62
Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! Die europäische Verfassungskrise als Demokratieproblem

Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

  • Upload
    hangoc

  • View
    215

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

1Die europäische Verfassungskrise als Demokratieproblem

Heinz Kleger

Erfolgreich gescheitert!

Die europäische Verfassungskrise als Demokratieproblem

Page 2: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

2 WT-Papiere 4

Bibliografische Information Der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deut-schen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internetüber http://dnb.ddb.de abrufbar.

WeltTrends-PapiereISSN 1864-0656

Die Reihe wird herausgegeben von Azadeh Zamirirad, M.A.,Universität Potsdam, im Auftrag von WeltTrends e.V.

Band 4 (2007)Die europäische Verfassungskrise als DemokratieproblemISBN 978-3-939469-90-2

Satz: Martin Anselm MeyerhoffDruck: Audiovisuelles Zentrum der Universität PotsdamVertrieb: Universitätsverlag Potsdam, Am Neuen Palais 10, 14469 Potsdam

Fon +49 (0) 331 977 4517 / Fax 4625, e-mail: [email protected],http://info.ub.uni-potsdam.de/verlag.htm

© 2007 WeltTrends e.V.

Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne vorherigeGenehmigung der Herausgeber nicht vervielfältigt werden.Preis: 5 €Bestellung: [email protected] oder [email protected]

Page 3: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

3Die europäische Verfassungskrise als Demokratieproblem

Inhaltsverzeichnis

Einleitung 41. Worin besteht die Verfassungskrise? 62. Worin besteht die europäische

Dimension der Verfassungskrise? 83. Der Laeken-Prozess 114. Die Dynamik des Konvents und der

Verfassungsentwurf 125. Der Ratifizierungsprozess 166. Ratifizierungskrise als Verfassungskrise 237. Nationale Debatten zum europäischen

Verfassungsvertrag 318. Der Gipfel der Entscheidungen

(21./22. Juni 2007) 409. Erfolg und Misserfolg 4610. Wie geht es weiter? 54

Prof. Dr. Heinz Kleger, geb. 1952, Philosophund Sozialwissenschaftler, lehrt Politische The-orie an der Universität Potsdam und an derEuropa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder.Forschungsthemen: Politische Theorie, Bürger-schaft und Demokratie in Europa.Publikationen (u.a.): Von der Agglomerationzur Städteregion, Berlin 2006; Stadt der Bür-gerschaft, Potsdam 2007.E-Mail: [email protected]

Page 4: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

4 WT-Papiere 4

I

1 Diese Thesen sind zum ersten Mal vorgetragen worden auf einer Ta-gung der Tschechischen Akademie der Wissenschaften in Prag: TheLegitimacy Problem of the European Union. Normative Theories andPublic Debates in New and Old Member States, 27.-29. Juni 2007.

Heinz Kleger

Die europäische Verfassungskriseals Demokratieproblem

m Folgenden soll versucht werden, das Scheitern deseuropäischen Verfassungsvertrages zu analysieren und

zu bewerten. Dabei wird die europäische Verfassungs-krise primär als Ratifizierungskrise begriffen.1 Das Ver-fassungsprojekt selber ist seit der Erklärung von Laekenweit gediehen und hat Spuren hinterlassen. Es ist mithinerfolgreich gescheitert. Sein größter Erfolg besteht darin,die Diskussion über die Natur, das Ziel und die Werteder EU wieder in Gang gebracht zu haben. Die demo-kratische Auseinandersetzung über die EU ist europaweitgewachsen, und zwar nicht nur unter den sogenanntenEliten.

Das transnationale Verfassungsexperiment ist aberauch gescheitert, teilweise sogar auf enttäuschende Wei-se. Auch das ist aufschlussreich. Für diese Enttäuschun-gen spielen Erwartungshaltungen eine Rolle, in derenPerspektive die Analyse durchgeführt wird. Oft sind dieErgebnisse des Verfassungsprozesses eher überraschendals enttäuschend, bisweilen sind sie aber auch eher ent-täuschend als überraschend. Somit ernüchtern und er-mutigen sie zugleich. Solche Erfahrungen schaffen Hal-

Page 5: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

5Die europäische Verfassungskrise als Demokratieproblem

2 So Max Webers berühmte Formulierung im Schlussabschnitt seinesVortrages über ‚Politik als Beruf’ (1919). Politik erweitern wir im Fol-genden demokratisch auf die Bürger als Gelegenheitspolitiker, und Po-litische Theorie verstehen wir ebenso als Beruf im Sinne von Lehre undForschung.

tungen, die es verstehen, hartnäckig zu bleiben – Politikim Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur Kenntnis zu nehmen. In diesem Trotzdem denk-barer möglicher Handlungen besteht politisches Denken:Common sense trotz Diskurs (Konsens/Dissens), Spezia-lisierungen und Anomien; Zurechenbarkeit trotz Kontin-genz; Demos (Volk als abstrakte Gemeinschaft) trotz eth-nischer und anderer Gemeinschaftsbezüge; eine öffent-liche Sphäre trotz Privatheit; horizontales Handeln trotzvertikaler Macht. Zudem gehört es zum politischen Weg,aus Rückschlägen zu lernen. Demgemäß ist politischeTheorie als Praxis des Bohrens auf eine gewisse Kontinu-ität trotz Krisen angewiesen. Diese Kontinuität ist alskonstruktiv-praktische Arbeit vermittelt über Ideenge-schichte und die gemeinsame Deutung historischer Er-fahrungen. Theorie in ihrem Freiraum als Analyse, Refle-xion und Interpretation versucht darüber hinaus an ge-wissen Stellen, Tiefenbohrungen anzusetzen.

Diese beschäftigen sich im Folgenden vor allem mit:– der Verfassungskrise,– der Verfassungskrise als Ratifizierungskrise,– der demokratischen Legitimation einer EU-Verfassung

sowie– den Demokratieproblemen in Europa.

Page 6: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

6 WT-Papiere 4

1. Worin besteht die Verfassungskrise?

Die aktuelle Verfassungskrise ist Ausdruck der Heraus-forderungen bei der Etablierung einer mehrstufigen trans-nationalen Demokratie. Dabei geht es vor allem um die(direktdemokratische) Einbindung der Unionsbürger so-wie die Überwindung der zweckfremden Instrumenta-lisierung europäischer Themen. Das aus dem Altgriechi-schen stammende Wort ‚Krise’ bedeutet im heutigenSprachgebrauch einen Höhe- oder Wendepunkt einergefährlichen Entwicklung. Worin besteht nun die gefähr-liche Entwicklung? Es ist unzulänglich, diese Gefahr inder schlichten Unterbrechung des vorgesehenen Ratifizie-rungsprozesses in Folge der Negativreferenden in Frank-reich und der Niederlande zu sehen – quasi als Verzöge-rung in der Umsetzung einer vereinbarten Politikentschei-dung. Dies würde die europäische Verfassungsgebung aufden Entscheidungsprozess verkürzen.

Die Negativvoten sind aus demokratietheoretischerPerspektive zunächst keinesfalls als Rückschlag zu be-trachten, sondern als Ausdruck einer demokratischenEntscheidung des französischen und niederländischenSouveräns. Referenden bergen per se das Risiko einerunverhofften Entscheidung; schließlich stellt der offeneCharakter des Entscheidungsprozesses das Grundprinzipder Demokratie dar – Demokratie ist immer ein Risiko.Darin liegt weniger eine Gefahr als ein Potenzial für dieEtablierung einer transnationalen Demokratie; erst durchdie aktive Mitgestaltung der Unionsbürger kann eineBürgergesellschaft bzw. eine Bürgerschaft entstehen, wel-

Page 7: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

7Die europäische Verfassungskrise als Demokratieproblem

3 Siehe z. B. Julia Blaseck: Vom Euroskeptizismus zum Integrations-widerstand? Eine empirische Analyse der französischen Bevölkerungs-einstellungen zum Prozess der europäischen Integration, Berlin 2007.

4 Siehe dazu z. B. die Rolle von Laurent Fabius in der sozialistischen ParteiFrankreichs (PS). Vgl. Laurent Fabius : Une certaine idée de l’Europe,

che zunehmend die europäische Dimension einschließt– transnational und nicht postnational.

Die Krise besteht nun in zwei Beobachtungen: Einer-seits sind die Negativvoten in Frankreich und den Nie-derlanden Ausdruck des Entzugs des permissiven Kon-senses der Bevölkerungen bezüglich des europäischenEinigungsprozesses.3 Die europäische Integration betrifftzunehmend die Bürger, ohne dass diese hinreichend(direktdemokratisch) in die Entscheidungsprozesse ein-bezogen werden. Abstrakt betrachtet, kann der Rück-schlag darin gesehen werden, dass die Entscheidung derjeweiligen Exekutivorgane nicht deren Volkswillen ent-sprach; das heißt, dass der überzeugungskräftige Aus-tausch zwischen Volk und politischer Elite zu gering waroder auch das Verhalten der Eliten zu widersprüchlich.Die Einbindung der Unionsbürger ist jedoch die ersteHerausforderung für die Etablierung einer reellen trans-nationalen Demokratie.

Andererseits lässt sich am Beispiel Frankreichs und derNiederlande – aber keinesfalls nur in diesen beiden Mit-gliedstaaten – deutlich erkennen, dass die EuropäischeUnion nicht nur durch das Prisma nationaler Politik in-terpretiert und bewertet wird, sondern ebenso deutlichfür die innenpolitische Parteiprofilierung und persönli-che Ambitionen4 verwendet wird. Hier muss man aufDetails beharren. Die zweckfremde Instrumentalisierung

Page 8: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

8 WT-Papiere 4

Paris 2004. Ausführlicher dazu Heinz Kleger: EU-Verfassung im Härte-test, in: WeltTrends 48 2005, S. 93-107.

europäischer Themen stellt deshalb die zweite Heraus-forderung für die Entwicklung zu einer transnationalenDemokratie dar.

2. Worin besteht die europäische Dimension derVerfassungskrise?

Die Erosion des permissiven Konsenses als kritischesMoment im europäischen Einigungsprozess ist wenigerein europäisches Problem als eines von einigen (alten)Mitgliedstaaten. Die neuen – und damit aktuell fast dieHälfte der Mitgliedstaaten – haben mit ihren Beitritts-referenden ihre prinzipielle Unterstützung der europäi-schen Integration zum Ausdruck gebracht.

Eine output-orientierte Betrachtung der Ratifizierunglegt nahe, dass die Verzögerung des Verfassungsprozessesdurch die Negativvoten in Frankreich und den Nieder-landen eine europäische Krise ausgelöst hat, da die Nicht-ratifizierung des europäischen Verfassungsvertrages letzt-lich alle Mitgliedstaaten betrifft. Diese technokratischeSicht auf die EU ignoriert jedoch den tieferliegendenCharakter der Verfassungskrise, nämlich den Entzug despermissiven Konsenses. Das Verschwinden des permis-siven Konsenses in den alten Mitgliedstaaten ist demo-kratietheoretisch positiv zu bewerten. Er bringt den Wil-len der Bevölkerung zum Ausdruck, auf den Entschei-dungsprozess der EU mehr Einfluss nehmen zu wollen.Diesem Willen hätte bei den Ratifizierungsverfahren mehr

Page 9: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

9Die europäische Verfassungskrise als Demokratieproblem

Aufmerksamt geschenkt werden sollen. In den neuenMitgliedstaaten wird die EU als legitim angesehen undwird sogar in einigen Ländern wie Polen mit der Hoff-nung verknüpft, die Funktionsweise von nationalstaat-lichen Institutionen dank der EU verbessern zu können.Man könnte diesbezüglich sogar die These wagen, dassdie EU gegenwärtig das Gros ihrer Anerkennungswürdig-keit (Legitimität) aus der letzten Osterweiterung schöpft.Dies führt aber offensichtlich zu einem Dilemma: DieMacht in der EU verschiebt sich mit der doppelten Mehr-heit in Richtung des hegemonialen Quartetts (Deutsch-land, Frankreich, Großbritannien, Italien). Die Legitima-tion der EU wird aber vor allem aus der Unterstützungder neuen Mitglieder geschöpft, denn es waren die altenMitglieder, welche die Ratifizierungs- und Verfassungs-krise ausgelöst und die meisten institutionellen Neuerun-gen blockiert haben (Großbritannien, Niederlande). DieFolge ist, dass diese Machtstruktur instabil sein wird, weilsie auf einer Machtasymmetrie basiert (größtenteils zwi-schen den alten und den neuen Mitgliedstaaten), die beiweiterer Erosion der Legitimität der EU in den neuenMitgliedern das gesamte Institutionengefüge in Frage stel-len wird. Der Nizza-Vertrag basierte ebenfalls auf eineMachtasymmetrie, allerdings zugunsten der kleinen Mit-gliedstaaten

Die diagnostizierten Krisenmerkmale bei der Heraus-bildung einer transnationalen Demokratie sind nicht inallen Mitgliedstaaten in gleichem Maße erkennbar. In denneuen Mitgliedstaaten kann die These des Entzugs despermissiven Konsenses so nicht aufrechterhalten werden.

