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5,80 € | 7,80 sFr www.welt-sichten.org 5-2017 MAI MAGAZIN FüR GLOBALE ENTWICKLUNG UND öKUMENISCHE ZUSAMMENARBEIT SÜDSUDAN: Treuhandschaft als Weg zum Frieden? EU-AGRARHANDEL: Und er schadet Afrika doch! NIGERIA: Bei den Toilettenwärtern von Makoko 5,50 € | 7,80 sFr www.welt-sichten.org Gutes tun? Ehrensache!

Gutes tun? Ehrensache! - welt-sichten€¦ · Armageddon. Der plane-tarische Klassenkampf ist in der Endphase.“ Jean ziegler, der frühere un-sonderbe-richterstatter für das Recht

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Page 1: Gutes tun? Ehrensache! - welt-sichten€¦ · Armageddon. Der plane-tarische Klassenkampf ist in der Endphase.“ Jean ziegler, der frühere un-sonderbe-richterstatter für das Recht

5,80 € | 7,80 sFr www.welt-sichten.org

5-2017 Mai

Magazin für globale entwicklung und ökuMenische zusaMMenarbeit

SÜDSUDAN: Treuhandschaft als Weg zum Frieden?EU-AGRARHANDEL: Und er schadet Afrika doch!

NIGERIA: Bei den Toilettenwärtern von Makoko

5,50 € | 7,80 sFr www.welt-sichten.org

Gutes tun? Ehrensache!

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Geschichten aus dem Nahen Osten, 50 Jahre nach dem Sechstagekrieg: von palästinensischen Bauern, die sich gegen die Landnahme durch Israel wehren; vom pulsierenden Leben in der Mittelmeermetropole Tel Aviv, die vom Krieg nichts wissen will; vom komplizierten Alltag in einem geteilten Dorf im Westjordanland und von einem allergischen Hund, der ein jüdisches Pärchen in den Wahnsinn treibt.

Auchals E-Bookerhältlich.

8,50 €* broschiert, 112 Seiten, ISBN 978-3-937683-63-8*Versandkostenfrei im Inland, wenn Sie direkt bei Le Monde diplomatique bestellen.

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monde-diplomatique.de

Zwei Nationen beschäftigen die Welt

[email protected] • T (030) 25 90 21 38

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editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

ehrlich gesagt: Manchmal habe ich nach einem Tag in der Redaktion nur wenig Lust, mich mit den Sorgen anderer Menschen zu beschäftigen. Das heimische Sofa oder ein Kinobesuch locken viel mehr. Dennoch unterstütze ich ein paar Mal im Monat Menschen in psychischen Notlagen. Und deren Geschichten wecken meistens ganz schnell mein Interesse, bringen mich auf andere Gedanken, weiten meinen Blick. Oft fühle ich mich danach hilfreich und bereichert zugleich. Ähnliche Motive dürften auch die Millionen anderen Menschen leiten, die sich weltweit ehrenamtlich für die Gemeinschaft einsetzen.

Wie viele es sind, und ob sie eher Kranke besuchen, junge Sportlerinnen betreuen oder Strände von Abfall befreien, unterscheidet sich von Land zu Land. Stefan Toepler zeichnet verschiedene Traditionen des bürgerschaftlichen Engagements nach und analysiert die

Gründe dafür. Außerdem lernen Sie in dieser Ausgabe beeindruckende Menschen und ihre Ehrenämter kennen: Deodatus Mfugale hat in Tansania Frauen und Männer getroffen, die in Dörfern über Landrechte aufklären und damit so manchen Streit zwischen Nachbarn verhindern. Johannes Süßmann hat den Telefonseelsorger Julio Tarré aus Quito gefragt, was die Anrufenden quält und welchen Rat er für sie hat.

Nicht nur das Christentum, auch der Islam verpflichtet zur Nächstenliebe. Raffat Binte Rashid hat sich in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka angeschaut, wie junge Leute die religiösen Gebote mit Leben erfüllen: Sie verteilen Brötchen und Wasser in einem Slum.

Michael Lawson und Ibrahim Bello aus der Millionenmetropole Lagos in Nigeria hingegen könnten es sich schlicht nicht leisten, unentgeltlich zu arbeiten. In den wenigen öffentlichen Toiletten im Slum Makoko kämpfen sie fast rund um die Uhr gegen den Schmutz und die damit verbundenen Gesundheitsrisiken. Sie verdienen wenig und müssen mit ihren Kunden um jeden Naira Gebühr feilschen, wie Sam Olukoya berichtet. Theo Rauch erzählt eine landwirtschaftliche Erfolgsgeschichte aus Sambia. Und Claudia Mende hat den senegalesischen Ökonomen Ndongo Sylla gefragt, warum seiner Ansicht nach der faire Handel den Ärmsten nichts bringt.

Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre,

Gesine Kauffmann

Redakteurin

In eigener SacheAuch für die Herstellung von steigen die Kosten. Wir bitten um Verständnis, dass wir deshalb den Preis des Jahresabonnements zum Mai 2017 leicht an-heben müssen auf 52,20 Euro (ermäßigt 39,15 Euro).

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12Sie nehmen Mohammeds Gebote ernst: Junge Muslime verteilen im Slum Korail im Zentrum von Bangladeschs Hauptstadt Dhaka Brot und Wasser an arme Familien. 26

Freiwilligendienst und ehrenamt 12 Im unbezahlten Einsatz Überall sind Menschen freiwillig für andere tätig – doch wo und wie, ist von Land

zu Land verschieden Stefan Toepler

18 3000 Karma-Punkte täglich Der Chirurg Felix Blake operiert unentgeltlich Menschen im globalen Süden Johanna Greuter

20 „Die Bilder im Kopf kritisch anschauen“ Gespräch mit Marie Albrecht über ihr Jahr als „weltwärts“-Freiwillige in Ghana

22 Welcher Platz passt? Ein Wegweiser durch das Angebot an Freiwilligendiensten

23 Frau Kadago hilft, wenn Nachbarn streiten In Tansania kümmern sich ehrenamtliche Helfer um Landrechte Deodatus Mfugale

26 Nächstenliebe im Namen Allahs Junge Leute in Dhaka helfen mit Wasserflaschen und Suppenkellen Raffat Binte Rashid

29 Von der Regierung eingespannt Ehrenamtliche Komitees haben in Tadschikistan öffentliche Aufgaben in Dörfern

und Stadtvierteln übernommen Frank Bliss

32 „Manchmal nehme ich die Probleme mit nach Hause“ Gespräch mit dem Telefonseelsorger Julio Tarré aus Quito

Die „Fabrik des Lächelns“ bei der Arbeit: Ein Freiwilliger mit Arztkittel

und Clownsnase schiebt vergnügt eine Patientin durch einen Park in

Guatemala-Stadt. In der „Fabrik des Lächelns“ engagieren sich über tausend Mittelamerikaner in Kran-

kenhäusern, Heimen und Hospizen. Anderen zu helfen und Freude zu bereiten, ist überall ein Grund für

ehrenamtlichen Einsatz.JoRgE DAn LoPEz/REutERs

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Ein Teil der Auflage enthält Beilagen der Informationsstelle südliches

Afrika, der Deutschen Gesellschaft für Internationale Politik, der Deutschen

Gesellschaft für Internationale Zusammen-arbeit, der Wochenzeitung „Freitag“, der Spendenaktion Renovabis sowie

eine Bestellkarte von .

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36Der Ochsenkarren eröffnet neue Chancen: Kleinbauern in der sam-bischen Provinz Shangombo bringen Feldfrüchte zum Markt. Ein entlegenes Gebiet in Sambia hat bescheidenen Wohlstand erreicht.

welt-blicke

36 Sambia: Ochsenkarren erschließen den Markt In Kabompo haben technische Hilfe und Marktzugang den

Klein bauern eine Perspektive gegeben Theo Rauch

40 Agrarhandel: Wir schaden Afrikas Bauern! Europa exportiert landwirtschaftliche Überschüsse nach Afrika.

Das ist für Bauern dort sehr wohl ein Problem Francisco Marí

42 Fairtrade-Siegel: „Fairer Handel hilft nicht den Ärmsten“ Gespräch mit dem Ökonomen Ndongo Sylla aus dem Senegal

44 Peru: Mit Herz und Hand Die Angestellten beim Modelabel „Misericordia“ bestimmen die

Kollektionen mit Knut Henkel

46 Nigeria: Der Unrat ist überall Wer in den Slums von Lagos Toiletten betreut, hat ein hartes Leben Sam Olukoya

49 Kenia: Obstbäume im Paradies Afrikas Wälder sollen wieder aufgeforstet werden. Bauern und

Förster im Westen Kenias machen vor, wie das geht Sebastian Drescher

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Kommentieren Sie die Artikel im Internet: www.welt-sichten.org

Journal

52 Berlin: Deutschland hat das 0,7-Prozent-Ziel erreicht – dank Flüchtlingshilfe

53 Brüssel: Noch kein neuer Entwicklungs- Konsens

56 Schweiz: Mehr vom Gold für die Schürfer?

57 Österreich: Konkurrenz zum „Südwind“? Das Ministerium baut ein PR-Magazin aus

59 Kirche und Ökumene: Pax Christi soll seinen Zuschuss verlieren

60 Global-lokal: Von den Städten lernen

61 Personalia

bewegungsmelder

34 Herausgeberkolumne: Gesundheit hängt nicht nur von Medikamenten ab

Rainer Brockhaus

34 Fünf Fragen an: Ueli Mäder, Schweizer Sozio-loge, Aktivist und Buchautor

standpunkte 6 Auftakt

8 Kontroverse: Treuhandschaft für Südsudan? Kate Almquist Knopf und Jok Madut Jok über die Idee,

das Land unter internationale Verwaltung zu stellen

10 Kommentar: Keine Partner. Evangelikale torpedieren in Uganda den Sexualkunde-unterricht

Gesine Kauffmann

10 Leserbrief

11 Leitartikel: Mehr Militär ist die falsche Devise. Die Regierung Trump hält die Vereinten Nationen und die Entwicklungshilfe für entbehrlich

Bernd Ludermann

service

62 Filmkritik

62 Rezensionen

66 Kulturtipp / Impressum

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standpunkte AUFTAKT

KLAu

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Ein indisches Gericht hat den Ganges als eine mit Rech-ten ausgestattete Persönlich-keit anerkannt. Warum?Zunächst muss man klarstellen: Das Gericht hat dem Ganges nicht den Rechtsstatus eines Menschen zuerkannt, wie es in Medienbe-richten hieß. Es hat ihn lediglich als juristische Person anerkannt. Das Urteil, in dem das Gericht das getan hat, bezog sich auf einen Streitfall, in dem es um Bergbau und andere Eingriffe am Ufer des Ganges im Bundesstaat Utta-rakhand ging. Das Gericht hat bei dieser Gelegenheit außer-dem geprüft, ob die für den Fluss zuständigen bundesstaatlichen Behörden richtig aufgestellt sind

und ob die Verantwortung der betroffenen Regionen, darunter Uttarakhand, ausreichend klar ist.

Für Hindus ist der Ganges heilig. Hat das für das Ge-richt eine Rolle gespielt?In Indien werden vielen natürli-chen Dingen wie Wäldern, Bergen oder Flüssen eine Art Persön-lichkeit zugeschrieben. Sie gel-ten als ähnlich wertvoll wie der Mensch. Das mag das Gericht beeinflusst haben, war aber nicht ausschlaggebend für das Urteil.

Wer darf in künftigen Streitfällen im Namen des Ganges sprechen?Laut dem Urteil sind der Direk-tor der Nationalen Mission zur

Reinhaltung des Ganges, der Chief Secretary von Uttarakhand – der ranghöchste Beamte des Staates – und der Generalanwalt von Uttarakhand damit beauf-tragt, den Fluss zu schützen.

Wird der Richterspruch helfen, den Ganges sauberer zu halten?Das Urteil verlangt, dass die ge-nannten Behörden und Perso-nen die Interessen des Flusses wahrnehmen und gewisserma-ßen seinen Besitz vor Schaden schützen. Die Anerkennung als juristische Personen fußt auf ei-ner Doktrin zur Verwaltung der Besitztümer von Hindu-Tempeln. Gemäß dieser Doktrin sind die Götter Rechtspersonen, deren

Mathew John ist promovierter Jurist und spezialisiert auf umweltrecht in Indien. Er forscht derzeit als gastwissen-schaftler am Käte Hamburger Kolleg

„Recht als Kultur“ in bonn.

KuRZ ERKLäRt

Indien: Ein heiliger Fluss als juristische Person

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AUFTAKT standpunkte

Reife LeistungDer Konflikt zwischen den USA und Nord-korea spitzt sich gefährlich zu. Zwei dra-matische Tage lang sah es so aus, als wende der Diktator Kim Jong-un eine neue perfide Verwirrtaktik an, um den Feind endgültig Schachmatt zu setzen. Mitte April melde-te die „New York Times“, Militärfachleute hätten auf Satellitenbildern einer nordkore-anischen Nuklearanlage „einige unerwarte-te Aktivitäten“ entdeckt. Sie identifizierten einwandfrei Mitarbeiter der Anlage beim

– Volleyballspiel. Entsetzen in Washingtons Sicherheitskreisen: Was hat das zu bedeu-ten? Ein altgedienter Nordkorea-Spezialist erklärte: „Entweder wollen sie uns damit sagen, dass die Anlage derzeit nicht in Be-trieb ist, oder sie wollen uns täuschen.“ Erst ein vom Pentagon hinzugezogener Fach-mann des US-amerikanischen Nationalen Volleyballverbands konnte Klarheit schaf-fen – und in gewisser Weise Entwarnung ge-ben. Es handele sich nicht um einen neuen teuflischen Plan Kim Jong-uns, sondern um

einen Manövrierfehler des Satelliten. „Wir sehen hier nicht die Nuklearanlage Punggye-ri, sondern das Freiluftspielfeld des Turn- und Rasensportvereins Monschau in der Eifel, einer Gegend im Westen Deutschlands, die dem Norden Nordkoreas landschaft-lich verdammt ähnlich sieht.“ Aufatmen im Weißen Haus – auch schon deshalb, weil der US-Präsident kurz überlegt hatte, ein paar Marschflugkörper in Richtung der vom Satel-liten übermittelten Koordinaten abzufeuern. Aufatmen auch auf der „USS Carl Vinson“, dem Flugzeugträger, den Trump in Rich-tung Nordkorea beordert, der dann aber bekanntlich einen ganz anderen Kurs eingeschlagen hatte. Jetzt ist klar, warum und wohin es gehen sollte. Der Kapitän des 67.000-Tonnen-Schlachtschiffs zeigte sich erleichtert: „Ehrlich gesagt, wir waren schon etwas in Sorge, ob die Fahrrinne den Rhein aufwärts überhaupt tief genug ist für unseren Pott und ob wir unter den vie-len Brücken durchpassen.“

©

Der Geiz der Satten

Quelle: UN OCHA

In Nigeria, Südsudan, Somalia und im Jemen hungern Millionen Menschen, Hunderttausende drohen zu sterben. Die Vereinten Nationen brauchen mehr als 5,5 Milliarden US-Dollar, um allein in diesen vier Ländern das Schlimmste zu verhindern. Doch die Geberländer haben bis zum 20. April nur knapp ein Viertel davon zugesagt.

0

500

1000

1500

2000

2500Zusagen der Geber

von den UN erbetene Mittel

SomaliaSüdsudanJemenNigeria

in Millionen US-Dollar

2067,7

1639,7

1054,4

863,5

193,4313,6

493,8 402,3

„Es steht eine Endschlacht bevor, Gut gegen Böse.

Armageddon. Der plane-tarische Klassenkampf ist

in der Endphase.“Jean ziegler, der frühere un-sonderbe-

richterstatter für das Recht auf nahrung, in einem zeitungsinterview

zur Frage, ob die internationale zivilgesellschaft eine bessere Welt

schaffen kann.

Reichtum treuhänderisch von den Tempel-Managern verwal-tet wird. In Anlehnung daran müssen die genannten Treu-händer nun die Interessen des Ganges vertreten. Es ist nicht klar, ob das die Verschmutzung reduzieren wird. Das Urteil sagt kaum etwas dazu, wie die Treu-händer mit den bereits exis-tierenden staatlichen Umwelt-schutzbehörden zusammenar-beiten sollen. Und deren Bilanz ist nicht gerade berauschend.

Das gespräch führte Tillmann Elliesen.

Haben sie eine Frage? schreiben sie uns: [email protected].

Wir suchen die Fachleute, die Antworten liefern.

KuRZ ERKLäRt

Indien: Ein heiliger Fluss als juristische Person

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8 standpunkte KONTROVERSE

Südsudan unter treuhandschaft?Ein umstrittener Vorschlag, den Bürgerkrieg zu beenden

Von Kate Almquist Knopf

Die humanitäre Krise im Südsu-dan gehört zu den schlimmsten weltweit. Mehr als eine Million Kinder, Frauen und Männer ste-hen an der Schwelle zur Hungers-not, 3,5 Millionen Menschen wur-den aus ihren Häusern vertrie-ben. Zahlreiche Hinweise deuten auf einen bevorstehenden Völker-mord hin: extreme Spannungen zwischen den Ethnien, die einen Kreislauf der Rache befeuern, weit verbreitete systematische Angrif-fe auf die Zivilbevölkerung, Hass-propaganda, Gräueltaten, die be-stimmte Bevölkerungsgruppen

„dehumanisieren“ sollen, sowie Angriffe auf die Führer von Ge-meinschaften und Stämmen.

Um den Bürgerkrieg im Südsudan zu beenden, ein Mi-nimum an Sicherheit und wirt-schaftlicher Stabilität zu schaf-fen und um gewaltfreie politische Auseinandersetzungen zu ermög-lichen, braucht es Zeit für Versöh-nung und Wiedergutmachung und für einen politischen Neuan-fang. Doch gegenwärtig erfüllt der Südsudan nicht einmal die grund-legenden Funktionen eines sou-veränen Staates. Er verfügt nicht über das Gewaltmonopol und er ist unfähig, öffentliche Dienstleis-tungen zu erbringen, Sicherheit zu schaffen und für Gerechtigkeit zu sorgen. Auf der internationa-len Bühne mag der Staat noch völ-kerrechtliche Souveränität genie-ßen, doch im Innern ist dieser An-spruch nichts mehr wert.

Südsudans Nachbarn werden die Auswirkungen des Bürger-kriegs bald nicht mehr hinneh-men. Sie werden wahrscheinlich zum Schluss kommen, dass es si-

cherheits- und wirtschaftspoli-tisch das Beste für sie ist, Einfluss-sphären im Südsudan zu sichern. Übrig bleiben wird ein nicht le-bensfähiger Rumpfstaat.

Der Zusammenbruch des jüngsten Staates der Welt fordert das gesamte internationale Sys-tem, das afrikanische und euro-päische Modell des Staatsaufbaus und die Friedensmissionen der Vereinten Nationen heraus. Allein die USA haben seit 2005 mehr als elf Milliarden US-Dollar für Not-hilfe, Friedensmissionen, den Si-cherheitssektor sowie für den po-litischen Übergang und den Wie-deraufbau ausgegeben. Die UN-Friedensmissionen in den beiden Sudans seit 2004 haben etwa 20 Milliarden Dollar gekostet, was sie zu den teuersten Interventionen im vergangenen Jahrzehnt macht.

Die Legitimität des Staates muss wiederhergestellt werdenAngesichts des totalen Staatsver-sagens ist eine von den Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union eingesetzte internationa-le Regierung der einzige Weg, die Souveränität und territoriale In-tegrität des Landes zu schützen, die Legitimität des Staates wie-derherzustellen und seine Bür-ger wieder mit politischer Macht auszustatten. Diese auf zehn bis 15 Jahre befristete Übergangsre-gierung sollte Sicherheit schaf-fen, um Interventionen aus dem Ausland vorzubeugen und im In-nern lokale Milizen zur Selbstver-teidigung überflüssig zu machen. Sie sollte grundlegende öffentli-che Dienste wie Gesundheitsver-sorgung, Bildung, sauberes Was-ser und Sanitärversorgung bereit-stellen. Sie sollte die Wirtschaft

wieder aufbauen und einen poli-tischen und verfassungsrechtli-chen Rahmen für die Rückkehr zu voller Souveränität schaffen.

Für den Erfolg einer inter-nationalen Übergangsregierung müsste Präsident Salva Kiir frei-willig auf die Macht verzichten. Er und sein Widersacher Riek Machar müssten friedlich ausgeschlossen werden von jeglicher Beteiligung an Südsudans Politik oder Regie-rung. Das bedeutet: Sie müssen überzeugend abgeschreckt wer-den, sich gegen die Übergangsre-gierung zu stellen.

Eine Übergangsregierung wäre eine Gelegenheit, den Macht-kampf der beiden Kontrahenten und die im Laufe des Bürgerkriegs gewachsenen wechselseitigen Vor-würfe aufzuarbeiten. Sie könnte die Südsudanesen in die Lage ver-setzen, ihre Zukunft wieder selbst in die Hand zu nehmen und einen neuen Vertrag zwischen Staat und Gesellschaft auszuhandeln.

Es gibt Beispiele dafür, dass in-ternationale Übergangsregierun-gen Länder aus Konflikten geführt haben, etwa Kambodscha, Kosovo und Osttimor. Voraussetzung im Südsudan wäre ein beherztes dip-lomatisches Engagement der USA in enger Zusammenarbeit mit ih-ren europäischen Partnern und afrikanischen Regierungen. Der Übergang wäre teurer als die bis-herigen Bemühungen, dafür aber erfolgversprechender.

Südsudan ist wie ein Patient auf der Intensivstation: Das Land braucht jetzt lebenserhaltende Maßnahmen, die dann schrittwei-se zurückgefahren werden. Das ist das Mindeste, um diese große hu-manitäre und sicherheitspoliti-sche Krise anzugehen.

PROEine lebenserhaltende

Maßnahme

Kate Almquist Knopf leitet das Africa Center for strategic

studies, ein Forschungs- und beratungsinstitut des us-amerikani-

schen Verteidigungsministeriums.

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9KONTROVERSE standpunkte

südsudan steht am Abgrund. seit mehr als drei Jahren herrscht Krieg im jüngsten staat der Welt. Etliche Versuche, den Konflikt zu beenden, sind gescheitert. Als Folge befindet sich das Land in der schlimmsten humanitären Krise seit

Jahrzehnten. Es scheint, als seien Politik und gesellschaft aus eigener Kraft nicht zu einem neuanfang in der Lage. Muss der südsudan befristet unter eine internationale Übergangsregie-rung gestellt werden?

Von Jok Madut Jok

Kate Almquist Knopf empfiehlt, den Südsudan für eine bestimm-te Zeit unter internationale Ver-waltung zu stellen – und tatsäch-lich gibt es dafür ein paar gute Ar-gumente. Befürworter dieser Idee sind frustriert, dass bisher alle Ver-suche gescheitert sind, die Gewalt zu beenden, den Südsudanesen ihre Würde zurückzugeben und das Land zu stabilisieren. Kate Almquist Knopf sieht eine inter-nationale Regierung als Versuch, der Bevölkerung Zeit zu geben, um durchzuatmen und sich dar-über zu verständigen, warum ihr Staat gescheitert ist. Sie hofft, dass der Südsudan profitieren könn-te von der Expertise einer unpar-teiischen Verwaltung, die keine In-teressen im andauernden Macht-kampf hat. Aber ist das wirklich die Lösung? Die Lage im Südsu-dan ist äußerst verzwickt. Hier in Gestalt einer Treuhandschaft zu intervenieren, würde wahrschein-lich alles noch schlimmer machen.

Treuhandschaft funktioniert nicht im Südsudan angesichts der besonderen Geschichte des Landes und seiner ethnischen und politischen Strukturen. Etli-che Vorschläge in diese Richtung lassen offen, wie eine solche In-tervention eigentlich durchge-setzt werden soll. Warum sollte die amtierende Führung dazu be-reit sein, ihre Macht friedlich ei-ner ausländischen Verwaltung zu übergeben? Wenn sie dazu nicht bereit ist, wird man sie auch ohne Gewalt los? Oder wäre dazu eine militärische Intervention nötig? Ohne klare Antworten auf die-se Fragen bleibt Treuhandschaft eine nette Idee ohne Substanz.

Wo solche Interventionen auch nur minimalen Erfolg hat-ten, geschahen sie auf Einla-dung der amtierenden Regie-rung, wie etwa in Osttimor. Wenn im Südsudan nicht mit der Re-gierung darüber verhandelt und ihre Zustimmung gewonnen wird, könnte ein solcher Versuch tödlich enden. Es gibt derzeit aber keine einheitliche Position der wichtigsten Geberländer, der Vereinten Nationen sowie regio-naler afrikanischer Regierungen und Organisationen. Es gibt folg-lich keine Koalition, die stark ge-nug wäre, den südsudanesischen Führern ihren Willen aufzudrü-cken – und es ist unwahrschein-lich, dass eine solche Koalition je zustande kommt. Die westlichen Länder mögen zustimmen, aber Ostafrika bekommen sie vermut-lich nicht an Bord. Und ohne Un-terstützung aus der Region wür-den auch die USA und Europa zö-gern. Woher also soll der Druck kommen, um einen solchen Vor-schlag durchzudrücken?

Die Idee einer treuhandschaft kommt vor allem aus den uSADie Idee einer Treuhandschaft oder vorübergehenden internati-onalen Verwaltung für Südsudan kommt vor allem von Wissen-schaftlern, Politikfachleuten, frü-heren Diplomaten und Aktivis-ten aus den USA. Darin spiegelt sich eine gewisse Enttäuschung, dass das US-amerikanische Enga-gement für die Unabhängigkeit Südsudans von den Führern des Landes verspielt wurde. Inner-halb des Südsudan hat die Idee einer internationalen Treuhand-schaft bereits für bittere Zerwürf-nisse gesorgt. Würde sie durchge-

setzt, sei es mit wirtschaftlichem Druck, sei es mit militärischer Ge-walt, dann könnte das eine weit-aus schlimmere Krise auslösen.

Eine Treuhandschaft würde sofort ihre Gegner, vor allem An-hänger der gegenwärtigen Regie-rung, gegen ihre Befürworter auf-bringen, gegen die also, die die Re-gierung geschwächt sehen wollen. Die Gegner würden eine Treu-handschaft als Angriff auf Südsu-dans Souveränität sehen und wahrscheinlich die Befürworter und die Interventionstruppen an-greifen. Eine internationale Ver-waltung ohne Einladung würde noch mehr Krieg zwischen Südsu-danesen bedeuten.

Ich bin nicht prinzipiell gegen die Idee einer Treuhandschaft. Doch sie wäre ein riskantes Spiel. Angesichts der langen Geschich-te politischer Rivalitäten und eth-nischer Konkurrenz und ange-sichts der Tatsache, dass in den vergangenen drei Jahrzehnten im Südsudan schon kleine Strei-tigkeiten immer wieder extreme Gewalt ausgelöst haben, birgt die-se Idee das Risiko einer Explosion, das niemand eingehen sollte.

Gäbe es eine globale Kraft, die eine Treuhandschaft durchsetzen könnte, dann sollte sie dafür ge-nutzt werden, die südsudanesi-schen Führer, die Regierung und die Opposition davon zu über-zeugen, das geltende Friedensab-kommen einzuhalten und die da-rin vereinbarten Aufgaben anzu-gehen: den Sicherheitssektor und politische Institutionen refor-mieren, humanitäre Hilfe leisten, den Wiederaufbau starten und die Verfassung prüfen mit dem Ziel, die Regierung auf die Grund-lage des Rechts zu stellen.

KONtRAEin riskantes Spiel

Jok Madut Jok lehrt Ethnologie an der universität von

Juba, südsudan. Er leitet dort außerdem das sudd Institute für

politikwissenschaftliche Forschung und beratung.

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10 standpunkte KOMMENTAR | LESERBRIEF

Keine Partner für EntwicklungIn Uganda torpedieren evangelikale Gruppen den Sexualkundeunterricht

Religionsgemeinschaften sind in jüngster Zeit stark umworben in der Entwicklungszusammenar-beit. Evangelikale in uganda dürf-ten damit sicher nicht gemeint sein: Sie sorgen für Rückschritte im Kampf für eine bessere Gesund-heitsversorgung.

Evangelikale Gruppen nehmen gerne für sich in Anspruch, das Leben zu schützen. Aber sie gerie-ren sich auch als Hüter der Moral – vor allem, wenn es um Sexuali-tät geht. Abstrakte Werte sind ih-nen offenbar wichtiger als die Ge-sundheit von Millionen Jugendli-chen. Das wird derzeit in Uganda deutlich. Dort hat die Ministerin für Genderfragen Janet Mukwaya im vergangenen Oktober den Se-xualkundeunterricht an und au-ßerhalb von Schulen verboten. Anlass war ein Roman, in dem sich eine Schülerin und ihr Leh-rer küssen. Er stand auf dem Lehr-plan einer Privatschule in Kam-pala – und daran störte sich die evangelikale Organisation Fami-ly Life Network. Sie brachte mit einer Petition an das Parlament den Stein ins Rollen.

Das Verbot gilt nun für ein Land, in dem mehr als die Hälfte der Bevölkerung jünger ist als 18 Jahre. Vor allem Mädchen sind Ge-sundheitsrisiken ausgesetzt: Sie können früh schwanger werden oder sich mit Aids anstecken. Auf-klärung ist der wichtigste Schlüs-sel, um beides zu verhindern. Um sich zu schützen, braucht man In-formationen über den eigenen Körper, über Verhütungsmetho-den und Ansteckungsrisiken. Die bekommen Millionen Jugendli-chen nun nicht mehr; die meisten Schulen halten sich an das Verbot.

Family Life Network hat sich auf die Fahnen geschrieben, „die Werte und die Moral der Familie wiederherzustellen“. Gemeinsam mit dem Inter-Religious Coun-cil von Uganda hatte sich die Or-ganisation schon für ein Gesetz

stark gemacht, das Homosexu-alität mit drakonischen Strafen belegt. Ein Gericht hat es jedoch nach einem halben Jahr Gültig-keit außer Kraft gesetzt. Auf das-selbe hoffen nun nichtstaatliche Organisationen, die Jugendliche über Sexualität und reproduktive Rechte aufklären und bis zu dem Verbot gut mit den Schulen zu-sammengearbeitet haben. Sie ha-ben Klage erhoben, damit die Re-gierung ihre Entscheidung über-denkt und klarstellt, welche Form von Sexualerziehung sie für ak-zeptabel hält. Das sind die rich-tigen Partner für westliche Ent-wicklungsorganisationen. Save the Children und die Internatio-nal Planned Parenthood Federa-tion haben das erkannt: Sie un-terstützen die Kläger. (Siehe auch Seite 57.) (gka)

LESERBRIEF

Pauschaler Vorwurfzur Herausgeberkolumne „ungeeigne-te Partner, falsche Entwicklung“, welt-sichten 4/2017

Der pauschale Vorwurf, Entwick-lungszusammenarbeit mit Un-ternehmen führe zu Ausbeutung und Korruption, lässt sich nicht aufrechterhalten. Es gibt zahlrei-che Beispiele, wie mithilfe priva-ter Unternehmen erfolgreich Ent-wicklung gefördert wird. Eines ist der kenianische Fruchtsafther-steller Kevian, der Früchte von 40.000 Kleinbauern bezieht und verarbeitet. Die Agrarwirtschaft ist in vielen Entwicklungsländern Einkommensgrundlage für vie-le Menschen; Investitionen in die Landwirtschaft tragen zur Ernäh-rungssicherung der wachsenden Bevölkerung bei. Gerade Vorha-ben, die Ernteverluste reduzieren und Primärproduktion und Wei-terverarbeitung verbinden, sind wichtig für eine nachhaltige Ent-wicklung.

Zu den in der Kolumne er-wähnten Vorhaben einige Anmer-kungen: Die Löhne der fest ange-stellten Arbeiter des Unterneh-mens PHC in der Demokratischen Republik Kongo wurden mit sechs Gewerkschaften ausgehandelt und entsprechen mindestens 100 Prozent des Mindestlohns. Mit-arbeiter und ihre Familien erhal-ten zudem kostenlose Gesund-heitsversorgung und Unterkünf-te. Palmöl kann von ihnen zu sub-ventionierten Preisen erworben werden, ist aber nicht Bestandteil der Gehälter. Zusammen mit wei-teren Entwicklungsfinanzierern engagiert sich die DEG in dem Vorhaben, das rund 3800 dauer-hafte und bis zu 5200 saisonale Arbeitsplätze sichert, in einem der am wenigsten entwickelten Län-dern weltweit mit einer Arbeits-losenrate von 82 Prozent und ei-ner Armutsquote von 63 Prozent. Das Vorhaben verbessert den Zu-gang der lokalen Bevölkerung zu Grundnahrungsmitteln und er-setzt teure Importprodukte.

Das Unternehmen ist auf Grundstücken tätig, die durch be-fristete Landtitel von der Regie-rung gepachtet wurden. PHC hält sich streng an das Verfahren zur Verlängerung der Titel, das die lo-kale Bevölkerung einbezieht. Es engagiert sich auch besonders da-für, die Zivilgesellschaft transpa-rent zu informieren, unter ande-rem durch Auslage der Landtitel in Büros in Kinshasa und London.

Das Vorhaben des Agrarun-ternehmens Addax in Sierra Leo-ne hat vor Ort positive Effekte bei der Versorgung mit Nahrungs-mitteln, der Schulung von Bau-ern und der Verbesserung der lo-kalen Infrastruktur bewirkt. Es hat sich dann jedoch leider nicht so entwickelt wie erhofft. Erheb-lichen Einfluss darauf hatte die Ebolakrise, die Sierra Leone und die Region hart getroffen hat. Ad-dax hat sich dabei intensiv und erfolgreich in der Bekämpfung der Krankheit engagiert.

Ende 2015 hat der Eigentümer die Darlehen der involvierten

Entwicklungsfinanzierer zurück-gezahlt. Die Mehrheitsanteile er-warb eine von Sunbird Bioenergy Africa Ltd. geführte Investoren-gruppe. Dem neuen Eigentümer haben DEG und einer ihrer Part-ner angeboten, die Aktualisie-rung einer sozio-ökonomischen Studie für die Region rund um den Projektstandort zu unterstüt-zen, um dazu beizutragen, dass die lokale Bevölkerung und ihre Belange berücksichtigt werden.

Privatwirtschaftliches Engage-ment steht gerade in Post-Kon-flikt-Staaten vor großen Heraus-forderungen. Erwähnenswert sind aber auch Erfolge wie die vier Mil-lionen Arbeitsplätze in Entwick-lungsländern, die durch das Enga-gement europäischer Entwick-lungsfinanzierer (EDFI) geschaf-fen bzw. gesichert werden.

Martin Geiger, Leiter der DEg-Abtei-lung nachhaltigkeit, Köln

Die Redaktion freut sich über Leser briefe, behält sich aber vor, sie zu kürzen.

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LEITARTIKEL standpunkte

unter Donald Trump wirkt die Außenpolitik der USA sprunghaft und dilettantisch. Doch eine Grundlinie zeigt sich im Entwurf für

den Staatshaushalt vom März: Trump setzt auf mi-litärische Stärke statt auf Diplomatie und internati-onale Zusammenarbeit. Entsprechend soll der Ver-teidigungsetat um 54 Milliarden US-Dollar steigen, der des Außenministeriums um fast ein Drittel sin-ken. Dies trifft nicht zuletzt die Entwicklungshilfe und die Beiträge der USA zu den Vereinten Nationen (UN), die beide großenteils aus dem Etat des Außen-ministeriums kommen.

Nun wird der US-Kongress den Haushaltsent-wurf nicht unverändert beschließen. Auch Mitglie-der von Donald Trumps Partei haben Widerstand an-gekündigt und hohe Militärs vor den Folgen gewarnt. Doch auf die Kraft der Vernunft sollte man beim Tau-ziehen zwischen Kongress und Präsident, das bis in den Herbst dauern wird, lieber nicht setzen. Man muss sich auf harte Kürzungen der US-Auslandshil-fen einstellen. Sie dürften kleiner ausfallen als von Trump ausgerufen, aber auf Bereiche konzentriert sein, die in Washington keine starke Lobby haben.

Einer ist die Entwicklungshilfe. Ihr größter Bat-zen ist mit mehr als acht Milliarden US-Dollar die globale Gesundheitshilfe und darin das Aids-Be-kämpfungsprogramm PEPFAR; es ist unter Republi-kanern beliebt und nicht leicht zu kürzen. Dagegen steht politische Hilfe – etwa für Menschenrechts-schutz, Demokratie, Justizaufbau oder Friedens-prozesse – auf der Streichliste weit oben. Drastisch schrumpfen dürften auch die Zahlungen der USA für globalen Umweltschutz, darunter den Grünen Kli-mafonds, der Klimaschutz und Anpassungsmaß-nahmen in armen Ländern finanzieren soll.

Das zweite leichte Ziel sind die UN. Die Weltor-ganisation hat in Washington ein schlechtes Image. Ein gutes Drittel der Zahlungen an sie – grob neun Milliarden Dollar 2016 – ist jedoch festgeschrieben: Die UN-Generalversammlung bestimmt nach der Wirtschaftskraft, welchen Anteil am UN-Kernbud-get jedes Land leistet. Auf die USA entfällt mit 22 Prozent die höchste Quote. Für Friedensmissionen gilt derselbe Anteil plus ein Zuschlag für die fünf

ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates; für die USA ergibt das 28 Prozent, 2016 etwa 2,5 Milli-arden Dollar.

Hier hat die Regierung Trump drei Möglichkei-ten: Sie zahlt einfach nicht und erhöht ihre Schul-den bei den UN. Sie versucht, ihren Anteil im Einver-nehmen mit den anderen Ländern zu senken – das geht allenfalls langfristig. Oder sie wirkt im UN-Si-cherheitsrat auf die Einstellung oder Verkleinerung einzelner Friedensmissionen hin. Auf Drängen Wa-shingtons prüfen die UN schon, welche Missionen noch zweckmäßig sind. Das ist an sich sinnvoll. Nur hat Washington intern schon das Wunschergebnis vorgegeben: Eine Milliarde Dollar sollen eingespart werden, das wären 40 Prozent der Mittel für UN-Peacekeeping. Das geht nur mit Einschnitten bei den fünf großen Missionen in der Demokratischen Re-publik Kongo, dem Südsudan, Mali, Darfur (Sudan) und der Zentralafrikanischen Republik. Allenfalls für Darfur wäre aber eine Verkleinerung mit der Lage am Ort zu rechtfertigen. Willkürliche Kürzungen wird der UN-Sicherheitsrat hoffentlich ablehnen.

Kurzfristig und einseitig können die USA freiwil-lige Beiträge zu UN-Sonderorganisationen kürzen. Die bei weitem größten Empfänger sind das Welter-nährungsprogramm WFP und das Flüchtlingshilfs-werk UNHCR, gefolgt vom Kinderhilfswerk Unicef; ein großer Teil dieses Geldes ist humanitäre Hil-fe. Die hat in den USA relativ viel politischen Rück-halt. Doch wenn das Weiße Haus seine vollmundi-gen Sparversprechen nicht einfach fallen lassen will, muss hier stark gekürzt werden – und das zu einer Zeit, in der die Zahl der Kriegsvertriebenen einen Höchststand erreicht hat und in Teilen Ostafrikas und des Sahel sowie im Jemen eine Hungerkatastro-phe bevorsteht.

