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Gossner Mission Dokumentation

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Inhaltsverzeichnis

Adivasi in Jharkhand als Opfer der »Entwicklung« 3

Perspektiven für eine wirtschaftliche EntwicklungJharkhands zu Gunsten der Armen 6

Portrait eines Adivasistammes – die Oraon 8

Ureinwohner im Fadenkreuz – SystematischeVertreibungen von Adivasi aus Waldgebieten 11

Assam — das gestörte Paradies 14

Dalit- und Adivasifrauen in Indien 16

Dalits und Stammesvölker: Auf der Suche nacheiner gemeinsamen Ideologie 18

Johar – Manifest der Jharkhandis‘ Organisationfor Human Rights 21

Selbstorganisation zur Überwindung der Armut 24

Überlegungen zu einer adivasigerechtenEntwicklung 26

Die Spaltung der Adivasi überwinden 28

Skizze einer kontextuellen Adivasi-Theologie 29

Spirituelle Traditionen der Adivasi – Das Thema»Befreiung« in der Stammesdichtung 30

Grundlagen und Perspektiven der Solidaritätmit den Adivasi 33

Kurzinfo zu Jahrkhand 35

Glossar 35

Impressum 35

Karten:Bergbau und Industrie und Jharkhand 3Von Vertreibungen betroffene Distrikte Assams 13Assam – Bodenschätze 15Indien – Bundesstaaten und Unionsterritorien 19Distrikte von Jharkhand 35

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Einleitung

70 Millionen Adivasi leben über ganz Indien verstreut in 400Stammesgemeinschaften, mit verschiedenen Sprachen undKulturen. Gemeinsam verstehen sie sich als »die Ersten im Land«,die den indischen Subkontinent vor dem Eindringen arischerInvasoren (1500-1200 v. Chr.) bewohnt haben. Vor den dominieren-den Ariern flüchteten viele Adivasi in abgelegene Berg- undWaldregionen, wo sie lange Zeit ihre kulturelle Identität bewahrenkonnten und in Einklang mit der Natur gelebt haben. Aus demBlickwinkel der von der Ariern begründeten hinduistischenKastengesellschaft galten die Adivasi nun als »unzivilisiert« und»rückständig«. Sie wurden vertrieben, unterdrückt, diskriminiertund zur Fron- und Sklavenarbeit herangezogen. Ihre natürlichenLebensgrundlagen in den Waldgebieten wurden durch Abholzung,Bergbau und Staudämme verwüstet, besonders durch die industri-elle Ausbeutung der natürlichen Ressourcen (S. 3).

Auch im modernen, unabhängigen Indien hat sich dieses Bild– trotz einer umfangreichen Gesetzgebung zum Minderheiten-schutz (S. 33) – kaum geändert. Ein aktuelles Beispiel hierfür istein Programm der indischen Regierung, Adivasi systematisch ausWaldgebieten zu vertreiben. (S.11)

Die Beiträge in dieser Dokumentation – die meisten stammenvon Adivasiautoren – wollen über die wirtschaftliche und politi-sche Lage der Adivasi berichten, über ihre sozialen und kulturellenBesonderheiten (S. 8 und S. 30) und über ihren Kampf und ihreHoffnungen (S. 21 und S. 24). Ein regionaler Schwerpunkt istJharkhand, ein Kerngebiet der Adivasi im zentralen Nordosten desLandes. Ursprünglich ein Teil Bihars, wurde Jharkhand im Jahr 2000ein selbständiger Bundesstaat. Damit erfüllte sich die Hoffnungder Adivasi auf einen »Adivasistaat«. Doch was können die Adivasivon dem neuen Staat erwarten? (S. 18 und 26)

Die Geschichte der Partnerschaft zwischen Gossner Missionund Evangelisch-Lutherischer Gossner Kirche in Chotanagpur undAssam ist reich an Beispielen von Ermutigung, Anwaltschaft undAktionsgemeinschaft und der Gossner Mission Anregung undVerpflichtung für die gemeinsame Suche nach Wegen für dieZukunft.

Die Gossner Mission bedankt sich bei der Stiftung Nord-Süd-Brücken für die finanzielle Förderung der Druckkosten.

Bernd Krause, Indienreferent der Gossner Mission

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Ein Hauptkennzeichen des Jharkhand-Ge-biets ist derzeit die Unruhe vor allem unterden Adivasi. Diese Unruhe ist nicht nur imwirtschaftlichen und politischen Bereich zubeobachten, sondern auch im sozialen, kul-turellen und religiösen Bereich. Die Haupt-ursache dafür ist die fortgesetzte systema-tische Enteignung der Adivasi in dieserRegion. Und dabei ist die Vertreibung infol-ge von Entwicklungsprojekten eine der amhäufigsten hervortretenden Formen derEnteignung.

Reiches Land – Arme Bevölkerung

Jharkhand ist eine der reichsten Regionen In-diens, vor allem reich an Mineralien: mit ge-waltigen Vorkommen an Kohle, Eisenerz,Glimmer, Bauxit und Kalkstein. Es gibt dar-über hinaus beträchtliche Vorkommen anKupfer, Mangan, Dolomit, feuerfestem Ton,Kaolin, Kyanit, Chromit, Rohstoffen für dieatomaren Prozesse usw. Die Region ist au-ßerdem sehr bewaldet ...

Der natürliche Reichtum der Region stehtin deutlichem Kontrast zur verzweifelten Ar-mut der Menschen, die hier leben. Die ver-schiedenen Gemeinschaften von Adivasi, ur-sprünglich einmal 85 bis 90 Prozent derGesamtbevölkerung in Jharkhand, sind amschlimmsten von der umfassenden Ausbeu-tung des natürlichen Reichtums der Regioninfolge von Industrialisierung, Gruben undkommerzieller Nutzung der Wälder betroffen.Die Mehrzahl von ihnen lebt fast das ganzeJahr über am Rande des Hungernotstands. Dieübrigen 10 bis 15 Prozent der Bevölkerungwaren Zugewanderte, die sich hier niederge-lassen haben, um reich zu werden.

Die industriellen Revolution in Jharkhand

Die Industrialisierung dieses Gebiets nahmihren Anfang mit der Öffnung der ersten Koh-legruben in Raniganj im Jahr 1775. Der Be-ginn der Kohleförderung in Dhanbad in derzweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und dieGründung der Tata Iron and Steel Companyin Jamshedpur im Jahr 1907 stellen den An-fang der großangelegten Ausbeutung der Bo-denschätze durch die Industrie dar ...

Heute verarbeiten die großindustriellenBetriebe in Jamshedpur, Rourkela, Ranchi,Bokaro und im Kohlegebiet von Dhanbad und

Ramgarh hauptsächlich die reichhaltigenmetallischen und nicht-metallischen minera-lischen Bodenschätze der Region. Im Zusam-menhang mit der Ausdehnung der Förde-rungs- und Produktionstätigkeit vor allemseit der Erlangung der Unabhängigkeit 1947hat sich eine sehr starke Urbanisierung er-geben. Der Anteil der städtischen Bevölkerungist von zwei Pro-zent zu Beginndes Jahrhundertsauf 21‚25 Prozentim Jahr 1991 ge-stiegen. 1872 gabes 8 Städte, 1991waren es 134 ...

Die industri-elle Revolution inJharkhand infolgeder Ausbeutungder reichen Bo-denschätze, dieErrichtung der In-dustriebetriebeund die Verstädte-rung haben ver-schiedene, gera-dezu explosions-artige Entwick-lungen in der Re-gion in Gang gesetzt. »Explosionen« kann mandas deshalb nennen, weil hier Veränderungenin einer nie dagewesenen Größenordnungund in einer völlig katastrophalen Art undWeise ausgelöst wurden. Es bedeutet zugleicheinen unerhörten Angriff auf die relativ stabi-len und selbständigen Adivasi-Gemeinschaf-ten, ihr Land und ihre Ressourcen.

Enteignung und Vertreibung der Adivasi

Die Adivasi dieser Region werden systema-tisch des Eigentums an ihren Produktions-mitteln, der Früchte ihrer Arbeit und über-haupt der Grundlagen ihrer Existenz beraubt.Sie verlieren ihre Kulturen, ihre Werte-systeme, ihre Identität durch eine genau be-rechnete Politik, eine Politik der Integrationund Assimilation, mit der sie in den nationa-len »mainstream« gebracht werden sollen.

Adivasi haben eine besondere Beziehungzu ihrem Land. Wenn man sie von ihrem Landtrennt, ist das gleichbedeutend mit einemEntzug ihrer Lebensgrundlage.

Eine der Hauptursachen der Enteignungvon Land und der Vertreibung der Menschenist der Abbau der Bodenschätze. Die Kohle-gesellschaften erwerben ausgedehnte Flä-chen und vertreiben damit eine große An-zahl von Familien. Schätzungen zufolgehaben im Zeitraum 1981-85 die CCL (CentralCoalfields Ltd) und die ECL (Eastern Coalfields

Ltd) 60.120 Hektar Land in ihren Besitzgebracht. Über 32.700 Familien wurden da-durch vertrieben. CoaI lndia konnte jedochnur 11.901 Menschen aus der Gesamtzahlder Vertriebenen eine Arbeit geben. Nacheiner Aussage von B. P. Baliga »stellte dieKohleindustrie in den 80er Jahren die Haupt-ursache für die Umweltzerstörung dar.« Je-des Jahr wurden mehr als 75 km2 Land ver-nichtet. Baliga hat über 1.119 inzwischenaufgegebene offene Gruben und Untertage-abbau-Flächen untersucht, die der CIL (Coallndia Ltd) gehören und eine lndustrie-Brach-fläche von 122 km2 ausmachen. Das PiparwarKohle-Projekt im nördlichen Karanpura-Tal istein aktuelles Beispiel dafür wie das Land derAdivasi in großem Ausmaß und planmäßigzerstört wird. Neben den verursachtenschwerwiegenden Umweltschäden und derZerstörung des noch vorhandenen reichenKulturerbes in diesem Gebiet wird das Pro-jekt mindestens 15.000 Menschen in 14 Dör-fern direkt in Mitleidenschaft ziehen. DieUranium Corporation of lndia Ltd (UCIL), als

Adivasi in Jharkhand als Opfer der »Entwicklung«

Die industrielle Entwicklung in Indien hat in dem Gebiet des im Jahr 2000 neu gegründeten Bundes-staates Jharkhand zur Vertreibung, Entwurzelung und Proletarisierung huntertausender Adivasi

geführt. Mit der Verstädterung und dem Zuzug von Hindus – der die Adivasi in ihrem Land zur Minder-heit gemacht hat – haben sich tiefgreifende Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur ergeben.

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weiteres Beispiel, mit Sitz in Jadugora im Ost-Singhbhum, ist der alleinige Hersteller deswichtigen Nuklear-Brennstoffs, der in sämt-lichen indischen Atomreaktoren gebrauchtwird, die mit natürlichem Uran betriebenwerden. Infolge des Abbaus und der Aufbe-reitung von Uran in diesem Gebiet sind dieAdivasi und auch andere, die bei Jadugoraund in der Nachbarschaft wohnen, unmittel-bar zu Opfern der Gefahren von Radioaktivi-tät geworden. Ihnen steht ein langsamer,schmerzvoller Tod bevor, nachdem ihre Um-welt der Strahlung und Kontamination aus-gesetzt ist. Dieser Landstrich, der einmal alsErholungsort berühmt gewesen ist, ist nunmit dem Gift der radioaktiv und chemischbelasteten Abfälle überzogen. SämtlicheLebenssvoraussetzungen – Luft, Wasser, Tie-re, Fische, Pflanzen usw. – sind davon betrof-fen. Neue und bereits bekannte Krankheitenbreiten sich in diesen Dörfern aus und sor-gen dafür, dass die Glocken zur Beerdigungnicht aufhören zu schlagen ...

Betrachten wir nun die Enteignungen,die durch die industriellen Interessen in die-sem Gebiet verursacht sind. Die Tata Iron &Steel Company, gegründet 1907, erwarb an-fänglich 1.426 Hektar Land einschließlich vierDörfern zu einem Preis von 46.332 Rupien.Niemand weiß, was mit den damals Vertrie-benen geschah. Einige alte Bewohner inJamshedpur sind einhellig der Ansicht, dassdie damaligen Adivasi-Bewohner ganz ein-fach »verschwunden« sind. Die Errichtung desStahlwerks in Rourkela 1956 brachte die Ver-

treibung von 32 Dörfern mit 2.465 Bewoh-nern mit sich. 70 Prozent davon waren Adi-vasi. Nur 1200 Familien wurden schließlichrehabilitiert und in zwei Kolonien neuan-gesiedelt. Das Land von 46 Dörfern wurdefür die Errichtung des Stahlwerks in Bokaroerworben, wodurch 12.487 Familien, davon2.707 Adivasi-Familien, vertrieben wurden.Diese lndustrieanlagen in den Adivasi-Gebie-ten oder sonst unterentwickelten Gebietensind die Vorzeigeobjekte der Nation. Für dieLebensgemeinschaften vor Ort bedeutetensie eine einzige Katastrophe.

Die Adivasi werden zur Minderheit

Der raschen Ausbreitung der Industriebetrie-be und Abbaustätten in der Jharkhand-Regi-on folgten ein enormer Anstieg der Urbani-sierung und die massenhafte Zuwanderungvon Fremden in das Gebiet. Dies hat seiner-seits wieder zu weiteren Landenteignungenund -vertreibungen der Adivasi geführt. DerUmfang dieser Zuwanderung von Fremdenkann am sinkenden Anteil der Bevölkerungder »Scheduled Tribes« (ST) und der »Sche-duled Castes« (SC) an der Gesamtbevölkerungin der Region abgelesen werden. In Singh-bhum sank der Anteil der ST- und SC-Bevöl-kerung von 58,54 Prozent im Jahr 1931 auf47,38 Prozent im Jahr 1991. In anderenTeilen der Jharkhand-Region sieht es ähnlichaus ...

Ein Blick auf die Zahl der Beschäftigtenaus der Gruppe der ST und SC in den ver-

schiedenen Arbeitskategorien in ChotaNagpur und den Santhal Parganas im Jahr1981 zeigt folgendes Bild: obwohl sie 42 Pro-zent der Bevölkerung darstellten und 48 Pro-zent in der Kategorie der »main workers«ausmachten, hatten sie nur einen sehr ge-ringen Anteil an den Segnungen der Entwick-lung in der Region. Nur 26,75 Prozent der»main workers« in verschiedenen lndustrie-zweigen gehörten zur Gruppe der SC undST. Aber fast 60 Prozent der sogenannten»marginal workers«, die weniger als sechsMonate im Jahr in Arbeit sind, gehörten zuden SC und ST. In diese Kategorie gehörenwiederum 18,4 Prozent der gesamten SC undST-Bevölkerung ...

Im Dhanbad Distrikt, einem der am mei-sten verstädterten Distrikte in ganz Indien,leben 51,26 Prozent der Bevölkerung in Städ-ten. Die Anzahl der Städte stieg von drei imJahr 1951 auf vierzig im Jahr 1991. Dennochgehören nur 17,92 Prozent der städtischenBevölkerung im Dhanbad Distrikt zu den SCund ST. Im Stadtgebiet Jamshedpur, im Her-zen des Adivasi-Gebiets gelegen, leben nurmehr 4,78 Prozent SC- und ST-Bevölkerung.Die meisten von ihnen wohnen in den Slumsund arbeiten als »rejas« und coolies (billigeTagelöhner). Die Zugewanderten, die einmalnur etwa 10 bis 15 Prozent der Gesamtbevöl-kerung in der Jharkhand-Region ausmachten,haben sich den Großteil der Beschäftigungs-möglichkeiten angeeignet, die infolge derweitreichenden Entwicklungen in den letztenJahrzehnten entstanden sind.

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Die städtischen Zentren sind Enklavendes Wohlstands in einer ansonsten rückstän-digen Region. Die Unternehmer in den Zen-tren sind überwiegend Zugewanderte, dienun ihre Gewinne in anderen Teilen Indiensinvestieren. Das beste Beispiel dafür sind dieKohle-Städte in Dhanbad. WirtschaftlicheVerbindungen des urbanen Gürtels mit demunmittelbaren Hinterland gibt es keine. Derindustrielle und der ländliche Sektor sindscharf von einander abgegrenzt, und daswurde durch die wirtschaftliche Entwicklungin der Region nicht überbrückt, sondern ehernoch verstärkt. Was wir in Jharkhand vorfin-den ist städtisches Wachstum bei ländlicherStagnation – oder: das Wohlergehen einigerWeniger auf Kosten der Mehrheit.

Die Proletarisierung der Adivasi

Betrachten wir nun den Prozess der Proleta-risierung und Versklavung der Adivasi wie erdurch Vertreibung und Entschädigungs-programme im Rahmen verschiedener Ent-wicklungsprojekte in die Wege geleitet wird.Der erste Schritt ist die Störung des Eigen-tumsverhältnisses der Adivasi zu ihren Pro-duktionsmitteln, vor allem zu ihrem Land.Im Ergebnis wird ihre subsistente und selbst-genügsame Wirtschaft zerstört. Sie werdenzu »freien Arbeitern«: beziehungslos und dermateriellen Mittel zu ihrer Reproduktion be-raubt. Um überleben zu können, sind sie ein-zig und allein auf die Veräußerung ihrer Ar-beitskraft angewiesen. Die Verwandlung von

selbstgenügsamen Bauern in billige Arbeits-kräfte ist die erste Voraussetzung für die Aus-breitung der kapitalistischen Produktions-weise.

Der zweite Schritt ist die Bildung von »Ar-beiter-Kolonien« oder zwangsweise Ansied-lung in Lagern. Dies wird durch Umsiedlungs-und Rehabilitationsmaßnahmen der Regie-rung erreicht. Die Vertriebenen werden inGruppen auf Regierungsland oder auch aufanderem Land neu angesiedelt, jede Familieerhält eine kleine Parzelle, um darauf zu le-ben. Dort können sie dann auch Subsistenz-wirtschaft betreiben, wenn ihre Arbeitskraftals Tagelöhner gerade nicht benötigt wird.Zugleich trägt diese Subsistenzproduktiondazu bei, die Kosten der Arbeitskräfte nied-rig zu halten, da sie durch den Anbau aufdiesem kleinen Stück Land einen Teil ihresKonsumbedarfs sättigen können. In dieserWeise wird eine große Anzahl billiger Ar-beitskräfte »auf Vorrat bereit gehalten« undihre jederzeitige Verfügbarkeit ist gewähr-leistet.

Der dritte Schritt zur Proletarisierung derAdivasi besteht im »Disziplinieren« und Aus-bilden. Für die kapitalistische Ausbeutungder Region muss aus den Adivasi eine ganzbesondere Arbeiterklasse herangezogenwerden. Sie müssen für die Arbeit, die sieleisten sollen (z.B. als coolies) zugerichtetwerden, denn normalerweise sind Adivasiweder gewillt noch darauf vorbereitet als Ta-gelöhner zu arbeiten. In dieser Weise wer-den die Adivasi der Jharkhand-Region immer

mehr zum Proletariat degradiert. Sie werdensystematisch der Grundlagen ihrer Existenzberaubt. Das Ergebnis dieser Enteignung istHunger, Elend, Krankheit und Entbehrung.

Der Ausbeutungskultur widerstehen

Wie kann diese Situation des Unrechts undder Entmenschlichung geändert werden? Alsallererstes müssen wir selbst einen Bruch mitder bestehenden Gesellschaftsform vollzie-hen, die auf einer Kultur der Ungleichheit,der Ausbeutung und der Entmündigung ge-gründet ist. Wir selbst müssen eine neueGesellschaft aufbauen, mit neuen Werten,einer neuen Sichtweise und Beziehung zurNatur und zu den Menschen. Um eine sol-che Gesellschaft zu verwirklichen, müssenwir den Massen helfen, ihre eigene Machtdurch Einigkeit, Zusammenarbeit und Selbst-organisation zu entdecken. Sie müssen dasBild, das sie von sich selbst haben, in dasvon freien authentischen Menschen verwan-deln. Ein neues Selbstwertgefühl und dasSelbstvertrauen der Menschen in ihre eige-ne Kraft (»people‘s power«) sind die Voraus-setzungen für die Schaffung einer neuenGesellschaft.

Mathew Areeparampil (†), Jesuitenpateram St. Saviour Center for Tribal Training

in Chaibassa, JharkhandÜbersetzung: Johannes Laping

Zahllose große Projekte wurden hier gestartet. Aber nach der Eröffnung der Heavy Engineering Cor-poration in Ranchi erhielten nur wenige Arbeit. Die Mehrzahl ist ohne Arbeit, selbst heute noch. Siesind schlecht angezogen und verdingen sich als Rikscha-Fahrer in Ranchi.

Und schau dir die Frauen und Kinder an: sie sind Lumpensammler geworden. Nun sammeln siedie Abfälle von HEC auf, um etwas zum Leben zu haben. Und dann die schicken Hotels und Motelsund Rasthäuser ... für wen sind die wohl? Unsere Adivasi-Mädchen werden dort feilgeboten. Die ar-beitslosen Adivasi-Mädchen werden in dieses Geschäft mit dem Fleisch gelockt. Wenn wir vertriebenwerden, werden wir auch noch dort landen.

Eine Aktivistin gegen das Koel-Karo-Staudammprojekt in Jharkhand (ehemaliges Süd-Bihar).Aus: Stimmen der Adivasis, hrsg. v. sarini, Bonn 2001

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Das gesamte Gebiet des Bundesstaates Jhar-khand erstreckt sich über 79.700 km2 undumfasst zwei verschiedene Mittelgebirge:Chotanagpur und Santal Pargana. Die demo-graphischen Daten des Landes weisen Jhar-khand mit 26,9 Mio. Einwohnern den 13.Rang der bevölkerungsreichsten Bundesstaa-ten zu. Die Bevölkerung wächst mit einer ho-hen Rate von 2,31 %. Im Jahr 2001 betrug dieBevölkerungsdichte 338 (Einwohner pro

km2), im Vergleich zu 274 im Jahr 1991, waseinen steigenden Bevölkerungsdruck auf dasLand anzeigt ... Jharkhand hat einen großenAnteil an Stammesbevölkerung – 27,64 % dergesamtes Bevölkerung des Bundesstaates.Ein anderer bemerkenswerter Punkt ist, dassdie Stammesbevölkerung ihrem Charakternach überwiegend dörflich ist. Nach der ver-fügbaren Statistik leben 94 % der gesamtenStammesbevölkerung auf dem Land, trotzder Tatsache, dass der Anteil der Stadtbevöl-kerung in Jharkhand 20 % beträgt. Dies be-deutet, dass die Beschäftigungsstruktur derStammesbevölkerung statisch geblieben ist,unberührt von der Entwicklung, die sich inder Region Jharkhand abgespielt hat ...

Statische Beschäftigungsstruktur

66,85 % der gesamten Arbeitskraft arbeitenin der Landwirtschaft, entweder als Bauernoder als Landarbeiter ... Ein Vergleich derBeschäftigungsstruktur über den Zeitraumzeigt sehr klar eine geringe Bewegung der

Arbeitskraft vom Landwirtschaftssektor inandere nicht landwirtschaftlichen Sektoren.Zum Beispiel waren nach dem Zensus von1991 70,9 % der Arbeitskräfte in der Land-wirtschaft beschäftigt, davon 50,2 % Bauernund 20,7 % Landarbeiter (2001: 66,85 % imLandwirtschaftssektor, davon 38,59 % Bau-ern). Die größte Aussagekraft haben die sta-tistischen Zahlen ..., die zeigen, dass Adiva-sibauern einen deutlichen Anteil ihres Landes

verloren haben ... da diese Bauernzu Landarbeitern geworden sind,ist der Anteil der Landarbeiter von20,7 % im Jahr 1991 auf 28,26 % imJahr 2001 gestiegen. Die meistendieser Landarbeiter gehören zu denStammesgemeinschaften ...

Armut und Wachstum

Das Elend der Adivasis wird stati-stisch durch das große Ausmaß derArmut belegt ... 64,9 % der gesam-ten Bevölkerung in ländlichen Ge-bieten leben unterhalb der Armuts-grenze, verglichen mit 39,8 % in denStädten ... die Verbreitung der Ar-mut in Jharkhand ist sehr groß,selbst im Vergleich zu Bihar (42,2 %unterhalb der Armutsgrenze auf

dem Land, 30 % in den Städten). Aus derEntwicklungsperspektive steht der Bundes-staat Jharkhand zwei großen Problemen ge-genüber, nämlich der Armut und der gerin-gen Rate des Wirtschaftswachstums (in denJahren 1991-95 betrug das durchschnittlicheWirtschaftswachstum in Bihar nur 1,42 %, inder Landwirtschaft nur 0,66 %). Der Grün-dungstraum des Bundesstaates Jharkhandkann sich nur erfüllen, indem die große Ver-breitung der Armut unter den Stammes-gruppen bekämpft und die Wachstumsratedes landwirtschaftlichen und industriellenSektors vergrößert wird. Das Wachstum musseinen trickle-down-Effekt (wörtlich: Durch-sickereffekt) haben, so dass auch die armenSchichten der Gesellschaft von jeder Art vonEntwicklung profitieren ...

Die Last der schlechtenWirtschaftsentwicklung

... In der Vergangenheit hat die Plateauregion(Chotanagpur) eine schlechte Leistung beim

landwirtschaftlichen Wachstum gezeigt. EinGrund dafür ist in der falschen Konzeptionzu sehen, dass - wegen des reichen Vorkom-mens an Bodenschätzen in der Plateauregion- industrielles Wachstum die einzige Optionsei, um das Wachstum der Region zu fördern.Konsequenterweise hat die Entwicklung deslandwirtschaftlichen Sektors keine ernsthaf-te Aufmerksamkeit bekommen. Die Planerund Politikgestalter haben die Grundtatsacheder Beschäftigungsstruktur nicht angemes-sen berücksichtigt, dass die Mehrheit der Be-völkerung, insbesondere die Stammesbe-völkerung, von Land-Ressourcen, der Land-und Forstwirtschaft, abhängig sind. Sie ha-ben für ihren Lebensunterhalt kaum einenZugang zu den Bodenschätzen. Unbestrittenist, dass der Bergbau die wertvolle Ressour-ce des Bundesstaates (Jharkhand) ist und ei-nen ausreichende Grundlage für die industri-elle Entwicklung des Bundesstaates bietet.Aber die Grundprobleme der Armut und derArbeitslosigkeit können nicht allein durchwirtschaftliches Wachstum gelöst werden.Auf diese Probleme muss vom Standpunktder Bevölkerung und ihrer lebensunterhalt-enden wirtschaftlichen Aktivitäten aus ge-blickt werden.

Der tragischste Aspekt der wirtschaftli-chen Entwicklung in der Region Jharkhand ist,dass sich weder die Landwirtschaft noch dieIndustrie wie gewünscht entwickeln konnten... die Wachstumsrate der landwirtschaftlichenProduktion ist in dem Zeitraum von 1969 bis1995 ziemlich unbedeutend geblieben. Derjährliche Wachstum der Weizenernte im glei-chen Zeitraum wird statistisch mit mageren1,01 % angegeben. Mais ist mit magerem 0,18% jährlichem Wachstum der Ernte in die Stati-stik eingegangen (Reis: 0,42 %). Durch die lang-same landwirtschaftliche Entwicklung hatsich eine hartnäckige Stagnation der ländli-chen Wirtschaft in Jharkhand während derletzten drei Jahrzehnte ergeben. Was die in-dustrielle Entwicklung in Jharkhand betrifft,zeigt sich hier auch kein gutes Bild ... derAnteil der Industrie Bihars im Land ist nichtnur sehr gering gewesen, sondern er ist auchin den 90er Jahren zurückgegangen und zeigtdamit einen langsamen Fortschritt der Indu-strie in Bihar. Der Vorteil der Bodenschätzekonnte sich nicht als fördernd für die Ent-wicklung Jharkhands erweisen. Es ist eineIronie der industriellen Entwicklung, dass

Perspektiven für eine wirtschaftliche EntwicklungJharkhands zu Gunsten der Armen

Bei der wirtschaftlichen Entwicklung Jharkhands standen bisher Bergbau und Schwerindustrie im Vor-dergrund, die jedoch keine breiten Beschäftigungsmöglichkeiten für die Bevölkerung schaffen konn-ten. Um die Lage der Armen, v. a. der Adivasi verbessern zu können, setzt J. Prasad auf die Entwick-lung der Landwirtschaft und den Aufbau einer Industrie, die landwirtschaftliche Produkte verarbeitet.