Page 10: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

10 WT-Papiere 4

Bis auf Zypern, Rumänien und Bulgarien haben alle 2004bzw. 2007 beigetretenen Mitgliedstaaten Beitrittsrefe-renden durchgeführt. Dabei dominierte die Argumenta-tion, dass bereits das EU-Beitrittsreferendum ausreichendLegitimität für die Ratifizierung des Verfassungsvertragesgeliefert habe; schließlich war bereits im Jahr 2003 ab-sehbar, dass die europäische Integration fortgesetzt wür-de. Kritisch muss jedoch angemerkt werden, dass diekonkreten Ergebnisse des Konvents teilweise noch nichtbekannt waren und erst recht nicht die Änderungen derRegierungskonferenz.

Ein Gegenbeispiel zu dieser Argumentation (mit Fol-gen bis heute) liefert die polnische Verfassungsdebatte.Die Reform des Abstimmungssystems hin zur doppeltenMehrheit wurde im Konvent erst relativ spät aufgenom-men. So begründete die ehemalige SLD-Regierung alsauch die amtierende PiS-Koalition ihre ablehnende Hal-tung mit dem Hinweis darauf, dass die polnische Bevöl-kerung nicht zuletzt dem EU-Beitritt zugestimmt hat, weildie Stimmenverteilung im Ministerrat gemäß dem Ver-trag von Nizza als für Polen vorteilhaft wahrgenommenwurde. Diese Argumentation trug dazu bei, dass dieDurchführung eines Referendums in Polen von fast allenParteien favorisiert wurde.

Die anspruchsvolle Vision einer transnationalen Bür-gerschaft als einer Dimension von Bürgerschaft und De-mokratie in Europa unterstellt einen aktiven Souverän,der auch an der inhaltlichen Gestaltung teilnimmt. Umdas Spannungsverhältnis zwischen deliberativer Mei-nungsbildung und institutioneller Entscheidungsfindung

Page 11: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

11Die europäische Verfassungskrise als Demokratieproblem

bzw. zwischen der direkten Demokratie der Bürger undder Politik der Vertreter in einen dynamischen Austausch-prozess zu überführen, ist eine lebendige, liberale Öf-fentlichkeit als Transmissionsriemen erforderlich. Umdiesem europapolitischen Demokratiedefizit entgegen-zuwirken, wurde der Laeken-Prozess initiiert.

3. Der Laeken-Prozess

Die Erklärung von Laeken Ende 2001 sah die Union zu-recht an einem „entscheidenden Moment ihrer Geschich-te“. Die Überwindung der Teilung Europas verlangte einneues Konzept des Zusammenlebens von Staaten undVölkern. Als erstes wurde daher in dieser Erklärung „diedemokratische Herausforderung Europas“ genannt: DieEU muss in erster Linie den Bürgern näher gebracht wer-den, die eine „bessere demokratische Kontrolle“ wün-schen. Dies wird in der Erklärung nicht nur beiläufig er-wähnt, sondern steht im Mittelpunkt. Erst im Zusammen-hang mit dieser demokratischen Vertiefung werden so-dann die weiteren Ziele wie Effizienz, Transparenz unddeutlichere Kompetenzverteilung zwischen Regionen,Mitgliedstaaten und der EU genannt. Die „Erwartungendes europäischen Bürgers“ bilden den Fokus des Doku-ments, in dem – davon abgeleitet – die konkreten Aufga-ben gestellt werden, die der einberufene Konvent beant-worten soll. Die Fragen von Laeken bestimmen den Wegzu einer „Verfassung der europäischen Bürger“.

Folgende Aufgaben werden ausdrücklich als Auftragformuliert:

Page 12: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

12 WT-Papiere 4

– bessere Aufteilung und Festlegung der Zuständigkei-ten

– Vereinfachung der Instrumente– mehr Demokratie– Transparenz und Effizienz– Vereinfachung der bestehenden Verträge– Neuordnung der Verträge– Aufnahme der Charta der Grundrechte– Kernbestandteile und Werte einer europäischen Ver-

fassung

Schließlich wurde die Einberufung eines Konvents be-schlossen, dessen Zusammensetzung, Dauer und Arbeits-methoden einschließlich der Abfassung eines Schluss-dokuments konkretisiert wurden. Damit waren die Fra-gen gestellt und die Methoden zu ihrer Beantwortunggenannt. An beidem sollte der Verfassungsprozess gemes-sen werden. Wir wenden also ein rekonstruktives undzugleich konstruktives Kritikverfahren an. Die immanenteKritik geht dabei in Richtung der demokratischen Legiti-mation einer spezifischen EU-Verfassung, die nicht staats-fixiert, komplementär und transnational ist.

4. Die Dynamik des Konvents und derVerfassungsentwurf

Der nächste Schritt nach Laeken war der Konvent. Erentwickelte eine eigene Dynamik und machte schließlich2002/03 die europäische Verfassung zu seiner eigenenSache. Der Verfassungskonvent bedeutete in zweierlei

Page 13: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

13Die europäische Verfassungskrise als Demokratieproblem

5 Die Bewertung „unterschätzt“ bezieht sich auf zweierlei: Zum einenversucht die Charta, den Schutz der Grundrechte insofern zu stärken,als sie – wie es in der Präambel heißt – sichtbarer gemacht werden sol-len. Zum anderen versuchen die sechs Kapitel der Grundrechte nichtnur Freiheit und Gleichheit auszubalancieren, sie enthalten auch wirt-schaftliche und soziale Grundrechte (3-Säulen-Modell nach Meyer). Siebedeuten zudem auch deren Modernisierung in bezug auf den techni-schen und medizinischen Fortschritt. Wenn man die spezifisch europä-ischen Werte sucht, dann findet man sie hier: in der Verarbeitung spe-zifisch historischer Erfahrung, aus der sie (mit der sogenannten ‚europä-ischen Identität’) entstehen. Der Unterschied des ‚europäischen Gesell-schaftsmodells’ (bei allen Varianten des Wohlfahrtsstaates) zum ‚ame-rikanischen Gesellschaftsmodell’ (das keine Schutzpflicht des Staatesgegenüber den Kräften des Marktes kennt) kann ebenfalls hier verortetwerden.

6 Die Charta wurde später vom Verfassungskonvent als Teil II mit eigenerPräambel in den Entwurf für den europäischen Verfassungsvertrag auf-genommen.

Hinsicht eine Fortentwicklung des Grundrechtekonvents,der 1999 die Arbeit aufnahm und insgesamt 18 mal tag-te. Er wird unterschätzt5 , obwohl er einen wichtigenAnstoß zum europäischen Verfassungsprozess gab.6 Zumeinen wurden auch Delegierte aus Kandidatenländern(selbst aus der Türkei) einbezogen, zum anderen wurdensowohl ein Forum der Zivilgesellschaft als auch ein Ju-gendkonvent eingerichtet. Zusammen mit dieser Öffnungund dadurch bedingt der weiten Öffentlichkeit des Kon-vents sowie der beständigen Möglichkeit der Internet-kommunikation waren dies durchaus Schritte in die rich-tige Richtung zu mehr Demokratie, die natürlich von den„variablen Bürgern“ unterschiedlich wahrgenommenwurden. Der variable Bürger der EU ersetzt den „modu-

Page 14: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

14 WT-Papiere 4

7 Vgl. Ernest Gellner: Nationalismus und Moderne, Berlin 1995; ders.:Bedingungen der Freiheit, Stuttgart 1994.

8 Ausführlich dazu Heinz Kleger (Hrsg.): Der Konvent als Labor, Münster2004; vgl. auch: Der Weg zum EU-Verfassungskonvent, Berichte undDokumentation, Deutscher Bundestag: Referat Öffentlichkeitsarbeit 5/2002; Klemens H. Fischer: Konvent zur Zukunft Europas, Wien 2003.

laren Menschen“, welcher im Kontext des modernenNationalstaates seine Freiheit fand.7

Der Konvent leistete einen Beitrag zur Demokratisie-rung der EU insofern, als er ein Mehr an Öffentlichkeit,ein Mehr an Effektivität und ein Mehr an Deliberationleistete.8 Wenngleich Deliberation nicht mit Demokra-tie gleichzusetzen ist, so ist diese doch eine wichtigeVorstufe für demokratische Entscheidungsfindung. Zwarwaren auch die Sitzungen des Konvents von einem ide-alisierten Diskurs weit entfernt, dennoch ist es von gro-ßer Bedeutung, dass die Akteure nunmehr in einer grö-ßeren Öffentlichkeit ihre Positionen begründen müssen.Es war deshalb nicht mehr möglich, die Positionen bloßdarzustellen. Das Argumentieren spielte zudem eine grö-ßere Rolle als das Verhandeln. Während also die Kon-ventsmethode durchaus Fortschritte bei der Öffentlich-keitsbeschaffung, Effektivitätssteigerung und Deliberati-on erzielte, blieb sie bezüglich Transparenz, Effizienz undPartizipation hinter den Erwartungen zurück. Letztlichwurde die Repräsentation der Unionsbürger durch dieZusammensetzung des Konvents im Vergleich zur Regie-rungskonferenz lediglich erweitert. Auch der Austausch-prozess zwischen der breiten Öffentlichkeit und der ei-genen starken Öffentlichkeit des Konvents war relativbeschränkt. Gemessen an den Fragen von Laeken waren

Page 15: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

15Die europäische Verfassungskrise als Demokratieproblem

indessen Verlauf und Ergebnis des Konvents aus der da-maligen Erwartungshaltung heraus eher überraschend alsenttäuschend, obwohl der Verfassungsentwurf selbst un-terschiedlich bewertet werden kann. Ihm haftete das Pa-radox an, dass er als Entwurf nicht weiter diskutiert undverändert werden konnte. Am 18. Juli 2003 wird er anden Europäischen Rat übergeben. Es erfolgen Nachbes-serungen, bevor er am 29. Oktober 2004 in Rom unter-zeichnet wird.

Eine europäische Verfassung muss in erster Linie diePolitikkoordination und Entscheidungseffektivität zwi-schen nunmehr 27 Staaten verbessern. Darüber hinausgeht es aber ebenso um eine demokratische Handlungs-fähigkeit auf neuem Niveau. Von einer Verfassung derRegierungen zu einer Verfassung der Bürger ist es jedochein weiter Weg. Erste Schritte dazu waren mit dem Kon-vent, der von der Methode der Regierungskonferenz weg-führt, und den Referenden beschritten worden. Auch darfnicht übersehen werden, dass der Verfassungsentwurfselbst wichtige Elemente einer mehrstufigen Demokra-tie enthält: Er schreibt die kommunale Selbstverwaltungfest, gibt der Subsidiarität und SubsidiaritätskontrolleRaum, wertet die nationalen Parlamente in europäischenFragen auf, stärkt das EU-Parlament und führt erstmaligein Bürgerbegehren ein. Die Inhalte des vorgeschlage-nen Verfassungsentwurfs waren also demokratischer alsdie Verträge zuvor. Mit diesen Inhalten und den oft un-terschätzten Grundrechten mit ihren Prinzipien von Men-schenwürde, Freiheit, Gleichheit und Solidarität könntedie EU tatsächlich zu einer Sache der Bürger werden,

Page 16: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

16 WT-Papiere 4

wobei zu beachten ist, dass Demokratisierung eine kom-plexe Daueraufgabe ist, die dabei aus unterschiedlichenDemokratietraditionen und Modellen schöpft. Parlamen-tarische, direktdemokratische, deliberative und koope-rative Elemente schließen sich nicht aus, sondern kön-nen sich bei einer intelligenten Kombination ergänzenund wechselseitig stärken.

5. Der Ratifizierungsprozess

Das Ratifizierungsverfahren ist für eine demokratischeVerfassungsgebung von grundlegender Bedeutung. Hier-bei muss ebenfalls der Weg von einer Verfassung derRegierungen zu einer Verfassung der Bürger zurückge-legt werden. In der normativen Theorie werden reprä-sentativ-demokratische Verfahren, direktdemokratischeVerfahren und eine Mischform aus beiden unterschie-den. Die beiden ersten Verfahren stellen keine einanderausschließende Varianten dar, was eine Kombination er-möglicht. Das höchste Ansehen genießt das repräsenta-tiv-direktdemokratische Verfahren. Was nämlich über diebestehenden Verträge hinaus noch fehlt, ist vor allem dieBenennung des Legitimationsursprungs der EU selber: Esist die Selbstbestimmung der Unionsbürger, die bishernoch fehlt. Dabei ist bedeutsam, inwiefern man schonpräziser von einer europäischen Identität als Teilidentitätder europäischen Bürgerschaft sprechen kann. Eine eu-ropäische Unionsbürgerschaft ist auf der Basis nationa-ler Staatsbürgerschaften durchaus vorstellbar. Die Theseeines schwachen Identitätsgehalts und damit auch eines

Page 17: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

17Die europäische Verfassungskrise als Demokratieproblem

schwachen bzw. formellen Legitimitätsgehalts derUnionsbürgerschaft durch Bürgerrechte und Demokra-tie kann durch aktuelle Umfragen bestätigt werden. Da-raus folgt die weitere These, dass es sich beim Verfassungs-prozess um einen Zusatz und nicht um einen Ersatz vonIdentität, Volk und Legitimationsquelle handelt, womitdie ‚no-demos-thesis’ in Frage gestellt wird. Das pluraleVerständnis im Sinne einer politischen Mehrfachidentitäthat freilich Konsequenzen für eine demokratische Ver-fassungsgebung bzw. die Ausgestaltung des Ratifizie-rungsverfahrens.

