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Historische Kompetenzen – ein Modell

Historische Kompetenzen – ein Modell€¦ · Gattungskompetenz Die verschiedenen text-, Bild ... nen und deren Ende uns heute ... Erzählen . Narrative Kompetenz soll hier nicht

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Historische Kompetenzen – ein Modell

Sonderausgabe im Wochenschau Verlag

Auszug aus:

Hans-Jürgen Pandel:

Geschichtsdidaktik

7.3 Historische Kompetenzen – ein Modell 221

Auch die sogenannte „Fragekompetenz“ ist eine problematische Angelegen-heit . Unzweifelhaft besteht ein beträchtlicher Anteil des Unterrichts wie des Alltagslebens aus Fragen . Aber welche Fragen sind gemeint? Fragen sind alltags-weltliche Erscheinungen . Sie werden bereits in der „Sesamstraße“ für Vorschul-kinder eingeübt: „Wieso – weshalb – warum? Wer nicht fragt, bleibt dumm“, ist ihr Motto . Erfüllen solche alltagsweltlichen Fragen schon die Kriterien einer Kompetenz? Die Autoren, die in ihrem Modell „Fragekompetenz“ aufführen, greifen natürlich nicht auf die „Sesamstraße“ zurück, sondern auf die Ge-schichtstheorien von Johann Gustav Droysen (1857) und Jörn Rüsen (1983 ff .), in deren Schriften in der Tat die historische Frage eine Rolle spielt . Aber wenn man dort nachschlägt, wird schnell deutlich, was mit „Frage“ gemeint ist . Es ist die Forschungsfrage, die heuristische Frage, die am Anfang eines Forschungspro-zesses steht . Solche voraussetzungsvollen und hochspezialisierten Forschungs-fragen, die in der Regel auf komplizierten Theorien beruhen, können keine geschichtswissenschaftlichen Laien stellen . Ausdrücklich sagt Droysen, dass die heuristische Frage „nicht die Neugier eines Kindes“ ist, „das noch unersättlich, Neues zu erfassen“ sucht .29 Diese „subjektive Welt“, so Droysen, die sich durch solche Kinderfragen aufbaut, hat wenig mit der „objektiven Wirklichkeit“ der Geschichtswissenschaft zu tun . Da Forschungsfortschritt zu keinem Ende kommt, sondern immer weiter fragt, kann kein Schüler (und auch kein norma-ler Lehrer) eine „Historische Frage“ im Sinne der Forschung stellen und erst recht nicht beantworten . An solche Fragen stellt die Geschichtstheorie hohe Anforderungen . „Man könnte sagen“, heißt es bei Droysen, „in der Frage und Fragestellung spricht sich die historische Genialität aus .“30 Eine „Fragekompe-tenz“ auf Schulniveau wäre zudem eine sog . „leere“ Kompetenz, sie löst keine Probleme und widerspricht somit der Definition von Kompetenz („kreative Problemlösungsfähigkeit“) .

7.3 Historische Kompetenzen – ein Modell

Die Geschichtsdidaktik kann Kompetenzen nicht erfinden, sondern nur fin-den . Sie werden in der kulturellen Lebenswelt vorgefunden . Sie sind vorhanden . Es sind kulturelle Errungenschaften und kulturelle Notwendigkeiten . Die Ge-schichtsdidaktik muss solche Kompetenzen ausfindig machen, die in der All-tagswelt derjenigen Erwachsenen eine Rolle spielen, die sich nicht professionell mit Geschichte beschäftigen . In der kulturellen Lebenswelt lassen sich die vier folgenden historischen Kompetenzen ausfindig machen .

29 Droysen, Johann Gustav: Historik . Textausgabe von Peter Leyh [1857], Stuttgart 1977, S . 106 .

30 Droysen, Johann Gustav: Historik . Herausgegeben von Rudolf Hübner, 6 . Aufl ., Mün-chen 1971, S . 34 .

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Historische Kompetenzen

Kompetenz Verfahren

Erz

ählk

ompe

tenz

narrative Kompetenz ereignisse temporalisieren und sinnbil-dend verbinden; verschiedene Grade von triftigkeit sprachlich ausdrücken können (ungesichert, vermutlich, wahr-scheinlich, sicher, belegt etc.); erzähl-handlungen unterscheiden (erzählen, um erzählen, nacherzählen, rezensieren-des erzählen); Kohärenzen herstellen; gegenwartsgeschichtliche ereignisse narrativieren

interpretationskompetenz techniken der interpretation kennen und anwenden können; sinnbildungen erken-nen und verstehen; Bedeutungsvarian-ten und Ambivalenzen erkennen; theore-tische Zugriffe erkennen; mit historischer semantik umgehen; begriffsgeschicht-lich arbeiten können; eigene sinndeutun-gen argumentativ vertreten und mögli-che einwände vorwegnehmen; gattungs-spezifische Diskurse führen

Kul

turk

ompe

tenz

Gattungskompetenz Die verschiedenen text-, Bild-, Gegen-standssorten, die sich auf Geschichte beziehen, unterscheiden können; Krite-rien kennen, um Facta und Ficta argu-mentativ zu trennen; Aussagewert be-stimmen; kontrollierten Vertrauensvor-schuss den einzelnen Gattungen entge-genbringen; erkenntnisfortschritt zwi-schen verschiedenen Darstellungen erkennen; Verfahren kennen, um triftig-keiten (ansatzweise) festzustellen; gat-tungsspezifische Diskurse führen

Geschichtskulturelle Kompetenz Faktualität, Fiktionalität und Fiktivität un-terscheiden; mit erinnerungskonflikten umgehen; die ästhetische Dimension des Geschichtsbewusstseins wahrneh-men; kontrafaktische Aussagen erken-nen und bewerten (interessen, Lüge, imagination); moralische und ästheti-sche Werturteile fällen

Tab. 4: Historische Kompetenzen. Übersicht

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7.3 Historische Kompetenzen – ein Modell 223

7.3.1 Narrative Kompetenz

Narrative Kompetenz ist geradezu kulturkonstituierend . Sie bringt Mythen, Schöpfungsgeschichten und Historiografie hervor . Sie ist die Fähigkeit, Ereig-nisse sinnverbindend in Form von Geschichte(n) darzustellen und dargestellte Geschichte(n) zu verstehen . Zu dieser Kompetenz gehört aber auch die Fähig-keit, solche Ereignisse zu einer Geschichte zu verbinden, die sich gerade ereig-nen und deren Ende uns heute (2012) noch unbekannt ist (z .B . Ölkatastrophe im Golf von Mexiko, Afghanistankrieg, palästinensische Staatsgründung) . Erst mehrere Jahre später werden diese Begebenheiten von professionellen Histori-kern dargestellt . So lange lässt sich unser Geschichtsbewusstsein aber nicht vertrösten . Es unternimmt andauernd Versuche, diese Ereignisse narrativ zu verstehen . Zur narrativen Kompetenz gehört weiterhin auch die Fähigkeit, mit den verschiedenen Erzählakten umzugehen: Erzählen, Nacherzählen, Umer-zählen und bewertendes (rezensierendes) Erzählen . Narrative Kompetenz soll hier nicht in ihrer ganzen Breite vorgestellt werden, da dazu ein eigener Band vorliegt .31