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1991-92 der Anteil Bihars an den gesamt-indischen Fabrikationseinheiten 3,26 % be-trug und sich 1997-98 auf 2,43 % reduzierte... die Region Jharkhand ist bei der Entwick-lung der Landwirtschaft und des industriel-len Sektors im Vergleich zu entwickelten Bun-desstaaten des Landes weit zurückgeblieben.Die langsame Entwicklung dieser Sektorenhat nicht nur den Fortschritt der WirtschaftJharkhands behindert, sondern sich auch denZielen der Armutsbekämpfung und der Be-seitigung der sozio-ökonomischen Rückstän-digkeit entgegengestellt ...

Entwicklungspotential der Landwirtschaftin Verbindung mit verarbeitender Industrie

Die vorhergehende Analyse der Unterent-wicklung hat gezeigt, dass die statische Be-schäftigungsstruktur die aufschlussreichsteTatsache ... während der letzten fünf Jahr-zehnte hat es keinen bemerkenswerten Wan-del in der Beschäftigungsstruktur gegeben.Die Landwirtschaft ist der Hauptsektor, derden größten Anteil der arbeitenden Bevöl-kerung beschäftigt, bei einer sehr geringenProduktivität, gerade auf dem Niveau des Le-bensunterhalts. Die Frage der Armutsbe-kämpfung und der Schaffung zusätzlicherBeschäftigungsgelegenheiten ist mit derMöglichkeit einer fortschrittlichen Diversifi-kation (Auffächerung) der Beschäftigungs-struktur verbunden. Es muss allgemein ak-zeptiert werden, dass die statische Beschaf-fenheit der Beschäftigungsstruktur die Haupt-ursache der Unterentwicklung ist, sei es inJharkhand oder im ganzen Land ...

Die Grundlage der Entwicklungspolitikim Bundesstaat Jharkhand sollten Verknüp-fungen zwischen Landwirtschaft und Indu-strie (agriculture-industry linkages) bilden. Esist eine weitgehend akzeptierte Hypothese,dass Verknüpfungen zwischen Landwirt-schaft und Industrie den Weg für eine fort-schrittlichen Diversifikation der Beschäfti-gungsstruktur mit dem sekundären undtertiären Sektor frei machen. Wirtschaftlichist dieser Wandel mit einem Anstieg des Pro-Kopf-Einkommens verbunden, besonders derLandbevölkerung ... Die allererste Herausfor-derung in diese Richtung ist die Umstruktu-rierung der landwirtschaftlichen Produktion.Dazu gehört die Reduzierung des ausufern-den Wachstums der Bevölkerung, die in derLandwirtschaft arbeitet. Auch sollte es einenWechsel von weniger profitablen Nutzpflan-zen zu profitableren Nutzpflanzen geben.

Auf der Landesebene kann ein größererGrad der Diversifikation beobachtet werden.Der positivste Aspekt im Muster des land-wirtschaftlichen Wachstums ist, dass einigeBundesstaaten mit einem großen Ausmaß anArmut bedeutende Verbesserungen beimErnteertrag verzeichnet haben, in einer Wei-se, die zu einem umfassenden Abnehmen derArmut geführt hat. In vielen Regionen desLandes haben sich in den letzten zwei Jahr-zehnten zwei Modelle des Wandels der länd-lichen Produktion ausgewirkt, a) ein inner-

landwirtschaftlicher Produk-tionswandel von Getreide zu an-deren Nutzpflanzen wie Ölsaa-ten, Gemüse und Obst und b) einWechsel vom Pflanzenanbau zunichtpflanzlichen Bereichen wieTierhaltung, Milchverarbeitungetc.

Möglichkeiten Jharkhands

Die Verfügbarkeit der natürli-chen Ressourcen wie Land undWasser legt nahe, dass der Bun-desstaat Jharkhand einen weitenRaum für landwirtschaftlicheEntwicklung bietet, wie auch zurDiversifikation der Nutzpflanzen,die bisher nicht umgesetzt wur-de ... Die Nationale Landwirt-schaftskommission hat empfoh-len (1976), dass das Hochland (inGebieten wie Jharkhand) von ei-nem auf Getreide ausgerichtetenMuster des Ackerbaus zum Gar-tenbau mit mehrjährigen Garten-gewächsen wechseln soll. Diesesist arbeitsintensiver, ergibt einengrößeren Erlös und bietet mehr Beschäf-tigungsmöglichkeiten an ... Das ruft nach ei-ner Stärkung der industriell-landwirtschaft-lichen Verbindungen, für die der Bundesstaatgenügend Raum hat. Bezüglich dieser indu-striell-landwirtschaftlichen Verbindungensollte eine Industrie zur Verarbeitung land-wirtschaftlicher Produkte in Betracht gezo-gen werden. Da der Aufbau von Industrienzur Verarbeitung landwirtschaftlicher Pro-dukte auch in rückständigen ländlichen Ge-bieten möglich ist, bilden sie einen wichti-gen Teil der Entwicklungsbemühungen zuGunsten der Armen, besonders der ländli-chen Adivasi, die entweder ihrem Boden sehrgeringe Einkommen schaffende Aktivitätenabgewinnen, oder gar keine. Auch helfendiese Industrien dabei, den Exodus der Men-schen aus ländlichen Gebieten in die Städtezu vermeiden, indem direkt oder indirekteinträgliche Beschäftigungsmöglichkeiten inden ländlichen Gebieten geschaffen werden... das würde ein beschäftigungsintensivesMuster der Industrialisierung zur Prioritätmachen. Es müssen Strategien in diese Rich-tung entwickelt und angemessene Projektezur Verarbeitung landwirtschaftlicher Pro-dukte ausgewählt werden, die rückständigenGebieten Entwicklung bringen und das Ein-kommen der Armen auf dem Land steigernwürden ...

Konsequenzen für die Politik

Die zukünftigen Prioritäten bei öffentlichenInvestitionen sollten sich auf einen wohl-überlegten Ansatz beim ländlichen Sektor,besonders beim landwirtschaftlichen Sektorstützen. Zum Beispiel gibt es in der RegionJharkhand einen Mangel an Bewässerungs-anlagen und die gesamte Region ist vom Re-

genfall abhängig ... Watershed-Entwicklung(siehe oben) ist die entscheidende Option fürden nutzbringenden Schutz von Land undWasser, die einen großen Anstoß für eineSteigerung des landwirtschaftlichen Wachs-tums im Bundesstaat Jharkhand geben kann... zusammen mit technischen Verbesserun-gen in anderen Bereichen ... wird der Bedarfan qualifizierter Arbeit wahrscheinlich dasAngebot in ländlichen Gebieten übersteigen.Deshalb sollten Unterstützungsprogrammefür Ausbildungsmaßnahmen angestoßenwerden ... als Antwort auf die Umstrukturie-rungen im ländlichen Produktionssystem.

Zusammenfassend ... wird eine Strategieim Bundesstaat Jharkhand benötigt, die einesoziale und wirtschaftliche Entwicklung an-stößt. Hierfür sollen das landwirtschaftlicheWachstum gefördert und produktive nicht-bäuerlicher Beschäftigung durch Stärkungder landwirtschaftlich-industriellen Verbin-dungen ermöglicht werden. Dazu gehörtauch, ein hohes Niveau der sozialen Entwick-lung auf der Basis von Ausbildungsmaßnah-men zu erreichen. Jharkhand zeigt heute einneues Gesicht – mit der Bürde der Unterent-wicklung in der Vergangenheit, aber mit ei-ner neuen Vision. Mit einer menschenfreund-lichen Regierung sollte dieser Bundesstaateinen neuen Weg der sozialen und wirt-schaftlichen Entwicklung aufzeigen können,indem die Sehnsüchte seiner Bevölkerungerfüllt werden.

Jagish Prasad, Political Economy of De-velopment: The Jharkhand Panorama,in: Jharkhand Journal of Development

and Management Studies (JJDMS), Vol. 1, Issue 1, Ranchi 2002Übersetzung: Henrik Weinhold

Watershed-Projekte –Nachhaltige Wasserprojekte

»Die Projekte von Watershed versuchen ..., diespärlichen, aber oftmals heftigen Regenfälle dortaufzufangen, wo sie fallen. In den Watersheds -das sind Wassereinzugsgebiete - an den Berg-hängen werden von oben bis unten Konturgräbengezogen. Dort sammelt sich die gute Erde, derRegen wird aufgefangen und sickert langsam ein.In den Konturgräben wachsen Büsche und Bäume.Wo dies gelingt, wird nicht nur das Land wiedergrün wie in früheren Zeiten, auch die Menschenkönnen wieder in den Dörfern leben. MancheFamilien kommen sogar aus den Slums der Städtezurück, wohin sie aus Mangel an Wasser undLebenschancen abgewandert waren. EinWatershed-Projekt erfordert die Beteiligung undharte Arbeit von allen im Dorf.«(Quelle: Jesuitenmission)

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Die Oraon sind ein dravidischer Stamm. Siesind vorwiegend im Westen, Nordwestenund zentralen Gebieten des Distrikts Ranchizu finden ... auch zerstreut in anderen Di-strikten Bihars ... und in den angrenzendenBundesstaaten Orissa und Madhya Pradesh.Eine große Zahl Oraons ist auch nach Assamund West-Bengalen ausgewandert, wo sie inTeegärten arbeiten.

Ansiedlung in Chotanagpur

Die Herkunft der Oraon ist unklar. Ihre Ge-schichte vor der Ansiedlung in der RegionChotanagpur wird hauptsächlich aus Legen-den und traditionellen Quellen erschlossen... Ihre Ansiedlung in der Region Chotanag-pur fand im zweiten Jahrhundert n. Chr. statt.Mit besserer Ausrüstung, besseren landwirt-schaftlichen Kenntnissen und ihrer fleißigenNatur, wurden sie bald einer der dominan-ten Stämme in der Region Chotanagpur. DasWort »Oraon« in der Sprache Mundari bedeu-tet fleißig ...

Als die Bevölkerung der Oraon anstieg,erweiterte sich ihr Siedlungsbereich hin zumZentrum des Chotanagpur-Plateaus. Dabeiwurden Oraon-Dörfer gegründet, die Fami-liengruppen umfassten, und mehrere Dörfer(12 bis 30) schlossen sich zu Gruppen für so-ziale und religiöse Zwecke zusammen. Die-se Einheiten hießen parhas. Jeder parha hat-te sein eigenes Oberhaupt (chief) und einenRat. Historische Aufzeichnungen geben an,dass sich die Region Chotanagpur im vier-ten Jahrhundert n. Chr. politisch unter einemOberhaupt, dem raja (König) von Chotanag-pur, vereinigte, dessen Amt durch Wahl ver-geben wurde ... Er empfing regelmäßig klei-ne Geschenke, Korn und Waldprodukte,anfangs eher auf freiwilliger Basis, die spä-ter in feste Abgaben verwandelt wurden. Je-doch blieben die Dörfer und parhas weitge-hend Selbstverwaltungseinheiten. Chotanag-pur blieb bis zum Anfang des 17. Jahrhun-derts unabhängig, als es durch den ErobererAkbar zum Mogulreich hinzugefügt wurde.

Die Gebiete Chotanagpurs, in denen dieOraon siedelten, bestehen aus ... Bergen undHügeln, die durch zahlreiche Ströme undkleine Flüsse in verschiedene Abschnittegeteilt werden. Zwischen den Hügeln wur-den Terrassenfelder zur Kultivierung ange-legt ... Das ganze Plateau war einstmals mitWäldern bedeckt, aber allmählich wurdendiese für die Bodennutzung gerodet ... Die

umliegenden Wälder haben einen großenwirtschaftlichen Wert für die Oraons. Sie sinddie Hauptquelle für Holz, das zur Herstel-lung landwirtschaftlicher Geräte, für denHausbau und als Feuerholz genutzt wird.

Das dörfliche Leben

Die Oraon Dörfer sind hauptsächlich imHochland gelegen, das gewöhnlich unfrucht-bares Land ist. Die Häuser sind aus Lehm-wänden gemacht und haben Ziegeldächer ...Das typische Oraon-Haus besteht aus einemgroßen Raum in der Mitte ... mit engen An-bauten rund um diesen Raum. Die Anbautendienen als Wohnzimmer, Küche und Schlaf-räume. Auch die Tiere werden in einem derAnbauten untergebracht, gewöhnlich auf derrechten Seite des Hauses. Ihre Haushalts-gegenstände schließen einige Betten, Mat-ten, Holzhocker, Tonkochtöpfe, Messing- undAluminiumutensilien ein. Einige landwirt-schaftliche Geräte wie Spaten, Äxte, Stemm-eisen, Sichel ... werden auch in dem Anbauverwahrt. Die meisten Oraon besitzen aucheinen saggar (ländlichen Frachtkarren). Kühe,Ochsen, Schweine und wenige Hühner sinddie Tiere, die Oraon halten. Das Land imUmkreis der Oraon-Dörfer ist schroff und dieLandwirtschaft ist nicht leicht gewesen. Mitden Jahren an Erfahrung, dieses Land zu kul-tivieren, haben sie gelernt, eine Vielfalt anBöden nach ihrer Qualität zu unterscheiden.Eine der Differenzierungen wird zwischentanr (Hochland) und don (Ebene) gemacht.Das tanr liefert grobkörnigen Reis, Hirse, Lin-sen und Ölsaaten. Gewöhnlich erfolgt einFruchtwechsel ... Das don-Land bringt alsErtrag nur Reis hervor. Die im Oktober ein-geholte Ernte besteht aus grobkörnigemReis, während die andere, die von Novem-ber bis Dezember eingeholt wird, aus feinemReis besteht.

Düngung ist am wichtigsten, um eineguten Ernte zu sichern. Oraon-Bauern benut-zen eine Auswahl an traditionellen Düngern,die aus Kuhdung und Karanj-Blumen und mitAsche gemischten Blättern zusammenge-stellt werden ...

Da die Wasserressourcen unzureichendsind, hängt die Ernte von einem ausreichen-dem Regenfall ab. Gewöhnlich ist der Nie-derschlag in dieser Region ausreichend fürdie Pflanzen, die angebaut werden, abereine Dürre am Anfang der Regenzeit oderein frühes Aufhören des Regens richtet beim

Reis einen großen Schaden an ... Im Winterund Sommer werden Gemüsesorten wie To-maten, Kohl, Blumenkohl ... angebaut. Zu-sammen mit Reis und Linsen machen sie ge-wöhnlich die normale Ernährung der Oraonaus.

Ein Oraon-Bauer ist also in großem Aus-maß vom Wetter abhängig. Während ein ern-stes Ausbleiben von Regen eine Hungersnothervorruft, schlägt sich teilweises Ausblei-ben in einer Nahrungsmittelknappheit nie-der. Man findet Beschreibungen von Hun-gersnöten in den Erzählungen und Liedernder Oraon. Allein während der letzten 100Jahre wurde über vier große Hungersnöteund Zeiten ernsthafter Dürre berichtet.

Die Gesellschaftsstruktur

Die Oraon sind in mehrere Clans aufgeteilt,von denen jeder seinen Namen von Vögeln,Fischen, Tieren, Gemüsesorten, Pflanzenoder Mineralien usw. ableitet. Zum Beispielgibt es Clans, die Toppo, Minz, Khess, Lakra,Tirkey, Panna und Bek genannt werden, de-ren Namen von Specht, Fisch, Reiskorn, Ti-ger, jungen Mäusen, Eisen und einer Salz-sorte hergeleitet werden. Diese Totemswerden als heilig angesehen, und die Oraonswerden den Namensgeber eines Clans nichtessen, sie werden ihm kein Leid zufügen oderihn zerstören. Es besteht der Glaube, dassdie Totems ihren Vorfahren geholfen odergedient haben. Abbildungen der Totems ausHolz oder Messing werden in den Dörfernder Oraon aufbewahrt. Sie werden angebe-tet und vor dem Verlassen des Dorfes für dieJagd (oder für einen Kriegszug in früherenTagen) wird ihnen geopfert, um Erfolg zuhaben. Eine Heirat innerhalb des gleichenClans ist nicht erlaubt. Wer dagegen verstößt,wird bestraft oder exkommuniziert.

Jeder Clan ist einem parha, der mehrereDörfer (gewöhnlich 10 bis 30) umfasst, zuge-hörig ... Alle Dörfer, die zu einem parha gehö-ren, unterstehen der Autorität des parhapanchayat (Rat), der aus vier Dörfern desparhas zusammengestellt wird – einer agiertals raja (König), einer als dewan (Premiermi-nister), einer als panrey (Sekretär) und einerals kotwar (Bote). Der headman eines raja-Dorfes heißt mahto und agiert als Vorsitzen-der des parha panchayats. Der Rat entschei-det über Fälle von Verstößen gegen gewisseTabus bezogen auf Ehe, Sexualität, Diebstahl,Körperverletzung, Hexerei, Essen und Trinken,

Porträt eines Adivasistammes – die Oraon

Die Adivasi siedelten sich lange vor den Indoariern auf dem indischen Subkontinent an. »Adivasi«bezeichnet dabei nicht eine einzelne Ethnie sondern eine Vielfalt von Völkern, mit unterschiedli-chen Traditionen. Die Oraon sind einer der größeren Stämme, die sich in der Region Jharkhandangesiedelt haben.

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einschließlich Auseinandersetzungen bezüg-lich der Rangfolge bei Festen und der Jagd-rechte. Alle Dörfer eines parha nehmen ge-meinsam an Jagden und Tänzen bei Festenteil ...

Erbschaft

Oraon haben komplexe Regeln für die Erb-schaft. Nach dem Tod des Vaters wird dasLand unter den Söhnen aufgeteilt. Der älte-re Sohn bekommt einen größeren Anteil. EinSohn, der von der ersten Frau geboren wur-de, bekommt auch einen größeren Anteil alsein von der zweiten Frau geborener. EineWitwe kann keinen Besitz erben, aber ihnbis zu ihrem Tod behalten. Adoptierte Söh-ne vom gleichen Clan können allen Besitzihres Vaters erben ...

Heirat

Die Heirat ist der wichtigste Aspekt im Le-ben eines Siedlers. Die Oraon haben dies-bezüglich klare Regeln. Monogamie ist dieerste Heiratsregel. Heiraten innerhalb desgleichen Clans und zwischen Sohn und Toch-ter von Bruder und Schwester ... sind nichterlaubt. Es wird geglaubt, dass sie Unglückfür die beteiligten Personen und für den gan-zen Stamm nach sich ziehen. Eine Heiratzwischen Jungen und Mädchen des gleichenDorfes wird nicht sanktioniert. Eine Heiratmit einer Frau eines anderen Stammes führtzum Ausstoß. Die Wiederverheiratung vonWitwen wird weitgehend praktiziert. DieWitwe eines verstorbenen Bruders wird ge-wöhnlich mit dem jüngeren Bruder verhei-ratet. Nur wenn der jüngere Bruder sich wei-gert, sie zu heiraten, wird ihr eine Heirat miteiner anderen Person erlaubt. Scheidungenwerden in der Gemeinschaft akzeptiert und

bei einer Reihe von Sachverhalten erlaubt,etwa: wenn die Frau davon rennt, wenn dieFrau faul ist und ihre Haushaltspflichten ver-nachlässigt, wenn sie Sachen stiehlt und zumHaus gehöriges Getreide verkauft, wenn sieden bösen Blick hat, unfruchtbar ist oderübellaunig und streitsüchtig. Falls die Frausich falsch verhält, muss der vom Ehemannbezahlte Brautpreis an ihn zurückgegebenwerden ...

Religion

Die Oraon, die eine ziemlich komplexe Ge-sellschaftsform verkörpern, haben eine Formder Religion entwickelt, in der eine Vielzahlan Göttern und unsichtbaren Mächten wich-tig sind. Sie glauben an Chandi, einen Geist,der über die Jagd- und Kriegsaktivitätenwacht. Ihr höchster Gott ist Dharmesh, derHimmelsherr. Sie glauben auch an geheim-nisvolle Mächte, die Krankheit, Tod oder an-dere natürliche Unglücke bringen, beson-ders, wenn sie beleidigt werden. Daher sindalle religiösen Aktivitäten der Oraons auf dieVersöhnung ihrer Götter, unsichtbaren Gei-ster und geheimnisvollen Mächte gerichtet.Im Namen dieser Götter und Geister werdenGebete, kultische Verehrung und Opfer dar-gebracht, um sie zu besänftigen. Obwohl dieOraon fest daran glauben, dass diese Aktivi-täten keine Unglücke vermeiden können,fühlen sie, dass sie damit gute Beziehungenzu den geheimnisvollen Mächten aufbauenkönnen und ihre Gesellschaft gegen Bedro-hungen von außen und Gefahren stärken.

Mit der Landwirtschaft als ihrer haupt-sächlichen wirtschaftlichen Ausrichtung, fe-ster Ortsansässigkeit, einer komplexen Formder Gesellschaft und der Religion, wohl-

definierten Regeln für Landbesitz und Erb-schaft und wohlentwickelten Institutionenfür die Sozialisation der Kinder haben dieOraons nahezu zwei Jahrtausende lang einglückliches Leben in Chotanagpur gelebt. Mitihren Anstrengungen und Fertigkeiten habensie den optimalen Nutzen aus dem Land ge-zogen, um die bestmöglichen Erträge zubekommen.

Der Alltag eines Oraon

Der typische Tagesablauf eines Oraon-Dorf-bewohners beginnt mit dem frühmorgend-lichen Aufstehen um vier Uhr. Nach dem Füt-tern des Viehs drischt er mit seiner FamilieReis. Zwischen fünf und sechs Uhr brechensie zu ihren Feldern auf und arbeiten dortbis etwa 11 Uhr. Während sie von den Fel-dern zurückkommen, baden sie in einemFluss oder Bach. Bei der Ankunft bekommendie Ochsen die nächste Fütterung (gewöhn-lich Reisstroh). Zu dieser Zeit nehmen dieOraon die erste Mahlzeit zu sich. Das Essenbesteht gewöhnlich aus Reis mit ein wenigLinsen oder Gemüsecurry. Dann ruhen siesich ein oder zwei Stunden aus, in denenHaushaltsarbeiten wie ... das Reparieren derlandwirtschaftlichen Geräte durchgeführtwerden. Der Nachmittag ist dem Weiden desViehs gewidmet und/oder der Weiterarbeitauf dem Feld. Wenn lokaler Markttag ist,gehen die meisten Menschen dort hin, umAlltagsgüter wie Salz, Kerosin, Tabak undSeife zu kaufen. Gekocht wird üblicherwei-se am Abend von den Frauen. Das Abendes-sen ist um 19.30 Uhr zu Ende, und bald da-nach geht die ganze Familie zum akhara

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(Tanzplatz), der gewöhnlich im Dorfzentrumliegt. Um 20 Uhr fängt akhara an. WährendMädchen und Frauen singen und tanzen,begleiten die Männer sie mit Trommelspiel,Gesang und Tanz. Die älteren Leute kommenum 22 Uhr zurück nach Hause ...

Veränderungen in der Gesellschaftdurch Landverlust

Während dieser Tagesablauf auf typischeWeise auch noch heute das Leben einesOraon-Bauers prägt, ergeben sich allmählich

wegen des steigenden Kontakts mit der Au-ßenwelt eine Reihe von Veränderungen inihrem Leben, auch politische und wirtschaft-liche ... In der Geschichte haben die Oraonvor etwas mehr als 200 Jahren einen großenRückschlag erlitten, als einer ihrer Oberhäup-ter verhaftet und mit anderen Hindukönigenins Gefängnis gesteckt wurde. Mit seinerFreilassung brachte er nicht nur neue Gedan-ken über das Königtum nach Chotanagpur,sondern auch Männer aus anderen RegionenIndiens als seine Höflinge und Priester. AlsBezahlung für ihre Dienste wurden diesenNeuankömmlingen Anteile an den Geschen-ken angeboten, die von dem Oraon-chief ausden Dörfern empfangen wurde. Aber das warzu wenig, um die Neuankömmlinge zufrie-den zu stellen, und bald fingen sie an, Landvon den Dörfern zu beanspruchen, von de-nen diese Geschenke empfangen wurden.Langsam hatten sie Erfolg, das Land zu über-nehmen und wurden landlords (Großgrund-besitzer). Später, als diese Region vor 200Jahren unter britische Herrschaft kam, wur-den die Ansprüche der landlords gerichtlichbestätigt, da die Oraon keine schriftlichenBeweise bezüglich ihrer Landrechte hatten.

Der Landverlust hat eine folgenschwereZersetzung der Oraon-Gesellschaft mit sichgebracht. Früher Landbesitzer, fanden siesich nun als Pächter fremder landlords wie-der und wurden in verschiedener Weise aus-gebeutet. Diese Verluste wurden nicht ein-fach akzeptiert;... sie griffen gegen dielandlords zu den Waffen, aber diese Aufstän-

de wurden von der britischen Armee unter-drückt. Diese Misserfolge schlugen sich auchin ihrem religiösen Glauben nieder. Vielebegannen, an der Macht der Geister und derGötter, die sie verehrten, zu zweifeln. In die-sem Zustand der Desillusionierung brauch-ten sie jemanden, der vor Gericht ihre Rech-te sichern und ihr Land schützen konnte.Christliche Missionare, die in der Regiongearbeitet hatten, machten sich diese Situa-tion sehr zunutze. Sie versprachen ... ihnenHilfe und erlangten daher den Eintritt in ihrLeben ... In der Erwartung von Hilfe, gabenOraon-Familien und -Dörfer den Missionarenihre Namen, ungeachtet der Tatsache, dasssie viele ihrer Traditionen aufgeben mussten,einschließlich ihres wertvollsten Brauches –des Gemeinschaftstanzes.

Der Aufbau verschiedener Industrieanla-gen in der Region Chotanagpur hat nochmehr Landbesitzstreitigkeiten geschaffen.Das traditionelle System des Planzenanbauserschien nun als unzulänglich, sie mit Nah-rungsmitteln zu versorgen. Dieser Mangelzwang Viele von ihnen, sich an der neuenkommerziellen Wirtschaft zu beteiligen, umsich selbst mit dem Anbau von cash crops(zum Verkauf angebaute Feldfrüchte) durch-zubringen. Deshalb wechselte ein großer Teilder Oraon zum Gemüseanbau über, vor al-lem an Orten, wo Wasser zur Bewässerungverfügbar war. Die wachsenden Industrie-komplexe in Bihar schufen eine Nachfragefür dieses Gemüse. Heutzutage versorgen dieOraon nicht nur die umliegenden Städte mitGemüse, sondern auch viele IndustriestädteBihars und Bengalens.

Missionare bringen Bildung

Obwohl die Missionare nicht immer darinerfolgreich waren, dass das verlorene Landden Oraon zurückgegeben wird, spielten sieeine Hauptrolle bei der Bildung der Oraon-Kinder. Nachdem Indien die Unabhängigkeiterlangte, wurde eine Quotenregelung für dieEinstellung von Adivasi implementiert. Dasführte zur Beschäftigung vieler gebildeterOraon in lokalen Schulen, Ämtern, Kranken-häusern und staatseigenen Betrieben. DieBeliebtheit von Bildung in dieser Gruppewuchs allmählich an, und das führte zu demErgebnis, das Adivasi wichtige Positionen imBildungswesen und in der Verwaltung ein-nahmen ...

Auswanderung und Arbeitsmigration

Der Landverlust hat viele Adivasis dazu ge-bracht, auszuwandern und in Teegärten inWest Bengalen und Assam zu arbeiten. All-gemein gesprochen sind die Migranten die-jenigen, die an Orten lebten, wo Bewässe-rungslandwirtschaft nicht möglich und dielandwirtschaftliche Produktion unzureichendwar. Es gibt auch Beispiele periodischerArbeitsmigration. In diesen Fällen verlassendie Menschen nach der Ernte (Oktober-No-vember) ihr Zuhause, um in Ziegelfabriken

in den an Bihar angrenzenden Bundesstaa-ten zu arbeiten. Sie kehren im Juni oder Julizurück, wenn der Regenfall eingesetzt hatund die Ziegeleien geschlossen sind. Deshalbhat die heutige Wirtschaft der Oraon ihreGrundlage nicht mehr in der Landwirtschaft.Zusätzlich gehen diejenigen Menschen, diehauptsächlich Bauern sind, Tätigkeiten nachwie Jagen, Fischen, Viehzucht und verschie-dene Gewerbe, um ihr Einkommen zu ergän-zen.

