diesem Gebietdurch die Auslegung der Resolution 1386des Sicherheitsrates, die die ISAF geschaf-fen hat. Dabei kommt sie zu dem Ergebnis,dass das ISAF-Mandat zwar die Tätigkei-ten im politisch-institutionellen Bereich zurErlangung der Herrschaft der Übergangs-regierung abdecke, anders verhalte es sichjedoch mit Maßnahmen des zivilen Wie-deraufbaus und der humanitären Hilfe.Da insbesondere die, die Resolution 1386verlängernden Mandate, wie 1510, geradezwischen der Schutzfunktion der ISAF und

hezu sämtliche zu diesem Themenkomplexerschienene Primär- und Sekundärliteratur.Der typisch juristische Aufarbeitungsstilmit Obersatz, Definition und Subsumtionerlaubt es auch dem insoweit unwissendenLeser in die Tiefe der Diskussion mit einzu-steigen. Sämtliche in Frage kommendeRechtsgrundlagen für eine OEF-Truppen-präsenz werden erörtert, wobei aber auchauf den abstrakten Zusammenhang dereinzelnen Ausnahmetatbestände zum all-gemeinen Gewaltverbot (Artikel 2 (4) VN-Charta) eingegangen wird. So fragt sieunter anderem nach der Reichweite derSperrwirkung einer Maßnahme des Sicher-heitsrats im Sinne des Artikel 51 der Char-ta, aber auch nach den einzelnen Merk-malen der Voraussetzungen des Artikel 39bzw. 51 VN-Charta (z.B. terroristische An-griffe als Angriffe?). Einen wesentlichenTeil der Argumentation und damit auch denKern ihrer (selbst nach eigenen Angaben)vertretenen Mindermeinung nimmt wiederdie Frage einer Zurechnung ein. Hier be-zieht sich die Fragestellung jedoch darauf,ob die Anschläge der non state actors AlKaida dem Staat Afghanistan zuzurechnenseien. Dabei zieht Pfarr die im Völkerrechtfür maßgeblich angesehene Nicaragua-Ent-scheidung des IGHs und den TeheranerGeiselfall (als Beispiel nachträglicher Billi-gung durch den Staat) heran und arbeitetdiese zunächst abstrakt auf, was auch demim Völkerrecht bewandelten Leser wohl ei-ne neue Sichtweise auf diese Entscheidunggeben kann. Nachdem die Autorin die ausden Entscheidungen gezogenen Kriterien(„effective control“, „substatial involve-ment“, „overall-control“ (Tadic, ICTY))der Zurechnung bei der Verbindung AlKaida – Taliban ablehnt, geht sie auf dievon zunächst wenigen Staaten2 vertretene„Harboring“-Doktrin ein. Danach soll eineausreichende Zurechnung gegeben sein,sobald ein Staat Terroristen auf seinem Ge-biet dulde. Eine zum Zeitpunkt der Inter-vention der OEF in Afghanistan noch nichtbestehende Staatenpraxis bzw. Anerken-nung dieses Instituts, könnte sich laut Pfarrjedoch durch konkludente Zustimmung derVölkerrechtsgemeinschaft, insbesonderedurch den Erlass der Resolutionen 1368ergeben. Aber auch hier wird anhand vonWortlaut und Systematik eine solche abge-lehnt. Als weitestgehende Ansicht zur Ver-knüpfung des Staates Afghanistan mit denAnschlägen durch Al Kaida erläutert die