7.3.2 Interpretationskompetenz

Interpretation ist ein Verfahren, das aus den kulturellen Gebilden menschlicher Lebensäußerungen (Texte, Bilder, Gegenstände etc .) Sinn entnimmt . Interpre-tationskompetenz ist eine solche Kompetenz, die jemanden befähigt, Sinn un-ter Berücksichtigung zeitgebundener Sinnvorstellungen aus Zeichen zu entneh-men . Diese Basiskompetenz wird unter den verschiedensten Gesichtspunkten beschrieben und innerhalb der verschiedensten Theorien unterschiedlich be-nannt . Sie ist bei Jürgen Habermas Teil einer „kommunikativen Kom petenz“32 und bei Umberto Eco als „semantische Kompetenz“ Bestandteil der Semio-tik .33 Auf „hermeneutischer Kompetenz“ beruhen die menschlichen Kultur-leistungen . Sogar die Debatte über die mangelnde Lesefähigkeit der Schüler meint mit dem Begriff „Lesekompetenz“ nichts anderes als Interpretationskom-petenz . Sie thematisiert nicht Lesefertigkeit, sondern das Verstehen von Texten . Lesekompetenz ist deshalb eine besondere Form der Interpretationskompetenz . Wie die Leseforschung gezeigt hat, können viele Kinder nicht bzw . nicht zurei-chend lesen, weil sie die Inhalte, den Sinn der Texte nicht verstehen . Textinhalte sind im Gegensatz zur gesprochenen Sprache kontextlos . Die gesprochene Sprache ist dagegen an lebensweltliche Situationen gebunden und diese Situati-onen helfen mit, die in ihnen gesprochenen Sätze zu verstehen .

31 Pandel, Hans-Jürgen: Historisches Erzählen . Narrativität im Geschichtsunterricht, Schwalbach/Ts . 2010 .

32 Habermas, Jürgen: Theorie des kommunikativen Handelns, 2 Bde ., Frankfurt/M . 1981 .33 Eco, Umberto: Die Grenzen der Interpretation, München 1992 .

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(1) ZeichendeutungAus Zeichen Sinn zu entnehmen, ist eine Praxis, die sowohl in oralen als auch in schriftlichen Kulturen nötig ist . Spuren34 werden gelesen, Sterne gedeutet und Texte ausgelegt . Diese aus dem Alltag entnommenen Handlungen haben zu spezialisierter Betätigung und wissenschaftlicher Reflexion geführt . Jäger, Wahrsager, Priester, Richter, Historiker – aber auch Kriminalisten und Ärzte – legen Zeichen aus . In der Regel deuten diese Professionen die Zeichen für ande-re . Dieser Gruppe gehören auch die Lehrer an, die Kultur für die nachwachsen-de Generation auslegen . Dabei haben sich sowohl erfahrungsgestützte als auch theoretisch reflektierte Regeln herausgebildet, die sich auf die unterschiedlichen Zeichengruppen beziehen . Heilige Schriften werden anders ausgelegt als juris-tische Texte und Bilder anders gedeutet als Sterne .35 Da das Erkenntnisinteresse an Spuren, Bildern und Texten jeweils ein anderes ist, wurden unterschiedliche sinnerschließende Methoden entwickelt, für die der gemeinsame Begriff der Interpretation steht . Deshalb gilt es, auf die „Domänenspezifik“ zu achten . Die Regeln der Quelleninterpretation sind andere als die in der medizinischen Dia-gnostik .

Interpreta tionskompetenz ist wie alle echten Kompetenzen so grundlegend, dass eine bestimmte Kompetenz nicht von einer Disziplin allein für sich bean-sprucht werden kann . Das widerspricht nicht der „Domänenspezifik“ . Allge-mein und disziplinübergreifend geht es bei der Interpretationskompetenz um Sinnentnahme (aus mündlicher Kommunikation, Texten, Bildern und Gegen-ständen) . In den einzelnen Disziplinen wird aber nach unterschiedlichen Sinn-konstitutionen interpretiert . Die Interpretation philosophischer Texte ist etwas anderes als die Quelleninterpretation eines Historikers . Dennoch handelt es sich in beiden Fällen um Sinnentnahme aus Texten .

(2) HermeneutikFür die zuletzt genannte Tätigkeit steht der Begriff Hermeneutik . Er ist nach dem Götterboten Hermes benannt . Dieser hatte die Aufgabe, die Botschaften von Zeus den sterblichen Menschen zu überbringen und Gotteswort für den Menschenverstand zu übersetzen . Sein Verkünden beschränkte sich jedoch nicht nur auf das Mitteilen der göttlichen Befehle, sondern beinhaltete auch deren Erklären, und zwar so, dass er diese in die Sprache der Sterblichen und ihr Verständnis übersetzte .

34 Ginzburg, Carlo: Spurensicherung . Der Jäger entziffert die Fährte . Sherlock Holmes nimmt die Lupe . Freud liest Morelli, in: Freibeuter (1980/81) 3/4, S . 7-17 und S . 11-35; ders .: Spurensicherung über verborgene Geschichte, Berlin 1983 .

35 Bätschmann, Oskar: Einführung in die kunstgeschichtliche Hermeneutik . Die Auslegung von Bildern, Darmstadt 1985 .

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Der Begriff „Hermeneutik“ meint daher zunächst einmal die Praxis des Aus-legens, die zum Verstehen führt . Ihre Leistung besteht grundsätzlich darin, ei-nen Sinnzusammenhang aus einer (Lebens-)Welt in eine andere zu übertragen . Dabei gibt es ein Objekt („hermeneutisches Objekt“), das auf ein Subjekt ein-wirkt und von diesem interpretiert werden will . Beschäftigen wir („Subjekt“) uns beispielsweise mit einem Text („Objekt“) und versuchen, diesen auszulegen, betreiben wir Texthermeneutik . Gegenstand der Auslegung können prinzipiell alle Lebensäußerungen sein: Schriften, verbale Äußerungen, Gesten, Kunstwer-ke etc . Hauptsächliche Textbereiche, auf die sich hermeneutische Bemühungen ursprünglich bezogen, waren Gesetzestexte, Worte der Kirchenväter und die Heilige Schrift, also Texte, die stark einer Auslegung bedürfen .36

Geht man vom Götterboten Hermes aus, dann ist Hermeneutik ursprünglich auch mit der Entdeckung eines normativen Sinnes (hier: der Wille der Götter) verbunden . Auslegung beruhte auf der Notwendigkeit, etwas im „richtigen Sinn“ zu verstehen . Dieser normative Sinn tritt jedoch spätestens seit dem 19 . Jahrhundert immer mehr zurück . Der Schwerpunkt liegt nun auf dem Ver-stehen eines sprachlichen Sachverhaltes . Dabei unterscheiden wir zwischen Hermeneutik als einer im Alltag erlernbaren „Kunstlehre“ des Verstehens und einer (philosophischen) Hermeneutik . Sie ist eine theoretische Disziplin, die das Phänomen „Verstehen“, seine Elemente, Strukturen, Typen usw . unter sucht .

(3) SchwierigkeitenVon Interpretation spricht man aber erst dann, wenn die Sinnentnahme Schwierigkeiten macht .37 Ohne Verständnisschwierigkeiten wäre Interpretation überflüssig . Hermeneutik ist „Theorie des Verstehens unter Schwierigkeiten“38 . Vertraute Texte und Bilder müssen nicht interpretiert werden . Sie verstehen sich von selbst . Nur wenn ein Bild oder Text aufgrund des „geschichtlichen Abstandes“39 Verstehenshindernisse enthält, fremd ist, wird Interpretation nö-tig . Dann werden schwierigkeitsausräumende Operationen erforderlich, um Sinn freizulegen . Durch die Erfahrungen, die Wissenschaft und Alltagshandeln beim Interpretieren gemacht haben, haben sich bestimmte erfahrungsgestützte Regeln herausgebildet . Solche Interpretationsregeln sind verinnerlichte Verhal-tensanweisungen, die man an sich selbst stellt . Die Fähigkeit, mit schwierig-

36 Vgl . zum Folgenden: Pandel, Hans-Jürgen: Verstehen und Verständigen . Hermeneutische Konsequenzen aus einer erzähltheoretischen Historik, in: ders . (Hrsg .): Verstehen und Verständigen, Pfaffenweiler 1991, S . 11-23 .