Die Pläne des Weißen Hauses richten schon Schaden an, bevor sie Gesetz werden. Die UN und ihre Friedensmissionen haben Reformen nötig, aber keine nach dem Motto: Was könnte Donald Trump gnädig stimmen? Auch der absehbare Kampf um Geld zwischen verschiedenen UN-Organisationen ist kontraproduktiv. Um den Schaden zu begrenzen, sollten Europa und insbesondere Deutschland mehr Geld für multilaterale Not- und Flüchtlingshilfe, für Konfliktbeilegung und Klimafinanzierung zur Ver-fügung stellen. Die Forderung der USA nach drasti-schen Steigerungen des deutschen Verteidigungs-haushalts sollte Berlin klar zurückweisen und Bünd-nispartner suchen, um der Schwächung der UN ent-gegenzutreten. „Mehr harte Macht“ ist genau die falsche Devise.

Mehr Militär ist die falsche DeviseDonald Trump hält die Vereinten Nationen und die Entwicklungshilfe für entbehrlich

Von Bernd Ludermann

Bernd Ludermann ist Chefredakteur von .

Die UN und ihre Friedensmissionen haben Reformen nötig, aber keine nach dem Motto: Was könnte Donald Trump gnädig stimmen?

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Im unbezahlten Einsatz

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ehrenamt schwerpunkt 13

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Ehrenamt und freiwillige Tätigkeit haben wie-der Konjunktur – nicht nur in den westlichen Industrienationen, wo sie schon seit einem gu-

ten Vierteljahrhundert im Zusammenhang mit der Debatte über die Zivilgesellschaft diskutiert werden. Auch entwicklungspolitisch wächst ihre Bedeutung. In der Agenda 2030 der Vereinten Nationen wird freiwillige Tätigkeit als ein übergreifender Mecha-nismus anerkannt, der zur Verwirklichung der Glo-balen Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Develop-ment Goals) beitragen kann. Das Potenzial ist groß: Das Freiwilligenprogramm der Vereinten Nationen (UN Volunteers) schätzt die Zahl der freiwillig täti-gen Menschen auf mehr als eine Milliarde.

Wer zählt als Freiwilliger? Das ist weniger ein-deutig zu bestimmen als gemeinhin angenommen. Anhand von vier Kriterien kann man verschiedene Arten solcher Tätigkeiten unterscheiden. Das erste ist der Grad der Freiwilligkeit: Er kann von völliger Selbstbestimmung über empfundene soziale Ver-pflichtungen bis hin zu erzwungenem Engagement reichen. Zweitens spielt die Art der Belohnung eine Rolle. In manchen Fällen sind das rein immateriel-le Anreize wie der Stärkung des Selbstwertgefühls, in anderen werden zumindest die Spesen erstattet oder eine allgemeine Aufwandsentschädigung gezahlt. Als drittes unterscheidet man, ob freiwillig Tätige in eine Organisation eingebunden sind oder sich infor-mell engagieren. Das vierte Kriterium bezieht sich auf die Begünstigten: Dazu kann die Allgemeinheit gehören, Freunde und die Familie, aber auch maß-geblich die Freiwilligen selbst.

Als reine Form der Freiwilligkeit gilt eine Tätig-keit, die auf altruistischer Eigeninitiative beruht, im formalen Rahmen stattfindet und generell der Allge-meinheit zugutekommt. Das gilt weltweit – darüber scheint Übereinstimmung zu herrschen. Das heißt allerdings nicht, dass diese reine Form der Freiwillig-

Freiwillige aus aller Welt kümmern sich im Hospiz der Mutter-teresa-

Schwestern im indischen Kalkutta um sterbende Menschen.

JöRg bötHLIng

Überall sind Menschen freiwillig für andere und die gemeinschaft tätig – und überall aus ähnlichen Motiven. Doch wie viele ehrenamtlich arbeiten und ob sie das eher für den sportverein, die Armenhilfe oder die nachbarschaft tun, ist von Land zu Land sehr unterschiedlich.

Von Stefan Toepler

Im unbezahlten Einsatz

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keit auch überall die vorherrschende ist. In Russland und anderen Staaten des früheren Ostblocks ist bei-spielsweise Freiwilligenarbeit nicht nur vergleichs-weise wenig ausgeprägt, sondern sie findet auch vorwiegend informell statt und begünstigt Famili-enmitglieder, den Freundeskreis oder allenfalls die Nachbarschaft. Das wird weithin als eine Spätfolge davon gewertet, dass zuvor in der Sowjetunion Men-schen gezwungen wurden, sich an Aktionen der sozi-alistischen Massenbewegungen zu beteiligen.

Entlang der vier Kriterien bewerten Freiwillige die Kosten und den Nutzen einer Tätigkeit; das beeinflusst ihre Entscheidung, ob und wo sie

sich engagieren. Auf der Kostenseite fließen Über-legungen über den Zeitaufwand, die empfundene Mühe sowie alternative Verwendungsmöglichkeiten für die eigene Zeit ein. Auf der Nutzenseite stehen das Gefühl der Befriedigung, die daraus entsteht, Gutes getan zu haben, sowie der Gewinn an sozialem Ansehen, an beruflichen Erfahrungen oder an Kon-takten. Dies sind zumindest ein Teil der Faktoren, die zu freiwilliger Tätigkeit motivieren.

Es gibt mehrere Erklärungen dafür, was Men-schen zu freiwilliger Arbeit bewegt. Manchmal ent-steht das Bedürfnis spontan – zum Beispiel nach Naturkatastrophen. Einer der Hauptgründe ist aber schlicht, dass man gefragt wird. Dies setzt eine ge-wisse Mobilisierungs- und Rekrutierungsfähigkeit von gemeinnützigen Einrichtungen voraus.

Weiter hängt die Bereitschaft zu freiwilligen En-gagement stark von persönlichen Charakteristika ab. International vergleichende Studien heben hier vor allem das Bildungsniveau hervor: Je höher der Bildungsstand, desto größer die Bereitschaft zu eh-renamtlicher Tätigkeit. Auch ein höherer sozio-öko-

nomischer Status sowie die Beteiligung am sozialen Leben insgesamt fördern Freiwilligkeit. Berufstäti-ge sind eher freiwillig engagiert als nicht Berufstä-tige, was sich auf pragmatische Motive zurückfüh-ren lässt, aber auch auf das Alter: Ältere Menschen sind weniger ehrenamtlich engagiert als Menschen, die noch voll im Berufsleben stehen. Durchgängig sind Menschen, die regelmäßig eine Religion aus-üben, deutlich mehr geneigt, freiwillig tätig zu sein. Vor allem in westlichen Gesellschaften stellen Frau-en eine Mehrzahl der Freiwilligen; in Kulturen, in de-nen eher konservative Werte vorherrschen, sind es dagegen Männer. Natürlich spielen auch eine altru-istische Grundeinstellung sowie soziale und karrie-rebezogene Bedürfnisse eine Rolle.

Ungeklärt ist allerdings, inwieweit man Unter-schiede zwischen verschiedenen Ländern bei Eh-renamt und freiwilliger Tätigkeit mit einer Kombi-nation dieser vier Faktoren erklären kann – oder ob andere Einflüsse wie Kultur, das Gesellschafts- und Regierungssystem oder der Wohlstand und die Aus-prägung des Sozialstaates eine Rolle spielen. Gerade für den globalen Süden ist Freiwilligkeit noch wenig erforscht. Deshalb muss man sich fragen, inwieweit die bisherigen Erkenntnisse sich über westliche In-dustrienationen hinaus verallgemeinern lassen.

Fallstudien legen nahe, dass die Motive für eh-renamtlichen Einsatz weltweit ähnliche Muster auf-

Freiwillige werden nicht aus reiner Selbstlosigkeit tätig; viele erwarten auch einen persönlichen Nutzen.

Ehrenamtlicher Einsatz hat viele Gesichter: Physiotherapeuten

und Studenten ermöglichen in Rio de Janeiro behinderten Menschen

ein Bad im Meer (links). Freiwillige im indischen Mumbai sammeln den Abfall vom Strand

(rechts). sERgIo MoAREz/REutERs;

DAnIsH sIDDIquI/REutERs

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weisen. Besonders deutlich ist, dass Freiwilligkeit häufig eher als pragmatisch selbstinteressiert denn als rein altruistisch eingestuft werden muss. Dies gilt besonders, aber nicht nur, für freiwilliges Nord-Süd-Engagement. Eine Befragung unter amerikanischen Studenten, die 2011 an einer medizinischen Mission in Mexiko teilnahmen, ergab, dass die Mehrzahl dies als Bereicherung ihres Lebenslaufes und als Plus-punkt für Bewerbungen um weiterführende Studi-engänge ansah.

Frühere chinesische freiwillige Helfer bei den Olympischen Spielen in Peking haben berichtet, dass sich die dabei gesammelten Erfahrungen im Nachhinein als karrierefördernd erwiesen. Und bei einem Einsatz in der Malariabekämpfung in Nigeria erhofften sich die einheimischen Freiwilligen unter anderem auch finanzielle Vorteile und Aussichten auf bezahlte Beschäftigung; dies wog ihre Vorbehalte gegenüber freiwilliger Tätigkeit auf, die auf Einkom-mensverlusten und Beeinträchtigungen des Famili-enlebens beruhten.

D ie Forschung geht übereinstimmend davon aus, dass Freiwilligkeit ein universelles Phä-nomen ist und die Motive dafür – mit Abstu-

fungen – global ähnlich sind. Oft heißt es aber auch, dass es erhebliche Unterschiede zwischen dem glo-balen Süden und dem Norden gibt. Das kann zu-mindest teilweise daran liegen, dass fast alle empi-rischen Studien aus westlichen Industrienationen stammen und sich vorwiegend auf Freiwilligenar-beit beziehen, die von gemeinnützigen Organisa-tionen vermittelt wird. Im Norden gibt es deutlich mehr dieser Organisationen als im globalen Süden; deshalb liegt der Schluss nahe, dass sich dort auch mehr Menschen ehrenamtlich betätigen.

Eine Forschergruppe im Center for Civil Socie-ty Studies an der Johns Hopkins University in Balti-more untersucht seit einigen Jahren freiwillige Ar-beit in globaler Perspektive. Laut einer Studie aus dem Jahr 2001, die 24 Ländern betrachtet, wird der Großteil der freiwilligen Arbeit in sozialen Diensten (31 Prozent) und im Kultur-, Sport- und Erholungsbe-reich (27 Prozent) geleistet. Der Rest verteilt sich auf eine Reihe anderer Betätigungsfelder, unter denen das Gesundheitswesen, Stadt- und Wirtschaftsent-wicklung sowie der Bildungsbereich mit je sieben bis acht Prozent hervorstechen.

0 10 20 30 40 50

Neuseeland

USA

Österreich

Deutschland

Schweiz

Japan

Mexiko

Chile

Türkei

Griechenland

Angaben in Prozent

Quelle: OECD

Anteil der Bevölkerung, der ehrenamtliche Arbeit leistet

20082014

©

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Allerdings muss betont werden, dass unter den 24 berücksichtigten Ländern überproportional viele Industrienationen sind. Und es gibt auffällige Unter-schiede zwischen einzelnen Ländern und Regionen. Zum Beispiel findet sich in Lateinamerika kaum eh-renamtliche Tätigkeit im Erholungsbereich, in Ost- und Westeuropa ist dieser Bereich dagegen sehr stark vertreten. In Schweden, einem Wohlfahrts-staat, arbeiten nur acht Prozent aller Freiwilligen in sozialen Diensten, in Peru dagegen fast alle – hier werden Freiwillige kaum für andere Arbeitsfelder mobilisiert. In Belgien und Israel findet man kaum ehrenamtliche Tätigkeit im Bildungsbereich, in Bra-silien arbeitet dort ein Fünftel aller Freiwilligen.

Daten aus neueren Untersuchungen derselben Gruppe zeigen auch große Unterschiede beim Ausmaß der von Organisationen vermittelten

Freiwilligenarbeit. Wird sie in Vollzeitarbeitsplätze umgerechnet, dann ergibt sich: In Schweden wären sieben Prozent der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter damit beschäftigt, in Portugal und Spanien nur 1,3 beziehungsweise 1,5 Prozent. Der Durchschnitt liegt im globalen Norden bei 3,7 Prozent. Argentinien und Chile reichen fast an das europäische Niveau he-ran, das Mittel liegt in Lateinamerika mit 1,4 Prozent aber deutlich darunter. In Asien, Afrika und dem Na-hen Osten ist der Durchschnitt noch etwas niedriger. Vergleichsweise weit abgeschlagen liegen Russland und Osteuropa: Hier wären mit der freiwillig geleis-teten Arbeit nicht mehr als 0,3 Prozent der Bevölke-rung im arbeitsfähigen Alter in Vollzeit beschäftigt.

Eine naheliegende Interpretation lautet: Das Ausmaß ehrenamtlicher Tätigkeit hängt stark davon ab, wo es eine starke Infrastruktur von gemeinnützi-gen Einrichtungen gibt; die ist besonders im indust-riellen Norden zu finden. Allerdings kann man dage-gen einwenden, dass im globalen Süden eher infor-melle Hilfsleistungen freiwillig erbracht werden, die nicht von Organisationen mobilisiert werden und der Familie, dem Freundeskreis und der Kommune zugutekommen. Um sie ansatzweise zu erfassen, hat das Hopkins Center Hochrechnungen vorgenom-men. Sie schätzen die von Freiwilligen geleistete Ar-beit weltweit auf ein Volumen von rund 126 Millio-nen Vollzeit-Arbeitsplätzen. Da viele Freiwillige nur sporadisch oder für kurze Zeiträume tätig sind, ist das durchaus vereinbar mit der Schätzung von UN Volunteers, wonach etwa eine Milliarde Menschen ehrenamtlich tätig sind. Aber von der vom Hopkins Center errechneten Arbeitsleistung entfällt nur et-was über ein Viertel auf von Organisationen vermit-telte Freiwillige – der größte Teil sind informelle Tä-tigkeiten.

Wie ändert sich das Bild, wenn informelle Hilfs-leistungen berücksichtigt werden? In Ländern mit geringen und niedrigen mittleren Pro-Kopf-Ein-kommen wird dann viermal so viel freiwillige Ar-beit geleistet; etwa 2,8 Prozent der Bevölkerung im Erwerbsalter wären in Vollzeit damit beschäftigt. In Ländern mit höheren mittleren Einkommen ist der Anstieg allerdings noch größer: Der Anteil ver-sechsfacht sich auf etwa sechs Prozent. Und in Län-dern mit hohen Pro-Kopf-Einkommen verdreifacht er sich auf rund 8,6 Prozent. Diese Hochrechnungen müssen mit Vorsicht betrachtet werden, aber sie le-gen nahe: Das Nord-Süd-Gefälle beim freiwilligen Engagement verringert sich zumindest nicht, wenn man informelle Tätigkeiten einbezieht.

Wie ist das zu erklären? Zum einen müssen Men-schen im globalen Süden erheblich mehr Zeit auf-wenden als im Norden, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Sie haben auch längere Anfahrtswege zur Arbeit und müssen länger auf Dienstleistungen war-ten. Ihnen steht für ehrenamtliche Tätigkeit deutlich weniger Freizeit zur Verfügung als den Menschen im Norden. Zum anderen beeinflusst das Bildungsni-veau nicht nur die individuelle Neigung zum freiwil-ligen Einsatz, sondern auch die sozialen Vorausset-zungen dafür: Ein hoher Bildungsstand fördert die Organisationsfähigkeit in der Gesellschaft. So lässt sich vielleicht verstehen, warum viel mehr informel-le freiwillige Arbeit in Ländern mit höheren mittle-ren Pro-Kopf-Einkommen geleistet wird als in Län-dern mit niedrigeren mittleren Einkommen – höhe-

Menschen im globalen Süden brauchen sehr viel Zeit, um ihren Lebensunterhalt zu sichern – da ist wenig für ehrenamtliche Tätigkeit übrig.

Ohne sie geht der Wettkampf nicht weiter: Ehrenamtliche

Helfer säubern in einer Pause das Volleyballfeld bei den Olympischen

Spielen 2016 in Rio de Janeiro.yVEs HERMAn/REutERs

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re Einkommen und ein besseres Bildungsniveau ge-hen ja miteinander einher.

ob staatliche Einwirkungen eine Rolle spielen, ist bislang ungeklärt. Viele Regierungen set-zen Anreize für freiwillige Tätigkeiten oder

fördern sie – oft solche, die auf die Jugend abzielen. Andererseits zeichnet sich im globalen Süden schon seit etlichen Jahren der Trend ab, dass Staaten sich von der liberalen Demokratie abwenden. Autoritär geprägte Regierungen betrachten Teile der einhei-mischen Zivilgesellschaft als politisch gefährlich. Sie ist von Lateinamerika über Afrika und den Nahen Osten bis nach Asien wachsenden Restriktionen und Repression ausgesetzt. Zu den beliebtesten Maßnah-men zählt, nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) die Förderung aus dem Ausland und insbesondere aus dem Westen abzuschneiden, um sie von inter-nationalen Netzwerken abzukoppeln und gleichzei-tig ihren inländischen Wirkungskreis zu verkleinern.

In einigen dieser Staaten lässt sich zugleich al-lerdings ein gegenläufiger Trend feststellen: Die Re-pression richtet sich vor allem gegen NGOs, die als Anwälte für Menschenrechte oder Umweltschutz tä-tig sind; mehr sozial als politisch engagierte Organi-sationen werden davon weitgehend ausgenommen. Teils werden sie sogar in das System der Sozialdienst-leistungen eingebunden und gefördert. Ein Beispiel

ist Russland. Moskau hat schon früh versucht, die politische Zivilgesellschaft einzuschränken, und die Restriktionen über die vergangenen zehn Jahre aus-gebaut. Seit 2010 jedoch wurden auch Förderpro-gramme für sogenannte sozial orientierte NPOs auf-gelegt und die rechtlichen Rahmenbedingungen für Wohltätigkeit und freiwillige Tätigkeiten verbessert.

Freiwillige Arbeit ist selten politisch brisant oder akut regimegefährdend. Autoritäre Regime halten es für notwendig, soziale Organisationen und freiwilli-ge Vereinigungen in die Bereitstellung öffentlicher Güter einzubeziehen, um die Versorgung zu verbes-sern und die Bevölkerung zufrieden zu stellen. Des-halb wird freiwilliges Engagement auch in einem zu-nehmend autoritär geprägten Zeitalter weder gro-ßen Einschränkungen unterliegen noch an entwick-lungspolitischer Bedeutung verlieren.

ZuM WEItERLESEN Helmut Anheier, stefan toepler (Hg.), International Encyclopedia of Civil Society; springer-Verlag, Heidelberg/new york 2010.

Jacqueline butcher, Christopher Einolf (Hg.), Perspectives on Volunteering: Voices from the South; springer-Verlag, Heidelberg/new york 2017.

Stefan Toepler lehrt nonprofit und ngo Management im Fachbereich Verwaltungswissen-schaften der schar school of Policy and government an der george Mason universität, Virginia, usA. Von 2014 bis 2016 war er an einem Forschungspro-jekt über zivilgesellschaft in Russland an der Moskauer Higher school of Economics tätig.

Ausschreibung 2017

Else Kröner Fresenius Preisfür Medizinische EntwicklungszusammenarbeitThema: Mutter-Kind-Gesundheit

Bewerbungsfrist 30. Juni 2017

Der Else Kröner Fresenius Preis für Medizinische Entwicklungszusammenarbeit würdigt Projekte, die nach-

haltig der Verbesserung der medizinischen Versorgung in Entwicklungsländern dienen. Dieses Jahr wird

der Preis zum Thema Mutter-Kind-Gesundheit ausgeschrieben. Der Preis ist mit 100.000 Euro dotiert.

Weitere Informationen: www.ekfs.de

Else Kröner-Fresenius-Stiftung | Postfach 1852 | 61352 Bad Homburg

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18 schwerpunkt EHRENAMT

b ilder von Landschaften schmücken die weißen Wän-de – Fotos von Hilfseinsät-

zen hängen nirgends. In der mo-dernen Praxis in Reinbek bei Hamburg deutet nichts darauf hin, dass der Chirurg Felix Blake immer wieder im Ausland unter-wegs ist, um arme Menschen zu operieren. Mit Absicht: „Ich ma-che das nicht wegen der Werbung. Ich tue das für mich.“

Vier Mal war der 48-jährige Mediziner, der auf Mund-, Kie-fer- und Gesichtsoperationen spe-zialisiert ist, bereits bei humani-tären Einsätzen dabei. 2004 hat ihn ein befreundeter Arzt nach Jordanien und Syrien mitgenom-men. Der Kollege stammt aus Sy-rien und hat die Reise organisiert. In den beiden Ländern haben die Chirurgen in verschiedenen Kran-kenhäusern operiert und einhei-mische Ärzte geschult. Zwei Jahre später ist Blake erneut nach Syri-en gereist. Es fällt ihm leicht, sich auf andere und ärmere Länder einzustellen. „Armut kann mich nicht bedrücken, ich bin damit groß geworden“, sagt er.

Der Sohn eines Arztes aus Tri-nidad und einer Deutschen ist in Hamburg-Blankenese geboren. Als er sechs Jahre alt war, zog die Familie auf die karibische Insel. Dort ist er in der Hauptstadt Port of Spain zur Schule gegangen und hat sein Abitur gemacht. Danach hat er in Hamburg Zahnmedizin

studiert, ein Medizinstudium an-gehängt und sich auf Mund-Kie-fer-Gesichtschirurgie speziali-siert. „Wenn man in der Karibik groß wird, lernt man viel über Ras-sismus“, erzählt er. Die Mehrheit der Wohlhabenden ist weiß und die arme Bevölkerung schwarz. Weiße haben bessere Chancen auf höhere Posten und Schwarze brechen häufiger die Schule ab, um Geld für ihre Familie zu ver-dienen. Die Erfahrung dieser Un-gleichheit ist es, die Blake dazu bringt, für ein paar Wochen seine Praxen in Reinbek und Bad Oldes-loe der Obhut seines Kollegen zu überlassen und sich ohne Gehalt in einer dürftig ausgestatteten Klinik an den OP-Tisch zu stellen. „Ich habe großes Glück im Leben gehabt. Mir ist es wichtig, der Welt etwas zurückzugeben.“

Seine jüngsten Einsätze hat er mit der britischen Organisati-on Interplast gemacht, die kosten-los plastische Operationen im glo-balen Süden anbietet. 2011 war er auf den Philippinen, 2014 in Pa-kistan. Operiert hat er dort vor al-lem Menschen mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten, Verbrennungs-narben und Verletzungen aus Un-fällen. Die Patienten, die einen solchen Eingriff in einheimischen Kliniken nicht bezahlen können, hätten oft tagelange Fußmärsche hinter sich, um sich am Anreise-tag der Ärzte im Krankenhaus ein-zufinden, sagt Blake.

Die Einsätze von Interplast dauern in der Regel zwei Wo-chen. Am ersten Tag sichten die Ärzte die Patienten und erstellen OP-Pläne. Dabei achten sie dar-auf, dass sich keine wohlhaben-den Leute einschmuggeln. „Unse-re Zeit ist begrenzt und wir wol-len Menschen eine Operation ermöglichen, die es sich sonst nie-mals leisten könnten“, sagt Bla-ke. Manchmal müssten Patienten weggeschickt werden, die unter den gegebenen Umständen nicht behandelt werden können. „Das ist schon traurig“, betont der Chi-rurg.

Pro Aufenthalt operiert das Team zwischen 100 und 150 Per-sonen. In der ersten Woche wer-den die schwierigeren Fälle ver-sorgt, um in der zweiten Woche Zeit für die Nachkontrolle zu ha-ben. Mehr als die Hälfte der Pa-

3000 Karma-Punkte täglich Felix Blake operiert ehrenamtlich Menschen im globalen Süden

Der Hamburger Chirurg erfährt von Patienten in armen Ländern viel Dankbarkeit. Doch nicht alle einheimischen Ärzte freuen sich über die kostenlose Hilfe aus dem Ausland.

Von Johanna Greuter

Johanna Greuterist Volontärin bei .

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19EHRENAMT schwerpunkt

tienten sind Kinder. In Pakistan hat sich Blake über die hohe Zahl an Verbrennungen gewundert – bis ihn ein einheimischer Arzt aufklärte: Der Wohnraum ist be-grenzt, deshalb bauen die Men-schen verbotenerweise ihre Häu-ser ab der ersten Etage in die Brei-te, bis sie an Stromleitungen sto-ßen. Diese biegen sie dann mit Holzlatten weg, um Platz zu schaf-fen. So kann es passieren, dass ein kleiner Junge, der bei Regen auf der Terrasse spielt und dabei das nasse Holzstück zwischen Strom-leitung und Hauswand berührt, mit schweren Verbrennungen auf seinem OP-Tisch landet.

Gespräche mit Einheimischen sind Blake wichtig, ihre Geschich-ten und Lebensumstände inter-essieren ihn. Auch die von seinen Kollegen vor Ort. Er legt großen Wert darauf, auf Augenhöhe mit

ihnen zusammen zu arbeiten. Sie sind bei den Operationen dabei und können von den internatio-nalen Teams lernen. Doch Blake kennt auch ihre Vorbehalte. Den einheimischen Kollegen entgin-gen während der Interplast-Ein-sätze mögliche Einnahmen, sagt er. „Man muss verstehen, dass die nicht nur glücklich über unser Kommen sind.“

D ie Interplast-Teams beste-hen aus zehn bis 15 Ärzten und Krankenschwestern

aus unterschiedlichen Ländern. Während der Einsätze lerne man sich im Team gut kennen und schmiede Pläne für die nächste gemeinsame Reise, erzählt Blake. Auch Interplast registriert, wenn ein Arzt unkompliziert ist und sich gut einfügt. Blake bekommt inzwischen regelmäßig Anfragen, wann er wieder an einer Mission teilnehmen will.

Dieses Jahr hat sich Blake ent-schieden, mit Interplast und ei-nem befreundeten englischen Chirurgen in Sri Lanka zu arbei-ten. Gegen diese Wahl hatte auch seine Familie keine Einwände – ganz im Gegensatz zu Pakistan. Sein Bruder habe damals gefragt, ob er denn schon ein Testament aufgesetzt habe. Er selbst macht sich kaum Gedanken um seine Sicherheit. „Ich glaube, was sein wird, wird sein“, das sei ein ganz wichtiger Satz für ihn. „Es funkti-oniert nicht, wenn man nur mit Ängsten durchs Leben geht.“ Noch hat er bei seinen Einsätzen keine bedrohliche Situation erlebt. Die Einheimischen nähmen die Ärzte freundlich auf: „Alle wollen, dass die Chirurgen wiederkommen.“

Gestört hat ihn in Pakistan nur, wie Frauen diskriminiert werden. „In den Krankenhäusern werden die Ärztinnen wie Luft behandelt.“ Er hat seinen eige-nen Weg gefunden, damit umzu-gehen. „Wenn ich eine Assistenz gebraucht habe, habe ich immer eine Frau genommen“, erzählt er und schmunzelt. Wenigstens zwei Wochen lang sollten seine Kolleginnen von der Präsenz der ausländischen Ärzte profitieren. Dem Vater von vier Töchtern liegt die Gleichberechtigung am Her-zen.

Bei den Einsätzen überwiegen die schönen Momente. Die Freu-de der Kinder und die Dankbar-keit der Familien seien der höchs-te Lohn. „Nach einem solchen Ar-beitstag denke ich mir immer, dass ich heute bestimmt 3000 Karma-Punkte gewonnen habe“, sagt Blake und lacht. „Bei den Ein-sätzen machen wir das, wofür wir eigentlich da sind: Wir operieren und helfen. Das ist großartig.“ Der schönste Teil seiner Arbeit ist das Operieren. Doch in Deutschland gehe ein Viertel der Arbeitszeit für Büroarbeiten drauf, bei den Einsätzen könne er sich dagegen zu 99 Prozent den Patienten wid-men.

Blake wirkt gelassen und mit sich im Reinen. „Wenn man aus seiner gewohnten Umgebung ge-rissen wird, merkt man wieder, wie gut es einem eigentlich geht“, sagt er. Er versuche, diese Gelas-senheit auch an seine Patienten in Deutschland weiterzugeben, und manchmal gelingt ihm das auch. „Dann ist es oft gar nicht mehr so tragisch, wenn ein Zahn gezogen werden muss.“

Felix Blake findet, er habe großes Glück im Leben gehabt. Ihm ist es wichtig, der Welt etwas zurückzu-geben.

Konzentriert im Einsatz: Felix Blake 2014 am OP-tisch im pakistanischen

Rawalpindi. PRIVAt

PRIV

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schwerpunkt ehrenamt20

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Marie Albrecht war kurz nach dem Abitur mit „weltwärts“ in Ghana. trotz guter Erfahrungen äußert sie Kritik: Wer vor Ort wirklich et-was verändern will, darf nicht auf deutsche Freiwillige setzen, sagt sie. und für einen interkulturellen Austausch müssten mehr junge Leute aus dem Süden in den Nor-den kommen.

Wie sah Ihr Freiwilligendienst aus?Ich war in Agona Swedru, einer

Stadt, in der rund 50.000 Men-schen leben. Die Schule, in der ich gearbeitet habe, ging von der Vor-schule bis zur neunten Klasse, das entspricht in Ghana der mittleren Reife. Zusammen mit einer ande-ren Freiwilligen habe ich deren Bücherei betreut, außerdem habe ich mit den Schülerinnen und Schülern lesen geübt. Gegen Ende des Jahres habe ich manchmal Vertretungsstunden übernom-men. Eigentlich habe ich ein Jahr Praktikum gemacht: Ich musste eingearbeitet werden, habe nach und nach mehr Aufgaben bekom-men, hatte aber nie die volle Ver-antwortung und war immer den einheimischen Lehrerinnen und Lehrern unterstellt.

Hatten sie sich das anders vorge-stellt?

Nein, für mich persönlich war das gut. Aber viele stellen sich etwas anderes vor - zum Bei-spiel, dass sie als Lehrkräfte ar-beiten können, obwohl sie das in Deutschland ohne Ausbildung nie dürften. Meinem Eindruck nach passiert es auch immer wie-der, dass Freiwillige an ihren Ein-satzort kommen, die Landesspra-che nicht können, keine fachliche Qualifikation haben und als Leh-rer oder Lehrerin arbeiten – ob-wohl weltwärts ja vorschreibt, dass keine lokalen Arbeitsplätze mit Freiwilligen besetzt werden sollen.

Wie war die zusammenarbeit mit den Kollegen vor ort?

Insgesamt gut. Die Schullei-terin war recht streng, stand uns aber als Ansprechperson immer zur Verfügung. Sie hat uns bei Pro-blemen und kleinen Krisen unter-stützt. Die Schule betreut schon länger Freiwillige, die Schülerin-nen und Schüler und die Lehrkräf-te sind daran gewöhnt.

Denken sie, Ihre Arbeit hat etwas bewirkt?

Es ist immer hilfreich, wenn in Schulen eine zusätzliche Per-son da ist, die weder Mitschülerin noch Lehrerin ist. Man kann mit Privatfragen angesprochen wer-den oder in einer Stunde einen Schüler unterstützen, der gerade nicht mitkommt. Aber das hätte eine Ghanaerin oder ein Ghanaer mindestens genauso gut machen können, eher noch besser, weil sie die örtliche Sprache Fante kön-nen. Gut ist natürlich der interkul-turelle Austausch, der mit „welt-wärts“ auch gefördert werden soll. Es ist allerdings die Frage, wie in-terkulturell das ist, wenn der Aus-tausch einseitig von Deutschland in den globalen Süden stattfindet und nur sehr selten umgekehrt.

Inzwischen fördert „weltwärts“ ja auch den süd-nordaustausch.

Ja, aber das wurde viel spä-ter ins Leben gerufen und auch nur, weil die Einbahnstraße Nord-Süd stark kritisiert wurde. Es sind viel weniger Freiwillige aus dem Süden hier als umgekehrt. Und die bürokratischen Hürden sind hoch. Obwohl es ein staatliches Programm ist, haben die jungen Leute Schwierigkeiten, ein Visum für Deutschland zu bekommen,

weil sie zum Beispiel ihren Rück-kehrwillen nicht beweisen kön-nen. Das ist ungerecht und zeigt, wie sehr koloniale Verhältnisse bis heute fortbestehen.

Was hat Ihnen Ihr „weltwärts“-Ein-satz persönlich gebracht?

Sehr viel gebracht haben mir die Vorbereitungs- und Nachbe-reitungsseminare, sie haben mich politisiert. Durch den Aufenthalt in Ghana bin ich sensibler gewor-den für Ungerechtigkeiten in Ge-sellschaft und Wirtschaft und ich habe gelernt, wie das mit der Ko-lonialzeit und ihren Menschen-bildern zusammenhängt. Da-nach habe ich zuerst Politikwis-senschaften studiert, doch das war mir dann zu theoretisch, und ich bin zu Sozialer Arbeit gewech-selt. Eigentlich wollte ich nicht mit Kindern arbeiten – und jetzt bin ich doch wieder als studen-tische Hilfskraft in einer Kreuz-berger Schule gelandet und finde es schön. Den Job habe ich sicher auch deshalb bekommen, weil ich Erfahrungen in der ghanaischen Schule gesammelt hatte.

trotz Ihrer guten Erfahrungen ha-ben sie Kritik an „weltwärts“. Was stört sie am meisten?

Wichtige Voraussetzung für „weltwärts“ ist eine kritische Vor- und Nachbereitung. Ich bin unsi-cher, ob das immer funktioniert, ich habe da Verschiedenes gehört. Meiner Meinung nach sollten sich die Teilnehmenden mit Rassis-mus, Kolonialismus und den glo-balen Wirtschaftsverhältnissen auseinandersetzen. Sie sollten in die Lage versetzt werden, die Bil-der, die sie im Kopf haben, kritisch anzuschauen, über den Haufen zu

„Die Bilder im Kopf kritisch anschauen“Eine frühere Freiwillige möchte, dass am Dienst „weltwärts“ nachgebessert wird

Gespräch mit Marie Albrecht

„Kurzzeiteinsätze in Waisenhäusern können Schaden anrichten. Ständig wechselnde

Bezugspersonen tun den Kindern nicht gut.“

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werfen und neu aufzubauen. Wenn das nicht geschieht, dann ist das kein entwicklungspolitisches Lernen, sondern ein persönliches Abenteuer auf Staatskosten.

Wie sehen sie die entwicklungspo-litische Wirkung?

Freiwillige kosten pro Jahr und Person mindestens 10.000 Euro. Das Geld ließe sich sinnvoller aus-geben. Wenn vor Ort etwas erreicht werden soll, dann funktioniert das nicht über deutsche, unqualifizier-te Freiwillige. Gleichzeitig finde ich es wichtig, dass junge Leute Einbli-cke bekommen in die Verhältnisse im Süden und in globale Zusam-menhänge. Viele engagieren sich nach ihrer Rückkehr zu diesen The-men und das ist wünschenswert. Die große Frage ist für mich den-noch: Wie kann man sie dafür in-teressieren, ohne dass man sie um die Welt schicken muss?

Keine Wirkung im süden ist das eine – richten Freiwillige auch schaden an?

Ja, ich denke da zum Beispiel an Kurzzeiteinsätze in Waisen-häusern. Ständig wechselnde Be-zugspersonen tun den Kindern nicht gut. Manchmal werden lo-kale Stellen gestrichen und mit Freiwilligen besetzt. Außerdem steckt hinter diesen Kurzzeitein-sätzen eine unglaubliche Geldma-cherei. Schädlich sind auch ste-reotype Bilder über Länder des globalen Südens, die von man-chen Freiwilligen verbreitet wer-den. Denn ihnen wird Expertise zugeschrieben, sie sind ja vor Ort. Zum Teil sind die Teilnehmen-den aber auch selbst enttäuscht – vor allem, wenn sie mit dem Bild des „weißen Helfers“ im Kopf an-reisen. Das ist zum einen rassis-tisch, zum anderen unrealistisch: „weltwärts“-Freiwillige können

immer nur auf der individuellen Ebene unterstützen. Vielleicht hat ein Kind mal Mathe verstan-den, weil ich es erklärt habe, aber das hat mit Entwicklungspolitik nichts zu tun. Jede Person vor Ort weiß besser, was gebraucht wer-den könnte. Das muss einem klar sein.

Was könnten die „weltwärts“-or-ganisatoren besser machen?

Wenn das Programm wirklich entwicklungspolitisches Lernen und Austausch ermöglichen will, muss man sich vor allem auf den Süd-Nord-Austausch konzentrie-ren. Hier müssen bürokratische Hürden abgebaut werden.

sie haben bei ijgd schon zwei Vor-bereitungskurse mitverantwortet. Was geben sie den Freiwilligen mit auf den Weg?

Am Anfang des Freiwilligen-dienstes neigt man dazu, Beob-achtungen und Menschen in Kate-gorien zu sortieren. Das dient der Orientierung. Doch diese ersten Urteile sollte man sich dann noch einmal kritisch anschauen und sich fragen, ob sie stimmen, bevor man sie durch die Welt posaunt.

Also ein Plädoyer für zwei Mal hin schauen?

Ja, und vor allem für Verant-wortung. Liebe „weltwärts“-Frei-willige: Ihr seid nicht mehr nur für Euch selbst verantwortlich, sondern auch dafür, welchen Ein-druck Ihr auf die Leute vor Ort macht und was Ihr zurücktragt. Nehmt die Verantwortung an oder bleibt zu Hause.

Das gespräch führte Gesine Kauffmann.

„Jede Person vor Ort weiß besser, was gebraucht werden könnte. Das muss einem vor einem Einsatz klar sein.“

Marie Albrecht (24) hat von September 2012 bis August

2013 mit dem Freiwilligendienst „weltwärts“ in einer Schule in Ghana

gearbeitet. Entsendet wurde sie von den Internationalen Jugend-

gemeinschaftsdiensten (ijgd).

PRIV

At

0 500 1000 1500 2000 2500

USA, Kanada

Europa, Kaukasus,Zentralasien

Lateinamerikaund Karibik

Asien, Pazifik,Ozeanien

Afrika

mit staatlich geförderten Diensten: weltwärts kulturweit Freiwilliges Soziales/ Ökologisches Jahr Internationaler Jugend- freiwilligendienst Europäischer Freiwilligen- dienst Anderer Dienst im Ausland

62323

249

310

201

152

1483

1509

1934

2212

mit Freiwilligendiensten auf privatrechtlicher Basis

Quelle: Arbeitskreis Lernen und Helfen in Übersee, 2015

Wohin gehen deutsche Freiwillige?

©

Zahl der Ausgereisten im Jahr 2015

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E ine Zeit im Ausland leben, Gutes tun, Neues erfahren und Sprachen lernen – die-

sen Traum erfüllen sich immer mehr junge Leute. Das gilt beson-ders für Kurzzeiteinsätze in Um-welt- und Sozialprojekten, den „Voluntourismus“. Aber auch die Zahl der Teilnehmenden an län-geren internationalen Freiwilli-gendiensten wächst: Laut dem Arbeitskreis Lernen und Helfen in Übersee (AKLHÜ) ist sie zwi-schen 2004 und 2015 von knapp 6000 jährlich auf knapp 8500 ge-stiegen.