Entwicklungsprogramme helfeneiner Minderheit

Die Regierung und Nichtregierungsorga-nisationen haben zur Wohlfahrt der Adivasimehrere Entwicklungsprogramme einge-führt. Die landwirtschaftliche Entwicklungund Viehzucht sind der Fokus dieser Pro-gramme gewesen. Einrichtungen zum Testenund Behandeln des Erdbodens, um seineFruchtbarkeit zu steigern, werden erweitert.Schulungsprogramme für den Anbau neuerPflanzensorten, für den Gebrauch von ver-bessertem Saatgut, von Kunstdünger undausgefeilten landwirtschaftlichen Gerätenwerden organisiert. Neue Büffel- und Rinder-rassen wurden eingeführt, um zur Milchpro-duktion zu ermutigen, und es gibt anhalten-de Anstrengungen, mehr Brunnen zu graben,Windmühlen und Pumpen zu installieren, umdie Bewässerungsanlagen in der Region zuverbessern. Es wird auch zu Kleingewerbenermutigt: Weben, Schmieden, Holz- undBambusarbeiten unter Männern, Produzie-ren von Blatttellern, Seife, Marmelade ...Spinnen und Weben sind einige der Aktivi-täten, zu denen die Frauen ermutigt werden.Alle diese Anstrengungen sind darauf ausge-richtet, das wirtschaftliche Niveau der Oraonwie auch der anderen Adivasi zu verbessern,um deren Auswanderung zu verhindern.Unglücklicherweise ist die Antwort der Ora-on auf diese Programme nicht seht ermuti-gend gewesen. Tatsächlich wurden die mei-sten dieser Einrichtungen von denen ge-nutzt, die wirtschaftlich schon gut gestelltsind. Die Armen haben geringes Vertrauenin Regierungsprogramme; oft scheinen siebesorgt zu sein, das wenige, was sie haben,zu verlieren ...

Obwohl die Kräfte des sozio-ökonomi-schen Wandels am Arbeiten sind, sterbenTraditionen nur langsam. Die Oraon sind,trotz der mannigfaltigen Einflüsse, die aufsie einwirken, kontinuierlich dem Oraon-Le-bensstil durch die Jahrhunderte hindurchgefolgt ... Ihre Trommeln hallen abends nochwider, und ihre Lieder helfen ihnen, die Fru-strationen und Trübsale des Lebens zu ver-gessen.

Aus: R. C. Mishra, D. Sinha, J. W. Berry,Ecology, Acculturation and Psycho-

logical Adaption. A Study of Adivasis in Bihar, New Delhi 1996, 53-63

Übersetzung: Henrik Weinhold

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Das Bundesministerium für Umwelt und For-ste (MoEF – Union Ministry of Environmentand Forests), das sich stets einer Entschei-dung über die vielen Streitfragen bezüglichder Stammesgebiete widersetzt hat undblind gegenüber den ruchlosen Aktivitätender Holzwirtschaftslobby gewesen ist, hatnun einen schnellen Weg gefunden, 1,25 Mio.ha Waldgebiete zu säubern. Es entfernt zehnMillionen Ureinwohner aus ihrem natürlichenLebensraum, wohl bewusst, dass sie so wirt-schaftlich schwach und politisch unorgani-siert wie nie zuvor sind. Ein Rundbrief desMinisteriums im Mai und die Empfehlungen,die sein Zentralausschuss (CEC – CentrallyEmpowered Committee) an den Obersten Ge-richtshof geschickt hat, offenbaren eine Ver-fahrensweise, die gewaltsame Vertreibungder unglücklichen Stammesbevölkerung ein-schließt und das Recht verweigert, als Ge-schädigter gegen die Entscheidung Be-schwerde einzulegen.

Das Umweltministerium fordert die Bun-desstaaten zum Handeln gegen Adivasi auf

Am 3. Mai 2002 schickte das Ministerium ei-nen Rundbrief an alle Regierungen der Bun-desländer, der ihnen anordnet, wilde Siedlun-gen, die für eine Legalisierung nicht geeignetsind, zu beseitigen. Die Frist, die für dieseAngelegenheit gesetzt wurde, war September2002. Der Rundbrief ermächtigte Forstbeam-te, Strafverfahren gegen unbefugte Eindring-linge durchzuführen und rief zu »angemesse-nen Schritten« auf, um den Vertreibungs-prozess durch abgekürzte Verfahren abzu-schließen. Zur Realisierung dieses Plans for-derte er auf, Kontrollkommissionen auf derEbene der Bundesstaaten unter dem Staats-sekretär und eine zweite Kommission auf derEbene der Forstverwaltung zu bilden, ein-schließlich des Forstdirektors, des Polizei-superintendenten und des Bezirksvorstehers(District Collector).

Der Rundbrief sieht alle Ureinwohner, diein den verschiedenen Arten von Waldgebie-ten leben, als »unbefugte Eindringlinge« an.Er ignoriert die symbiotische Beziehung zwi-schen den Adivasi und den Wäldern. Er ver-sucht auch, das nicht realisierte aber umfas-sende Programm des MoEF vom September

1990 umzukehren, das auf dem 29. Berichtder Kommission für Dalits und Adivasi (Sche-duled Castes and Scheduled Tribes Commis-sion) basierte.

Auswirkungen in einem Bundesstaat

Die Auswirkung des Rundbriefes war nir-gendwo so offensichtlich wie in Andra Pra-desh. Vor einigen Monaten wurden 32.000ha Land durch das Forstressort der Landes-regierung für ein Projekt der Weltbank zu-rückgefordert. Eine Nichtregierungsorganisa-tion, Samata, nahm sich des Falls an, unddaraufhin musste die Landesregierung ver-sichern, dass die Ureinwohner nicht aus denWaldgebieten vertrieben werden. Zu diesemZeitpunkt kam der Rundbrief des MoEF alsgrünes Licht für die Landesregierung, Adiva-si zu vertreiben. Dazu Samata-Mitglied K.Bhanumathi: »Nun haben wir ein Gericht be-müht, sich des Falls rechtlich anzunehmen.’’

Vertreibung der Adivasi widerspricht frü-heren Gesetzen und politischen Leitlinien

Um einen weiteren Rahmen für seine Politikdes Terrors gegen Ureinwohner abzustecken,hat die Bundesregierung den Rundbrief mitden Empfehlungen ihres Zentralausschusses(CEC) erweitert. Der Oberste Gerichtshof hat-te das CEC im Juni 2002 beauftragt, sich derAngelegenheit der wilden Siedlungen anzu-nehmen. Die Empfehlungen des Ausschus-ses unter unter dem Vorsitz von P.V. Jaya-krishnan aus dem MoEF (der CEC besteht ausfünf Mitgliedern, die das Bundesumwelt-ministerium vertreten) umgehen auch dieRichtlinien vom September 1990, die dasProblem der wilden Siedlungen in einer ganz-heitlichen Art behandelten und brauchbareLösungen aufzeigten. Er hatte keine Vertre-ter der Adivasi. Alle früheren Zugeständnis-se zum Wohl der Adivasi wurden von die-sem Ausschuss ignoriert. Vor der Verab-schiedung des Gesetzes zum Schutz derWälder (Forest Conservation Act) von 1980wurden den Ureinwohnern eine Reihe vonVersprechungen gemacht. Die Grundsätzeder Forstpolitik von 1988 legten auch einSchwergewicht auf die symbiotische Bezie-hung der Adivasi mit dem Wald. Das am mei-

sten Adivasi-freundliche Dokument kam vonder Kommission für Dalits und Adivasi.

Der hauptsächliche Beitrag der Kommis-sion für Dalits und Adivasi war, dass sie klareRahmenbedingungen für den Umgang mitunbefugtem Eindringen vor und nach der Ver-abschiedung des Gesetzes zum Schutz derWälder entwarf. Die Kommission trat mit derpragmatischen Lösung hervor, dass unbefug-tes Eindringen vor 1980 legalisiert und dasnach 1980 vorsichtig geprüft werden soll. DieEmpfehlungen unterscheiden die Ansprücheder Adivasi von denen anderer Eindringlin-ge. Neben einer Verpflichtung der Bundes-staaten, Pläne mit alternativen Quellen desLebensunterhaltes für diejenigen aufzustel-len, die mittellos gemacht werden, versuch-ten die Empfehlungen auch, die Dorfgemein-schaften in Siedlungskonflikte mit einzube-ziehen und nachhaltige Lösungen zu finden...

Anleitungen zur Vertreibung

Während der Rundbrief vom Mai 2002 zu ei-ner sofortigen Vertreibung aller Ureinwoh-ner aus Waldgebieten aufruft, lesen sich dieEmpfehlungen des Jayakrishnan-Ausschusses(CEC) wie ein Regelwerk gegen die Ureinwoh-ner. Der Ausschuss, der sich einer »starkenund effektiven« Vorgehensweise für die»schnelle« Beseitigung von Eindringlingenverpflichtet fühlt, hat 16 Empfehlungen aus-gesprochen.

Die erste Empfehlung, die das Ministeri-um dem Obersten Gerichtshof vorgelegt hat,sagt aus, dass weitere Legalisierungen vonunbefugtem Eindringen in Waldgebiete injeglicher Form strengstens verboten sind. Siemacht eine Ausnahme in Fällen von unbe-fugtem Eindringen, die nach dem Programmvom September 1990 für Legalisierungen ge-eignet sind. Der Ausschuss (CEC) hat dabeibequemer Weise die Tatsache übersehen,dass die Richtlinien vom September 1990auch nach zehn Jahren weitgehend nicht rea-lisiert wurden ...

Eine andere Empfehlung des Jayakrish-nan-Ausschusses (CEC): »Alle wilden Siedlun-gen in Waldgebieten, die nicht für eine Le-galisierung in Frage kommen, sollen ge-räumt werden.« Die Forstverwaltungen ha-

Ureinwohner im Fadenkreuz – SystematischeVertreibungen von Adivasi aus Waldgebieten

Das indische Bundesministerium für Umwelt und Forste hat 2002 beschlossen, 1,25 Mio. ha Waldge-biete durch die Vertreibung der Bevölkerung von zehn Millionen Ureinwohnern zu säubern.

Die Adivasi, die entweder schon seit Generationen in den betroffenen Gebieten leben oder aus Not insie gezogen sind, werden als »unbefugte Eindringlinge« (engl.: encroachers) betrachtet, die »wilde

Siedlungen« (engl.: encroachments) errichtet haben.

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ben schon damit begonnen, hunderte Adi-vasi zu vertreiben, bevor ihre Anträge aufLegalisierung in Betracht gezogen wurden.

Für Entschädigungsklagen, von denenohne Zweifel die meisten von den vertriebe-nen Adivasi kommen werden, hat der Aus-schuss (CEC) das Verfahren festgelegt. Es sagtaus, dass die klagenden Parteien sich an denCEC wenden sollen, der sich seinerseits fürangemessene Anweisungen an den OberstenGerichtshof wenden wird. Dieses Verfahrenübergeht das Recht einer klagenden Partei,die Möglichkeit eines Gerichtsprozesses zunutzen.

Bezüglich Rehabilitierungen hat derAusschuss (CEC) eine einzeilige Empfehlunggegeben: »Jede betroffene Landesregierungsoll frei sein, den wilden Siedlern passende

Rehabilitierungsmaßnahmen anzubieten,insbesondere den Ureinwohnern. Tatsacheist, dass die Vertreibung von Ureinwohnernin den meisten Bundesstaaten schon begon-nen hat, ohne dass die jeweiligen Regierun-gen Rehabilitierungsmaßnahmen für die ver-triebenen Menschen geplant hätten ...

Um betroffene Ureinwohner über eineVertreibung zu informieren, empfiehlt derAusschuss Ankündigungen in lokalen undanderen Zeitungen in indischen Sprachen»mindestens sieben Tage bevor die Entfer-nung vorgenommen wird ...« Darin hat derAusschuss (CEC) die Tatsache übersehen, dassdie Adivasi, die tief in den Wäldern leben,diese Anzeigen niemals zur Kenntnis nehmenwerden, da sie keinen Zugang zu Zeitungenhaben ...

Vertreibungen sind ein Todesurteil

Der Ausschuss legte die Empfehlungen demObersten Gerichtshof am 9. September 2002vor ... Das Gericht verschob die Entscheidungüber die Anordnungen auf den 22. Oktober.Klar ist, dass, falls diese Empfehlungen um-gesetzt werden, sie die Totenglocke für 1,5Millionen Adivasifamilien einläuten, die ab-hängig von Waldgebieten sind ...

Naunidhi Kauraus: Frontline, 12.-25. October 2002,

Volume 19, Issue 21www.flonnet.com/fl1921/stories/

20021025005603100.htmÜbersetzung: Henrik Weinhold

Brutales Vorgehen der Polizei gegen Adivasiin Kerala fordert Todesopfer

Bei einem Polizeieinsatz am 19. Februar 2003 im südindischen Bun-desstaat Kerala gegen eine Adivasisiedlung wurden nach Zeitungs-berichten 2-4, nach anderen Quellen 15-20 Adivasi getötet. Viele Adi-vasi wurden verletzt, mehr als 300 inhaftiert, viele gelten alsvermisst. Die Polizei ging auch gezielt gegen Journalisten vor.

Seit dem 4. Januar hatten über 1000 Adivasifamilien 2000 ha ei-nes Naturschutzgebietes im Distrikt Wayanand besetzt. Sie bauten750 Hütten und begannen, das brachliegende Land – eine aufgege-bene Eukalyptus-Plantage der Papierindustrie – zu bestellen undBäume zu planzen. Am 17. Februar kam es zu einem Zwischenfall,als 21 Personen (Polizisten, Forstbeamte und Hilfskräfte) nach Aussa-gen der Adivasi einen Brand gelegt hatten, vermutlich, um die Adiva-si zu beschuldigen und verhaften zu lassen. Die Brandstifter wurdenvon den Adivasi gefangen genommen, aber am nächsten Tag nachGesprächen mit dem obersten Verwaltungschef des Distrikts wiederfreigelassen. Am 19. Februar folgte ein Amoklauf der Polizei, beidem ca. 1000 schwer bewaffneten Polizei- und Forstbeamte auf dieAdivasi schossen, brutal auf sie einschlugen – selbst auf wehrlos aufdem Boden liegende Menschen – und ihr Eigentum zerstörten.

Am 22. Februar wurden die Adivasiführer C. K. Janu and M. Geet-hanandan, die die Protestaktionen der Adivasi koordiniert hatten,verhaftet, nachdem sie sich den Behörden gestellt hatten.

Die Protestaktionen der landlosen Adivasi in Kerala begannen imSommer 2001, als 30 Adivasi verhungerten, weil die Regierung KeralasGesetze nicht umgesetzt hat, die die Landvergabe an landlose Adivasivorsehen. Nach Verhandlungen hatte die Regierung Anfang 2002 dieschnelle Zuteilung von 24.000 ha Land an 53.472 Familien mit keinemoder geringem Landbesitz zugesagt. Im Laufe des Jahres wurde abernur Land an 600 Familien verteilt. Der Große Rat der Adivasi von Keralabeschloss daraufhin nach ausführlicher Beratung einstimmig, dass dieAdivasi die Landverteilung durch Besetzungen selbst in die Hand neh-men sollten. Auf dieser Grundlage wurde auch das Land im Natur-schutzgebiet in Wayanand besetzt.

Keralas Regierung unter Ministerpräsident A. K. Antony lehnteeine von der parlamentarischen Oppositon geforderte Untersuchungdes Polizeieinsatzes ab. Offiziell gilt die Polizeiaktion als Einsatz ge-gen unrechtmäßige Besetzungen durch radikale Personen.

Infos/Quellen: Adivasi-Rundbrief Nr. 19 der Adivasi-Koordination e. V.(Bestellungen: Hans Escher, [email protected]),www.gossner-mission.de/news.html bzw. /indiennewsarchiv.html

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Die Stellungnahme wurde auf der 2. Sitzungdes Ständigen Forums der Vereinten Natio-nen für Indigene Angelegenheiten am 15. Mai2003 vorgetragen. Den Hintergrund bildenVorgänge in einigen indischen Bundesstaa-ten wie Assam, wo unter anderem Angehö-rige des Volks der Bodos aus dem Gebiet desbekannten Kaziranga-Nationalparks vertrie-ben wurden. Der Aufruf des »Forest PeoplesProgrammes« vom 6. Dezember 2002 zeich-net ein dramatisches Bild von den Vorgän-gen in Assam: »Im Mai 2002 hat die Regie-rung von Assam mit einem massiven Vertrei-bungsfeldzug gegen die Stammesvölker inunterschiedlichen Gebieten Assams begon-nen, einschließlich der Distrikte Sonitpur,Sibsagar, Lakhimpur, Kamrup, Barpeta undBongaigaon. Die Forstbehörde setzte bruta-le Gewalt ein, wie Elefanten und Bulldozer,um diese unmenschlichen Vertreibungendurchzuführen. Die Vertreibung war so grau-sam und ruchlos, dass drei Personen in derNähe der Stadt Uwahati und fünf Personenim Distrikt Sonitpur starben. Wegen diesergewaltsamen Vertreibung im Distrikt Sonit-pur leben die obdachlosen Familien jetzt imFreien ohne jede Hilfe und ohne Entschädi-gung. Die Regierung Assams hat Pläne, dasBattalion der Schutztruppe Assams für dieForstgebiete und die Polizei Assams zu mo-bilisieren, um mehr Gemeinschaften aus denWäldern zu vertreiben und jede Oppositionvon Massenorganisationen oder organisier-ten ethnischen Gruppen zu unterdrücken.” )

Stellungnahme der ICITPzu den Vorgängen

... Wir nehmen Stellung zu einem Verfügungs-rundschreiben der indischen Regierung (vom3. Mai 2002) an alle Regierungen der Bundes-staaten, alle »unbefugten Eindringlinge«(encroachers) aus Waldgebieten für den Um-weltschutz und die ökologische Entwicklungzu vertreiben. Das Verfügungsrundschreibenbetrifft das gesamte Kerngebiet der indige-nen- und Stammesvölker des Landes, das sichvon Gujarat nach Arunachal Pradesh erstrecktund annähernd 1/6 der Landmasse abdecktund von annähernd 100 Millionen Indigenenund Stammesangehörigen bewohnt wird.

Historisch gesehen fallen die indigenen-oder Stammesgebiete unter das, was die In-dische Verfassung registrierte Gebiete (Sche-duled Areas) nennt, in denen die Stammes-völker/Adivasi traditionelle Gewohnheits-rechte in ihrer Gemeinde zur Nutzung desWaldes gehabt haben, einschließlich desRechtes, Teile von ihm zu bepflanzen. Un-glücklicherweise hat die Regierung eine Ka-tegorie des Waldes (Waldschutzgebiet) gleichnach Unabhängigkeit davon ausgenommen,unter dem Vorwand ihn zum Wohle der Men-

schen zu schützen, was in Wirklichkeit nie-mals geschehen ist. Zurückgeblieben ist eintotal abgeforstetes Gebiet, nur mit kargenBüschen.

Wir haben Informationen, dass die Regie-rung im Prozess der Globalisierung plant, die-se Gebiete zur Verwertung zu übertragen ...wohl wissend, dass annähernd alle Boden-schätze des Landes in diesem indigenen- undStammesgürtel liegen. Es wird Druck auf dieRegierung ausgeübt, diese Bodenschätze imInteresse der »nationalen Entwicklung« zuerschließen.

Während der als Samata-Urteil bekannteRechtsspruch des Obersten Gerichtshofes von1997 eine eindämmende Auswirkung auf diestillschweigende Duldung der Großunterneh-men durch hohe Regie-rungsbeamte und Politi-ker hatte, haben einigeBundesstaaten schon da-mit begonnen, die soge-nannten unbefugten Ein-dringlinge (encroachers)aus den Wäldern zu ver-treiben, die in Wahrheitmehrheitlich Indigeneund Stammesangehörigesind, die dort seit Jahrenzusammen leben. Die Re-gierungen von Assam,Manipur und Kerala en-gagieren sich dabei amstärksten. Bei ihren Feld-zügen benutzen sie Bull-dozer und Elefanten, um indigene- und Stam-messiedlungen zu zerstören und lassentausende Indigene und Stammesangehörigeobdachlos zurück und machen sie zu Opfernvon Menschenrechtsverletzungen. Bei einemnäheren Blick auf diese Vorgänge scheint es,dass die Regierungen bei diesem Feldzugauch noch Anderes im Sinne haben. Die Re-gierung von Assam hat zum Beispiel dasVerfügungsrundschreiben dazu benutzt, denanhaltenden Kampf für eine größere Auto-nomie von Bodoland in Form eines abgeson-derten Bundesstaates für die Indigenen undStammesangehörigen dieser Region zu ent-mutigen. Es ist nur eine Frage der Zeit, wannandere Bundesstaaten das Gleiche tun wer-den. Am meisten alarmierend ist, dass dieRegierung auf der einen Seite Gesetze ver-abschiedet hat, den Indigenen und Stammes-angehörigen die Kontrolle über die natürli-chen Ressourcen anzuvertrauen und auf deranderen Seite darauf aus ist, diese Rechtemit dem Verfügungsrundschreiben zu neh-men. Mit dem Bewusstsein des bevorstehen-den Elends in den indigenen- und Stammes-gebieten des Landes appellieren wir ..., vonder indischen Regierung und den betreffen-den Behörden zu fordern:

1. die vom Ministerium für Umwelt und For-ste erlassene Anordnung zur Vertreibung vomMai 2002 aufzuheben und zu annullieren;2. die Rechte der Indigenen und Stammes-angehörigen in Indien anzuerkennen, ihr an-gestammtes Land, in dem indigene- undStammesgemeinschaften Generationen langgelebt haben, zu besitzen, zu kontrollierenund zu verwalten;3. die Rechte der indigenen- und Stammes-gemeinschaften, Waldgebiete dauerhaft zubewohnen, zu garantieren ...;4. sicherzustellen, dass alle Familien, die ge-waltsam umgesiedelt wurden, angemessenfür ihr Leiden entschädigt werden ...;5. den Menschen die Rückkehr in ihre recht-mäßigen Gemeinschaften zu erlauben, dieGebiete wieder herzurichten und die Häu-ser, Schulen, religiöse Stätten und andere Ein-richtungen, die während der Vertreibung de-moliert wurden, wieder aufzubauen;6. die Namen der Personen und Familien derIndigenen und Stammesangehörigen, die in

den sogenannten Waldgebieten leben, beider Volkszählung und in die Wahlliste aufzu-nehmen, wenn sie ehrliche Bürger des Lan-des sind;7. Maßnahmen zu ergreifen ..., dass die so-genannten Waldsiedlungen gänzlich als le-gitime Siedlungen anerkannt werden ...8. die Erweiterung der Indischen Verfassungüber die Einrichtung von Gemeinderäten inden Stammesgebieten (Panchayat Extensionto Scheduled Areas) von 1996 in ihrem wah-ren Geist wirksam in Kraft zu setzen, damitdie Indigenen und Stammesangehörigen desLandes befähigt werden, für sich selbst zusorgen;9. das Samata-Urteil des Obersten Gerichts-hofes aufrecht zu erhalten, um eine volle undwirksame Beteiligung der Indigenen undStammesangehörigen bei den Entwicklungs-maßnahmen in den indigenen- und Stammes-gebieten des Landes sicherzustellen...

Dr. Ram Dayal Munda, Chief Advisor, ICITP(Indian Confederation of Indigenous and

Tribal Peoples); Jebra Ram Muchahary,President ICITP-North East Zone

Übersetzung: Henrik Weinhold

Stellungnahme und Forderungen des Indischen Bünd-nisses der Indigenen- und Stammesvölker (ICITP)zu den Vertreibungen von Adivasi aus Waldgebieten

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Von paradiesischen Bildern schwärmen Rei-sende nach Besuchen in Assam: Das Brahma-putra-Tal ist seit Urzeiten fruchtbares Sied-lungsgebiet und Wiege vorzeitlicher Hoch-kulturen. Noch heute zeugen die Ruinen al-ter Paläste und Burgen von dem Reichtumvergangener Zeiten. Teakbäume und Palmensäumen die Ufer des Brahmaputra, eingewo-ben in die Uferhänge liegen malerische Dör-fer und Siedlungen. Seine Fluten werden dasganze Jahr hindurch von den Schneebergendes Himalaja gespeist, dessen majestätischeGipfel man immer wieder über weiten Tä-lern mit grünen Teegärten erblicken kann.

In Assam leben Adivasi, die vor Genera-tionen als Zwangsarbeiter in die Teegärtenverpflichtet wurden. Von ihnen hört man,dass das Land so fruchtbar ist, dass selbstAdivasi nach drei oder vier Generationen dasArbeiten verlernt haben. Man muss nichtzwei oder drei mal pflügen, wie zu Hause inChotanagpur, und auch nicht mühsam Laubund Dung sammeln. Christen weisen in die-sem Zusammhang oft auf die Geschichte vomParadies, vom Garten Eden hin, in den derMensch hineingesetzt ist, um ihn zu bebau-en und zu bewahren.

Vieles mutet auch heute noch paradie-sisch an, aber ebenso unübersehbar sind dieStörungen, die Bilder grausamer Armut undVernachlässigung. Sicher spielen die Natur-katastrophen dabei eine erhebliche Rolle. DieVeränderungen des Klimas und die Abhol-zung des Himalajavorlandes haben dazu ge-führt, dass fast in jedem Jahr unkontrollierteFluten das Land und die Ansiedlungen derMenschen überschwemmen. Bei der letztenFlut haben Tausende ihr Leben oder minde-stens ihr Obdach verloren, siedeln notdürf-tig an den Wällen der Straßen, um so vor-läufigen Schutz zu finden, darunter viele

Flüchtlinge aus Bangladesh, das noch stär-ker betroffen war.

Adivasi als Teepflücker auf Plantagen

857 Teegärten gibt es in Assam. Die Größeeines solchen Teegartens liegt in der Regelzwischen 1.000 und 20.000 ha. Die Gärtensind durch ein ausgefeiltes System natürli-cher Kanäle und Brunnen ständig bewässert.

Als die Teeproduktion in Indien Anfangdes 19. Jahrhunderts begann, war es schwie-rig, geeignete Arbeitskräfte für die Gärtenzu finden. Die ansässigen Bergvölker (hill-tribes) waren an organisierte Lohnarbeitnicht gewöhnt. Aus China importierte Tee-arbeiter waren nach kurzer Zeit in den Han-del und Genuss von Opium über das angren-zende »Goldene Dreieck« verwickelt. Für1.000 ha Teegarten benötigt man selbst heu-te noch mindestens 1.500 Arbeiter, saisonalbis 2.500. So kam es zu der massenhaftenAnwerbung und Verschleppung von Adivasiaus Chotanagpur, die als fleißige und kundi-ge Bauern galten und die in der Zeit unterEnteignungen und Vertreibung von ihrem an-gestammten Land zu leiden hatten. Etwazwei Millionen wurden nach Assam ver-bracht, etwa 200.000 starben auf dem Trans-port. Die Arbeiter und Pflückerinnen wurdennur mit Gutscheinen für den Laden, der derFirma gehört, entlohnt. Um sich die billigenArbeitskräfte zu erhalten, sollte so die Rück-kehr in die alte Heimat unmöglich gemachtwerden.

Aber selbst diese billigen Arbeitskräftewerden heute zu teuer. Internationale Kon-kurrenz drückt auf den Teepreis, und somuss, nicht zuletzt auch durch Verminderungder Lohnkosten, billiger produziert werden.Um einen Euro liegt heute der Tageslohn in

den Teegärten, der staatliche Mindestlohn istauf etwa 1,50 EUR pro Tag festgelegt. Tee-gartenmanager beziffern die Arbeitskostenpro Tag auf 2,50 EUR, Rentenversicherung,subventionierten Reis und in den Teegärtengelegene Unterkünfte, Schulen und Hospi-täler mit eingeschlossen. Doch wird bei die-sen zusätzlichen Leistungen häufig betrogen.

Heute gehört der Tee aus Assam, deretwa 60% der indischen Produktion aus-macht, neben Darjeeling zu den Spitzen-sorten weltweit und ist der größte Devisen-bringer Indiens. Damit wurden aber auch dasLand und mit ihm viele seiner Bewohner vonder Monokultur Tee abhängig, und wer sei-ne Arbeit auf den Teeplantagen verliert, hates schwer, woanders Fuß zu fassen.