Das Ratifizierungsverfahren kann nun nicht mehr a)nur einzelstaatlich organisiert, sondern muss b) ebensodie besondere Struktur der EU als ganze, mithin dieUnionsbürgerschaft, berücksichtigen. Die Legitimationdurch den Konvent und die letztlich erfolgreiche Re-gierungskonferenz kann die breite Bürgerbeteiligung nichtersetzen. Angemessen wäre deshalb ein zweistufigesRatifizierungsverfahren, d. h. ein europaweites Referen-dum, das durch die Koordinierung der nationalen Refe-renden an einem Tag in ganz Europa ermöglicht würde.Der Konvent beschloss jedoch nicht, dass der Verfassungs-entwurf eines – gegenüber Verträgen – stärker demokra-tisch legitimierten Ratifizierungsverfahrens bedarf. Er hatdie Frage der demokratischen Legitimation einer EU-Ver-fassung unterschätzt. Es gibt folglich auch keine seriösenormative Theorie, wie eine solche Verfassung zu ratifi-zieren wäre. Der größte Fehler war die Ignoranz gegen-über möglichen Negativvoten in einzelnen Mitgliedstaa-ten. Dieses Desiderat wurde bereits unmittelbar nach der

Page 18: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

18 WT-Papiere 4

9 Vgl. Heinz Kleger/Pawel Karolewski/Matthias Munke: Europäische Ver-fassung. Zum Stand der europäischen Demokratie im Zuge der Oster-weiterung, Münster 2004 (3. erweiterte Auflage); Francis Cheneval(Hrsg.): Legitimationsgrundlagen der Europäischen Union, Münster 2005.

10 Vgl. Ann-Kathrin Fischer: Legitimation der Europäischen Union durcheine Verfassung? Münster 2004.

Unterzeichnung des Vertragswerks in zahlreichen Debat-ten deutlich, denn es herrschte Unklarheit über die Kon-sequenzen einer ‚involuntary defection’. Die Vereinba-rung, dass über das weitere Vorgehen erneut beratenwerden sollte, sobald 80 % der Staaten ratifiziert hättenund dabei in einem oder mehreren MitgliedstaatenSchwierigkeiten bei der Ratifizierung auftreten, zeugt vonder Blindheit gegenüber der so drohenden Verfassungs-krise.

Die europäische Verfassungskrise als Demokratiepro-blem hat drei Dimensionen:(1) Die grundlegendste betrifft die Legitimation der EU

selber;9

(2) die zweite betrifft die Legitimationskraft des Verfas-sungsentwurfs (und zwar inhaltlich, prozedural undidentitär);10

(3) die dritte schließlich betrifft das Verfahren seiner Ra-tifikation.

Dieses Verfahren war nicht einheitlich, was allein nochnicht zu beanstanden wäre. In den meisten Fällen wurdeschnell, billig und parlamentarisch ratifiziert und das oftohne große inhaltliche Debatte, weder im Parlament nochin der breiten Öffentlichkeit. Die Eliten blieben unter sich.Bei Referenden ist dies nicht möglich. Das Referendumin Spanien war historisch einmalig, obwohl es nicht die

Page 19: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

19Die europäische Verfassungskrise als Demokratieproblem

ansteckende Vorbildwirkung nach Außen entfalten konn-te, die man sich von ihm erhofft hatte. Das französischeReferendum wiederum war zweifellos ein politischerGroßkampf, der viel Aufschlussreiches offenbarte, etwadie europapolitische Spaltung der Linken. In den Nie-derlanden hingegen wurde erstmalig ein Referendumdurchgeführt. Es wäre verfassungsmäßig nicht einmalbindend gewesen, aber die Bürger haben es genutzt. DieBeteiligung war doppelt so hoch wie bei den Europa-wahlen. Der Regierung Balkenende und mit ihr der gan-zen politischen Klasse (und nicht nur dem Staatspräsi-denten wie in Frankreich) wurde eine politische Quit-tung erteilt. Die Berufspolitiker waren sich von Anfangzu sicher, dass die Mehrheit für den Verfassungsentwurfstimmen würde. Sie haben die Dynamik eines Referen-dums gänzlich unterschätzt und ihre Kampagne zu spätgestartet. In den Niederlanden gab es nie eine gelunge-ne Werbung für das Ja. Im Gegenteil, die Kampagne fürdie EU-Verfassung wurde mehr und mehr nur noch eineAnti-‚Nee’-Kampagne, für die schließlich alles aufgebo-ten wurde. Wir haben es hier mit einem schlechten Bei-spiel direkter Demokratie zu tun, wohlverstanden nichtvon Seiten der Bürger, die in Zukunft dieses Instrumentzurecht vermehrt nutzen werden, sondern von Seiten derRegierung und der Politiker. Auch in Frankreich trägt dasReferendum ein eigentümliches Janusgesicht, nämlich daseiner direkten Demokratie von oben. Diese steht in derbonapartistischen Tradition des Plebiszits. Dagegen han-delt es sich in einer direkten Demokratie der Bürger, diezu einer politischen Kultur geworden ist, um Referenden

Page 20: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

20 WT-Papiere 4

11 Initiative and Referendum Institute Europe (ed.): Guidebook to DirectDemocracy in Switzerland and Beyond. Amsterdam 2005; vgl. auchBruno Kaufmann/Alain Lamassoure/Jürgen Meyer (dds.): TransnationalDemocracy in The Making, Amsterdam 2003; Roland Erne/Andreas Groß/Bruno Kaufmann/Heinz Kleger (Hrsg.): Transnationale Demokratie.Impulse für ein demokratisch verfasstes Europa, Zürich 1995.

von unten, die zum Beispiel auf Antrag eines Bürger-begehrens oder durch bindende Artikel einer Verfassungausgelöst werden. Solche Verfahren direkter Demokratiesind komplexer und voraussetzungsreicher, wobei dasjeweilige institutionelle Design die inhaltliche Qualitätmitbestimmt.11

So wie Plebiszite bestens in eine elitengelenkte De-mokratie passen, geht es bei der direkten Demokratie (dieetwas anderes ist als plebiszitäre Demokratie) um einedemokratische Bürgerkultur, welche die staatliche Machtbeschränkt. Diese politische Kultur, die wachsen mussund nicht verordnet werden kann, ist Teil eines demo-kratischen Selbstverständnisses von Bürgern und somitelitenlenkend; sie ist kein Elitenprojekt zur Steuerung derModernisierung. Die plebiszitäre Demokratie wird imZusammenhang mit den heutigen Problemen der Mo-dernisierung allerdings selbst zu einem Kampffeld. Dabeibesteht die Gefahr, dass sie von Eliten instrumentalisiertwird. Deshalb ist es gerade für die künftige Europapolitikbesonders wichtig, für die Politiker ebenso wie für dieVölker, die direkte Demokratie der Bürger mit ihrer hori-zontalen Dimension einzuüben – national wie trans-national. Die Arroganz der Ignoranz besteht unter ande-rem darin, dass das Problem der defizitären Legitimitätder EU durch die politischen Eliten der EU sowie vor al-

Page 21: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

21Die europäische Verfassungskrise als Demokratieproblem

lem die alten Mitgliedstaaten als ein Public-Relations-Problem missdeutet wird. Hierbei wird die politischeÖffentlichkeit (public sphere), an der sich die Unions-bürger gleichberechtigt und informiert beteiligen undEinfluss auf politische Entscheidungen nehmen können,mit der Öffentlichkeitsarbeit (public relations) der natio-nalen Regierungen und der europäischen Kommissionverwechselt. Diese Arroganz der Ignoranz fördert dieElitenlenkung durch Plebiszite und Akklamation. Der‚Plan D’ (für Demokratie, Dialog und Debatte), den dieBrüsseler Kommission im Herbst 2005 lancierte, um dieDenkpause zu überbrücken, war eine typische Kommu-nikationsstrategie aus dem Geiste des Marketing, wäh-rend sich der Kommissionspräsident Barroso schon früh-zeitig von der Ratifikation der Verfassung verabschiede-te. Diese Denkpause wurde solchermaßen zur Pause vomDenken, und es zirkulierte der treffende Satz, der aufBarroso gemünzt war, wenn man solche Freunde der Ver-fassung hat, braucht es keine Gegner.

Die Beispiele aus Frankreich und den Niederlandenführen vor Augen, dass die Bekenntniseuropäer erst amAnfang eines Umgangs ebenso mit direkter wie trans-nationaler Demokratie stehen und ebenso erst am An-fang eines Wissens voneinander und über die EU, daskünftig in die politische Urteilskraft einfließen könnte.Es fehlt noch der breite common sense öffentlichen Über-zeugens in europapolitischer Hinsicht. Dies ist jedochein Prozess, der nur durch Demokratisierung selber vor-angebracht werden kann, und zwar einer mehrstufigenDemokratie, die sich auf mehrere Ebenen bezieht undein Bürgerbewusstsein erfordert, das diese Art der zivi-

Page 22: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

22 WT-Papiere 4

12 Siehe dazu Eugen Antalovsky: Europa Region Mitte, in: Heinz Kleger/André Lomsky/Franz Weigt (Hrsg.): Von der Agglomeration zur Städte-region, Berlin 2006, S. 265-287.

len Komplexität versteht. Es steht nicht nur die Arroganzvon Eliten gegen die Ignoranz von Populisten, welchebeide die gleichzeitige Erweiterung und Vertiefung einerföderativen Union verhindern. Vielmehr gibt es aller Orteneine spezifische Ignoranz der Arroganz, die sich auf denProzess öffentlichen Überzeugens nicht genügend ein-lässt und die kleineren Einheiten überspringt, was vonder direkten Demokratie schonungslos aufgedeckt wird.Auf der anderen Seite existiert aber auch eine spezifi-sche Arroganz der Ignoranz, die sich auf neuartige Sach-kombinationen ebenso wenig einlässt, die vor Ort, in derjeweiligen Region ja durchaus präsent sind und dort ih-ren Rückhalt finden. Im Lichte dieses Ansatzes müssenErfahrungen gerade auf regionaler Stufe gesammelt wer-den; denn wenn Regionen mental mit dem Rücken zuEuropa agieren, ist der europapolitische Misserfolg pro-grammiert.

Es geht mithin um das Einleiten eines Prozesses derDezentralisierung der europäischen Integration, die nichtlänger nur ein gewissermaßen nationales Projekt mitumgekehrten Vorzeichen sein kann, sondern vielmehreine Vielzahl von regionalpolitisch verankerten, über-schaubaren Projekten werden muss, in deren Mittelpunktvermehrt die Bürger stehen, die diese Projekte beurtei-len können. Für einen neuen Schwung Europas ist derErfolg der Regionen, Städte und transnationalen Städte-regionen (wie zum Beispiel Wien, Bratislava und Brünn12)von ausschlaggebender Bedeutung. Hier entstehen die

Page 23: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

23Die europäische Verfassungskrise als Demokratieproblem

neuen Denk- und Handlungsräume und daraus die Bin-dungen, welche Europa nach 1989 grenzüberschreitendtragen. Diese zivile Basis ist wichtig für eine möglichstbürgernahe, demokratische Legitimität, die wiederumeiner gelebten Subsidiarität und Solidarität bedarf. Hierhat es der Verfassungsprozess bisher kaum oder nur un-zureichend geschafft, auf die Städte und Regionen zuzu-gehen, was auch in umgekehrter Richtung gilt. Beide –das Konkrete (nämlich das real zusammenwachsendeEuropa) und vermeintlich Abstrakte (die Verfassungsidee)– fallen auseinander, so dass die Polemiker von beidenSeiten leichtes Spiel haben. Europäisches Bürgerbewusst-sein in seiner zivilen Komplexität entwickelt sich auf dieseWeise nicht. Dafür sind neben den Grundrechten vorallem die subsidiäre Sachnähe (statt zentralistischemKompetenzsog), klare Kompetenztitel und deren Ein-haltung innerhalb einer mehrstufigen transnationalenDemokratie entscheidend. Diese Demokratie muss trans-parent sein, um von den Bürgern verstanden zu werden.