Welche Programme gibt es?Nichtstaatliche Entsendeorga-nisationen bieten internationa-le Freiwilligendienste mit einem sechs bis 24 Monate langen Ein-satz an – für Frieden und Men-schenrechte, Gesundheit, sozia-le Gerechtigkeit, Kultur, Bildung oder Umweltschutz. Der bekann-teste von ihnen ist „weltwärts“, das vom Bundesentwicklungsmi-nisterium (BMZ) 2008 ins Leben gerufen wurde. Damit können junge Leute zwischen 18 und 28 Jahren in Projekten in Afrika, Asi-en, Lateinamerika und Südosteu-ropa mitarbeiten. 160 nichtstaat-liche Organisationen sind zurzeit als Entsendeorganisationen aktiv, darunter Missionswerke, Brot für die Welt und Misereor.

Auf Platz zwei folgt der In-ternationale Jugendfreiwilligen-dienst (IJFD) des Bundesfamili-enministeriums; die 15 bis 27 Jah-re alten Teilnehmenden werden unter anderem in der Arbeit mit alten, kranken oder behinderten Menschen sowie Kindern und Ju-gendlichen eingesetzt. IJFD ist in allen Ländern möglich, beson-ders hoch im Kurs stehen Groß-britannien, Frankreich, Israel und die USA. Weitere Möglichkeiten: Das Auswärtige Amt fördert den

Dienst „kulturweit“ in deutschen Kultureinrichtungen im globalen Süden. Beim Europäischen Frei-willigendienst können junge Er-wachsene bis 30 Jahre in gemein-nützigen Projekten in EU-Mit-gliedsländern und benachbarten Partnerländern mitarbeiten.

Darüber hinaus gibt es private gemeinnützige Freiwilligendiens-te, die keine staatlichen Zuschüsse erhalten. Sie sind oft etwas flexi-bler bei Einsatzdauer und Ausrei-seterminen. Eine wachsende Zahl auch kommerzieller Organisatio-nen bietet zudem eine Kombinati-on von Urlaub und freiwilliger so-zialer Arbeit im Ausland an. Die-se Kurzzeiteinsätze dauern meist nicht länger als drei Monate.

Wer bezahlt was?Solche Voluntourismus-Program-me sind zwar flexibel, was Ein-satzzeit und -ort angeht, aber auch teuer. Die Teilnehmenden müssen alles selbst bezahlen. Bei den staatlich geförderten Pro-grammen variiert der Zuschuss: Beim IJFD steuert der Staat 350 Euro monatlich bei, das BMZ macht für einen „weltwärts“-Frei-willigen im Monat immerhin 620 Euro plus Gesundheitskosten lo-cker und übernimmt damit bis zu 75 Prozent der gesamten Kosten.

Die Organisationen müssen also zwischen 25 und 60 Prozent der Mittel selbst aufbringen. Sie er-warten von den Teilnehmenden, dass sie bei der Einwerbung von Spenden helfen und dafür etwa einen Unterstützerkreis aufbau-en, der den Freiwilligendienst auch inhaltlich begleitet. Gisela Kurth vom AKLHÜ findet das pä-dagogisch sinnvoll: Die jungen Leute setzten sich intensiver mit ihrer künftigen Arbeit in einem Projekt auseinander, wenn sie es anderen erklären und für ihren Dienst um Spenden werben. „Die Verpflichtung gegenüber den Un-terstützern kann außerdem hel-fen, die Durststrecke zu überwin-den, die sich bei jedem längeren Einsatz einstellt“, meint sie.

Wie werden die Freiwilligen betreut?Voluntourismus-Anbieter stehen in der Kritik, die Freiwilligen nicht sorgfältig genug auszuwählen und zu betreuen. Bei den staat-lich geförderten Diensten ist die Teilnahme an Vor- und Nachbe-reitungskursen verpflichtend. Zu den Inhalten zählen interkultu-relles Lernen, Informationen über das Gastland, Sicherheit, Umgang mit Krisen und Konflikten so-wie die Auseinandersetzung mit den eigenen Erwartungen, Hoff-nungen und Ängsten. Auch The-men wie Rassismus und Koloni-alismus sowie der Umgang mit Stereotypen werden laut Gisela Kurth zunehmend aufgegriffen.

Wie wird die Qualität gesichert?Dafür sollen zwei verschiedene Zertifizierungsverfahren sorgen: „Qualität in Freiwilligendiensten“ (Quifd) und das Gütezeichen „In-ternationaler Freiwilligendienst – Outgoing“ (RAL). Beide basie-ren auf Standards, die Organisa-tionen einhalten müssen, um das jeweilige Gütesiegel zu erlangen. Sie müssen die Bewerber umfas-send über die Einsätze informie-ren; die Einsätze müssen verläss-lich organisiert sein; die Freiwilli-gen müssen kompetent angeleitet und während ihres Dienstes per-sönlich begleitet werden; und die Organisationen sind verpflichtet, das eigene Handeln „ständig kri-tisch zu hinterfragen“. Die Träger von „weltwärts“ müssen sich spä-testens zwei Jahre, nachdem sie in das Programm eingestiegen sind, zertifizieren lassen, ein Großteil der IJFD-Träger ist ebenfalls zer-tifiziert. Vor allem für kleine, eh-renamtlich arbeitende Organisa-tionen sei das Verfahren sehr auf-wendig und daher schwer zu leis-ten, sagt Gisela Kurth. Wenn das Gütesiegel fehle, heiße das also nicht zwangsläufig, dass es einer Organisation an Qualität man-gelt.

Welche Verpflichtungen haben Freiwillige nach ihrer Rückkehr? Bei „weltwärts“ gehört dazu, dass die Freiwilligen erworbenes Wis-sen in Schulen oder bei Vorträgen weitergeben. Für kleine Projekte, darunter Informationsveranstal-tungen und Workshops zum glo-balen Lernen, stellt das Entwick-lungsministerium Geld in einem Rückkehrer-Fonds bereit. Andere staatliche Stellen sind da weniger großzügig. Dennoch engangieren sich viele Freiwillige nach ihrem Dienst, etwa in der Arbeit mit Ge-flüchteten. Laut einer Umfrage vom AKLHÜ sind allein ein Fünf-tel der Rückkehrer in Initiativen ihrer Entsendeorganisation aktiv.

www.entwicklungsdienst.dewww.quifd.dewww.ral-freiwilligendienst.de

22 schwerpunkt EHRENAMT

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Das Angebot an Freiwilligendiensten ist fast unüberschaubar. Ein kurzer Wegweiser.

Von Gesine Kauffmann

Welcher Platz passt?

Christian Päßler war der 10.000

Freiwillige bei „weltwärts“. Er

hat im südaf-rikanischen

Isithumba mit Schülern aus

armen Familien gearbeitet.

CHRIstIAn PÄssLER

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Asha Kadago kümmert sich als frei-willige Landrechtsbeobachterin auch

darum, dass Familien in uhambin-geto Landstreitig keiten friedlich

beilegen.

Frau Kadago hilft, wenn nachbarn streiten

D ie Fahrt von Daressalam ins knapp 500 Kilometer entfernte Dorf Uhambin-

geto war wenig spektakulär, aber interessant. Auf den letzten 25 Ki-lometern abseits der Hauptstra-ße war kaum Verkehr, abgesehen von etlichen Motorrädern, völlig überladen mit Plastikkanistern voll Bambuswein. Später erfuhr ich, dass die Fracht für die Bauern in Uhambingeto und Umgebung bestimmt war. Ulasi, wie der Wein hier genannt wird, gibt es wäh-

rend der Regenzeit und ist als Er-frischungsgetränk beliebt bei den Bauern, die den ganzen Tag auf ih-rer Farm schuften.

Auf beiden Seiten der Straße erstreckten sich Maisfelder, so-weit das Auge reichte. Natürliche Vegetation gab es nur auf einigen spärlich bewachsenen Hügeln in der Ferne. „Die Leute hier leben von der Landwirtschaft“, sagte der Fahrer meines Motorradtaxis. „Alle bauen Mais an. Einige haben bis zu 100 Hektar, andere gerade mal zwei oder drei.“

In Uhambingeto hielten wir im Hof eines kleinen Hauses. Ein paar Kinder, vier oder fünf Jahre alt, tollten herum. Ein schöner Ort, ganz in grün vom Mais rundher-um. Asha Kadago, 30 Jahre alt, be-grüßte uns. Sie hatte mir am Tele-fon erklärt, wo sie zu finden wäre.

Frau Kadago ist eine von mehr als 600 Freiwilligen im ganzen

Land, die sich in ihren Dörfern und Gemeinden darum kümmern, dass Landrechte der Einwohner ge-wahrt werden und Streit um Acker-land friedlich gelöst wird. Ausge-bildet werden diese sogenannten Land Rights Monitors (LRMs) von der tansanischen Organisation Ha-kiardhi, die das Projekt ins Leben gerufen hat. Die Dörfer suchen ge-eignete Kandidaten und Kandida-tinnen und wählen sie; von Haki-ardhi werden sie dann zu Landbe-sitz und Landrechten in Tansania geschult. Trainiert werden außer-dem Methoden der Konfliktbear-beitung, Advocacy- und Lobby-Ar-beit sowie Umweltschutz.

Die Land Rights Monitors sind Freiwillige: Sie bekommen kein Geld und auch sonst keine Ent-schädigung, wenn sie in Konflik-ten vermitteln oder ihre Zeit da-mit verbringen, Dorfbewohner über Landrechte aufzuklären. Ihre

Wo verläuft die grenze zwischen den zwei Maisfeldern? Hat auch die tochter Anspruch auf ein stück des vererbten Familien ackers? und wem gehört das Land, das der smarte geschäftsmann kaufen will? um solche Fälle kümmern sich in tansania in einigen Dörfern ehrenamtliche Helfer.

Von Deodatus Mfugale (Text und Fotos)

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einzige Belohnung ist die Zufrie-denheit, wenn sie einen Streit ge-schlichtet haben oder wenn die Leute ihnen sagen, dass sie ihr En-gagement schätzen.

Als Asha Kadago vor drei Jah-ren als Land Rights Monitor an-fing, gab es sieben akute Land-konflikte in ihrem Dorf. „Seit 2014

habe ich in Dorfversammlungen und bei Sitzungen des Dorfrates über Landrechte informiert und mich für gute Beziehungen zwi-schen Ackerbauern und Viehhir-ten eingesetzt“, sagt sie. Bewusst-seinsbildung nennt sie als ihre wichtigste Aufgabe: Sie hilft Kon-flikte zu verhindern. Deshalb sei die Zahl akuter Streitfälle gesun-ken – auf einen oder zwei im Jahr.

Ein Land Rights Monitor braucht einen guten RufWenn benachbarte Familien strei-ten, geht es meist um den Ver-lauf der Grenze zwischen ihren Feldern. Bauern und Viehhirten wiederum kriegen Krach mitein-ander, wenn letztere beschuldigt werden, ihre Tiere auf Feldern gra-sen zu lassen. „Es gibt aber auch Konflikte innerhalb von Famili-en“, sagt Asha Kadago, „etwa über die Verteilung oder die Vererbung

von Land. Oder über die Frage, ob eine geschiedene Frau oder eine Witwe das Land bekommt, das sie gemeinsam mit ihrem Mann besessen hat.“ Oft wird das Recht von Mädchen auf Land verletzt, weil Väter das Familienland nur an ihre Söhne weitergeben. „Das hat vor allem mit der Tradition

und der Stammeskultur zu tun“, sagt Kadago.

Die junge Frau hat sich nicht vorgedrängt, Land Rights Monitor für ihr Dorf zu werden. Die Dorf-versammlung hat sie gewählt, nachdem der Dorfrat sie vor-geschlagen hatte. Infrage dafür kommen nur Leute, die aufgrund ihres Verhaltens einen guten Ruf haben, lesen und schreiben kön-nen, Recht und Gesetz achten und keiner politischen Partei angehö-ren. „Ich habe meine Nominie-rung akzeptiert, weil ich in mei-nem Dorf Aufmerksamkeit schaf-fen wollte für Landrechte und Fra-gen rund um den Landbesitz. Ich dachte, das wäre der richtige Weg, Konflikte zu lösen“, sagt Kadago.

Die meisten Streitfälle werden unter der Vermittlung von Asha Kadago gütlich beigelegt. „Die Leu-te kennen mich gut. Wenn sie un-eins sind, dann sagen sie mir, wie

sie die Dinge sehen. Ich höre mir beide Seiten an und schaue mir das Land an, um das es geht. Wenn nötig, schlage ich ihnen einen Lö-sungsweg vor.“ Wenn es in Famili-en Streit gibt, setzt sie sich mit al-len Familienmitgliedern zusam-men und erklärt ihnen, was sie für eine faire Lösung hielte, bei der die Landrechte aller gewahrt bleiben.

Schwer gemacht hat ihr am Anfang, dass einige Mitglieder des Dorfrates sich weigerten, sie im Dorf als Person vorzustellen, an die man sich im Konfliktfall wen-den kann und die grundlegende Rechtshilfe für Landfragen leistet. Doch Asha Kadago ließ sich nicht abschrecken: „Ich habe mir Unter-stützung von Dorfchiefs auf der Ebene darunter geholt. Die haben kooperiert und den Leuten meine Rolle erklärt. Das hat meine Arbeit erleichtert, und ich war schnell ak-zeptiert in der Gemeinde.“

Manchmal können die freiwil-ligen Helfer und Helferinnen ei-nen Konflikt nicht lösen und müs-sen ihn anderen Stellen im Dorf übergeben. Zuständig ist nach tansanischem Gesetz das Dorf-Landtribunal (Village Land Tribu-nal). Es besteht aus sieben Mitglie-dern, von denen mindestens drei Frauen sein müssen, und ist be-fugt, Landkonflikte zu entschei-den. Die Mitglieder werden für drei Jahre gewählt und sollen sich regelmäßig zu Sitzungen treffen.

Doch in Uhambingeto funk-tioniert das nicht, deshalb hat Asha Kadago den Job des Tribu-nals übernommen. „Die Mitglie-der unseres Dorf-Landtribunals sind schon sieben Jahre im Amt, was gegen das Gesetz ist“, sagt sie. „Außerdem treffen sie sich fast nie, um Konflikte möglichst früh zu entschärfen. Für mich als ein-ziger freiwilliger Land Rights Mo-nitor bedeutet das eine Menge Ar-beit. Ohne mich müssten die Leu-te mit ihren Streitfällen gleich zur nächsten zuständigen Instanz auf der nächsthöheren Verwaltungs-ebene gehen.“ Kadago hat den Dorfrat darum gebeten, ein neu-es arbeitsfähiges Tribunal einzu-setzen, so wie es das Gesetz vor-schreibt – ohne Erfolg.

Das ist nicht ihr einziges Prob-lem: Das zweitägige Training, das

In ukeleli engagieren sich George Silinu und Kisa Nyakunga

gemeinsam für die Landrechte. Dabei kommen sie manchen

krummen Geschäften auf die Spur.

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Kadago vor drei Jahren erhalten hat, hat viele Fragen offen gelas-sen. Und da das Bewusstsein der Dorfbewohner für Landrechte zu-nehmend wächst, hat sie häufig das Gefühl, nicht helfen zu kön-nen. Einmal kam ein Mann mit ei-ner Bescheinigung über einen ge-wohnheitsrechtlichen Landtitel zu ihr. Diese Bescheinigung woll-te er einer Bank als Sicherheit vor-legen, um einen Kredit aufzuneh-men. „Er hat mich gefragt, was er dafür tun müsste. Ich konn-te ihm nicht helfen, weil ich es nicht wusste. Das war mir unan-genehm“, sagt Kadago. Sie schlägt vor, dass die Freiwilligen zusätzli-che Trainings bekommen, um mit neuen Aufgaben und Entwicklun-gen Schritt zu halten.

„Ohne uns würden die Leute Gaunern zum Opfer fallen“George Silinu, freiwilliger Land Rights Monitor im Dorf Ukelemi in der Region Southern High-lands, hat vermutlich einen leich-teren Job als Asha Kadago. In sei-nem Dorf teilt er sich mit einer Kollegin die Arbeit. Dafür kämpft er mit einer anderen Schwierig-keit: In Ukulemi gibt es kein Dorf-Landtribunal, stattdessen küm-mert sich die Dorfregierung selbst um Landstreitigkeiten. Ständige Wechsel in der Regierung gepaart mit Zankereien zwischen den po-litischen Parteien verhinderten immer wieder, dass die Regierung ein Tribunal einsetzt, sagt Silinu. „Ohne uns Freiwillige würden nur sehr wenige Dorfbewohner ihre Landrechte kennen. Und etliche würden Gaunern zum Opfer fal-len, die Land beanspruchen, das gar nicht ihnen gehört.“ Silinu er-zählt von Fällen, in denen smarte junge Männer das Land anderer Leute an Interessenten aus ande-ren Distrikten verkaufen wollten. Oder Bewohner von Ukulemi überreden wollten, ihr Land völlig unter Wert zu verscherbeln.

George Silinu erzählt außer-dem, dass einige Mitglieder der Dorfregierung in Streitfällen ei-gene Interessen haben und des-halb unfaire Entscheidungen tref-fen. In einem dieser Fälle standen sich Hassan Nyakunga und Je-remia Kitumbika gegenüber. Ki-

tumbika beschuldigte Nyakun-ga, er habe die Grenze zwischen beider Ländereien missachtet und auf seinem Land Mais ge-pflanzt. Mitglieder der Dorfregie-rung nahmen sich des Falls an und entschieden gegen Kitumbi-ka – ohne überhaupt dessen Be-weise genauer zu betrachten. „Als ich mir die Sache genauer ansah, stellte ich fest, dass der Dorfvor-steher mit dem Beschuldigten verwandt ist. Wahrscheinlich war das der Grund, dass der Fall so schnell entschieden wurde“, sagt Silinu. „Ich habe dem Kläger ge-holfen, den Streit vor die nächste Instanz zu bringen. Dort wurden alle Beweise geprüft, Kitumbeka gewann und bekam sein Land zu-rück.“

So wie Asha Kadago hat auch George Silinu sich nicht aktiv um den Posten als Land Rights Moni-tor beworben. Aber er war immer interessiert daran, einen solchen Job zu übernehmen. „Viele Leute bei uns wussten nichts über Land-rechte und ich hielt es für eine gute Gelegenheit, sie darüber zu informieren. Außerdem dachte ich mir, dass ich selbst auch einiges lerne, wenn ich zum Land Rights Monitor ausgebildet werde.“

In anderen Dörfern haben Freiwillige ihre Arbeit schon wie-der eingestellt und tun nichts mehr dafür, die Leute aufzuklä-ren oder ihnen zu helfen, wenn ihre Landrechte bedroht sind. Manchen fehlt es einfach am nö-tigen Engagement, andere haben nicht genug Zeit, weil sie Geld ver-dienen müssen. „Manchmal ist es schon hart, die freiwillige Ar-beit zu machen, wenn wir gleich-zeitig noch unseren Lebensunter-halt verdienen müssen“, sagt Kisa Nyakunga, die zweite Freiwillige in Ukulemi. Zusammen mit ih-rem Kollegen George Silinu will sie eine Geflügelzucht als weite-re Einkommensquelle aufbauen. „Das wird uns helfen, mehr Zeit für die freiwillige Arbeit zu ha-ben“, sagt die 30-Jährige.

Einige Land Rights Monitors haben aufgegeben, weil sie fin-den, dass ihre Arbeit jenseits der Dorfgrenzen – auf Distriktebe-ne – nicht ausreichend gewürdigt wird. „Die Freiwilligen sind frust-

riert: Unsere Arbeit hilft den Be-hörden auf Distriktebene, denn wenn Landkonflikte zunähmen, dann wäre Entwicklungsarbeit in den Distrikten gar nicht möglich. Aber niemand weiß das zu schät-zen“, sagt Kisa Nyakunga.

Bei den Erfindern der Land Rights Monitors in der Organisa-

tion Kakiardhi sieht man das Pro-jekt dennoch als Erfolg. Die Frei-willigen hätten in ihren Dörfern das Bewusstsein für individuelle Landrechte, auch bei Frauen, ge-schärft und gäben wertvollen ju-ristischen Rat, sagt Beatha Fabian, Anwältin und eine der Geschäfts-führerinnen von Hakiardhi. Sie hätten zudem dafür gesorgt, dass die Dorfregierungen ihre Rechen-schaftspflicht ernster nehmen.

Sie sagt aber auch: „Wir sind noch nicht so weit, dass wir ganz ohne freiwillige Helfer aus dem Ausland auskommen. Unseren Land Rights Monitors fehlen noch einige Kenntnisse und Erfahrun-gen, etwa im Umgang mit Regie-rungsvertretern auf höheren Ver-waltungsebenen. Es geht ja nicht nur um Landfragen.“ Entwick-lungshelfer aus dem Ausland soll-ten ihre Leute in der Advocacy- und Lobby-Arbeit trainieren, um in den Dörfern Dinge in Gang zu bringen und zu verändern.

Aus dem Englischen von Tillmann Elliesen.

Deodatus Mfugale ist Journalist und lebt in Daressalam, tansania.

Auf die Gemeinschaft: Nach der Arbeit kommen die Bewohner von ukelemi zu einem Feierabend-Drink zusammen.

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nächstenliebe im namen

Allahs

shahpar Sattar hat mit fünf Freunden im Slum Korail im Zentrum von Dhaka die Suppenkü-che Tripti gegründet. Seit nunmehr fünf Jahren

erhalten Bedürftige dort kostenlos täglich eine war-me, frisch zubereitete Mahlzeit. „Wir wollten etwas tun für die Bewohner von Korail in unserer Nachbar-schaft. Die Kluft zwischen ihrem Leben und dem der-jenigen, die in den umliegenden Hochhäusern woh-nen, war zu groß, das hat uns nicht gleichgültig ge-lassen“, sagt Sattar, eine begeisternde Rednerin.

Der Islam betrachte auch Menschen als Nach-barn, die 40 Häuser weiter weg wohnen, sagt Sattar. Sie hätten das Recht auf mildtätige Gaben, wenn sie sie brauchen. „Die Suppenküche haben wir nicht ein-gerichtet, um uns selbst vor Allah gut darzustellen, sondern um unserer Gemeinschaft zu helfen“, unter-streicht sie. „Wir haben uns entschieden, dem Ruf Al-lahs zu folgen und den Koran verantwortlich auszu-legen. Gute Worte sind unbefriedigend, wenn ihnen keine guten Taten folgen.“

Ihre Freundin Qudsia Mahmood stimmt zu. „Zu-nächst hat eine Frau die Mahlzeiten in ihrer Küche für uns zubereitet und wir haben sie nur verteilt. Später haben wir mit der Küche von Azad Masjid zu-sammengearbeitet, der größten Moschee in der Ge-

gend von Gulshan, und täglich Essen für mehr als 200 Leute gekocht.“ Jeder Hungrige konnte herein-kommen und bekam eine Mahlzeit. „Wir waren froh, wenn ein Tagelöhner oder ein Rikscha-Fahrer bei uns gegessen hat und damit sein hart verdientes Geld für das Mittagessen sparen konnte“, sagt Sattar.

Nach den Terroranschlägen im vergangenen Juni, bei denen im Stadtviertel Gulshan 29 Men-schen getötet wurden, musste die Suppenküche al-lerdings aus Sicherheitsgründen vorübergehend schließen. „Wir hoffen, dass wir bald wieder öffnen können“, sagt Mahmood. In der Zwischenzeit vertei-le man Milch, Wasser und süße Brötchen an Kinder aus Korail. Dort sei vor kurzem ein Feuer ausgebro-chen. „Unsere Freunde haben Geld, Kleider und Nah-rungsmittel gespendet, damit wir sie an die Slumbe-wohner weitergeben können, die vom Schicksal so hart getroffen worden sind“, ergänzt Sattar. Der Is-lam baue auf Vertrauen, Gnade und Mitgefühl. „Al-lah möchte, dass wir anderen helfen, denn an den Wohltaten, die er uns erweist, sollten alle teilhaben.“

Sattar und ihre Freunde haben mit der Suppen-küche eine Möglichkeit gefunden, die Pflicht zu Barmherzigkeit und Nächstenliebe im Islam zu be-folgen. Der Islam strebt eine homogene Gesellschaft an, in der jede Person gleich behandelt wird. Das grundlegende Prinzip dieser Religion ist, dass man den Mitmenschen mit Demut begegnen soll. Mus-lime entnehmen ihre Glaubensvorschriften zum einen dem Koran und zum anderen den Hadithen, den Überlieferungen der Aussprüche und Handlun-gen des Propheten Mohammed. Darin festgehalten sind auch die Praktiken der Sadaqa, der Spende, und

Der Islam verpflichtet seine gläubigen, für Menschen in not zu sorgen – sei es mit geld oder guten taten. Junge Leute in Dhaka erfüllen die gebote, indem sie kostenlose Mahlzeiten ausgeben.

Von Raffat Binte Rashid (Text) und Sazzat Ibne Sayed (Fotos)

Der Schriftstellerin geht es nicht darum, in den Himmel zu kommen – sie gibt, weil sie

an Mitmenschlichkeit glaubt.

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des Zakat, der Abgabe eines bestimmten Anteils des Besitzes an Bedürftige.

Sadaqa ist eine freiwillige Form der Mildtätig-keit. Sie umfasst alle Arten Gaben aus Mitgefühl, Freundschaft, religiösem Pflichtgefühl oder Groß-zügigkeit und bedeutet nicht nur den Transfer von Geld von Reich zu Arm, sondern auch soziales Enga-gement. Der Zakat ist hingegen geboten: Er ist eine der fünf Säulen des Islam und die zweitwichtigste Verpflichtung für die Gläubigen nach dem Gebet. „Der Zakat ist obligatorisch, wenn jemand Geld-vermögen, Gold, Silber oder Ackerfrüchte und Vieh in einem Wert hat, der eine gewisse Schwelle über-schreitet“, sagt Engr Ali Ashraf, ein islamischer Ban-ker im Ruhestand. Eines der wichtigsten Ziele des Zakat sei es, Armut zu lindern. Er sei eine Form, Al-lah zu verehren, die für soziale Gleichstellung sor-ge.

D ie Moschee ist in einer idealen muslimischen Gesellschaft nicht nur ein Ort des Gottes-dienstes, sondern das Zentrum der ganzen

Gemeinschaft. Traditionell war sie auch immer ein Treffpunkt für die Nachbarschaft. Die Menschen versammeln sich dort nicht nur, um zu beten, son-dern auch, um sich auszutauschen und Konflikte in-nerhalb ihrer Gemeinschaft zu lösen.

Der Islam ermutigt die Gläubigen, ihre guten Ta-ten nicht an die große Glocke zu hängen. „Ich spre-che nicht über mein mildtätiges Engagement, die Gründe dafür oder wem es zugutekommt“, sagt eine Schriftstellerin, die nicht namentlich genannt wer-den will. „Ich glaube an das Sprichwort, dass Deine

linke Hand nichts von den Almosen wissen soll, die du mit Deiner rechten Hand gibst. Es ist meine bür-gerschaftliche Pflicht, Mitmenschen in Not zu hel-fen.“ Geld für Marken- und Luxusartikel auszugeben hält sie für egoistisch und eigensüchtig. „Ich unter-stütze lieber jemanden dabei, Schulbücher zu kau-fen oder zu studieren, ohne sich Sorgen um Geld machen zu müssen. So kann er vernünftig in Ge-schäfte und eine sichere Zukunft investieren“, be-tont die Autorin.

Für den Zakat stelle sie jährlich genaue Berech-nungen an, fügt sie hinzu. Darüber hinaus leiste sie Sadaqa und bitte damit auch um die Gesundheit und das Wohlergehen ihrer Familie. „Das mache ich vor allem, wenn jemand krank ist oder eine große Operation vor sich hat.“ Das tue sie nicht, um in den Himmel zu kommen. „Wenn alles gut läuft und es allen gut geht, helfe ich Menschen einfach, weil ich das Bedürfnis danach habe. Ich beteilige mich an ka-ritativen Aktionen, weil ich an die Mitmenschlich-keit glaube und an unsere Verantwortung, uns ge-genseitig zu unterstützen.“

Naziruddin Ahmed, ein ehemaliger Finanzma-nager, hat seinen inneren Frieden gefunden, indem er sich für benachteiligte junge Frauen einsetzte. Er ist Präsident der Tahzibul-Banat-Schule für Mädchen und der Jame-e-Masjid-Moschee in Dhakas Stadt-viertel Uttara. „Nachdem ich in den Ruhestand ge-gangen war, hat man mir verschiedene Jobs im Ban-kengeschäft angeboten, aber ich habe mich für das religiöse soziale Engagement entschieden“, erzählt er. Als er angefangen habe, sei „seine“ Moschee nur ein kleiner Blechverschlag gewesen. Inzwischen ver-

Links: Weil die Suppenküche im Slum Korail schließen musste, verteilen jetzt Freiwillige dort

Wasser und Lebensmittel.

Rechts: Mädchen aus armen Familien können kostenlos die

tahzibul-Banat-Schule in Dhakas Stadtviertel uttara besuchen – dank

der Almosen von wohlhabenden Muslimen.

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füge man über ein großes Gebäude, in dem 600 Muslime gleichzeitig beten können.

„Es macht mich glücklich, jungen Leuten einen Ort des Gebets zu schenken“, betont Ahmed. Die Moschee finanziere sich über Almosen von allen, die etwas geben wollten – seien sie Rikscha-Fahrer oder reiche Leute. „Unser Haupteinkommen erzie-len wir mit Spenden bei den Freitagsgebeten“, be-richtet er. Bei den Freitagsgebeten würden zudem kostenlose Mahlzeiten ausgegeben, weil viele Nach-barn Lebensmittel für arme Leute zur Verfügung stellten.

„Mit Hilfe aller mildtätigen Gaben unterhalten wir außerdem eine kostenlose Schule, in der Mäd-chen und Jungen unter 14 Jahren im Koran unter-richtet werden“, fügt Ahmed hinzu. Sie erhielten unentgeltlich Bücher und Essen, so dass niemand die Schule aus finanziellen Gründen abbrechen müsse. Während des Ramadan gebe man kostenlos Lebensmittel für das Frühstück an fast 300 Men-schen aus.

Die Tahzibul-Banat-Mädchenschule wurde 1996 eröffnet und nimmt Schülerinnen ab fünf Jahren auf. Derzeit werden dort 400 Mädchen unterrich-tet. 50 von ihnen sind Waisen und die Hälfte der übrigen stammt aus sehr armen Familien, wo die Eltern keine Arbeit und kein Geld für die Bildung

ihrer Kinder haben. Die andere Hälfte der Schüle-rinnen kommt aus der Mittelklasse und soliden Verhältnissen, sie bezahlen Schulgeld. Auch diese Koranschule finanziert sich vor allem aus Spenden – Sadaqa und Zakat. Eine weitere Einkommensquel-le ist der Erlös aus dem Verkauf von Tierhäuten, der einmal im Jahr anlässlich des Opferfestes Eid-ul-Adha stattfindet.

„Für mich ist es ein spiritueller Gewinn, wenn ich benachteiligten Kindern helfe und sie im Koran unterrichte“, sagt der Schulleiter Mohamad Abdur Sattar. „Irgendwann sterbe ich und nur meine guten Taten werden helfen, mich vor der Hölle zu retten.“ Ein anständiges Leben mit seiner Familie sei alles, was er brauche. Zwar lebe er von einem Stipendium der Koranschule und habe wenig Geld, aber das sei in Ordnung. Als Anhänger des Propheten Moham-med sei er schließlich verpflichtet, sich sozial zu en-gagieren.

E in gläubiger Muslim solle jedoch nicht nur barmherzigen Umgang mit verzweifelten Men-schen pflegen, sondern mit allen Geschöpfen

Allahs, einschließlich Pflanzen und Tiere, sagt der ehemalige Banker Engr Ali Ashraf. Dazu erzählt er eine Geschichte des persischen Gelehrten Imam Bukhari: Ein durstiger Mann kam auf einer Wande-rung an eine Quelle und stillte dort seinen Durst. Er bemerkte einen Hund, der hechelte und den nas-sen Schlamm aufleckte, weil er ebenfalls sehr durs-tig war. Da ging er zurück zur Quelle, füllte seinen Schuh mit Wasser und gab dem Hund daraus zu trinken. Allah lobte ihn für seine Tat und vergab ihm seine Sünden. Imam Bukharis Schüler fragten: Wer-den wir denn belohnt, wenn wir den Tieren dienen? Bukhari antwortete: Es gibt eine Belohnung für je-den Dienst an einem lebenden Wesen. Ashraf fügt hinzu, auch wenn ein Muslim einen Baum pflanze oder Saat ausbringe und ein Tier oder Mensch dann davon esse, werde das als freiwillige Wohltat, Sa-daqa, betrachtet.

Der Drang, gut zu sein oder Gutes zu tun, geht nicht nur auf die religiösen Schriften zurück. Er wird über das gesellschaftliche Gefüge vermittelt. Wahrscheinlich werden die meisten Menschen, die Bedürftigen eine helfende Hand reichen, von den Handlungen ihre Großeltern, Eltern und Freunde motiviert. Allah gefällt es, wenn seine Geschöpfe sich während ihres kurzen Lebens für andere einset-zen. Der Satz „Die Nächstenliebe beginnt zu Hause“ ist für islamische Gesellschaften genauso wahr wie für jede andere Gemeinschaft.

Aus dem Englischen von Gesine Kauffmann.

Raffat Binte Rashid ist Redakteurin bei „the Daily star“, der

größten englischsprachigen tageszei-tung in bangladesch, und Chefredak-

teurin einer Wochenbeilage dieser zeitung.

Die Besucher der Jame-e-Masjid-Moschee in uttara spenden für soziale Zwecke und für den Erhalt des Gotteshauses.

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Mitglieder einer Mahalla treffen sich im Garten

und besprechen die anstehende

freiwillige Samstagsarbeit.

Von der Regierung eingespannt

E ine besondere Art der Basisorganisation prägt das soziale Leben in Dörfern und Stadtvierteln Tadschikistans: die Mahalla. Dies ist eine locke-

rer und freiwilliger Verband von Haushalten, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten helfen, das soziale Mit-einander zu gestalten und dringende öffentliche Ar-beiten zum Beispiel an Straßen und Kanälen auf den Weg zu bringen. Sie tun das ehrenamtlich und gro-ßenteils mit eigenen Mitteln und übernehmen da-mit Aufgaben des Staates. Der ist in Tadschikistan schwach und überlässt ihnen das gern.

Mahalla ist ursprünglich ein arabischer Begriff für einen Lagerplatz oder ein Stadtviertel. Er be-zeichnet vor allem in Usbekistan und Tadschikistan sowohl einen Ortsteil wie auch die organisierte Ge-meinschaft der Einwohner, die in einem Stadtvier-tel oder in einem Dorf leben. In Usbekistan hatte die Mahalla schon in den ersten Jahren nach der Unab-

hängigkeit (1991) eine offizielle Verwaltungsfunkti-on. In Tadschikistan dagegen war sie bis 2008 eine rein informelle Basisstruktur, deren Ursprünge in das Mittelalter zurückreichen. Sie umfasst stets eine Gruppe von Haushalten, die locker organisiert sind, um Probleme gemeinsam anzupacken und ihre Soli-darität in Form von gemeinsamen Festen auszudrü-cken.

Die Mahalla ist keine Verwandtschaftsgruppe; in ihr wirken zahlreiche oft in keiner Weise miteinan-der verwandte Familien mit. Sie können zudem aus Angehörigen verschiedener Volksgruppen bestehen – beispielsweise in ethnisch gemischten Dörfern in der Khatlon-Provinz aus Tadschiken und Usbeken, im Sughd aus Tadschiken und Kirgisen. In den Städ-ten können Mahalla das ganze Spektrum der ethni-schen Gruppen umfassen, die für das ehemals sow-jetische Zentralasien typisch sind.

Ehrenamtliche Komitees haben in tadschikistan nach dem zerfall der sowjetunion öffentliche Aufgaben in Dörfern und stadtvierteln übernommen. Der neue staat hat sie vor zehn Jahren per gesetz gestärkt – und ihnen neue Aufgaben aufgebürdet.

Von Frank Bliss (Text und Fotos)

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Zur Zeit des Emirats von Buchara, das endgültig 1920 von Russland erobert wurde, waren die Dorf- oder Stadtviertelältesten uneingeschränkte Führer ihrer Mahalla. Von Wahlen dieser „Weißbärte“ ge-nannten Führer ist in keiner Quelle die Rede, ebenso wenig davon, dass die jüngeren Mahalla-Angehöri-gen an Entscheidungen beteiligt wurden. Anordnun-gen der Weißbärte waren Gesetz, sofern es im Dorf keinen ansässigen kleinen Grundherren gab.

In der Sowjetunion bestanden die Mahallas fort, sie waren aber auf zeremonielle Aufgaben be-schränkt. Alle wichtigen Entscheidungen im Dorf oder in der Nachbarschaft wurden jetzt von der Lei-tung der staatlichen Farm- oder Dienstleistungsbe-triebe (Sowchosen) oder von den örtlichen Räten, den Sowjets, getroffen – gegebenenfalls in Abstim-mung mit oder in Konkurrenz zu örtlichen oder be-triebsbezogenen Parteiführungen.

Tadschikistan wurde ein unabhängiger Staat, als die Sowjetunion zerfiel. Die Kommunistische Par-tei, die Sowjetstrukturen sowie die Staatsfarmen lös-ten sich in den 1990er Jahren schrittweise auf. So gewann die Mahalla eine Bedeutung, die vermut-lich größer ist als jemals in der vorsowjetischen Zeit. Den alten Landadel hatten die Sowjets besei-tigt, die Direktoren der Staatsfarmen verloren nach 1991 schnell an Bedeutung, aber wirksame dezent-rale Staatsstrukturen waren erst im Aufbau; selbst heute können die Provinzbehörden sowie die Dist-rikt- und Gemeindeverwaltungen mangels finanziel-

In Bustan konnte die Mahalla Geld von Tadschiken im Ausland einwerben, um die

Drainage der Felder instand zu setzen.

Die Geber schaffen sich eigene PartnerViele Geber von Entwicklungshilfe übersehen in Tadschikistan bis heute die Mahalla, obwohl sie staatlichen Behörden misstrauen. Weni-ge Jahre nach dem tadschikischen Bürgerkrieg (1993-1997) begannen die Weltbank, die Asiati-sche Entwicklungsbank, das Entwicklungspro-gramm der Vereinten Nationen und eine Reihe von bilateralen Gebern den Wiederaufbau des Landes zu unterstützen. Sie zweifelten aber an der Kompetenz einheimischer staatlicher Part-ner, vor allem auf der kommunalen Ebene. Ers-te Erfahrungen zeigten zudem deutlich, dass Behörden für Korruption anfällig waren.