Verlust der kulturellen Identität

Ein besonderes Problem der Nachkommender aus Chotanagpur eingewanderten Adi-vasi-Teepflücker ist, dass sie in Assam nichtzu den registrierten Stämmen (Scheduled Tri-bes) zählen, für die besondere Gesetze zumMinderheitenschutz gelten – im Gegensatzzu den Adivasi, die noch in Chotanagpur le-ben, oder den indigenen Hügelvölkern inAssam (Bodos, Karbis u. a.). Sie können alsonicht von den Fördermaßnahmen zur Wah-rung der kulturellen Identität und zur Ver-hinderung von Verarmung und Marginali-sierung der indigenen Bevölkerung profi-tieren. Sie sind besonders gefährdet, kultu-rell gänzlich entwurzelt und von der hindui-stischen »Leitkultur« überrollt zu werden.Viele Adivasi auf den Teeplantagen könnendas Leben in Armut und Unsicherheit nurnoch mit Alkohol aushalten und diese Ab-hängigkeit lähmt sie, Perspektiven für einenWeg aus der Armut zu entwickeln.

Assam — das gestörte Paradies

Zwei Millionen Adivasi wurden als Arbeitskräfte auf Teeplantagen nach Assam verschleppt. IhreNachfahren bilden eine Bevölkerungsgruppe, die besonders unter dem Verlust der kulturellenIdentität und Armut leidet. Von der Förderung von Rohstoffen in Assam profitieren sie und dieeinheimischen Hügelvölker nicht. Initiativen der Gossner Kirche versuchen hier, Hoffnung fürUreinwohner zu stiften.

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Bodenschätze:Reiches Land – Arme Bevölkerung

Neben dem Reichtum aus den Teegärten ver-fügt Assam noch über die zweitgrößten Erd-öl- und Erdgaslager Indiens, sowie über diedazugehörigen Raffinerien. Auf den Straßenbegegnen einem ständig Tanklaster, die trotzihrer gefährlichen Ladung überholen und dieGefahr missachten, die in der von Löchernübersäten Schotterpiste lauert. Einheimischevergleichen die Infrastruktur gerne mit derim völlig verarmten Bundesstaat Bihar undsprechen von »Bihar-Verhältnissen«. Auchdort haben sich große Schwerindustrien an-gesiedelt, die die reichen Rohstoffvorkom-men ausbeuten. Obwohl viel Reichtum vor-handen ist und viel Geld verdient wird,herrscht dort die größte Armut von ganz In-dien, finden wir dort die höchste Kinder-sterblichkeit, die größte Analphabetenrateund die schlechtesten Straßen. So zeichnendie »Bihar-Verhältnisse« in Assam ein ganzähnliches Bild. Auch hier gibt es mehr als 60%Analphabeten, leben 63% der Menschen un-ter der Armutsgrenze.

In Nachbarschaft der Stadt Tinsukia liegtder zweitgrößte Steinkohletagebau Indiens.Etwa 20.000 seit Menschengedenken dortansässige Adivasi sind von dem Abbau be-troffen und verlieren ihr Land. Weitere Dör-fer im Umfeld sind in Mitleidenschaft gezo-gen, weil z.B. Ölschlamm in der Regenzeitdas Grundwasser verdirbt. Widerstand undVerhandlungen waren bislang vergeblich. Alssich vor drei Jahren eine organisierte Inter-essenvertretung gebildet hatte, wurde ge-zielt den Führern der Dörfer Arbeit angebo-ten, um den Betroffenen ihre Sprecher zunehmen. Bei den Zurückgebliebenen wach-sen die Hilflosigkeit und der Unmut. Auf demHintergrund solcher Ohnmachterfahrungenerklären sich auch Konflikte wie der zwischen

den Bodos und den Santals: Gruppen, die seitGenerationen friedlich miteinander ausge-kommen sind, werden plötzlich zu Konkur-renten angesichts von knapp gewordenemLebensraum und der Gewährung von Min-derheitenrechten. Die Eskalation von Gewalthat allen Beteiligten geschadet. Zu Zehntau-senden vegetieren sie nun in von der Armeegeschützten Camps.

Bergvölker

In der Region von Karbianglong lebt das Volkder Karbi, das zu den sogenannten Berg-völkern (hill-tribes) gehört. Sie betreiben zumTeil bis heute Landwirtschaft an wechseln-den Orten auf der Grundlage von Brand-rodung. Durch den Wechsel der Orte gab eskaum Schulbildung oder gesundheitliche Be-treuung. In den letzten 10 Jahren hat sichein neues Selbstbewusstsein unter den Karbiherausgebildet. Sie beginnen sich anzusie-deln, stellen aber zugleich fest, dass ihr tra-ditionelles Land oft schon besetzt ist, undihnen nur die Hügellagen bleiben. Die lukra-tiven Ackerflächen sind heute bereits mit Tee-gärten, Gummibaumplantagen oder aber mitSiedlungen der mehr als 600.000 Kleinbau-ern, die sich aus dem Arbeitskräfteüber-schuss der Teegärten entwickelt haben, be-setzt. Die Karbi erkennen das Unrecht, abersind deshalb um so entschiedener, das ver-bliebene Land zu schützen, sich zu organi-sieren und ihre Lebensrechte anerkennen zulassen.

In dem Missionsgebiet der Evangelisch-Lutherischen Gossner Kirche sind über 300Familien der Karbi zum christlichen Glaubengekommen, weil sie in ihm eine Kraft gefun-den haben, die sie bestärkt. Ihre Philosophieist: »Wenn wir uns zusammenschließen und

etwas lernen können, dann können wir auchalles schaffen, was die anderen sonst tun: Fel-der bewässern, die uns ernähren und etwasGeld durch Teegärten oder Sammeln vonGummisaft verdienen.«

Spezialisten für Hoffnung

Beim Besuch einer jungen Gemeinde derGossner Kirche beklagte ein Pfarrer: »Waskann die Kirche gegen die Armut tun? Wirhaben doch keine geeigneten Spezialisten«!Sein Bischof hat nach einer kurzen Pause desÜberlegens darauf erwidert: »Aber wir habendie Spezialisten für Hoffnung! Wenn wir demheiligen Geist und den Menschen etwas zu-trauen, dann können wir sie ermutigen undbestärken, miteinander das Mögliche zu ver-suchen«. Das ist bei ihm nicht nur eine Re-densart. Mit 120 Pracharaks (Gemeinde-helfern) hat er ein Weiterbildungsprogrammverabredet, dass ihnen die Fähigkeiten fürdie lokale Entwicklungsarbeit vermitteln soll.»Das, was wir lernen wollen, das gibt es be-reits unter uns. Wir müssen es nur erkennenund die Leute mit den richtigen Erfahrun-gen zu uns einladen und gemeinsam Perspek-tiven entwickeln«, meint der Bischof. DiesesProgramm wird Unrecht und Armut in Assamnicht von heute auf morgen beseitigen. Essteht aber in der guten Tradition der kleinenSchritte in der Gossner Kirche, die die Betei-ligten ohne neue Abhängigkeiten selbst ge-hen können.

Bernd Krause,Indienreferent der Gossner Mission

Kohletagebau in Nordost-Assam

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Die Verfassung des indischen Bundesstaates– manche sagen, es sei die beste in der Welt– gibt Männern und Frauen die gleichenRechte. Niemand darf wegen seines Ge-schlechts, seiner Religion, seiner Kaste diskri-miniert und benachteiligt werden. Und den-noch gehören die Frauen bis heute zu denam meisten benachteiligten Gruppen in In-dien. Oft wird ihnen ein eigenständiges men-schenwürdiges Leben verweigert. Vor allemfür die Frauen aus den niedrigen Kasten undaus der Gruppe der Unberührbaren (Dalits)hat sich das Leben durch die Einführung ver-fassungsmäßiger Rechte wenig oder gar nichtgeändert, denn die Kasten- und Familien-gesetze, die lang tradierten, ungeschriebe-nen oder aus den heiligen Büchern abgelei-teten Normen der sozialen Gemeinschaft,haben weitgehend ihre Gültigkeit behalten.Im Gegenteil, der Staat hat durch Zusatz-gesetze und Ausführungsbestimmungen die-sen Traditionen gegenüber Zugeständnissegemacht, so dass die fortschrittliche und aufGleichberechtigung ausgerichtete Verfassungin der Praxis ständig unterhöhlt wird.

Für die Stellung der Frau ist entschei-dend, in welche Familie sie hineingeboren

wird, welche Heiratsgesetze in ihrer sozia-len Gruppe gelten, ob das Mitgiftsystemnoch besteht, wie die Erbfolge geregelt ist,welche Haltung man zu der Geburt von Mäd-chen hat. Diese jahrhundertealten Traditio-nen blieben von der modernen Verfassunggrößtenteils unbeeinflusst. So leiden Frau-en in Indien nach wie vor an den Auswir-kungen überhöhter Mitgiftforderungen. Esist nicht selten, dass junge Frauen in derFamilie ihres Mannes deshalb Anfeindungund Unterdrückung erleiden müssen. DieAnalphabetenrate unter Frauen ist noch un-gleich höher als bei Männern. Es wird ihnenoft eine angemessene Schul- und Berufs-ausbildung und der gleiche Lohn für die ent-sprechende Arbeit verwehrt. Sie müssen Ge-walt von ihren Ehemännern und derenFamilien erdulden, sie bekommen nicht ge-nug zu essen und leiden oft an Mangeler-nährung. Häufig werden Mädchen als Klein-kinder vernachlässigt oder gar ausgesetztund in der Mittelschicht – nach der Bestim-mung des Geschlechts während der Schwan-gerschaft – abgetrieben. Die Diskriminierungvon Frauen zieht sich durch alle Schichtenund Kasten. Nur in der städtischen Bevölke-

rung und mit einer guten Ausbildung derMädchen ändert sich das soziale Gefüge all-mählich.

Am meisten zu erdulden haben die Frauen,die in die Dalitgemeinschaft hineingeborenwurden. Zu der allgemeinen Diskriminie-rung, unter denen auch die Männer zu lei-den haben, kommt noch die Benachteiligungdurch das Geschlecht. Oft sind die Dalit-frauen der Willkür des Landlords und der hö-heren Kasten ausgeliefert und werden alsderen Besitz betrachtet. Sie sind die Haupt-leidtragenden in der Schuldknechtschaft undglauben oft selbst, dass dieser Teufelskreisvon den Göttern gewollt ist und erst in ei-nem nächsten Leben durchbrochen werdenkann.

Selbst bei den Adivasigemeinschaften,die in unmittelbarer Nachbarschaft mit denHindus gelebt haben, hat sich die Stellungder Frau im Laufe der Zeit den sozialen Er-wartungen dieser Hindugesellschaft ange-passt. Ursprünglich waren Adivasifrauen ehergleichberechtigt und nicht ausgegrenzt. Män-ner und Frauen gingen sehr viel ungezwun-gener miteinander um, es gab Mitsprache

Dalit- und Adivasifrauen in Indien

Wie bei den Minderheitenrechten klafft auch bei den Frauenrechten eine gewaltige Lücke zwischenAntidiskriminierungsgesetzen und gesellschaftlicher Realität. Vielfältige Diskriminierungen und Gewaltgegen Frauen sind auch im modernen Indien alltäglich.

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des Brautpaares bei der Verheiratung, dasMitgiftsystem war unbekannt. Adivasi habenaber an sich schon innerhalb der Hindu-gesellschaft mit der sozialen Anerkennungzu kämpfen, so war die Versuchung groß, sichimmer mehr dieser übermächtigen sozialenGemeinschaft anzupassen. Erst allmählicherkennen sie wieder ihre Tradition als eigen-ständigen Wert und beginnen dafür zu kämp-fen. Immer mehr Frauen erheben ihre Stim-me und wehren sich gegen die Diskriminie-rung und Entwürdigung. Sie kämpfen für ihreRechte, schließen sich in Frauengruppen zu-sammen, fordern höhere Löhne und dieDurchsetzung der fortschrittlichen vom Staaterlassenen Gesetze. Sie diskutieren über ihreProbleme, errichten Frauenhäuser für miss-handelte Frauen und engagieren Rechtsan-wälte, die sich für ihre vom Staat anerkann-ten Rechte einsetzen sollen.

Das unabhängige Indien mit seiner moder-nen Verfassung hat den Frauen nicht auto-matisch größere Freiheit und Gleichberech-tigung gebracht, sie müssen sich nach wievor gegen das Althergebrachte und die Vor-herrschaft der traditionell Mächtigen zurWehr setzen, und das nach über 50 Jahrenverbriefter Gleichberechtigung.

Ursula Hecker,1992-96 Indienreferentin

der Gossner Mission

Diskriminierung von Frauen in Indienhat viele Gesichter

Abtreibung weiblicher FötenDie Bevorzugung männlicher Nachkommen geht so weit, dass weiblicheFöten gezielt abgetrieben werden. Die Praxis ist weit verbreitet und schlägtsich auch in der Demographie nieder. Nach der Volkszählung von 2001kommen auf 100 Jungen nur noch 92,7 Mädchen (1991: 100/94,5). Dabeigibt es extreme regionale Unterschiede: in einigen nördlichen Bundes-staaten liegt das Verhältnis zwischen 79,3 und 87,8 zu 100.

MitgiftWeit verbreitet ist die Sitte, dass die Familie der Braut der des Bräutigamszum Teil beträchtliche Geld- und Sachgeschenke geben muss. Diese Mit-gift, dowry genannt, führt häufig zu Auseinandersetzungen. Wenn dieFamilie des Bräutigams nicht zufrieden ist, wird die Ehefrau schikaniert,geschlagen, gefangen genommen, gefoltert oder ausgehungert. Eskommt auch zu Mordfällen (häufig durch die Schwiegermutter). Mehrals 12.612 Brautpreis-Morde hat es 1998 und 1999 in Indien gegeben. DasGeben und Empfangen von dowry ist illegal, was die Praxis aber kaumunterbindet.

WitwenverbrennungIn der hinduistischen Tradition gilt es als eine verehrungswürdige Tat,wenn sich Witwen bei der Feuerbestattung ihres verstorbenen Gattenselbst verbrennen. Die Witwenverbrennung, sati, ist gesetzlich verbotenund die Anstiftung wird hart bestraft. Fälle von sati sind selten, kommenaber immer noch regelmäßig vor. Eine aktuelle Kontroverse ist, ob diekultische Verehrung von Frauen, die sati begangen haben, gesetzlich er-laubt oder verboten werden soll.

Quelle: BBC

Bilder: Demonstration gegen die Diskriminierung von Frauen und fürGleichberechtigung zum Weltfrauentag 2003 in Maranghada, südlichvon Ranchi. In diesem Gebiet betreibt der CVJM Ranchi ein Entwick-lungszentrum und hilft bei der Organisation der Dorfbewohner.

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Der Begriff Dalit

... Gandhi hat den Begriff »Harijan» (KinderGottes) eingeführt, den er aus einem Gujarat-Gedicht übernahm, und der eine Zeit langrecht gebräuchlich war. Man überließ es danndem Vorsitzenden der Round-Table-Konfe-renz in London, für diese Gemeinschaft ei-nen Namen zu finden. Der damalige Premier-minister Ramsay MacDonald prägte denBegriff »Scheduled Caste«, um damit dasWort »unterdrückte Klasse« zu ersetzen.

In der Verfügung der indischen Regierungvon 1935-1936 waren in der Kategorie der»Scheduled Caste« die Christen kastenlosenUrsprungs nicht eingeschlossen. Dieser Begriffwurde dann ... 1950 auch in die neue Verfas-sung übernommen. Nach der Unabhängigkeitentwickelten die »Scheduled Castes« vor al-lem in den letzten Jahren schnell ein eigenesSelbstbewusstsein. Sie, die Unberührbaren,waren die Einstufung und Benennung durchandere leid. Die Briten und Inder höherer Ka-sten hatten über die Jahrhunderte diesen un-tersten zertretenen Gemeinschaften die un-

terschiedlichsten Namen gegeben. Ihr eige-nes Selbstbewusstsein hat aber schließlich zurPrägung des Begriffs »Dalit« geführt, um da-mit die unterdrücktesten, ausgebeutetstenund diskriminiertesten Schichten der indi-schen Gesellschaft zu bestimmen.

»Dalit« beinhaltet die gesamte Gruppevon Menschen, auf die heruntergeschaut unddie diskriminiert wird, seien sie nun aufgeli-stete (scheduled) und unaufgelistete (unsche-duled) »Dalits«, unabhängig ob sie Hindus,Buddhisten, Christen oder Muslime sind ...Der Begriff »Dalit« ersetzt also heute die inder Vergangenheit benutzten Begriffe »un-terdrückte Klasse«, »Harijans« oder »Schedu-led Castes«.

Der Begriff »Stammesvolk«

Eine ganze Reihe von Begriffen ist zur Be-zeichnung einer Gemeinschaft verwendetworden, die in der indischen Geschichteebenfalls von den Angehörigen der höherenKasten unterdrückt und ausgebeutet wurden.Die britischen Administratoren und Wissen-

schaftler unterschieden diese Gemeinschaftvon den »Unberührbaren« ...

J. A. Bains, Beauftragter der Volkszählungvon 1891, ordnete die Kasten gemäß ihrertraditionellen Beschäftigung ein. Bei denlandwirtschaftlichen und Hirten-Kasten bil-dete er eine Untergruppe, die »Forest Tribes«(»Dschungelvölker«), deren geschätzte Zahl16 Millionen betrug. Im Zensus-Bericht von1931 wurden sie ... als »primitive tribes«(primitive Stammesvölker) bezeichnet ... DerBericht von 1941 spricht dann nur noch von»Stammesvölkern« (tribes), von denen eini-ge in der indischen Verfassung als »Schedu-led Tribes« (aufgelistete Stämme) herausge-hoben wurden, um ihnen nach Artikel 366(25) besondere Behandlung und Vergünsti-gungen zukommen zu lassen ... Glücklicher-weise spielt die religiöse Identität keine Rollefür die Zugehörigkeit zu einem »aufgeliste-ten Stammesvolk« (»Scheduled Tribe«). ImFalle der »Scheduled Castes« ist dies aller-dings anders; hier sind nur Hindus, Sikhs undneuerdings auch Neo-Buddhisten aufgenom-men.

»Stammesvolk« ist ein Begriff der Admi-nistration. Die Stammesvölker selbst würdensich nie so nennen. Sie sind »Adivasis« oderMundas, Oraons, Bhils, Gonds, Nagas, Mizos,Todas, usw. Die geschichtlichen Veränderun-gen der Begriffe »Dalit« und »Stammesvolk«lassen erahnen, welche Schwierigkeiten derSelbst- und Fremdwahrnehmung sich in die-sen Worten verbergen. Die Dynamik dieserBegriffe wird durch die selbstbewusste ei-gene Namensgebung viel deutlicher. Deshalbsind die jetzigen Begriffe bei der Suche nachpolitischer und kultureller Gemeinsamkeitvon unmittelbarer Bedeutung.

Demographisches Bild der Dalits undStammesvölker in Indien

In Indien leben mehr als 800 Millionen (Anm.d. Red.: Anfang des 3. Jt. eine Milliarde) Men-schen, von denen mehr als 200 MillionenDalits sind. Über die Verteilung der Dalitbe-völkerung gibt es keine genauen Angaben.Generell kann man sagen, dass sie über ganzIndien verstreut sind. Durch die arische Inva-sion wurden sie versklavt und als Anhang derKastenbevölkerung gehalten, um deren selbst-süchtigen Zielen zu dienen ... In den Staaten

Dalits und Stammesvölker: Auf der Suche nach einergemeinsamen Ideologie

Kastenlose, Harijans, Unberührbare...es gibt viele Bezeichnungen für die von der hinduistischenKastengesellschaft unterdrückten und marginalisierten Bevölkerungsgruppen. Nirmal Minz unterschei-det zwei Hauptgruppen: Dalits und Stammesvölker (Adivasi). Seine These: Beide können nur überle-ben, wenn sie gemeinsam als die indigenen Völker Indiens ein neues Selbstbewusstsein bilden.

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Andhra Pradesh, Tamil Nadu und Karnatakagibt es eine gewisse Konzentration der Dalit-bevölkerung. Dalits besitzen meist nur dasAnwesen, auf dem sie leben. Arbeit ist ihr ein-ziges Gut, das sie verkaufen können, um ih-ren Lebensunterhalt zu verdienen ... Die Dalitshaben ihre ursprüngliche Sprache vollkom-men vergessen und die Sprache der dominan-ten Kastengemeinschaft angenommen. Mitdem Verlust der Sprache ging der Verlust ih-rer unterschiedlichen sozialen und kulturel-len Werte einher ...

Die Stammesvölker in Indien machen de-mographisch nur 7,5 Prozent der Gesamtbe-völkerung aus; in Zahlen sind das etwa 70Millionen. Ihre Verteilung wird in vielen Bü-chern und Regierungsdokumenten klar aus-gewiesen ...

• Nordostindien: Arunachal Pradesh,Nagaland, Meghalaya, Manipur, Mizoram.• Nordzentralindien: Das Jharkhand-Gebiet, 16 Distrikte von Bihar, drei vonWestbengalen, vier von Orissa und zwei vonMadhya Pradesh.• Westindien: Gujarat, West-MadhyaPradesh, Nord-Maharastra und Rajasthan.• Nordwestregion: Himachal Pradesh,Jammu und Kashmir.• Südostindien: Süd-Orissa, Süd-MadhyaPradesh, Nord-Andhra Pradesh, Ost-Maharastra• Die Nilgiri-Berge und beide Seiten derwestlichen Bergkette in Karnataka, TamilNadu und Kerala.

Die geopolitische Lage der Siedlungsgebie-te der Stammesbevölkerung bedeutete imKampf gegen den Einfall der dominantenGruppen einen entscheidenden Vorteil.Durch die Abgeschiedenheit konnten sie –anders als andere Dalits – ihr Land, ihre Ar-beit, ihre Sprache und alle sozio-ökonomi-schen und kulturellen Werte erhalten. DieIdentität als Stammesvolk hat einen direk-ten Bezug zu ihrem Heimatland. Deshalb warder Kampf um das Heimatland und dessenZurückgewinnung innerhalb der indischenUnion immer die treibende Kraft in derStammesideologie ...

Freiheitsbewegungen der Dalitsund Stammesvölker

Es gibt in der indischen Geschichte mehrereBeispiele von Bewegungen dieser beidenGruppen. Eine kurze Analyse dieser Bewe-gungen und der dahinterstehenden Ideolo-gien könnte uns einen Anhaltspunkt geben,nach einer gemeinsamen Ideologie für bei-de Gruppen zu suchen ...

Dr. B. R. Ambedkar lag vor allem an dersozialen und politischen Gleichheit derDalits. Seine »Republikanische Partei« arbei-tete daran, die Macht der anderen zu unter-minieren und durch die Vereinigung derDalits politische Macht zurückzugewinnen.Sein Ziel war es, Freiheit, Gleichheit und Brü-derlichkeit zu erreichen.

Die Christliche Dalit-Befreiungsfront ar-beitete für die Selbstachtung und das Selbst-wertgefühl der Dalits sowie für politischeund wirtschaftliche Verbesserungen. Siewollte die gebrochenen menschlichen Bezie-hungen wiederherstellen und die natürlicheWelt der Menschen und Dinge hin zurumfassenden Befreiung, zum Wohlergehenund Fortschritt der Menschheit erneuern.

Die Bewegungen der Stammesvölker wa-ren meistens Widerstandsbewegungen ge-gen den Einfall fremder Mächte in ihre Ge-biete. Sie bildeten sich schon sehr früh: 1832die Larka Ho-Bewegung, 1852-55 die SafaHor-Bewegung der Santhals, 1885-1900 dieBirsa Andolan-Bewegung, die Bhil- und Gond-Bewegung ... Diese Bewegungen haben vorallem versucht, das in den Kämpfen verlore-ne Heimatland zurückzugewinnen, und mitihren kulturellen Werten ihre sozio-ökono-mische und politische Autorität wiederher-zustellen.

Die Stammesvölker in Nordostindienhaben ihr Ziel erreicht, indem Nagaland,Meghalaya, Mizoram, Manipur und ArunachalPradesh zu Staaten erklärt wurden. Es istihnen aber nicht gelungen, in ihren Staatenihre soziokulturellen Werte lebendig zu er-halten. Dies empfinden sie als Verlust ...

Adi-Völker und Jati-Völker

Adi-Volk bedeutet indigenes Volk; Jati-Völkersind die späteren Invasoren, die Arier Indi-ens. Die indische Regierung hat offiziell dieExistenz von indigenen Völkern in Indienzurückgewiesen ...

In einem Seminar, das zum Thema »Wersind die indigenen Völker Indiens?« im März1992 in Neu Delhi stattfand, haben indischeWissenschaftler die Tatsache akzeptiert, dassdie in Listen erfassten Stammesvölker (Sche-

duled Tribes) Indiens indigene Völker sind.Aber auch die Dalits nehmen für sich in An-spruch, zu den indigenen, den Adi-VölkernIndiens zu gehören. Nach der arischen Inva-sion wurden einige indigene Völker von denInvasoren versklavt. Dazu gehörten auch dieDalits, die in Folge dieser offensichtlichenUnterwerfung ihre Religion, ihre sozialenund ökonomischen Werte und vor allem ihreSprache verloren ...

Die Stammesvölker sind die unabhängi-gen Adi-Völker Indiens. Sie nannten sich »Adi-vasis«, was soviel wie ursprüngliche Einwoh-ner bedeutet. Sie sind in einem zweifachenSinne Adivasis: Erstens waren sie die Men-schen, die das Land bewohnten, bevor diearischen Invasoren kamen ... Zweitens wa-ren sie auch in den Regionen, in denen sieheute leben, die ursprünglichen Siedler. Nie-derlage und Versklavung durch die Arierakzeptierten die Adivasis nicht. Sie zogensich in die Urwälder Indiens zurück und lie-ßen sich dort als unabhängige Völker nieder,bis sie im Rahmen der Kolonisierung durchdie britische Regierung unter die Hauptver-waltung Britisch-Indiens kamen. Jedes Volkbehielt ein eigenes Gebiet, eine eigene Spra-che und ein eigenes sozio-politisches Sy-stem. Im Grunde hielten alle ihre egalitäreGesellschaft und eine demokratische Politikaufrecht ... Die wirklich unabhängigen undfreien Menschen in unserem Land sind dieStammesvölker. Sie haben weder in ihremHerzen noch in ihrem Geist jemals eine un-tergeordnete Stellung akzeptiert ...

Dalits und Stammesvölker: Auf der Suchenach politischer und kulturellerGemeinsamkeit

... Wir haben gesehen, wie die Dalits undStammesvölker mit ihren getrennten und

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unterschiedlichen Ideologien versucht ha-ben, sich mit der jeweiligen Situation aus-einanderzusetzen. Die Dalits waren in ihremDenken und Handeln stärker von einer sozio-ökonomischen Ideologie beherrscht, wäh-rend ihr politisches Streben auf verfassungs-mäßige Rechte der Partizipation im indischenStaatswesen begrenzt war. Die Stammes-völker hingegen haben ein eigenes Heimat-land angestrebt mit eigenen indigenen sozio-ökonomischen und politischen Ressourcen.

Es gibt gemeinsame Merkmale der Dalitsund der Stammesvölker. Dalits und Stammes-völker haben im allgemeinen eine sehr nied-rige Einschätzung ihrerselbst und ihrerGesellschaft. Dieser Minderwertigkeitskom-plex ist das Ergebnis von Tausenden von Jah-ren, in denen ihnen von den herrschendenGruppen immer und immer wieder gesagtwurde, dass sie kein Volk seien und auch kei-ne eigene Geschichte hätten. Bis vor kurzemhaben auch die Akademiker diese Sicht ge-teilt. Diese entstellte Geschichte und Kulturder Dalits und Stammesvölker ist von derherrschenden Schicht in der indischen Ge-sellschaft als Tatsache akzeptiert worden.Dieses falsche Verständnis, das den Dalitsund Stammesvölkern aufgezwungen wurde,ist nun der Ausgangspunkt für ihre Suchenach politischer und kultureller Gemeinsam-keit.