37 Gründer, Karlfried: Hermeneutik und Wissenschaftstheorie, (1967), in: ders .: Reflexion der Kontinuitäten . Zum Geschichtsdenken der letzten Jahrzehnte, Göttingen 1982, S . 74-87 .

38 Gründer, Hermeneutik, S . 77 . 39 Gründer, Hermeneutik, S . 78 .

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keitsausräumenden und sinnerschließenden Operationen kreativ umzugehen, ist eine Basiskompetenz des gesellschaftlichen Lebens .

7.3.3 Gattungskompetenz

Gattungskompetenz hat eine ebenso lange Tradition wie die Hermeneutik . Über die Unterschiede von Gattungen wird seit der Antike diskutiert . Aristoteles un-terschied in seiner „Poetik“ (um 335 v . Chr .) beim Wirklichkeits bezug von Handlungen die Gattungen Dichtung und Geschichtsschreibung . Die „Dich-tung teilt mehr das Allgemeine, die Geschichtsschreibung hingegen das Beson-dere mit“ . Gattungskenntnis dient dem Verständnis der Aussageintentionen der Texte wie der alltäglichen Kommunikation, wenn sich die Teilnehmer über den Wirklichkeitsbezug schriftlich präsentierter Handlungen verständigen wollen . Jeder, der kompetent mit Präsentations formen (→ S . 271 ff .) umgehen kann, weiß, was er von einer Gattung erwarten darf und wie er sie nutzen kann .

Zu Beginn der modernen Geschichtswissenschaft im 18 . Jahrhundert ver-suchten die Historiker ihr neues Produkt Historiografie genauer zu bestimmen . Zwar gibt es Geschichtsschreibung schon seit den mesopotamischen Hochkul-turen, aber auf Forschung beruhende, mit rationalen Methoden erarbeitete und auf der Grundlage von kritisch geprüften Quellen erzeugte Historiografie, ist erst ein Produkt der Aufklärung . Deshalb mussten die Historiker ihre neue Gat-tung auch von den anderen Gattungen abgrenzen, die auch Geschichte zum Thema haben . Das galt vor allem für Romane, die nicht den neuen historiogra-fischen Regeln folgten, sondern weiterhin auf Fiktionen setzten .

Spezifisch für diese neue Gattung „Geschichtsschreibung“ war, dass ihre Materialgrundlage authentische Quellen wurden, die mit den Verfahren der inneren und äußeren Kritik bestimmt wurden . Echte Quellen wurden von Fäl-schungen getrennt . So wurde beispielsweise das Privilegium Maius (1358/59) im Jahre 1852 vom Historiker Wilhelm Wattenbach als Fälschung entlarvt . Die fachspezifische Gattungskompetenz der Germanistik unterscheidet die Gattun-gen nach ihrer Form (gereimt und Prosa) und die Historiker nach dem Wirk-lichkeitsbezug: Fiktionalität und Faktizität und Original und Fälschung . Die Historiker schufen sich auch eigene Untergattungen: Original und Fälschung, echte Urkunden, gefälschte Urkunden, Urkunden, die gefälscht, aber berechtig-te Ansprüche beurkunden . Fälschungen müssen sich tarnen, um nicht als sol-che erkannt zu werden . Auch in der Gegenwart finden sich oft – und in den letzten Jahren immer öfter – gefälschte Quellen . Es sind meist erfundene Auto-biografien von Muslimas, Kindersoldaten und KZ-Insassen, die Erlebnisau-thentizität vorspiegeln .40

40 Ähnliches fand sich vereinzelt schon in der Vergangenheit: Der Bericht des angeblichen Südseehäuptlings Tuiavii „Der Papalagi“ (1922) über seine Europareise wurde von dem deutschen Schriftsteller Erich Scheurmann verfasst .

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7.3 Historische Kompetenzen – ein Modell 227

In der gegenwärtigen geschichtsdidaktischen Kompetenzdebatte gehören „mediendidaktische“ Reflexionen in den Bereich der Gattungskompetenz . Eine solche Kompetenz besitzen Schüler, wenn sie in der Lage sind, die Unterschiede der verschiedenen schriftlichen, bildlichen und gegenständlichen (Medien-) Gattungen, in denen Historisches dargestellt wird, in ihrem Aussagewert zu erkennen und mit den unterschiedlichen Gattungserwartungen umzugehen .

So erwartet der Leser von einem Werk der Geschichtsschreibung, dass es den rationalen Methoden der Geschichtswissenschaft folgt, die Regeln der Quellenkritik angewandt worden sind, nichts gegen die kritisch geprüften Quellen behauptet wird („Vetorecht“ der Quellen) und dass die theoretischen Prämissen offengelegt wurden . Wenn ein Leser dagegen einen Roman in die Hand nimmt, hat er andere Erwartungen an das Werk . Er akzeptiert darin auch fiktive Personen .

Aber es geht nicht nur um Textgattungen . Darstellungen von Geschichte bedienen sich der verschiedenen schriftlichen, akustischen, bildlichen, filmi-schen, grafischen, sachlichen und simulativen Medien (→ S . 280) . Bei den ge-genständlichen Medien sind die Gattungen Original, Replikat und Modell zu unterscheiden, bei den simulativen sind es Reenactment und Theater . Mit die-ser Gattungsvielfalt müssen Schülerinnen und Schüler kompetent umgehen können . Das ist gar nicht so einfach, denn die wenigsten Gattungen „outen“ sich so wie die historische Belletristik, die sich meist im Untertitel als „Roman“ zu erkennen gibt . Fälschungen tarnen sich, indem sie vorspiegeln, zu einer be-stimmten Gattung zu gehören . Da wird etwas als Autobiografie und authenti-sche Erinnerungen ausgegeben, was schlichte Erfindung ist .41

Die klare Unterscheidung der Gattungen ist deshalb wichtig, weil in der ge-genwärtigen Geschichtskultur eher ein Gattungsmix die Regel ist, der Authen-tizität und Fiktionalität mischt . Oft handelt es sich um ein Cross-over verschie-denster Gattungselemente . In Dokumentarfilmen werden Spielfilmsequenzen eingefügt und authentische Begebenheiten können in der fiktionalisierenden Form des Comics dargestellt werden .42 Und oft sind in den Ausstellungen der Museen durch ihre inszenierenden Präsentationsformen die Unterschiede zwi-schen Original, Replikat und Modell gar nicht mehr zu erkennen . Gattungs-kompetenz ist in der Gegenwart eine besonders benötigte Kompetenz, da die Gattungen sich oft als Gattungen unkenntlich machen . Nicht der Erkenntnis-wert von Realität steht im Vordergrund, sondern ihr Unterhaltungswert . Dafür stehen die neuen „Gattungs“-Begriffe Scripted Reality, Histotainment und Dokutainment .