Deshalb wurden in den Ministerien und Be-hörden unabhängige Durchführungseinheiten für Projekte und Programme aufgebaut. Hier gab es bessere Gehälter, die Mitarbeiter waren motivierter und vor allem konnten damit die normalen bürokratischen Abläufe in den Mi-nisterien umgangen werden. In den Dörfern, wo die eigentliche Arbeit geleistet werden soll-te, wurden die Landgemeinderäte sowie die übergeordneten Kreisbehörden ihrerseits um-gangen und direkte Kontakte zur Dorfbevölke-rung geknüpft. Viele Geber bzw. die von ihnen finanzierten Durchführungsorganisationen, unter diesen auch zahlreiche Nichtregierungs-organisationen, gründeten lokale Dorfentwick-lungskomitees, um eine Partnerstruktur zu schaffen, über die Schulen repariert, Trinkwas-sersysteme aufgebaut oder Be- und Entwässe-rungsanlagen wiederhergestellt werden könn-ten.

Bis heute folgen viele Geber dem Prinzip, in Tadschikistan Projekte über zentrale Durchfüh-rungseinheiten und/oder lokale Komitees um-zusetzen. Abgesehen davon, dass dieser Ansatz den Staat weitestgehend aus seiner Verantwor-tung entlässt, übersehen die Planer damit die Mahalla. Mit ihnen gab es überall in Tadschikis-tan bereits Basisorganisationen, die schon wäh-rend des Bürgerkrieges tätig waren und danach die dringendsten öffentlichen Arbeiten in die Hand nahmen.

Seit die Mahallas 2008 per Gesetz veran-kert und damit auch gestärkt worden sind, wä-ren sie und ihr jeweiliges Leitungskomitee der ideale Partner für Entwicklungsagentu-ren. Keine andere Institution in Tadschikistan hat mehr Legitimität und mehr praktische Er-fahrung in der Gemeindeentwicklung als die-se „verfassten Nachbarschaften“. Dennoch trei-ben weiterhin Geber die Gründung von alter-nativen „Dorfentwicklungskomitees“ voran, womöglich noch mehrere Geber jeweils eige-ne Komitees in ein und demselben Dorf. Das ist höchst kontraproduktiv. (Frank Bliss)

In einem Dorf im Wandsch-tal

arbeitet diese Nähschule in der

„guten Stube“ einer Familie. Sie

geht auf eine Initiative der ört-

lichen Mahalla zurück.

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ler Mittel kaum etwas für die Bevölkerung tun. Ent-sprechend ist diese maßgeblich von den eigenen Ini-tiativen und Mitteln abhängig, selbst für so wichtige Aufgaben wie den Bau von Wegen ins Dorf oder den Betrieb und die Erhaltung der für die Landwirtschaft unverzichtbaren Be- und Entwässerungsanlagen.

bustan, zu Deutsch „Garten“, ist ein Dorf mit knapp 400 Haushalten im Farkhor-Distrikt im Süden Tadschikistans. Zusammen mit zwölf

weiteren Dörfern bildet es eine Jamoat, eine Landge-meinde, die unterste Verwaltungseinheit in Tadschi-kistan. Das Budget der Jamoat deckt nicht einmal die minimal notwendigen Ausgaben der eigenen Ar-beit ab, etwa für die Heizung des eigenen Gebäudes oder die Spritkosten für Dienstbesprechungen. Spä-testens ab April jeden Jahres müssen der Vorsitzende und seine Vertreter mehrmals in der Woche auf eige-ne Kosten zum Landrat in die 17 Kilometer entfernte Distrikthauptstadt fahren.

Angesichts dieser Situation haben die Dorfbe-wohner – meist Männer mit überdurchschnittlich guter Ausbildung, darunter natürlich auch ehemali-ge Funktionäre des Sowjetregimes – 2005 beschlos-sen, ihre Mahalla zu stärken und einen richtigen Vor-stand zu wählen. „Fast alle Erwachsenen des Dorfes waren bei der Versammlung anwesend“, sagt der ge-wählte Vorsitzende.

Die meisten Mahallas in der Nachbarschaft be-mühen sich redlich um kleine Geldbeiträge ihrer An-gehörigen, um etwa das Dach der Schule notdürftig zu flicken. Dagegen beschlossen die Leute in Bustan, auch alle ehemaligen Dorfangehörigen anzuspre-chen, deren Adressen in der Hauptstadt Duschanbe oder sogar im Ausland man beschaffen konnte. Das Ziel war, Geld für ein regelrechtes Großprojekt ein-zuwerben: die Wiederherstellung der völlig verstopf-ten Drainagen und Entwässerungsanlagen, ohne die die etwa 350 Hektar wertvoller Ackerflächen des Dor-fes zu versalzen drohten. Das Unwahrscheinliche ge-lang, rund 12.000 US-Dollar kamen zusammen. Da-mit konnten alle rund zwölf Kilometer langen Grä-ben ausgebaggert und einige Abschnitte unter Stra-ßen sogar mit neuen Rohren versehen werden.

Seit dieser erfolgreichen Aktion vor rund zehn Jahren gehen weiter Spenden ehemaliger Dorfbe-wohner ein, die ergänzt werden um die bescheide-nen Mittel der zumeist armen Mahalla-Mitglieder. Allerdings reicht das Geld nur noch für die wichtigs-ten Reparaturen an den öffentlichen Gebäuden und für kleinere soziale Aufgaben, etwa den allerärmsten Familien gelegentlich Geld oder Nahrungsmittel zu spenden.

Dann aber wurde die Mahalla 2008 per Gesetz aufgewertet: Der tadschikische Präsident Emoma-li Rachmon unterzeichnete am 5. Januar 2008 ein Gesetz über „Körperschaften der öffentlichen Ei-geninitative“, das eine „soziale Selbstverwaltung“ unterhalb der Landgemeinde oder des Stadtbezirks anerkennt, nämlich die Mahalla. Das entsprechen-de Gesetz regelt detailliert ihre Struktur und inter-nen Entscheidungsprozesse. Damit wurde die Ent-

Frank Bliss ist Professor für Entwicklungsethnolo-

gie an der universität Hamburg und forscht am Institut für Entwicklung

und Frieden (InEF) der universität Duisburg-Essen. Er befasst sich seit

1995 mit tadschikistan und Kirgistan.

wicklung in Bustan und vielen anderen Nachbar-schaften bestätigt: Was die Mahalla-Mitglieder be-reits seit Jahren praktisch taten, ist seitdem ihr gutes Recht.

Doch diese Aufwertung hat eine Kehrseite: Das Gesetz schreibt auch die Aufgaben der Mahalla fest, wenn auch im Rahmen der finanziellen Möglich-keiten. Und die haben sich fast zehn Jahre nach In-krafttreten des Gesetzes kaum verbessert. Den Jamo-at weist der Staat noch immer kaum Finanzmittel zu und noch viel weniger den Mahallas. Sie bekom-men zwar im Rahmen von staatlichen Initiativen ge-legentlich etwas Geld, das zum Beispiel an Arme ver-teilt werden soll. Zugleich erwarten die Funktionäre der höheren Ebenen aber nun, dass sich die Mahalla um Aufgaben kümmern, die in Tadschikistan traditi-onell unter das Stichwort „Gastfreundschaft“ fallen. Kommt ein Minister oder auch nur ein höherer Be-amter, so soll die Mahalla für reichliche Bewirtung sorgen. Am „Tag der Unabhängigkeit“, anderen na-tionalen Festtagen oder wenn gar der Präsident am Dorf vorbeifährt, dann soll die Mahalla bitte schön für Festdekoration und Musik sorgen und natürlich wieder die zahlreichen Funktionäre bewirten, die dann in Massen durch die Gemeinden ziehen.

Dennoch hat das Gesetz die Mahalla insgesamt gestärkt. Ihr Rat soll sogar über örtliche Investitio-nen wie Schulen, Trinkwasseranlagen oder Dorfstra-ßen selbst entscheiden können. Dass es für diese al-lerdings kaum Geld vom Staat gibt, relativiert die Bedeutung erheblich, die das Gesetz den Mahallas zuweist. In den Mahalla-Vorständen und -Komitees wird nur ehrenamtlich gearbeitet, selbst Aufwands-entschädigungen sind unüblich. Aber warum soll ausgerechnet die arme dörfliche Bevölkerung das, was eigentlich Staatsaufgabe ist wie der Unterhalt von Schulen oder Gesundheitszentren, in die eigene Hand nehmen?

Klatsch unter Männern: Vor

einer Markthalle besprechen

tadschiken, was es Neues im

Ort gibt.

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schwerpunkt EHRENAMT32

seit wann gibt es das seelsorgete-lefon in quito und wie lange sind sie schon dabei?

Das Telefon wurde Ende der 1980er Jahre gegründet. Ich selbst mache den Job schon seit mehr als 15 Jahren. In dieser Zeit habe ich schätzungsweise 4000 bis 5000 Anrufe entgegengenom-men, und was ich da alles erlebt habe – ich könnte ein Buch darü-ber schreiben!

Wie sind sie selbst zu teléfonoami-go gekommen?

Ich habe die Anzeige für den Kurs in der Zeitung gesehen, das hat mich sofort interessiert. Ich hatte zuvor schon in Schulen und Gefängnissen gearbeitet. Es hat mir schon immer gefallen, Men-schen zu helfen. Und das ist auch notwendig.

Wie meinen sie das?Die Gesellschaft hat sich stark

verändert, nicht nur in Ecuador. Ein wichtiger Aspekt ist, dass heu-te viel mehr Frauen arbeiten als früher – was toll ist, denn Frauen sollen die gleichen Rechte haben wie Männer. Auf der anderen Seite hat das aber dazu geführt, dass die

Familienstrukturen heute nicht mehr die gleichen sind. Heute ge-hen alle viel mehr ihrer eigenen Wege, wodurch Probleme entste-hen, vor allem in der Kommunika-tion. Und das spiegelt sich bei uns am Telefon. Der größte Teil der Probleme, mit denen wir zu tun haben, sind Familienprobleme.

Dass mehr Frauen arbeiten gehen, ist doch keine neue Entwicklung.

Nein, aber die Auswirkun-gen sind noch aktuell. Früher hat sich die ganze Familie jeden Tag um einen Tisch versammelt, man hat miteinander geredet, ge-lacht und sich von seinen Erleb-nissen erzählt. Das gibt es heu-te nicht mehr. Eine andere Ent-wicklung, die mir sehr zu denken gibt, sind die neuen Kommunika-tionstechnologien. Gehen Sie mal in ein Restaurant, da sitzen fast alle schweigend vor ihren Smart-phones. Die Kommunikation der Menschen untereinander hat sich sehr verändert – und ich glaube, nicht zum Guten.

Sie sagten, der Großteil der An-rufer frage wegen Familienproble-men um Rat. Welche sind das?

Leider muss ich das so sagen, aber wir leben hier immer noch in einer sehr rückständigen Kultur. Frauen wurden hier lange sehr schlecht behandelt. Männer be-trachteten sie als ihr Eigentum. Gehorchten sie nicht, wurden die

Männer oft gewalttätig. Ein stück-weit wiederholt sich das gerade, und das ist sehr unschön.

Was raten sie Frauen, die in ihrer Partnerschaft gewalt erleben?

Ich empfehle ihnen eine Fa-milienversammlung. Beinahe alle diese Frauen haben Kinder. Schwestern, Brüder, Neffen. Ich rate ihnen, sich mit allen an ei-nen Tisch zu setzen und miteinan-der zu reden. Ohne Beleidigungen, erst über irgendein Alltagsthema. Um dann irgendwann überzulei-ten und dem Partner vor der Fami-lie zu sagen: Ich bin Deine Freun-din, Deine Frau, ich bin die Mutter Deiner Kinder. Dafür behandelst Du mich nicht angemessen.

und das funktioniert?Das hat schon oft funktio-

niert. Weil die Familie einschrei-ten und sagen wird, das geht so nicht, Du musst Dich ändern.

Es rufen also in erster Linie Frauen bei Ihnen an?

Ich schätze, dass sieben von zehn Anrufern weiblich sind.

und die Männer?Nun, lateinamerikanische

Männer sind Machos. Die reden nicht gerne über ihre Probleme, zumindest nicht öffentlich. Die leiden eher im Stillen. Oder sie trinken. Aber mit einem Unbe-kannten über intime Probleme zu reden, das gibt es kaum.

und wenn sie doch anrufen?Dann geht es oft um Suchtpro-

bleme. Alkohol, Drogen. Im Grun-de aber haben Männer ähnliche Probleme wie Frauen. Beide gehen arbeiten, jeder geht seiner Wege,

„Viele, die sich bewerben, verstehen das Konzept gar nicht. Die fragen uns allen

Ernstes, wie viel wir bezahlen.“

„Manchmal nehme ich die Probleme mit nach Hause“Ein Telefonseelsorger aus Quito erzählt von seiner Arbeit

Rund 30 Ehrenamtliche stehen beim „teléfonoamigo“ in Ecuadors Hauptstadt quito Menschen in Krisensituationen zur seite. Einer von ihnen ist der 79-jährige Julio tarré. Er erklärt, warum Männer nur selten anrufen und weshalb er einmal die grenzen seines Dienstes überschritten hat.

Gespräch mit Julio Tarré

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33EHRENAMT schwerpunkt

die Kinder werden häufig außer Haus betreut. Dadurch ist die fa-miliäre Kommunikation beinahe verloren gegangen. Und das fällt auch auf die Männer zurück.

Mit welchen Problemen haben sie noch zu tun?

Was gerade hochkommt, ist, mit wie vielen Freiheiten Ju-gendliche heute aufwachsen. 14-, 15-Jährige gehen auf Partys, trin-ken Alkohol, nehmen Drogen. Ge-rade junge Mädchen sind dann oft zu allem bereit.

Wie meinen sie das?Es rufen oft sehr junge Mäd-

chen an, weil sie schwanger sind und nach Möglichkeiten zur Ab-treibung suchen. Abtreibung ist in Ecuador gesetzlich verboten, man-che Ärzte machen es aber trotz-dem. Nicht, weil sie so gute Men-schen wären. Sondern weil es ein Geschäft ist. Wir machen das nicht gerne, wir respektieren das Leben. Je nach Fall nehmen wir die jun-gen Mädchen aber an die Hand und zeigen ihnen, was sie tun kön-

nen. Das sind Tragödien, weil eine Abtreibung das Leben einer Frau ruinieren kann. Manchen hängt ihr Leben lang nach, dass sie ihr ei-genes Kind getötet haben.

gibt es eine zeit im Jahr, in der be-sonders viele Menschen anrufen?

Jedes Jahr in der Vorweih-nachtszeit steigt die Zahl der An-rufe signifikant. Zum Teil wegen Familienproblemen, aber auch aus profaneren Gründen, weil die Leute kein Geld haben, um ihren Lieben Geschenke zu kaufen.

Wie stark belastet sie die Arbeit persönlich?

Manchmal ist es schon hart, da nehme ich die Dinge auch mal mit nach Hause. Meine Frau sagt oft, dass ich zu sehr über die Pro-bleme der anderen nachdenke. Aber ich finde, das ist über die Jah-re besser geworden. Meine Fami-lie gibt mir Halt.

Wie viele Freiwillige arbeiten ins-gesamt am telefon?

Wir sind zurzeit circa 30 Leu-te, ungefähr zwei Drittel davon sind Frauen. Die Freiwilligen ma-chen üblicherweise einmal in der Woche eine Vier-Stunden-Schicht, das Telefon ist von 9 Uhr morgens bis 23 Uhr abends besetzt.

Wer kann mitmachen?Man sollte eine gewisse Reife

mitbringen, das Mindestalter liegt bei 25 Jahren. Im Schnitt sind die Freiwilligen zwischen 35 und 40 Jahre alt. Interessenten müssen vorher einen Kurs machen.

Wie läuft der ab?Das sind acht Wochenenden,

in der ersten Hälfte geht es um

Psychologie, den Umgang mit Fa-milienproblemen, gesellschaftli-che Zusammenhänge, Sucht. In der zweiten Hälfte werden Test-anrufe simuliert, etwa von erfah-reneren Kollegen. Und wenn wir feststellen, dass ein Freiwilliger schon weit genug ist, geht’s auch schon ans Telefon. In der ersten Zeit sitzt immer noch ein erfahre-ner Kollege dabei.

Welche Fähigkeiten sollten Interes-sierte mitbringen?

Eine gewisse Lebenserfah-rung. Viel Geduld. Empathie. Und den wirklichen Wunsch, helfen zu wollen. Viele, die sich bewerben, verstehen das Konzept gar nicht. Die fragen uns allen Ernstes, wie viel wir bezahlen. Dabei sagt das Wort „freiwillig“ doch eigentlich schon alles.

Ist Ihnen ein Fall besonders in Erin-nerung?

Einmal rief ein sehr, sehr ver-zweifelter Mann an und es war schnell klar, dass er Selbstmord-absichten hat. Da habe ich etwas getan, was man normalerweise nicht tut: Ich habe ihn zu einem persönlichen Treffen eingeladen. Also sind wir zusammen Kaffee trinken gegangen, haben stun-denlang geredet. Nach einiger Zeit hat er wieder angerufen und ge-sagt, es gehe ihm viel besser, er möchte mich gerne auf ein Eis einladen. Wenn man wirklich je-mandem helfen kann, gibt einem das schon ein sehr gutes Gefühl. Ich kann das schlecht beschrei-ben. Aber wenn man mit einem Anrufer ein bestimmtes Ziel er-reicht, macht das schon glücklich.

Das gespräch führte Johannes Süßmann.

Julio tarré stammt aus Barcelona und arbeitet seit 15 Jahren ehrenamtlich bei der

telefonseelsorge in Quito. Er hat sieben Kinder und 20 Enkelkinder.

Diese Wunden sind geschminkt – für einen Protest am Internationalen

tag gegen Gewalt an Frauen Ende 2013 in Quito. Die telefonseelsorge dort ist für Frauen mit Gewalterfah-

rungen eine wichtige Anlaufstelle. DoLoREs oCHoA/AP

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„Ich kann das schlecht beschreiben. Aber wenn man mit einem Anrufer ein bestimmtes Ziel erreicht, macht das schon sehr glücklich.“

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75 Millionen Kinder weltweit gehen nicht zur Schule, weil sie in Krisen- oder Konflikt-gebieten leben. Die Bezeich-nung „verlorene Generati-on“ deutet an, was das für die Betroffenen und die Länder, in denen sie leben, heißt. So haben in Afghanistan, das seit 1978 mehr oder weni-ger durchgehend von Krieg gebeutelt wird, die wenigs-ten Menschen unter 50 auch nur eine elementare Schul-bildung genossen. Mit ihrer neuen Studie „Bildung darf nicht warten“ greift die Globa-le Bildungskampagne (GBK), ein internationales Bündnis von nichtstaatlichen Orga-nisationen und Bildungsge-werkschaften, das Thema auf. Die Autorin-nen Heidrun Ferrari und Britta Schweighöfer messen die Bundesregierung an ihrem An-spruch, Bildung in der Entwicklungszusam-menarbeit und auch bei humanitären Inter-ventionen als Schlüsselbereich zu betrachten. Auf der Grundlage von Fachliteratur, Daten aus dem Büro der Vereinten Nationen zur Koordinierung der humanitären Hilfe sowie 14 qualifizierten Interviews kommen sie zu dem Ergebnis: Bildung spielt zwar in der frü-hen Phase humanitärer Intervention eine wachsende Rolle, aber es müssten acht statt wie bisher rund zwei Prozent der bundes-deutschen Mittel in der humanitären Hilfe gezielt für Bildung verwendet werden. (erb)

Aufgelesen Gesundheit hängt nicht nur von Medikamenten abDie zahlen zu vernachlässigten tropenkrankheiten sind alarmierend. Jährlich sterben mehr als eine halbe Million Menschen daran. Wer vor ort die gesundheitssysteme stärkt, bekämpft auch die Krankheiten.

D ie Bundesregierung will während ihrer G20-Präsidentschaft die Stärkung der Gesundheitssysteme weltweit zu einem zentralen Thema machen. Unabhängig davon sehen auch die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Na-

tionen vor, benachteiligte Bevölkerungsgruppen, darunter auch Menschen mit Behinderungen, bei der Gesundheitsversorgung besonders zu berücksichtigen.

Wie wichtig es ist, über solche Forderungen nicht nur zu reden, sondern sie auch umzusetzen, zeigen alarmierende Zahlen zu den sogenannten vernachläs-sigten Tropenkrankheiten (Neglected Tropical Diseases oder NTDs). Von diesen sind mehr als eine Milliarde Menschen weltweit betroffen. Weitere zwei Milliar-den Menschen laufen Gefahr, an NTDs zu erkranken und als Folge arbeitsunfä-hig, blind, entstellt und diskriminiert zu werden oder gar zu sterben. Vernachläs-sigte Tropenkrankheiten fordern pro Jahr mehr als eine halbe Million Todesopfer.

Es trifft vor allem die Ärmsten der Armen in Entwicklungslän-dern, und unter ihnen vor allem Frauen, Kinder und Men-schen mit Behinderungen. Sie leiden oft unter unzurei-chenden Hygienebedingungen und müssen ohne saube-res Wasser oder sanitäre Anlagen auskommen. Krankhei-ten, die durch Parasiten, Viren und Bakterien verursacht werden, können sich so leicht ausbreiten. Dazu kommt, dass arme Menschen in Entwicklungsländern häufig kei-nen Zugang zu medizinischer Basisversorgung haben: Entweder leben sie in entlegenen Regionen, in denen es kaum Krankenstationen gibt, oder sie kön-nen sich den Arztbesuch und die notwendige Behandlung nicht leisten.

Die meisten vernachlässigten Tropen-krankheiten und ihre Folgen könnten gut behandelt oder sogar ganz vermieden wer-den. Nehmen wir das Beispiel Trachom:

HERAuSGEBERKOLuMNE

globale bildungskampagneBildung darf nicht wartenAnalyse des deutschen Beitrags zur Förderung von Bildung in Krisen und KonfliktenKostenfreier Download unter https://www.bildungskampagne.org/bildung-darf-nicht-warten

Was treibt Sie an und was macht Sie wütend?Beim Vorbereiten meiner Ostermarsch-Re-

de bin ich darauf gestoßen, dass unsere großen Schweizer Banken trotz all ihrer

Bekenntnisse zu Nachhaltigkeit und Menschenrechten wieder verstärkt in Rüstungsbetriebe investieren, sogar in die Produktion von Nuklearwaf-fen. Das macht mich unglaublich

wütend. Diese Heuchelei öffentlich zu machen und dem entgegenzuwirken,

ist eine Aufgabe, die mich immer wieder antreibt. Gut und motivierend ist dabei, dass der Protest dagegen – siehe Oster-marschbewegung – wieder wächst und sich verjüngt.

Mit wem würden Sie gerne einmal streiten?Mit dem Soziologen Thomas Held. Er ist 1968 mit auf die Barrikaden gegangen. Spä-ter wurde er Direktor von Avenir Suisse, der Denkfabrik des Schweizer Unterneh-mertums. Ich wüsste gern, was ihn moti-viert hat, so extrem die Seiten zu wechseln.

Wen würden Sie mit dem alternativen Nobel-preis auszeichnen?Das „1000 Frauen Friedensnobelpreis“-Pro-jekt, das 2005 in der Schweiz ins Leben ge-rufen wurde. Es steht für die vielen Men-schen, die jenseits des Rampenlichts für eine lebenswerte Gesellschaft wirken – ohne dabei Arbeitsstunden oder Geld zu zählen.

FüNF FRAGEN AN ...

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Soziologieprofessor em. an der universität Basel, Aktivist und Buchautor zu den themen Soziale

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Dr. Rainer Brockhaus ist geschäftsführer der Christoffel-blindenmission (CbM).

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Bildung darfnicht wartenAnalyse des deutschen Beitrags zur Förderung von Bildung in Kr isen und Konf l ikten

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3535bewegungsmelder

gesine Kauffmann

Das Jubiläum lässt sich gut an: Seit Ap-ril serviert die Deutsche Bahn in ih-ren Fernzügen nur noch Kaffee mit dem Fairtrade-Siegel, das in diesem Jahr sein 25-jähriges Bestehen feiert. Das dürfte den fair gehandelten Bohnen einen weiteren Absatz-Schub verleihen: Im vergangenen Jahr stärkten sich ICE- und IC-Reisende mit zehn Millionen Tassen Kaffee. Erstmals ha-ben Fairtrade-Umsätze in Deutschland nun auch die Milliarden-Grenze geknackt. Dabei sind noch nicht einmal die Deutschen, son-dern die Briten Europameister im Fairen Handel. Bei allem Jubel sollte aber auch Zeit und Gelegenheit sein, sich mit der Kritik des senegalesischen Ökonomen Ndongo Sylla auseinanderzusetzen: Den Ärmsten helfen die gesiegelten Produkte nicht (Seite 42).

Fairer Kaffee wird auch beim Deutschen Evan-gelischen Kirchentag in Berlin ausgeschenkt. Außerdem ist den Organisatoren des Pro-testantentreffens ein Überraschungscoup gelungen: Der frühere US-Präsident Barack Obama will mit Bundeskanzlerin Ange-la Merkel über die Bedeutung der Religion für die Politik diskutieren – vor der symbol-trächtigen Kulisse des Brandenburger Tors. Ebenfalls bemerkenswert: Dem Thema Frie-den hat der Kirchentag eine großangeleg-te Podien-Reihe samt Workshops gewidmet – eine überfällige Kurskorrektur, nachdem die Friedensbewegten in- und außerhalb der Kirche letztes Mal in Stuttgart sehr stiefmüt-terlich behandelt wurden. Diskutiert wird unter anderem, wie Christen und Muslime gewaltlos Konflikte überwinden können.

Auch das Auswärtige Amt hat dieses Thema für sich entdeckt. Außenminister Sigmar Ga-briel lädt kurz vor dem Kirchentag zu einem ersten Treffen über die Friedensverantwor-tung der Religionen ein. Wie lässt sich ihr Po-tenzial nutzen, um Gewalt einzudämmen? Und wie wirkt man dem Missbrauch von Re-ligion entgegen? Spannende Fragen. Es ist höchste Zeit, dass sie auch auf dieser Ebene gestellt und diskutiert werden.

Frühzeitig erkannt, ist die äußerst ansteckende Augenkrankheit durch Antibio-tika oder eine Operation heilbar, unbehandelt führt sie zur Erblindung. Beson-ders stark ist sie in Äthiopien verbreitet. Mehr als eine Million Erwachsene in dem ostafrikanischen Land leiden unter Trachom im fortgeschrittenen Stadi-um, fast die Hälfte aller Kinder ist infiziert.

Um derartige Krankheiten zu bekämpfen reicht es nicht, Medikamente zu entwickeln und zur Verfügung zu stellen, denn häufig fehlt die Infrastruktur für deren Verteilung an die betroffenen Menschen vor Ort. Hilfreicher ist es, eine flä-chendeckende und umfassende Gesundheitsversorgung aufzubauen. Dazu ge-hören neben erschwinglichen Medikamenten vor allem Gesundheitsstationen mit geschultem Fachpersonal, kostenlose Behandlungen und nicht zuletzt die Aufklärung der Bevölkerung über Krankheitsursachen und Vorbeugung. Stär-

kere Gesundheitssys-teme sind also eine wichtige Grundlage, um erfolgreich gegen vernachlässigte Tro-penkrankheiten zu kämpfen.

Umgekehrt leis-tet, wer NTD bekämpft, einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der allgemei-nen Gesundheitsversorgung in Entwicklungsländern. Das zeigen die Erfahrun-gen der Christoffel-Blindenmission (CBM) in Äthiopien. Im Rahmen ihres Tra-chomprogramms, das sie mit zwei lokalen Partnern in besonders betroffenen und bislang unterversorgten Landesteilen umsetzt, hat die CBM Personal medi-zinisch geschult, Gesundheitsstationen ausgebaut und die Versorgung mit sau-berem Wasser verbessert. Das kommt der Bevölkerung auch bei der Vorbeugung und Behandlung anderer Krankheiten zugute.

Das Anliegen der Bundesregierung, die Gesundheitssysteme zu stärken, geht Hand in Hand mit dem Kampf gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten. Es ist zu wünschen, dass der Zusammenhang auch beim G20-Gipfel im Juli von den Staats- und Regierungschefs thematisiert wird. Wir brauchen einen konkreten und unter dem Dach der WHO koordinierten Fahrplan mit messbaren Zielen zur Verbesserung der medizinischen Versorgung weltweit und zur Eliminierung von NTDs. Genauso brauchen wir verbindliche Förderzusagen. Die Bundesregie-rung sollte nicht nur die Forschung und Entwicklung neuer Medikamente im Blick haben, sondern auch ihre Maßnahmen zur Stärkung der Gesundheitssys-teme auf die Bekämpfung vernachlässigter Tropenkrankheiten ausrichten. Nur wenn sich bald etwas bewegt, können die drei Milliarden betroffenen und ge-fährdeten Menschen vor deren schlimmen Folgen bewahrt werden.

HERAuSGEBERKOLuMNE

FüNF FRAGEN AN ...

Es gibt sie nicht nur in der Politik. Als ehe-maliger Handball-Nationalligaspieler weiß ich zum Beispiel, dass es auch im Sport sehr viele Menschen gibt, die unser ökonomisier-tes Umfeld durch freiwilliges Engagement und Zivilcourage menschlicher machen.

Auf welches Projekt sind Sie besonders stolz?1975 besetzten Schweizer Kernkraftgegner den Bauplatz des geplanten AKWs Kaiser-augst. Ich war auch dabei, zusammen mit unserer ältesten Tochter, die damals zwei war. Alle hatten Herzklopfen. Wir fühlten uns ohnmächtig und haben nicht geglaubt, dass wir den Bau wirklich verhindern könn-ten. Aber genau das haben wir. Der Pro-

test hat sich gelohnt. Es gibt keine Alterna-tive dazu, es immer wieder zu versuchen!

Was ist schief gegangen und wieso?Wir 68er wurden in einer Zeit des Entweder-Oder sozialisiert. Zu protestieren war un-sere Lebensaufgabe, denn wir wussten uns auf der richtigen Seite. Ich selbst verließ mit 17 die Schule und ging nach Paris, um die Welt aus den Angeln zu heben. Unsere Zuversicht gab uns Kraft für viele wichti-ge Errungenschaften. Aber sie schaffte auch übersteigerte Erwartungen, die sich nicht so leicht erfüllen ließen. Oft gab es Tränen, manchmal sogar Depression und Suizid.

Das gespräch führte Barbara Erbe

„Wir brauchen einen konkreten Fahrplan mit messbaren Zielen zur Verbesserung

der medizinischen Versorgung weltweit.“

Durch den Mai mit ...

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ochsenkarren erschließen den Markt

Von Theo Rauch

A frika rückt wieder einmal ins Zentrum der Ent-wicklungspolitik. Der deutsche Entwicklungsmi-nister Gerd Müller hat einen „Marshallplan mit

Afrika“ ins Leben gerufen, laut dem neue Jobs und Ein-kommensmöglichkeiten für die wachsende Bevölkerung die entscheidende Aufgabe sind. Dabei geht es nicht nur, aber auch um die Bekämpfung von Migrationsursachen: Die Afrikaner sollen in ihrer Heimat bessere Existenz-möglichkeiten haben, damit sie nicht Zukunftsperspek-tiven jenseits des Mittelmeers suchen müssen.

Minister Müller setzt auf Privatinvestitionen – auch in die Landwirtschaft. Die Idee ist nicht neu, doch die Be-schäftigungswirkungen während der fünf Jahrzehnte seit der Unabhängigkeit waren in Afrika sehr bescheiden. Es ist zudem umstritten, ob man nach dem Grundsatz

„niemanden zurücklassen“ auf die Förderung der Mehr-zahl der Kleinbauern setzen oder sich gemäß dem Mot-to „wachse oder weiche“ auf die bereits stärker marktinte-grierten kleinbäuerlichen Eliten konzentrieren soll. Und die Möglichkeiten, mit armutsorientierter Entwicklungs-zusammenarbeit Migrationsursachen zu bekämpfen, be-trachten Fachleute mit Skepsis.

In diesen Debatten hilft der Blick auf einschlägige Erfahrungen während der vergangenen fünf Jahrzehn-te. Zum Beispiel auf Kabompo, eine kleinbäuerliche Re-gion im Nordwesten Sambias, in der der Autor seit 1977 viele Jahre gearbeitet und die er seither wiederholt be-sucht hat. Sie ist nicht repräsentativ für Afrika, aber doch

In sambia ist das abgelegene Kabompo zu bescheidenem Wohlstand gekommen. Arme Kleinbauern nutzen hier die

Chancen, die technische Hilfe und ein besserer Marktzugang eröffnet haben. trotzdem bleiben viele nicht aus freien stücken.

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SAMBIA welt-blicke

typisch für eine Vielzahl von Regionen, die gerne als hoffnungslose Fälle abgeschrieben werden. Was dort passiert ist, wirft ein Schlaglicht auf Zusammenhän-ge zwischen ländlicher Entwicklung, städtischer Ent-wicklungsdynamik, Jobs und Migration.

Sambia ist dünn besiedelt, friedlich und heute weitgehend demokratisch. In den großen Städten sind Anzeichen des Wirtschaftswachstums zu beobachten – neue Einkaufszentren, Staus, Mobiltelefone überall. Doch die Mehrheit der Bevölkerung hat nach wie vor keine gesicherten Existenzgrundlagen, weder auf dem Land noch in der Stadt. Mehr als 60 Prozent der Sambi-er leben überwiegend von kleinbäuerlicher Landwirt-schaft. Mais ist das wichtigste Grundnahrungsmittel; dank staatlicher Förderprogramme hat sich das Land seit 2005 von einem Importeur zu einem Exporteur von Grundnahrungsmitteln entwickelt, vor allem von Mais. Dennoch ist Unterernährung auch bei der klein-bäuerlichen Bevölkerung weit verbreitet.

Kabompo ist ein entlegener und trotz Bevölke-rungswachstums sehr dünn besiedelter, waldreicher Bezirk an der angolanischen Grenze. Vor der Kolo-nisierung lebte die Bevölkerung hier von Wander-feldbau auf Basis von Maniok, von der Jagd – das Ge-biet ist reich an Wild – und von Früchten des Waldes. Meist reichte es zur Selbstversorgung. Aus Sicht der britischen Kolonialverwaltung waren die Agrarpro-dukte dieser Region uninteressant. Ihr Interesse kon-zentrierte sich darauf, Arbeitskräfte für den Bergbau und die daran gekoppelte städtische Wirtschaft zu re-krutieren. Mittels Steuern, die in Geld gezahlt werden mussten, hat die Kolonialverwaltung die Familien ge-zwungen, über die Selbstversorgung hinaus auch Geld zu verdienen.

so entwickelte sich bereits vor der Unabhängig-keit Sambias im Jahr 1964 ein System zirkulie-render Wanderarbeit. Für junge Männer wur-

de es zur Pflicht gegenüber der Familie und später zur Gewohnheit, anfangs drei, später auch zehn bis zwanzig Jahre in die Städte und teils zu den Bergwer-ken Südafrikas abzuwandern. So mussten sie Bargeld zum Familieneinkommen beisteuern, bevor sie hei-raten und einen eigenen Hausstand in der Heimat-region gründen konnten. Manche fanden ihr Glück in den Städten und blieben. Zunehmend folgten ih-nen auch Frauen. Die Subsistenzwirtschaft in Gebie-ten wie Kabompo hatte sich, als Sambia unabhängig wurde, also bereits zu einem multilokalen familiären Lebenshaltungssystem gewandelt. Die Lebensgrund-lage einer Familie beruhte auf zwei ökonomischen Säulen: der landwirtschaftlichen Subsistenzproduk-tion und der Wanderarbeit, die verschiedene Mitglie-der an weit entfernten Orten ausübten.

Mitte der 1970er Jahre gerieten der Kupferberg-bau und damit die städtische Wirtschaft wegen sin-kender Weltmarktpreise in die Krise. Die Regierung

SambiaLusaka

Mongu

Livingstone

Chipata

Kasama

BOTSUANA

SIMBABWE

DR KONGO

ANGOLAKitwe

©

AFRIKA

Sambia

200 km

Kabompo

Zu Beginn des Programms betrachteten Vertreter der staatlichen Agrarbehörde die Mehrzahl der

Kleinbauern als „hoffnungslose Fälle“.

Links: Der Ochsenkarren ist ein wichtiges transportmittel für

Bauern in entlegenen Gebieten – hier in der Provinz Shangombo an

der Grenze zu Angola. sEAn sPRAguE/LInEAR

unten: Mulondiwa Sikunga aus Shangombo ist stolz auf seine

Rinderherde (links); eine junge Bäuerin aus dem Ort bringt Saatgut

aus, nachdem ihr Mann gepflügt hat (rechts).

sEAn sPRAguE/LInEAR (2)

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welt-blicke SAMBIA

strebte an, das Land weniger abhängig von Kupfer-einnahmen zu machen. Die Diversifizierung der Wirtschaft sollte erreicht werden, indem nicht ausge-schöpfte Möglichkeiten der Landwirtschaft genutzt würden. Mit diesem Ziel wurde eine „Zurück aufs Land“- Kampagne ausgerufen. Internationale Geber unterstützten die Strategie mit „Integrierten Länd-lichen Entwicklungsprogrammen“ (IRDP). Zu de-ren Zielen gehörte nicht nur, Einkommens- und Be-schäftigungsmöglichkeiten in ländlichen Räumen zu schaffen, sondern auch die Abwanderung in die Städ-te einzudämmen. Das deutsche Entwicklungsminis-terium unterstützte solch ein Programm in der Nord-west-Provinz mit Standort Kabompo.

Die Vertreter der staatlichen Agrarbehörde be-trachteten damals die große Mehrzahl der Klein-bauern als „hoffnungslose Fälle“: Aus subsistenzori-entierten Wanderfeldbauern, Jägern und Sammlern werde man nie moderne, marktorientierte Landwir-te machen können. Allenfalls die oberen zehn Pro-zent verfügten über das Potenzial hierfür. Diese Ar-gumente gleichen denen, die heute in der Debatte über die Zukunftschancen von Afrikas Kleinbauern von manchen Verfechtern eines ländlichen Struktur-wandels vorgebracht werden.

Den Zweifeln der sambischen Fachkollegen zum Trotz setzte sich das IRDP zum Ziel, mindestens der Hälfte der kleinbäuerlichen Bevölkerung Einkom-mensmöglichkeiten aus Land- und Forstwirtschaft sowie kleingewerblicher Produktion (einschließlich Bienenhaltung) zu verschaffen. Die wichtigsten Mit-tel dafür waren Zugang zu Produktionsmitteln wie Saatgut und Dünger, zu produktionstechnischem Wissen und zu sicheren Absatzmöglichkeiten. Ent-

scheidend war die Einführung der bis dahin in Kab-ompo unbekannten Ochsenanspannung. Sie erleich-terte nicht nur die Bodenbearbeitung, die bis dahin mit der Hacke praktiziert wurde, sondern eröffnete auch Transportmöglichkeiten zu den Märkten. Vo-raussetzung für den Zugang zu diesen Angeboten war, dass Kleinbauerngruppen organisiert wurden. Es wäre unmöglich gewesen, die verstreut in Weilern lebenden Menschen alle einzeln zu erreichen.

trotz aller Unkenrufe fand dieses Angebot regen Zuspruch. Nach zehn Jahren verdiente mehr als die Hälfte der Dorfbevölkerung ein zusätzliches

Bargeld-Einkommen von etwa 200 bis 400 US-Dollar im Jahr mit dem Verkauf von Mais, Erdnüssen, Ho-nig, Holz und Möbeln. Das ist nicht viel, aber aus-reichend, um zusätzlich zur Selbstversorgung den Grundbedarf an Marktgütern wie Salz, Zucker, Seife, Kleidung und Kosten für Bildung zu befriedigen und auf ein Fahrrad zu sparen. Für viele war das ein Ersatz für verloren gegangene städtische Einkommensmög-lichkeiten. Aufgrund der wirtschaftlichen und sozi-alen Misere in den Städten und der neuen Einkom-mensmöglichkeiten in den Dörfern ging auch die Landflucht in diesen Jahren deutlich zurück.