Dalits und Stammesvölker sind die indige-nen Völker Indiens

Eine international akzeptierte Definitionindigener Völker hat folgenden Wortlaut:»Für die Definition indigener Völker gibt esvier Elemente: eine schon existierende Be-völkerung, die ein Gebiet bewohnt, bevor

eine andere Population dort eindringt; nichtauf Herrschaft angelegt; kulturelle Verschie-denheit und Selbstidentifikation als indigen.«(S. A. Khan u. H. B. Total, lndigenous Peop-les, London and New Jersey, 1977, S. 6) Indi-gene Völker sind zu lange als archaisch undrückständig angesehen worden. Langsamaber sicher hat die Welt jedoch begriffen,dass die moderne wissenschaftliche undtechnologische Welt die Weisheit und diekulturellen Quellen der indigenen Völker die-ser Welt braucht, auch diejenigen Indiens.Die oben zitierten Personen ... haben im Blickauf die indigenen Völker folgendes erklärt:»Indem wir das Versagen der industriellenEntwicklung im sozialen, humanitären unddie Umwelt betreffenden Bereich beobach-ten, wird immer mehr Menschen deutlich,dass wir, wenn es nicht schon zu spät ist,dringend von jenen Gesellschaften einigepraktische Lektionen lernen sollten, die überJahrtausende vermocht haben, eine über-lebensfähige Umwelt zu erhalten.« (S. XI) ...

Neues Selbstverständnis

Das neue Selbstverständnis sollte die glor-reiche Vergangenheit der Dalits und Stam-mesvölker mit einschließen. Angesichts dergeltenden literarischen und archäologischenBeweismittel müssen aus indigener Perspek-tive ein neues Verständnis und eine Neu-interpretation der alten indischen Geschich-te und Literatur erarbeitet werden. Diesesneue Selbstverständnis der Dalits undStammesvölker als der indigenen Völker In-diens erfordert gemeinsame Anstrengungenwie Studienprojekte, Forschung, Interpreta-tion der alten Literatur und Geschichte, undzwar aus indigener Sicht. Ein solches Unter-

fangen wird die Suche nach politischer undkultureller Gemeinsamkeit vorantreiben,denn ohne vereinte Anstrengungen und einegemeinsame Ideologie steht das Überlebender Dalits und der Stammesvölker auf demSpiel. Vor ihnen liegt eine Zukunft, in derdie Vergangenheit den indigenen Völkernneue Erkenntnisse und Ermutigung bringenwird, unter den Völkern und Nationen derWelt ihren Weg mit Mut und Vertrauenweiterzugehen.

Diese Ursehnsucht nach politischer undkultureller Gemeinsamkeit – nach einer ge-meinsamen Ideologie – ist das Befreiungs-motiv der indigenen Völker. Sie müssen sichselbst von ihrem Minderwertigkeitskomplexund der Unterdrückung und Diskriminierungdurch die sie umgebende herrschendeSchicht in Indien befreien. Diese Befreiunghat soziale, ökonomische, kulturelle undpolitische Dimensionen. In der Arbeit an ih-rer eigenen Befreiung sollten sie sich auchfür die Befreiung der Unterdrücker und derAusgebeuteten engagieren. Der Befreiungs-kampf der Dalits und der Stammesvölkerbeinhaltet die Befreiung der Menschheit ins-gesamt, damit in Indien und in der ganzenWelt eine kastenlose und klassenlose Gesell-schaft mit Gerechtigkeit und Frieden für alleMenschen entstehen kann ...

Nirmal Minz, ehemaliger Bischof der Nord-West-Gossner-Kirche,

aus: Evangelisches Missionswerk inDeutschland (Hrsg.), Gerechtigkeit fürdie Unberührbaren. Beiträge zur indi-

schen Dalit-Theologie, Hamburg 21997(Weltmission heute Nr. 15), S. 88-97.

Ma unnikini nilupu kontam(Das ist unsere Existenz)

Wir, die Adivasis, sind ein Teil der Natur.Wir sind die Stimmen der Natur,und wir sind wie die Vögel.Alle Welt mag uns in dieser Rolle.Wir sind das Plätschern der Bäche und Flüsse.Wir erzeugen tausendfachen lebendigen Klang.

Wir sind die wahren Naturwissenschaftler.Wir sind in der Lage, die Geheimnisse des Universumszusammenzufügen.Unsere Mutter, der Wald, streift uns mit ihre geheiligten Pflanzen-fasern – und wir nehmen Gestalt an und tanzen den Tanz der Natur.

Jetzt sind die Bande, die unser Leben, die Natur und den Wald –unsere Mutter – zusammengehalten haben, zerrissen.Unsere Lieder und Tänze sind nicht mehr wie früher.Überall herrscht Not:Wir sind entfremdet von unserer Mutter, dem Wald.Unser Anrecht auf den natürlichen Reichtum wirduns streitig gemacht.

Warum nur? Wer hat das verfügt?Alle, die jetzt über uns bestimmen, kamen einstund lebten Seite an Seite mit uns.Wir gaben ihnen Früchte und essbare Knollen.Unsere Mütter gaben ihnen Milch.

Unsere Väter gaben ihnen Nahrung.Damals sahen wir sie als Menschen an,die ums Überleben kämpften.Aber bald begannen sie, unseren Frieden zu stören.

Als sie ankamen, kamen sie mit leeren Händen.Aber jetzt stehen sie im Bund mit den multinationalen Firmen.Sie verlangen unsere Schultern,um darauf ihre Paläste zu setzen.Wir würden ihnen sogar das geben,wenn es für ihr Überleben nötig wäre ...Aber uns ist auch der Wert eines solchen Opfers bewusst, unddeshalb opfern wir nicht unser Leben für ihre Ausschweifung.

Der Nutzwert des Waldes steigt mit jedem Tag, und gleicher-maßen steigert sich der Druck auf uns und unser Leben.Wenn wir unsere Stimme gegen dieses Unrecht erheben,ertönen die Schritte der Polizeistiefel und rüde Beleidigungen,und sie jagen uns Angst ein.

Dennoch: so lange wir leben, bis zu unserem letztenAtemzug, werden wir versuchen, die zerrissenenBindungen wiederherzustellen.So behaupten wir uns in unserem Leben.Das ist unsere Existenz.

P. Anjayya, * 1974, vom Stamm der Koya im Godavari-Tal, Andhra Pradesh.Aus: Stimmen der Adivasis, hrsg. v. sarini, Bonn 2001

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»Johar« ist für uns Jharkhandis mehr als nurein Wort. Dahinter steht eine lange Geschich-te, und die hat es erfüllt mit dem Besten,was wir zu bieten haben.»Johar« ist eine Geisteshal-tung, eine Lebenshaltung,ein Gefühl und ein Aus-druck des Annehmens, derDankbarkeit, der Vereh-rung, des Zusammenseins,ein Gruß. »Johar« ist eineHuldigung ... ein Segens-wort.

Auch wenn wir unter-schiedliche Sprachen spre-chen, so hat es sicher sei-nen guten Grund, wenn»Johar« eines der gebräuch-lichsten Worte ist, das un-sere verschiedenen Adiva-si-Völker benutzen. UnsereSanthal, unsere Munda, un-sere Ho, unsere Oraon, un-sere Kharia und alle andernAdivasi-Nachbarn grüßeneinander mit dem Aus-druck »Johar«. Es ist unsererstes Wort, wenn wir unszum ersten Mal begegnen.

»Johar« war auch unsererstes Wort, um die dikusin Jharkhand am Anfangzu grüßen. Aber heute se-hen wir, dass unser »Johar«von den Fremden nicht nurmissverstanden worden ist,sondern es wurde gar mitFüßen getreten und belei-digt. So kommt es, dass un-ser Land und unsere Ge-meinschaft heute in Unruheversetzt sind. Denn diesesLand, diese Luft, diesesWasser, die uns gegebenworden sind, um uns zuschützen und von uns be-schützt zu werden, sie sindbeleidigt worden.

Während Jahrhunder-ten haben wir die dichtenWälder durchstreift unddarin gelebt, und jeden Tag haben wir vielvon der Natur gelernt. Die Natur hat uns ge-nährt wie eine Mutter, und wir haben sie da-für geachtet und verehrt. Genauso wie kein

Mensch leben kann, ohne dass er frei Luftholen kann, so können auch wir nicht leben,ohne dass wir den Wald frei benutzen kön-

nen. Aber heute werden unsere Wälder gna-denlos vernichtet, so als würde man einemHuhn die Federn ausreißen noch bevor esgetötet wird; unsere Wälder werden abra-

siert. Wenn unser Wald nicht von Bergbau-stätten und Sprengungen blutet, dann erzit-tert er vor den grauenvollen Zähnen jener Tau-

sender von Sägewerken, diedie Baumstämme klein-sägen – so als ob Bäumeüber Nacht nachwachsenwürden.

Im Unterschied dazuhaben wir eine bestimmteJahreszeit für den Holzein-schlag, und nur dann kön-nen wir Bäume fällen. Wirdürfen nur soviel Holz neh-men, wie wir gerade benö-tigen, und nicht mehr. Etwasanzuhäufen betrachten wirals Schande.

Wir haben auch einebestimmte Zeit für dieJagd, und wir wählen ganzbestimmte Tage, an denenwir die Blüten und Beerender Bäume essen, so dassdie Bäume Zeit haben, undihre Blüten bestäubt undbefruchtet werden können,dass die Vögel Zeit haben,ihren Anteil zu bekommenund die Bienen, ihren Ho-nig zu sammeln, das Eich-hörnchen, um genug fürdie trockene Sommerzeitzu sammeln. Und von dem,was bleibt, nehmen wirund essen, und wir singenund tanzen. Die Bäumewiegten sich im Wind undwaren glücklich. Und zuZeiten des Vollmonds war-fen die Bäume ihre Schat-ten über unsere tanzendenKinder in den Nächten,wenn wir die Feste vonMaghe, Karam, Sohrai fei-erten und die BlumenfesteBaa und Sarhul. Und dieBäume wuchsen hoch undbreit und stark und grünund waren beladen mit Blü-ten und Früchten und Sa-

men, und auch wir wurden stark und gesundund waren voller Glück, und unsere Ziegengingen in die Wälder, um zu grasen undmischten sich unter die Rehe, und oft riss

Johar – Manifest der Jharkhandis‘ Organisationfor Human Rights

In dem Manifest blicken die Adivasi auf das Eindringen der Fremden in ihr Land zurück. Die freundli-che Aufnahme und den Gruß »Johar« haben die Fremden nicht angenommen, sondern alles zerstört

oder weggenommen, was für die Adivasi wichtig ist: Natur, Land, Gemeinschaft, kulturelle Identität ...

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der Tiger eine von ihnen, doch wir griffenden Tiger niemals an, denn auch diese Tierehaben ihre Anrechte.

Wir arbeiteten auf der guten Erde undpflanzten, und wenn die gute Erde erschöpftwar, unsere Ernten zu tragen, dann ließenwir sie ruhen und gingen zu andern Land-stücken, und wenn ihr danach war, ließ siean ihrem Busen von neuem einen wunder-vollen Wald wachsen.

Und wir Frauen arbeiteten viel auf denFeldern und zuhause, und wir brachten Kin-der zur Welt und zogen sie auf, was uns selbstund unserer Gemeinschaft viel Freude berei-tete.

Was wir von der Ernte übrig hatten, nah-men wir mit zu den Wochenmärkten undtauschten es gegen all das, was uns fehlte,und mit denen, die wir trafen, tranken wirunser Reisbier, und wir teilten Freud und Leidmit ihnen.

Wenn eine von uns krank wurde, so hat-ten wir unsere Kräuter und unsere Heilme-thoden. Und wir opferten, um die bösenGeister zu besänftigen, damit sie unser Glücknicht stören würden. Wenn eine von unskrank wurde, so verstanden wir dies als eineGefahr für uns alle und deshalb halfen wiralle mit, um diese Krankheit zu überwinden.

Unsere Haltung jedem einzelnen Lebe-wesen gegenüber war geprägt von großerAchtung, und aus dieser Haltung heraus wares uns möglich, die Einmaligkeit eines je-den von uns anzuerkennen, unabhängig vonAlter oder Geschlecht oder Herkunft. JedesLebewesen hatte seinen Platz im natürli-chen Zyklus und war darum wichtig. Das wareine sehr wichtige Lehre, die uns die Naturauf ihre Weise beibrachte. Es war dieseAchtung vor dem Lebendigen und vor derNatur, welche unser Verständnis von dem,was menschlich ist, geformt hat. Wenn dieGesamtheit dieser Bedeutungen in einem

einzigen Wort unserer verschiedenen Spra-chen ausgedrückt werden könnte, dann istes »Johar«.

Aber lasst uns heute sehen, was mit diesemWort »Johar« geschehen ist. Wir spüren, dassunsere Willkommenshaltung als selbstver-ständlich genommen wurde. Wir haben imfolgenden die Stimmen und Gefühle unse-rer Leute aus verschiedenen Teilen Jhar-khands gesammelt:

»Wir haben zu euch »Johar« gesagt, aberihr habt unser Land weggenommen und unszu Landlosen gemacht ... Wir haben »Johar«zu euch gesagt und euch freundlich eineBlätterschale mit unserem Reisbier angebo-ten, aber ihr habt gleich nach der ganzenHand gegriffen und uns Gewalt angetan, umuns Frauen euch gefügig zu machen und umeure sinnlichen Gelüste zu befriedigen ...

Wir sagten »Johar« zu euch, aber ihr habtjene gewaltigen Maschinen hergebracht undFabriken, Staudämme und Städte gebaut,und so haben Tausende von uns ihr Zuhauseverloren ...

Wir haben »Johar« zu euch gesagt undhaben euch nie unsere Lebensweise aufge-drängt. Aber wir sind gezwungen worden,eure Art, eure Gesetze zu befolgen – selbstwenn wir sie nicht verstehen. Und dazumacht ihr euch ständig über unsere Lebens-art und unsere Bräuche lustig ...

Wir haben »Johar« zu euch gesagt, dochunsere Lieder und Tänze, unsere Sprache undunsere Volkskunst sind nichts anderes als Sei-ten in Büchern in den Bibliotheken gewor-den, und eure Ethnologen können darüberdebattieren. So habt ihr unsere Geschichteverfälscht, unsere Kultur missverstanden undsie zu einer Ware gemacht, die in eurenUniversitäten und Seminaren feilgebotenwird. Wir sagten »Johar« zu euch, doch un-ser traditionelles und zuverlässiges Gesund-

heitssystem ist zerstört worden. Die Kräu-ter gibt es nicht mehr, weil ihr Bäume aufunserem Land gepflanzt habt, die wir nichtkennen. Sogar die Kräuter, die wir Frauen zurKontrolle unserer Fruchtbarkeit verwendethaben, gibt es nicht mehr. Im März 1989 sindnacheinander mehr als dreihundert von unsin vielen Gebieten der Jharkhand-Region ge-storben. Die Leute von der Regierung sag-ten, es sei »Meningitis«. In einigen Dörfernwurde Medizin ausgegeben, und es hieß, diewürde uns gesund machen. Wir verstehennicht, warum so viele haben sterben müs-sen. Warum wurden nur die Ärmsten zu Op-fern? Warum starben mehr Frauen und Kin-der? Wir hoffen, eines Tages Antworten aufdiese Fragen zu bekommen. Auch heute ster-ben zu viele Leute an Malaria und Filarioseoder werden davon geschädigt, und die Me-dikamente, die man uns dagegen gibt, sindnicht mehr wirksam ... Wir sagten »Johar« zueuch, aber nicht einmal unsere Philosophieund Spiritualität wurden verschont. Eure So-ziologen und Theologen machten gar Über-stunden, um unsere Glaubensvorstellungenaus der Sicht eurer Religionen zu verdrehen.Diejenigen, die solche Verdrehungen nichtformulieren konnten, gaben unserem Glau-ben abschätzige Bezeichnungen ...

Wir sagten »Johar« zu euch, doch heutemüssen unsere Leute zu so weitentferntenOrten wie Patna, Delhi oder in den Panjabgehen, um als Schuldknechte in Steinbrüchenund Ziegeleien zu arbeiten ... Wir hattenunser eigenes System, mit Wasser hauszu-halten und Fische zu halten, und unsere gutbehüteten Wälder sicherten uns regelmäßi-gen Regen. Doch heute sind alle Flüsse, Bä-che und andern Wasserquellen zu eurenWohnorten, euren Fabriken und Bergbau-stätten umgeleitet, und als Gegenleistungkippt ihr euren Abfall, eure Abwässer und denIndustriedreck auf unsere Felder und unser

Eine typische Straßenrandszene in Indien:Tagelöhner – häufig Adivasi – zerklopfen füreinen geringen Lohn Steine zu Straßenschotter.

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Land und vernichtet unsere Ernten, Fischeund unser Land ...

Wir haben »Johar« zu euch gesagt, aberihr habt einige von uns genommen und sieauf eure Weise gekleidet und ihnen eure Le-bensart beigebracht. Diese sind jetzt einsamund verloren, und ihr habt uns so die Freudegenommen, eine einzige Gemeinschaft zusein ...

Wir haben »Johar« zu euch gesagt undwollten gemeinsam mit euch weiterkommen,aber ihr habt nur Reichtum zusammengerafftund Güter angehäuft, die für euch und eureNachkommen in den nächsten hundert Jah-ren genügen. Aber unsere Familien müssensich jede Minute abrackern, und wie sehr wiruns auch anstrengen, wir haben nie satt zuessen. Wir haben nie unsere Arbeitskraftverkauft, und es war für uns beschämend,gegen Lohn zu arbeiten. Aber ihr brauchtetuns für den Bau eurer Städte, Fabriken, Berg-werke und Staudämme, und ihr habt bewusstdiese Verhältnisse geschaffen, die uns in Ar-mut gebracht haben und uns zwingen, aufeuren Baustellen als Schuldsklaven zu arbei-ten und von der Gnade unmenschlicher Sub-unternehmer abzuhängen. Ohne uns hättetihr jene industrielle Basis und Strukturen nieschaffen können. Es war alles unsere Arbeitund unser Material...«

Das sind Stimmen unserer Leute, wie mansie in jedem Dorf hören kann. Die dikus, diewir mit großer Ehrerbietung willkommenhießen, sie haben unseren Gruß nicht nurausgeschlagen und missbraucht, sondern siehaben auch unsere Kultur und alles, was unsglücklich machte, zerstört. Deshalb heißtdiku für uns »einer, der zerstört und ausbeu-tet«. Zuerst kamen die dikus, um unser Landin Besitz zu nehmen, dann kamen die briti-schen Kolonialisten, die über uns herrschten.Und jetzt haben wir diese Großindustrienund die Städte. So sind aus einzelnen dikusvon früher heute die großen Industrieanla-gen und Unternehmer geworden. Und jetztkommen noch die Entwicklungsprojektedazu, die alles zerstören und uns zu Opfernmachen. Dieser Wandel in der Gestalt desdiku geht auch heute weiter, wobei der Staatund seine ganze Verwaltungsmaschineriedabei ist, der mächtigste diku zu werden: dieVerwaltung, die uns fortwährend ausbeutet;die Polizei, die uns beleidigt, zermürbt undtötet, nur um die Reichen und Mächtigen zuschützen; die Gesetze, welche uns mehrSchwierigkeiten machen, als dass sie unsRecht verschaffen; die Gerichte und Ge-fängnisse, in denen Tausende von uns unge-recht behandelt und zu unrecht bestraftwerden. Und heute haben selbst das politi-sche System und die politischen Parteien dieForm des diku angenommen. So ist heuteder diku institutionalisiert, zu einem Teil desSystems selbst geworden, und unser Kampfgeht gegen dieses System und seine Institu-tionen und jene Einzelpersonen, die es un-terstützen. Wir sehen, dass auch unter denNicht-Adivasis einige die Opfer desselben

Systems sind – wie wir selbst, und wir er-kennen sie als zu uns gehörig. Und auf derandern Seite stellen wir mit Schmerzen fest,dass einige von uns selbst dem System bei-getreten sind, und wir sind gezwungen, siezu den dikus zu zählen. Deshalb machen wireinen Unterschied zwischen dem diku, derzerstört und ausbeutet und gegen den sichunser Kampf richtet, und dem diku, der wiewir selbst ausgebeutet und unterdrückt ist,und den wir als unseren Freund ansehen.

Überall auf der Welt sprechen heute Ein-zelne, Gruppen und sogar Institutionen wiedie Vereinten Nationen über die Gefahr derZerstörung dieser Erde. Man sucht heraus-zufinden, was natürlich ist und Bestand hat– und was nicht. Die Leute versuchen, mitgewissen Ideen zu experimentieren. Dochhier in Jharkhand haben wir jahrhunderte-lang in einer harmonischen Umwelt gelebt,und wir kennen noch immer einige dieserWerte und Traditionen.

Indem wir dies sagen, ist uns sehr wohlbewusst, dass vielleicht nicht alle unsere Le-bensweisen richtig sind, und wir sind sichernicht einfach nur gegen alles, was von dendikus kommt. Aber von Anfang an hat niejemand daran gedacht, sich mit uns zusam-men zu setzen und darüber zu reden, wiewir zusammenarbeiten könnten. Wir sagennicht, dass wir zurück in die Vergangenheitwollen, um wieder neu anzufangen. Aber wirwerden mit Sicherheit diesen gegenwärtigenTrend nicht weiter zulassen. Wir wollen nichtwie die Pflanzen und Tiere eingestampft undals Rohmaterial angesehen werden, und dasalles im Namen von glitzerndem Geld undStolz.

Wir wissen, dass es schon spät ist. Aberwir glauben, dass noch Zeit ist, um einigeunserer guten Erfahrungen und Werte zu ret-ten. Schließlich ist diese Erde für uns alle da.Diese Erde gehört uns nicht, wir gehören zuihr. Gemeinsam möchten wir frei werden vonallem, das uns so viel an Verletzungen undSchaden zugefügt hat: die ausbeuterischeMarktwirtschaft, die ungerechten Gesetze,die Technologien, die zerstören und sichgegen das Wohl der Menschen und der Na-tur richten, die patriarchale Haltung gegen-über Frauen, Kindern und Älteren, dasGesundheitssystem, das mehr Leiden verur-sacht als es heilt, das Bildungssystem, dasdie Leute zu Konkurrenzdenken und Zerstö-rungswillen erzieht, die fanatischen Religi-onsformen, die mehr zur Spaltung als zurEinigkeit führen.

Denn wenn wir diesem Wahnsinn nichtEinhalt gebieten, dann werden die Geisterunserer Vorfahren uns nicht vergeben. Wirwissen, dass sie bereits über uns verärgertsind, und es kann sein, wenn es für sie völligunerträglich wird, dass sie dann jene bereitsübermäßig beanspruchten Kräfte, die dasGleichgewicht dieser Welt noch halten, zu Fallbringen. Wenn es dazu kommt, dann gibt esweder für uns noch für den diku Hoffnung,gegen diese unheilvolle Kombination zu be-stehen.

Die lange Geschichte der Kämpfe in Jhar-khand geht weiter: die Kämpfe unsererSanthal-Vorfahren, die sich 1784-85, angeführtvon Baba Tilka Majhi, gegen die Briten erho-ben ...‚ unser berühmter Kol-Aufstand von1831-32 ...‚ unsere Santhal-Aufstände von1855-56, angeführt von Sido und Kanu, ge-gen die Landbesitzer und ihre Gehilfen undgegen die Ostindien-Gesellschaft, in denenmehr als 25.000 unserer Vorfahren getötetwurden, nur weil die Engländer die Feuerkrafthatten ..., unser Munda-Ho-Aufstand von1895-1900, geführt von Birsa Munda ..., danndie verschiedenen Bauernkämpfe in der Ge-gend von Ranchi nach der Erlangung der indi-schen Unabhängigkeit ..., die Schüsse auf eineöffentliche Versammlung in der Stadt Gua inSinghbhum am 8. September 1980, und danndas Abschlachten unserer Adivasis am glei-chen Tag im Spital der gleichen Stadt ..., dieUnterdrückung der Protestbewegung gegenden Khadkai-Staudamm und die brutale Er-mordung des Führers Gangaram Kalundia am5. April 1982 ..., oder die Ermordung von 14Santhals im Dorf Banjhi am 19. April 1985,wobei auch das frühere ParlamentsmitgliedAnthony Murmu im Dorfratsbüro erschossenwurde, nur weil sie unsere alten Fischerei-rechte eingefordert hatten ..., die brutalenUnterdrückungsmaßnahmen gegen die Kol-han-Bewegung, als die Polizei von Bihar dieHäuser von mehr als 450 unserer Adivasi-Ver-wandten niederbrannte und plünderte ..., unddie zahllosen Großfahndungsaktionen von Po-lizei, Militärpolizei und Zentraler Bereit-schaftspolizei ..., die Belangung von über5.000 Menschen, die im Wald lebten, im Be-zirksgericht von Chaibasa im Singhbhum-Di-strikt, gegen welche gefälschte Anklagen aufder Grundlage der unterdrückerischen Forst-gesetzgebung erhoben wurden ..., und jetztvor kurzem erst die falschen Anklagen gegendie Aktivisten für einen eigenen TeilstaatJharkhand sowie gegen Gewerkschaftsmitglie-der, und das vor Gerichten, die selbst ihre ei-genen Verfahrensvorschriften nicht einhalten..., die Verfolgung von obdachlosen und land-losen Frauen, weil sie auf der Suche nach Blät-tern und Zweigen in den Wald gehen oderweil sie an den Bahngleisen Kohlestücke auf-gelesen haben. Derartige Anklagen und Schi-kanen sind bei allen Distrikt-Gerichten in derRegion Jharkhand, in den Teilstaaten Bihar,Madhya Pradesh, Orissa und West-Bengalen,gleichermaßen üblich ...

Zur Unterstützung und Fortsetzung dieserbisherigen und auch der zahlreichen gegen-wärtigen Kämpfe erheben wir die Fahne derOrganisation für die Menschenrechte derBewohner von Jharkhand ...JOHAR!

Manifest der Jharkhandis‘ Organisationfor Human Rights (JOHAR).

Aus: Stimmen der Adivasis,hrsg. v. sarini, Bonn 2001

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Bernd Krause: In den 50 Jahren der Unab-hängigkeit hat Indien einen eigenen Weg derwirtschaftlichen und sozialen Entwicklungversucht, mit der Verbindung von Elemen-ten des Kapitalismus und Sozialismus, vonPrivatwirtschaft und Planwirtschaft. Verschie-dene Armutsbekämpfungsprogramme wur-den durchgeführt. Trotzdem ist die Armut inIndien unübersehbar. Wie ist der indischeWeg zum Fortschritt nach 50 Jahren zu wer-ten?

Dominic Bara: In der wirtschaftlichen Entwick-lung Indiens hat sich die Strategie P. Nerusdurchgesetzt. Er war sehr beeindruckt von derEntwicklung der Schwerindustrie, Fortschrittwar für ihn verbunden mit der Entwicklungvon Wissenschaft und Technologie. Vermut-lich hat ihn auch das Modell der 5-Jahresplä-ne in der früheren UdSSR beeinflusst. Am Endedieses Weges sehen wir heute Indien in gro-ßen wirtschaftlichen Problemen. Die Möglich-keiten und Ressourcen des Landes sind nichtangemessen genutzt worden. In den Staats-betrieben haben die Probleme immer mehrzugenommen und sie sind immer mehrunprofitabel geworden. Ihre Technologie istoft hoffnungslos veraltet.

B. K.: Heißt das angesichts einer solchen Bi-lanz, dass Veränderung und Modernisierungunerlässlich sind?

D. B.: Wir haben keine andere Wahl. Die Öff-nung zum Weltmarkt und die Modernisie-rung werden die Situation entwickeln. Aller-dings wird die Öffnung unseres Marktes auchAuswirkungen haben auf die Selbstständig-keit (selfreliance) unseres Landes haben undwird eine Menge an Arbeitslosigkeit nachsich ziehen.

B. K.: Kann man rückblickend sagen, dass dieindische Wirtschaft mit ihrer Entwicklungs-strategie nicht fähig war, im weltweiten Wett-bewerb zu bestehen – und das trotz des im-mens niedrigen Lohnniveaus?

D. B.: Das ist eine richtige Beschreibung. Wennes gelingt, die Wirtschaft in Indien an die Be-dingungen des Weltmarktes anzupassen, sodenken wir nur an einige Bereiche, die derIndustrie und des Handels. Große Bereichevon Handwerk und Gewerbe haben keineChance in diesem neuen inneren Wettbewerb.

B. K.: Und das betrifft eine große Zahl vonMenschen?

D. B.: Etwa 80 % der Menschen leben in Indi-en in einer informellen Ökonomie; insbeson-dere auf dem Lande ist das Leben aufSubsistenzwirtschaft aufgebaut. Die Hälfteder Bevölkerung lebt von Kleinindustrie undHandwerk. Für einige dieser Menschen wirdder Schritt in die formelle Ökonomie mög-lich. Aber es wird auch Geld ins Ausland ab-fließen, was dann für weitere Investitionenfehlt.