6. Ratifizierungskrise als Verfassungskrise

Durch das Veto der französischen und niederländischenWähler entstand ein negativer Dominoeffekt, der dasweitere Ratifikationsverfahren nicht nur beeinflusste,sondern sogar zum Stillstand brachte. Dadurch entstanddie Ratifizierungskrise und erst mit ihr die eigentlicheVerfassungskrise. In der Krisenphase findet typischerweiseein Ringen um die Deutungshoheit darüber statt, ob dieVerfassung bereits oder noch nicht gescheitert ist. Die

Page 24: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

24 WT-Papiere 4

anberaumte Denkpause wurde allerdings auch zu einerPause vom Denken. Die Erlösung aus dem Stillstand kamerst mit Sarkozys ‚vereinfachtem Vertrag’, nachdem erzum französischen Staatspräsidenten gewählt worden warund seine Lust zum Handeln demonstrieren konnte. Da-mit war der kürzeste Krisenausgang gefunden: neuerGrundlagenvertrag statt Verfassungsvertrag. Die symbo-lische Dimension der Verfassung als Depot von Werten,Symbolen und Rechten, die eine Gesellschaft teilt undschützt, wurde gestrichen. Der neue Reformvertrag gibtdie symbolische Wirkung der Verfassung gänzlich auf undrichtet sich primär an Fragen der Machteffizienz aus. Diedoppelte Mehrheit soll ein reibungsloses Entscheidungs-system etablieren und ein europäischer Quasi-Außen-minister soll der EU endlich zum Status eines globalenAkteurs verhelfen. Dabei wird die Grundrechtecharta ausdem Dokument ausgegliedert und demokratische Betei-ligungsmöglichkeiten werden nicht weiter ausgebaut.Dadurch kann jedoch weder eine legitimitäts- noch eineidentitätsstiftende Wirkung erzielt werden, was mit demtransnationalen Verfassungsprojekt anvisiert war.

Am 8. September 2006 brachte Sarkozy in Brüssel dieIdee eines abgespeckten „Mini-Vertrags“ (mini-traité) indie Diskussion. Bald war von einem Mini-Vertrag zwarnicht mehr die Rede, sondern nur noch von einem „ver-einfachten Vertrag“ (traité simplifié) – inhaltlich aber ent-spricht dieser im Wesentlichen dem ursprünglichen Kon-zept. Der vereinfachte Vertrag soll es ermöglichen, dieFunktionsfähigkeit der EU nach dem Abstimmungsdeba-kel in Frankreich wiederherzustellen. Dabei richtet sich

Page 25: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

25Die europäische Verfassungskrise als Demokratieproblem

Sarkozy insbesondere gegen die Forderung nach einergrundlegenden Überarbeitung des Verfassungsvertrages,die im Gefolge der Verfassungskritiker von der sozialisti-schen Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal erho-ben worden war. Die von Sarkozy präferierte Verabschie-dung eines vereinfachten Vertrags bezieht sich auf ver-schiedene Punkte, wobei nicht zuletzt die symbolisch-semantische Ebene, nämlich den ursprünglichen Begriffeiner europäischen Verfassung aufzugeben zugunsten desneutralen (intergouvernementalen) Vertragsbegriffs, vonzentraler Bedeutung ist. Inhaltlich sollen dann vor allemdie institutionellen Verbesserungen des Verfassungsver-trages gegenüber dem Vertrag von Nizza gerettet wer-den. Die Bestimmungen aus dem dritten Teil des Ver-fassungsentwurfs und wohl auch die Grundrechtecharta– allerdings nicht in erster Linie auf Betreiben Sarkozys,sondern Blairs hin – sollen hingegen wegfallen bzw. ge-kürzt werden. Auf einer Pressekonferenz in Paris am 28.Februar 2007 erläuterte Sarkozy seinen Vorschlag wiefolgt: „Ich habe meinen Partnern einen vereinfachtenVertrag vorgeschlagen, der sich auf die institutionellenFragen – denen während des Wahlkampfs zum Referen-dum niemand widersprochen hat – beschränkt, damitEuropa schnell die Mittel in die Hand bekommen kann,um effizient bei 27 Mitgliedern zu funktionieren. DieFrage der Neufassung eines umfassenderen Textes, derdie grundlegende politische Dimension Europas thema-tisiert, stellt sich erst zu einem späteren Zeitpunkt. Die-ser vereinfachte Vertrag soll folgende Bestimmungen ent-halten:

Page 26: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

26 WT-Papiere 4

1. Die Einrichtung einer stabilen Präsidentschaft des Eu-ropäischen Rats, „um Europa ein Gesicht und eineStimme zu geben und um eine langfristige Handlungs-orientierung mit besserer Kontrolle zu gewährleisten“.

2. Die Schaffung der Funktion eines europäischen Außen-ministers: „Im Falle von internationalen Krisen wer-den sich dadurch die vom Präsidenten des Europäi-schen Rats oder Außenminister der Union einberufe-nen europäischen Staatsleute zunächst unter Europä-ern unterhalten, bevor sie das mit anderen tun (...).Der europäische Außenminister, der unter der politi-schen Aufsicht der Regierungen steht, wird zudem aufeffiziente Weise unsere diplomatischen, bugdetärenund ggf. militärischen Mittel koordinieren“.

3. Die Ausweitung des Anwendungsbereiches des Ver-fahrens der qualifizierten Mehrheit, vor allem auf diejustizielle und polizeiliche Zusammenarbeit sowie dieImmigration.

4. Die Ausweitung des Anwendungsbereichs des Verfah-rens der Kodezision, wodurch die Rolle des Europäi-schen Parlaments, dessen Zustimmung für die Verab-schiedung „europäischer Gesetze“ notwendig ist, ver-größert wird.

5. Die Regelungen in Bezug auf die qualifizierte Mehr-heit, insbesondere die Regel der doppelten Mehrheit(55 % der Mitgliedstaaten, die mindestens 65 % derEU-Bevölkerung repräsentieren).

6. Die Übergangsklausel, die es Mitgliedstaaten ermög-licht, mit Einstimmigkeit zu entscheiden, dass einBereich, der der Einstimmigkeitsregel unterliegt, in ei-

Page 27: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

27Die europäische Verfassungskrise als Demokratieproblem

13 Quelle: http://www.u-m-p.org/propositions/index.php?id=05_traite_simplifie;letzte Abfrage: 18.06.2007.

14 Quelle: http://www.touteleurope.fr/fr/actualite-europeenne/breve-et-article 14.06.2007; letzte Abfrage: 18.06.2007.

nen solchen der qualifizierten Mehrheit überführt wird.7. Das Frühwarnsystem, das es den nationalen Parlamen-

ten erlaubt, zu überprüfen, ob die Union nicht ihreKompetenzen überschreitet.

8. Das Initiativrecht des Bürgers, „das einer Million Bür-gern die Möglichkeit einräumt, die Kommission dazuaufzufordern, Vorschläge in diesem oder jenem Be-reich zu machen.“13

Der Beschluss eines solchen „vereinfachten EU-Vertrags“würde es Sarkozy innenpolitisch erleichtern, ein erneu-tes Referendum zu vermeiden; er könnte den Vertrag aufparlamentarischem Wege ratifizieren. In mehreren Ge-sprächen vor und während des G8-Gipfels in Heiligen-damm hat sich Sarkozy des Rückhalts zahlreicher Staats-und Regierungschefs versichert. Neben Zapatero unter-stützte insbesondere Blair den Vorschlag, außerdemschien Merkel nicht weit entfernt von Sarkozys Versucheiner pragmatischen Lösung der Ratifizierungskrise. Auchder Präsident der Europäischen Kommission, José ManuelBarroso, hatte auf einer gemeinsamen Pressekonferenzin Brüssel vom 25. Mai 2007 Sarkozys Vorschläge unter-stützt und geurteilt, dass sich „ein Konsens über dieseIdee (des vereinfachten Vertrags) zu formieren“ beginne.14

Barroso äußerte sich zudem in einem Interview mit LeMonde zu den Plänen Sarkozys weitgehend zustimmend:„Sein (Sarkozys) Engagement für einen vereinfachten

Page 28: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

28 WT-Papiere 4

15 Vgl. Le Monde, 16.06.2007.16 Vgl. Le Monde, 13.06.2007.

Vertrag hat uns sehr geholfen. Es zeichnet sich heute einKonsens in Richtung eines kompakteren Vertrags ab, der– ohne die Schwerfälligkeit eines Verfassungstextes – alleBereiche der gemeinschaftlichen Organisation ab-deckt“.15 Fraglich war allerdings, wie sich die polnischeRegierung zu den Vorschlägen verhalten würde, da Sar-kozy am festgelegten Modus der doppelten Mehrheit fest-halten wollte. Das Treffen mit dem polnischen Präsiden-ten am 14. Juni 2007 hatte diesbezüglich keinen durch-schlagenden Erfolg gebracht. Bereits vor dem Gesprächhatte der polnische Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynskiin einem längeren Interview mit der Zeitung Le Mondeklargestellt, dass Polen zwar kompromissbereit sei, abernicht um jeden Preis: „Es wäre eine Kapitulation, wennwir das Abstimmungsverfahren, das der aktuelle Verfas-sungsvertrag vorsieht, akzeptieren würden. Eine Kapitu-lation aber war noch nie ein Kompromiss“.16

Schließlich hat sich kürzlich auch der ehemalige Prä-sident des europäischen Konvents, Valéry Giscard d’Es-taing, in einem ausführlichen Debattenbeitrag über dieVorschläge Sarkozys unter der bezeichnenden Überschrift„Ja zu einem vereinfachten Vertrag, nein zu einem am-putierten Vertrag“ (Le Traité simplifié, oui, mutilé, non)zu Wort gemeldet. Die sich angesichts der Forderung nacheinem vereinfachten Vertrag stellende Grundfrage sei, ob„die gesuchte ‚Vereinfachung’ daraufhin abzielt, die Ra-tifizierung durch einige noch zögernde Staaten zu erleich-tern, oder ob sie nicht in Wirklichkeit dazu dient, eine

Page 29: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

29Die europäische Verfassungskrise als Demokratieproblem

Manipulation zu verbergen, mit dem Ziel, hinter bestimm-te Fortschritte des Verfassungsvertrages zurückzugehen.Diese Ambivalenz, die erklärt, dass Großbritannien denvereinfachten Vertrag unterstützt, muss behoben werden.“Giscard besteht darauf, dass „die ersten beiden Teile desTextes, die die Institutionen der Union und die Chartader Grundrechte betreffen – und die die einzigen sind,die wir vor vier Jahren dem Europäischen Rat in Thes-saloniki präsentiert haben – keinerlei Vereinfachung be-dürfen.“ In diesem Zusammenhang betont er, dassSarkozy ihm „mitgeteilt hat, dass er (Sarkozy) die Inten-tion habe, diesen Teil des Textes, ohne Modifikationen,im Juli im Parlament verabschieden zu lassen, um dieBestimmung Frankreichs unter Beweis zu stellen, an denZug Europa wieder anzuschließen (rejoindre le convoieuropéen).“ Giscard weist daher nicht nur die britischeForderung bezüglich einer Streichung der Funktion deseuropäischen Außenministers zurück, sondern hält auchdie Veränderungen auf der symbolischen Ebene für pro-blematisch: „Was die frommen Vorschläge (les propo-sitions piteuses) angeht, die europäischen Symbole, Hym-ne, Fahne und Devise zu streichen, so wären sie lächer-lich, wenn sie nicht unseren noch fragilen Stolz, uns alsEuropäer zu fühlen, verletzen würden.“ Das gleiche gel-te für die Ersetzung des Wortes „Verfassung“ durch „Ver-trag“. Dennoch gehen die zuletzt genannten Punkte nichtin die Definition dessen ein, was Giscard als „wesentli-che Punkte des Vertragsentwurfs“ bezeichnet, hinter dienicht zurückgegangen werden könne. Seine Auflistungentspricht dabei Punkt für Punkt derjenigen Sarkozys.