In jeder Kultur existiert eine Vielzahl von Diskursen; Kultur lässt sich des-halb auch als „Diskursuniversum“ beschreiben . Die allgemeinen historischen,

41 Mehari, Senait G .: Feuerherz, München 2004 .42 Sacco, Joe: Palästina . Eine Comic-Reportage, Frankfurt/M . 2004 .

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juristischen, ästhetischen, theologischen Diskurse verweisen auf „Fächer“, auf „Weltsichten“ . Es gibt aber auch Spezialdiskurse innerhalb der Fächer und auch solche, die diese Fächergrenzen überschreiten . Sie beruhen auf unterschied-lichen Gattungen und werden durch unterschiedliche Diskursregeln konstitu-iert . Man diskutiert über Filme („Schindlers Liste“) anders als über Romane („Die Wanderhure“), über Reden („Der Islam gehört zu Deutschland“) anders als über Geschichtswerke („Bloodlands“) . Das gleiche gilt auch für die einzel-nen Quellengattungen . Über Programmschriften („Mein Kampf“) wird in an-derer Weise als über Bildquellen („Proklamation des Deutschen Reiches“) ge-sprochen . Ohne Gattungskompetenz würde babylonische Sprachverwirrung herrschen und wir würden „aneinander vorbei reden“ . Eine Verständigung zwischen Diskurspartnern käme nicht zustande .

Innerhalb der Diskurse senden die Teilnehmer sprachliche Signale aus, um zu kennzeichnen, dass sie sich in diesem und nicht in jenem Diskurs befinden . Da ist zunächst einmal die Terminologie zu erwähnen . Gattungsspezifische Begriffe stecken entweder in der konkreten Gattung wie auch in der Sprache, die die Diskursteilnehmer benutzen . Begriffe wie Ulcus, Straftatbestand, Schöpfung, Kontinuität, Versmaß etc . verweisen auf bestimmte Gattungen und Diskurse . Gattungsdiskurse haben nicht nur eine spezielle Terminologie, sondern verwen-den auch besondere Argumentationsmuster . Sie fordern Triftigkeiten ein oder verteilen ästhetische Prädikate (kitschig, seicht, spannend, langweilig) . Inner-halb einer bestimmten Debatte kann aber auch die Diskursform gewechselt werden . Das muss aber sprachlich angekündigt werden („Wenden wir uns ein-mal den theologischen Fragen zu“) . Diese Diskurse können so spezialisiert sein, dass der normal gebildete Laie ihnen kaum folgen kann . Das drückt sich in den verschiedenen spezialisierten Fachzeitschriften aus (Akzente, LiLi, KulturPoe-tik, Historische Zeitschrift) . Diese Diskurse bleiben aber oft keine innerwissen-schaftliche Angelegenheit; sie werden dem normalen Bürger über das Feuilleton zugänglich .

Gattungsdiskurse führen heißt, beim Thema zu bleiben . Ein Fachhistoriker würde sich lächerlich machen, wenn er sich mit den Techniken und Regeln sei-ner Wissenschaft in einem Diskurs über künstlerisch-ästhetische Objekte betä-tigt . Wer mit Triftigkeitskriterien an einen historischen Roman herangeht, redet an der Sache ebenso vorbei wie jemand, der ästhetische Kriterien an ein fußno-tenbefrachtetes Werk der Geschichtsschreibung anlegt . Wenn ein Diskursteil-nehmer über ein neues Werk eines Historikers sagt, dass jeder zweite Satz empi-risch nachweisbar falsch sei und ein anderer erwidert, das mache nichts, denn das Werk sei spannend, anschaulich und in einem eleganten Stil geschrieben, dann kommt kein Diskurs mit sinnvollen Argumentationen zustande . Eine Verständi-gung zwischen den Diskursteilnehmern ist so nicht möglich .

Man kann zwar mit den Begriffen und Argumentationen eines bestimmten Gattungsdiskurses in einen anderen gehen, dann will man aber einen bestimm-

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7.3 Historische Kompetenzen – ein Modell 229

ten Effekt erzielen . Solche Querdiskurse nennt man Parodien, die die zugrunde liegende Gattung parodieren . So lässt sich beispielsweise das Kinderbuch „Max und Moritz“ in einen juristischen Diskurs versetzen43 oder ein Märchen in ei-nen Schulbuchdiskurs transformieren44 . Aber gerade weil solche Grenzüber-schreitungen nicht gattungsangemessen sind, erzeugen sie parodistische Wir-kungen .

Gattungsdiskurse bestehen aus Sprechakten . Geschichtsdidaktik und Ge-schichtsunterricht müssen Schüler befähigen, Diskurse gattungsangemessen zu verstehen und sich in der Alltagswelt an ihnen zu beteiligen .45

Hier ist ein blinder Fleck von Geschichtsdidaktik und Geschichtsunterricht . Wir sagen den Schülern nicht, wie sie Gattungsdiskurse angemessen führen können . Selbst für die unterrichtliche Arbeitsform Diskussion/Debatte wird sie nicht eingeführt . Meist werden forschungsnahe Probleme („Sind Nationen eine Erfindung?“), oft genug aber auch abseitige Fragestellungen („Betäuben neue Medien die Sinne?“) „zur Diskussion gestellt“ . Wie aber Fachdiskurse zu führen sind, wird nicht vermittelt . Hier muss weiter gearbeitet werden .

Äußerungen in einem Diskurs haben prinzipiell eine „Doppelstruktur“46 . Sie sind gleichzeitig kognitiv und kommunikativ, sie haben einen propositiona-len und einen performativen Gehalt .

– Propositionale Äußerungen beziehen sich auf etwas in der Welt, ob Vergan-genes oder Gegenwärtiges, Reales (Karl der Große) oder Fiktives (Asterix) . Der Sprecher nimmt auf diese Sachverhalte bezug . Sie werden durch Quel-len, Historikertexte oder geschichtskulturelle Objektivationen repräsentiert .

– Der illokutionäre Akt, die Illokution bringt die Intention, die Absicht des Sprechers zum Ausdruck, die er mit der Äußerung verfolgt . Er stellt eine soziale Beziehung zu anderen Diskursteilnehmern her und übt eine kommu-nikative Kraft („communicative force“) aus . Es lassen sich drei illokutionäre Modi unterscheiden .

43 Günther, Jörg Michael: Der Fall Max und Moritz. Juristisches Gutachten über die Um-triebe zweier jugendlicher Straftäter zur Warnung für Eltern und Pädagogen, Frankfurt/M. 1988.

44 Pandel, Hans-Jürgen: Wie der narrative Sinn vom Wolf gefressen wurde, dieser dann ausstarb und damit der Sinn aus dem Geschichtsunterricht verschwand, in: Ich habe eine Idee ... Bernward Debus zum Sechzigsten, Schwalbach/Ts. 2006, S. 137-144.

45 Austin, John Langshaw: Zur Theorie der Sprechakte [1962], 2. Aufl., Stuttgart 1979; Searle, John: Sprechakte [1971], 7. Aufl., Frankfurt/M. 1997.

46 In der Theorietradition von Paul Watzlawick wird die Doppelstruktur Inhalts- und Bezie-hungsaspekt genannt.

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Kompetenzen und Standards230

Grundmodi der Verständigungsorientierung (illokutionäre Modi)

Sprechakte Performative Verben Beispiele

Aussagesätze (konstativ)Der sprecher stellt einen kognitiven sachverhalt dar.

behaupten, mitteilen, berichten, aussagen schließen, erzählen, erklären, darstellen, erörtern, mitteilen, erläutern, bemerken, dartun, deuten

„ich behaupte, dass der natio-nalsozialismus eine Gefällig-keitsdiktatur war“. Das perfor-mative Verb kann aber auch manchmal situationsbedingt fehlen: „Der nationalsozialis-mus war eine Gefälligkeitsdikta-tur“.