Da die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise nied-rig und auf Dauer schwankend waren, blieb der Grad der Marktintegration aber begrenzt: Niemand ging das Risiko ein, zugunsten der Verkaufsfrüchte die Produktion für den Eigenbedarf oder die Suche nach außerlandwirtschaftlichen Jobs aufzugeben. Doch das Überlebenssystem basierte nun auf drei Säulen: Selbstversorgung, Marktproduktion (neu) und Mig-ration (reduziert). Keine war allein tragfähig genug, um das Überleben der Familie zu sichern. Alle drei zusammen aber halfen, den Grundbedarf zu decken, und verringerten das Existenzrisiko.

In den 1990er Jahren schien all das zusammen-zubrechen. Der Staat zog sich im Rahmen der von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) verordneten Strukturanpassungspolitik aus der Kleinbauernförderung zurück, ohne dass priva-te Dienstleister die Lücke füllten. Drei aufeinander-folgende Jahre mit unzureichenden Niederschlägen und die HIV/Aids-Pandemie kamen hinzu. In den Dörfern herrschte Weltuntergangsstimmung. Zu-dem waren die Kupfer-Weltmarktpreise immer noch niedrig und die staatlichen Industriebetriebe bei reduziertem Zollschutz der Weltmarktkonkurrenz nicht mehr gewachsen; Tausende Industriearbei-ter verloren ihre Jobs. Der gleichzeitig stattfindende Übergang zur Mehr-Parteien-Demokratie stand un-ter keinem günstigen Stern.

Im Jahr 2015 zeigt ein Besuch in Kabompo ein völlig anderes Bild. Das Marktleben floriert, aus einst fünf Läden sind an die hundert geworden. Man fin-det Reparaturwerkstätten für Fahrräder, Agrarge-räte und Computer, gut bestückt mit Ersatzteilen. Drei private Produktionsstätten für Ochsenkarren kommen den Aufträgen kaum nach. Solarpanels sind überall. Handys sind fast so verbreitet wie in Deutschland. In den Kneipen laufen Fernseher mit

In Kabompo floriert heute das Marktleben, und man findet Reparaturwerkstätten für

Fahrräder, Agrargeräte und Computer.

Fahrräder machen mobil – die Frauen in Kabompo wissen

das zu schätzen. MARIA tEKÜLVE

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südafrikanischen Soaps und am Mittwochabend die Champions League. Die Hauptstraße ist nun asphal-tiert. „Wir sind nun Teil der Welt – nicht mehr abge-schieden!“, lautet die häufigste Antwort auf die Frage, was sich hier verändert habe.

Der größte Teil der Nachfrage, so die Händler, komme aus den Dörfern. Die Agrarstatistiken und Besuche in einigen Dörfern bestätigen den Eindruck eines – immer noch sehr bescheidenen – Zuwachses an Wohlstand: Gegenüber 1990, dem Jahr des Rück-zugs der deutschen Unterstützung, hat sich die Be-völkerung verdoppelt, die Menge der landwirtschaft-lichen Überschüsse aber fast verdreifacht. Nun pro-duzieren mehr als zwei Drittel der Bäuerinnen und Bauern für den Markt, berichtet der Chef des Land-wirtschaftsamtes von Kabompo stolz. Vorurteile ge-genüber „hinterwäldlerischen“ Subsistenzbauern gebe es hier keine mehr, höchstens noch in Lusaka, der Hauptstadt.

Wir besuchen einige der Gehöfte, in denen mei-ne Frau Anfang der 1990er Jahre geforscht hat. Stolz führt eine Bäuerin, die damals noch Teenie war, auf ihre Felder. Sie bebaut einen Hektar mit Mais, die Hälfte für den Verkauf, hat zwei Maniokfelder, mit denen sich die Familie selbst versorgt, und daneben Bohnen, Erdnüsse, Süßkartoffeln. Mais lohne sich wieder, seit die Regierung einen Garantiepreis einge-führt hat und den Dünger zum halben Preis bereit-stellt, erzählt sie. Davor hätten sie mehr Süßkartof-feln und Erdnüsse an private Händler verkauft. Ins-gesamt bleibe mehr Geld übrig als früher und mehr zu kaufen gebe es auch.

Aber die Jungen dränge es in die Stadt. Die hätten keine Lust mehr auf die Landwirtschaft. „Genau wie Ihr damals, als Ihr jung wart“, werfen wir ein. „Und jetzt verdient Ihr doch Euer Geld mit dem Ackerbau“. „Ja, weil es in der Stadt keine Zukunft für uns gab“, er-widert sie lachend.

D ie meisten der einstigen Subsistenzbauern sind nun in der Lage, einen wesentlichen Teil ihres Bargeldbedarfs aus dem Verkauf von

landwirtschaftlichen Überschüssen zu decken. Das IRDP hat damals dafür einen Grundstein gelegt, in-dem es die Kleinbauern organisiert und mittels Och-senkarren marktfähig gemacht hat. Die sambische Agrarpreispolitik zusammen mit erhöhter interna-tionaler Nachfrage und folglich relativ hohen Welt-marktpreisen schaffen derzeit die Voraussetzung dafür, dass sich die Produktion von Überschüssen lohnt – wenngleich die einseitige Konzentration auf Mais ökologisch nicht unproblematisch ist.

Welche Lehren lassen sich aus diesen Erfah-rungen ziehen? Die wohl wichtigste ist, dass man die Potenziale der ärmeren Kleinbauern nicht un-terschätzen sollte. Sie können mobilisiert werden, wenn die Politik ihnen Zugang zu Märkten ermög-licht und wenn es sich für die Produzenten lohnt. Damit verbunden ist aber die Lehre, dass die Auf-rechterhaltung der kleinbäuerlichen Lebensform mitsamt Subsistenzfeldern und Arbeitsmigration selten einer Vorliebe dafür geschuldet ist, sondern

dem Fehlen ausreichender wirtschaftlicher Alter-nativen in den Städten.

Im Hinblick auf die Erfolgschancen des „Mar-shallplans mit Afrika“ wie auch hinsichtlich einer Reduzierung des Abwanderungsdrucks lässt sich feststellen, dass Arbeitsplätze oder gesicherte Ein-kommensmöglichkeiten für viele notwendig und auch realisierbar sind. Dies ist aber nicht zu schaffen, wenn man nach dem Motto „wachse oder weiche“ nur die Stärksten fördert. Jobs entstehen nicht ein-fach aus Investitionen. Sondern man muss gemäß dem Motto „niemanden zurücklassen“ Technologi-en wählen, die Arbeitskräfte binden, statt sie über-flüssig zu machen, sowie Investitionen tätigen, die Jobs schaffen, statt sie zu vernichten, und Einkom-mensmöglichkeiten vermehren, statt sie zu ersetzen. Bessere Verdienstquellen für Kleinbauern sind dabei ebenso wichtig wie Arbeitsplätze in konkurrenzfähi-gen Betrieben in den Städten.

Theo Rauch ist Honorarprofessor an der Freien universität berlin. Er hat zusammen mit Maria tekülve das buch „40 Jahre Kontinuität und Wandel in der sambischen Provinz“ geschrieben, das diesem beitrag zugrunde liegt und demnächst im schiller-Verlag erscheint.

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welt-blicke AGRARHANDEL

Wir schaden Afrikas bauern!

unter der Überschrift „Wir ruinieren nicht Af-rikas Bauern“ suggeriert Michael Brüntrup in welt-sichten 2-2017, dass der Vorwurf erhoben

wird, die Agrarpolitik Europas sei der Hauptgrund für Armut, Hunger und Elend der Bauern in Afrika. Nur, wer sagt das? Diese Pauschalaussage konstru-iert er, um sie widerlegen zu können. Vier Fünftel des täglichen Kalorienbedarfs Afrikas wird trotz hohen Bevölkerungswachstums auf afrikanischen Feldern und Weiden produziert. Nichtstaatliche Organisatio-nen wie Brot für die Welt wissen das und versuchen seit Jahrzehnten, diesen Anteil durch Lobby- und Pro-jektarbeit zu verteidigen und zu steigern.

Vom importierten Fünftel kommt etwa die Hälf-te aus der Europäischen Union (EU). Brüntrup hat Recht, dass diese Importe zum Glück nur in Einzelfäl-len schwere Schäden anrichten. Ob das so bleibt, ist bei der aggressiven Agrarexportstrategie der EU und der Bundesregierung nicht ausgemacht. Europas Ag-rarexporte verteilen sich noch nicht über den ganzen Kontinent. Aber in den Städten West- und Zentralaf-rikas haben sie sehr wohl schädliche Auswirkungen – sowohl für Kleinbauern als auch für Konsumenten, was auf dem Land oft das gleiche ist.

Eine Überproduktion hat die EU-Landwirtschaft vor allem bei Fleisch, Milch und Getreide. Auf Wei-zen und Weizenmehl entfallen ein Drittel der euro-päischen und fast die Hälfte der deutschen Agrarex-porte nach Afrika. In Westafrika verdrängte in den 1970er Jahren Weizen, den Europa hoch subventio-niert ausführte, in den rasch wachsenden Städten das einheimische Getreide als Grundnahrungsmit-tel. Heute sind Baguette und Toast das tägliche Brot aller Schichten, obwohl hier kein Weizen angebaut werden kann.

In den 1990 Jahren beendete die EU mengenbe-zogene Agrarsubventionen und stellte zu Hause auf Flächenprämien für die Bauern um. Dennoch ver-vielfachten sich die Weizenexporte nach Westafrika, während der Konsum lokaler Getreidesorten ständig

zurückgeht. Die Bauern bauen nun, statt wie früher Hirse, auf sehr trockenen Böden Mais an, der noch lo-kal gegessen wird, aber weniger Ertrag an Protein und weniger Gewinn bringt.

Als die Welt-Getreidepreise vor zehn Jahren ex-plodierten und dann relativ hoch blieben, führten viele Länder einen staatlichen Höchstpreis für Brot ein und müssen es nun subventionieren. Es gibt zwar Versuche, dem Brot einheimisches Mehl aus Hirse, Sorghum oder Mais zuzugeben, aber es wird dau-ern, bis sich die Konsumenten daran gewöhnen und die teuren Weizenimporte reduziert werden können. Das Beispiel widerlegt die These, dass EU-Exporte den Verbrauchern nahrhafte und günstige Nahrungsmit-tel bieten. Die zahlen am Ende sogar mehr für Wei-zenbrot als vorher für Hirsefladen.

Ähnlich verhält es sich bei Fleisch. Hier steht nicht im Vordergrund, dass Importe andere Fleischsor-ten und Fisch verdrängen, obwohl auch das passiert. Vor allem wurden Produzenten des Luxusproduktes Fleisch in Afrika geschädigt: die klein- und mittelstän-dische Geflügelwirtschaft in Ländern wie Ghana, Ni-geria, Kamerun, Senegal oder Elfenbeinküste. Meist war die Hühnermast ein Zusatzverdienst für klein-bäuerliche Betriebe. Die Tiere wurden mit eigenem Mais gefüttert, oft kümmerten sich Frauen darum.

Seit 2000 überschwemmten Hühnerteile aus Europa zu Dumpingpreisen von durchschnittlich 0,90 Euro pro Kilo alle westafrikanischen Märkte. Die Preise kamen ohne Exportsubventionen zustan-de, weil in Mitteleuropa statt ganzer Tiere nur noch Hähnchenfilets konsumiert wurden. Mit dem Erlös daraus ist fast das ganze Tier bezahlt, der Rest kann sehr günstig abgegeben werden. Hinzu kam ein Preis-verfall durch die Fleischüberproduktion.

Mit den Billigimporten konnte kein westafrikani-scher Mäster konkurrieren. Einige Länder entschie-den frühzeitig, mit Importverboten ihre Produkti-on zu retten, auch wenn sie damit Verbraucherin-nen erst einmal ein billiges Fleischangebot nahmen. Das war ein Erfolg – anders als von Brüntrup behaup-tet: Im Senegal, in der Elfenbeinküste und in Kame-run deckt die einheimische Mast heute den lokalen Bedarf. Auch Nigeria hat eine eigene Geflügelindust-rie aufgebaut, seit die Regierung gegen den Schmug-gel aus Benin vorgeht, indem sie ganze Container mit EU- Geflügelteilen verbrennen lässt. Togo und Ghana, deren Regierungen dem Druck der Freihandelsideo-logen nachgegeben haben, besitzen dagegen kaum mehr eine Hähnchenmast.

Warum Importe verhindern, die der Bevölkerung preisgünstig Protein zur Verfügung stellen? Die Frage wird in Europa nicht nur von Brüntrup aufgeworfen. Aber die meisten Länder mit Importverboten können die steigende Nachfrage decken und dabei den Preis senken. So hat sich die Hühnerfleisch-Produktion in

Europa exportiert einen teil seiner landwirtschaftlichen Überschüsse nach Afrika. Ist das für die Landwirtschaft dort wirklich nur ein untergeordnetes Problem?

Von Francisco Marí

Nur Länder, die Importe eingeschränkt haben, können ihre Bevölkerung heute mit Fleisch aus der

einheimischen Geflügelzucht versorgen.

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AGRARHANDEL welt-blicke

Kamerun seit 2006 fast verzehnfacht und der Preis ist trotz Inflation stabil geblieben. Wo hingegen Im-porte die Produktion zerstört haben, haben die Im-porteure heute ein Monopol und können die Preise erhöhen. In Ghana und Togo kostet das importier-te Fleisch pro Kilo heute so viel wie früher einheimi-sches Geflügel: durchschnittlich 2,50 Euro. Der Vor-teil billiger EU-Nahrungsmittel für arme afrikanische Konsumenten hat sich wie beim Weizen in sein Ge-genteil verkehrt.

Ähnlich ist die Lage in der Milchwirtschaft Westafrikas. Sie hat nicht in allen Ländern ein Entwicklungspotenzial. Doch wo Rinderher-

den für die Fleischversorgung existierten und Vieh-halter Milch konsumierten, begannen Kleinmolke-reien, die Bevölkerung zu versorgen – etwa in Burkina Faso. Immer wieder wurden aber Entwicklungspro-jekte zur Milchproduktion von Wellen billiger Milch-pulverimporte aus der EU, die bis 2009 subventio-niert wurden, zerstört. Zwar ist der Preisunterschied bei Milch nicht so groß wie beim Hähnchenfleisch, aber Preiseinbrüche in der EU-Milchwirtschaft wie seit 2015 bedrohen oder ruinieren kleine lokale Mol-kereien in Westafrika. Dann bevorzugen Großmolke-reien für die Joghurtproduktion – das Haupt-Milch-produkt in Afrikas Städten – die viel billigeren Impor-te. Auch Kleinproduzenten verkaufen hausgemach-ten Joghurt aus EU-Milchpulver.

Brüntrup verweist zu Recht auf Verdienste der EU beim Aufbau der indischen Milchwirtschaft. Dann er-klärt er, EU-Milchpulverexporte hätten dazu beige-

tragen, die Molkereien zum Laufen zu bringen. Doch das war eine Ausnahmesituation: Eine starke Verei-nigung der Molkereigenossenschaften nutzte in In-dien anfangs die Einnahmen, um Vertriebswege für Milchviehhalter aufzubauen. Sehr schnell hat dann Indien Importe mit einem hohen Zoll belegt; so ist es der größte Milchproduzent der Welt geworden. Die-se Erfolgsgeschichte ist heute dadurch gefährdet, dass die EU die indische Regierung unter Druck setzt, den Markt für europäische Milch- und Geflügelüber-schüsse zu öffnen. Auch in Kenia hat sich mit Hilfe von Importschutz eine Milchwirtschaft entwickelt.

Inzwischen geben das deutsche Entwicklungs- und Landwirtschaftsministerium und sogar Agrar-verbände zu, dass billige Agrarexporte Schaden an-richten. Aus schwer nachvollziehbaren Gründen be-stärken nun ausgerechnet Denkfabriken die Agrar-lobbyisten darin, die Agrarpolitik und den Freihandel mit Agrargütern zu verharmlosen.

Entwicklungsländer brauchen neue handelspo-litische Instrumente, um sowohl Verbraucher mit günstigen Nahrungsmitteln zu versorgen als auch die kleinbäuerliche Produktion zu steigern. Wirt-schafts-Partnerschaftsabkommen (EPAs) der EU mit Afrika haben, anders als Brüntrup nahelegt, mit dem Problem wenig zu tun. Denn nur wenige afrikanische Staaten haben sie in Kraft gesetzt. Das Haupthinder-nis sind Regeln der Welthandelsorganisation WTO wie das Verbot, Einfuhrmengen zu begrenzen. Die EU und Deutschland sollten eine Handelspolitik ver-folgen, die armen Ländern Spielraum gibt und Pro-tektionismus in Industrieländern unterbindet.

Francisco Marí ist Referent für Agrarhandel und

Fischerei bei brot für die Welt.

Wo

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sie haben für die Fairtrade Label-ling organization (FLo) in Dakar ge-arbeitet und waren für senegal und guinea-bissau zuständig. Dann ha-ben sie begonnen, kritische Fragen zu stellen. Aus welchem Anlass?

Ich habe in beiden Ländern Kleinbauern getroffen, die sich nach den Kriterien von FLO zer-tifizieren lassen wollten, um vom fairen Handel zu profitieren, zum Beispiel Cashew-Farmer in einer abgelegenen Region von Guinea-

Bissau. Für diese Bauern war es schon ein Problem, die Dokumen-te für die Gründung einer Koope-rative zu finanzieren. Sie wollten einen Antrag auf Zertifizierung stellen, hatten aber noch nicht einmal das Geld, um in die Stadt zu fahren, wo sie den Antrag ein-reichen wollten. Das gab mir zu denken.

Aber FLo unterstützt doch beson-ders benachteiligte Kleinbauern bei der zertifizierung.

FLO hat auch Daten vorgelegt, wonach es viele Zertifizierungen in den ärmsten Ländern gibt, das konnte ich nicht glauben. Warum sind die Kosten für die Zertifizie-

rung für die Ärmsten gleich hoch wie für Erzeuger in wirtschaftlich stärkeren Regionen? Für mich er-gibt das keinen Sinn. Ich habe ei-nige Fragen an meine Vorgesetz-ten bei FLO geschickt und nie-mals eine Antwort bekommen.

Es gibt aber unterstützung für die zertifizierung, oder?

Ja, trotzdem gehen die Bauern ein großes wirtschaftliches Risiko ein. Denn wenn sie zertifiziert sind, heißt das noch lange nicht, dass sie große Teile ihrer Ernte nach den Konditionen des fairen Handels verkaufen können. Es kann sein, dass sie lange darauf warten müssen. Im fairen Handel wird wesentlich mehr Ware zerti-fiziert, als verkauft werden kann. Wer diese Durststrecke schafft, ge-hört nicht zu den Ärmsten. Nur besser gestellte Bauern haben die nötigen Kontakte ins Ausland, zu einer Entwicklungshilfeorganisa-tion oder staatlichen Stellen, um die Hürden der Zertifizierung und der Etablierung am Markt zu nehmen.

Dafür ist nicht FLo verantwortlich. Wenn die Konsumenten mehr fair gehandelte Produkte kaufen wür-den, könnten die Erzeuger mehr verkaufen.

Aus der Perspektive der Pro-duzenten sieht das so aus: Die Zer-tifizierung ist teuer. Sie müssen beim Anbau Standards erfüllen,

die ebenfalls höhere Kosten ver-ursachen. Wenn sie dann nur ei-nen kleinen Teil ihrer Ernte zu hö-heren Preisen verkaufen können, haben sie ein Problem. Den Pro-duzenten ist das vorher oft nicht klar. Im Senegal habe ich das bei den Baumwollbauern gesehen. In manchen Jahren haben sie große Teile ihrer Ernte zu den Konditio-nen des fairen Handels verkauft. Dann konnten sie mit Hilfe der Fairtrade-Prämie Gesundheitssta-tionen und Schulen bauen. Aber in den Jahren danach haben sie zum Teil gar nichts verkauft.

Konnten die baumwollbauern dann überhaupt der Armut ent-kommen?

Sie leben in einer sehr prekä-ren Lage, selbst wenn sie etwas verkaufen. Sie bekommen die Fairtrade-Prämie und den Min-destpreis, der meist über dem Weltmarktpreis liegt. Der Preis ist aber nicht hoch genug für ein Ein-kommen, mit dem man wirklich der Armut entkommen kann.

Was muss geschehen, um solche Kleinbauern zu fördern?

Das Problem im fairen Han-del ist: Wenn die Preise auf einem angemessenen Niveau festge-schrieben werden, dann sind die Waren nicht wettbewerbsfähig und dann können die Produzen-ten weniger verkaufen. So funk-tioniert der Markt. Zu den Ursa-chen ihrer Armut gehören nicht nur der schwierige Zugang zum Markt oder die niedrigen Welt-marktpreise, sondern der Man-gel an Möglichkeiten, vor Ort wei-ter zu verarbeiten. Afrika ist seit 200 Jahren in der Produktion von Rohstoffen gefangen. Damit kön-

„Fairer Handel hilft nicht den ärmsten“Ein Ökonom aus dem Senegal stellt das System der Fairtrade-Siegel in Frage

Verbraucher im norden wollen mit dem Kauf von fair gehandelten Waren arme bauern im globalen süden unterstützen. Doch das hat seine grenzen, sagt der senegalesische ökonom ndongo sylla. Er erklärt, was er für wichtiger hält als den genuss von fairem Kaffee.

Gespräch mit Ndongo Sylla

42 welt-blicke FAIRTRADE-SIEGEL

„Ein Modell, das darauf aufbaut, weiter Rohware zu exportieren, wird nicht zu einem Ausstieg aus der Armut führen.“

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nen die Afrikaner sich wirtschaft-lich nicht entwickeln. Sie müssten die Rohware selbst weiterverar-beiten, danach exportieren oder lokal konsumieren. Ein Modell, das darauf aufbaut, weiter Roh-ware zu exportieren, wird nicht zu einem Ausstieg aus der Armut führen. Das ist auf jeden Fall eine Grenze des fairen Handels.

Wie könnte der faire Handel die Verarbeitung in Afrika fördern?

Die beste Version von fairem Handel wäre der faire Verkauf von verarbeiteten Produkten aus Afrika. Wenn Afrikaner ihren Kaf-fee oder Kakao vor Ort weiterver-arbeiten und ihn dann in den eu-ropäischen Supermärkten ver-kaufen könnten, dann hätte das eine viel größere Wirkung als der faire Handel, so wie er jetzt prak-tiziert wird. Es gibt solche Initia-tiven, aber nicht im Rahmen des fairen Handels.

Fairer Handel verändert also die strukturen nicht?

Genau, er reproduziert die Lo-gik des internationalen Handels. Auch im System des fairen Han-dels werden in den wohlhaben-deren Ländern des Südens wie in Zentralamerika mehr Bauern zertifiziert als den ärmeren Staa-ten Afrikas. In der Sahelzone und in Nordafrika gibt es fast keine Fairtrade-Produzenten. Beispiel Baumwolle: Die meisten Zertifi-zierungen in Afrika gibt es im Se-negal, nicht in Mali oder Benin, die wirtschaftlich schwächer, aber stärker von der Baumwolle ab-hängig sind. Diese beiden Länder sind so gut wie gar nicht im Fair-handels-System vertreten.

Wie wollen sie dieser Marktlogik entkommen?

Man muss sich stärker den Ursachen ungerechter Handels-beziehungen widmen. Bis in die 1980er Jahre hinein haben inter-nationale Abkommen die Preise für Rohstoffe wie Kaffee festge-legt, um allzu große Schwankun-gen zu verhindern. Sie machten es für die Erzeuger möglich, halb-wegs zu planen. Es gab auch nati-onale Mechanismen für den Aus-gleich von Preisschwankungen. Aber mit der Politik der Liberali-sierung sind die Preise interna-tional und national freigegeben worden. Wir brauchen wieder ei-nen globalen Rahmen, der die Bedürfnisse der ärmsten Länder nach angemessenen und stabilen Preisen berücksichtigt, damit sie nicht weiter verarmen.

sollten die Verbraucher im norden dann überhaupt fair gehandelte Produkte kaufen?

Ich finde die Idee des Fairen Handels richtig und sinnvoll. Ich glaube an das Prinzip eines ge-rechten Handels zwischen Erzeu-gern, Verkäufern und Konsumen-ten. Aber ich bin kritisch gegen-über der Art und Weise, wie der faire Handel heute umgesetzt wird. Seine ursprüngliche Idee scheint mir stimmiger: als Aus-druck einer Solidarität mit den Ärmsten. Wenn Importeure aus-schließlich fair gehandelte Pro-dukte vertreiben, finde ich das überzeugender als den Ansatz von FLO, bestimmte Waren zu sie-geln, die dann von allen Unter-nehmen vertrieben werden kön-nen. Die Gefahr ist zu groß, um der Umsätze Willen alles zu tun. Trotzdem zählt für mich weniger der Akt des Kaufens als der „Akt des Bürgers“.

Was meinen sie damit?Wenn Sie als Konsument den

Bauern in Westafrika helfen wol-len, dann ist das gut. Aber dann müssen Sie wissen: In Deutsch-land, Frankreich und der Europä-ischen Union werden politische Entscheidungen getroffen, die den afrikanischen Bauern massiv schaden. Dazu zählen die Partner-schaftsabkommen, die die EU den afrikanischen Ländern aufzwin-gen will. Sie wären der Tod un-serer Landwirtschaft und unserer beginnenden Industrien. Wir wür-den bei unserer Ernährung in die Abhängigkeit von Europa und an-deren Regionen geraten. Der Wi-derstand der Bürger Europas ge-gen diese Entscheidungen ist für uns tausend Mal wichtiger als der Kauf fair gehandelter Produkte.

Das gespräch führte Claudia Mende.

Ndongo Sylla arbeitet im Westafrika-Büro der

Rosa-Luxemburg-Stiftung in Dakar und ist Autor des Buches „the Fair

trade Scandal. Marketing Poverty to Benefit the Rich” (London 2014).

Mit Hilfe der Fairtrade-Prämie können Baumwollbauern wie hier

im senegalesischen Kédougou eine Schule oder eine Gesundheitsstation

errichten. tRAnsFAIR E.V./AnuP KuMAR sIngH

PRIV

At

„Die ursprüngliche Idee des Fairen Handels scheint mir stimmiger: Er ist Ausdruck einer Solidarität mit den Ärmsten.“

FAIRTRADE-SIEGEL welt-blicke

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welt-blicke PERU

Mit Herz und Hand

La Cabaña de Alta Costura – Misericordia“ ver-heißt das Plakat an der einfachen Holztür: Haute Couture aus der Baracke. In dem kleinen Fabrik-

gebäude im Zentrum der peruanischen Hauptstadt Lima residiert das einzige Modelabel des Landes. In den vergangenen 14 Jahren hat es sich weit über die Landesgrenzen hinaus einen Namen gemacht: Es beliefert Boutiquen in Paris, Berlin, Rom und To-kio. Zwei Mal im Jahr verlässt eine neue Kollektion die Schneiderwerkstatt. Im Moment ist es eher ru-hig. „Wir stecken gerade in der Phase zwischen zwei Kollektionen – da passiert nicht viel. Die einen küm-mern sich um die Wartung der Maschinen, die ande-ren machen sich Gedanken über neue Schnitte und Designs“, erklärt María Huamani Anca.

Die junge Verwaltungsspezialistin arbeitet seit rund sieben Jahren für „Misericordia“. Sie kümmert sich um die Abrechnung und die nötigen Exportpa-piere – und freut sich immer auf die Zeit, in der neue Kleider kreiert werden. „Das ist immer spannend, denn dann versuchen wir uns selbst zu übertreffen“, sagt die Informatikerin, der das kreative Ambiente bei „Misericordia“ gut gefällt.

Begonnen hat alles mit einer kleinen Schneide-rei im Norden Limas, die von Nonnen betrieben wur-de. Die Schuluniformen und Sportjacken mit dem Logo von „Nuestra Señora de la Misericordia“ – „Un-sere Liebe Frau der Barmherzigkeit“, so hieß die Schu-le im Armenviertel Zapallal – fanden die beiden Fran-zosen Mathieu Remaux und Aurelyen Conty so cool, dass sie auf die Idee kamen, eine komplette Kollek-tion auf die Beine zu stellen. „Wir hatten beide kei-ne Ahnung von Mode, ich hatte Kunst studiert. Doch wir hatten uns in das Land verliebt und wollten hel-fen, neue Perspektiven zu entwickeln“, erinnert sich Conty. Nach dem Studium war er mit seinem Freund Mathieu Remaux in Lateinamerika auf Entdeckungs-reise. Die beiden blieben in Peru hängen, wo Remaux durch Zufall die Schneiderei entdeckte.

2003 eröffneten die beiden zunächst einen Fünf-Mann-Betrieb unter dem Label „Misericordia“ im Stadtteil Zapallal. Das Unternehmen wuchs, zwei Jah-re später zog es in das Stadtviertel Lince, vor zwei Jah-ren folgte dann der Umzug nach San Miguel. Remaux verließ die Firma 2005, seitdem ist Conty, ein schlak-siger Mann mit optimistisch funkelnden Augen, al-lein verantwortlich. Er hat die Kollektion Schritt für Schritt erweitert, nach und nach neue Maschinen angeschafft. Begonnen hat „Misericordia“ mit Trai-

ningsjacken und T-Shirts, inzwischen werden auch Pullover, Winterjacken und Mäntel produziert. Für Herren ist aktuell unter anderem ein dunkelblauer Nicki im Programm, für Damen ein sportlicher, ge-punkteter Blouson. Alle Stücke tragen das Logo des Labels: zwei Hände, ein Stern und ein Herz.

Hände, Geist und Herz – dieser Dreiklang bildet die Basis des Unternehmens, das mit dem Anspruch gegründet wurde, ein kollektives Projekt mit ökolo-gischer und sozialer Verantwortung auf die Beine zu stellen. „Wir sind kein Fairtrade-Unternehmen, son-dern ein peruanisches Modeunternehmen, das in Lima designt und produziert“, betont Conty schnell, um nicht in eine falsche Schublade gesteckt zu wer-den. Produziert wird mit peruanischen Stoffen und Garnen. Die Näherinnen verarbeiten sowohl Alpa-ka-Wolle als auch Pima-Baumwolle, die langfaserige Qualitätsbaumwolle aus Peru. Früher habe man Bio-Baumwolle verarbeitet, aber da habe es immer wie-der Lieferengpässe gegeben, erklärt Neymar Vergaray Sánchez. Er ist für den Einkauf verantwortlich und

„Misericordia“ heißt Perus erfolgreiches Modelabel. Es ist aus der nähstube eines kleinen ordens hervorgegangen und legt Wert auf gute Löhne und Arbeitsbedingungen. Für den Erfolg ist das kein Hindernis.

Von Knut Henkel (Text und Fotos)

Geliefert wird an Boutiquen in Paris, Berlin, Rom oder Tokio. „Misericordia“ hat im eher hoch preisigen Streetwear-Segment einen Markt gefunden.

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PERU welt-blicke

regelmäßig auf dem größten Stoffmarkt, La Gamarra, in Limas Stadtteil La Victoria unterwegs, um auf dem Laufenden zu bleiben. Sonst schneidet der drahtige, bärtige Peruaner die Stoffe zu. Er schätzt es, dass bei Misericordia gemeinsam nach Lösungen und Kon-zepten für die Kollektionen gesucht wird. „Ich habe vorher als Supervisor in einem anderen Textilunter-nehmen gearbeitet. Hier fühle ich mich aber deutlich wohler, weil es weniger hierarchisch zugeht.“

Conty fördert und fordert die Mitsprache sei-ner Beschäftigten. „Gemeinsam besser wer-den“, lautet sein Motto. „Hier arbeiten wir im

Team und jede und jeder ist von Anfang an für ein Kleidungsstück verantwortlich. Es wird nicht nur ein Teil genäht, sondern die ganze Jacke oder die ganze Hose“, ergänzt Cleofe Alania Baldeon, die als seine rechte Hand fungiert. Geliefert wird an Boutiquen in Paris, Berlin, Rom oder Tokio. „Misericordia“ hat im eher hochpreisigen Streetwear-Segment einen Markt gefunden.

„Wir wachsen langsam, aber stetig und müs-sen schon wieder hin- und herräumen, um Platz zu schaffen, wenn die Produktion läuft“, erklärt die 47-jährige, die meist am Rechner unter dem großen Logo im oberen Stockwerk sitzt. Dort wird auch ge-näht, unten wird zugeschnitten, gedruckt, gewa-schen, gebügelt und verpackt. Hin und wieder muss umgeräumt werden, denn es fehlt an Lagerraum.

Auch seinem sozialen Anspruch wird Conty ge-recht: Alle 14 Beschäftigten werden über dem staat-lichen Mindestlohn von derzeit 850 Soles entlohnt und sind rundum sozialversichert. Das gilt auch für die rund 30 Näherinnen und Näher, die in der Pro-duktionszeit dazu stoßen, um die gut 30.000 Klei-dungsstücke, die jährlich ausgeliefert werden, anzu-fertigen.

„Dabei arbeiten wir nur fünf Tage die Woche und drei Stunden weniger als in Peru üblich ist“, erklärt María Huamani Anca. Statt 48 Stunden nur 45 – das erlaubt es der 32-jährigen Mutter, mehr Zeit mit ihrer fünfjährigen Tochter zu verbringen. Ein Vorteil, den sie zu schätzen weiß und der im Textilsektor, wo Über-stunden üblich sind, selten ist. „Die Mischung aus kre-ativem Miteinander, fairen Arbeitsbedingungen und Bezahlung führt zu einem familiären Betriebsklima“, erklärt die junge Frau, die auch schon einmal als Mo-del für die Homepage eingesprungen ist.

Aurelyen Conty kann sich darauf verlassen, dass die Arbeit in der kleinen Fabrik weiterläuft, wenn er sich um die „Misericordia“-Boutique in Paris küm-mert, die Marke auf Messen vertritt und neue Kon-takte zu anderen Designern knüpft. Sie bringen hier und da einen seiner Entwürfe in ihrer Kollektion un-ter oder werden selbst für „Misericordia“ tätig wie Kris Van Assche, belgischer Modeschöpfer und Chef-designer der renommierten französischen Herren-modemarke Dior Homme. Zudem hat Conty kleine Projekte mit Fahrradherstellern in Frankreich ein-gefädelt, dafür Poloshirts und Jacken entworfen, um sein Label ins Gespräch zu bringen.

Das hat der kleinen peruanischen Marke weltweit Fans gebracht – sie sorgen dafür, dass das Unterneh-men aus San Miguel schwarze Zahlen schreibt, wie die Finanzverantwortliche Maria Huamani Anca stolz be-richtet. Damit das so bleibt, wird Cleofe Alania Balde-on in Kürze zum ersten Mal nach Paris fliegen, um ge-meinsam mit ihrem Chef diverse Modemessen zu be-suchen. Sie will sich inspirieren lassen und beobach-ten, was die Konkurrenz so treibt. Das könnte helfen, die eigene Nische etwas auszuweiten.

Die Menschen hinter der Mode (von links): Neymar Vergaray Sánchez ist für den Einkauf verant-wortlich; der Chef Aurelyen Conty bestimmt die Richtung und lässt Mitsprache zu; Nicolás Augustín Villadeza näht seit sieben Jahren Hosen und Oberteile.

Knut Henkel ist freier Journalist in Hamburg

und bereist mehrmals im Jahr Lateinamerika.

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Von Sam Olukoya (Text und Fotos)

Lagos, das Wirtschaftszent-rum Nigerias, kann sich mit ihrer Bevölkerung von mehr

als 20 Millionen Menschen Me-gastadt nennen. Um diesem An-spruch gerecht zu werden, ver-folgt die Stadtverwaltung ehrgei-

zige Pläne, um die Infrastruk-tur zu entwickeln. So wurden

dem Ozean zehn Quadratkilome-ter Land abgerungen, auf denen jetzt modernste High-Tech-Bau-ten für 400.000 Menschen er-richtet werden. Aufwendige Stra-ßen- und Schienenbauprojek-te sind im Gange, und überall in der Küstenstadt entstehen schöne Parks und Gärten.

Während Lagos den Traum von einer echte Mega-Metropole zur Wirklichkeit machen will, fällt es der Stadt schwer, allen Bewoh-nern eine sanitäre Grundversor-gen mit Toiletten und Latrinen zu verschaffen – so wie es eines der von den Vereinten Nationen be-schlossenen Ziele für nachhaltige Entwicklung vorsieht. In Lagos le-

ben viele Arme in Häusern ohne Toiletten. Sie erleichtern sich im Freien oder müssen für die Benut-zung einer Toilette bezahlen.

Nirgends zeigt sich das deut-licher als in Makoko. Der ausge-dehnte Slum erstreckt sich von den Feuchtgebieten am Rand des Festlands bis in die Lagune von Lagos. Die Menschen leben dort auf Pfahlhütten über dem Wasser, weshalb die Lagunensiedlung oft auch das Venedig von Afrika ge-nannt wird. Doch im Unterschied zu den Venezianern haben die Einwohner von Makoko keine To-iletten, sondern nur ein Loch im Boden ihrer Bretterhütten, durch das sie sich direkt in die Lagune erleichtern. Der Atlantik verteilt die Fäkalien in der ganzen Sied-lung.

In dem Teil von Makoko, der im versumpften Gebiet am Rand der Lagune liegt, sind die sani-tären Verhältnisse kaum besser. „Die Menschen benutzen kleine Plastiktüten, die sie auf die Straße oder in die offenen Abwasserka-näle werfen. Manche schmeißen sie auch einfach aus dem Fens-ter“, erklärt Joseph Blabo, ein Ein-wohner von Makoko. „Wenn man dort unterwegs ist, tritt man öfter in Fäkalien.“

Eine Kirche steigt ins toilettengeschäft einInzwischen haben drei Privatfir-men für die 100.000 Einwohner und die Tausende Menschen, die täglich dorthin zur Arbeit gehen, Toilettenanlagen aufgestellt. Die Redeemed Christian Church of God (RCCG), eine nigerianische Kirche der Pfingstbewegung, be-treibt eine davon. Wie Paul Awo-retan, ein Vertreter der Kirche, er-klärt, bietet die Einrichtung ne-ben Toiletten noch zwei weitere sanitäre Dienste an: Waschgele-genheiten und sauberes Wasser. Die Benutzungsgebühr für die To-iletten beträgt 30 Naira, das ent-spricht neun Cent.