Page 30: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

30 WT-Papiere 4

17 Vgl. Le Monde, 15.06.2007. Vgl. auch Giscard d’Estaing : Le Constitutionpour l’Europe, Paris 2003.

Giscard zufolge kann die Vereinfachung insofern nur dendritten Teil des Verfassungsentwurfs betreffen, von demer betont, „dass er nicht das Werk des europäischen Kon-vents, sondern dasjenige der Regierungen ist, die aufge-rufen sind, ihre eigene Arbeit zu verbessern.“ Insbeson-dere die Länge des Teils des Textes lasse sich verbessern.Allerdings müsse darauf geachtet werden, dass auch hierdie Innovationen nicht unter dem Vorwand der „Verein-fachung“ wieder zurückgenommen würden. Dies betreffevor allem Bestimmungen, die den Übergang in bestimm-ten Politikbereichen von der Regel der Einstimmigkeit aufdie Regel der qualifizierten Mehrheit zum Inhalt haben.Abschließend schreibt Giscard: „Im Namen der Mitglie-der des europäischen Konvents glaube ich Ja sagen zudürfen zu einem ehrlich vereinfachten Vertrag, der dieim ersten Teil vorgeschlagenen institutionellen Fortschrittenicht in Frage stellt, aber ein kategorisches Nein sagenzu müssen zu einem amputierten Vertrag. Und solltensich die Regierungen auf einen vereinfachten Vertrag, derdas Wesentliche der institutionellen Fortschritte bewahrt,einigen, so sollten sie keine Angst haben, dies auch zusagen und zu schreiben.“17

7. Nationale Debatten zum europäischenVerfassungsvertrag

Erste Aufschlüsse zum Stand der transnationalen Demo-kratie in Europa geben die nationalen Debatten zum

Page 31: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

31Die europäische Verfassungskrise als Demokratieproblem

europäischen Verfassungsvertrag. Sie unterscheiden sicherheblich in Bezug auf Intensität, Meinungsdivergenzenund Inhalte. Die Intensität der Debatten hing maßgeb-lich von der Ratifizierungsform ab18 . In Mitgliedstaatenmit parlamentarischer Ratifizierung wurde die Verfas-sungsdebatte in deutlich geringerem Maße von der Öf-fentlichkeit begleitet als in Mitgliedstaaten mit durchge-führtem oder angekündigtem Referendum. Eines derHauptargumente für die Einführung weiterer direktdemo-kratischer Momente im europäischen Integrationsprozessliegt in der Notwendigkeit, bei Referenden die Öffent-lichkeit zu informieren bzw. für zivilgesellschaftlicheAkteure darin, aktiv auf den Entscheidungsprozess Ein-fluss zu nehmen. Die Legitimität einer Verfassung wirddurch direktdemokratische Bestätigung erheblich erhöht.Im Umkehrschluss gilt: Je mehr Einflussmacht den Bür-gern zugesprochen wird, desto intensiver werden sie sichmit dem Thema befassen, um sich eine Meinung zu bil-den und ein Urteil fällen zu können. Empirisch lässt sichdiese These gut belegen. Laut Eurobarometer 65 (Befra-gung März bis Mai 2006) waren es folgende Länder, indenen der größte Anteil der Bevölkerung bereits vomeuropäischen Verfassungsvertrag gehört hatte: Luxemburg(94 %), Niederlande (94 %), Frankreich (92 %) und Tsche-chien (92 %). Allerdings fiel Spanien (75 %) im Vergleichzum Vorjahr unter den Durchschnitt ebenso wie Groß-

18 Zwar ist eine Korrelation zwischen Intensität und Meinungsdivergenzzu vermuten, doch für die Breite der diskutierten Kritiken – von zöger-licher, bedingter Zustimmung bis hin zur kompromisslosen Ablehnungdes gesamtes Vertragswerks – können noch andere Gründe als die derRatifizierungsform identifiziert werden.

Page 32: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

32 WT-Papiere 4

britannien (71 %). Polen (86 %) liegt hingegen genausoüber dem EU-Durchschnitt (82 %) wie Dänemark (89 %).

Entgegen Spekulationen vor der Osterweiterung, dieneuen Mitgliedstaaten könnten einer weiteren Vertiefungkünftig skeptischer gegenüber stehen als die meisten al-ten Mitgliedstaaten, haben die meisten der neuen Mit-gliedstaaten durchaus eine wichtige Rolle im Ratifizie-rungsprozess gespielt. Die Befürchtungen unter Inte-grationsbefürwortern war mit der Erwartung verbunden,die wieder oder erstmals souveränen MOE-Staaten wür-den einer weiteren Abgabe nationaler Souveränität re-serviert gegenüberstehen. Großbritannien wurde häufigunterstellt, dass sein Plädoyer für eine EU-Osterweiterungmit der Hoffnung einer Blockade eines künftigen Inte-grationskurses sowohl durch dieses Argument als auchdie deutlich höhere Anzahl möglicher Veto-Player ein-herging. Doch keines der neuen Mitgliedstaaten hat bisherden Verfassungsvertrag abgelehnt, immerhin zehn vonzwölf haben ihn zu teilweise symbolischen Momentenverabschiedet. Die ersten drei Ratifizierer waren neueMitgliedstaaten (Litauen, Ungarn, Slowenien). Direktnach den beiden Negativvoten in Frankreich und denNiederlanden entschieden sich Lettland, Zypern undMalta für eine Fortführung des nationalen Ratifizierungs-prozesses und nicht wie viele andere Mitgliedstaaten fürdas Aussetzen. Schließlich konnte ein positiver Domino-effekt für die finnische Ratifizierung durch die estnischeAnnahme des europäischen Verfassungsvertrages beob-achtet werden, das sich mitten in der Reflexionsphasedemonstrativ für das Vertragswerk aussprach. Polens der-

Page 33: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

33Die europäische Verfassungskrise als Demokratieproblem

zeit kompromisslose Haltung kann deswegen als ehertemporäres und nicht unbedingt repräsentatives Phäno-men betrachtet werden, da die polnische Bevölkerungdie Annahme des Verfassungsvertrages im Gegensatz zuramtierenden Regierungskoalition mit einer deutlichenMehrheit (62 % laut Eurobarometer 65 %) unterstützt.

Was die Inhalte angeht, so gibt es bezüglich der inden Ratifizierungsdebatten dominanten Themen europa-weit zwar Schnittmengen, doch auch deutliche Unter-schiede zwischen den EU-Mitgliedstaaten. Typisch ist dieBeobachtung, dass der Inhalt des europäischen Verfas-sungsvertrages mit der Zustimmung oder Ablehnung dereuropäischen Integration gleichgestellt und nicht mit dembisherigen Stand der europäischen Union verglichenwurde (so zum Beispiel die Kritik der französischen Lin-ken). Verfassungsbefürworter hoben weitgehend länder-übergreifend die institutionellen Neuerungen hervor, vorallem die Stärkung des europäischen Parlaments, dieAufwertung der nationalen Parlamente sowie die Ernen-nung eines europäischen Außenministers. Verfassungs-gegner – häufig auf beiden Seiten des politischen Spek-trums – kritisieren dagegen in allen Mitgliedstaaten dieAbgabe nationaler Souveränität zum Beispiel durch dennun vertraglich festgelegten Vorrang von europäischemvor nationalem Recht. Gleichzeitig existieren eine Viel-zahl von Themen, die nur in einem oder wenigen Mit-gliedstaaten diskutiert wurden, so zum Beispiel die An-zahl der europäischen Abgeordneten (Zypern), die Stim-mengewichtung im Ministerrat (Polen), der Minderhei-tenschutz (Ungarn) oder die Solidaritätsklausel (Zypern,

Page 34: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

34 WT-Papiere 4

Griechenland) – eine Liste, die sich noch verlängern lie-ße.

Die gewählte Ratifizierungsform – national zu unter-schiedlichen Zeitpunkten auf unterschiedliche Weise –war eine wenig durchdachte Strategie. Das Dilemmabesteht darin, dass einerseits bereits 18 Mitgliedstaatenden Vertrag ratifiziert haben; eine Veränderung des Ver-tragswerks erfordert dann eine erneute Abstimmung. An-dererseits kann dem französischen und niederländischenVolk kaum das Vertragswerk erneut vorgelegt werden, wasgeradezu einer Entmündigung des Souveräns entspräche.Mögliche alternative Konzepte sind:1. Ergänzung um eine Sozialcharta: Im Anschluss an die

Negativreferenden wurde diskutiert, inwieweit maneine Sozialcharta formulieren könnte, mit der zusam-men ein Referendum in Frankreich und den Nieder-landen nochmals durchgeführt werden könnte. Dieseist allerdings weder konsensfähig (Widerstand seitensGroßbritanniens, vermutlich auch von Dänemark undanderen Mitgliedstaaten) noch könnte sie rechtlich ver-bindlich sein.

2. Verkürzung auf einen Minivertrag: Zwar ‚rettet’ diesegewisse Kernelemente, sie hat aber mehrere Nachtei-le:– Die Symbolik der Verfassung geht auf diese Weise

verloren, und bei Verhandlungen wird die berühmteBüchse der Pandora geöffnet .

– Schließlich wurden die Entscheidungen der Sou-veräne von 18 Mitgliedstaaten relativiert und aufeine weniger anspruchsvolle Lösung reduziert; das

Page 35: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

35Die europäische Verfassungskrise als Demokratieproblem

Europäische Parlament äußerte daher zurecht Be-denken.

Folgende Optionen wurden hauptsächlich diskutiert:(1) die gänzliche Aufgabe des Verfassungsprojekts,(2) die Beibehaltung des bisherigen Entwurfs und ein

zweites Referendum,(3) Neuverhandlungen,(4) die Verkürzung auf einen Minivertrag mit parlamen-

tarischer Ratifizierung sowie(5) ein pan-europäisches Referendum zeitgleich mit den

nächsten Europawahlen 2009.

Nur die fünfte Option überzeugt, wenngleich auch sieNachteile birgt. Wie könnte diese Lösung aussehen?1. Die pan-europäische Abstimmung ist gleichzeitig mit

den EP-Wahlen 2009 durchzuführen, damit die Wahl-beteiligung hoch ist und vor allem in Spanien und Lu-xemburg das wiederholte positive Referendum bes-ser zu rechtfertigen ist.

2. Der Vertragstext bleibt gleich, da neue Verhandlun-gen – ob komplett neu oder mit dem Ziel eines Mini-Vertrags – zum einen im Widerspruch zu den altenKompromissen stehen, damit erhebliche Verzögerun-gen bedeuten könnten, zudem die Ergebnisse desKonvents erneut in Frage stellen und mit der bereitsgeäußerten Zustimmung von 18 Mitgliedstaaten kol-lidieren.

3. Die Abstimmung dürfte nicht nur die Optionen ‚An-nahme’ und ‚Ablehnung’ beinhalten, sondern müsste

Page 36: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

36 WT-Papiere 4

ebenso eine dritte Antwort, nämlich die ‚bedingteAblehnung’, aufnehmen. Das heißt, dass bei Ableh-nung nicht ein Ausschluss des Mitgliedstaates droht.

4. Um den Forderungen nach mehr sozialen Rechtenentgegenzukommen, könnte eine Sozialcharta als Be-reich intensivierter Kooperation zur Wahl stehen, dienur in den Ratifiziererstaaten Gültigkeit erlangt. Mitanderen Worten: Ähnlich wie in anderen Staaten wür-de die Ablehnung der Sozialcharta einem Opt-Outentsprechen.

5. Wenn ein Staat mehrheitlich (relative Mehrheit) die(nicht bedingte) Ablehnung wählt, bedeutet dies ei-nen Ausschluss aus der EU. Hierbei muss allerdingsnoch konkretisiert werden, in welchen Bereichen eineabgestufte Mitgliedschaft weiterhin möglich ist.

6. Wenn ein bestimmtes Quorum von Mitgliedstaatenfür eine bedingte oder nichtbedingte Ablehnung stimmt,so gilt der europäische Verfassungsvertrag als abge-lehnt. Für eine Annahme ist somit eine qualifizierteMehrheit (z. B. 80 %) erforderlich.

Mehr Vorteile sprechen für diese Lösung:1. Die Gleichzeitigkeit verhindert strategische Kalkula-

tionen, die mitgliedstaatliche Präferenzen begünsti-gen oder Dominoeffekte zeitigen.

2. Es besteht damit die Notwendigkeit umfassender Auf-klärungskampagnen und dadurch die Stärkung desdeliberativen Moments im Prozess der Verfassungs-gebung.

Page 37: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

37Die europäische Verfassungskrise als Demokratieproblem

3. Es ergibt sich eine Erleichterung für grenzüberschrei-tende Aktionen und Vereinigung gemeinsamer Res-sourcen, unabhängig von der Position der Akteure.Damit wird die Position einer transnationalen Bürger-schaft gestärkt.

4. Da der europäische Kontext deutlicher wird bestehteine geringere Gefahr der Instrumentalisierung für na-tionale Themen.

5. Durch die Option einer Sozialcharta hätten die Bür-ger ‚etatistisch’ geprägter Staaten eine zusätzliche Al-ternative, ‚liberale’ Mitgliedstaaten zu einer einheitli-chen Linie zu zwingen (opt-out).

6. Wenngleich es sich um einen internationalen Vertragund nationale Voten mit Ausstiegsoptionen handelt,wäre dies schließlich ein konstitutioneller Akt, da einin der Entstehung begriffener europäischer Demoswählt.