Aufforderungssätze (regulativ)Der sprecher stellt eine inter-personale Beziehung her.

auffordern, raten, empfehlen, bitten, widersprechen, ermah-nen, nahe legen, vorschlagen, ablehnen

„Vergleich doch mal die Zeile 17 in der Quelle.“ „Denk doch an die szene mit speer im Bunker.“ „Bitte mach Hitler nicht zum Monstrum.“ „Da widerspreche ich dir aber ...“

Erlebnissätze (expressiv)Der sprecher bringt seine psy-chische einstellung (empfin-dungen, emotionen) zum Aus-druck.

gestehen, fürchten, sich ärgern, empfinden, mitfühlen, nachvoll-ziehen, hoffen, hassen, lieben, wünschen

„ich ärgere mich immer, wenn uns nachgeborenen eine schuld am Holocaust zugewiesen wird.“ „Diese einschätzung des natio-nalsozialismus kann ich nicht nachvollziehen.“

Tab. 5: Grundmodi der Verständigungsorientierung

Gegenüber solchen performativen Äußerungen sind die Operatoren der EPAs eigentümlich beschränkt und blass . Sie verlangen ausschließlich propositionale Aussagen und sind deshalb monologisch . Sie sind daher nicht geeignet, gattungsgebundene Diskurse anzuleiten . In der alltäglichen Lebenswelt sind es aber die mündlichen und die über das Feuilleton vermittelten Diskurse, die im Zentrum stehen . Diese Sprechakte charakterisieren die allgemeine Diskursfä-higkeit . Fachspezifisch werden sie, wenn sie an gattungsspezifische Diskursregeln gebunden werden . Diese Diskursregeln ergeben sich aus der narrativen, inter-pretations- und geschichtskulturellen Kompetenz . Gattungskompetenz bein-haltet die Regeln der anderen Kompetenzen und ermöglicht so Fachdiskurse zu führen .

In gattungsspezifischen Diskursen folgen wir bestimmten Regeln, sonst blei-ben wir „nicht bei der Sache“ oder reden „am Thema vorbei“ . Solche Diskurse wollen der Gattung gerecht werden, nicht einen Text „zerreißen“, weil er ande-ren Gattungsregeln folgt . – In historischen Romanen sind fiktive Personen erlaubt, in der Geschichts-

schreibung nicht . Belletristik darf geschichtswissenschaftliche Lücken aus-füllen .

– Ein Historienfilm muss sich für eine Version entscheiden, Geschichtsschrei-bung kann Alternativen aufzeigen .

– Bildende Kunst darf (ethisch und moralisch) provozieren, z .B . das „Giftgas Giftset“ von Tom Sachs .

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Quelle

(Hitler, Adolf: Mein Kampf, Erstaufl. München: Eher Verlag 1924/25)

Geschichtsschreibung

(Fest, Joachim: Hitler. Eine Biographie, Hamburg: Spiegel Verlag 2007)

Publizistik

(Spiegel, Nr. 34, 23.8.2004)

Film

(Mein Führer, Deutschland: X Verleih AG 2007)

Abb. 36 „Hitler“ in verschiedenen Gattungen – Grundlage für Gattungsdiskurse

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Kompetenzen und Standards232

– Geschichtskulturelle Gattungen sollen einen ästhetischen Zugewinn haben . – Geschichtsschreibung soll einen Wissenschaftsfortschritt haben . Neues Wis-

sen präsentieren oder altes widerlegen . – Geschichtsschreibung muss Belege für ihre Aussagen beibringen,47 Belletris-

tik und bildende Kunst nicht . – Zerstreuung und Unterhaltung vs . Belehrung und Aufklärung – Wissenschaft ist der Rationalität verpflichtet . – Die Differenz zwischen erforschter Geschichte und der Darstellung in kul-

turellen Produkten „messen“ . – Geschichtsschreibung folgt dem Referentionalisierungsgebot und dem Fik-

tionalisierungsverbot .Wohlgemerkt: Ob etwas ästhetisch gelungen oder ethisch vertretbar ist, dafür gibt es keine Regeln . Das ist allein Angelegenheit des Einzelnen . Der Einzelne muss aber für sein Urteil Gründe anführen können .

7.3.4 Geschichtskulturelle Kompetenz

Der geschichtskulturellen Kompetenz geht es um jenen Sektor der gegenwärti-gen Kultur, der Geschichte zum Thema hat . Die ältere Geschichtsdidaktik der 1960er Jahre sprach von „Geschichte und Leben“ . Sie hat aber das Thema nie so richtig in den Griff bekommen, es war mehr ein „Ausblick“ als ein Gegen-stand von Unterricht . Die Verengung des Geschichtsunterrichts in den 1970er Jahren auf einen „Beiträger“ zur politischen Bildung hat ein Übriges getan, Ge-schichtskultur zu vernachlässigen .

Kultur verändert sich und damit auch die Wahrnehmungsweisen von The-men, die sie repräsentiert . Angefangen hat es mit mündlicher Überlieferung, dann wurde die Geschichtskultur mit Schrift und Bild weitergeführt . Mit dem Theater folgte in der Antike das erste audiovisuelle Medium (z .B . Aischylos „Die Perser“) . Schließlich kamen Film und Fernsehen, Schallplatte und Radio hinzu . Heute erweitert das Internet dieses mediale Spektrum . In der Ge-schichtskultur werden die Inhalte durch die sich ständig wandelnden techni-schen Medien (mit-)gestaltet . Zwei Epochen sind dabei im Laufe der Geschich-te zu wichtigen Einschnitten geworden . Um 1800 begann die allgemeine Alphabetisierung, und damit breitete sich das Lesen in immer weiteren Schich-ten aus . Um 1900 entwickelt sich die technische Datenspeicherung mit den Aufzeichnungssystemen von Ton und Bild . Diese Präsentationsformen von historischen Inhalten, angefangen von mündlicher Überlieferung bis zur elek-tronischen Speicherung erzeugen neue Wahrnehmungsweisen von Geschichte .

47 Vgl. zum Alltagsdiskurs: Hans-Jürgen Pandel: Die wechselseitigen Erfahrungen von Er-zähler und Zuhörer im Prozess der historischen Sinnbildung, in: Breyer, Thiemo; Creutz, Daniel (Hrsg.): Erfahrung und Geschichte. Historische Sinnbildung im Pränarrativen, Berlin 2010, S. 93-108.

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7.3 Historische Kompetenzen – ein Modell 233

Sie verlangen ästhetische und ethische Werturteile und erzeugen andere Betei-ligungsangebote . Sie reichen vom einsamen Leser über den Besucher von his-torischen Stätten („HisTourismus“; „Kulturtourismus“48) bis zum Akteur in Living-History-Spektakeln .

Geschichtskulturelle Kompetenz ist die Fähigkeit, sich in dem durch Ge-schichte geprägten Teil der Kultur zu bewegen, d .h . sich in der Vielzahl von kulturellen Situationen, Inszenierungen, Tourismus, Verarbeitungen und auch Kommerzialisierungen bewusst – geschichtsbewusst – zu bewegen . Hier geht es weniger um Gattungen und Institutionen als vielmehr um die Situationen, in denen mit Geschichte umgegangen wird . Sie gilt es wahrzunehmen, Werturtei-le zu fällen und sich an ihnen zu beteiligen . Das Arsenal geschichtskultureller Situationen, Inszenierungen, Verarbeitungen, aber auch Kommerzialisierungen ist unbegrenzt und un ausschöpfbar .

Zur geschichtskulturellen Kompetenz gehört auch eigenes Engagement wie auch Distanz zu bestimmten Ereignissen .