dem zivilen und humanitären Wiederauf-bau differenzieren, kommt Pfarr zu demErgebnis, dass Aufgaben in diesem Bereichursprünglich nicht durch das Mandat derISAF abgedeckt seien. Auch hier wird wie-der deutlich wie sehr sich die Autorin mitden unterschiedlichsten Rechtsgrundlagendes afghanischenWiederaufbaus auszuken-nen scheint. So prüft sie im Anschluss andie wohl insoweit jedem bekannten erstenResolutionen noch eine alternative Rechts-grundlage eines militärisch-technischenAbkommens (MTA) aus dem Jahr 2002.Auch hier geht sie methodisch sauberzunächst der Frage nach, wem diesesAbkommen zuzurechnen sei und ob diesesOrgan auch zur Vertretung völkerrechtlichberechtigt sei. Anders als noch bei derZurechnung des Bonner Abkommens kannman laut der Autorin nun von einer effek-tiven Vertretung des Staates durch dieInterimsregierung ausgehen und dem Ab-kommen Bindungswirkung zusprechen.Dennoch stelle das MTA eher eine Be-schränkung des Mandats dar, da dort expli-zit geregelt würde, dass die genanntenMaßnahmen nicht ohne Zustimmung durchISAF auszuüben seien.

Unter § 5 des zweiten Teils beschäftigt sichdie Autorin mit dem auch in Deutschlandimmer wieder auftretenden Thema des Ein-satzes der ISAF im Bereich der Terroris-musbekämpfung. Auch wenn heute auchvon deutschen Politikern1 davon gespro-chen wird, dass die Bundeswehr in Afgha-nistan gegen den Terrorismus kämpfe, gibtPfarr durch ihre detailliertenAusführungenzum Einsatz einen anderen Blickwinkelund dazu eine fundierte juristische – ableh-nende – Begründung. Die Terrorismus-bekämpfung sei primäres Ziel der OEF derUSA. Nur insoweit die Verfolgung des Ter-rorismus mit dem Ziel des ISAF-Mandats –der Herstellung eines sicheren Umfelds –deckungsgleich sei, sei eine Kooperationmöglich. Eine nach Ansicht der Autorinsich entwickelnde Verflechtung sei dahernicht ohne Änderung der Mandate recht-mäßig, da die Zielrichtungen zu verschie-den seien.

Im dritten Teil der Arbeit geht es nun umdie USA als Akteur. Vermittelten die ersten106 Seiten des Buches eine detaillierteAuseinandersetzung mit der Staatsorgani-sation im weiteren Sinne auf afghanischemGebiet, beschäftigt sich dieses Kapitel ins-besondere in einem 33-seitigen Inkurs (§ 2)mit der Rechtmäßigkeit der Maßnahmender USA im Anschluss an den 11. Septem-ber 2001 bis heute. Der Umfang und dierechtswissenschaftliche Aufarbeitung die-ser Situation wird einer Dissertation mehrals gerecht. So verarbeitet die Autorin na-

Panorama – Buchbesprechungen

2/2009

1 Zuletzt Verteidigungsminister Franz JosefJung im Anschluss an einen tödlichen Angriffauf Bundeswehrsoldaten am 29. April 2009,in: FAZ v. 2. Mai 2009.

2 Südafrika, Israel, USA, vgl. S. 129.

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It is a credit to the editors that they have as-sembled in this work authors of key articlesconcerning the legal dimensions of the IraqWar of 2003. According to Williams andShiner, the purpose of The Iraq War andInternational Law is twofold. Firstly, itseeks to discuss the assessment of whetherinternational law has indeed entered a newera, as a result of both the Iraq War and itsaftermath. Secondly, the book attempts tobegin the difficult task of determining whatkind of response is now possible vis-à-visinternational law.Where are the battlefieldsfor “justice”? What are the threats? Fur-thermore, how can international law be im-plemented at state, inter-state and domesticlevels, in order to pursue justice for the vic-tims of violence and power? The editorsdistinguish five approaches concerning in-ternational law and the Iraq War. Theseserve as guiding thought-structures, or pil-lars, for their work.

Firstly, there is the approach that places re-liance on international law as though itwere a fully formed system of rules. Theserules are capable of guiding analysis,judgement and even constructing statepractice (or that of other parties) on the in-ternational stage. Secondly, there are thosewho apply a slightly different approach.These are the proponents of the reconcilia-tion of international law with the new glob-al circumstances. Thirdly, there are thosewho advocate a fundamental reformation ofinternational law. Here the premise is thatinternational law (or some of its significantcomponents) is critically flawed and re-quires reform. In response to much of thesaid approaches, the fourth approach is oneof tactical resistance. This approach pointsto a movement intent on using law as aweapon without it being restrained to itscurrent form and content. Finally, there isthe consideration of the development of aproject of rebellion. This is described as aform of resistance against international lawand its institutions by framing action bothinside and outside its parameters, thus es-tablishing alternative methods for resolvingconflict and achieving justice.