Folgende Nachteile sprechen gegen diese Lösung:1. Die Wiederholung von Referenden ist nur schwer ver-

mittelbar, wenn bereits ratifiziert worden ist. Sie müsstemit einem Solidaritätsappell sowie einer Zusatzoptionwie der Sozialcharta einhergehen.

2. Das Projekt könnte freilich wieder durch Negativvotenscheitern. Das wäre dann aber die demokratischeEntscheidung souveräner Völker.

Die Bedenken gegen dieses Verfahren resultierten letztlichaus der Fehlentscheidung, dieses nicht von Anfang anoffensiv favorisiert zu haben.

Page 38: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

38 WT-Papiere 4

Tabelle 1: Komparative Analyse der Lösungsvorschlägeder Verfassungskrise aus demokratietheoretischer Pers-pektive

Vorschläge

- +

- +

-

Qualität der Debatte

Aufgabe des Verfassungs-projektes

Erneutes Referendum in F und NL

Berücksichtigung der Input-Legitimität des Konvents

Respektierung der souveränen Entscheidung von 18 Ratifizierstaaten

Respektierung der souveränen Entscheidung Frankreichs und der Niederlande

-, viele der französischen Kritiker woll(t)en eine Verfassung, allerdings eine sozialere

Rückschlag für die transnationale Demokratie

Gefahr der erneuten Dominanz nationaler Themen sowie erneuter Ablehnung aus Protest

Implikationen aus demokratie-theoretischer Perspektive

Entscheidung der 18 mitgliedstaatlichen Souveräne wird ignoriert

Entweder Entmündigung des Souveräns oder Mogelpackung (Sozialcharta wäre nicht rechtlich bindend)

Page 39: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

39Die europäische Verfassungskrise als Demokratieproblem

Neuverhandlungen Mini-Vertrag

- z.T. +

- z.T.

+

Pan-europäisches Referendum

+, wenngleich erneutes Votum erforderlich

-, da Kritik der ablehnenden Wähler nicht aufgenommen

+, da bedingter Entscheidungs-spielraum gegeben

Erneute Betonung nationaler Interessen beim Aufschnüren des Verhandlungs-paktes

Geringe Intensität, da parlamentarische Ratifizierung

Abstraktion von rein nationalen ThemenMöglichkeit transnationaler Aktivitäten

Entscheidung der 18 mitgliedstaatlichen Souveräne wird ignoriert

Ratifizierer haben ein anspruchsvo-lleres Politikergeb-nis genehmigt; dem Willen des franzö-sischen und nie-derländischen Volkes gegen diesen Entwurf wird nicht entsprochen

Europäischer Demos konstituiert sich selbst; Entscheidung der 18 Ratifiziererrespektiert, Berücksichtigung der Einwände der Kritiker

Page 40: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

40 WT-Papiere 4

19 Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 25.06.2007.

8. Der Gipfel der Entscheidungen (21./22. Juni 2007)

Kriseneingang der Ratifizierungskrise war das negativeReferendum am 29. Mai 2005. Frankreichs Regierungwollte deshalb eine erneute Volksabstimmung verhindern.Der pragmatische Vorschlag Sarkozys für einen verkürz-ten Vertrag ohne Verfassungselemente kann als legitimiertgelten, da dieser mit ihm bereits in den Wahlkampf ge-zogen war und die Präsidentschaftswahlen gewonnen hat.Dennoch ist diese Lösung, ein neues Dokument am Volkvorbei zu verabschieden, ohne die größten Kritikpunkte– etwa die soziale Dimension der europäischen Politikstärker zu betonen – nicht unproblematisch. Der neue‚republikanische Monarch’ präsentierte sich indessennicht nur als neue Kraft für Frankreich, sondern auch alsRetter Europas. Beim Gipfel versäumte er es nicht, vorJournalisten darauf hinzuweisen, dass der erzielte Kom-promiss in Grundzügen auf seinen Vorschlägen beruht:„Im Grunde ist der neue Vertrag ja meine Idee“19 .

Auch Großbritannien, die zweite große Macht, lehn-te alles ab, was nach europäischem Superstaat hätte aus-sehen können: die Charta der Grundrechte, den europä-ischen Außenminister, die Bezeichnung Verfassung unddie Nennung von Symbolen, Feiertagen und Hymnen.Der neue Vertrag durfte weder das britische Rechtssystemnoch die Rechtsprechung beeinflussen. Es konnte nichtangehen, dass die Grundrechtecharta britisches Rechtbricht. Ebenso durfte ein gemeinsamer Außenminister die

Page 41: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

41Die europäische Verfassungskrise als Demokratieproblem

Rolle des britischen Außenministers nicht schmälern. Dieaußenpolitische Souveränität musste deshalb genausosichergestellt werden, wie das Steuer- und Sozialsystemvon europäischen Einflüssen freigehalten werden muss-te. Die Briten verhandelten hart und zogen klare roteLinien. Sollten diese Einschränkungen keinen Eingang inden Kompromiss finden, könnte am Ende doch noch eineVolksabstimmung drohen, die sicherlich negativ ausge-hen würde. Die Briten nutzten die Blockade der Polen,um möglichst viele der eigenen Forderungen durchset-zen zu können. Die geringere mediale Aufmerksamkeitmag darauf zurückzuführen sein, dass Großbritannien vorallem Ausnahmeregelungen in Bereichen forderte, wozwar Nachteile für ihre eigenen Bürger entstehen (zumBeispiel im Grundrechteschutz), in denen die übrigenStaaten aber auch ohne Großbritannien weitergehenkönnen. Der Verzicht auf staatliche Symbole war bereitsim Vorfeld des Gipfels allgemeiner Konsens und entsprachebenso den Forderungen der Niederlande und Frank-reichs. Die polnischen Forderungen hingegen rührten aneinen Kernbereich der Kooperation, der sich auf die ge-samte Union auswirkt.

Die Niederlande wehrte sich wie Großbritannien ge-gen jede staatliche Symbolik, um keine neue Volksab-stimmung – wie Frankreich – abhalten zu müssen. Zudemforderte sie eine Reform des Kontrollmechanismus für dienationalen Parlamente. Diese können künftig innerhalbvon acht Wochen gegen beabsichtigte EU-RechtsakteEinspruch erheben, falls sie der Ansicht sind, dass dienationale Zuständigkeit verletzt würde. Wenn dies mehr

Page 42: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

42 WT-Papiere 4

als 15 Parlamente tun, muss die Kommission die Einsprü-che prüfen und ihre Gesetzesvorschläge im Lichte derKritik noch einmal begründen. Im Extremfall kann sogareine Gesetzesinitiative der Kommission zu Fall gebrachtwerden. Dies hält sich im Rahmen einer mehrstufigentransnationalen Demokratie.

Für Polens Kritik hingegen war ausschlaggebend, dassDeutschlands Gewicht in Mehrheitsabstimmungen durchseine hohe Bevölkerungszahl begünstigt wird. Polen misstseine demokratische Handlungsmacht im Verhältnis zumgroßen Nachbarn. Von anderen Ländern aus gesehen (z.B. Spanien oder Griechenland), sieht diese Relation an-ders aus, denn es geht in diesem Konflikt um relativeMacht und Geopolitik. Im Juni 2007 verkündete Minis-terpräsident Jaroslaw Kaczynski in Anlehnung an denalten Schlachtruf ‚Nizza oder der Tod’, Polen sei bereit,für eine Änderung des Abstimmungsmodus zu sterben.Dieser Protest war in den ersten Monaten durch eineblanke Veto-Drohung bestimmt. Erst als allgemeines eu-ropäisches Kopfschütteln über die mangelnde Konstruk-tivität unübersehbar wurde, legte Polen einen Alternativ-vorschlag vor. Die Stimmen eines Landes sollten nun nichtmehr nach der Bevölkerungszahl gemessen werden, son-dern nach der Quadratwurzel daraus. Dieses Systemwürde das Gewicht Deutschlands mindern und kleine-ren Staaten mehr Einfluss geben.

Die polnischen Physiker Slomczynski und Zyczkowskivon der Krakauer Universität haben das Entscheidungs-system von Penrose aufgegriffen und die polnische Re-

Page 43: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

43Die europäische Verfassungskrise als Demokratieproblem

20 Wojciech Slomczynski/Karol Zyczkowsk: Penrose voting System andOptimal Quota. In: Acta Physica Polonica 37 (11) 2006, S. 3133-3143.Zur Bewertung der Quadratwurzel und anderer alternativer Entschei-dungsmechanismen siehe: Iain Paterson: A Lesser Known – ProbabilisticApproach to the Shapley-Shubik Index and Useful Related Voting Mea-sures. Paper presented at the EPCS, Durkham, 31. März – 03. April 2005;Claus Beisbart/Luc Bovens/Stephen Hartmann: A Utilitarian Assessmentof Alternative Decision Rules in the Council of Ministers. In: EuropeanUnion Politics 6 (4) 2005, S. 395-418.

gierung diesbezüglich beraten.20 Die Quadratwurzelverflacht die Machtunterschiede zwischen allen Mitglie-dern der EU. Sie bindet damit die Macht Deutschlands,Frankreichs, Großbritanniens und Italiens. Sie verbessertzwar nicht effektiv die Chancen Polens, Koalitionen zubilden, aber sie reduziert aus der Sicht Polens doch dieChancen einer Hegemonialisierung der EU durch diegroßen Länder. Deshalb lässt sich die Quadratwurzel alsdemokratischer (im Sinne von Tocqueville) bewerten, dasie zum Ziel hat, die ‚Tyrannei der Mehrheit’ zu verhin-dern, während die doppelte Mehrheit die ‚Tyrannei derMinderheit’ verhindern will. Der deutsche Mathematik-professor Werner Kirsch hatte bereits zuvor – zusammenmit 46 anderen Wissenschaftlern aus zehn Ländern –einen offenen Brief an die Regierungschef der EU ge-schickt, in dem er sich für das Quadratwurzelverfahrenaussprach. Die Wissenschaftler begründeten ihr Argumentdamit, dass besonders große und kleine Staaten im ein-fachen Berechnungsverfahren der Bevölkerungszahl sys-tematisch bevorzugt würden, mittlere Staaten dagegenbenachteiligt. Laut dem Konzept des Machtindexes desbritischen Mathematikers Lionel Penrose gilt Macht alsFähigkeit, eine Abstimmung entscheiden zu können. Um

Page 44: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

44 WT-Papiere 4

Macht zu messen, wird deshalb berechnet, in wie vielenaller möglichen Abstimmungskonstellationen das eige-ne Votum ausschlaggebend ist. Nach diesem Verfahrenlässt sich für jeden EU-Bürger errechnen, wie oft seineStimme in einer Entscheidung des Ministerrates tatsäch-lich ausschlaggebend ist. Dabei gilt, dass der Einfluss desEinzelnen abnimmt, je größer das Land ist, in dem erlebt. Der Einfluss ist somit umgekehrt proportional zurWurzel aus der Bevölkerungsgröße. Im Umkehrschlussmuss aus der Bevölkerungszahl jedes Staates die Wurzelgezogen werden.

Nach diesem Verfahren hätte Polen, das halb so vieleEinwohner hat wie Deutschland, sechs Stimmen undDeutschland trotz doppelter Einwohnerzahl neun Stim-men. Das Erstaunliche an diesem Vorschlag ist, dass selbstPolens eigenes Gewicht im Vergleich zu etlichen kleinenStaaten mit diesem Modus eher schwächer würde als mitder einfachen Berechnung der Bevölkerungszahl. Offen-bar war es aber der polnischen Regierung am Wichtigs-ten, das Gewicht Deutschlands zu verringern, selbst wenndabei der eigene Einfluss schwindet. Falls über diesenneuen Vorschlag nicht verhandelt würde, war Polen sogarbereit, die Verhandlungen abzubrechen und die Regie-rungskonferenz zu vertagen. Eine interessante Frage istes, ob Polen eine derart harte Position auch eingenom-men hätte, wenn ein anderes Land als Deutschland denRatsvorsitz innegehabt hätte. Sicherlich muss aber zwi-schen der populistischen Methode der polnischen Re-gierung und der europafreundlichen Einstellung der pol-nischen Bevölkerung differenziert werden.