In Florida Fort Lauderdale soll ein „Mauer-Erlebnispark“ entstehen . „Grenz-kontrollen am Eingang bieten sofort echtes Mauerfeeling . Die Erlebnisfahrt in der Anlage verspricht Gänsehaut . Heiße Gotcha-shoot-outs, Stunts, und die Lightshow mit Sirenengeheul und Wachhundeangriff, während GIs unter Ein-satz von Nebelgranaten und Leuchtmunition Flüchtlinge retten . Ein einziges Actionprogramm und realistische Dokumentation zugleich gesteuert von der Regiezentrale werden taktische Einsätze der Grenzposten, spektakuläre Aktio-nen Republikflüchtiger, Mauerbau und Mauerstimmung eindrucksvoll in-szeniert .“49

Um mit solchen geschichtskulturellen Eventangeboten umzugehen, ist das kognitive Wissen der Geschichtswissenschaft kaum gefragt . Ob die Uniform-knöpfe der NVA-Statisten stimmen oder die rekonstruierte Mauer die richtige Höhe hat, ist in diesem Fall unerheblich . Geschichtskulturelle Kompetenz be-zieht sich nicht nur auf die wissenschaftliche Ebene, sondern auch auf die poli-tische, die ästhetische und ethische Urteilsfähigkeit . In Werturteilen werden Handlungen, Ereignissen und Objekten bestimmte Qualitäten zu- bzw . abge-sprochen . Diese Kompetenz nimmt eine Verknüpfung dieser vier Bereiche vor . Nicht alles in der Geschichtskultur ist wissenschaftlich korrekt, politisch akzep-tabel, ethisch vertretbar oder ästhetisch gelungen . Vieles ist kontrovers und wi-dersprüchlich . Manches ist nicht nur geschichtslos (leere Rituale), sondern auch geschmacklos .

48 Mütter, Bernd: HisTourismus . Geschichte in der Erwachsenenbildung und auf Reisen, 2 Bde ., Oldenbourg 2008/2009 .

49 Aus der Werbebroschüre für dieses Projekt, herausgegeben von „Berlin Wall Enterprise, Inc ., Fort Lauderdale“ . Vgl . auch die Berliner Zeitung vom 13 .6 .1995 „Goldbroiler und Todesstreifen“ .

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Kompetenzen und Standards234

7.3.5 Komponenten

Kompetenzen müssen für das schulisch angeleitete Lernen operationalisiert werden; d .h ., sie müssen in einzelne Komponenten zerlegt werden . Bei den Kom-ponenten handelt es sich nicht um sog . Teilkompetenzen, denn diese müssten dann selbst wieder operationalisiert werden . Komponenten sind kein Ergebnis von Nachdenken am Schreibtisch, sondern Ergebnis von Empirie . Analysege-genstand sind die Produkte, die als Ergebnis einer Kompetenz entstehen . Um beispielsweise die Komponenten der narrativen Kompetenz zu finden, muss man Narrationen untersuchen . So beruhen beispielsweise die folgenden Kom-ponenten der narrativen Kompetenz auf einer Analyse von historiografischen Texten von Ranke und Mommsen, Wehler und Nipperdey . Aber auch Texte aus der Publizistik wurden einbezogen: „Spiegel Geschichte“, „Geo Epoche“ sowie die populärwissenschaftlichen Magazine „G-Geschichte“ und „Damals“ . Die Frage einer solchen Analyse ist, was ist diesen Texten gemeinsam, dass man sie als Darstellungen von Geschichte ansehen kann . Zur Kompetenzförderung werden neue Aufgabenformate gesucht, die aber dem Komplexitätsgrad der Kompetenzen Rechnung tragen . Aufgabenformate, die nur eine einzelne Kom-ponente zum Ziel haben („Heute lernen wir Faktualitätsgrade!“) werden ver-mutlich nutzlos sein .

(1) KomponentennarrativeKompetenzNarrative Kompetenz ist die Fähigkeit, aus zeitdifferenten Ereignissen durch Sinnbildung eine kohärente Geschichte herzustellen .

Erzählkompetente Schülerinnen und Schüler – können aus Quellen zeitdifferente Ereignisse entnehmen und sinnbildend zu

einer Erzählung verbinden, – können Widersprüche zwischen Quellenaussagen feststellen und sich für

eine Version begründet entscheiden, – können Sinnbildungsmuster und Verlaufsmodelle auf Ereignisse anwenden

(Aufstiege, Untergänge, Fortschritte, Rückschritte; Eroberungen, Karrieren, Renaissancen, Revolutionen, Kolonialisierung; z .B . Geschichte der DDR als Misserfolgsgeschichte oder als postsozialistische Trotzgeschichte, Geschichte der alten BRD als Erfolgsgeschichte),

– können Handlungssubjekte festlegen, die in der Geschichte handeln und ihre Darstellung in der Erzählung durchhalten; sie müssen entscheiden, ob Personen (Luther), Schichten (Bauern), Ideen (Humanismus) oder Abstrak-ta („die katholische Kirche“) handeln,

– können Anfang und Ende einer Geschichte bestimmen und diese Setzung begründen,

– können in der Darstellung Angaben zur empirischen Triftigkeit durch Ver-weis auf Quellen machen und beim Schreiben die jeweiligen Faktualitätsgra-de (sicher, vermutlich, wahrscheinlich, strittig etc .) angeben,

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7.3 Historische Kompetenzen – ein Modell 235

– können syntaktische und semantische Geschehenskohärenz in der Erzäh-lung herstellen (Globalkohärenz; der „rote Faden“),

– können verschiedene Handlungen als Komponenten eines einzigen Gesche-hens darstellen (hierarchische Komplexität; Ereignistiefe),

– können bewusst perspektivisch schreiben und im Text auch Gegenperspek-tiven einnehmen,

– können vorhandene Darstellungen perspektivisch umschreiben, – können diskursive Elemente in die Darstellung einfügen und begründen,

warum sie so und nicht anderes schreiben, – können sich mit konkurrierenden Darstellungen auseinandersetzen (Kon-

troversität, Deutungskonkurrenz), – können Erzählperspektive festlegen und in der Darstellung auch durchhal-

ten, – können eine Erzählung aufgrund anderer Quellen, Wertungen etc . umer-

zählen, – besitzen Darstellungsfähigkeit und können selbst eine Geschichte nach his-

toriografischen Regeln schreiben .

(2) KomponentenderInterpretationskompetenzInterpretationskompetenz50 ist eine Fähigkeit, durch schwierigkeitsausräumen-de Operationen den kulturellen Gebilden menschlicher Lebensäußerungen (Texten, Bildern, Gegenständen) Sinn zu entnehmen .

Interpretationskompetente Schülerinnen und Schüler – können die konkrete Quellengattung benennen und ihren jeweiligen Aussa-

gewert abschätzen (Brief, Zeitung, Rede, Lied etc .; Miniatur, Historienge-mälde, Foto etc .),51

– können den Wissenshorizont des Autors/Malers (Augenzeuge, Zeitzeuge, historischer Historiker) bestimmen,

– können den Wert der Quelle (Verlässlichkeit) abschätzen, indem sie die Dif-ferenz von Ereignis- und Abfassungszeit in Rechnung stellen (zeitgleich, zeitnah, rückblickend),

– können die Standortgebundenheit des Autors/Malers/Künstlers (ethnisch, sozial, religiös, politisch etc .) definieren und sie an den Quellenaussagen nachweisen,

50 Pandel, Interpretation, in: Mayer, Ulrich u .a . (Hrsg .): Wörterbuch Geschichtsdidaktik, 2 . erweiterte Auflage, Schwalbach/Ts . 2009, S . 108-109 .