The contributions are then organised gener-ally around the triad of ius ad bellum, ius inbello and ius post bellum. Shiner examinesin his contribution, “The Iraq War, Interna-tional Law and the Search for Legal Ac-countability”, the issue of accountabilitythrough the lens and medium of interna-tional law as applied in the UK context.

Daniel Joyner (University of Alabama)takes as a – surely disagreeable – point ofdeparture in his “The Challenges ofCounter-proliferation: Law and Policy of

heated and protracted political and socialdebate. The legal questions and debatescontinued after the main hostilities hadended and the occupation of Iraq hadbegun. Indeed, if anything, they increasedsignificantly. Use of force was still an issuethat engaged critical analysis as well assuch topics as the conduct of warfare andoccupation, the treatment of civilians, therole of private security contractors and theawarding of commercial reconstructioncontracts. The trials of the Baa’thist regimemembers were also added to the agenda.According to the editors, the multifacetednature of this extraordinary legal upheavalwas the inspiration for their work The IraqWar and International Law. It’s specificgenesis can be traced to a legal inquiry in2003 organised by Peacerights. This inde-pendent, non-government organisationbrought together a number of the presentcontributors to analyse the conduct of thewar from a legal perspective. Since thenseveral of the authors have been engaged incases that have created legal shockwaveswhich still continue to be felt.

The editors Andrew Williams (AssociateProfessor at the University of Warwick)and Phil Shiner (Honorary Professor at theLondon Metropolitan University, a VisitingFellow at the London School of Economicsand founder of Public Interest Lawyers) be-gin their book The Iraq War and Interna-tional Law with the correct assertion that,even before it commenced, the 2003 IraqWar provoked unparalleled legal attention.For many, the role and applicability of in-ternational law became the focus of com-ment, and indeed, resistance. Whether thewar was legal or not was the basis for

Panorama – Book Reviews

Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften / Journal of International Law of Peace and Armed Conflict

Phil Shiner and Andrew Williams, The Iraq Warand International Law, Hart Publishing, Oxfordand Portland, Oregon 2008, 358 pages, £ 30Jan P. P. Ganschow*

* Ass. iur. Jan P.P. Ganschow LLM Int-Law&Pols (Canterbury New Zealand) holdsthe rank of Captain (active reserve) in the Ger-man armed forces and served in 2007 asdeputy legal adviser with the French-GermanBrigade. He is a member of the ArbeitskreisRechtsberaterstabsoffiziere im VdRBw e.V.and currently serves at the Schule für Feld-jäger und Stabsdienst of the German armedforces in Sonthofen, Bavaria.

Autorin auch die Ansicht, die auf eine Zu-rechnung im Ganzen verzichtet (S. 135 ff.).

Im Ergebnis geht die Autorin damit von ei-ner Entmachtung der Taliban in völker-rechtswidriger Weise aus und geht nicht,wie die herrschende Ansicht in der Litera-tur und wohl auch der Staaten, von einerDeckung der Maßnahmen durch Artikel 51VN-Charta aus.

Im weiteren Verlauf des Buches werdenaber auch etwaige Rechtfertigungsgründefür die weiterhin bestehende Präsenz deramerikanisch geführten Mission OEF ge-sucht. Andiskutiert werden Rechtfertigun-gen durch eine Verbindung des OEF-Man-dats mit dem der ISAF, wobei erneut aufdie Sperrwirkung eines Tätigwerdens desSicherheitsrat eingegangen wird, aber auchein in zeitlicher Hinsicht grenzenlosesSelbstverteidigungsrecht bzw. eine Präven-tivverteidigung wird nicht ausgelassen.Auch ein nach den regulärenWahlen verab-schiedetes Dokument, die sog. BerlinerErklärung aus dem Jahr 2004, könne keine

Ermächtigung für die andauernde Truppen-stationierung darstellen, da eine solchegerade nicht in ihr zu finden sei.