Auswirkungen der sozio-ökonomischenEntwicklung auf die Landbevölkerung

B. K.: Was sind die Gründe, warum die Selbst-versorgung im ländlichen Bereich nicht mehrausreicht?

D. B.: Die Lebensmöglichkeiten sind engergeworden. Viele Menschen geraten in denSog der Urbanisierung. Die Bevölkerung inden Städten wächst enorm. So gibt es heutein Indien zwei Lebensstile: Die Verlockungdes Stadtlebens mit den Jobs im weißenHemd, in der Verwaltung oder in Büros. Da-neben das ländliche Indien, wo das Landknapp wird, neue Bedürfnisse von außen her-eingetragen werden wie Uhren oder Motor-räder. Um sich die leisten zu können, mussman Dinge herstellen oder produzieren, dieman verkaufen kann. Viele nehmen auch Kre-dite auf und geraten in Abhängigkeit. Damitist das Leben auf dem Land insgesamtschlechter geworden.

B. K.: Welche Projekte sind nötig, um Men-schen zu ermutigen, sich mit den Verände-rungen, die nötig sind, auseinanderzuset-zen?

D. B.: Auf dem Sektor der Landwirtschaft hates für die Nahrungsmittelproduktion enor-me staatliche Unterstützungen gegeben, diedurch die ständig steigenden Kosten vonKunstdünger und Saatgut aufgebraucht wur-den. Wenn die Regierung jetzt die Subven-tionen einstellt, gibt es große Probleme.

B. K.: Die Subventionen werden entfallen unddie Wissenschaftler haben keine weiterfüh-renden Lösungen anzubieten. Was könnendie Menschen tun?

D. B.: Modelle und Visionen sind nötig. Aberdie armen Leute in Indien haben einen soharten Alltag, dass ihnen kein Raum und kei-ne Mittel für Experimente bleiben. Sie müs-sen kämpfen, um zu überleben. Wenn die

Menschen auf sich selbst gestellt bleiben,wird alles so weiterlaufen. Deshalb brauchtes Investitionen, die mutig Neues probieren,an denen die Menschen beteiligt sind, umselbst zu wählen, was sie behalten und wassie zurückweisen.

Der Ansatz der Entwicklungs-organisationen

B. K.: Was sind Ihre Erfahrungen in VikasMaitri, wie sind Sie an solchen Aufbrüchenunter den Menschen beteiligt und was tra-gen Sie dazu bei?

D. B.: Vikas Maitri ist nicht einzigartig oderisoliert. Es gibt mehrere solcher Gruppen,besonders in Südindien. Es werden Experi-mente auf den verschiedenen Gebietendurchgeführt, die mehrheitlich gute Erfolgezeitigen. Ein einfaches Beispiel: Mit einemtraditionellen Brunnen kann nur ein begrenz-tes Ackerstück bewässert werden. Viel Was-ser versickert auf dem Weg zu den Feldernin den Gräben. Die Verluste können drastischreduziert werden, wenn Röhren oder Leitun-gen benutzt werden. Im Ergebnis kann mehrLand bewässert werden. Obwohl weiterhinWasser mit dem Eimer aus dem Brunnen ge-schöpft wird, gibt es eine enorme Effektivi-tätssteigerung. Eine andere Methode ist diePflanzung von Linsenbüschen. Diese sind ein-fach zu pflanzen, auch von Witwen, und brin-gen schon nach kurzer Zeit gute Erträge. Hierist eine alte Ernährungsform mit gutem Er-folg wiederentdeckt worden. Über solcheErfahrungen wollen wir auch mit den Exper-ten an den Universitäten ins Gespräch kom-men, bei einigen finden wir auch Interesseund Wertschätzung.

B. K.: Diese kleinen Schritte, wie verhaltensie sich zu den Veränderungen des Marktes?

D. B.: Das ist eine der Schlüsselfragen, auf diewir bisher noch kein Rezept haben. Der Marktist fest in der Hand von einer Kette von Leu-ten, die untereinander die besten Kontaktehaben und die fest entschlossen sind, ihrMonopol zu verteidigen. Jeder Versuch, andiesen Leuten vorbei etwas zu vermarkten,besonders wenn es genossenschaftlich ge-schieht, wird von ihnen verhindert oder ge-stört. Die Verbindung besteht vom kleinenDorfladen bis zum Großhändler in Kalkutta(Kolkata). Hier kann nur mit Hilfe der Regie-rung und anderer Wettbewerbsformen etwasverändert werden.

Selbstorganisation zur Überwindung der Armut

Die wirtschaftlichen Veränderungen aus der Grassroot-Perspektive stehen im Mittelpunkt eines Inter-views, das Bernd Krause, Indienreferent der Gossner Mission, mit Dominic Bara geführt hat. Bara istLeiter von Vikas Maitri, einer indischen, ökumenischen Entwicklungsinitiative.

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Hindernisse bei der Selbstorganisation

B. K.: Wie verändert sich eine Dorfgemein-schaft in dem gemeinsamen Versuch zu über-leben?

D. B.: Der Prozess, die Menschen zusammen-zubringen und zu organisieren, ist sehr kom-pliziert, denn die Dörfer sind längst nichtmehr die harmonische Gemeinschaft, die mansich vielleicht wünschen würde. All die mo-dernen Einflüsse haben vieles verändert undzwischen den Menschen gibt es große Unter-schiede: Einige sind Analphabeten, einigebesitzen viel Land, einige sind als Tagelöhnerabhängig, andere als Pächter usw. Es sind neuesoziale Beziehungen und Besitzverhältnissegewachsen und das Dorf ist nicht mehr sohomogen, wie es zu alten Adivasi-Zeiten war.Wenn man ein Projekt beginnt, werden zu-nächst die kommen, die die Macht und etwaszu sagen haben. Die Armen, die von ihnenabhängig sind, werden den Prozess skeptischsehen. Wenn etwas gemeinsam oder genos-senschaftlich gemacht werden soll, werden sieimmer erst befürchten, missbraucht und be-nutzt zu werden. Die Reichen in den Dörfernsind häufig gegen Projekte, weil sie die Ab-

hängigkeit der Armen erhalten wollen, dennsie brauchen sie als billige Arbeiter. JedesProjekt braucht eine Lernphase, in der sichdie Beziehungen untereinander klären. Dazugehören auch Schulungen, wie man mit Kon-flikten umgeht.

B. K.: Haben die Betroffenen, selbst wenn siesich organisieren, überhaupt eine Chance ge-gen die Interessen der Reichen?

D. B.: Die Menschen werden mehr und mehrmarginalisiert. Sie empfinden das auch undsind in Gefahr aufzugeben. Ganz oft geht esdarum, wie man an Geld kommt, ohne sichvon Zuwendungen der Regierung abhängig zumachen. Wenn diese Notwendigkeit erkanntwird, dann gelingt es auch, die Betroffenenzusammenzubringen, das bedeutet abernicht, das ganze Dorf. Ein Beispiel: In einemJahr geringen Monsunregens gab es eine Dür-re. Viele Menschen litten große Not: KeinGeld, keine Lebensmittel, nichts zu essen. 25%waren sehr stark betroffen; sie hatten nur dieWahl zwischen Sterben oder Wegziehen. Auchden anderen ging es schlecht, aber mit Hilfeder Verwandten oder weniger essen konntensie durchkommen. Wir haben die 25% heraus-

gesucht, die ohne Hilfe von außen hätten ster-ben müssen. Wir haben ihnen Reis zu essenangeboten, wenn sie miteinander etwas be-ginnen. Dieser Reis war eine Leihgabe. Siemussten sich verpflichten, gemeinsam aufdem verbliebenen Land zu arbeiten. Dafürhaben wir ihnen ein Ochsengespann gegebenmit der Auflage, dass sie dafür einen Stall bau-en. Sie hatten Land, Essen und konnten pflü-gen. Die 50 Familien erzielten eine gute Ern-te und konnten nach der Ernte ihre Hilfenzurückzahlen. Das ist ein Beispiel, wie Men-schen in gemeinsamer Betroffenheit zusam-menwachsen. Hätten wir versucht, das ganzeDorf einzubeziehen, hätte das sicher nichtfunktioniert. Das ist auch an vielen staatlichenoder internationalen Hilfsprojekten zu lernen.Ein Projekt muss erst die Gruppe der wirklichBetroffenen identifizieren, mit ihnen gemein-sam ihre Probleme und Nöte beschreiben undzugleich herausfinden, was man miteinandermachen kann. An dieser Art von Parteinahmeund Konzentration kommt man nicht vorbei.

B. K.: Vielen Dank für die Einblicke in IhreArbeit.

Vikas Maitri im Internet: www.vikasmaitri.org

Lokale Selbstverwaltung für Adivasi-Dörfer –Das Modell von Vikas Maitri

Die umfassende Strategie von Vikas Maitri besteht in der Entwick-lung einer dreistufigen dörflichen Selbstverwaltung mit neu defi-nierten Funktionen, die zum gegenwärtigen sozio-politischen Rah-men in Indien passen. Die Struktur ... hat folgende Komponenten:Die Gram Sabhas sind die grundlegenden Einheiten der Selbstver-waltung auf Dorfebene. Mehrere Gram Sabhas eines bestimmtenGebietes (mit 8 bis 26 Dörfern) schließen sich zu einer Organisationzusammen, die »Selbsthilfeorganisation« heißt. Zurzeit gibt es 13 sol-cher Organisationen, die 123 Dörfer abdecken ... An der Spitze desdreistufigen Systems schließen sich alle 13 Selbsthilfeorganisationenzu einer Organisation zusammen, die »Adivasi Sanyojan« genanntwird, die gegenwärtig vier Distrikte Jharkhands abdeckt ...

Das Gram-Sabha-Konzept bedeutet eine alternative Selbstverwal-tung, durch die von den Menschen auf der untersten Ebene der Ge-sellschaft Macht ausgeübt wird. Dieses System ist auch als »Swaraj«bekannt, so benannt vom Vater der Nation Mahatma Gandhi. Diegrundlegende Idee ist, dass die Dörfer selbstsicher (self reliant) in derMobilisierung der eigenen Ressourcen werden und in den Entschei-dungen, sie einzusetzen. Das bedeutet jedoch nicht, dass alle Bedürf-nisse nur auf Dorfebene befriedigt werden können. Mahatma Gandhibetonte, dass alle Dörfer die Grundbedürfnisse selber decken sollten.Die Anliegen und Ziele von Gram Sabha sind folgende:

1. Ein Forum, in dem über die eigenen Zukunft entschieden wird.2. Optimierte Verwendung der vorhandenen lokalen Ressourcen wieWasser, Wald ... und der gemeinsamen Ausrüstung.3. Die Menschen werden in die Lage versetzt, ihre eigene wirtschaft-liche Entwicklung zu planen.4. Die Menschen leben freundschaftlich zusammen und sind fähig,ihre Konflikte ohne Eingriffe von außen zu lösen.

Die Struktur von Gram Sabha ist folgende: Alle Männer und Frauen,die das Alter von 18 Jahren erreichen werden automatisch Mitgliedvon Gram Sabha. Alle Mitglieder wählen den Präsidenten und ande-re Vorstandsmitglieder ...

Die Selbsthilfeorganisation bildet die Organisation auf der nächst-höheren Stufe und umfasst mehrere Gram Sabhas. Der Grund-gedanke dieser Organisation besteht in der Vermittlung beiInteressenkonflikten zwischen Mitglieds-Gram-Sabhas und in der Ab-wicklung von Angelegenheiten, die alle Gram Sabhas betreffen.Diese Organisation setzt sich aus Repräsentanten der Gram Sabhaszusammen. Als Ergebnis vieler Jahre aktiver Entwicklungsarbeit vonVikas Maitri, wurden diese Organisationen ausgestattet mit ... Aus-bildungshallen, Gemeinschaftsräumen, Lagerhäusern und Büros, siehaben gut entwickelte Farmen mit ausgewachsenen Nutzbäumen,Bewässerungsanlagen und Ausrüstung. Bis jetzt stellte Vikas Maitriauch einige ausgebildete Mitarbeiter, um den Mitgliedern der Selbst-hilfeorganisation bei der Planung und Durchführung von Aktivitätenzu helfen ... Es sind konkrete Aufgaben der Selbsthilfeorganisation,gemeinsame Feste (melas) zu organisieren, die Wochenmärkte zukontrollieren, den Urwald, die Nutzwaldressourcen, die Bergspitzenusw. Die Organisation hält als ein Knotenpunkt auch Kontakt zu an-deren Institutionen, Organisationen und Regierungsbüros. Für dieseAufgaben baut die Selbsthilfeorganisation Kapital aus lokalen Quel-len auf.

Der Leitgedanke von Adivasi Sanyojan ist, als ein Kulminations-punkt aller Adivasi, die in Jharkhand leben, zu dienen. Es hat zurAufgabe, die Adivasirechte zu schützen, die auf Adivasi bezogenenRegierungsmaßnahmen zu prüfen, eigene politische Grundsätze zuentwickeln und fähig zu sein, die Ansichten vor der Regierung zuvertreten. Es soll auch die laufenden Entwicklungsprogramme prü-fen, die von der Regierung und Nichtregierungsorganisationendurchgeführt werden und und fähig sein, mit den beteiligten Partei-en einen Dialog zu führen. Die Struktur von Adivasi Sanyojan ist fol-gende: Es wird aus dem Präsidenten und zehn exekutiven Mitglie-dern gebildet, die von einem Wahlkollegium ausgewählt werden,das sich aus den Repräsentanten der Selbsthilfeorganisationen zu-sammensetzt. Der Posten des Vizepräsidenten ist für eine Frau reser-viert. Die Amtszeit der Funktionsinhaber beträgt drei Jahre, die Wahlwird von Vikas Maitri beobachtet.

Aus: Dominik Bara, Empowering Adivasis.Strategy Adopted by Vikas Maitri, Ranchi 2002, 15-18

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Überlegungen zu einer adivasigerechten Entwicklung

Dr. Paul Singh, der Leiter des Missionszentrums der Ev.-Luth. Gossner Kirche, zieht eine nüchterne Bilanzder bisherigen (staatlichen) Entwicklungsarbeit in den Adivasigebieten. Er plädiert für eine nachhaltigeEntwicklung, die vor allem von Nichtregierungsorganisationen initiiert werden soll.

Vertreibung, Entwurzelung undAusbeutung der Adivasi

... Jharkhand ... bietet den Menschen mitWald, Land und Wasser, sowie dem Charak-ter der Religion ausreichende Grundlagen fürden Lebensunterhalt. Trotz des Eindringensvon Feinden und Freunden mit unterschied-lichen Motiven, blieben die Menschen inJharkhand, die Ureinwohner, defensiv undnahmen niemals eine Angriffshaltung ein,was ihre Bereitschaft zum Flüchten zeigt.Auch heute noch setzt sich das in Form vonVertreibungen oder auch freiwilliger Migra-tion auf der Suche nach Arbeit, Nahrung undUnterkunft fort, wobei die Meisten ihre Be-sonderheiten und ihre Identität verlieren. Mitdem Aufkommen der Globalisierung ist ihreZukunft ungewiss.

Jharkhand (übersetzt: Waldland), das mitgrünen Wäldern überzogen ist, bietet mehrals das, was der Name bezeichnet. SeineGeografie, Topologie und das tropische Ge-biet stellt den Einwohnern, den Adivasi, diejetzt auch als Ureinwohner (indigene Bevöl-kerung) bezeichnet werden, ein natürliches,dauerhaftes und sicheres Obdach zur Verfü-gung. Zusätzlich haben die tropischen Bedin-gungen der Region viel zu ihrer Religion, Kul-tur, Gesellschafts- und Wirtschaftsform unddem Lebensstil beigetragen. Urwald, Hügel-landschaften und Flüsse mit Wasserfällen,sowie Teiche bieten den Menschen unzähligeLebensmöglichkeiten und ein friedliches undfröhliches Leben, wenn auch mit vielen Be-schwernissen.

Der Schoß Jharkhands ist voll mit unter-schiedlichen Bodenschätzen und Mineralien,aber der Bauch der Menschen bleibt leer. DieBodenschätze ... Jharkhands zogen viele Ein-dringlinge und Migranten an, die auch dasgute tropische Klima bevorzugten. Sie beu-teten das Land und die Menschen von Jhar-khand aus und plünderten es zu ihrem Vor-teil, zu ihrer Gunst, zu ihrem Ruhm undGlanz. In der Anfangsphase waren sie einfa-che Plünderer und verwandelten sich späterin Siedler und koloniale »Klein-Großmächte«oder auch in »Hüter der Entwicklung« ... DerBergbau und mit ihm verbundene Siedlun-gen ... haben sich negativ auf das Land unddie Menschen ausgewirkt, besonders durchdie Abholzung der Wälder. Die Menschen derRegion wurden von ihrem Land, ihrer Gesell-schaft und Gemeinschaft auf Grund vonAnalphabetismus und Unwissenheit entfrem-det. Nach ihrem Land, für das ihnen Entschä-

digungen oder Beschäftigungen als ungelern-te Arbeiter gegeben wurden, konnten siealles sehr schnell verlieren, weil sie keineKenntnisse über wirtschaftliches Planen undim Umgang mit Geld hatten. Die Region hateine gewisse Entwicklung durch die Zuwan-derer erfahren, aber die Söhne des Landesschufteten vergeblich und ihre Zerstörungscheint die natürliche Folge zu sein. Auf ver-schiedenartige Weise wurden sie auf Grundvon Analphabetismus und Unwissenheit ge-plagt, mit Krankheiten, Arbeitslosigkeit undArmut ...

Entwicklungsprogramme schaffeneine neue Elite unter Adivasi und Dalits

Dörfliche Gebiete haben den größten Anteilvon Adivasi (scheduled tribes) und Dalits(scheduled castes). Obwohl seit der Unabhän-gigkeit einige Schritte zur Verbesserung ih-rer Lebensqualität unternommen wurden,hat nur ein Bruchteil von ihnen davon profi-tiert. In dem Leben dieser Gemeinschaftenkommen wirtschaftliche, soziale und rituel-le Rückständigkeit zusammen. Sie leidenauch unter einem Mangel an Einfluss undnehmen nicht so am sozialen Leben des Ge-bietes teil, wie andere Gemeinschaften. DieWohltaten der Entwicklung haben nur eini-ge Gruppen der Adivasi und Dalits erreichtund unter ihnen auch nur eine gewisse An-zahl an Familien. Um die wirklich rückstän-digen Adivasi und Dalits haben die Früchteder Entwicklung einen Bogen gemacht. DasErgebnis ist, dass unter ihnen eine neue Eli-te aufgestiegen ist, die dazu tendiert, dieEntwicklung auf sich zu beschränken.

Um dörfliche Entwicklung nachhaltig zumachen, ist es notwendig, Basiseinrichtungen(grass-root institutions) zu stärken und dieBeteiligung der Menschen an der ländlichenTransformation zu fördern. Diese Institutio-nen sollen den Menschen nicht übergestülpt,sondern von ihnen geschaffen werden, um aufdie Bedürfnisse einzugehen und die Alltags-probleme zu lösen. Die Menschen vor Ortsollen sie betreiben. Auf diesem Wege solllokale Führung (leadership) aufgebaut werden.Die gegenwärtigen Panchayats (Gemeinderä-te) versprechen nicht viel Beteiligung der Men-schen, da sie in den meisten Bundesstaatenvon der dörflichen Elite besetzt werden unddie ärmeren Bevölkerungsschichten keineStimme beim Prozess der Entscheidungsfin-dung haben. Das gleiche passiert mit den Ge-nossenschaften auf verschiedenen Ebenen.

Die Genossenschaften werden politisiert undvon politischen Führern benutzt, um sich zubereichern. Sie wurden auch durch eine zustarke Gängelung durch die Behörde für Ko-operativen abgewürgt. Deshalb sind diese bei-den Institutionen, die einige Jahre zuvor alsInstrumente des sozialen Wandels auf demLand gepriesen wurden, dabei gescheitert,Gutes herbeizubringen. Es ist notwendig, dieGedanken darauf zu richten, sie effektiver undzielbewusster zu machen und sie an die Be-dürfnisse der Armen auf dem Land anzupas-sen.

Die Dinge ändern sich, aber sehr lang-sam, was den Entwicklungsprogrammen an-zulasten ist, die die Aufgabe haben, jedesJahr eine begrenzte Anzahl an Familien injedem Gebiet über die Armutsgrenze zu he-ben. Das Programm für ländliche Beschäfti-gung hat ihnen eine dringend benötigte Hil-fe gegeben. Das Nationale Programm fürErwachsenenbildung hat in ähnlicher Weisedie Aufmerksamkeit auf die Adivasi undDalits gerichtet und eine dringend benötig-te Bewusstseinsbildung geleistet. Es hat ih-nen auch Lese-, Schreib- und Rechenfähig-keiten vermittelt und ihre praktischen Sach-kenntnisse verbessert. Allerdings ist die Zahlder Menschen, die von diesen Programmenerreicht werden, sehr gering.

Benachteiligung von Frauen

Besondere Aufmerksamkeit muss auch denFrauen im ländlichen Umfeld gegeben wer-den. In jeder Hinsicht hinken die Frauen denMännern nach, obwohl die Indische Verfas-sung gleiche Rechte und Privilegien für Män-ner und Frauen vorsieht. Eine Reihe von Sozial-verordnungen wurden gemacht, um dieverschiedenen Zwänge zu entfernen, die ihreEntwicklung behindern. In den ländlichenGebieten beträgt die Alphabetisierungsratevon Frauen weniger als 18 Prozent. Sie istwesentlich geringer als der nationale Durch-schnitt ... Infolge der Tatsache, dass unsereGesellschaft von Männern dominiert wird,haben Frauen unter unterdrückenden Struk-turen zu leiden. Es gibt erhebliche Unterschie-de in dem Ernährungszustand von Männernund Frauen. Mädchen unterliegen einer Ver-nachlässigung in Bezug auf Ernährung undGesundheitsversorgung. Die Müttersterblich-keit in den dörflichen Gebieten von Jhar-khandist weiterhin sehr hoch.

Obgleich Frauen viel zu den wirtschaftli-chen Aktivitäten und dem Gutgehen der Fa-

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milie beitragen, werden sie weiterhin vonihren Männern geschunden und unterdrückt.Ein Phänomen, das sich im ländlichen Um-feld ausbreitet, ist die von Frauen geführteFamilie, da Männer in großem Maßstab aufder Suche nach Arbeit in die Stadt ziehen.Die Frauen müssen die Rolle des Haushalts-vorstands annehmen und tragen Verantwor-tung für die Kinder und die alten Familien-mitglieder. Es gibt Spannungen in derFamilie, weil die Geldsendungen von denMännern nicht nur mager sind (wegen derausufernden Lebenshaltungskosten in derStadt), sondern auch höchst unregelmäßig.

Frauen haben eine mangelnde Kenntnisüber die unterschiedlichen Gesetzgebungenund Programme, die für sie geschaffen wur-den ... Es ist gut, dass Programme wie Selbst-hilfegruppen ... eingeführt wurden, weil zuerwarten ist, dass sie das Einkommen derFrauen verbessern ... Unter dem Programm»Wissenschaft und Technik für Frauen« wur-de ein weites Spektrum an Aktivitäten unter-nommen, ... nicht-rauchende Öfen, die Benut-zung von Solarkochern, Biogasanlagen u. a.wurden eingeführt ...

Bildung und Gesundheit

Selbst im 21. Jahrhundert sind noch die Hälf-te der Einwohner Jharkhands Analphabeten.Seit der Unabhängigkeit Indiens (1947) wur-den von der Regierung und Nichtregierungs-organisationen (voluntary organizations) ...unzählige Bildungseinrichtungen gegründet.In den städtischen Gebieten wurde viel er-reicht, aber in den ländlichen- und Teegarten-gebieten kann die Bildung der Bevölkerungnicht als genügend oder adäquat bezeichnetwerden.

Das Hygienebewusstsein der Bevölke-rungsmehrheit Jharkhands ist mangelhaft.Krankheiten und Todesfälle auf Grund tradi-tioneller Sittenschranken und Praktiken sindtragisch. Menschen werden wegen Aberglau-ben und Ignoranz krank, und es wird nicht

viel für Gesundheitsfürsorge getan. Anstattihre Pflanzenmedizin zu nehmen oder zueiner Gesundheitsstation zu gehen, vertrau-en sie dem, was sie von ihrer Hexe bekom-men ... Über einige solcher Fälle, die inJharkhand aufgetreten sind, kann man etwasin den Zeitungen lesen oder hören.

Nichtregierungsorganisationen alsInitiatoren einer nachhaltigen Entwicklung

In Anbetracht der Komplexität und Größe derProbleme, die durch die rasante Urbanisie-rung auf dem Hintergrund extremer Unzu-länglichkeiten in der existierenden Infra-struktur hervorgerufen wurden, müssen ...Strategien entwickelt und angemessene Mit-tel eingesetzt werden. Eine Mobilisierunggrößerer Mittel vom Kapitalmarkt wird dasmöglicherweise ergänzen müssen. Mehr Ge-wicht wird auf die Entwicklung der Konstruk-tion von Häusern auf dem Land gelegt wer-den müssen, so dass im Jahr 2010 ein großerEinschnitt beim Problem der Knappheit städ-tischen Wohnraums erreicht werden kann.

Es ist offensichtlich, dass bei allen diesenAnstrengungen die Nichtregierungsorganisa-tionen (NROs) Jharkhands eine Hauptrollespielen müssen. Bis heute wurden ihre An-strengungen normalerweise auf das Feld dersozialen Wohlfahrt beschränkt. Auch ihre Rol-le, den Prozess der sozialen und wirtschaftli-chen Entwicklung zu beschleunigen, hat eineungenügende Anerkennung bekommen. Es isteine allgemeine Erfahrung, dass Nichtre-gierungsorganisationen die Entwicklungs-lasten in begrenzten Gebieten mit weniger fi-nanziellen Mitteln auf sich nehmen können.Sie sind auch innovativer und besser geeig-net, die Beteiligung von Frauen in den Ent-wicklungsprogrammen zu sichern. Es ist des-halb in den kommenden Jahren notwendig,dass ernsthafte Anstrengungen unternommenwerden, die verschiedenen NROs in die Ent-wicklungsprogramme, besonders in die Pla-nung und Implementierung von Programmen

Seit 1969 unterhält die Gossner Kirche eine eigene Missionsabteilungmit 160 Evangelisten, Gemeindehelferinnen und Pfarrern. Sie arbeitenin Missionsfeldern, die zumeist in den Randzonen der Kirche liegen.In ihrer Missionsakademie, sowie in regionalen Seminaren kommensie zu Erfahrungsaustausch, Weiterbil-dung und Zurüstung von Laien-mitarbeitern zusammen. Um dem gan-zen Menschen, seinem Heil und Wohlzu dienen, hat sich die Missionsab-teilung der Gossner Kirche ein Fünf-Punkte-Programm gegeben. Es fördert:

1. Lesen und Schreiben,2. Gesundheitsfürsorge und Hygiene,3. nachhaltige Landwirtschafts-methoden und Ernährung,4. Umgang mit Geld und Gründungvon Kreditgenossenschaften,5. geistliche Begleitung.

für dörfliche Entwicklung, einzubeziehen. Siekönnen die Anstrengungen der Regierung er-gänzen, um den armen Dorfbewohnern Wahl-möglichkeiten und Alternativen anzubieten.Sie können als die Augen und Ohren derMenschen auf Dorfebene handeln. Sie ha-ben die Freiheit, flexible und kostengünsti-ge Programme mit beschränkten Mittelnneu einzuführen. Sie können Informationenüber Entwicklung verbreiten und versuchen,die Dorfgemeinschaften so selbstbewusstwie möglich zu machen. Sie können zeigen,wie lokale Ressourcen in der Gestalt von tra-ditioneller dörflicher Sachkenntnis nutz-bringend eingesetzt werden können. Siekönnen angepasste Technologie einführen,die den armen Dorfbewohnern dienstbarist. Sie können eine Anzahl engagierterBasismitarbeiter ausbilden. Sie können aucherfolgreicher finanzieller Mittel im Inlandaufbringen ... Es kann ihr größter Beitragsein, die armen Dorfbewohner zu mobilisie-ren und zu organisieren und das Bewusst-sein für die Notwendigkeit zu wecken, ei-nen hochwertigen Staatsdienst zu fordernund ein System zu schaffen, dass eine Ver-antwortlichkeit für ... Regierungsfunktio-näre auf Dorfebene herstellt.