51 Pandel, Hans-Jürgen: Quelleninterpretation . Die schriftliche Quelle im Geschichtsunter-richt, 3 . Aufl ., Schwalbach/Ts . 2006; Pandel, Hans-Jürgen: Quelleninterpretation, in: Mayer, Ulrich; Pandel, Hans-Jürgen; Schneider, Gerhard (Hrsg .): Handbuch Methoden im Geschichtsunterricht, 2 . überarbeitete Auflage, Schwalbach/Ts . 2007, S . 152-171 .

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Kompetenzen und Standards236

– können in Quellen den zeitgebundenen/epochenspezifischen Sinn wahr-nehmen und die Andersartigkeit der Vergangenheit im Vergleich zur Gegen-wart beschreiben (Alterität),

– können durch die Sprachgestalt der Texte bzw . die Zeichen des Bildes hin-durch Ereignisse der vergangenen Wirklichkeit benennen („Spurensuche“),

– können Quellensprache sowie figurativen Sprachgebrauch in heutige Um-gangssprache übersetzen,

– können in Bildquellen Bild- und Farbsymbolik in Sprache übersetzen (Rote Fahne, Gelber Judenstern, Menora, Halbmond etc .),

– kennen Kollektivsymbolik, – können Aussagen über die Wirkungsgeschichte der Quelle in ihrer Gegen-

wart und der darauffolgenden Zukunft („vergangene Zukunft“) beschreiben (Privatbrief vs . Kommunistisches Manifest; Historienbild vs . Landserfoto),

– können mit historischer Semantik (Begriffsgeschichte) umgehen, indem sie die Historizität von Sprache erkennen (der gleiche Wortkörper meint zu verschiedenen Zeiten etwas anderes; z .B . Begriffswandel Bürger von „Stadt-bürger“ zu „Staatsbürger“ oder von der „Policey“ zur „Polizei“),

– können das Verfahren der Ideologiekritik anwenden, indem sie auf der Ebe-ne der Sprache Täuschungen und Selbsttäuschungen auffinden,52

– können Ideologie in Begriffen, Stilmitteln und Argumentationsfiguren ent-decken und sie Ideologietopografien („Sprachlandschaften“) zuordnen,

– können ideologische Elemente auch in Bildquellen erkennen und sprachlich benennen,

– können verborgene und manifeste Wertungen erkennen und ungerechtfer-tigte Wahrheitsansprüche zurückweisen,

– können Überlegungen anstellen, was der Autor eventuell verbirgt, verhüllt verschweigt, übergeht (Verfahren der Unterstellung),

– können mit der Methode des Vergleichs Fremdes mit Bekanntem entschlüs-seln,

– können Gegenstände (Sachquellen) interpretieren, d .h . im unbelebten Ding die Geschichten seiner längst vergangenen Benutzer wiederentdecken,

– können eine Interpretation nach einem Interpretationsmodell schreiben .

(3) KomponentenderGattungskompetenzUnter Gattung werden Texte (Bilder etc .) mit gemeinsamen formalen, struktu-ralen und inhaltlichen Gemeinsamkeiten zusammengefasst . Gattungskompe-tenz ist die Fähigkeit, die verschiedenen wissenschaftlichen, literarischen und künstlerischen Formen, in denen Geschichte dargestellt wird, zu unterschei-

52 Bergmann, Ideologiekritik, in: Mayer, Ulrich; Pandel, Hans-Jürgen; Schneider, Gerhard (Hrsg .): Handbuch Methoden im Geschichtsunterricht, 2 . überarbeitete Auflage, Schwalbach/Ts . 2007, S . 137-151 .

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7.3 Historische Kompetenzen – ein Modell 237

den und ihre unterschiedlichen Aussageintentionen zu erkennen (Gattungser-wartung) .

Gattungskompetente Schülerinnen und Schüler – erkennen, dass die Gattungen, in denen Geschichte dargestellt wird, den

Inhalt immer in bestimmter Weise formen („the content of the form“), – können aufgrund von Textmerkmalen die verschiedenen Schriftgattungen

unterscheiden, die Geschichte darstellen (Quelle, Historiografie, Publizistik, Belletristik),

– können verschiedene Quellengattungen unterscheiden (Annalen, Reden, Zeitungen, Briefe etc .) und ihre Aussageintentionen bestimmen,

– können die verschiedenen Gegenstandsgattungen unterscheiden (Original, Replikat, Modell),

– können Bildgattungen unterscheiden: Bildquelle, Rekonstruktionszeich-nung, Illustrationszeichnung (Illusionsbild),

– können Fotografien als historische Fotografien anhand von Kleidung, Frisu-ren, Gegenständen erkennen,

– können die für Geschichte grundlegenden Filmgattungen unterscheiden (Filmdokumente, Dokumentarfilm, historischer Historienfilm, Historien-film, historischer Spielfilm),

– können die verschiedenen epochenspezifischen Bildquellen benennen, die sich im Laufe der Geschichte herausgebildet haben und ihre Merkmale be-schreiben: Höhlenmalerei, Wandmalerei, Vasenmalerei, Miniatur, Stich, Gemälde, Historienbild etc .,

– können die Nähe bzw . Ferne zur Authentizität bestimmen, – können Authentizitätsgrade bestimmen: ereignisauthentisch, quellenau-

thentisch, typenauthentisch, erlebnisauthentisch, – können konkrete Fälschungen des historischen Diskurses erkennen (z .B .

Hitlertagebücher, Rauschnings „Gespräche mit Hitler“, „Karl-Ernst-Proto-koll“ zum Reichstagsbrand),

– können historiografische und fiktionale Texte anhand von formalen Merk-malen unterscheiden: Figurenrede, Gedankenrede, Identität und Nichtiden-tität von Autor und Erzähler; Fußnoten, Literaturverzeichnis,

– knüpfen an Gattungen bestimmte Erkenntniserwartungen, die sie auch formulieren können,

– können gattungsangemessene Diskurse („Diskursgenres“) führen .

(4) KomponentengeschichtskulturellerKompetenzGeschichtskulturelle Kompetenz ist die Fähigkeit, sich mit wissenschaftlichen, rhetorischen, imaginativen, ästhetischen und diskursiven Formen gegenwärti-ger Darstellung von Geschichte auseinanderzusetzen .

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Kompetenzen und Standards238

Geschichtskulturell kompetente Schülerinnen und Schüler – kennen die Begriffe Geschichtskultur, Erinnerungskultur, Geschichtspolitik

und können deren Unterschiede benennen, – kennen sich in geschichtskulturellen Sinndeutungen aus, die der Logik und

Rationalität der Wissenschaften, der imaginativen und rhetorischen Logik oder ideologischen Interessen folgen,

– können sich über den geschichtswissenschaftlichen Tatsachenkern kulturel-ler Objektivationen und Inszenierungen informieren (z .B . historische Ro-mane, Feiern, Feste),

– erkennen die Unterschiede der ästhetischen, rhetorischen und diskursiven Verarbeitungen von Geschichte und können ihre Merkmale benennen,

– entwickeln Sensibilität für historisch belastete Ausdrücke und Sprachformen (etwa in der Werbung mit dem NS-Slogan am KZ-Eingang „Jedem das Sei-ne“),

– erkennen, dass geschichtskulturelle Produkte vergangene und gegenwärtige Ereignisse verbinden (z .B . Grass’ Gustloffnovelle),