Abschließend betrachtet kommt Pfarr da-mit zu dem Ergebnis, dass gewisse, durchdie ISAF-Truppen vorgenommene Maß-nahmen, nochmals auf ihre Rechtmäßigkeithin untersucht werden sollten, das Kriteri-um der Zurechnung von Angriffen Privaterauch heute noch Gültigkeit beanspruchtund, die von der Autorin herausgearbeiteteBesonderheit, dass die Intervention derOEF-Truppen bereits von Anbeginn aufkeine Rechtsgrundlage zu stützen war.

Im Ganzen stellt die Bearbeitung des af-ghanischen Nationbuildings durch Pfarrtrotz der vertretenen Mindermeinung inBezug auf das Recht des Artikel 51 VN-Charta eine gelungene Aufarbeitung desinternationalen Engagements dar und hältauch dazu an, den deutschen Einsatz imRahmen der ISAF in Afghanistan in seinerkonkreten Ausgestaltung kritisch zu be-trachten. �

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the Iraq Intervention” a rather difficultstand. Here he argues that the Iraq Warwas essentially driven by a response tothe accumulation of weapons of massdestruction. In “The Iraq War: Issues ofInternational Humanitarian Law and In-ternational Criminal Law” Nicholas Grief(Bornemouth University) investigates someof the specific practices which posed sig-nificant questions under the law of armedconflict during the invasion. He also exam-ines instances where military tactics werequestionable in terms of the law of armedconflict and international criminal law, e.g.attempted decapitation strikes, the use ofcluster munitions, attacks on power distri-bution facilities, on media installations andon personnel, and the location of militaryobjectives in protected places.

With “International Criminal Law andIraq”,Williams provides an article in whichhe attempts to clarify whether the Prosecu-tor of the International Criminal Court’scommunication on Iraq is a reflection of thestate of international criminal law as awhole, or merely an aberrant expressionthat the Chief Prosecutor of the ICC wouldhave had to assume an extremely bravestance – foolhardy, some would say – in or-der to consider investigating the role of theUK in the Iraq War further.

William Schabas (National University ofIreland) then continues, in “Complicity be-fore the International Criminal Tribunalsand Jurisdiction over Iraq”, the analysis ofthe Chief Prosecutor’s response, exposingthe semi-interred crime of aggression. In“The Continuing Occupation? Issues ofJoint and Several Liability and EffectiveControl”, Christine Chinkin (London Schoolof Economics and Political Science) raisesa fundamental question as regards theliability of states for the actions of theirpartners in an interventionist enterpriseunder international law. In fact, one couldsay that she questions whether the UnitedKingdom can be held responsible for theactivities of the USA in Iraq. Chinkinexplores the particular levels of respon-sibility which are at issue, and concludesthat states should be drawn into evaluatinglegal responsibility in addition to thosepolitical and moral concerns that mightotherwise dominate their focus. StefanTalmon (University of Oxford) continueswith this theme of responsibility in hiscontribution “A Plurality of ResponsibleActors: International Responsibility forActsof the Coalition Provisional Authority inIraq”, emphasising the role of the CoalitionProvisional Authority during the occupa-tion of Iraq. Barrister and member ofMatrix Chambers Rabinder Singh examines

promises of international law and its legalsystem(s).

With the above-mentioned contributions,The Iraq War and International Law aimsto explore the legal territory of modernwarfare by examining a number of issueswhich are, according to the editors, funda-mental to the future direction of interna-tional law in the aftermath of the war. Someof the key questions emerging from thisbook are: “When can the use of force bejustified?”; “What are the limits of militaryoperations?”; “What strength does interna-tional criminal law possess in the face ofsuch interventions?”; “How effective is theinternational regime of human rights inthese circumstances?” Furthermore: “Whatrole does domestic law have to play?” Theauthors take both practical and academicperspectives in order to scrutinise such is-sues and consider the possible trajectoriesthat international law might now follow.However, the key question that is consid-ered in the book is whether the Iraq War(and its aftermath) is emblematic of anepoch-making shift in international law.Moreover, they question whether this shiftwill prove to be similar in its consequencesto those resulting from, for example, theTreaty of Westphalia, the end of the FirstWorld War, the devastation of the SecondWorld War and the end of the Cold War.