Es ist notwendig für die Regierung Jhar-khands, den NROs zu vertrauen, um so auchEntlastung von den ihnen gegebenen Verant-wortlichkeiten zu schaffen. Für die Regierungwäre es wünschenswert, solche funktionieren-den Organisationen zu identifizieren, die sichin ländlichen Gebieten auf dem Feld der Ent-wicklung Glaubwürdigkeit erarbeitet haben.Es dürfte auch notwendig sein, sie durch Aus-stattung, Managementfachkenntnissen undZuwendungen zu unterstützen.

Dr. Paul Singh, The Aspects of aChanging Context in Jharkhand,

in: JJDMS, Vol. 1, Issue 1, Ranchi 2002Übersetzung: Henrik Weinhold

Diese ganzheitliche Mission soll dazu beitragen, die Menschen inden Überlebenskämpfen des Alltags zu unterstützen. Sie hilft denAdivasi, in der Gemeinschaft die eigenen Möglichkeiten zur Verbes-serung der Lebensgrundlagen zu entdecken. Dazu gehört fast ver-

gessenes Wissen über den Umgangmit der Umwelt, Naturheilmethodenu. a. Im Rahmen des Fünf-Punkte-Pro-grammes werden Abendkurse fürFrauen durchgeführt. Hier lernen siezum Beispiel, ausgewogene Ernäh-rung für Kleinkinder zuzubereiten unddie Zutaten anzubauen. Als Folgeschließen sie sich zusammen, umSaatgut für Gemüse zu erwerben undKüchengärten anzulegen. AndereGruppen pflanzen Bäume, derenFrüchte und Blätter vielfältig genutztwerden und tragen gleichzeitig zumBodenschutz bei.

Entwicklungsarbeit als Mission – Das Fünf-Punkte-Programm der Gossner Kirche

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Die Spaltung der Adivasi überwinden

Erzbischof Toppo (Ranchi), der Präsident der Katholischen Bischofskonferenz Indiens, gibt einen Ein-blick in die aktuelle Lage der Adivasi in Jharkhand. Seine Sorge gilt insbesondere der Spaltung der Adi-vasi, die von den Machthabern ausgenutzt wird und eine wirkungsvolle Interessenvertretung aller Adi-vasi verhindert. Bernd Krause führte das Interview.

Bernd Krause: Wie würden Sie die Lage derAdivasi in Chotanagpur charakterisieren. Wiesteht es um Vertreibungen, Marginalisierungund Menschenrechte?

Erzbischof Toppo: Die Lage der Adivasi istnoch immer sehr kritisch. Ihre Menschen-und Lebensrechte werden verletzt. Im soge-nannten nationalen Interesse werden Adiva-si vertrieben und ihr Land vernichtet. Unddas Leben der Adivasi ist nun mal aufs Eng-ste mit ihrem Land, der Natur und ihrerHeimatgemeinschaft verbunden.

B. Krause: Welche Hoffnungen gibt es nochunter den Adivasi nach zwei mehr oder we-niger enttäuschenden Jahren im neuen Bun-desstaat Jharkhand?

E. Toppo: Von Beginn an hat der neue Bun-desstaat Jharkhand die Wünsche und Hoffnun-gen der Adivasi ignoriert. Vorausgegangen istein Jahrhunderte langer Kampf der Adivasi.Das Ergebnis ist eine Rumpfkonstruktion aus-schließlich im ehemaligen Gebiet des Bundes-staates Bihar. Die Gründung des benachbar-ten Staates Chattisgarh ist sichtbarer Ausdruckdes Interesses, die Adivasi getrennt zu hal-ten. Bereits drei Monate nach Einsetzung desneuen Staates im Januar 2001 hat es das Mas-saker der Polizei gegen den friedlichen Pro-test der Anwohner am geplanten Staudamm-projekt Koel Kharo gegeben. Der Wechsel inder Regierung vor drei Monaten hat erneutHoffnungen geweckt. Aber durch den bruta-len Polizeieinsatz mit vielen Toten und Ver-wundeten am 27. Mai gegen friedliche De-monstranten hat auch der neue Minister-präsident Munda seine Unschuld verloren.

B. Krause: Wie sehen Sie die Chancen für einegeeinte Interessenvertretung der Adivasi?Wie kann sie gefördert werden?

E. Toppo: Die Spaltung der Adivasi ist durch-aus im Interesse der herrschenden Kräfte inIndien. Es gibt eine lange Geschichte, wie dieStämme gegeneinander ausgespielt, wie ihreFührer korrumpiert, wie durch UmsiedlungenKonflikte geschürt und jetzt neuerdings auchwie religiöse Spannungen inszeniert werden.Wenn es um konkrete Lebensfragen geht, sindsich die Adivasi einig. Das sieht man in denDörfern, aber auch in vielen Aktionen des Wi-derstands oder Protestes. Zu Spaltungen undVerwirrungen kommt es, wenn die Politik und

die Parteien ins Spiel kommen. Wir Adivasiwerden leicht zu Opfern von Unterdrückung,weil wir uns von so vielen Ängsten beherr-schen lassen. Wir haben Angst vor Politikern,vor der Polizei, vor den Geldverleihern undGeschäftsleuten, vor Regierungsbeamten.Deshalb heißt Entwicklung für Adivasi Befrei-ung. Befreiung von Ängsten und Befreiung,um ohne Störung das ihnen gemäße tun zukönnen. Ich habe Hoffnung, es ist eine Über-lebensfrage. Diese Hoffnung findet ihren Aus-druck u. a. in den hingebungsvollen Aktionender Jugend. Aber zugleich gibt es keinen Zwei-fel, dass es ein schwieriger und langwierigerProzess sein wird, denn die Mobilisierung unddas Selbstbewusstsein müssen von der Basisher neu entwickelt werden. Meine Vision ist:Es gelingt den Adivasi eine verbindliche, gutgeführte und disziplinierte Gemeinschaft zuwerden. Sie könnte zu einem mächtigen In-strument der Transformation der Gesellschaftin Indien werden.

B. Krause: Welchen Beitrag kann die Kirchevor Ort zur Stärkung der Adivasi-Bewegungleisten?

E. Toppo: Kirche hat zur Einheit und zur Be-freiung der Adivasi beizutragen. Der Prozessder Befreiung hat vor 150 Jahren mit denMissionaren begonnen und es bleibt eineAufgabe der Kirchen, auch heute an Befrei-ung, Empowerment und Selbstbestimmungder Adivasi mitzuarbeiten. BeeindruckendenAusdruck findet der Einsatz von Kirchen-leuten z. B. in der Grahm Sabha Bewegung,dem Versuch, ein neues System von Beteili-gung und Interessenvertretung in den Dorf-räten der Adivasi aufzubauen. Als Vorreiterverfügt Vikas Maitri über nützliche Erfahrun-gen. In einem Zukunftsprogramm sollte un-bedingt enthalten sein: a) Dem Leben neueOrientierung geben, damit Bildung wiederzur Lebensbewältigung beiträgt. b) Den Ju-gendlichen Training vermitteln, damit sie sicherfolgreicher in ihren Gemeinschaften enga-gieren können. c) Vikas Maitri gilt es zu stär-ken, als ein Instrument, in dem wir Erfah-rungen teilen und eine gemeinsame Visionund Strategie entwickeln. d) Das Institut fürAdivasi Theologie, das mit Unterstützung desNationalen Christenrates vom Gossner Theo-logical College in Ranchi geführt wird, kannunser Selbstbewusstsein stärken und helfen,Spiritualität und geistliche Kraft in die Auf-gaben einzubringen.

B. Krause: Was kann von der Ökumene dazubeigetragen werden?

E. Toppo: Zunächst einmal ist es in einer sol-chen Bewährungs- und Kampfsituation wich-tig, sich moralische Unterstützung und Be-kräftigung zu holen. Ich habe hier in Deutsch-land während des Ökumenischen Kirchenta-ges neu erlebt, wie ermutigend Begegnung,Austausch und Partnerschaft sein können.Die internationale Aufmerksamkeit und An-teilnahme bedeutet uns viel. Eure Informati-onsdienste und die Lobbyarbeit unter Politi-kern bleiben nicht ohne Wirkung auf unsereRegierung. Aber natürlich brauchen wir auchUnterstützung bei Überlebensprojekten undbei der Erarbeitung von adivasigerechter Ent-wicklung.

B. Krause: Was sind gemeinsame Zukunftsauf-gaben für Zeugnis und Dienst der Kirchen imhindufundamentalistisch geprägten Indien?

E. Toppo: Die Regierung plant den Erhaltund den Ausbau ihrer Macht mit nationali-stischer und religiöser Demagogie. Wenndie Unterdrückten, die fast 300 Mio. Dalits,Adivasi und Christen zueinander findenkönnten, dann würden sie die politischeLandschaft Indiens verändern. Um das zuverhindern, spielt die Regierung mit demFeuer. Uns sind Pläne bekannt, wonach dieRegierung vor den Wahlen im nächsten Jahrauch in Jharkhand kommunalistische Gewaltplant, Ausschreitungen zwischen verschie-denen Religionsgemeinschaften provozie-ren will, ähnlich wie in Gujarat. Dem müs-sen wir entgegentreten. Es ist eine Aufgabewie David gegen Goliath. Aber damit mussKirche auch eine aktivere Rolle im politi-schen Prozess spielen. Sie muss ihren Dienstunter den Armen weiter entwickeln und sichzugleich mit den selbstsüchtigen und aufMacht bedachten Führungskräften ausein-ander setzen. Wir vertrauen darauf, dass derGlaube von Selbstsucht und Egoismus be-freit und deshalb brauchen wir auch in al-len Spaltungen und Spannungen Leute mitGlauben. Zudem ist die Kirche mit ihremDienst überall präsent und kann von der Re-gierung nicht ignoriert werden. Deshalbhängt viel von uns ab, müssen wir unserenDienst wirkungsvoller ausrichten. Er mussdie Menschen begeistern, er muss Neues in-spirieren und überwältigen, Menschen an-rühren und anstecken.

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Definition: Adivasi-Theologie ist das Betreibenvon Theologie aus der Perspektive der Adiva-si – der christlichen Adivasi. Sie erstrebt eineRe-Lektüre und Re-Interpretation des Evange-liums aus der Perspektive der Adivasi – derchristlichen Adivasi, um die Botschaft desEvangeliums für die Lebenssituation der Adi-vasi relevant zu machen, die derzeit durchverschiedene sozio-politische und menschli-che Probleme gekennzeichnet ist. Mit diesemVerfahren gehört sie zur Kategorie der kon-textuellen Theologie. Als kontextuelle Theo-logie ist sie bestrebt, die Botschaft des Evan-geliums als »Gott gegebene Antwort aufmenschliche Probleme« darzustellen. IhremGeist und ihrer Orientierung nach ist sie folg-lich eine antwortende Theologie.

Kontextuelle Theologie verstehen

In ihrer gewöhnlichen Wahrnehmung wirdkontextuelle Theologie darin definiert, dasssie »den Text des Evangeliums in einen be-stimmten Kontext stellt«. Mit diesem Verfah-ren steigt eine sinngetreue Exegese in einedialogische Begegnung mit den Problemender menschlichen Situation ein. Es ist diesedialogische Begegnung, in der Kontextuali-sierung geschieht, diese Begegnung bringteinen Veränderungsprozess hervor. In die-sem Verfahren der Kontextualisierung ist esChristus, der über und vor die Situation ge-stellt wird, um ihn in die Probleme hinein-sprechen zu lassen und eine Veränderung zubewirken.

In anderen Worten: es ist die primäreAufgabe der kontextuellen Theologie, denMenschen zu helfen, den Text in Bezug zuihrem bestimmten Kontext zu verstehen.Solch eine theologische Reflexion hilft denMenschen, die Botschaft des Evangeliumsmit Bezug auf die Bedürfnisse und Sehnsüch-te der betreffenden Menschen zu überset-zen. So beobachtet K. C. Abraham, ein füh-render indischer Theologe: »Es ist dasprimäre Ziel der theologischen Reflexion,den Menschen in ihrem Kampf für Gerech-tigkeit und Freiheit zu helfen. Es gilt nichtallein, Gottes Handeln zu verstehen und zuinterpretieren, das heißt, eine Grundlage fürihren Glauben zu geben, aber auch dabei zuhelfen, ihre Situation in Übereinstimmungmit der Utopie oder Vision des Evangeliumszu verändern. In diesem Sinne bekräftigenwir, dass kontextuelle Theologien befreiendsind.« Von dieser Betrachtung her erkennen

auch wir in der Adivasi-Theologie eineBefreiungstheologie.

Erfahrung geschichtlicher Wirklichkeit alsQuelle der Adivasi-Theologie

Es gibt zwei Erfahrungsfelder unserer ge-schichtlichen Wirklichkeit, die den Sinn einerAdivasi-Theologie begründen. Das erste istdas Leiden der Adivasi in Jharkhand, dem sieseit 400 Jahren unterworfen sind. Das andau-ernde Problem der massiven Veräußerung ih-res Landes an Fremde, verschiedene Formender Ausbeutung durch Fremde, Akte derSchikanierung und Unterdrückung, Entbeh-rungen und Vertreibungen haben die Adivasiheute in einen Zustand bitterer Armut ge-drängt und gezwungen (die Rate der dörf-lichen Armut wird durchschnittlich auf 65-70% geschätzt). Fortwährende Marginalisierungzwingt sie massenhaft auf der Suche nach ei-nem Lebensunterhalt, in andere Bundesstaa-ten auszuwandern. Aktuelle Einschätzungenzeigen, dass 2/3 der Adivasi seit der Mitte des19. Jahrhunderts ausgewandert sind.

Ironischerweise scheinen sich anderer-seits Glauben und Theologie der KirchenJharkhands, wie sie derzeitig praktiziert wer-den, gegen die Menschen zu wenden (»anti-people«). Die Theologie in ihrem klassischenMuster und ihrer klassischen Tendenz predigtnoch immer die Zweiteilung in Geist undMaterie, Weltliches und Himmlisches. In ih-rer Ausrichtung ist sie jenseitig. Es ist dasLeben nach dem Tod, das als ihr einziges An-liegen verbleibt, während weltliches Engage-ment der Kirche als wertlos und stigmatisie-rend betrachtet wird und deswegen gemiedenwerden soll. Der Geist der klassischen Theo-logie scheint die christlichen Adivasi und dieKirchen von ihren weltlichen Verpflichtungenentfremdet zu haben. Das von der Kirche ge-predigte Evangelium geht nicht auf die so-zialen Bedürfnisse der Menschen ein. DieGeistlichen scheinen ihre prophetische Rollevergessen zu haben und beschäftigen sichselbst nur mit religiösen Ritualen und kirchli-chen Aufgaben. Eigentlich sind der Glaubenund die Theologie, zu denen wir uns heutzu-tage bekennen und die wir praktizieren, buch-stäblich irrelevant geworden.

Hermeneutische Betrachtungen

Mit der Erfahrung der Irrelevanz der klassi-schen Theologie im Adivasi-Kontext suchen

wir nach einem alternativen Paradigma, dasrelevant und bedeutsam für die Lebenssitua-tion der Adivasi sein kann. Bei unserem Ver-such eines zu finden, haben wir uns mit derRe-Lektüre und der Re-Interpretation bibli-scher Texte befasst. An sich tendiert eine Adi-vasi-Hermeneutik prinzipiell dazu, zu verste-hen, was der biblische Text damals in seinemhistorischen Kontext bedeutet hat und an-schließend zu versuchen, die Bedeutung desTextes in Beziehung zu dem heutigen Kon-text zu setzen, um ihn relevant und bedeut-sam zu machen. Mit diesem Verfahren ver-sucht die Hermeneutik zuerst hinter dem Textdie Absicht Jesu in der historischen Situationzu lesen und nachfolgend die Bedeutung desTextes anzuwenden – im Sinne Jesu zu han-deln. An diesem Punkt findet die Theologiealso ihre Aufgabe: Handeln im Sinne Jesu, dasVeränderung und Befreiung bringt.

Kontextualisierung ist möglich

Unsere Voraussetzungen sind:– Die gesamte Situation, in der Jesus gelebthat, die und sich als ländliche Umgebungdarstellt, hat scheinbar Ähnlichkeiten mit derLebenssituation der Adivasi vor Ort.– Jesus als Jude, als »Stammesangehörigerim galiläischen Kontext«, repräsentierte einemarginalisierte Gemeinschaft von Hirten,Fischern, Schreinern, Arbeitern und Sklaven,die die ausgebeutete Masse der Menschenausmachte. An diese Gemeinschaft richteteJesus sein Evangelium. Die Situation der Adi-vasi stellt den gleichen Rahmen dar.– Außerdem repräsentierte Jesus, der selbstals Vertriebener geboren wurde, eine Ge-meinschaft der Vertriebenen und teilt da-durch das Schicksal hunderter und tausendervertriebener Adivasi Jharkands.

Diese Voraussetzungen legen nahe, dasswegen der Ähnlichkeiten des Kontextes Evan-geliumstexte, die Jesus predigte, sehr guteine Relevanz im Adivasi-Kontext bekommenkönnen. Jesu Nazareth-Manifest der Befrei-ung (Lk. 4,18-19) hat direkte theologischeFolgerungen für die Adivasi vor Ort; wennes so kontextualisiert wird, kann es Hoffnungauf eine Befreiung der leidenden Adivasi brin-gen.

A. S. Hemron, Bischof d. Madhya-Pradesh-Diözese der Ev.-Luth. Gossner Kirche

Übersetzung: Henrik Weinhold

Skizze einer kontextuellen Adivasi-Theologie

A. S. Hemron geht davon aus, dass Theologie, Verkündigung und kirchliche Praxis der Kirchen in Adivasi-Gebieten bisher weitgehend irrelevant für die Lebenssituation der Adivasi sind. Er skizziert eine Herme-

neutik, d. h. ein System an Grundregeln und Voraussetzungen für die Auslegung von Texten, die hilft, dieProbleme der Adivasi theologisch zu reflektieren und über das kirchliche Handeln befreiend zu wirken.

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Spirituelle Traditionen der Adivasi – Das Thema»Befreiung« in der Stammesdichtung

Die Unterdrückung der Adivasi in Jharkhand hat religiös orientierte Befreiungsbewegungen hervorge-rufen. Mammasi Ekka untersucht, wie sich die Hoffnung auf eine Befreiung von Unterdrückung inihren Liedern – exemplarisch in den Gebeten der Tana Bhagat Bewegung – ausdrückt.

Ein Wort zur Stammesdichtung

Stammesdichtung oder -gesang spielt einewichtige Rolle bei den Gemeinschafts-aktivitäten, die auch das Singen, Tanzen, re-ligiöse Feiern und Feiern aus gesellschaftli-chen Ansätzen einschließen. Sie alle sindganzheitlich und innig miteinander verbun-den. Die Stammesgedichte existieren in denSprachen des jeweiligen Stammes hauptsäch-lich in mündlicher Überlieferung. Deswegenkann die Gefahr von Änderungen oder sogarder Verletzung ihrer Bedeutung bei der Über-setzung ins Englische nicht ausgeschlossenwerden. Die Anonymität des Liedermachersist eine bemerkenswerte Erscheinung imStammesgedicht. Das fehlende Streben derStammesmitglieder, sich selbst zu profilieren,ist eine bemerkenswerte Haltung. So habenhunderte und tausende Stammeslieder/-gedichte unter den verschiedenen Gemein-schaften der Stammesgesellschaft keinenHinweis auf den Komponisten und spiegelneine ununterbrochene Tradition wieder. Ne-ben dem Gemeinschafts – oder Sozial-charakter der Dichtung und der Anonymität,

ist die Symbolik das faszinierendste Merk-mal der Stammesgedichte. Das folgendeMunda Gedicht ist ein Beispiel für diese Sym-bolik:

Der Mahul BaumVoll von Ästen und BlätternWie schön er das Reisfeld aussehen ließ!Sie fällen den Mahul BaumDie fünf Brüder, rette ihn, rette ihn.

Dieses Munda Jadur Lied deutet symbolischauf den berühmten Mahul Baum hin. DasThema ist gar nicht der Mahul Baum, wasvielleicht von Leuten mit ökologischem In-teressen leicht missverstanden werden kann.Eigentlich geht es um ein Mädchen, die weg-geheiratet wurde. Wenn sie weg ist, wird dasDorf kahl aussehen. Und »sie« sind die Mit-glieder des Gefolges des Bräutigams. All`dies ist nicht direkt gesagt, aber wird ver-standen. Die Brüder wollen nicht das Gefol-ge des Bräutigams vertreiben. Es ist nur eingespielter Protest und eine Andeutung aufdie Rolle des Bruders als der Verteidiger derSchwester in dieser Gesellschaft.

Jede Dichtung enthält Gedanken. Unddieser Inhalt kommt vom Kontext, der aktu-ellen Lebenssituation der Leute, her. Ihre Kul-tur und Erfahrung sind durch ihre physischeund soziale Umgebung eingeschränkt. FürLeute, die in oder in der Nähe eines Dschun-gels leben, ist der Dschungel Leben. Nochmehr, der Dschungel ist ihre immer wiedersprudelnde Quelle der Inspiration, eines derhäufigeren Themen in ihren Liedern. EinOraon Lied/Gedicht geht zum Beispiel so:

In Sommer brennt der Dschungel:alle Vögel verlassen den Dschungel.Schrecklich der Anblick.In Asar kommt der Regen;die verkrümmten Äste wachsen,die Vögel kehren wieder zum Dschungelzurück.Wunderschön der Anblick.

In späteren Zeiten hat die Stammesdichtungdie Leiden und Hoffnungen des leidenden Vol-kes widergespiegelt. Armut, Hunger, Ausbeu-tung und andere Leidensformen sind der Zu-stand, in dem sich die Stammesmitglieder vonChotanagpur und anderen Orten befinden.Das Jahrtausendgedicht der Mundas von Cho-tanagpur drückt die Unruhe der Zeiten, dasLeiden des Volkes mit ihrem Land in Flammen,die unterdrückte Leidenschaft und Gewaltihrer Gefühle gegen die zeitgenössischen Fein-de der Munda, Oraon und anderer Stammes-gemeinschaften aus. Solche Gedichte, mitdem bäuerlichen Unterton der Stammes-bewegung von Birsa Munda in den 1890ern,enthalten die Stimmung des Volkes, dass dieDikus, die fremden Tyrannen, in einem Wald-brand verbrannt und im Wasser des Flussesweggewaschen werden sollen. Ein Lied derBirsa-Bewegung aus der Kolonialzeit zeigt dieGefühle des leidenden Volkes:

Geplagt von Unterdrückung durch dieZamindars (Steuerverwalter), das Elend derLeute wächst, das Land ist losgesagt.Fliege zum Bogen, Pfeil und AxtFür uns ist heute der Tod besser als Leben.Birsa Bhagwan ist unser Führer.Er ist für uns ins Land gekommen,Heute ...Lass uns bereit sein mit Köcher, Pfeil undSchwert,Wir werden uns auf dem Dombari Hügelversammeln,

Illustrationen: Gemälde aus dem Zyklus »Der Mythos von Chota Nagpur« von Jyoti Sahi

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Der Vater der Erde sprichtda oben.Wir werden keine Angstvor den AffenhabenWir werden dieZamindars, Geldverleiherund Ladenbesitzer nichtlassenSie haben unsere Land ok-kupiert ...

Dieses Gedicht spiegeltdeutlich das Leiden desVolkes wider. In diesemSinn ist es angebracht zusagen, dass Stammesge-dichte nicht ästhetisch,sondern die lebendige, vi-tale, warme und authenti-sche Stimme einer Lebenspendenden Kultur sind.Dieser Aspekt des Gedich-tes kann mit der Dalit-Dich-tung aus anderen Teilen In-diens verglichen werden.Es wurde bemerkt, dass füreinen Dalit-Aktivisten Dichtung als ein Be-reich der Ästhetik nur von zweitrangigerBedeutung ist. Die Gewohnheit, Dichtung alsästhetische Kategorie außerhalb ihres mate-riellen und historischen Kontextes zu behan-deln, hält man für »normal« in der Mainst-ream-Literatur und -Kritik. So sagt man zuRecht, dass ein Dalit-Gedicht einfach, direktund kräftig ist und dass das Schreiben keinSpiel der Ästhetik, sondern ein Akt der De-maskierung ist. Es ist eine Wandlung, derlange Schrei für sozio-ökonomische Ände-rung, für die Befreiung von den Leiden ...

Der Kontext der Tana Bhagat Gebete

Die Gebete von Tana Bhagat sind der Aus-druck einer Bewegung für religiöse Erneue-rung, begonnen von Jatra Oraon im Jahr1914. Jatra Oraon oder Jatra Bhagat, ein jun-ger Mann von ungefähr 25 Jahren, kam auseinem Dorf im Bezirk Gumla (ehemals Be-zirk Ranchi), im Süden des BundesstaatesBihar. Von Kind auf war er nachdenklich. Wäh-rend einer religiösen Schulung verkündeteer eines Tages, dass er während seines Ge-betes eine leuchtende Gestalt gesehen hat-te. Offensichtlich war es der oberste GottDharmes selber, der ihm den Befehl gab, sei-ne Botschaft von der Wahrheit zu verbrei-ten. Weiter verkündete er, dass Dharmes ihmbefohlen hatte, Jünger zu gewinnen und ih-nen Lieder und Beschwörungen beizubrin-gen, die ihm durch göttliche Eingebung ka-men, um Fieber, wunde Augen und andereKrankheiten zu heilen. Die frommen Lieder,die Jatra Bhagat komponierte, erzählen auchvon seiner großen Liebe für sein Land undseinem intensiven Hass gegen Dinge, die ausdem Ausland importiert werden.

Es entwickelten sich viele Bhagat-Kultebei den Oraon-Stämmen in der Region, die

Schwerpunkte auf die Hingabe an Gott, Rein-heit des Verhaltens, Reinheit der Essens-gewohnheiten usw. legten. Diese wurdenteilweise von der Bhakti-Bewegung im Hin-duismus beeinflusst. Die ersten der Stämmedieser Region, die zum Christentum konver-tierten, waren die vier Kabirpanthi Bhagatsder Oraon-Gemeinde. Aber in diesem Zusam-menhang ragt die nach ihrem häufigen Ge-brauch des Wortes Tana/Tano (d. h.: Zieh!oder Ziehen) genannte Tana Bhagat hervor,weil sie die sozio-ökonomischen Elementein den Prozess der religiösen Erneuerung ein-bezieht ... Die Tana Bhagaten ... waren imGrunde genommen nicht gewalttätig, son-dern unterstützten die Bewegung des ge-waltlosen Widerstandes, die von Gandhi be-gonnen wurde und nahmen aktiv am Befrei-ungskampf der Nation teil. Obwohl ihre Mit-gliedszahlen schrumpfen, hat die Volkszäh-lung von Indien 898 Tana Bhagats im StaatBihar gezählt, alle im Bezirk Ranchi (jetzt dieBezirke Gumla, Lohardaga und Ranchi).

Vielleicht kann eine historische und so-ziologische Untersuchung der Tana BhagatBewegung mit Hinblick auf die vorausgegan-genen Birsa und Kherwar Bewegungen unshelfen, den Kontext der Bewegung und dieLieder, die mit ihr zusammenhängen, zu ver-stehen. Der allgemeine Hintergrund aller dreiJahrtausendkulte ist die Konfrontation derStammesgesellschaften von Bihar und be-nachbarter Regionen mit den zugewander-ten Hindu- und muslimischen Gesellschaftenund dem Christentum. Diese Konfrontationführte zu einer radikalen Störung der Orga-nisationsstruktur der Stämme, viele institu-tionelle Veränderungen wurden vollbracht.Das Eigentumsrecht auf den Boden und dieErnte war früher die Basis des Lebensun-terhaltes der Stammesvölker, ihres Statussys-temes, ihrer Verwaltung und wirtschaftlicher

Organisation. Die Mundas und Oraons sindder Meinung, dass sie die wahren Besitzer desLandes Chotanagpur sind, weil sie von denersten Siedlern des Landes (Khunt-kattidarsund Bhuinhars) abstammen. Heute ist vielGrund und Boden in den Besitz von Hindusund Muslimen übergegangen. Es gab einenlangsamen Zusammenbruch ihrer traditionel-len sozialen und wirtschaftlichen Systeme,weil diese eng damit zusammenhängen. Die-se neuen Kräfte der Veränderung stehen au-ßerhalb des Rahmens ihres religiösen Systems,das von Generationen überliefert wurde. Ihrelokalen Götter sind nicht mehr in der Lage,sie vor dem Bösen, das sie befallen hat, zuschützen. Es wird geglaubt, dass zusammenmit den Fremden eine Horde böser Geisterdas Land überfallen habe. Die Beruhigung die-ser Geister hat sie fast finanziell gebrochen,weil sie teure Opfertiere verlangten. Genaudiese Situation drängte die Stammesvölkerdazu, neue Formen der Religion zu finden, diesie vor diesen Geistern schützen konnten. DieWege, die von dem belasteten Volk genom-men wurden, waren die Belebung der tradi-tionellen Religion, die Gründung neuer For-men von Religion, Sanskritisierung (Verein-nahmung durch den traditionellen Hiduismus)oder Bekehrung zum Christentum. TanaBhagats haben sich massiv der Bekehrung zumHinduismus oder Christentum widersetzt, undin dieser ersten Zeit haben viele den Tana-Glauben angenommen ...