Page 45: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

45Die europäische Verfassungskrise als Demokratieproblem

21 Vgl. Rzeczpospolita vom 24.06.2007; Wprost Nr. 27/2007.

Polen blieb auf dem Gipfeltreffen mit seiner Forde-rung isoliert. Sogar die tschechische Regierung, die imVorfeld Sympathien gezeigt hatte, war kooperationsbereit.Nach nächtelangen Verhandlungen einigte man sichschließlich auf einen komplizierten Kompromiss. Obwohlder neue Vertrag 2009 in Kraft treten soll, bleibt bis 2014doch der Abstimmungsmodus des Vertrags von Nizzaerhalten. Jeder Mitgliedstaat kann bis 2017 verlangen,dass eine Abstimmung nach den alten Regeln erfolgt.Deutschland behält in den nächsten Jahren 29 Stimmenund Polen 27. Im Rat ist für eine qualifizierte Mehrheitdie Zustimmung von 255 der 345 Stimmen notwendig.Insgesamt müssen 14 der 27 Staaten einem Beschlusszustimmen. Auf Antrag eines Landes kann außerdemgefordert werden, dass mindestens 62 % der EU-Bevöl-kerung in dieser Mehrheit vertreten sind. Die polnischeRegierung zeigte sich schließlich sehr zufrieden mit die-sem Kompromiss zu ihren Gunsten. Warschauer Tages-zeitungen zitierten den Premier und den Präsidenten wienach einem Siegeszug.21

Einige Besonderheiten dieses Gipfels sind jedoch nichtzu übersehen. Ein Land (Polen) kämpfte diesmal um dieEindämmung der Macht eines anderen Staates (Deutsch-land). Zudem mochte man Deutschland den diplomati-schen Erfolg nicht gönnen. Ansonsten gilt der Versuch,möglichst den Interessen aller unter Berücksichtigung dereigenen zu entsprechen. Die einmalige mediale Anhei-zung eines diplomatischen Konfliktes auf beiden Seiten,insbesondere aber in Polen, wirkte sich ungünstig auf die

Page 46: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

46 WT-Papiere 4

Verhandlungen und ihr Umfeld aus. Dies führte schließ-lich sogar zur Drohung mit Ausschluss. Deutschland droh-te Polen. Umgekehrt war die Geduld der deutschen Ver-handlungsführung einzigartig. Nur eine Bundeskanzlerinmit ostdeutscher Herkunft (und dadurch mit schuldaner-kennender Sozialisation) hat bis vier Uhr früh weiter-verhandelt. Bei jeder anderen EU-Ratspräsidentschaftwäre wohl um zwölf Uhr Mitternacht Schluss gewesen.Auch ein Bundeskanzler Schröder hätte dann mit einem‚Basta’ abgebrochen.

Vieles irritierte an diesem Gipfel. Das Prinzip derdeutschen Ratspräsidentschaft, erst Tiefstapeln und zumSchluss das Maximale fordern, ist jedoch aufgegangen.Die Substanz des europäischen Verfassungsvertrageskonnte größtenteils gerettet werden. Aber in welcherForm? Und um welchen Preis?

9. Erfolg und Misserfolg

Der Junigipfel war ohne Zweifel ein Erfolg der deutschenRatspräsidentschaft, die ohnehin als einzige in der Lagewar, diplomatisch aus der Ratifizierungskrise herauszu-führen. Sie besaß dafür die nötige Vorschusslegitimität,die andere Regierungen nicht hatten. Erklärtes Ziel wares, die Substanz des europäischen Verfassungsvertrageszu retten. Man wusste aber auch, dass dies nicht alleinegeht. Das Motto hieß deshalb: „Europa gelingt nur ge-meinsam.“ Bei ihrer Antrittsrede zur Präsidentschaft imEuropäischen Parlament am 17. Januar 2007 stellte dieBundeskanzlerin die Wiederbelebung des Verfassungs-

Page 47: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

47Die europäische Verfassungskrise als Demokratieproblem

prozesses in den Vordergrund der deutschen Aufgaben.Merkel sprach von einem historischen Versäumnis, wenndas Unterfangen scheitern sollte. Die Formel „keine Er-weiterungen ohne Reform“ stand im Mittelpunkt ihrerAnsprache. Ihre Rede wirkte schon als Einstimmung aufdie geplante Berliner Erklärung im März 2007. Zuvorjedoch gab es noch ein bezeichnendes Treffen der „Freun-de der Verfassung“. Teilnehmer aus den 18 Mitgliedstaa-ten, die bereits ratifiziert hatten, kamen am 26. Januar2007 in Madrid zusammen, um gemeinsame Wege ausder Krise zu suchen. Auch Vertreter aus Portugal und Ir-land nahmen teil. Die Organisatoren aus Spanien undLuxemburg erklärten, die deutsche Bemühung mit kon-struktiven Vorschlägen unterstützen zu wollen. Der spa-nische Außenminister äußerte sogar, es sei im Hinblickauf die derzeitige Krise der Union vorteilhafter, einengewagten Entwurf vorzulegen statt einen Minivertrag.Letzterer würde unvermeidlich zu einer Einigung auf demkleinsten gemeinsamen Nenner führen. Die deutscheBundesregierung war bei der Veranstaltung lediglich miteinem Botschafter vertreten, was damit begründet wur-de, dass sich die Bundesregierung mit Rücksicht auf ihreVermittlerrolle nicht exponieren wolle. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft war über diese Konferenz nicht glück-lich, da sie befürchtete, dass sich die Kluft zwischen denBefürwortern und den Kritikern der Verfassung noch ver-tiefen könnte. Der belgische Premierminister Verhoefstadtsagte hingegen: „Wir hören zu viel über diejenigen, dienicht ratifiziert haben.“22

22 Vgl. Euractiv-Meldung von 26.01.2007.

Page 48: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

48 WT-Papiere 4

24 Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20.04.2007.

Auf der anderen Seite drohte der damalige britischeFinanzminister Gordon Brown alle Reformvorschläge zublockieren, die über eine Minimallösung hinausgehen.Blair und Brown wollten nicht mehr als einen Minivertrag.Sie bestanden darauf, dass die Vorschläge, die ein Refe-rendum benötigen, vom Tisch sind, bevor die Verhand-lungen über kleinere Änderungen beginnen.23 Diesmachte schon klar, dass die großen Drei – Großbritanni-en, Frankreich und Deutschland – die Lösung bestimmenwerden. Frankreich hatte bis dahin noch nicht gewählt,was zunächst für die deutsche Ratspräsidentschaft einNachteil war. Keines der Länder nahm an einem Treffender Freunde der Verfassung in Madrid teil, was bereitsandeutete , wohin der Weg nun führen würde. Frank-reich war erstmals nicht Motor und Ideengeber.

Die symbolisch wichtige Berliner Erklärung zum 50.Geburtstag der Römischen Verträge läutete dann das Endeder Reflexionsphase ein. Dass die Bezeichnung ‚Verfas-sung’ darin schon nicht mehr vorkam, war ein wegwei-sender Schritt für die weitere Einigung. Die Bundeskanz-lerin plädierte in ihrer bemerkenswerten Rede, nie wiedereine Spaltung Europas zuzulassen, indem sie auf ihreeigene ostdeutsche Biografie verwies. Diese Passagenihrer Rede sollten die Festtagsstimmung derart aufladen,dass neue politische Energien für den erschöpften Reform-prozess in der EU freigesetzt würden. Die Berliner Erklä-rung würdigte im ersten Teil die Verdienste um die Siche-rung von Frieden, Wohlstand und Stabilität in Europa.Der zweite Teil ging in kurzen und verständlichen Wor-

Page 49: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

49Die europäische Verfassungskrise als Demokratieproblem

ten auf die Hauptmerkmale der EU und ihres Zusammen-wirkens ein. Der dritte Teil stellte zentrale Werte heraus,auf denen die Einigung beruht (Demokratie, Rechtsstaat-lichkeit, Gerechtigkeit, Gleichberechtigung der Ge-schlechter, Toleranz, Vielfalt und Solidarität). Der letzteTeil schließlich benannte die Herausforderungen, mitdenen die 27 Staaten derzeit konfrontiert sind (Rassis-mus, Fremdenfeindlichkeit, Terrorismus, Gewalt, Krimi-nalität, Armut, Hunger, Krankheiten und Krieg in ande-ren Teilen der Welt). Dass diese Herausforderungen mitder bestehenden institutionellen Struktur nicht zu bewäl-tigen sind, bildete den Kern des Dokuments. Im Junigipfelwollte man deshalb auf einer Regierungskonferenz eineEinigung, verbunden mit einem verbindlichen Fahrplan,erzielen. Auch Sarkozy, damals noch Präsidentschafts-kandidat, und der britische Premierminister Blair schlu-gen genau dies vor. Blair hatte derweil seinen Rücktrittfür den 27. Juni 2007 angekündigt, er sagte ausdrück-lich: „Wenn es nicht um einen Verfassungsvertrag geht,durch den sich das grundsätzliche Verhältnis zwischenEuropa und den Mitgliedstaaten ändert, wäre kein Refe-rendum notwendig“.24 Zu diesem Zeitpunkt galten diedrei Großen und Aktiven: Merkel, Brown und Sarkozybereits als neue Hoffnung für Europa. Zusammen stehensie aber auch für die Realisierung eines Minimums derursprünglichen Reformideen. Allein Polen schien einenneuen Grundlagenvertrag noch aufhalten zu können.Nach seiner Wahl zum französischen Staatspräsidentenbeschleunigte vor allem Sarkozy den weiteren Prozess,

23 So zitierte die Süddeutsche Zeitung die ‚Times’ am 01.02.2007.

Page 50: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

50 WT-Papiere 4

25 Vgl. Joschka Fischer: Knapp am Totalschaden vorbei, in: SüddeutscheZeitung vom 26.06.2007, S. 2.

da er keine Zeit mehr verlieren wollte. Dass verlorene(Handlungs-) Zeit nur neue Probleme auftürme und dieKomplexität erhöhe, war sein Hauptargument. Noch amTag seiner Wahl besuchte er die Bundeskanzlerin Merkelin Berlin, danach reiste er auch nach Warschau. Zuvorhatte schon die Bundeskanzlerin in Warschau und Pragauf sehr persönliche Weise einiges zu bewegen versucht.Trotz der versöhnlichen Rhetorik des polnischen Staats-präsidenten nach diesen Treffen war jedoch zu erwarten,dass Polen in den weiteren Verhandlungen im Juni wei-terhin als einziges Land am institutionellen Kern der Ei-nigungen rühren wird.

Unter realpolitischen Gesichtspunkten war der Juni-gipfel ein Erfolg. Einer der Väter des Verfassungskonvents,der ehemalige Außenminister Joschka Fischer, bezeich-net den Gipfel als ersten wirklichen außenpolitischenErfolg der Kanzlerin: „Die Kanzlerin hat mit vollem Ein-satz gekämpft, ist ein hohes Risiko eingegangen und hatgewonnen. Das verdient Respekt und Anerkennung.Kommt der neue Vertrag, so werden alle wesentlicheninstitutionellen Reformen und – mit zeitlicher Verzöge-rung – auch das neue Abstimmungsverfahren der dop-pelten Mehrheit Wirklichkeit werden. Daran arbeitet dieEU seit 20 Jahren, seit der Zeitenwende von 1989/90“.25

Fischers Bewertung argumentiert vor allem in der Pers-pektive eines strategischen Europas, innerhalb derer dieEU nun zu einem globalen Akteur werden muss. Er siehtdeshalb die Rolle Großbritanniens innerhalb der EU als

Page 51: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

51Die europäische Verfassungskrise als Demokratieproblem

geschwächt an und fragt Polen, welche Rolle es künftigspielen möchte. Polen besteht inzwischen schon wiederauf Nachverhandlungen in Bezug auf den sogenanntenIoannina-Kompromiss. Der mühsam in Brüssel gefunde-ne Kompromiss besteht aus drei Elementen: Bei Mehr-heitsentscheidungen im EU-Ministerrat gilt von 2014 andas System der doppelten Mehrheit; bis 2017 könneneinzelne Mitglieder aber auch eine Abstimmung nachdem Verfahren von Nizza verlangen; die Ioannina-Rege-lung, das dritte Element, gibt es seit 1994; sie sieht vor,dass eine Mehrheitsentscheidung im Ministerrat nocheinmal aufgeschoben wird, wenn einige Mitgliedstaatenfast eine Sperrminorität erreichen und dies verlangen.Dass dabei eine Entscheidung zwei Jahre lang blockiertwerden kann, wie dies Polen jetzt offenbar verlangt, istjedoch nicht vorgesehen. Auch die Grundrechtechartawill die polnische Regierung noch einmal überprüfenlassen hinsichtlich ihrer Kompatibilität mit dem polni-schen Recht.