Es gibt fünf Toiletten, drei Du-schen und mehrere Wasserzapf-stellen. Um all das kümmert sich Michael Lawson – und zwar ganz allein. Denn die Gebühren sind so

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Der unrat ist überall

In Lagos gibt es in den armen stadtteilen kaum toiletten. Ein paar private Anbieter füllen die Lücke, doch viele Einwohner bleiben dabei, sich kostenlos überall zu erleichtern – mit schweren Folgen für die gesundheit.

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NIGERIA welt-blicke

niedrig, dass die Erlöse gerade für das Gehalt eines Mitarbeiters rei-chen.

Viele seiner Kunden gehen hier zum ersten Mal in ihrem Le-ben auf eine Toilette. Er verbringt den größten Teil des Tages damit, in schwarzen Sicherheitsschuhen und ausgerüstet mit Desinfekti-onsmitteln und einem Schrub-ber die Toiletten zu reinigen. „Vie-le meiner Kunden wissen noch nicht, wie man mit einer Toilet-te umgeht. Sie machen alles dre-ckig und ich muss ständig put-zen“, sagte Lawson. „Wenn ich mal ein paar Minuten weg bin, ist alles total versaut.“

Und das ist nicht sein einzi-ges Problem. Oft beschädigt seine unerfahrene Kundschaft auch die Wasserhähne, die Handwaschbe-cken und die Duschen. „Manche lassen sogar die Seife und das Pa-pier mitgehen, nachdem sie das Klo benutzt haben“, klagt er.

Einen halben Kilometer ent-fernt steht eine weitere Toilet-tenanlage. Hier arbeitet Ibra-him Bello. Lawson und Bello sa-gen beide, dass sie viele Stunden für ihre Kunden im Einsatz sind, die manchmal vor den Anlagen Schlange stehen. Lawson fängt um 3.30 Uhr in der Frühe an und schließt erst um 11 Uhr abends. Bello arbeitet sogar noch länger.

„Normalerweise schlafe ich in der Anlage, um meinen Kunden den Service rund um die Uhr bieten zu können“, sagt er.

Wenn es ums Bezahlen geht, fliegen schon mal die FetzenEs ist sehr schwierig, die Leute da-von zu überzeugen, für die Benut-zung von Toiletten zu zahlen. „Sie stürmen an mir vorbei und sagen, sie müssten ganz dringend. Wenn sie dann fertig sind, heißt es, sie wollten ein anderes Mal zahlen. Aber wenn sie dann wiederkom-men, streiten sie ab, irgendetwas schuldig zu sein.“ Gelegentlich ge-rät Lawson über die Bezahlung in

handfeste Auseinandersetzungen mit Kunden. Er kann Kratzwun-den vorweisen, die ihm zahlungs-unwillige Frauen beigebracht ha-ben. Das ist eine der unschönen Seiten seines Jobs. „Es war nie mein Traum, in einer Toilette zu arbeiten“, sagte er. „Aber wenn ich das schon machen muss, dann möchte ich von meinen Kunden respektiert und für meine Diens-te bezahlt werden.“

Die RCCG sieht die Anlage als eine Art Pilotprojekt; kann sie er-folgreich betrieben werden, dann sollen noch mehr eingerichtet werden. Aber die Ergebnisse sind bisher nicht ermutigend – die Einnahmen sind sehr niedrig. Zu-

dem häufen viele Kunden Schul-den an und die Reparaturkosten für Schäden sind hoch. „Die Leu-te wollen die Anlage umsonst be-nutzen und uns die Verantwor-tung für ihren Unterhalt aufbür-den“, sagt Lawson. „Aber wenn sie für die Benutzung nichts zahlen, werden sie auch ihren Wert nicht schätzen.“

Der Mangel an Toiletten in Makoko ist symptomatisch für die Verhältnisse im Rest von La-gos und in Nigeria insgesamt. Es ist im ganzen Land verbreitet, die Notdurft im Freien zu verrichten, denn in den nigerianischen Städ-ten gibt es wenige oder gar kei-

ne öffentlichen Toiletten. Laut einem Bericht von Unicef, dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, haben 122 Millionen Nigerianer keinen Zugang zu mo-dernen Sanitäranlagen, 34 Millio-nen verrichten ihre Notdurft im Freien. Die Weltgesundheitsor-ganisation WHO listet Nigeria an fünfter Stelle der Länder, in de-nen dieses Problem am größten ist.

Für Lagos und andere nigeri-anische Städte ist dies eine gro-ße Hürde auf dem Weg zur Er-füllung der Ziele für nachhalti-ge Entwicklung (SDG). Das sechs-te SDG fordert eine nachhaltige Wasser- und Sanitärversorgung

Links: Die Bewohner von Makoko erleichtern sich zumeist durch ein

Loch im Boden ihrer Hütten. unten: Michael Lawson und Ibrahim

Bello (rechts) sorgen dafür, dass die wenigen toiletten sauber bleiben

– von morgens drei bis nachts elf uhr.

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für alle. Dazu gehört auch, dass bis zum Jahr 2030 niemand mehr seine Notdurft im Freien verrich-ten muss.

Nicht nur in Makoko, auch in den anderen Slums von Lagos ha-ben die meisten Häuser keine To-iletten. „Die Vermieter wollen das Land, das vor allem in den Slums knapp ist, maximal ausnutzen“, sagt Blabo, der im Makoko-Slum aufgewachsen ist. „Wenn die Woh-nungen keine Toiletten haben, können sie ein Zimmer mehr ver-mieten und noch mehr Geld her-ausschlagen.“ Die meisten Behau-sungen in den Slums von Lagos bestehen aus kleinen Räumen, die einzeln vermietet werden.

Aber warum genehmigen die Behörden überhaupt Häu-ser ohne Toiletten? „Die meisten dieser Häuser sind ohnehin ohne Baugenehmigung errichtet“, er-klärt Babatunde Adejare, zustän-dig für das Umweltressort im Bundesstaat Lagos.

Ein weiteres Problem ist die geringe Akzeptanz öffentlicher Toiletten bei vielen Slumbewoh-nern. „Manche Leute erleichtern sich überall, weil sie nicht einse-hen, für die Benutzung einer To-ilette zu bezahlen, oder weil sie Toiletten für überflüssig halten“, sagt Blabo. Lawson ist der Ansicht, der Staat solle öffentliche und kostenlose Toiletten zur Verfü-gung stellen, weil die Leute nicht bereit seien, für solche Einrich-tungen zu zahlen. Bislang gibt es dafür aber keine Pläne. Nach Aus-kunft von Adejare setzt die Politik vor allem darauf, private Betrei-ber von Toiletten zu fördern.

Ein Umgang mit Fäkalien, wie man ihn in Lagos beobachten kann, birgt eine Menge Gesund-heitsgefahren. „Die unzureichen-de Behandlung von Fäkalien und Abwasser stellt ein großes Risi-ko für die öffentliche Gesundheit und die Umwelt dar“, stellen die Vereinten Nationen fest. Cholera, Durchfallerkrankungen, Typhus und Polio sind einige der Krank-heiten, die übertragen werden können, wenn Trinkwasser und Lebensmittel mit Fäkalien verun-reinigt sind. In den Armenvier-teln von Lagos wie Makoko ha-ben sie schon viele Menschenle-

ben gekostet. „Meine Mutter ist an Cholera gestorben“, sagt Blabo traurig.

Das trinkwasser der Armen ist mit Fäkalien verseuchtDas Problem wird in Lagos da-durch verschärft, dass weniger als 40 Prozent der Einwohner Zu-gang zu Leitungswasser haben. Diese Glücklichen wohnen vor allem auf Lagos Island, der über-wiegend wohlhabenden Hauptin-

sel der Stadt. Die zumeist armen Bewohnerinnen und Bewohner auf dem dicht besiedelten Fest-land sind hingegen auf Grund-wasser aus Tiefbohrungen und Brunnen angewiesen.

Dieses Wasser ist oft mit un-behandelten Abwässern ver-seucht. Das ist nicht anders zu er-warten, wenn Fäkalien über offe-ne Kanäle entsorgt und einfach in die Lagune geleitet werden oder wenn Fäkaliengruben in unmit-telbarer Nähe zu Bohrlöchern und Brunnen liegen. Erst vor kur-zem wurden mehr als tausend Studenten des Queens College, ei-ner staatlichen Elitehochschule, ins Krankenhaus eingeliefert mit Beschwerden, die von verunrei-nigtem Wasser verursacht waren. Zwei von ihnen starben.

Die Regierung sagt, sie tue eine Menge, um die sanitäre Situ-

ation zu verbessern. „Die Sanitär-versorgung steht für uns an oberster Stelle. Wir wollen ein sauberes Lagos, ein ordentliches Lagos, das sich mit jeder Me-gastadt der Welt messen kann“, sagt Adejare. „Die Umweltgesetze sind überarbeitet worden, um den Gesetzeshütern mehr Hand-lungsmöglichkeiten zu geben.“

Eines dieser Gesetze stellt es unter Strafe, unbehandelte menschliche Fäkalien in einen öf-

fentlichen Kanal, einen Wasser-lauf oder einfach ins Gelände zu kippen. Doch im Lichte früherer Erfahrungen muss man an der Entschlossenheit der Regierung zweifeln, Umweltgesetze konse-quent durchzusetzen. 2014 erließ die Regierung ein Verbot, sich im Freien zu erleichtern. Durchge-setzt wurde es nie, und geändert hat sich nichts.

Doch über diesen düsteren Aussichten darf man nicht den unermüdlichen, entbehrungsrei-chen Einsatz von Leuten wie Law-son und Bello vergessen, die in den Slums öffentliche Toiletten betreiben. Er bewirkt etwas: „In Makoko stinkt es nicht mehr so sehr, weil weniger Menschen überall ihren Unrat hinterlassen“, erklärt Bello stolz.

Aus dem Englischen von Thomas Wollermann.

Sam Olukoya ist freier Journalist in Lagos, nigeria.

Ein Badezimmer hat in Makoko niemand. Wer sich säubern will, muss sich in der Lagune einseifen.

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KENIA welt-blicke

Wenn Raphael Odwaro morgens aus seinem Haus tritt und ein paar

Schritte nach links macht, steht er mitten im Garten Eden. Umsäumt von Laubbäumen wuchern Kräu-ter und wildes Gemüse, blühen Blumen, wachsen Bananenstau-den und Obstbäume. Vor zehn Jahren war der grüne Fleck, den Odwaro nach dem göttlichen Gar-ten benannt hat, noch ausgelaug-tes trockenes Land. Mit dem weni-gen Getreide, das darauf wuchs, und den paar Hühnern und Zie-gen habe er kaum seine Familie ernähren können, erzählt er.

Odwaro setzte alles auf eine Karte, verkaufte sein Vieh und in-vestierte das Geld in einen Brun-nen und den Aufbau einer kleinen Baumschule. Er begann, mit exo-tischen und einheimischen Sor-ten zu experimentieren, pflanz-

te Obstbäume, Wildtomaten, Spi-nat und Zwiebeln. Die Erträge ver-kaufte seine Frau Sophia in einem Dorfladen. Heute lebt das Ehe-paar mit seinen sieben Kindern im Westen Kenias in einer frucht-baren Oase, die der Familie zu be-scheidenem Wohlstand verholfen hat. Das habe er Gott zu verdan-ken, sagt Odwaro. Und seiner Lei-denschaft für Bäume.

Mitte des vorigen Jahrhun-derts war die Heimat der Odwa-ras, der Bezirk Homabay an den Ufern des Viktoriasees, noch fast zur Hälfte von Wald bedeckt. Heu-te liegt der Anteil nur noch bei ei-nem Prozent. Die runden Hügel sind mit Gestrüpp bewachsen, nur vereinzelt ragt ein Baum aus den Sträuchern hervor. Das Gras auf den Wiesen hat sich nach den spärlichen Regenfällen im Herbst gelbbraun verfärbt.

Der wachsende Bedarf an Feu-erholz sei ein Grund für den Rück-gang, erklärt der Biologe Dennis Otieno von der Jaramogi Ogin-ga Odinga Universität in Kisumu. Noch gravierender seien jedoch die Auswirkungen der Landwirt-schaft: „Die Bauern fällen die Bäu-

me oder brandroden ihr Feld, be-wirtschaften es für drei Jahre und lassen es brachliegen.“ Weiden-des Vieh fresse die nachwachsen-de Vegetation, und das verhinde-re, dass sich der Boden erholt. Oti-eno warnt: Gehe es so weiter, wer-de es in der Region im Jahr 2050 keine Bäume mehr geben.

Eine ähnliche Entwicklung spielt sich auch in anderen Ge-genden Kenias und Ostafrikas ab – mit dramatischen Folgen. Wo weniger Bäume wachsen, steigt die Gefahr von Erosion, trocknet der Boden schneller aus und wird unfruchtbarer. Der Rückgang des Baumbestandes bedroht die Le-bensgrundlage der ländlichen Be-völkerung. Und er beschleunigt zusätzlich den Klimawandel, weil Wälder als CO2-Senke entfallen.

Am Rande des Klimagipfels in Paris im Dezember 2015 ha-ben zehn afrikanische Länder des-halb die Initiative AFR 100 ins Le-ben gerufen. AFR steht für African Forest Landscape Restoration. Das Ziel: Bis zum Jahr 2030 sollen 100 Millionen Hektar Land auf dem Kontinent aufgeforstet und wie-derhergestellt werden. Eine Milli-

Eine groß angelegte Initiative will in Afrika Wälder wieder aufforsten. Einige bauern und Förster im Westen Kenias machen schon einmal vor, wie das gehen kann.

Von Sebastian Drescher (Text und Fotos)

Raphael Odwaro hat ausgedörrtes Land in fruchtbaren Boden

verwandelt. Die Setzlinge aus seiner Baumschule verschenkt

er an Jugendliche.

Obstbäume im Paradies

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welt-blicke KENIA

arde US-Dollar an Entwicklungs-geldern sollen in die Initiative fließen, dazu noch einmal halb so viel an privaten Investitionen. Auch Deutschland unterstützt das Vorhaben.

100 Millionen Hektar ent-sprechen einer Fläche rund drei Mal so groß wie Deutschland. Das ist nahezu ein Drittel der Wald-gebiete, die laut einer Deklarati-on des Klimagipfels in New York von 2014 bis 2030 weltweit wie-derhergestellt werden sollen. Da-mit das gelingt, sollen Umweltbe-wegungen, Politik und Wirtschaft zusammenarbeiten, bestehende Wälder aufforsten sowie neue Ar-beitsplätze in der Forstwirtschaft schaffen.

Allein mit der Aufforstung bestehender Wälder und neuen Plantagen sei das Ziel nicht zu er-reichen, meint Peter Ndunda vom World Ressource Institute (WRI), das die AFR-Initiative angesto-ßen hat. Dazu sei die Aufforstung zu teuer und unsicher. Kenia etwa habe sich fünf Millionen Hektar vorgenommen, neue dichte Wald-gebiete seien aber nur auf einer Fläche von einer Million Hektar realistisch. Das wesentlich größe-re Potenzial sieht er in Land, das für Viehhaltung und Landwirt-schaft genutzt wird. Dort könnten Millionen neuer Bäume wachsen, meint Ndunda. Er setzt auf die Re-generationskraft der Natur. Und den Beitrag der Farmer und Vieh-hirten, die das Land bewirtschaf-ten.

Das Wurzelwerk muss nur wiederbelebt werdenEiner von ihnen ist Hagai Mbago. Der schmale Mittvierziger stapft einige Kilometer von Odwaros grünem Paradies entfernt durch das hohe Gras und deutet mit seiner Machete auf einen kaum sichtbaren Strunk im Boden. „Da-raus wächst in zwei, drei Jahren ein neuer Baum“, erklärt Mbago. Man müsse den Sprössling nur zuschneiden, damit er nicht aus-treibt. Mbago ist so etwas wie der Forstbeauftragte der kleinen Ge-meinde Bonda – und ein über-zeugter Verfechter der Methode „Farmer Managed Natural Rege-neration“ (FMNR).

Entwickelt hat sie der australi-sche Entwicklungshelfer Tony Ri-naudo, der sich seit Jahrzehnten um die Wiederbewaldung der Sa-helzone bemüht. Lange Zeit er-litt er immer wieder Rückschläge, weil seine neu gepflanzten Bäu-me in der Trockenheit eingingen. Bis er entdeckte, das auf vielen Flächen der Wald als Wurzelwerk unter der Erde weiterlebt und die Sprösslinge aus den Wurzeln nur geschützt und gepflegt werden müssten. Eine Entdeckung, die inzwischen weltweit Schule ge-macht hat.

Rinaudos Arbeitgeber, die Hilfsorganisation World Vision, setzt sich seit Jahren für die Ver-

breitung der Methode ein. Allein im Niger sollen damit fünf Mil-lionen Hektar Boden regeneriert worden sein, in Äthiopien und im Senegal laufen ähnliche Projekte. World Vision wirbt auf internatio-nalen Tagungen und Konferenzen um Unterstützung und Nachah-mer. Mit Erfolg: Die Aufforstungs-initiative AFR sieht die Wirkung von FMNR als erwiesen an und be-zeichnet die Methode als wichti-ges Element ihrer Strategie. Was in der trockenen Sahelzone funk-tioniert, sollte in feuchteren Regi-onen weiter südlich umso besser klappen.

Förster Mbago ist begeistert: „Wir müssen kein Geld für teu-

Hagai Mbago erklärt den Bauern in Bonda, wie sie die jungen triebe

schützen, damit daraus Bäume wachsen können.

TanaViktoria-see

Eldoret

Kisumu

SUDAN

ÄTHIOPIEN

NairobiTANSANIA

SOM

ALIA

Indischer Ozean

Nil

UGANDA

KENIAKENIA

200 km

Turkana- see

Homa BayHoma Bay

Kenia

©

AFRI KA

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KENIA welt-blicke

re Setzlinge ausgeben, wenn die Bäume eigentlich noch da sind.“ Zudem benötigten die jungen Triebe wesentlich weniger Was-ser als Setzlinge. In Zeiten, in de-nen auch am Viktoriasee der Re-gen immer unregelmäßiger fällt, sei das ein entscheidender Vor-teil, erklärt Mbago. Er zeigt auf eine braune Furche, die ablaufen-des Wasser in das leicht abschüs-sige Gelände gegraben hat. „Vor drei Jahren sah es hier noch viel schlimmer aus, aber seit wir die Bäume pflegen, wächst wieder Gras und der Boden hat sich er-holt“, sagt er. Und noch etwas ma-che sich bemerkbar: Der wachsen-de Baumbestand habe wieder viel mehr Vögel angelockt.

Hagai Mbago engagiert sich in Bonda für die Bewaldung der kommunalen Weide- und Acker-flächen. Er erklärt den Bauern, dass die Bäume ihre Felder auf-werten, weil sie Nährstoffe und Feuchtigkeit im Boden speichern und das Mikroklima verbessern. Die Bauern müssten lediglich die Triebe pflegen und das Vieh fern-halten, und notfalls die Flächen einzäunen, bis die Bäume groß ge-nug seien. Dass die ländliche Be-völkerung eine wichtige Rolle bei der Wiederbewaldung des Landes spielen könnte, hat auch die Re-gierung in Nairobi erkannt. Sie hat die Bauern vor zwei Jahren dazu verpflichtet, mindestens zehn Pro-zent ihrer Flächen mit Bäumen zu bewirtschaften. Nur, wie kann man die Leute dazu bringen?

Peter Ndunda vom World Res-source Institute sieht die Lösung im Waldfeldbau – also der Verzah-nung von Land- und Forstwirt-schaft. Bauern könnten mit der Aufzucht von Bäumen die land-wirtschaftlichen Erträge steigern und zusätzlich Geld mit dem Ver-kauf von Feuer- oder Nutzholz machen – ohne dabei Ressour-cen zu zerstören. Er verweist auf Untersuchungen in der Sahelzo-ne, die belegten, dass dieser Mix für Farmen aller Größen geeig-net ist, ärmere Bauern mit weni-ger Land sogar pro Hektar höhe-re Erträge einfahren als wohlha-bendere Landbesitzer. „Wenn ich über Aufforstung rede, fragen die Bauern, warum sollte ich mir über

Bäume Gedanken machen, wenn ich mich um mein Essen sorge?“ Er versuche, ihnen klarzumachen, dass beides zusammenhängt.

Der Vorzeigefarmer Raphael Odwaro denkt ähnlich – hält aber wenig von solchen Vorträgen. „Die Leute nicken nett, sagen Danke, gehen nach Hause und machen weiter wie bisher“, sagt er. Das gro-ße Problem sei die Einstellung: Viele schätzten den Wert der Na-tur nicht mehr. Deren Schönheit müssten die Leute mit ihren ei-genen Augen erkennen. Deshalb lädt Odwaro immer wieder Bau-ern aus der Umgebung auf seine Farm ein. „Wenn sie hier in unse-rem blühenden Garten stehen, dann erreichen wir ihr Herz. Und dann ändert sich auch das Den-ken“, sagt Odwaro mit einem brei-ten Lächeln.

Einheimisches Obst soll Vitamine liefernDen Wandel will der Naturfreund den Bauern auch mit Obstbäu-men schmackhaft machen. Obst ist in der Region teuer, viele Men-schen leiden an Vitaminman-gel. „Die Obstbäume sind ein Bei-trag zur Ernährungssicherung“, meint Odwaro. In seiner Baum-schule hat er Tausende verschie-dene Sorten aufgezogen, sowohl exotische als auch einheimische wie die Popo-Obstbäume, die eine Frucht ähnlich der Papaya tragen. Wenn die Bauern aus den umlie-genden Gemeinden bei ihm Setz-linge kaufen, gibt er ihnen Tipps zu Anbau und Pflege mit auf den Weg. Mehr als 20.000 Pflänzchen hat Odwaro bislang verkauft, auch die Bezirksregierung gehört zu seinen Kunden. Zudem hat er in einer nahegelegenen Schule mit Hilfe ausländischer Gelder eine Obstbaum-Plantage angelegt, um auch Jugendliche dafür zu begeis-tern. Ihnen schenke er die Setzlin-ge, erzählt er.

Dem Fachmann Peter Ndun-da machen solche Projekte Mut. Er hält das Ziel der Aufforstungs-initiative AFR von 100 Millionen Hektar für realistisch – zumin-dest was die Bewaldung und Wie-derherstellung neuer Flächen an-geht. Zugleich würden aber an anderer Stelle weiter gerodet und

Waldflächen zerstört, der absolu-te Zuwachs falle also geringer aus. Umso wichtiger sei es, die Men-schen vom Nutzen der Wälder und Bäume zu überzeugen und sie an den Projekten zu beteili-gen. „Man darf die Wiederbewal-dung nicht als weiteres Nachhal-tigkeitsziel begreifen, sondern als Mittel, um andere Ziele zu errei-chen“, meint Ndunda.

Die Nachbarn von Rapha-el Odwaro und Hagai Mbago in Homabay kämpfen derzeit wie viele Menschen im östlichen Af-rika mit den Auswirkungen einer anhaltenden Dürre. Das erschwert auch Projekte zur Wiederbewal-dung. Weil das Gras knapp wird, bleibt manchen Bauern nichts an-deres übrig, als ihr Vieh auf Flä-chen weiden zu lassen, wo eigent-lich gut geschützt junge Bäume wachsen sollten. Wenn sich mit dem Klimawandel die Dürren in Ostafrika häufen, könnte das manche Fortschritte ausbremsen. Die Wiederbewaldung ist auch ein Wettlauf gegen die Zeit.

Sebastian Drescher ist freier Journalist in Frankfurt am Main und online-Redakteur bei

. Der beitrag ist mithilfe einer Pressereise von „Aktion Deutschland hilft“ entstanden, der auch World Vision angehört.

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journal berlin

berlin

Deutschland erreicht das 0,7-Prozent-Ziel – mit FlüchtlingshilfeDie Entwicklungshilfe vernachlässigt erneut ärmste Länder

Mehr Geld als je zuvor: Die offizi-elle entwicklungshilfe (ODA) ist im vergangenen Jahr auf einen neuen Höchststand gestiegen. Das liegt vor allem an den höheren Aufwen-dungen für die Versorgung von Flüchtlingen.

Laut den vorläufigen Zahlen der Organisation für wirtschaftli-che Zusammenarbeit und Ent-wicklung (OECD) lag die ODA al-ler OECD-Länder im vergangenen Jahr bei 142,6 Milliarden US-Dol-lar. Inflationsbereinigt und unter Einbeziehung von Wechselkurs-schwankungen entspricht das ei-ner Zunahme von knapp neun Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Deutschland zählt zu den 22 Mitgliedern des OECD-Entwick-lungsausschusses, die ihre Ent-wicklungshilfe im vergangenen Jahr gesteigert haben – und zwar um ein gutes Drittel, wie das Ent-wicklungsministerium (BMZ) mitteilte. Bund, Länder und Kom-munen hätten im vergangenen Jahr mehr als 22 Milliarden Euro (24,67 Milliarden US-Dollar) in die Entwicklungszusammenarbeit investiert. Damit sei es erstmals gelungen, dafür 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens zur Verfügung zu stellen.

Allerdings ist dafür die An-rechnung von Versorgungskosten für Geflüchtete in Deutschland verantwortlich: Die Ausgaben da-für haben sich verdoppelt. Sonst wäre die Schwelle erneut verfehlt worden und läge lediglich bei 0,52 Prozent. Deutschland ist nach den USA der zweitgrößte Entwick-lungspartner vor Großbritannien, Japan und Frankreich.

Entwicklungsminister Gerd Müller erklärte, das 0,7-Prozent-Ziel müsse in absehbarer Zeit auch „ohne Flüchtlingszahlen, wie wir sie jetzt in Deutschland zu bewältigen haben“, erreicht werden. Jeder Euro der Entwick-lungszusammenarbeit vor Ort schaffe Bleibeperspektiven und

erziele vor Ort ein Vielfaches an Wirkung. Der Verband Entwick-lungspolitik und Humanitäre Hil-fe (Venro) sprach von einem „Re-chenschwindel“. Deutschland bleibe der größte Empfänger der eigenen Entwicklungsausgaben, erklärte der Venro-Vorsitzende Bernd Bornhorst. Die Aufwen-dungen für die Flüchtlinge trü-gen nicht zur Entwicklung armer Länder bei.

Auch bei anderen Gebern spiegelt der Anstieg der Entwick-lungshilfe teilweise die höheren Aufwendungen für die Versor-gung von Flüchtlingen wider, die auf die ODA angerechnet werden

dürfen. Der Anteil dieser Kosten am Gesamtvolumen stieg laut OECD von 9,2 auf 10,8 Prozent. Die Geber handhaben die An-rechnung höchst unterschiedlich: In elf Ländern lag der Anteil der Flüchtlingskosten an der Entwick-lungshilfe bei über zehn Prozent, in vier sogar bei einem Fünftel.

Wie aus den OECD-Zahlen hervorgeht, ist der Beitrag der OECD-Mitglieder zu internati-onalen Organisationen um fast zehn Prozent gestiegen, die Aus-gaben für humanitäre Hilfe nah-men um acht Prozent zu. Sie machten nicht zuletzt wegen des Syrien-Konflikts und weiteren

Krisen rund ein Fünftel der ODA aus. Gesunken ist 2016 hingegen die Unterstützung für die am we-nigsten entwickelten Länder, und zwar um 3,9 Prozent auf 24 Milli-arden US-Dollar. OECD-General-sekretär Ángel Gurría bedauerte den Trend. „Es ist unannehmbar, dass Hilfe für die ämsten Länder erneut rückläufig ist“, erklärte er. Signale einiger Mitgliedsländer im Blick auf ihr künftiges Enga-gement gäben noch mehr Anlass zur Sorge. Es sei an der Zeit, die Versprechen an die ärmsten Län-der einzulösen. Sie sind zu rund zwei Dritteln von Entwicklungs-hilfe abhängig. Marina Zapf

Deutsche Hilfsorganisationen erwarten von der bundes-regierung, die Schulbildung in Krisen und Konflikten stär-ker zu fördern. Die Mitglieder der Globalen bildungskam-pagne empfehlen, aus den Haushaltstöpfen für not- und Übergangshilfe mindestens acht Prozent für bildung zu re-servieren.

Die Organisationen – darunter Plan, Unicef, Oxfam und Welt-hungerhilfe – haben das deutsche Engagement in dem Bericht „Bil-dung darf nicht warten“ analy-siert. Es sei bislang schwer nach-zuvollziehen, in welchem Um-fang Bildung von Kindern und Ju-gendlichen in humanitärer Not überhaupt unterstützt wird. Zwar werde allmählich eine größere Notwendigkeit erkannt, dies sei jedoch „sehr eng an die Fluchtbe-wegungen aus Syrien angebun-den“, heißt es in dem Bericht.

Erst im April versprach Deutschland für 2017 weitere 800 Millionen Euro für mehr Schulbe-suche von syrischen Flüchtlings-kindern, die Ausbildung von Ju-gendlichen und Jobs für Erwach-sene, ohne jedoch weiter zu dif-ferenzieren. Einen Beleg für eine allgemeine Aufwertung der Bil-dung in Krisensituationen sieht das Bündnis nicht. Die Europä-ische Union (EU) hat ab 2017 be-

berlin

lernen trotz Krieg und KrisenHilfsorganisationen fordern mehr Bildung in der humanitären Hilfe

Mangelware bildung: in Malatya/Türkei unterrichtet eine selbst geflohene lehrerin syrische Flüchtlingskinder.

AnAdolu Agency/getty imAges

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berlin | brüssel journal

brÜSSel

noch kein Konsens zum neuen KonsensBrüssel feilt an den Leitlinien für die Entwicklungspolitik der EU

Mit einer gemeinsamen erklärung von Ministerrat, Kommission und Parlament will die eU ihre entwick-lungspolitik bis zum Jahr 2030 neu aufstellen. Doch das eU-Parlament hat einiges zu mäkeln am entwurf der eU-Kommission.

Begrüßt haben das Parlament, EU-Regierungen und auch eini-ge nichtstaatliche Organisatio-nen, dass die Kommission ihren Entwurf für einen neuen „Euro-päischen Konsens über die Ent-wicklungspolitik“ an den sieb-zehn Nachhaltigkeitszielen (SDG) der UN ausrichtet. Das Papier ent-hält 99 Punkte zur globalen Ent-wicklung, die die EU in ihrem aus-wärtigen Handeln fördern soll. Die Liste umfasst so gut wie alles – von Gesundheitsversorgung über Ernährungssicherheit, Bildung und städtische Entwicklung bis zu Migration und Regierungsfüh-

rung. Der neue Konsens soll den bisherigen European Consensus aus dem Jahr 2005 ablösen.

Das EU-Parlament hat im Fe-bruar nach ausführlichen Diskus-sionen in den Ausschüssen und im Plenum eine ebenso umfang-reiche Stellungnahme abgegeben, die den Ansatz der Kommission generell gutheißt, aber in einigen Punkten deutlich andere Positi-onen einnimmt. So besteht das Parlament darauf, dass die Defini-tion für öffentliche Entwicklungs-hilfe nicht über die in der OECD vereinbarten Kriterien ausgewei-tet wird, insbesondere nicht auf sicherheitspolitische Aufgaben; genau das ist jedoch in der Kom-missionsvorlage in allerlei nebli-gen Formulierungen angelegt.

Die von der Kommission an verschiedenen Stellen befürwor-tete Mischfinanzierung, bei der öffentliches und privates Kapital

gemischt wird (Blending), lehnt das Parlament zwar nicht grund-sätzlich ab. Es fordert aber stren-ge Kriterien zur Transparanz für derartige teils mit öffentli-chen Mitteln geförderte Projek-te der Privatwirtschaft. Ohnehin will das Parlament, dass die Öf-fentlichkeit deutlich mehr Ein-sicht in die Geschäftspraktiken international tätiger Unterneh-men einschließlich Banken er-hält, um etwa illegalen Methoden der Steuervermeidung auf die Spur zu kommen. Bei Geschäften ab einer Mindestgröße müssten Unternehmen verpflichtet wer-den, sämtliche Finanztransfers offenzulegen – und zwar geson-dert für jedes Land, in dem sie tä-tig sind. Zu vage findet das Parla-ment auch die Zielvorgaben für Menschen- und besonders für So-zialrechte im Entwurf der Kom-mission.

Ausführlich erwähnt das Par-lament in seiner Position die Be-deutung öffentlicher Güter, wo-mit sowohl Naturressourcen wie Wälder als auch staatliche Diens-te wie Bildung oder Wasserversor-gung gemeint sind. Deren Erhalt sei zu schützen. Die Kommissi-on bezeichnet solche Güter in ih-rem Entwurf zwar als „gefährdet“, spricht sich aber nicht grundsätz-lich gegen eine Privatisierung aus. Sie plädiert lediglich für eine „ge-rechte Verteilung“ der Einnah-men aus ihrer Verwertung. In den Ausschüssen des Parlaments wurde darüber kontrovers disku-tiert; Kritiker sehen die Gefahr einer Kommerzialisierung nicht nur von Bodenschätzen, sondern auch von Wasserversorgung so-wie Bildungs- und Gesundheits-einrichtungen.

In manchen Punkten ist die Kommissionsvorlage ebenso un-

reits vier Prozent ihres humani-tären Hilfsbudgets für Bildungs-aufgaben zugesagt, Norwegen sogar doppelt so viel. Die globa-le Bildungskampagne sieht nun auch Deutschland am Zug, aus den Erkenntnissen des humani-tären Weltgipfels von Istanbul im vergangenen Sommer Konse-quenzen zu ziehen. Dabei gehe es auch darum, humanitäre Hil-fe „aus einer Hand“ zu leisten. Die Bundesregierung müsse die Not- und Übergangshilfe zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Entwicklungsministerium (BMZ) besser abstimmen.

Fehlende Koordinierung verursacht bildungslückenBislang würden Bildungsaufga-ben überwiegend im BMZ veror-tet, eine engmaschige Koordinie-rung der Ressorts werde nicht „als zwingend notwendig angesehen“, wird in dem Bericht kritisiert. Folglich werde der Bildungsbe-

darf in Krisen „nicht angemessen wahrgenommen“. Da jedoch hu-manitäre Hilfe, die vom Auswär-tigen Amt geleistet wird, in Not-lagen zeitlich früher einsetze als Übergangshilfe, könne gerade sie längere Bildungslücken vermei-den helfen.

In 35 von Konflikten betroffe-nen Ländern haben laut dem Be-richt 75 Millionen drei- bis 18-Jäh-rige keine oder nur mangelhaf-te Bildungschancen, darunter 17 Millionen Geflüchtete und intern Vertriebene. Der Gipfel von Is-tanbul begründete daher die In-itiative „Education Cannot Wait“, die globale Bildungsakteure zu-sammenführen und koordinierte Hilfsansätze aufzeigen soll. Ber-lin hat Unterstützung zugesagt, sieht aber noch Klärungsbedarf, was Mandat, Funktionsweise und Mehrwert betrifft.

Dagegen fordern die Autoren des Berichts, die Regierung könn-te beispielsweise die Handlungs-

fähigkeit der Global Partnership for Education (GPE) stärken, die wegen ihrer weltweiten Tätigkeit als möglicher Manager der Initia-tive gehandelt wird. Die Angebo-te vor Ort sollten möglichst von einheimischen Akteuren verant-wortet werden, um Parallelstruk-turen zu vermeiden.

Unicef bleibt, wenn andere gehenGPE-Direktorin Alice Albright hatte vor kurzem in Berlin darge-legt, wie ihr Netzwerk in mehr als 60 Ländern in enger Kooperati-on mit Regierungsvertretern Bil-dungssysteme aufbaut. Zuneh-mend konzentriere sich das auf die ärmsten und fragilen Staa-ten. Wo Bildungsstrukturen auf-grund von Konflikten zusam-mengebrochen sind, finanzie-re die GPE oft die Kinderhilfsor-ganisation Unicef. „Die bleiben meist, wenn andere gehen“, sagte Albright. So werde etwa versucht,

im Jemen oder der Zentralafrika-nischen Republik Bildung am Le-ben zu erhalten. Der Tschad wer-de dabei unterstützt, nigeriani-sche Flüchtlingskinder zu unter-richten, nachdem die Regierung bei anderen Organisationen ver-geblich um Hilfe gebeten habe.

Laut Bericht besucht nur je-des zweite geflüchtete Kind welt-weit eine Grundschule und jeder vierte Jugendliche eine Sekun-darschulstufe. Auch gebe es gro-ße Unterschiede. So würden in manchen Flüchtlingscamps in Ägypten, Iran und Jemen durch-schnittlich acht von zehn Kin-dern eingeschult, aber nur vier von zehn in Pakistan. Auch Na-turkatastrophen wie in Nepal wir-ken sich verheerend aus. Das UN-Büro für Disaster Risk Reduction hat 2012 errechnet, dass Katastro-phen den Schulbesuch von rund 175 Millionen Kindern jährlich be-einträchtigen. (Siehe auch „Auf-gelesen“ S. 31.) Marina Zapf

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Journal BRÜSSEL

BRüSSEL

Ein Sprung ins ungewisseFür die Entwicklungspolitik nach dem britischen EU-Austritt fehlt ein Konzept

Mit dem Brexit, dem Ausscheiden Großbritanniens aus der Europä-ischen union, wird rund ein Sieb-tel des Eu-Haushalts für Entwick-lung und für auswärtiges Handeln wegfallen. Das ist aber das Einzige, was sich berechnen lässt – selbst das Datum, ab wann dies eintritt, ist offen.

Nachdem die britische Regie-rung am 29. März offiziell ihre Absicht erklärt hat, aus der EU auszutreten, sollen gemäß den EU-Verträgen in einem Zeitraum von zwei Jahren die Einzelhei-ten ausgehandelt werden. Da-bei geht es um über 20.000 EU-Regeln, in die Großbritannien eingebunden ist. Für viele ist es

auch finanzielle Verpflichtungen eingegangen.

Schwierig ist die Anpassung der über tausend bilateralen und multilateralen Verträge der EU mit anderen Ländern. Durch den Brexit ändern sich ihr Geltungs-bereich und der europäische Ver-tragspartner. Ein Teil dieser Ver-träge betrifft nur den Außenhan-del oder Zölle, für die allein die EU zuständig ist. Hier reicht es, wenn die EU den Drittstaaten mitteilt, dass die Verträge künftig nicht mehr für Großbritannien gelten. Allerdings besteht das Risiko, dass Drittländer nicht einverstanden sind und neu verhandeln wol-len; dafür wäre dann Brüssel zu-ständig.

Noch komplizierter sind Ver-träge, die auch Bestimmungen zu Politikfeldern mit „gemischter Zu-ständigkeit“ enthalten, zum Bei-spiel zu Fischerei. In solchen Fäl-len entscheidet die EU nur ge-meinsam mit den Mitgliedstaaten. Hierzu gehören Assoziationsver-träge, darunter so wichtige wie mit Mexiko und mit der Gruppe afri-kanischer, karibischer und pazifi-scher Staaten (AKP-Staaten), sowie die Wirtschaftspartnerschafts-Ab-kommen (EPAs) mit Gruppen von afrikanischen Staaten. Werden sol-che Verträge infolge des Brexit ge-ändert, dann müssen die Regie-rungen und viele Parlamente der EU-Mitgliedsländer ebenfalls dem Ergebnis zustimmen.