Inhalt und Botschaft der Tana Bhagat Gebete

Tana Bhagat Gebete sind in der Form derGedichte von S. C. Roy, der sich als Anwaltim ganzen Land für die Rechte der Stämmedurchsetzte, wieder aufgenommen worden.Folgende Sätze zeigen den wichtigen Inhaltund Klang der Tana Bhagat Lieder:

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Tana, Baba, tana, Bhutanike tanaTana, Baba, tana tan ton tana;Tana, Baba, tana, Kona Kuchi Bhutanike tana,Tana, Baba, tana tan ton tana ...

Diese Beschwörungen werden ungefähr soübersetzt:

Zieh, Vater, zieh die bhuts (bösen Geister)runter;Zieh, Vater, zieh, zieh die Bhuts versteckt inEcken und Kurven.Zieh, Vater, Zieh, -Zieh-Zieh-Zieh ...

Dieses Gebet deutet an, dass sie die bösenGeister aus ihrem Land ausgetrieben habenwollten, weil sie teure Opfer verlangten.Trotzdem konnten sie die Leute nicht vorElend schützen. Auch die Vertreibung vonHexen ist angedeutet. Nicht nur böse Gei-ster sondern auch Boot, Eisenbahn und Fahr-rad waren böse Mächte aus ihrer Sicht. Umsie zu vertreiben, wurden große Mächte an-gerufen. Manchmal sangen sie:

Zieh, Vater, Zieh, Zieh das Dampfboot:Zieh, Vater, Zieh, Zieh den Eisenbahnzug.Zieh, Vater, Zieh, Zieh das Fahrrad.Zieh, Vater, Zieh.

Wenn sie die bösen Mächte aus dem Landausgetrieben haben wollten, riefen sie hö-here Mächte für diesen Zweck an. Sie hatteneine starke Hoffnung, dass Gott einen mäch-tigen und barmherzigen, mildtätigen Auser-wählten schicken würde, um die Oraons vonihrem Elendszustand zu befreien. Manchmalwurde dieser Erlöser mit Birsa Munda, demRevolutionär von 1895, oder mit dem deut-schen Kaiser Wilhelm II, oder anderen be-rühmten Leuten gleichgesetzt. Dieser Bot-schafter Gottes würde sie alles lehren wassie wissen müssten. Der von Gott gesandteAuserwählte würde sie zum Sieg führen ge-gen alle Fremden: Siedler, sowohl Hindus undMuslime, als auch die Briten und würde al-len ihr Eigentum zurückerstatten. Anderepredigten, dass Gott, anstatt nur einen Bot-schafter zu schicken, selber kommen und diearmen Hütten der Oraon teilen würde.

Der Hunger der Leute nach Gottes Hilfewird durch ihrer Gebete in folgenden Wor-ten ausgedrückt:

O Vater, gib uns Wissen und Verständnis,Baba, gib uns die Gabe, weise zu sprechen,Baba, gib uns Tugend, Baba gib uns Glück.Komm, Vater, besuche unsere Türen; Bababesuche unsere Gärten;Baba, besuche unsere Häuser; Baba besu-che unsere Familien;Baba, besuche unsere Versammlungen.Baba, komm in unsere Herzen, wir bittendich mit gefalteten Händen und gekreuz-ten Armen.Sei gegrüßt, Erbarmen Gott unser Vater.

Dieses Gebet zeigt die Hilflosigkeit und dieVerzweiflung der Leute. Es kann hier daran

erinnert werden, dass die historische Erfah-rung dieses Volk gelehrt hat, dass weder dasGericht, noch die Missionare, noch andereMächte ihnen halfen, gegen die Ausbeutungzu kämpfen. Die britischen Gerichte und ihreGesetze waren diesen Leute fremd; als An-alphabeten hatten sie keinen richtigen Zu-gang zum Gericht. Während der Sardar Be-wegung der 1870er und der Birsa Bewegungder 1890er wurden alle Anstrengungen un-ternommen, aber sie wurden von den Britenunterdrückt. Selbst die Missionare unter-stützten den Status Quo, statt die Massen,die um Befreiung von allen Formen der Aus-beutung kämpften, zu unterstützen. Dashatte eine Abwendung von der offiziellenKirche zur Folge, und viele traten in neueSekten ein. Sogar Birsa Munda, ein getauf-ter Christ, nahm später seine Mitgliedschaftin der Kirche zurück und führte dann seinVolk zur Freiheit.

Die Ideologie der Tana Bhagats kann inzwei Teile geteilt werden, nämlich konstruk-tive und destruktive. Im ersten Teil vertrei-ben sie die Geister, von denen gedacht wird,sie hätten das Land der Oraon von außenbetreten. Im zweiten Teil werden einige Re-geln für das Verhalten der Tana Bhagats for-muliert. Diese sind in Form von Gedichten,die sich die Leute leicht merken, singen odererzählen können. So singen sie:

Das Leben der Büffel ist wie menschlichesLeben – wie menschliches Leben.Das Leben der Kuh ist wie menschlichesLeben – wie menschliches Leben.Das Leben eines Kalbes ist wie menschli-ches Leben – wie menschliches Leben.Das Leben eines Ochs wie menschlichesLeben – wie menschliches Leben.Kein Leben, O Brüdern, sollte genommenwerden, kein Leben.Fleisch essen, O Brüder, soll aufhören, sollaufhören.Bier trinken, O Brüder, soll aufhören, sollaufhören.Schnaps trinken, O Brüder, soll aufhören,soll aufhören.

Diese Lieder deuten auf die strengen Re-geln, Vegetarismus, Verzicht auf Alkohol unddas Vermeiden von Grausamkeit gegenüberTieren hin. So folgten sie strengen Verhal-tensregeln, was bestimmt zu einer gewis-sen Verbesserung ihres gesellschaftlichenStatus führte. Aber die Alkoholhändler, dienicht Stammesmitglieder waren, litten fi-nanziell und versuchten Regierungsbeamtegegen ihre Aktivitäten aufzuhetzen. DieseInitiative der Tana Bhagat ist eine Inspira-tionsquelle für den gesellschaftlichen Wan-del gewesen. Noch heute halten die Kirchendas Alkoholproblem für entscheidend. Esführt viele zu Schulden und anderen unmo-ralischen Aktivitäten in der Gesellschaft. Dieanderen Lieder lehren Tugenden wie dasAufgeben von Diebstahl, Ehebruch, Geister-anbetung und die alleinige Verehrung einesGottes, Dharmes.

Die Tana Bhagat Hymnen rufen auch Na-men wie Mutter Sita, Vater Lakshman, VaterMahadeo, Vater Suraj an, zu kommen undihre Gemeinde, Garten, Tore, Gerichte, Poli-zeiwache usw. zu sehen. Sie singen vollerHoffnung:

Die Lebenszerstörer, O Brüder,Die Lebenszerstörer werden völlig zerstört– zerstört.Sündhafte Menschen, O Brüder, werdenvöllig zerstört – zerstört.

In ähnlicher Weise sollen alle Geister, die Tie-re verlangen und essen, zerstört werden.Gott wird angerufen, seine Gnade zu gewäh-ren, wodurch die böse Macht zerstört wird.So beten sie auch Gott an, das Elend diesesLandes zu vertreiben.

Gott der Vater wird angerufen, die Fein-de dieser Welt, die sündhaften Menschen die-ser Welt, zu zerstören. Er wird angerufen,dem Volk alle Tugenden zu schenken und ihrreligiöses Bewusstsein zu wecken ... Diesesund viele andere Lieder spiegeln die Seeleeines Volkes wider, in der Glaube und Hoff-nung ... eine Vision von göttlicher Gnadeschaffen und die Lebensperspektive der Adi-vasi verwandeln. Das hat sicher positive Ver-änderungen in ihr Leben gebracht ...

Die Bedeutung des Studiums der Dichtung

... Die Tana Bhagat Gebete haben sich vieleJahre erhalten und leben noch unter demVolk weiter, besonders unter den Mitgliedernder Bewegung. Ihre Botschaft ist und bleibtso relevant wie zur Kolonialzeit. Die Stam-mesvölker von Chotanagpur und der angren-zenden Regionen setzen ihren Kampf um dieBefreiung von vielfältiger Unterdrückung,Ausbeutung und Ungerechtigkeit fort, auchnach der Befreiung Indiens von Großbritan-nien. Politische Freiheit allein hat das Pro-blem nicht gelöst. Die Tana Bhagats stellenauch eine Herausforderung für die christli-che Gemeinden dar, weil sie sich gegen Be-kehrung wehren. Dieses Problem wurde nochnicht richtig erfasst. Wir hören von der stär-ker werdenden Jharkhand-Bewegung, dieeinen unabhängigen Staat fordert. Zusam-men mit anderen Bewegungen wie SantalHool (1854-55), Birsa Bewegung (1890er),Sardar Bewegung (1870er) und anderen, hatdie Tana Bhagat Bewegung die Leute derRegion inspiriert und in ihrem fortlaufendenKampf um die Befreiung von Ausbeutunggestärkt. Die Kirchen sind herausgefordert,die Strategie ihre Mission neu zu überden-ken.

Manmasih Ekka, Liberation Theme inTana Bhagat Prayers, in: Doing

Theology with the Poetic Traditions ofIndia. Focus on Dalit and Tribal Poems,

hrsg. v. Joseph Patmury, Bangalore 1997, 182-191

Übersetzung: Karintha Hemenway

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Die Adivasi, die indischen Ureinwohner, dieStammesbevölkerung, die »Indianer Indiens«,die indigenen Völker des indischen Subkon-tinents sind keine homogene Gruppe, son-dern leben in einer Vielzahl von sehr unter-schiedlichen Gemeinschaften. Alle zusam-men jedoch unterscheiden sie sich zum Teilwesentlich von der sie umgebenden Gesell-schaft, der überwiegend hinduistischenMehrheitsgesellschaft. Bei dieser genießendie kulturellen, sozialen und wirtschaftlichenEigentümlichkeiten der Adivasi im allgemei-nen kein sehr hohes Ansehen. Das, was dieIdentität der Adivasi in einem positiven Sin-ne ausmacht, wie ihre nicht auf Gewinn aus-gerichtete Wirtschaftsweise, die Verbunden-heit mit der Natur, die eher zwanglosengesellschaftlichen Verhältnisse, die Fähigkeitzu gelegentlich auch exzessivem Genießen,gelten den anderen als primitiv und rückstän-dig. In der nationalen Ökonomie stellen dieAdivasi keinen maßgeblichen Faktor dar, au-ßer, dass sie für gewöhnlich die billigsten

Arbeiter sind und dass ihre Arbeitskraft amrücksichtslosesten von den anderen ausge-beutet wird.

Indische Schutzgesetze für Minderheitenund gesellschaftliche Realität

In den mehr als 50 Jahren seit der Erlangungder nationalen Unabhängigkeit Indiens ha-ben sich die Verhältnisse für die Adivasi kaumverbessert, und dies, obwohl es spezielleSchutzgesetze und Verfassungsregeln undbesondere Förderprogramme der indischenRegierung für ihre »tribals« gibt. Die allge-meine Entwicklung des indischen Staates, obnun mit eigenen Mitteln bewirkt, im Rahmensogenannter Entwicklungszusammenarbeitermöglicht oder durch internationale Orga-ne (z. B. Internationaler Währungsfonds) for-ciert, ist eigentlich stets zu Lasten der Adi-vasi gegangen. Am wirtschaftlichen Auf-schwung und Fortschritt Indiens, an der In-dustrialisierung hatten die Adivasi keinen

Anteil. Auch die besonderen Bemühungenum die »Entwicklung« der Adivasi (»tribaldevelopment«), wiederum egal ob im Rah-men staatlicher Programme, bilateraler Zu-sammenarbeit oder mit multilateraler Unter-stützung (z. B. Weltbank), waren kaum vonErfolg gekrönt. Oft wurden (und werden bisheute) solche Programme nur halbherzigangegangen. Das geringe Ansehen, das dieAdivasi genießen, verführt offensichtlich eineAnzahl der Projektverantwortlichen, dieselbst Angehörige der Mehrheitgesellschaftsind, dazu, Gelder in die eigenen Taschen flie-ßen zu lassen. Und nicht viel anders sieht esleider auch bei vielen Nichtregierungsorga-nisationen aus.

Menschenrechte und internationaleAbkommen als Grundlage derSolidaritätsarbeit

Nachdem der Erlangung der Unabhängigkeitin Indien keine Entkoloniasierung im Inne-

Grundlagen und Perspektiven der Solidaritätmit den Adivasi

Internationale Menschenrechtsabkommen und die indische Gesetzgebung zum Minderheitenschutz bil-den die Grundlage für die Lobby-Arbeit zu Gunsten der Adivasi. In Deutschland hat sich 1993 die Adivasi-Koordination gebildet, um die Solidaritätsarbeit verschiedener Organisationen und Gruppen zu bündeln.

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ren gefolgt ist, nachdem also nach wie vorMenschen wegen ihrer Zugehörigkeit zu ei-ner ethnischen Gruppe de facto trotz beste-hender Schutzgesetze benachteiligt, ausge-beutet und diskriminiert werden, ist alsoSolidarität mit den Adivasi gefragt. Nicht nurim Sinne einer Kampagne gegen Rassismusund Ausbeutung, sondern auch im positivenSinne als ein Eintreten für Menschenwürde,Gerechtigkeit, Menschenrechte, Chancen-gleichheit ... Die »Fronten« der praktischenSolidaritätsarbeit befinden sich dabei glei-chermaßen in Indien und auch hier inDeutschland, und die Zielgruppen oder Be-reiche sind die Gesellschaft ganz allgemein,die Politik allgemein, die Wohlfahrts- bzw.Entwicklungspolitik und deren Agenten, so-wie als Sondergruppe die Nichtregierungs-organisationen.

Solidarität ist aber nicht nur ein vielleichtletztlich unverbindlich bleibendes ethisch-humanitäres Gebot, sondern es ist auch wich-tig, ihre praktischen Grundlagen und Ansatz-möglichkeiten aufzuzeigen. Diese liegenzunächst im Bereich des allgemeinen inter-nationalen Rechts:

• dem internationalen Pakt über die bürger-lichen und politischen Rechte von 1966 (inKraft getreten 1976);• dem internationalen Pakt über die wirt-schaftlichen, sozialen und kulturellen Rech-te von 1966 (in Kraft getreten 1976).

Die beiden Pakte konkretisieren die noch ehervagen Formulierungen der Allgemeinen Erklä-rung der Menschenrechte von 1947. Sie sindfür die Staaten, die ihnen beigetreten sind,verbindlich. Die Staaten sind angehalten, die-se Rechte zu achten, zu schützen und zu er-füllen. Insbesondere zählen dazu das Rechtauf Arbeit, auf angemessene Bezahlung derArbeit, auf Ernährung, auf Behausung, aufGesundheitsversorgung und auf Bildung (al-les Dinge, die gerade für die Adivasi-Gemein-schaften von großer Bedeutung sind). Ver-schiedene UN-Gremien wurden dafür geschaf-fen, dies zu überwachen und die Staaten beider Erfüllung dieser Rechte zu unterstützen.

Im speziellen Zusammenhang mit derThematik der indigenen Völker ist auf zweiDokumente der Internationalen Arbeitsorga-nisation (ILO) hinzweisen:

• ILO Konvention 107 von 1957;• ILO Konvention 169 von 1989.

Während die erste Konvention noch eher aufdie Integration der indigenen Bevölkerung(»populations«) in den mainstream der begin-nenden staatlichen Entwicklungen nach demEnde der Kolonialära abzielt, spricht die zwei-te Konvention von der Selbststimmung derjeweiligen indigenen Völker (»peoples«) undnimmt auch Bezug auf die Landrechte derUreinwohner. Auch wird darin immer wiederan die Verantwortung der jeweiligen Staatenappelliert, die Rechte der Ureinwohner zuachten. – Nur der Vollständigkeit halber seihier ein weiteres, noch in Arbeit befindlichesDokument erwähnt, das diese gedanklicheLinie fortsetzt: die Draft Declaration on theRights of Indigenous Peoples.

Diese wurde während der letzten mehrals zehn Jahre unter maßgeblicher Beteiligungvon VertreterInnen indigener Völker aus al-len Teilen der Erde von der »UN-Arbeitgruppezu indigenen Völkern« erarbeitet, bisher je-doch nicht von den übergeordneten UN-Gre-mien abgesegnet. Diese Declaration bautweitgehend auf dem Text der ILO Konvention169 auf, aber sie pointiert deren Formulierun-gen und macht in unmissverständlicher Wei-se die indigenen Völker zum Subjekt: »Indige-nous peoples have the right ...«, mit diesenWorten beginnt beinahe jeder Artikel diesesTextes.

Gesetzliche Grundlagen in Indien

Unter den gesetzlichen Grundlagen innerhalbdes indischen Staatswesens seien als wich-tigste wenigstens erwähnt:

• die Verfassung von 1950;• eine Anzahl von Landesgesetzen, die dieEnteignung von Stammesland unterbinden(sollen);

• der Prevention of Atrocities (against Sche-duled Castes & Scheduled Tribes) Act von 1989;• der Provisions of the Panchayats (Extensi-on to the Scheduled Areas) Act von 1996.

In der Verfassung sind die Adivasi unter diebesondere Obhut des indischen Staatspräsi-denten gestellt, dem auch die Führung derListe (»schedule«) der Ureinwohnergemein-schaften obliegt. Der Prevention of Atroci-ties Act stellt unter anderem auch die Land-enteignung unter Strafe. Der ... Panchayat Actschließlich ist eine wirkliche Revolution inder indischen Verfassungsgeschichte, dennzum ersten Mal werden hier die Selbstver-waltung und verhältnismäßig weitreichendeEntscheidungskompetenzen der Adivasi-Ge-meinschaften definiert.

All diese Dinge sind verbrieftes Recht ...Auch wenn die Rechtwirklichkeit häufig an-ders aussieht, sind dieses die Grundpfeilerfür die praktische Solidaritätsarbeit. Und esist unerlässlich, nicht nur die bestehendenschlimmen Verhältnisse zu beklagen undanzuprangern, sondern auch aufzuzeigen,dass es Rechte und Chancen für ein men-schenwürdiges Dasein der Adivasi gibt.

Die Adivasi-Koordination in Deutschland

Die Solidaritätsarbeit, wie sie von der Adiva-si-Koordination in Deutschland e.V., einemZusammenschluss verschiedener Menschen-rechtsorganisationen, Hilfs- und Missions-werken und Unterstützerorganisationen, an-gestrebt und zum Teil bereits geleistet wird,hat mehrere Komponenten. Dazu gehören:

• Intervention bei krassen Menschenrechts-verletzungen;• umfassende Recherche und Dokumentati-on vor allem im Bereich der Menschenrechts-verletzungen;• Information und Aufklärung der Öffentlich-keit durch Rundbriefe, andere Veröffentli-chungen und Veranstaltungen;• Unterstützung von Adivasi-Delegierten, z.B. bei den Sitzungen internationaler Organi-sationen und bei Reisen in Europa;• gemeinsame Lobbyarbeit bei Parlamentenund Behörden der Außen- und Entwicklungs-politik;• Consulting bei Projekten in Zusammenar-beit mit Adivasi-Repräsentanten.

Die Adivasi-Koordination ist 1993 – im UN-Jahr der indigenen Völker – entstanden. Ende1994 wurde von den Vereinten Nationen die»Dekade der indigenen Völker« ausgerufen.Alle hatten die Hoffnung, dass zum Ende die-ser Dekade die Weichen für ein selbstbe-stimmtes, zukunftsfähiges Überleben derAdivasi gestellt sein würden ... Die Dekadeneigt sich dem Ende zu, und es bleibt nachwie vor noch sehr vieles zu tun!

Johannes Laping, Adivasi-Koordination in Deutschland e.V.

Stimmen der Adivasis»In unseren Träumensehen wir unser Land«Herausgegeben von sarini142 Seiten, Bonner Siva Series, 2001

In dieser Sammlung von 45 Textenschildern Adivasi mal sachlich mal poe-tisch ihr Leben. Die in den Kapiteln:»Ursprünge«, »Unser Leben«, »Entwick-lung und Zerstörung«, »Widerstand undNeubeginn« und »Resolutionen«zusammengefassten Äußerungen spie-geln authentisch und mit eindringli-chen Worten das Leiden aber auch dieHoffnungen der Adivasi wider.

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Glossar

Adivasi: Selbstbezeichnung der indischen Ureinwohner »die Er-sten im Land«. Sie wurden von den indoarischen Invasoren in ihrejetzigen Siedlungsgebiete verdrängt. Die Verfassung räumt ihnenals registrierten Stämmen (scheduled tribes) Minderheitenrechteein (S. 33 ff.), doch sind sie in der Kastengesellschaft weiterhinOpfer von Unterdrückung und Diskriminierung. A. werden auchals Stammesvölker bezeichnet. (Einleitung S.2 und S. 18 ff.)

Bihar: Besonders armer indischer Bundesstaat, grenzt im Nordenan die nepalische Tiefebene. Von Bihar wurde der seit 2000 unab-hängige Bundesstaat Jharkhand abgetrennt.

Chotanagpur: Rohstoffreiche Region, umfasst Teile der Bundes-staaten Jharkhand, Orissa, Madhya Pradesh und West-Bengalen.C. wird als »Ruhrgebiet Indiens« bezeichnet. Adivasi stellen einengroßen Bevölkerungsanteil.

Dalits: Selbstbezeichnung der »Kastenlosen«, wörtlich: »die Un-terdrückten«. (S. 18 ff.) Die Verfassung sieht für sie als registrierteKasten (scheduled castes) Minderheitenrechte vor, deren Umset-zung häufig mangelhaft ist und vielfältige Diskriminierungennicht verhindern kann.

Evangelisch-Lutherische Gossner Kirche: Seit 1919 ist dieGossner Evangelical Lutheran Church (GELC) eine selbständigeKirche, mit heute ca. 500.000 Mitgliedern. Über 90 % von ihnensind Adivasi. Gegründet wurde die Gossner Kirche durch Missio-nare, die von Johannes Evangelista Gossner (1773-1858) ausge-sandt wurden und 1845 nach Ranchi in Jharkhand kamen.

Indigene (Völker): Gleichbedeutend mit »Ureinwohner« oder»Stammesvölker«.

(Indo-) Arier: Die Indoarier sind um 1500-1200 v. Chr. ausZentralasien in den indischen Subkontinent eingedrungen. Sie ha-ben sich mit dem Kastenwesen von anderen Bevölkerungsgrup-pen abgegrenzt und sie unterdrückt. Die indoarischen Sprachen(z.B. Sanskrit) sind nach der indogermanistischene Wissenschaftmit dem Griechischen, Lateinischen, Germanischen u. a. Sprachenverwandt. Es werden auch kulturelle, soziale und religiöse Ge-meinsamkeiten bei den Mitgliedern dieser Sprachfamilie betont.

Jharkhand: »Waldland«. Seit 2000 indischer Bundesstaat, vorherTeil des Bundesstaates Bihar. (S. 3 ff.)

Kasten (-wesen): Die im Hinduismus religiös begründete Eintei-lung der Menschen in (hierarchische) Kasten ist ein Grundpfeilerder indischen Gesellschaft, obwohl 1951 das Kastenwesen perVerfassungsdekret abgeschaftt wurde. Man unterscheidet die vierVarna-Kasten (Brahmanen-Priester, Kshatriyas-Krieger, Vaishyas-Bau-ern und Shudras-Diener) und tausende Jati-Kasten, »Unterkasten«,die festgelegte Berufe ausüben. Die Hindus werden in ihre Kastehineingeboren. Heiraten sind nur innerhalb der Kaste erlaubt(Endogamie). Für den Verkehr der Kasten untereinander gibt esRegeln, die religiöse Verunreinigungen verhindern sollen.

Kurzinfo zu Jharkhand

Fläche: 79.700 km2. Jharkhand ist in 18 Distrikte aufgeteilt. Dieeinwohnerreichsten sind Dhanbad und Ranchi, mit jeweils minde-stens drei Millionen Einwohnern. 25 Prozent der Fläche sind mitWald bedeckt. Von 2,6 Mio. ha Wald wurden bis 1999 480.000Hektar abgeholzt.

Hauptstadt ist Ranchi mit ca. zwei Millionen Einwohnern

Bevölkerung: 26,9 Mio. Bevölkerungswachstum: 2,3 % (Durch-schnitt seit 1991). Auf 1000 Männer kommen 941 Frauen (Bei denAdivasi: 1000/975). 27 % der Einwohner sind Adivasi, darunter 35-40 Prozent Christen. Von Vertreibungen im Interesse von industri-

ellen und strategischen Großprojekten (Bergbau, Staudämme,Naturreservate) sind bisher 6,5 Millionen Menschen betroffen.

Bildung: 54,1 % der Bevölkerung können lesen und schreiben,Männer: 67,9 %, Frauen: 39,4 %. Unter den Adivasi ist dieAlphabetisierung deutlich geringer (ca. 30 %).

Gesundheit: Schlechteste Pro-Kopf-Versorgung mit Ärzten inIndien, entsprechend die höchste Kindersterblichkeit.

Parlament/Regierung: Im Parlament mit 80 Sitzen stellt eine Koali-tion unter der hindunationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP) dieMehrheit mit 44 Sitzen (BJP: 32, Samata Party: 5, Unabhängige Parla-mentarier: 4, Janata Dal (United): 3). Die größten Oppositions-fraktionen stellen Jharhand Mukti Morcha mit zwölf Sitzen und dieKongresspartei mit elf Sitzen. Seit dem 18. März 2003 ist ArjunMunda von der BJP Ministerpräsident. M. Rama Jois ist Gouverneur.

Ressourcen/Industrie: Gold, Uran, Bauxit, Eisenerz, Steinkohle,Kupfer (über 40 Prozent aller indischen Mineralien). Größtes indu-strielles Flächenrevier Indiens.

Impressu

m

Herausgeber:Gossner Mission, IndienreferatGeorgenkirchstr. 69-70, 10249 BerlinTel.: 0 30 / 2 43 44 57 50Fax: 0 30 / 2 43 44 57 52e-mail: [email protected]: www.gossner-mission.deBankverbindung: EDG Kiel (Filiale Berlin)BLZ 100 602 37, Konto 139 300

Redaktion:Bernd Krause, Henrik WeinholdLayout: Henrik Weinholdwww.webundprint.comBilder: Axel Wernicke (4 r.),Henrik Weinhold (1, 2, 4 l., 6, 9, 10, 14, 15,16, 17, 21, 22, 33) ,Archiv der Gossner MissionDruck: PegasusDruck

Diese Dokumentation wurde von der Stiftung Nord-Süd-Brücken gefördert.

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Während Jahrhunderten haben wir diedichten Wälder durchstreift und darin ge-lebt, und jeden Tag haben wir viel vonder Natur gelernt. Die Natur hat uns ge-nährt wie eine Mutter, und wir habensie dafür geachtet und verehrt. Genau-so wie kein Mensch leben kann,ohne dass er frei Luft holen kann,so können auch wir nicht le-ben, ohne dass wir den Waldfrei benutzen können. Aberheute werden unsereWälder gnadenlos ver-nichtet, so als würdeman einem Huhn dieFedern ausreißen nochbevor es getötet wird;unsere Wälder werdenabrasiert. Wenn unserWald nicht von Berg-baustätten und Spren-gungen blutet, dannerzittert er vor dengrauenvollen Zähnenjener Tausender vonSägewerken, die dieBaumstämme klein-sägen – so als ob Bäu-me über Nacht nach-wachsen würden.

Aus dem Manifesteiner Adivasiorganisation