– können an geschichtskulturellen Events teilnehmen und Geschichte an ori-ginalen Orten denkend nachvollziehen („HisTourismus“),

– können Imaginationen als Vervollständigung des Unvollständigen erken-nen,

– können mit ästhetischer, künstlerischer Verarbeitung bildender Kunst, Lite-ratur, Theater und Film umgehen,

– können strittige Deutungen von Geschichte einschließlich Erinnerungskon-flikten erkennen („Schön war’s in der DDR“),

– können über einen historischen Sachverhalt kontrovers diskutieren (z .B . Goldhagen-Debatte, Aly-Kontroverse),

– können kontrafaktische Verarbeitungen von Geschichte in Legenden, Lügen und Alltagsmythen erkennen,

– können kontrafaktische Geschichten („Was wäre wenn . . .“) als kontrafakti-sche Darstellungen erkennen und selbst kontrafaktische Überlegungen an-stellen,

– erkennen, dass kontrafaktische Darstellungen, auch wenn sie nicht der Rati-onalität der Wissenschaft folgen, nicht „falsch“ sind,

– können in imaginativen und rhetorischen Produkten politische Absichten erkennen,

– erkennen ethische Grenzen der Darstellung von Geschichte („Darf man über den Holocaust lachen?“) und entwickeln Sensibilität für die Betroffenheit anderer gegenüber solchen Darstellungen,

– können wissenschaftliche, politische, moralische und ästhetische Werturteile über geschichtskulturelle Objektivationen und Events fällen .

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7.3 Historische Kompetenzen – ein Modell 239

(5) AusprägungsniveausKinder, Jugendliche und Erwachsene machen von ihren Kompetenzen in unter-schiedlicher Weise Gebrauch . Lesen, Erfahrung und Übung spielen dabei eine Rolle . Für den Geschichtsunterricht kann man die jeweilige Aktualisierung der Kompetenz nach Niveaus der Elaboriertheit und Komplexität entlang der Lern-alter der Erzähler anordnen: vom einfachen schlichten Erzählen bis zur diskur-siv angereicherten Form . Der Begriff „Stufe“ (→ S . 123 ff .) ist missverständlich, da es eine saubere Trennung nicht gibt . Auch einzelne Schüler, deren Erzählun-gen durch Elemente des Niveaus 2 gekennzeichnet sind, werden bisweilen in korrekter Form zitieren können, eine Leistung, die man erst auf dem Niveau 3 erwarten darf .

Für die narrative Kompetenz lassen sich beispielsweise drei Realisierungs-niveaus unterscheiden .

Realisierungsniveau1Fakten und Fiktionen auseinanderhalten; wahrheitsfähige von erfundenen Ge-schichten unterscheiden; durchgehende Handlung, roter Faden; Handlungs-subjekte festlegen und durchhalten; Präteritum als Tempus des historischen Erzählens verwenden .

Realisierungsniveau2Zeitindizes benutzen (von der Nennung von Jahreszahlen bis zum Gebrauch von Zeitadverbien: vorher, nachher, kurz danach); Pronominalverkettung vorneh-men; Widersprüche feststellen; mit kollektiven Handlungssubjekten umgehen .

Realisierungsniveau3Faktualitätsgrade angeben; korrekt zitieren können; Einwände vorwegnehmen, mit Deutungskonkurrenzen umgehen („andere sagen . . .“); Theorien und no-mologische Aussagen (kritisch) benutzen; Bedingungsangaben machen („wenn – dann“); diskursive Elemente benutzen .

Diese Niveaus sind ein theoretischer Vorschlag, der nicht empirisch überprüft ist . Ob eine empirische Untersuchung nützlich ist, ist allerdings zweifelhaft . Solche Anforderungsniveaus sind Ergebnis curricularer Überlegungen . Sie spie-geln keine psychologischen „Entwicklungsstufen“ der Schülerinnen und Schüler und auch keine innere „Sachlogik“ wider . Sie beruhen vielmehr auf europäischen Konventionen, die curricular gesetzt werden . Die Fachkonferenzen in den Schu-len sollten solche Realisierungsniveaus vereinbaren, um eine kontinuierliche Kompetenzförderung über die Schuljahre hinaus zu ermöglichen .

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Inhalt

Einleitung: Erweiterungen und Verengungen in der Geschichtsdidaktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 . Geschichtsdidaktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

1 .1 Anfänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 .2 Historisches Denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 .3 Geschichtsdidaktik als Kulturwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . 241 .4 Inhaltsfelder der Geschichtsdidaktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

2 . Logik der Geschichtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512 .1 Geschehene – referierte – dargestellte Geschichte . . . . . . . . . . 512 .2 Basistheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 612 .3 Narrativität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

3 . Geschichtsunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1073 .1 Definitionsmerkmale von Unterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1073 .2 Strukturmomente des Geschichtsunterrichts . . . . . . . . . . . . . 111

4 . Geschichtsbewusstsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1234 .1 Stufentheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1234 .2 Sozialisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1274 .3 Geschichtsbewusstsein als Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1294 .4 Geschichtsbewusstsein als dimensionierte Struktur . . . . . . . . . 1374 .5 Gedächtnisforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1504 .6 Genese von Geschichtsbewusstsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

5 . Geschichtskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1615 .1 Erinnerungskultur – Geschichtspolitik – Geschichtskultur . . . 1615 .2 Begriff Geschichtskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1645 .3 Merkmale von Geschichtskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1675 .4 Geschichtsdidaktik und Geschichtskultur . . . . . . . . . . . . . . . . 172

6 . Didaktische Konstruktion: Themen und Inhaltsbestimmung . . . . . . 1796 .1 Kulturelles Selbstverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1806 .2 Richtlinien als staatliche Verwaltungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . 1816 .3 Geschichtsdidaktische Modelle der Inhaltsbestimmung . . . . . 1876 .4 Lehrplanentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1936 .5 Ungelöste curriculare Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196

7 . Kompetenzen und Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2077 .1 Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2077 .2 Kompetenzmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2117 .3 Historische Kompetenzen – ein Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221

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Baas
Hervorheben

4 Inhalt

7 .4 Bildungsstandards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2357 .5 Soziologie der Kompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240

8 . Methodik: Grundsätze und Regeln methodischen Handelns . . . . . . 2478 .1 Didaktik – Methodik – Pragmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2498 .2 Eine Basisregel und drei Grundsätze einer Methodik historischen Lernens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2518 .3 Methodenbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2628 .4 Lernortabhängige Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268

9 . Präsentationsformen: Die Medien historischen Denkens und Lernens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271

9 .1 Medienbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2719 .2 Medien als geschichtsdidaktische Präsentationsformen . . . . . . 2749 .3 Lernen mit und an Präsentationsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2819 .4 Praxisprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289

10 . Arbeits- und Sozialformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30710 .1 Arbeitsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30710 .2 Sozialformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307

11 . Methodische Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33111 .1 Gegenwartsorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33311 .2 Forschendes und entdeckendes Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33711 .3 Problemorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34011 .4 Wissenschaftsorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34311 .5 Multiperspektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35011 .6 Erfahrungsorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35311 .7 Handlungsorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35411 .8 Methodenorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35511 .9 Projektorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357

12 . Geschichtsdidaktische Unterrichtsplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36112 .1 Planungsebenen und Planungsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . 36412 .2 Vom „erfolgreichen“ zum „guten“ Geschichtsunterricht . . . . . 419

13 . Forschung in der Geschichtsdidaktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43113 .1 Forschungsebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43113 .2 Nutzen für die Praxis und offene Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . 443

Ein Nachwort: Falscher Unterricht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473

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