Direkt betroffen sind die AKP-Länder: Der Europäische Entwick-lungsfonds (EEF), aus dem die Entwicklungszusammenarbeit fi-nanziert wird, beruht auf einer Vereinbarung zwischen den Re-gierungen der EU-Länder. Und der Rahmen der Zusammenar-beit mit den AKP-Ländern, der Vertrag von Cotonou, läuft 2020 aus; die ohnehin stockende Neu-verhandlung ist wegen der Un-wägbarkeiten des Brexit seit Ende 2016 vollends blockiert.

Wird London seine Hilfe weiter mit Brüssel abstimmen?Für die Ausgestaltung des Brexit ist bisher weder in London noch in Brüssel ein klares Konzept zu

strittig wie unzureichend. In Punkt 27 heißt es etwa unter an-derem: Die EU werde die ärmsten Gemeinschaften dabei unterstüt-zen, den „allgemeinen Zugang“ zu Land und Nahrungsmitteln verbessern.

Das ist ein allseits anerkann-ter Vorsatz, der dann wohl auch in der fertigen Erklärung zu le-sen sein wird. Was das in der Pra-xis heißt, erklärt das Parlament in seiner Resolution: Die EU sol-le nicht weiter eine großflächi-ge, über Fremdkapital finanzier-te Agrarproduktion in Entwick-lungsländern fördern. Die da-mit einhergehende Verdrängung kleinbäuerlicher Betriebe müsse verhindert werden.

Die Agrarpolitik ist nur eines von vielen Beispielen, das die Ver-einbarkeit verschiedener Politik-bereiche der EU berührt und zu denen die Positionen in und zwi-schen den EU-Instanzen oft weit auseinanderliegen. Das macht es nicht einfach, den Text der beab-sichtigten gemeinsamen Erklä-rung wie geplant bis zur Juni-Ta-gung der EU-Chefs auszuhandeln.

Heimo Claasen

Eu-Konsens: Stimmen aus BerlinMathias Mogge, Vorstandsmitglied beim NGO-Verband Entwicklungspolitik Venro:

„Der Vorschlag der Kommission ent-hält zahlreiche Verbesserungen wie etwa die Anpassungen an die Agenda 2030 und den Hinweis auf das Klimaschutzabkom-mens von Paris. Anderseits formuliert der Vorschlag keine wirklich visionäre Ent-wicklungspolitik, die die strukturellen Hindernisse für nachhaltige Entwicklung überwinden kann. Zudem wird kaum die Bedeutung der Zivilgesellschaft für Ent-wicklung, Demokratie und Rechtsstaat-lichkeit anerkannt.“

Niema Movassat, Obmann der Linken-Frakti-on im Bundestagsausschuss für Wirtschaftli-che Zusammenarbeit und Entwicklung:

„Die Linke lehnt die weitere Verknüp-fung von Entwicklungspolitik mit huma-nitärer Hilfe, Sicherheits- und Migrations-politik ab. Der sogenannte ,vernetzte An-satz‘ hat nichts mit Entwicklungspolitik, sondern nur noch mit Sicherheitspolitik zu tun. Im Fokus der Entwicklungszusam-menarbeit müsste stattdessen die lang-fristige Verbesserung der sozialen Situa-tion der Bevölkerung stehen, aber davon

ist im Europäischen Entwicklungskonsens nicht die Rede.“

uwe Kekeritz, Sprecher für Entwicklungspo-litik von Bündnis 90 / Die Grünen:

„Die Bundesregierung muss sich da-für einsetzen, dass die Politikkohärenz für Entwicklung das zentrale Leitbild des EU-Konsenses bleibt. Entwicklungsgelder dür-fen nicht für innenpolitische Zwecke miss-braucht werden. Doch genau das trägt die Bundesregierung mit. Alle Zeichen stehen auf Flüchtlingsabwehr.“

Stefan Rebmann, Sprecher der Arbeitsgrup-pe wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung der SPD-Bundestagsfraktion:

„Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt die Orientierung des neuen EU-Konsenses an der Agenda 2030. Dabei soll der Kampf gegen Armut und Ungleichheit weiter im Mittelpunkt stehen. Wir wollen, dass bei privaten Investitionen die internatio-nal anerkannten Sozial-, Menschenrechts- und Umweltstandards eingehalten wer-den müssen. Private Investitionen müssen sich an den von den Partnerländern fest-gelegten Bedürfnissen orientieren.“

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erkennen. Das gilt auch für die Entwicklungszusammenarbeit. Soll zum Beispiel die britische Hilfe weiterhin mit dem EEF ab-gestimmt werden? Die Londoner Entwicklungsministerin Priti Pa-tel hat immerhin erklärt, dass die britische Hilfe mehr auf „kleine lokale“ Entwicklungsorganisatio-nen ausgerichtet werden soll; das ist eine Absage an die „zentralis-tische“ Entwicklungszusammen-arbeit der EU, aber auch an gro-ße in Großbritannien verankerte Hilfsorganisationen wie Oxfam oder Save the Children. Gleich-zeitig sind sehr konservative Mit-glieder der Regierung darauf aus, den Anteil der Entwicklungshilfe am britischen Haushalt zu sen-ken und Mittel aus diesem Topf für den Einsatz in Osteuropa um-zuwidmen.

Die übrigen EU-Länder sind uneins, wie sie auf den Ausfall der britischen Beiträge zum Eu-

ropäischen Entwicklungsfonds und zum Haushalt für Außenbe-ziehungen reagieren sollen. Die skandinavischen Regierungen, Deutschland und die Niederlan-de neigen dazu, den Verlust durch eine Umlage unter den restlichen EU-Staaten auszugleichen. Von osteuropäischen EU-Ländern – voran Polen und Ungarn – ist dar-an Kritik zu hören.

Zu leiden unter den EU-Que-relen haben schon jetzt einige Hilfswerke. Seit dem Brexit-Re-ferendum im Juni letzten Jahres hängen Projekt-Entscheidungen in der Luft, berichtete der Bran-chendienst „devex“ – das heißt die Bewilligung von neuen Ent-wicklungsprojekten von NGOs verzögert sich. Da spielt frei-lich auch eine Rolle, dass die EU-Kommission bremst, solange die Diskussionen über einen neuen

„Konsens für Entwicklung“ in der EU noch laufen. Heimo Claasen

BRÜSSEL | SCHWEIZ Journal

SCHWEIZ

Rohstoff firmen im Aufwind?Zweifel an den Angaben eines neuen Instituts zur Bedeutung der Branche

Die Schweiz dominiert ein Drit-tel des weltweiten Rohstoffhan-dels. Eine branchennahe Studie will Licht in den undurchsichtigen Sektor bringen. Zivilgesellschaftli-che Organisationen kritisieren sie als Lobbying-Instrument.

Von den zehn umsatzstärksten Schweizer Konzernen handeln nicht weniger als sieben mit Roh-stoffen, etwa mit Getreide oder Erdöl. Nun hat das im vergan-genen Herbst an der Universität Genf eröffnete Rohstoffinstitut (Swiss Research Institute on Com-modities) eine erste Studie über den Wirtschaftszweig mit zweifel-haftem Ruf veröffentlicht – und sogleich heftige Kritik geerntet, etwa von der nichtstaatlichen Or-ganisation Public Eye.

Die Studie kommt unter an-derem zum Schluss, dass der Rohstoffhandel mehr als 36.000 Menschen beschäftige – das wä-

ren dreieinhalb Mal so viele wie die Schweizer Regierung in ih-rem Rohstoffbericht aus dem Jahr 2013 ermittelt. Die Liste der von der Studie erfassten Firmen ist nicht öffentlich, die Zahl lässt sich somit nicht überprüfen. Public Eye geht davon aus, dass die Stu-die auch das Personal von Banken mit Rohstoffhandelsabteilungen sowie von Reedereien und ande-ren Service-Branchen berücksich-tigt hat.

Der Bericht sei in erster Li-nie ein Lobbying-Instrument der Branchenvereinigung STSA (Swiss Trading and Shipping As-sociation), „mit dem Ziel, die Be-deutung der Boom-Branche für den Wirtschaftsstandort Schweiz zu überhöhen“, kritisiert Public Eye. Die STSA gehört neben der Universität Genf, der Kantonsre-gierung, dem International Trade Center und der Entwicklungsor-ganisation swisscontact zu den

Gründungsmitgliedern des Roh-stoffinstituts.

Die zitierten Wachstumsraten sind nicht nachvollziehbarAuch Lorenz Kummer, Rohstoff-experte beim Schweizer Hilfswerk Swissaid, hält das von der Studie ausgewiesene Wachstum beim Personal in den letzten vier Jah-ren für unmöglich. Wie Public Eye bemängelt er, dass die Ergebnis-se aufgrund der Geheimhaltung der Rohdaten nicht nachvollzieh-bar sind. Zudem fehle der Studie jegliche Aussagekraft, da nur gut zwölf Prozent der vom Rohstoff-institut angeschriebenen Unter-nehmen die Fragebögen ausge-füllt und an die Studienleiter zu-rückgeschickt hätten.

Die Studie wurde kurz vor dem Rohstoffgipfel Ende März in Lausanne veröffentlicht; die bri-tische Wirtschaftszeitung „Finan-cial Times“ organisiert das zwei-

tägige Treffen seit einigen Jahren. Thema dieses Jahr waren nicht etwa die Risiken des Rohstoffhan-dels wie zum Beispiel Korruption oder Umweltschäden. Vielmehr ging es um sein lukratives Come-back: Seit 2016 fließt wieder Geld in Rohstoffanlagen, nachdem die Preise nach der Finanz- und Wirt-schaftskrise in den Jahren nach 2008 zerfallen waren. Optimis-tisch stimmt die Branche auch der neue US-Präsident Donald Trump, der auf fossile Rohstoffe wie Kohle und Öl setzt.

Wie jedes Jahr während des Gipfels zogen Demonstranten durch die Stadt am Genfer See.

„Stoppt die Plünderei“, verlangten sie und kritisierten die Schweiz wegen ihrer Gastfreundschaft gegenüber den multinationalen Rohstoffhandelsfirmen. Deren Steuerprivilegien müssten abge-schafft werden, forderten sie.

Kathrin Ammann

Noch auf der Suche nach einem Plan: Außenminister Boris Johnson und Entwicklungsministerin Priti Patel.

bLooMbERg FInAnCE/gEtty IMAgEs

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journal schweiz

ScHweiZ

„Tröpfchen auf einen sehr heißen Stein“Die Schweiz weitet Pilotprojekt für faires Gold aus Kleinminen aus

Mit der better Gold initiative will die Schweiz – größte Drehscheibe im weltweiten Goldhandel – die Situation im Kleinbergbau in Peru und bald auch in Kolumbien und bolivien verbessern. nichtstaat-lichen Organisationen geht das nicht weit genug.

Das Staatssekretariat für Wirt-schaft (SECO) und die Schwei-zer Goldbranche weitet die Bet-ter Gold Initiative auf Kolumbien und Bolivien aus. Die öffentlich-private Partnerschaft unterstützt seit 2003 kleine Minen und Berg-baukooperativen bei der Zertifi-zierung und galt bislang nur für Peru. Ziel sei es, die Zustände im Kleinbergbau zu verbessern, wo Gold oft unter gefährlichen, ge-sundheits- und umweltschäd-lichen Bedingungen abgebaut wird. In Bolivien arbeiten laut SECO rund 100.000 Goldgräber in Kleinbetrieben, in Peru und Ko-lumbien je rund 150.000. Für vie-le Gemeinden sei das oft die einzi-ge Einnahmequelle.

Mit der Zertifizierung profi-tieren die Kleinminen von Um-welt- und Sozialprojekten. Finan-ziert werden diese mit Hilfe eines Fonds, in den die Schweizer Ab-nehmer des Goldes pro Gramm Gold einen US-Dollar einzahlen. Bislang wurde rund eine Tonne Rohgold aus zertifizierten Minen in Peru in die Schweiz eingeführt, wie es Ende März auf einer Presse-konferenz hieß.

Das Projekt wird nun auf Boli-vien und Kolumbien ausgedehnt. Die Verantwortlichen gehen mit-telfristig von einer Importmen-ge von fünf bis zehn Tonnen aus

– eine verschwindend geringe Menge im Vergleich zu den insge-samt rund 2700 Tonnen Gold, die allein im vergangenen Jahr in die Schweiz importiert wurden. Das SECO zieht trotzdem eine positi-ve Zwischenbilanz. Auch bei Fair-trade-Schokolade oder –Kaffee seien die Mengen anfangs klein

gewesen, sagte SECO-Projektlei-ter Ivo Germann der Schweizer

„SonntagsZeitung“. „Wir wollen et-was in Gang bringen.“ Das Verbes-serungspotenzial sei allein wegen der hohen Zahl an betroffenen Arbeitern im Kleinbergbau riesig.

Menschenrechtler fordern verbindliche MaßnahmenDie Schweiz dürfe sich nicht mit einem „Tröpfchen auf einen sehr heißen Stein“ zufrieden geben, kritisierte hingegen die Gesell-schaft für bedrohte Völker (GfbV), die 2011 die Kampagne „No Dir-ty Gold“ lanciert hatte. Zwar be-grüßte die GfbV die Unterstüt-zung von Kooperativen, die das Gold in verantwortungsvoller Weise abbauen wollen. Die Better Gold Initiative sei aber kein Inst-rument, um die Probleme bei der Produktion von und dem Han-del mit Gold zu lösen. „Sie ver-hindert nämlich nicht den Im-port von Gold aus illegalen Quel-len und von Produzenten, die in Menschenrechtsverletzungen in-volviert sind oder große Umwelt-schäden verursachen“, erklärte die GfbV in einer Stellungnahme zum jüngsten Ausbauschritt der Initiative.

Die Menschenrechtsorgani-sation forderte verbindlichere

Maßnahmen. So sollen die Schweizer Raffinerien verpflich-tet werden, ihre Goldproduzen-ten und Goldlieferanten offenzu-legen sowie sich einer „rigorosen und transparenten“ Sorgfalts-prüfung zu stellen. Laut Berech-nungen der GfbV wird mindes-tens ein Drittel des gesamten Goldes, das weltweit in den Mi-nen gewonnen wird, in einer Schweizer Raffinerie verarbeitet.

Vier der sieben weltweit größten Raffinerien stehen auf Schwei-zer Boden. Sie gehören zu den Gründungsmitgliedern der Bet-ter Gold Initiative: Argor-Herae-us, Pamp und Valcambi im Tes-sin sowie Metalor in Neuenburg. Letztere geriet 2015 in die Schlag-zeilen, weil sie laut GfbV auch il-legal geschürftes Gold aus Peru verarbeitet haben soll.

Theodora Peter

150.000 Goldgräber arbeiten in peruanischen Klein-betrieben; hier eine Mine in der nähe von cusco.

Peru ist weltweit der fünftgrößte Goldproduzent.kAdir vAn lohuizen/noor/lAif

ScHweiZ - KUrZ nOTierT

nach mehreren Jahrzehnten beendet die Schweiz in diesem Jahr ihre entwicklungshil-fe für bhutan. Zuletzt hat die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) das Königreich bei der Schaffung transpa-renter und demokratischer Entscheidungs-mechanismen unterstützt. Hierfür inves-tierte die DEZA im Verlauf von rund zehn Jahren über 20 Millionen Franken (gut 18,7 Millionen Euro). Damit wurden unter ande-rem die Transparenz von Behörden und die Bürgerbeteiligung gefördert. „Bhutan dürf-te heute in der Lage sein, die Demokratisie-rung des Landes auf der Basis der bisheri-

gen Errungenschaften zu konsolidieren“, teilt das Außendepartement in Bern mit. Und: Die lokalen Behörden und die Bevölkerung des Landes hätten eine „positive Bilanz“ ge-zogen und seien der Schweiz für die bisheri-ge Unterstützung dankbar. Vor der Einfüh-rung einer neuen Verfassung und der ers-ten allgemeinen Wahlen in den Jahren 2007 und 2008 hatte die DEZA verschiedene Pro-gramme zur ländlichen Entwicklung finan-ziert, umgesetzt von der Schweizer Hilfsor-ganisation Helvetas. Begonnen hatte die Zu-sammenarbeit der beiden Länder Mitte der 1960er-Jahre. (kam)

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57ÖSTERREICH | KIRCHE UND ÖKUMENE Journal

öStERREICH

Vom PR-Blatt zur FachzeitschriftMachen die „Weltnachrichten“ dem „Südwind Magazin“ Konkurrenz?

Das Magazin der staatlichen öster-reichischen Entwicklungsagentur (ADA) hat mit der ersten Ausgabe in diesem Jahr seinen umfang von 16 auf 36 Seiten mehr als verdop-pelt und seine Inhalte verbreitert. Was steckt dahinter?

Offenbar wird ein Wandel vom PR-Blatt der ADA zu einer Fach-zeitschrift angestrebt – ein Edi-torial, das die Veränderungen er-klärt, sucht man vergebens. In der Redaktion des „Südwind Ma-gazins“, dem die ADA im vergan-genen Oktober ohne Vorwar-nung die seit 37 Jahren gezahlten Zuschüsse gestrichen hat, wun-dert man sich nicht. Das um sein Überleben kämpfende Fachma-gazin solle ersetzt werden, so die Vermutung. „Ich denke, dass das von Anfang an so geplant war“, sagt eine Mitarbeiterin.

Der Öffentlichkeitsreferent der ADA, Georg Keri, weist das em-

pört zurück: „Einen Zusammen-hang zu konstruieren wäre völ-lig aus der Luft gegriffen.“ Denn schließlich handle es sich um

„zwei unterschiedliche Paar Schu-he“. Das „Südwind Magazin“ war aus dem Topf für politische Bil-dung finanziert worden, die „Welt-nachrichten“ seien eine Publikati-on der Öffentlichkeitsarbeit. Ihre Produktion wurde schon vor Jah-ren an die PR-Agentur Grayling ausgelagert, die unter anderen auch die Österreichische Bundes-bahn, die Fluggesellschaft Emira-tes und Costa Kreuzfahrten berät.

Dennoch fällt es vielen schwer, an Zufälle zu glauben. Dem „Süd-wind Magazin“ ist es mit einer en-gagierten Werbekampagne ge-lungen, in kürzester Zeit mehr als 800 neue Abonnenten zu ge-winnen und damit die fünf Aus-gaben bis zur Jahresmitte zu si-chern. Doch dann ist die Zukunft ungewiss. Politische Interventio-

nen seitens der Grünen und der SPÖ blieben erfolglos. Außenmi-nister Sebastian Kurz zeigte sich von deren Fürsprache unbeein-druckt. Jeder Euro Entwicklungs-hilfe sei in Ländern des globalen Südens besser aufgehoben als in Projekten in Österreich.

Außerdem habe das Maga-zin bekanntgegeben, dass es auf-grund seines Erfolges auch ohne finanzielle Unterstützung beste-hen könne. Dem „Südwind Ma-gazin“ wird vorgeworfen, dass es durch den Verkauf eine wirt-schaftliche Tätigkeit entfalte. Da-her müsse es wie ein Unterneh-men behandelt werden – und ein Unternehmen, das Subventi-onen erhält, verzerre den Markt. Die „Weltnachrichten“ hingegen werden gratis verteilt. So können sie auch eine Auflage von 40.000 Stück in Umlauf bringen: ein Viel-faches dessen, was das „Südwind Magazin“ verkauft. Die Redakti-

on der „Weltnachrichten“, die bis-her aus einer Vollzeitbeschäftig-ten bestand, wurde jetzt um eine halbe Stelle aufgestockt.

Um das professionell ge-machte „Südwind Magazin“ er-setzen zu können, müssten die

„Weltnachrichten“ nach Ansicht von Journalisten und Entwick-lungsexperten ohnehin noch ei-nen weiten Weg zurücklegen. Ein Autor berichtet, wie sein Text zu-erst von der Agentur Grayling umgeschrieben und dann von der ADA neuerlich stark bearbeitet wurde. „Mit meinem Artikel hatte das nichts mehr zu tun“, klagt er. Erst nach der Drohung, den Text zurückzuziehen, sei ein Kompro-miss gefunden worden. So gelingt es auch den erweiterten „Welt-nachrichten“ nicht, den Ruf des entwicklungspolitisches Propa-gandablattes des Außenministe-riums abzuschütteln.

Ralf Leonhard

KIRCHE uND öKuMENE

„Das ist kein Hobby des Ministers“Eine Debatte über die Rolle der Religion in der Entwicklungszusammenarbeit

Bei der Entwicklungspolitischen Konferenz der Kirchen und Werke schwärmen deutsche Staatsvertre-ter und afrikanische Priester von der heilsamen Kraft der Religion. Kritische Stimmen kommen aus den Werken.

Der Ministerialrat aus dem Ent-wicklungsministerium (BMZ) in Berlin und der katholische Priester aus Nigeria sind sich im Grundsatz einig: Ohne Religion ist eine bessere Welt nicht mög-lich. Bei Wolfram Stierle aus dem Leitungsstab des BMZ klingt das so: Religion sei ein „Werte-Sta-keholder“, und Werte seien „ent-scheidend für einen Paradigmen-

wechsel zur nachhaltigen Ent-wicklung“. Religionen seien „so-ziale Ressourcen“, sie „erhellen Zusammenhänge“ und gäben an-gesichts heutiger Informations-fluten „Orientierung in Trans-formationsdebatten“. Reverend Obiora Ike sagt dasselbe, nur et-was weniger technokratisch: Die gegenwärtige Entwicklungskri-se – also dass der reiche Teil der Menschheit deutlich über seine Verhältnis lebt – sei eine „spiritu-elle Krise“. Die Leute im Norden und Westen hätten den Glauben verloren und die übrige Welt lei-de darunter.

Die deutsche Entwicklungs-politik hat die Religion entdeckt

Gottesdienst in der evangelischen Gemeinde Jinja (uganda). In vielen Ländern des Südens prägt der

Glaube stärker das Leben als im Westen.bEttInA FLItnER/LAIF

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Journal KIRCHE UND ÖKUMENE

– endlich sagen viele. Denn der Glaube prägt in vielen Erdtei-len das Leben der Menschen und ihre Sicht auf die Welt viel stärker als im Westen. Dass man das in der Entwicklungszusammenar-beit berücksichtigen sollte, ist ei-gentlich selbstverständlich. Vor zwei Jahren haben die Verein-ten Nationen nun eine Art globa-len Entwicklungsplan vorgelegt, die Agenda 2030. Darin geht es nicht mehr nur um Entwick-lungsprojekte hier und da, son-dern darum, die ganze Welt in Richtung Nachhaltigkeit umzu-krempeln. Es geht um die „Große Transformation“, wie es im Ent-wicklungsjargon heißt. Kann die wirklich nur mit Hilfe der Religi-on gelingen? Das war das Thema der diesjährigen Entwicklungs-politischen Konferenz der Kir-chen und Werke in Haus Villigst in Schwerte.

Manchmal ein Segen, doch manchmal ein FluchDie Begeisterung, mit der BMZ-Mann Stierle dort vom Potenzi-al der Religionen sprach, sorgte bei einigen Zuhörern für Stirn-runzeln. Stierle sagte, Religio-nen seien „nicht ambivalent“ mit Blick auf Ziele wie Mitmensch-lichkeit, Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Eine kritische Nachfrage dazu lautete: Was versteht das Minis-terium überhaupt unter „Religi-on“? Ein theologisches Lehrge-bäude? Oder das, was die Men-schen im Alltag daraus machen? Zählt jedes Sinnstiftungsange-bot jeder Sekte oder Splitterkir-che als Religion? Je nachdem wie die Antwort ausfällt, könne Reli-gion sehr wohl ambivalent sein – also nicht nur hilfreich, sondern auch hinderlich auf dem Weg zu einer gerechteren und friedliche-ren Welt.

Vor allem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kirchlicher Wer-ke erinnerten in Schwerte die Ver-treter der staatlichen Entwick-lungspolitik daran, bei aller Eu-phorie diese Ambivalenz nicht aus dem Blick zu verlieren. Wer bei Brot für die Welt, Misere-or oder einem Missionswerk be-schäftigt ist, dürfte jeden Tag neu

erfahren, dass Religion manch-mal ein Segen und manchmal ein Fluch ist für die Entwicklungs-arbeit. Hier sitzen die Fachleute. Umso erstaunlicher ist, dass die Entdeckung der Religion in der deutschen Entwicklungspolitik vor allem dem Ministerium zuge-schrieben wird.

Haben die Kirchen und ihre Werke geschlafen? Nein und ja. Nein, denn schon vor zwei Jah-ren hat die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) eine Studie zu Leitbildern für eine zukunftsfä-hige Entwicklung vorgelegt. Und auch bei Brot für die Welt werde seit vielen Jahren über die Frage debattiert, sagte Thorsten Göbel, der dort das Referat für Entwick-lungspolitik und globale Fragen leitet. Allerdings ist davon we-nig nach außen gedrungen, und auch die EKD-Studie ist auf deut-lich weniger Resonanz in der Ent-

wicklungsszene gestoßen als der religiöse Schwenk des BMZ. Des-halb: Ja, man habe das Thema nicht stark genug vorangetrieben, räumte Göbel selbstkritisch ein.

„Wir brauchen euch“, ruft das Ministerium den Kirchen zuDas Ministerium wünscht sich, dass die kirchlichen Werke ihre Expertise stärker einbringen.

„Setzt euch an die Spitze der Be-wegung. Wir brauchen euch“, rief Martin Mauthe-Käter, im BMZ zu-ständig für den Arbeitsbereich Re-ligion und Entwicklung, während der abschließenden Diskussion ins Publikum. Und er bemühte sich, den am Rande der EPK im-mer wieder geäußerten Verdacht zu zerstreuen, die Religion sei nur eine neue entwicklungspoli-tische Mode und könne wieder in Vergessenheit geraten, wenn der derzeitige Entwicklungsminister

nach den Bundestagswahlen im Herbst vielleicht nicht mehr im Amt ist. Der neue Fokus sei „kein Hobby eines CSU-Ministers“, be-tonte Mauthe-Käter.

Und selbst wenn: Dass das neue Themenfeld und die damit verbundenen neuen Aufgaben und Aufträge nicht so schnell wie-der verschwinden, dafür sorgt das Entwicklungsbusiness in gewohn-ter Weise selbst. Es schafft Struk-turen und Institutionen, die sich nicht so einfach wieder abwickeln lassen. Flaggschiff für die religiö-se Wende des BMZ ist die Partner-schaft für Religion und nachhal-tige Entwicklung, angesiedelt bei der Gesellschaft für Internationa-le Zusammenarbeit. Ihr Ziel: reli-giöse Kräfte und entwicklungspo-litische Organisationen aus aller Welt zusammenbringen, um ge-meinsam die Agenda 2030 abzu-arbeiten. Tillmann Elliesen

unerwartet haben sich die katholischen Bischöfe aus den Beratungen über die Präsidentenwahl in der Demokrati-schen Republik Kongo zurückgezogen. Sie seien in ihrer Mo-deratorenrolle gescheitert, gaben sie Ende März bekannt.

Lange Zeit sah es so aus, als könn-ten die katholischen Bischöfe im Kongo erfolgreich zwischen der Regierung und der Opposition vermitteln. Als sich im Herbst vergangenen Jahres abzeichne-te, dass Präsident Joseph Kabila nach Ablauf seiner zweiten und von der Verfassung festgelegten letzten Amtszeit nicht zurücktre-ten würde, waren sie auf Drän-gen der internationalen Gemein-schaft sowie der Regierung und der Opposition in die Moderato-renrolle geschlüpft. Am Silvester-abend unterzeichneten die Par-teien ein gemeinsames Abkom-men, in dem sie sich auf Präsiden-tenwahlen bis Ende 2017 einigten. Der Prozess bis dahin hätte in den ersten Wochen dieses Jahres aus-gehandelt werden sollen.

Doch bei zwei Punkten konn-ten sie sich nicht einigen: Wie der Ministerpräsident der Übergangs-regierung, der zwingend aus dem Oppositionslager kommen muss,

KIRCHE uND öKuMENE

Nicht Kabilas Handlanger sein Die Katholische Kirche im Kongo beendet ihre Vermittlerrolle

Präsident Joseph Kabila im April kurz vor einer Rede ans Volk. Der Staatschef will eine dritte Amtszeit, obwohl die

kongolesische Verfassung das nicht zulässt.KEnny KAtoMbE/REutERs

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KIRCHE uND öKuMENE

Ist Friedensarbeit unwichtig?Pax Christi soll keine Kirchensteuermittel mehr bekommen

Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) will der katholischen Frie-densorganisation ab 2018 alle Zu-schüsse streichen. Prominente Rü-ckendeckung erhält Pax Christi aus Politik, Wissenschaft und aus der Kirche selbst.

Die Entscheidung traf die Verant-wortlichen bei Pax Christi völlig unerwartet. Kleinere Kürzungen bei den Zuschüssen aus Kirchen-steuermitteln hatten sie in den vergangen Jahren zwar immer wieder hinnehmen müssen. Die-ses Mal geht es aber um ein Fünf-tel des Gesamtbudgets, das nach dem Willen der DBK nicht mehr gezahlt werden soll. Hintergrund der Streichung ist ein allgemei-ner Konsolidierungsprozess beim Verband der Diözesen Deutsch-land (VDD), dem Rechtsträger der DBK, über den die überdiözesa-nen Aufgaben der Kirche wie Pax Christi finanziert werden.

Der VDD will sein Gesamtbud-get auf 120 Millionen Euro jähr-lich einfrieren, um gegen die pro-gnostizierten Rückgänge bei Kir-chensteuern in den kommenden Jahren gewappnet zu sein. Die Sparkommission des Verbandes hat alle bezuschussten Organisa-tionen in Kategorien von wich-tig bis unwichtig eingeteilt. Pax

Christi fiel unter die unwichtigen und soll deshalb keine Zuschüsse mehr erhalten. „Das ist für uns der Super-Gau“, sagt die ehrenamtli-che Bundesvorsitzende, Wiltrud Rösch-Metzler.

Die deutsche Sektion der in-ternationalen katholischen Frie-densbewegung ist Teil eines welt-weiten Netzwerks, das sich für Frieden und Menschenrechte einsetzt. In Deutschland hat Pax Christi rund 5000 Mitglieder und finanziert sich zu 80 Prozent aus Spenden und Mitgliedsbeiträ-gen. 20 Prozent beziehungswei-se 60.000 Euro kamen bisher aus Kirchensteuermitteln über den VDD. „Wir werden es kaum schaf-fen, diesen Anteil durch Spenden oder Mitgliedsbeiträge auszuglei-chen“, sagt Rösch-Metzler.

Eine Begründung, warum Pax Christi als unwichtig eingestuft wurde, ist der VDD bisher schul-dig geblieben. Auch ist nicht be-kannt, welche Organisationen noch in diese Kategorie fallen. Pa-radoxerweise kommt die Strei-chung in Zeiten, in denen die Kir-chensteuermittel steigen. Jähr-lich liegt das Gesamtvolumen in der katholischen Kirche bei 6,3 Milliarden Euro.

Derweil erhält Pax Christi pro-minente Rückendeckung aus Poli-

tik, Wissenschaft und aus der ka-tholischen Kirche selbst. Der Ful-daer Bischof Heinz Josef Algermis-sen, Präsident von Pax Christi, hat beim VDD Einspruch gegen die Kürzungen erhoben. Auch die Ka-tholische Arbeitsgemeinschaft für Sozialethik, der Mitbegründer der deutschen Sektion der Organisa-tion Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs, Ulrich Gottstein, der ehemalige Bundes-tagspräsident Wolfgang Thierse sowie der Grünen-Politiker Win-fried Nachtwei und die men-

schenrechtspolitische Spreche-rin der Linken Annette Groth ha-ben den Beschluss kritisiert. Eine Online-Petition unter Mitgliedern und Unterstützern soll den Druck noch erhöhen.

Die Welle der Kritik lässt die katholische Kirche offenbar nicht ganz unberührt. Der Vorsitzende der DBK, Kardinal Reinhard Marx, hat angekündigt, dass Härten ver-mieden und Kürzungsbeschlüs-se überarbeitet werden sollen. Im Juni soll die endgültige Entschei-dung fallen. Katja Dorothea Buck

gewählt werden soll und wer den Vorsitz der Wahlkommission übernehmen wird. „Leider haben wir es nicht geschafft, die Partei-en davon zu überzeugen, dass sie Verantwortung für das Land über-nehmen und sich einigen müs-sen“, sagte der Vorsitzende der Bi-schofskonferenz, Marcel Utembi Tapa, Ende März. Niemand wolle Kompromisse eingehen, um die beiden offenen Fragen zu lösen. „Wir hätten es gerne gesehen, dass die Detailfragen geklärt sind, aber das ist nicht der Fall. Wir haben versagt und das müssen wir ganz

nüchtern anerkennen“, sagte der Erzbischof von Kisangani.

Offenbar sitzen die Blockierer vor allem in den Reihen der Regie-rung. „Kabila will Wahlen um al-les in der Welt verhindern“, sagt Vincent Neussl, Kongo-Referent bei Misereor. „Bei diesem Spiel konnten die Bischöfe nicht mehr mitmachen. Sie hätten sich sonst zu Handlangern dieser Verzöge-rungstaktik gemacht.“ Der offiziel-le Rückzug aus der Moderatoren-rolle sei eine klare Ansage an bei-de Parteien, dass sie sich jetzt zu-sammenraufen sollen.

Kabila hat inzwischen re-agiert: Anfang April ernannte er Bruno Tshibala zum neuen Minis-terpräsidenten. Tshibala war vor kurzem im Streit um die Nachfol-ge des im Februar verstorbenen langjährigen Parteivorsitzenden Étienne Tshisekedi aus der Oppo-sitionspartei Union für Demokra-tie und sozialen Fortschritt (UDPS) ausgetreten. Dieser Schritt dürf-te für weitere Spannungen sorgen.

Die katholische Kirche gehört zu den einflussreichsten gesell-schaftlichen Akteuren in dem 82 Millionen-Einwohner-Land. Sie

legt großen Wert auf politische Neutralität, um mit allen Partei-en im Gespräch bleiben zu kön-nen. Dass sie sich mit dem Einge-stehen ihres Scheiterns endgültig aus dem Prozess herausgezogen haben, glaubt Neussl aber nicht. „Sie suchen nach wie vor das Ge-spräch mit ausländischen Diplo-maten und Organisationen und werden sich sicher nicht zieren, wenn sie von beiden Seiten wie-der gebeten werden. Ihr jetziger Rückzug ist für sie eine Frage der Glaubwürdigkeit.“

Katja Dorothea Buck

Im Gottesdienst in München anlässlich des G7-Gipfels Mitte 2015 tritt Pax Christi noch prominent auf;

jetzt stufen die Bischöfe es als unwichtig ein.KnA/sEbAstIAn WIDMAnn

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Journal GLOBAL LOKAL

GLOBAL LOKAL

Von den Städten lernenKommunen sind eine wichtige Stütze der Entwicklungszusammenarbeit

20 Jahren kommunale Entwick-lungszusammenarbeit: Aus die-sem Anlass diskutierten Ende März in Bonn Vertreter von Bund, Ländern, Kommunalverbänden und nichtstaatlichen Organisati-onen über Erfolge und neue Auf-gaben.

Mit dem Zentrum für kommuna-le Entwicklungszusammenarbeit wurde 1997 in Bonn der Vorläu-fer für die Servicestelle Kommu-nen in der Einen Welt gegründet. Sie berät seit Ende 2001 Städte und Gemeinden bei ihren Nord-Süd-Projekten.

Vor 20 Jahren war Entwick-lungszusammenarbeit für Kom-munen noch Neuland. Städte-partnerschaften bewegten sich

meist im europäischen Rahmen und dienten in erster Linie dem Zusammenwachsen in der Euro-päischen Union (EU). Inzwischen sind Städte und Gemeinden wichtige Partner des Entwick-lungsministeriums (BMZ) bei der Stadtplanung, beim Klimaschutz oder beim Aufbau dezentraler Verwaltungsstrukturen im globa-len Süden. Die Servicestelle Kom-munen unterstützt sie mit Infor-mation, Beratung und finanziel-ler Förderung. Leistungen, Perso-nal und Budget wurden seit 2001 stetig ausgebaut.

Mehr als 500 Kommunen engagieren sichOffizielle Dokumente beto-nen die eigenständige Rolle von

Kommunen in der Entwicklungs-hilfe, etwa ein Beschluss des Bund-Länder-Ausschusses Ent-wicklungszusammenarbeit von 2010. „Projekte müssen gemein-sam mit den kommunalen Ak-teuren entwickelt werden“, sagte der Leiter der Servicestelle, Ste-fan Wilhelmy. „Das haben die Er-fahrungen der vergangenen 20 Jahre gezeigt.“

Mehr als 500 deutsche Kom-munen engagieren sich in den Programmen der Servicestel-le. Dieses Engagement solle nun auch politisch stärker sichtbar werden, forderten Vertreter von Städtetag, Städte- und Gemein-debund sowie dem Deutschen Landkreistag aus Anlass des 20-jährigen Jubiläums. Kommu-nen und ihre Partnerstädte im Süden sollten in alle Vorhaben des BMZ sowie anderer Ministeri-en einbezogen werden, die Städ-te betreffen.

Ein neuer Schwerpunkt auf den Nachbarländern Syriens2016 hat das Entwicklungsmi-nisterium für Nord-Süd-Projek-te von Städten und Gemeinden rund 15 Millionen Euro zur Ver-fügung gestellt. Einen wichtigen Schwerpunkt bilden neue Pro-gramme wie die Initiative Kom-munales Know-how für Nah-ost. Sie soll die Zusammenarbeit deutscher Kommunen mit Part-nern in den Nachbarländern Sy-riens voranbringen. Dieser BMZ-Schwerpunkt zur Bekämpfung von Fluchtursachen ist jedoch umstritten.

Hans-Christoph Boppel von der Vertretung des Landes Nord-rhein-Westfalen bei der Europäi-schen Union in Brüssel kritisier-te den Fokus staatlicher Entwick-lungshilfe auf die Abwehr von Flüchtlingen und Migranten. Mit den Programmen für den Nahen Osten und Nordafrika finde eine schleichende regionale Umlei-tung von Finanzmitteln zu Las-

ten anderer Regionen statt, er-klärte er. Dabei wüchsen auch in anderen Brennpunkten die Auf-gaben, zumal US-Präsident Do-nald Trump die Entwicklungshil-fe stark einschränken wolle und Europa deshalb mehr gefordert sei.

Sind Kommunen mit Armutsbekämpfung überfordert? Die kommunale Entwicklungs-zusammenarbeit könne sich auf das Wesentliche konzentrieren, die Bekämpfung von Armut und Hunger, betonte Boppel. Armuts-bekämpfung überfordere Kom-munen, betonte dagegen Chris-tiane Overmans, Stadtverordne-te in Bonn und Vizepräsidentin des Rates der Gemeinden und Re-gionen Europas. Städte könnten einen Austausch auf Augenhöhe leisten, mehr aber nicht. Für Frie-der Wolf, Leiter der Stelle für In-ternationale Angelegenheiten bei der Stadt Köln, hängt der Fo-kus der Zusammenarbeit von der einzelnen Kommune ab. In der Partnerschaft der Rheinländer mit Bethlehem seien auch Aspek-te der Armutsbekämpfung ent-halten, etwa durch Tourismusför-derung, betonte Wolf.