At first sight it seems to be a greatly exag-gerated claim that this one conflict is in-dicative of a realignment of internationallaw, especially when one considers the mi-nor duration of the main hostilities and alsothe direct military casualties suffered dur-ing the campaign. Nevertheless, the IraqWar of 2003, which was initially seen asmerely one of the many jigsaw pieces ofthe “war on terror”, created some signifi-cant challenges to international law. TheIraq War and International Law has there-fore brought together a range of analyses ofthe legal questions relating to the Iraq War,to assist in any assessment that a new epochis upon us. Together, the twelve compiledarticles indicate that the IraqWar merits se-rious consideration as a catalyst for the de-velopment of international law.

In short: As an intellectual signpost thiscompilation is as stimulating for academicsas it is for practitioners. The formerwill gain a horizon-widening experiencethrough certain landscapes of contempo-rary ius belli, without the risk of losingthemselves in the lofty regions of idealism.Furthermore, it will help to clarify and for-mulate the individual’s own reflectionswith regard to the ongoing power-politicaland geo-strategical events implementing

in “Justiciability in the Areas of ForeignRelations and Defence” the whole issue ofjusticiability, or rather non-justiciability,which has been gradually undergoing aprocess of reassessment by the Englishcourts. At heart, this is a plea for a reinvig-oration of the rule of law, with respect forhuman rights as a fundamental and over-arching condition. This theme of interac-tion between human rights, internationallaw, domestic law and notions of“security”, is then continued in KeirStarmer’s (barrister and Joint Head ofDoughty Street Chambers) “Responsibilityfor Troops Abroad: UN-Mandated Forcesand Issues of Human Rights Account-ability”. Here Starmer questions the abilityof domestic law to make sense of interna-tional legal regimes. The potential ap-proach by the European human rights sys-tem to alleged human rights abuses in Iraq,is also considered in “How will the Euro-pean Court of Human Rights deal with theUK in Iraq? Lessons from Turkey andRussia” by Bill Bowring (University ofLondon). Bowring’s underlying question inhis investigation is how robust the Euro-pean Convention’s system is in dealingwith fundamental abuses perpetrated intimes of military conflict.

The final two chapters of the book offera chance to reflect more generally on thefuture of international law. They are in-tended to act as mutual counterpoints.

The first of these is by Sir Nigel Rodley(University of Essex and member of theUN Human Rights Committee). His work“The Future for International Law afterIraq” presents a generally optimistic reviewof the state of international law followingthe Iraq War. He argues that the threats thathave been posed to international law by thebehaviour of powerful states, have servedto emphasise the value of international lawsthat possesses ethical strength. Rodleymaintains that the challenges that haveensued should, and indeed have, encour-aged a vigilance concerning the abuse,and/or manipulation, of established inter-national legal precepts.

The tenor of “Between Hope and Despair:The Iraq War and International LawFutures?”, Jayan Nayar (University ofWarwick), is not so positive. His idiosyn-cratic approach to both international law ingeneral, and the recent responses to the IraqWar in particular, suggests that the verysystem is too flawed to be rescued. It isonly through an embrace of people’saction, “People’s Law”, in Nayar’s terms,that there will be a radical challenge to the“hope and despair” engineered by the

Panorama – Buchbesprechungen

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and a thorough index, complete this inter-esting compilation. �

the “new world order”1. The latter may gainmore understanding of certain thought-provoking opinions and conclusions, notonly in the laws of armed conflict but alsothose of human rights. All of these areexpertly articulated and of great help to thereader when they are reflecting, on a moresubstantiated basis, on the application andimplementation of provisions that are openfor interpretation. Both will find a contribu-tion to the assessment of a putative crisis in