Die Enttäuschung über die polnische Regierungspolitikist insbesondere in Deutschland groß. Man spricht vompolnischen Menetekel: „Offenkundig konnte auch diepropolnische Politik deutscher Regierungen seit Brandtnicht verhindern, dass die Kazcynskis und ihre AnhängerDeutschland immer noch mit den Begriffen der Nazizeitzu erfassen versuchen. Der Gipfel von Brüssel hat end-gültig die Behauptung wiederlegt, man könne die EU imselben Maße erweitern und vertiefen. Es wird in Zukunftnur noch in kleinen Schritten vorangehen. Doch gibt eseine Möglichkeit, auch das zu verhindern: durch die

Page 52: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

52 WT-Papiere 4

Aufnahme der Türkei. Das Menetekel von Brüssel ist zwarin polnischer Sprache verfasst. Wer aber wollte nach die-sem Schauspiel noch ernsthaft behaupten, dass die Zei-chen an der Wand nicht zu verstehen seien?“26 InDeutschland stehen also Erfolg, Irritation und Enttäu-schung (vor allem über Polen, weniger über Großbritan-nien) dicht nebeneinander. Das Fazit in Regierungskreisenist jedoch eindeutig positiv, wohingegen die Kommenta-re gemischter sind. Während Merkels persönliche Gip-felleistung durchgehend gelobt wird, werden die Ergeb-nisse nicht so überschwänglich beurteilt. Ähnlich urteiltder ehemalige EU-Kommissionspräsident und derzeitigeitalienische Ministerpräsident Romano Prodi. Er lobt ei-nerseits die Leistung Merkels, sieht aber andererseitsEuropa vor einer Spaltung, insbesondere wegen des Ver-haltens Polens und Großbritanniens. Er kann nicht ver-stehen, dass Polen ausgerechnet im Namen Europas dieUnterschiede zwischen den Völkern Italiens und Polensso hervorhebt.27

Realpolitisch ist der Brüsseler Gipfel zweifelsohne einErfolg „knapp am Totalschaden vorbei“. Gemessen anunseren Kriterien – den Fragen von Laeken (siehe Kapitel3) – fällt das Fazit ambivalenter aus. Einerseits gab es einerelativ starke Begleitung der Öffentlichkeit, die Frage derZukunft der EU stand im Mittelpunkt, andererseits ist einRückfall in die Geheimdiplomatie nicht zu verkennen.Inhaltlich sind wesentliche Teile des europäischen Ver-fassungsvertrages gerettet worden, doch wurde die wich-

26 Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25.06.2007, S. 1.27 Siehe das ausführliche Interview in ‘La Repubblica’ vom 24.06.2007.

Page 53: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

53Die europäische Verfassungskrise als Demokratieproblem

tige symbolische Dimension einer Verfassung für dieBürger gänzlich entfernt. Zudem wird eines der Kernstü-cke der Reform, die doppelte Mehrheit, erst 2014 bzw.2017 übernommen. Manches darf nicht so genannt wer-den, wie es ist – Sein und Heißen fallen auseinander. Dawesentliche Teile des europäischen Verfassungsvertragesumgesetzt werden, sind die Ratifizierungen in den 18Staaten jedoch nicht gegenstandslos geworden. Die Angstvor einem europäischen Superstaat war auch in den Rati-fizierer-Staaten präsent, wenngleich eine Ablehnung des-wegen nicht mehrheitsfähig war. Auch das ist ein gewich-tiger, positiver Punkt. Dennoch wurde das demokratie-theoretische Dilemma nicht aufgelöst: Entweder sind dieÄnderungen so gering, dass die Ratifizierungen in 18Staaten gültig sind, oder sie sind so groß, dass Referen-den in Frankreich, den Niederlanden, Großbritannien(und möglicherweise auch in anderen Staaten) nötig wer-den. Ein Mittelweg ist demokratietheoretisch doppeltunseriös, denn letztlich wurde die Kritik der ablehnen-den Bevölkerungen nicht berücksichtigt, sondern nur dieder Regierungsvertreter, die hart verhandelten. Die ge-fundene Kompromissformel ist mithin kein Ausdruck ei-nes demokratischen Aktes. Dies ist letztlich der härtesteKritikpunkt, obwohl – erstaunlicherweise – bei der An-zahl von 27 Akteuren dennoch ein Kompromiss möglichwurde, was wiederum ein realpolitischer Erfolg ist. DieEU-Kommission lehnt deshalb die polnischen Forderun-gen nach Nachverhandlungen strikt und ausdrücklich ab.Das einstimmig gefundene Ergebnis soll Grundlage dernächsten Regierungskonferenz sein. Der erreichte Kom-

Page 54: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

54 WT-Papiere 4

promiss über den Reformvertrag soll deshalb nicht wiederin Frage gestellt werden.

10. Wie geht es weiter?

Die portugiesische Ratspräsidentschaft darf nun eine Re-gierungskonferenz einberufen und einen hoffentlich les-baren Vertragsentwurf erstellen, der dem auf dem Juni-gipfel verhandelten Mandat entspricht. Die Verhandlun-gen sollen noch vor Jahresende abgeschlossen werden.Auf diesem Weg soll sichergestellt werden, dass die ver-änderten Verträge bis zu den Wahlen zum EuropäischenParlament im Juni 2009 ratifiziert sind. Dies jedenfalls istder Fahrplan. Ob er noch eingehalten werden kann, istderzeit ungewiss. Zeit- und Handlungsdruck sind groß,denn der zweite Ratifizierungsprozess steht vor mehre-ren großen Hürden. Wenn 90 % der ursprünglichen Ver-fassung gerettet worden sind, wie die meisten Regierungs-politiker ihren Erfolg großspurig verkaufen, so hat diesKonsequenzen. Die Iren werden in jedem Fall über denneuen EU-Vertrag abstimmen, weil dieser bestehendeVerträge ersetzt und die Verfassung ein Referendum vor-schreibt. Die Iren hatten bereits in einer Volksabstimmung2001 den Vertrag von Nizza zunächst abgelehnt, erst ineinem zweiten Durchgang stimmten sie dafür. Referen-den zu wiederholen ist kein Makel, solange die Politikerernsthaft zu überzeugen versuchen. Die Niederländerhatten schon nach ihrem ersten schlechten Versuch dar-auf gedrängt, alle Symbole einer Verfassung fallen zulassen, um ja kein zweites Referendum durchführen zu

Page 55: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

55Die europäische Verfassungskrise als Demokratieproblem

müssen. Ob sie das in der zweiten Ratifizierungsrundeverhindern können, wird sich aber zeigen, ebenso wiein Dänemark und Tschechien, das sich in der ersten Rundenoch nicht einmal auf eine Ratifizierungsform einigenkonnte. In den Niederlanden mobilisieren schon jetztLinks- und Rechtspopulisten gegen den neuen Grund-lagenvertrag, was eigentlich für ihn spricht. Bei den Bri-ten sieht die Situation wieder etwas anders aus. Schonals Blair – mit dem Rücken zur Wand wegen des Irak-Krieges und des Vorwurfs, das Land zu verraten – in derFrühphase des Ratifikationsprozesses eine Volksabstim-mung ankündigen musste, sahen viele das Projekt bereitsals gescheitert an. Wenn jetzt aber die Substanz des eu-ropäischen Verfassungsvertrages gerettet worden ist, dannkönnte der neue Regierungschef Brown doch noch vonder konservativen Opposition gezwungen werden, einReferendum durchzuführen. Eine ähnliche Situationkönnte es in Frankreich geben, wenn die sozialistischeOpposition stark genug wäre. Die sozialistische Präsi-dentschaftskandidatin Ségolène Royal hatte ja den Fran-zosen ein neues Referendum versprochen. Sarkozy aberkonnte und wollte ein solches gerade verhindern, um dienötige Zeit für nötige Problemlösungen zu gewinnen.Schon in der Nacht der Niederlage am 29. Mai 2005nahm er deshalb mit einer gut vorbereiteten Rede vordem Fernseh-Volk wie ein charismatischer Politiker dasHeft des Handelns in die Hand, während der damaligeStaatspräsident Chirac einen beklagenswerten Eindruckhinterließ.

Page 56: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

56 WT-Papiere 4

Frankreich war eindeutig der Kriseneingang der Ver-fassungskrise als Ratifizierungskrise, aus der es ebensoeinen Krisenausgang finden musste. Die gesamteuropä-ische Denkpause wurde zu einem Teil der Krisenphase,denn sie bot nur Stillstand und Starre. Die Krisenlösungbot schließlich der neu gewählte französische Staatsprä-sident mit dem Umstellen des Verfassungsprozesses aufeinen Vertragsprozess. Die Briten konnten dem leichtenHerzens zustimmen, da sie nie – wie die Franzosen, dieDeutschen und viele andere – in der Verfassungswelt deseuropäischen Verfassungsvertrages lebten – schon in derZeit des Grundrechtekonvents nicht und erst recht nichtin der Zeit des Verfassungskonvents. Die von allen re-spektierte deutsche EU-Ratspräsidentschaft moderiertezudem erfolgreich mit ihrem Vorschlag eines Änderungs-vertrages. Sie verhielt sich diplomatisch und wollte aufkeinen Fall eine Spaltung Europas zulassen, was in der‚Berliner Erklärung’ deutlich zum Ausdruck kam. DieEinwände der Franzosen, der Briten und der Niederlän-der waren deshalb unumgänglich und mussten von denDeutschen ohne große Überzeugung aufgenommen wer-den. In der Auseinandersetzung mit Polen kam dann nocheinmal ein ernsthaftes demokratietheoretisches Problemzur Sprache, welches über den historisch belastetenNachbarschaftskonflikt zwischen Polen und Deutschlandhinausging. Verfassungsfragen sind eben auch Macht-fragen, und es ist legitim, über die Entscheidungsregelngenau nachzudenken. Warum das fast nur in Polen ge-schehen ist, wäre eine interessante Frage.

Page 57: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

57Die europäische Verfassungskrise als Demokratieproblem

Die nationalen und transnationalen Demokratiepro-bleme werden kein Ende nehmen. Die Demokratie istein Problemlöser und zugleich ein Problemerzeuger. Sieist selber eine Lösung, die Berufspolitiker wie Gelegen-heitspolitiker vor Probleme stellt. Ohne Eigenhaftungfunktioniert Demokratie nicht. Anlass zu demokratischerSelbstzufriedenheit besteht in Europa nicht. Wir befin-den uns vielmehr in einer Ära der direktdemokratischenAnfänge. Zur geretteten Substanz des europäischen Ver-fassungsvertrages gehören entscheidend die Bürgerrech-te und Ansätze einer mehrstufigen Demokratie. Über siehaben die Unionsbürger die Chance, sich die EU zu ih-rer eigenen Sache zu machen, was noch ein langer Wegsein wird. Das Ziel der deutschen Ratspräsidentschaft,eine substanzielle Einigung über die Inhalte einer neuenVertragsreform unter Beibehaltung der Grundzüge desKonventsentwurfs herbeizuführen, ist geglückt. Der eu-ropäische Verfassungsprozess wurde hingegen auf einenReformprozess der bestehenden Verträge reduziert.

Page 58: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

58 WT-Papiere 4

Page 59: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

59Die europäische Verfassungskrise als Demokratieproblem

Page 60: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

60 WT-Papiere 4

Page 61: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

61Die europäische Verfassungskrise als Demokratieproblem

Sie möchten Forschungsarbeiten veröffentlichen?Sie möchten in aktuelle Debatten streitbar eingreifen?Sie möchten „klassische“ Texte für die Lehre einsetzen?

… und dies schnell, preiswertund für ein breites Publikum?

Wir bieten Ihnen dafür ...

Bisher erschienen1 | Noch zu retten? Plädoyer für die EU-Verfassung2 | Deutsche EU-Ratspräsidentschaft

Ende der Verfassungskrise?3 | Ansprüche? Eigentumsfrage Deutschland – Polen4 | Erfolgreich gescheitert! EU-Verfassung und Demokratie

In Vorbereitung5 | Deutsche Auslandseinsätze – Streitplatz um Militärmacht

Bestellungen:[email protected] oder

[email protected]

Wenn Sie an der Publikation eines eigenen WT-Papieresinteressiert sind, wenden Sie sich bitte an Frau AzadehZamirirad (Tel. 0331 -9774540 oder [email protected]).

TrendsWelt

Papiere

www.welttrends.de

Page 62: Heinz Kleger Erfolgreich gescheitert! - publish.UP Home · im Sinne Max Webers als Bohren dicker Bretter.2 Visio-nen sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Reali-täten zur

62 WT-Papiere 4

Ja, ich bestelleein Abonnement der Zeitschrift WeltTrends(4 Hefte + Register) zum Preis von 40 € inkl. Porto.ein Studenten-Abonnement der Zeitschrift WeltTrends(4 Hefte + Register) zum Preis von 25 € inkl. Porto.ein Institutionen-Abonnement der Zeitschrift WeltTrends(4 Hefte + Register) zum Preis von 80 € inkl. Porto.Die Abonnements sind jederzeit kündbar.ein kostenloses Probeheft der Zeitschrift WeltTrends.WeltTrends Nr. _______________________________zum Preis von je 9,50 € (Nr. 1-41 nur 7,50 €) zzgl. Porto.

Gewünschte Zahlungsweise (Bitte ankreuzen)RechnungBankeinzug

Konto-Nr.:

Bankleitzahl:

Geldinstitut:

Name, Vorname

Straße

PLZ Ort

E-Mail-Adresse (falls WT-Newsletter gewünscht)

Datum und Unterschrift

WeltTrendsUniversitätsverlag Potsdam, Am Neuen Palais 10,

D-14469 PotsdamFax +49 (0)331 977-4625 oder -4696