Zugleich erklärte er, Entwick-lungszusammenarbeit als frei-willige kommunale Aufgabe müsse gegenüber den Bürgern immer wieder neu begründet werden. Man müsse sich die Fra-ge stellen, was der wachsende Na-tionalismus für Städte und ihre internationale Zusammenarbeit bedeute. Angesichts des Rechts-rucks in manchen Ländern Eu-ropas könnten auch lange beste-hende Partnerschaften gefährdet sein, warnte er. Das könnte ak-tuell etwa solche mit der Türkei oder deutsch-französische Drei-eckskooperationen mit Westafri-ka betreffen. Deshalb sei es umso wichtiger, die Städtekooperati-onen gut in der Bürgerschaft zu verankern. Claudia Mende

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PERSONALIA Journal

PERSONALIA

Evangelisches Werk für Diako-nie und Entwicklung (EWDE)Patrick Wasmund ist neu-er Leiter der Abteilung Perso-nal beim Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung (EWDE). Er ist damit für rund 900 Mitarbeitende zuständig. Der 47-Jährige folgt auf Birgit Adamek. Vor seinem Wechsel hat er das Personalbüro der SPD-Bundestagsfraktion geleitet.

OikocreditSeit April ist thos Gieskes Geschäftsführer der internatio-nalen Kredit-genossenschaft

Oikocredit. Der Niederländer war bisher unter anderem für die genossenschaftliche Rabo-bank tätig, unter anderem in Australien und in Chile. Gieskes folgt auf Interimgeschäftsfüh-rerin Ging Ledesma, die weiter für Oikocredit tätig sein wird.

Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV)

Nach fast 50 Jahren zieht sich tilman Zülch von der Spitze der GfbV zurück. Der 77-Jährige

hatte die Menschenrechtsorga-nisation 1968 gemeinsam mit Klaus Guercke gegründet und war seither deren Generalsekre-tär. Zülch wird die GfbV-Kam-pagnen weiter beratend beglei-ten. Die politische Leitung der Organisation übernimmt ulrich Delius, seit vielen Jahren Afrika- und Asienexperte bei der GfbV.

Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS)Hans Martin Sieg leitet seit Janu-ar das Länderbüro in Rumänien und der Republik Moldau. Er war zuvor als Berater für deutsche und internationale Institutionen tätig. Anja Schoeller-Schletter hat im April das regionale Rechts-staatsprogramm Nahost/Nord-afrika übernommen. Sie folgt

auf Peter Rimmele, der nun das Länderprojekt Libanon leitet. Michael Winzer leitet seit April das Auslandsbüro in Peking, VR

China. Er hat zuvor das Auslands-büro Thailand geleitet. Hardy Ostry leitet seit Januar das Euro-pabüro Brüssel. Er war vorher in

Tunesien. Das Büro dort über-nimmt Holger Dix, der vorher das Auslandsbüro in Südafrika geleitet hat. Neuer Büroleiter dort ist seit April Henning Suhr, der zuvor das Auslandsbüro in Caracas, Venezuela, geleitet hat. Sebastian Grundberger leitet seit März das Büro Peru mit Sitz in Lima. Vorher war er für die Ver-einten Nationen tätig, zuletzt als Südamerikareferent in der politischen Abteilung des UN-Generalsekretariates in New York.

Friedrich-Ebert-Stiftung (FES)Alexey Yusupov leitet ab Mai das FES-Büro in Myanmar. Er folgt auf Konstantin Bär-wald, der künftig im Inland für die FES tätig sein wird.

KfW-EntwicklungsbankBarbara Schnell leitet seit April gemeinsam mit Rüdiger Hart-mann die Abteilung „Grund-sätze, Förderinstrumente, Planung“. Schnell hat davor das Team „Förderpolitik und Kommunikation“ geleitet.

uNO-FlüchtlingshilfePeter Ruhenstroth-Bauer ist neuer Geschäftsführer der UNO-Flücht-lingshilfe, des deutschen Part-ners des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR). Der Rechtsanwalt war zuvor un-ter anderem als Hörfunkjourna-list, Berater und als Staatssekre-tär in der Bundesregierung tätig.

uN-Entwicklungsprogramm (uNDP)

Achim Steiner ist neuer Chef des UNDP; die UN-Generalver-ammlung wähl-te den 55-Jähri-gen Mitte April.

Er ist der erste Deutsche, der an der Spitze des Entwicklungs-programms steht. Von 2006 bis 2016 hat Steiner das UN-Umwelt-programm UNEP geleitet. Beim UNDP folgt er auf Helen Clark, de-ren vierjährige Amtszeit im April zu Ende ging.

Hans A. de Boer gestorbenSeine Autobio-graphie aus dem Jahr 1995 trug den Titel „Ge-segnete Unruhe“. Sich selbst nann-te Hans A. de Boer darin einen

„frommen Provo-kateur“. Und das traf es ziemlich genau: Aus sei-nem christlichen Glauben heraus reiste der evan-gelische Theologe mehr als sechzig Jahre lang um die Welt, engagierte sich für Frie-den und Gerechtigkeit vor allem in den Ländern des Südens, um seinen Teil für eine bessere Welt beizutragen. An deren – aus seiner Sicht – inakzeptabel schlechten Zustand und an der Verantwortung eines jedes Einzelnen dafür ließ er keinen Zwei-fel – oft in drastischen Worten. So bestand er darauf, dass „wir absichtlich pro Tag un-gefähr 100.000 Menschen verhungern lassen“. Absichtlich, weil es jeder wissen könne und trotzdem nicht genug dagegen getan werde.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kam Hans A. de Boer als Mitarbeiter der väterlichen Handelsfirma ins südliche Afrika. 1952 reiste er als deutscher Teilnehmer zum 3. Weltkongress der Christlichen Jugend nach Indien. Es folgten Aufenthalte in Dutzen-den anderen Ländern, in denen de Boer sich für Kriegsgefangene einsetzte, in ge-waltsamen Konflikten vermittelte und mit Staatsmännern verhandelte. Eine seiner letzten Reisen führte ihn 2006 in den Irak, wo er sich um die Freilassung von entführ-ten Geiseln bemühte. Seit 1972 war de Boer Berufsschulpastor in Duisburg. Noch im hohen Alter hielt er regelmäßig Vorträge unter anderem in Schulen, um die Jugend vom Einsatz für eine friedlichere und ge-rechtere Welt zu überzeugen. Am 31. März ist Hans A. de Boer im Alter von 91 Jahren gestorben. (ell)

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62 service FILMKRITIK | REZENSIONEN

FILMKRItIK

Schuldbewusste Aussteiger Der Einsatz von Drohnen im Anti-terror-Kampf ist um-stritten. Die deutsche Regisseurin Sonia Kennebeck por-trätiert in ihrem Dokumentarfilm drei daran beteilig-te Soldaten aus der uS-Luftwaffe und lässt Opfer von Drohnenangriffen in Afghanistan zu Wort kommen.

Unter Präsident Barack Obama hat das US-Militär den Einsatz von Kampfdrohnen gegen mutmaßliche Ter-roristen in Afghanistan, Pakistan, Jemen und ande-ren Ländern erheblich ausgeweitet. Unbemannte be-waffnete Fluggeräte haben den Vorteil, dass sie keine eigenen Soldaten in Gefahr bringen. Und die Öffent-lichkeit nimmt das weitgehend geheime Programm meist nur wahr, wenn bei den Luftschlägen Zivilisten getötet werden – die berüchtigten „Kollateralschäden“.

Wie fragwürdig diese vermeintlich elegante Art der Kriegsführung ethisch gesehen ist, zeigt die in New York lebende deutsche Autorin und Regisseurin Sonia Kennebeck in ihrem ersten langen Dokumen-tarfilm. Im Mittelpunkt stehen drei Analystinnen und Analysten der Air Force, die in unterschiedli-chen Funktionen an der Zielauswahl mitwirkten. Sie haben den Dienst quittiert und berichten über ihre Erlebnisse, Traumata und Schuldgefühle.

Heather, Lisa und Daniel leiden unter der Er-kenntnis, dass sie den Tod unschuldiger Menschen verursacht oder dazu Beihilfe geleistet haben. Sie hatten sich ursprünglich freiwillig zum Militär ge-meldet. Doch die Arbeit im Drohnenprogramm ha-ben sie auf Dauer nicht ausgehalten. Die Ausstei-ger, die teils noch immer unter posttraumatischem Stress leiden, berichten von Kollegen, die sich das Leben genommen haben, weil ihr Schmerz so groß war. Sie bekunden, dass sie sich ausgenutzt fühlen. Ihr Glaube an die gerechte Sache, an einen sinnvol-len Einsatz für das Vaterland ist erschüttert.

Allerdings dürfen die Informanten nicht zu viel verraten, um sich nicht wegen Geheimnisverrats an-greifbar zu machen. Auch nach der Entlassung dür-fen sie keine Interna ausplaudern, ja nicht einmal mit Therapeuten sprechen.

Kennebeck, die bis dahin vor allem als investiga-tive TV-Journalistin gearbeitet hatte, musste im Zuge ihrer dreijährigen Recherchen viel Überzeugungsar-beit leisten, um das Vertrauen der Whistleblower zu gewinnen. Eine wichtige Figur ist die Datenanalystin Heather Linebaugh, die 2013 das Drohnenprogramm öffentlich kritisierte. Ihre Rechtsanwältin Jesselyn Radack hatte zuvor unter anderem Edward Snowden vertreten.

In den Berichten wird der Trend zur „Gamifica-tion“ im US-Militär sichtbar: Demnach sitzen meist junge Männer vor Monitoren mit Programmen, die Videospielen ähneln. Anreizsysteme senken bei er-folgreicher Zielbekämpfung die moralische Hemm-schwelle. Das könne moralisch weniger gefestigte Soldaten „trigger-happy“ machen, sagt Heather Li-nebaugh.

Auch die Regisseurin hat die Dienste Radacks und eines weiteren Anwalts genutzt, um ihre Prota-gonisten so gut wie möglich gegen Druck von außen abzusichern. Aus Sicherheitsgründen verschlüsselte das Team während der Recherche und des Drehs sei-ne gesamte Kommunikation. „Wir rechneten damit, dass alles, was elektronisch verschickt wird, gelesen wird“, sagt Kennebeck.

Im Schlussteil erweitert Kennebeck die Täterper-spektive um die Opferperspektive, indem sie die Ve-teranin Lisa zu einem Tatort nach Afghanistan be-gleitet. Dort kommt Lisa, die inzwischen für eine Hilfsorganisation arbeitet, mit Überlebenden eines Drohnenangriffs auf einen Autokonvoi zusammen, bei dem im Februar 2010 in der Bergregion Uruz-gan 23 Zivilisten getötet wurden. „Die Angehörigen sind zu uns gereist, weil es für uns zu gefährlich ge-wesen wäre, zu ihnen zu fahren“, berichtet Kenne-beck. Vor der Kamera zeigten sie sich angetan davon, dass überhaupt jemand nach ihrer Geschichte fragt. In den fünf Jahren seit dem Bombardement sei nie-mand deswegen zu ihnen gekommen. : „Die Angehö-rigen der Opfer lassen gleichwohl ihre Bereitschaft zur Versöhnung erkennen.“ Reinhard Kleber

REZENSIONEN

Bloß keine Panzer mehr liefernSebastian Sons porträtiert Saudi-Arabien als proble-matischen Verbündeten des Westens. Der Islamwis-senschaftler zeigt, wie Königshaus und Fundamenta-lismus dem gesellschaftlichen Wandel entgegenste-hen, ihn aber dennoch nicht ganz verhindern können.

Der Autor, der als Saudi-Arabien-Experte für die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik arbei-

tet, beschreibt das Land in all seinen Widersprüchen: Alkoholbesitz steht unter Todesstrafe, Regimekriti-ker werden enthauptet oder ausgepeitscht, Anders-gläubige verfolgt. Gleichzeitig erhebt das Königreich den Anspruch, die arabische Welt zu führen und für Stabilität im Nahen Osten zu sorgen. Die Interven-tion im benachbarten Jemen begründete Saudi-Ara-bien damit, dass der Iran sonst seinen Einfluss un-

National BirdusA/Deutschland 2016Regie: sonia Kennebeck92 MinutenKinostart: 18. Mai 2017

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zulässig erweitere. Als generöser Abnehmer von Kriegsgerät aller Art wird der hochgerüstete Wüsten-staat im Westen dennoch geschätzt.

Spätestens seit 9/11 versuche sich das Königs-haus als Sicherheitspolizist gegen den islamistischen Terror zu präsentieren, erklärt der Autor. Gleichzeitig berufen sich aber zahlreiche Dschihadisten auf die Lehren des Wahhabismus und damit auf ein Fun-dament des saudischen Staates. Weil die wahhabiti-schen Geistlichen zum Teil unverblümt zum Dschi-had gegen den Westen aufrufen, erhält das Terror-Kalifat gerade aus Saudi Arabien eifrigen Zulauf.

Sons schildert das Dilemma der Königsdynas-tie, die einen dekadent-westlichen Lebensstil pflegt, aber auch die Wahhabiten nicht vergrämen möchte. Der Aufstand extrem konservativer Kleriker, die sich 1979 in einer Moschee in Mekka verschanzten und der nur mit ausländischer Hilfe niedergeschlagen werden konnte, wirkt, wie er beschreibt, nachhaltig nach. So würden die Fundamentalisten noch immer mit viel Geld vom Königshaus ruhiggestellt, das sie verwendeten, um weltweit mit Hilfe von Moscheen und Koranschulen zu missionieren.

Der gesellschaftliche Wandel im Land lasse sich dennoch nicht aufhalten; das wahre Leben finde hinter verschlossenen Türen statt. Dort werde nicht nur Alkohol getrunken, sondern auch geflirtet. Ge-rade die Frauen, die die Männer an Bildung inzwi-schen überträfen, ließen sich nicht mehr an den Rand drängen. Sie nutzten die herrschenden Verbo-

te zu ihrem Vorteil: in Räumen, zu denen Männer keinen Zutritt haben. „Wir können uns unabhängi-ger und freier entwickeln, uns besser vernetzen und am Ende beruflich tätig sein“, wird eine Studentin zitiert. Selbst das Verbot, ein Auto zu lenken, werde zumindest von den Frauen der aufstrebenden Mit-telschicht, die sich einen Chauffeur leisten können, nicht immer als Nachteil gesehen. Wenn sie im Stau stehen, werde das Auto zum „fahrenden Büro“.

Viele junge Männer und Frauen, die im Aus-land studiert haben, finden keine Arbeit, die Jugend-arbeitslosigkeit liegt bei 40 Prozent. Der öffentli-che Dienst könne die nachdrängenden Akademiker nicht mehr aufnehmen – und der Privatsektor sei nach wie vor unterentwickelt. Zudem könnten sich kleine und mittlere Betriebe meist die vorgeschrie-benen getrennten Büroräume für Männer und Frau-en nicht leisten, so dass Frauen dort kaum Beschäfti-gung fänden. Schließlich sind saudische Arbeitskräf-te den Unternehmen oft zu anspruchsvoll: Viele Pos-ten werden deshalb mit Immigranten vor allem aus Asien besetzt, die schlecht bezahlt und meist auch schlecht behandelt werden.

Sons schließt seine äußerst kenntnisreiche Ana-lyse dieses Landes mit einer Reihe von Empfehlun-gen an die deutsche Politik ab. Allen voran: politi-sche und kulturelle Zusammenarbeit pflegen, um Reformen einzufordern, auf eine Verbesserung der Beziehungen zum Iran drängen – aber keine Panzer mehr liefern. Ralf Leonhard

sebastian sonsAuf Sand gebautSaudi Arabien – ein problematischer VerbündeterPropyläen Verlag, berlin 2016 281 seiten, 20 Euro

tayfun guttstadtGestrandet. Geflüchtete zwischen Syrien und EuropaEine Reportage aus der türkeiunrast Verlag, Münster 2016244 seiten, 16 Euro

Vorwürfe und Hilfsbereitschafttayfun Guttstadt beschreibt in seinem Buch aus ver-schiedenen Perspektiven, wie das Leben syrischer Flüchtlinge in der türkei das Land verändert. Er bietet reichlich Hintergrundinformationen und Erfahrungs-berichte.

Seit Beginn des syrischen Bürgerkrieges 2011 sind ungefähr drei Millionen Syrer in die Türkei geflohen. Um mit einigen von ihnen, aber auch mit Vertretern von Hilfsorganisationen und Einwohnern zu spre-chen, ist der Kulturwissenschaftler Tayfun Guttstadt nach Istanbul, Hatay, Gaziantep und Diyarbakir ge-reist. Die weit über 100 Befragten, mit denen er auf Türkisch oder mittels arabischer Übersetzer geredet hat, kommen aus unterschiedlichen politischen und kulturellen Lagern – es sind National-Konservative ebenso darunter wie Islamisten, Kurden ebenso wie Türken oder Syrer.

Letztere berichteten von ihrer Hoffnung, in der Türkei eine neue Heimat zu finden, und der Enttäu-schung darüber, dass sie oft keine Arbeitserlaubnis bekommen. Zudem erschwert ein Mangel an Solida-rität unter den Geflüchteten deren Situation, denn die Konflikte aus dem Bürgerkrieg machen auch vor der gemeinsamen Zufluchtstätte nicht halt. Die in-terviewten Türken schildern wiederum, was sich für

die türkische Bevölkerung verändert hat: Da die Sy-rer für Dumpinglöhne arbeiten, ist der Arbeitsmarkt angespannter denn je. Zudem hätten sich die Mie-ten vervielfacht und die Gesundheitssysteme seien überlastet.

Angesichts der schwierigen Lebensbedingungen sowohl auf syrischer als auch auf türkischer Seite wachsen die Vorbehalte gegeneinander und es fallen Sätze wie „Die Syrer haben mittlerweile mehr Rech-te als wir. Wir gehen ins Krankenhaus und müssen bezahlen, für Untersuchung und für Medikamente. Die Syrer kriegen alles geschenkt.“ Dem stehen Kla-gen syrischer Familien und Hilfsorganisationen ge-genüber, dass Menschen ohne Dokumente in staat-lichen Krankenhäusern nicht versorgt würden und deshalb Kinder an einfachen Erkrankungen stür-ben. Allerdings hebt der Autor auch Beispiele für die Hilfsbereitschaft der türkischen Bevölkerung her-vor, unter anderem eine Initiative türkischer Frauen in Mersin, die Syrerinnen dabei hilft, die türkische Sprache zu lernen.

Die Lektüre kann man allen empfehlen, die an der Politik der Türkei und der Lage der dorthin Geflo-henen interessiert sind. Denn das Buch bietet reich-lich Hintergrundinformationen und Erfahrungsbe-richte. Johannes Struck

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Zwischen thriller und Sinnsuche Drogenkartelle, Paramilitärs und Gewalterfahrungen ziehen sich seit einiger Zeit als themen durch mexi-kanische Romane. So auch bei Juan Villoro. Der Autor widmet sich den Widersprüchen in Staat, Politik und Gesellschaft und stellt dabei das Verrückte in den Mit-telpunkt.

Villoros Geschichte handelt von zwei Männern mitt-leren Alters, die sich viele Jahre nach einer gemein-samen Karriere als Rockmusiker an einem ebenso exotischen wie absurden Ort wiederbegegnen. Dort werden sie aus reinem Zufall in eine Serie von Ge-waltverbrechen hineingezogen. Der eine ist Tony Góngora, Mexikaner, Ex-Bassist, Ex-Junkie und qua-si Ex-Waisenkind, das in der Familie des anderen aufgewachsen ist. Der andere ist Mario Müller, Ex-Sänger und jetzt Geschäftsführer eines Touristen-hotels auf der Halbinsel Yucatán, das auf eine spe-zielle Dienstleistung setzt: Extremerfahrungen. Die

Hotelgäste sollen in der eigentlich geschützten Um-gebung das Gruseln lernen, indem man sie in ver-meintlich gefährliche Situationen versetzt, die au-ßerhalb des Hotels fast zum Alltag gehören. Mal werden die Gäste mit Giftspinnen konfrontiert, mal simuliert das Hotelpersonal eine Spontanentfüh-rung, komplett mit vermummten Tätern, die ihre Gewehre auf die Touristen richten. Das Ziel dieser Gefahr-Show, die als Vision der Tourismusindust-rie daherkommt: „die Illusion, wie durch ein Wun-der zu überleben, und das Bedürfnis, dies stürmisch zu feiern.“

Tony und Mario sind gewissermaßen selbst Überlebende. Ihre Schicksalsschläge erlebten sie in ihrer Jugend und bei den Drogenexzessen im Lau-fe ihrer Musikkarriere. Auch der ominöse Geldge-ber des Hotelprojekts, ein Gringo namens Petersen, hat den Schrecken kennengelernt: Er konnte seinen Sohn nicht aus einer Lebensgefahr retten, der Sohn

Juan VilloroDas dritte Leben Hanser, München 2016 286 seiten, 19,90 Euro

Ein unumkehrbarer KampfRund 120 Staaten haben das Statut zum Internationa-len Strafgerichtshof in Den Haag unterzeichnet. Den-noch stößt seine Rechtsprechung auf vielerlei Schwie-rigkeiten. Benjamin Dürr beschreibt, welche das sind, und bewegt sich dabei elegant zwischen Reportage und Analyse.

Benjamin Dürr hat viele Prozesse beobachtet und analysiert und besitzt intime Kenntnisse der Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH). Darü-ber hinaus hat er als Journalist mehrere Länder be-reist, in denen sich Verbrechen zugetragen haben, die in Den Haag verhandelt werden.

Entstanden ist ein kompakter, griffiger Text für ein breites, politisch interessiertes Publikum, das die Arbeitsweise des Strafgerichtshofs kennenler-nen und die aktuelle Kritik an der Einrichtung ein-ordnen möchte. 2016 haben sich Südafrika, Burun-di und Gambia aus dem IStGH zurückgezogen, weil sie ihm vorwerfen, er ermittle in neokolonialer und rassistischerArt vor allem gegen afrikanische Perso-nen. Vor diesem Hintergrund diskutiert der Autor die bislang neun Ermittlungsverfahren sowie eini-ge der mehr als 20 Vorermittlungen. Dabei betont er die verschiedenen Möglichkeiten, Ermittlungen in Den Haag einzuleiten. Mehrere Verfahren wur-den von den Ländern, in denen ein Konflikt herrscht, selbst an den Gerichtshof überwiesen, andere vom Sicherheitsrat aus New York: Wer das weiß, so Dürr, könne den Vorwurf einer einseitig rassistischen Vor-verurteilung nicht aufrecht halten. Durchaus kri-tisch beurteilt Dürr allerdings die Hemmnisse, an denen eine Strafverfolgung oftmals scheitert: So hat etwa Syrien das Statut des Gerichtshofs nicht unter-

zeichnet und pocht auf Nichteinmischung. Die Mit-glieder des Sicherheitsrats, der Fälle an das Gericht überweisen könnte, erreichen bekanntlich seit Jah-ren keine einstimmige Resolution. So ist der Weg zu Vorermittlungen der Verbrechen im syrischen Bür-gerkrieg momentan versperrt.

Neben vielen Informationen und historisch-ju-ristischen Erläuterungen enthält der Text reportage-artige Passagen, in denen der Autor die Bedeutung des IStGH illustriert. So berichtet er von den aben-teuerlich anmutenden Ermittlungen - Arbeit ohne eigene polizeiliche Handhabe, Treffen unter kon-spirativen Umständen - im Osten des Kongo und beschreibt, wie Zeugen von dort auf ihre Reisen in die Niederlande, wo sie aussagen sollen, vorberei-tet werden. Auch begleitet er syrische Aktivisten, die vor dem Gerichtsgebäude demonstrieren und belas-tendes Material für einen zukünftigen Prozess sam-meln. Geradezu sinnlich gerät das Kapitel über den Alltag der verurteilten Straftäter in der Haftanstalt des IStGH in Den Haag, der „außergewöhnlichsten Wohngemeinschaft der Welt“, in der ehemalige Fein-de mitunter gemeinsam kochen und an einem gro-ßen Tisch gemeinsam essen.

Trotz langwieriger Verfahren, gescheiterter Er-mittlungen und der generellen Kritik am Gerichts-hof fällt das Fazit des Buches positiv aus. Man müs-se sich die gewaltsamen Ereignisse des vergangenen Jahrhunderts in Erinnerung rufen, meint der Autor, um ermessen zu können, wie epochal die Gründung des IStGH tatsächlich war. Was Den Haag in den ers-ten 17, 18 Jahren geleistet habe, stehe für den Beginn eines Kampfes, der nicht mehr rückgängig gemacht werden könne. Thomas Völkner

benjamin DürrIm Namen der VölkerDer lange Kampf des Internationalen Strafgerichtshofs Edition Körber-stiftung, Hamburg2016, 231 seiten, 16 Euro

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Das große GrübelnMehr als 300 Millionen Chinesen sind zwischen 16 und 30 Jahre alt. Der britische Autor Alec Ash hat sechs von ihnen jeweils drei Jahre begleitet. Er zeigt, wie sie leben und wie es sich anfühlt, in China erwachsen zu werden.

In Deutschland und anderen Ländern sind sie als Generation Y bekannt, in China heißen sie „Ba Ling Hou“ – übersetzt bedeutet das „die in den 1980er Jahren Geborenen“. Sie gelten als hochqualifizier-te, sinnsuchende Weltverbesserer, die sich im Netz teils sicherer bewegen als in der analogen Welt. Für chinesische Männer und Frauen dieser Generation kommt ein entscheidendes Merkmal dazu: Die meis-ten von ihnen sind Einzelkinder.

Der britische Autor und Journalist Alec Ash will wissen, wie die Generation tickt, die aus der 1979 ein-geführten Ein-Kind-Politik hervorgegangen ist. Da-für hat er drei Männer und drei Frauen jeweils drei Jahre lang begleitet, ihre Erinnerungen an die Kind-heit dokumentiert und ihre Heimatorte besucht. Ihre Lebenswege zeichnet Ash im Wechsel in sei-nem Buch nach. Etwa den von Fred, der behüteten und wohlhabenden Tochter eines ehemaligen Funk-tionärs der kommunistischen Partei, und den von Snail, der aus einem Dorf westlich von Schanghai stammt, für ein Technikstudium nach Peking zieht und internetsüchtig wird.

Die jungen Erwachsenen müssen sich auf ihrem Weg immer wieder zwischen Vernunft und Selbst-verwirklichung entscheiden. Das zeigen die Ge-schichten von Lucifer, der trotz ausbleibendem Er-folg von einem Leben als Rockstar träumt, und der freischaffenden Mode-Reporterin Mia, der es gelingt, ihre Feierleidenschaft und die Liebe zum Punk mit beruflichem Erfolg zu verbinden. Große Dramen bleiben aus, doch es stehen viele Fragen im Raum: Einen Job annehmen, nur weil er eine Krankenver-

sicherung bietet? Eine günstige Wohnung auf dem Land mieten, statt nur für die Miete in der Stadt zu schuften? Es ist nicht ganz überraschend, aber Ash zeigt damit anschaulich, wie sehr sich die Generati-on Y über Grenzen hinweg ähnelt.

Gleichzeitig treten aber auch die Unterschiede gegenüber vielen westlichen Ländern deutlich her-vor. Der Leistungsdruck in China ist härter – in der Schule, an der Universität und im Beruf. Und auch die Eltern erwarten viel. Das gilt vor allem für junge Frauen wie Fred und Mia. Beide sind beruflich erfolg-reich und selbstbewusst. Doch der Gedanke, als „Üb-riggebliebene“ zu enden, also als eine mit Ende 20 noch unverheiratete Frau, bringt selbst sie ins Wan-ken.

Dass der Autor seit 2008 in Peking lebt, kommt dem Buch zugute, denn er lässt immer wieder Hin-tergrundinformationen zu Geschichte oder Popkul-tur einfließen. Etwas störend ist sein nacherzählen-der Tonfall: Die Protagonisten wirken wie weit ent-fernte und ungreifbare Anschauungsobjekte, ob-wohl Ash sie eigentlich gut kennt. Zudem sind nur zwei der sechs Geschichten miteinander verknüpft: Der Tunnelbauer Dahai und die hippe Kleinunter-nehmerin Xiaoxiao lernen sich in einem Online-Fo-rum kennen und heiraten später. Das lässt die Ka-pitel zusammengewürfelt erscheinen und wirft die Frage auf, was der rote Faden ist – außer, dass alle im selben Zeitfenster geboren wurden.

Vielleicht ist es aber gerade das, was Ash zeigen will: Die Generation Y, zu der er selbst gehört, lässt sich nicht so leicht einordnen. Er habe das Buch auch deshalb geschrieben, weil „das verbreitete Bild jun-ger Chinesen mit allzu wenigen groben Pinselstri-chen und übertrieben knalligen Farbtupfern gemalt wurde“, heißt es im Nachwort. Er habe ihre Vielfalt aufzeigen wollen – für dieses hochgesteckte Ziel bie-tet sein Buch eine gute Grundlage. Hanna Pütz

Alec AshDie EinzelkinderWovon Chinas neue Generation träumt Verlag Hanser Berlin im Carl Hanser Verlag, München 2016320 Seiten, 24 Euro

starb. Wer solche Gefahren und Niederlagen durch-lebt hat, weiß es zu schätzen, wieder aufzustehen und weiterzuleben. Dass diese drei Männer auf ein derart irres Hotelkonzept kommen, erscheint so be-trachtet denkbar und schlüssig.

Doch dann bricht die Realität in die künstliche Welt ein: In kurzer Folge werden zwei Angestellte er-mordet. Einer wird von einer Harpune durchbohrt, der andere kommt bei einem Tauchgang ums Le-ben. Nun ist nichts mehr gestellt. Fieberhaft suchen die Männer nach einem Motiv für die Morde. Waren vielleicht Umweltaktivisten am Werk, die die Zerstö-rung der Meeresfauna in der Nähe des Mammutho-tels anprangern? Betrachtet hier möglicherweise je-mand den Massentourismus als moderne Form der kolonialistischen Ausbeutung? Oder sind die bei-den Ermordeten zwischen die Fronten des allgegen-wärtigen Drogenkrieges geraten, der in den Touris-

muszentren zwar weniger sichtbar, jedoch keines-wegs abwesend ist? All dies erzählt die Figur Tony, der aufgrund seines früheren Drogenkonsums ein äußerst unzuverlässiger Ich-Erzähler ist. In seinen Worten verschwimmen Realität und Fiktion, Erinne-rung und Gegenwart, der mexikanische Alltag und die Wünsche der Besucher.

Juan Villoro präsentiert eine Story mit leicht überdrehten Figuren, die extreme Erfahrungen in ei-ner Umgebung zu bewältigen haben, die außerhalb unserer Vorstellung liegt. Alles erscheint ein biss-chen „too much“ und ist doch glaubwürdig. Wahr-scheinlich weil der Autor mit der seltsamen Story, die zwischen Thriller und Sinnsuche pendelt, auf sei-ne Heimat verweist. Hier in Mexiko ist es zum Über-leben entscheidend, dass man weiß, dass hinter der Gefahr meistens nicht die Ekstase wartet, sondern häufiger der bare Schrecken. Thomas Völkner

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Impressum Redaktion: Bernd Ludermann (bl, verantw.), Tillmann Elliesen (ell), Barbara Erbe (erb), Gesine Kauffmann (gka), Johanna Greuter (jg, Volontärin), Sebastian Drescher (sdr, online)

Emil-von-Behring-Straße 3, 60439 Frankfurt/Main; Postfach 50 05 50, 60394 Frankfurt/M. Telefon: 069-580 98 138; E-Mail: [email protected]

Ständig Mitarbeitende: Kathrin Ammann (kam), Bern; Katja Dorothea Buck (kb), Tübingen; Heimo Claasen (hc), Brüssel; Ralf Leon-hard (rld), Wien; Claudia Mende (cm), München; Theodora Peter (tp), Bern; Rebecca Vermot (ver), Bern; Marina Zapf (maz), Berlin

Ansprechpartner in Österreich: Gottfried Mernyi, Kindernot hilfe Öster-reich, 1010 Wien, Dorotheergasse 18

Herausgeber: Verein zur Förderung der entwicklungspolitischen Publizistik e.V. (VFEP), Klaus Seitz (Vorsitzender), Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst, Caroline-Michaelis-Straße 1, 10115 Berlin

Mitglieder im VFEP: Brot für alle (Bern), Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst (Berlin), Christoffel-Blindenmission (Bens heim), Fastenop-fer (Luzern), Kindernothilfe (Duisburg), Misereor (Aachen)

Die Rubrik „Global-lokal“ erscheint in Kooperation mit der Servicestelle Kom-munen in der Einen Welt/Engagement Global gGmbH.

Anzeigenleitung: Yvonne Christoph, m-public Medien Services GmbH, Zimmerstraße 90, 10117 Berlin, Tel.: 030-325321-433, www.m-public.de

Grafische Gestaltung: Angelika Fritsch, Silke Jarick

Druck: Strube Druck&Medien OHG, Stimmerswiesen 3, 34587 Felsberg

Verlegerischer Dienstleister: Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik gGmbH, Frankfurt am Main

Preis der Einzel-Nr.: 5,80 Euro / 7,80 sFr zuzügl. Versandkosten Preis im Jahresabonnement: 52,20 Euro, ermäßigt 39,15 Euro. Preisänderungen vorbehalten.

ISSN 1865-7966 „welt-sichten“

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kultuRtIPP

Inka Gold. Macht. Gott.

Für die Inka war Gold das Sym-bol der Sonne, Silber das Sym-bol des Mondes; Gold stand für das männliche Element und Sil-ber für das weibliche. Die Spani-er dagegen sahen in den von den Inkas gehüteten „Perlen der Son-ne“ nur ihren materiellen Wert. Die Ausstellung im Weltkulturer-be Völklinger Hütte zeigt, dass der Mythos des Inka-Goldes in die-ser Unversöhnlichkeit zweier Wer-

tesysteme seinen Ursprung hat. 220 Exponate dokumentieren die Hochkulturen der Inka- und Vor-Inka-Zeit und ihr Aufeinander-treffen mit der europäischen Kul-tur des 16. Jahrhunderts. Sie er-zählen von rituellen Zweikämp-fen, von Fruchtbarkeitsritualen und der Bedeutung des Wassers.

Während Gold in der Alten Welt zum Objekt des Handels und zum Macht-Symbol wurde, besaß

es in den Hochkulturen der Inka- und Vor-Inka-Zeit ausschließlich rituellen Charakter. Gold – auch als „Perlen der Sonne“ bezeichnet

– war den höchsten Herrschern und Priestern vorbehalten.

Neben der Kultur der Inka und ihrer Vorfahren ist die Eroberung Südamerikas durch den Spani-er Francisco Pizarro ein wichtiges Thema. Am Ende seines Feldzugs existierte das mächtige Inkareich nicht mehr: Zwischen 1532 und 1540 gelangten mindestens 181 Tonnen Gold und 16.800 Tonnen Silber über den Atlantik nach Eu-ropa. 1541 wurde der Eroberer im Zuge von Aufständen der Indios und der Rebellion seiner Anhän-ger getötet. Der Kernbestand der Exponate stammt aus dem Larco Museum, Lima und Cusco, das die größte Privatsammlung altperua-nischer Kunst in der Welt besitzt. Zu sehen sind aber auch Leihga-ben herausragender europäischer Museen und Sammlungen.

Völklingen/Saarbrücken6. Mai bis 26. November 2017Weltkulturerbe Völklinger HütteKontakt: Tel. 06898 - 9 100 104www.voelklinger-huette.org

3000 Jahre Hochkultur Perus werden in der Völklinger Hütte lebendig.VölKlingEr HüTTE

kuRzREzENSIoN

Weltkirche muss politisch seinAutorin Maria Brinkschmidt ruft die katholische Kirche und ihre Hilfswerke auf, ihre Verantwor-tung ebenso politisch wie missi-onarisch zu sehen. Das Buch ist eine überarbeitete Fassung ihrer Dissertation aus dem Jahr 2015, was man ihm auch anmerkt: Es ist sehr wissenschaftlich verfasst und über weite Teile zäh zu lesen. Brinkschmidts Forschungsfrage, ob die (Jahres-)Aktionen der ka-tholischen Hilfswerke politischen Charakter haben, beantwortet sie anhand zahlreicher Textanalysen

eher negativ: Die meisten Mate-rialien und Aktionen für die In-landsarbeit seien unpolitisch gestaltet. Das politischste Pro-fil der Hilfswerke habe Misereor, das zahlreiche politische Studien veröffentlicht und sich an politi-schen Kampagnen beteiligt. Seine Inlandsarbeit aber (wie etwa die Fastenaktion) weise nur einen ge-ringen politischen Charakter auf. Das kritisiert Brinkschmidt: Mi-sereor müsse seine politische Ar-beit in die Gemeinden tragen. Vor allem aber sollten sich alle katho-lischen Hilfswerke vernetzen, um gemeinsam politische Inlandsar-beit zu betreiben.

Brinkschmidts Analyse der einzelnen Aktionen der Hilfswer-ke ist sehr ausführlich, ihr Buch ist gründlich recherchiert und präsentiert einige interessante Aspekte. Aber das Thema muss ei-nen schon sehr interessieren, um dabei zu bleiben, da die Analyse sich in kleinsten Details verliert.

( jg) Maria BrinkschmidtPolitisches Handeln als weltkirchliche AufgabeEine Analyse der Inlandsarbeit katholischer WerkeFerdinand Schöningh, Paderborn 2016, 294 Seiten, 36,90 Euro

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Im nächsten Heft

DER GIpfEL DER G20 Die Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer wird im Juli in Hamburg tagen – unter lautstarken Protesten. Wie berechtigt sind die? Setzt die Bundesregierung für den Gipfel die richtigen Prioritäten, etwa bei einem Pakt mit Afrika? Was hat die G20 bisher bei ihrer Kernaufgabe erreicht, das globale Finanzwesen besser zu regulieren? Und was kann sie gegen globale Gesund-heitsgefahren wie Pandemien ausrichten?

SÜDAfRIkA Im „AfriForum“ haben sich weiße Afrikaaner zusammengeschlos-sen, um für die Rechte der eigenen Gruppe einzutreten. Ist das eine Verteidigung gegen den schwar-zen Nationalismus oder lebt hier der Rassismus fort?

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Die Versuchung

des Populismus

FLÜCHTLINGSPOLITIK: Australien vor das Welt-Strafgericht!

ZENTRALAFRIKA: Rückkehr in die Angst

CHINAS KONZERNE: Scharf auf High-Tech aus Europa

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SÜDSUDAN: Treuhandschaft als Weg zum Frieden?EU-AGRARHANDEL: Und er schadet Afrika doch!NIGERIA: Bei den Toilettenwärtern von Makoko

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„Schweinezeiten“ von Gary Victor

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ayşe kulinDer schmale Pfad unionsverlag, 2017288 seiten

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