Panorama – Book Reviews

Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften / Journal of International Law of Peace and Armed Conflict

1 It was on 11 September 1990 that George Bush Snr. set the notion of the “new world order” on theinternational agenda: “Out of these troubled times ... a new world order can emerge: a new era – freerfrom the threat of terror, stronger in the pursuit of justice, and more secure in the quest for peace”,see A. Hodges / C. Nilep, Discourse, War and Terrorism, Amsterdam Philadelphia, Publishing house,2007, p. 45. Bush Snr. declared again at the outset of the 1990/91 Gulf War that “[t]his is an historicmoment [...] we have before us the opportunity to forge for ourselves and for future generations anew world order”, ibid. p. 21.

international law in this book. A detailedintroduction, tables of litigation and cases

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Grundlagen und Grenzen des Folterverbotes in verschiedenen RechtskreisenEine Analyse anhand der deutschen, israelischen und pakistanischen Rechtsvorschriften vor dem Hintergrund des jeweiligen historisch-kulturell bedingten Verständnisses der Menschenwürde

A. K. Weilert, Heidelberg

Die vorliegende Arbeit untersucht die Reichweite des Folterverbotes zunächst auf der Ebene des Völkerrechts und sodann in verschie-denen Rechtskreisen am Beispiel der deutschen, israelischen und pakistanischen Rechtsvorschriften. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei der Frage nach der Zulässigkeit von Folter zum Zwecke der Gefahrenabwehr gewidmet.

2009. XXX, 476 S. ( Vol. 200) Geb.ISBN 978-3-540-87747-9 € (D) 94,95 | € (A) 97,61 | *sFr 147,50

Beiträge zum ausländischen

öffentlichen Recht und Völkerrecht

Beitrag zur aktuellen Menschen- würde- diskussion

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Humanitäres VölkerrechtInformationsschriften (HuV-I)/ Journal of International Law of Peace and Armed Conflict (JILPAC)The journal is unique among German publications, but its effects reach much further due to the fact that it alsofeatures articles in English. Thus, it was recognised inprojects of the United Nations (UN) and the Internation-al Committee of the Red Cross (ICRC), as well as in publications in Germany, Austria and Switzerland. Thecontent of the journal mainly consists of scientific essayson the implementation of international humanitarian law,human rights and peace-keeping law. It is addressed tolawyers, people interested in the political scene andmembers of humanitarian organizations. The board ofeditors is composed of members of the Institute: Dr.habil. Hans-Joachim Heintze, Prof. Dr. Joachim Wolf,Dr. Math Noortmann, LL.M., MSc and Heike Montag.

One of the aims of the journal is to combine aca-demic examination and practical usefulness for thedissemination of international humanitarian law.

Every issue focuses on recent debates in internationalhumanitarian law, case studies and case law, as well as the dissemination work of the German Red Cross. Furthercontributions are reviews of conferences and new books.

Main topics were and are:� the Gulf war� the conflict in former

Yugoslavia � the development of inter-

national criminal justice � September 11th and its effects � the wars in Iraq, Afghanistan

and Lebanon, as well as the fight against international terrorism

It is published quarterly by the National Headquarters ofthe German Red Cross and the Institute for InternationalLaw of Peace and Armed Conflict (IFHV). About 600 ex-emplars are printed each time. It was founded in 1988.

annual subscription:

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* *The prices include the mailing expenses and value added tax (VAT). Thesubscription will be valid for one year. It will be extended automatically but can be canceled by letter threemonths before the one year term ends.

Institute for International Lawof Peace and Armed Conflict

Editorial office:Dr. habil. Hans-Joachim HeintzeDr. Math Noortmann, LL.M., MScHeike MontagEmail: [email protected].: 0234/ 3228259Fax: 0234/ 3214208

Subscription-service and publishing company:DRK-Service GmbHBerliner Straße 8313189 BerlinEmail: [email protected].: 030/ 47900450Fax: 030/ 47900454