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Bäume Eine Reise durch Zeiten und Kulturen Geschichte, Mythologie, Märchen, Brauchtum, Nutzen, Botanik von Martine Goerigk

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Bäume

Eine Reise durch Zeiten und Kulturen

Geschichte, Mythologie, Märchen,Brauchtum, Nutzen, Botanik

von Martine Goerigk

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Meinen Eltern Marie-Odile und Julien,durch die ich die ersten, ungezwungenen Kontakte

zu den Bäumen des Bauernalltags bekam,

Meinen Kindern Yvonne, Nadine, Nicole und Michelle,die es lieben, auf Bäume zu klettern, auf einem Ast sitzend gern Märchen lauschen

und spontan „Opabäume“ mit vielen Kinderarmen umarmen,um über ihren Umfang zu staunen,

Meinem Mann Uwe,dem zwei Bäume ans Herz gewachsen sind

und der für mein besonderes Bauminteresse viel Verständnis zeigt.

Der Verlag dankt der Botanikerin Frau Dr. H. Dietrich, Jena ganz herzlich für Ihre fachliche Beratung sowie für ihr sorgfältiges Lektorat.Mit Herz und Wohlwollen förderte sie das Buchprojekt von Frau M. Goerigk und trug zu einer glücklichen Symbiose zwischen den einzelnen Aspekten des Buches bei.

© 2009 EchinoMedia Verlag Dr. Kerstin Ramm, 1. Auflage 2010Untere Zense 36, 07616 BürgelTel.: 03 66 92/3 55 78, Fax: 03 66 92/3 55 77E-Mail: [email protected]

www.echinomedia.de

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-397107-21-9

Grafik und Gestaltung: K. Ramm, BürgelDruck und Verarbeitung: Westermann Druck, Zwickau

Autorin 1966 in Sélestat (Frankreich) geboren, seit 1986 in Düsseldorf lebend, ist verheiratet und Mutter von vier Kindern. Ihre Kindheit auf dem Land im Elsass, das Leben in einer Großstadt wie auch mehrere Kulturreisen nach fernen Ländern haben ihr Interesse an Bäumen geprägt und gefördert. Zurzeit arbeitet sie als Sekretärin in einem französischen Unternehmen.

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InhaltsverzeichnisVorwort ............................................................................................................................ 7

I Die Bäume haben eine Geschichte ....................................................................... 11I.1. Von der Entstehung der Bäume .............................................................................. 12 Die Bäume der Urzeit .......................................................................................... 12 Schachtelhälmchen (Zaubermärchen aus Jakutien, Sibirien) ...................................15 Die einmalige, urtümliche Baumwelt Neuseelands ................................................ 16 Wie die Bäume entstanden (Mythos der Maori, Neuseeland) ..................................23 Von versteinerten Bäumen ................................................................................... 24I.2. Die Begegnung der Bäume mit den Menschen Bäume in frühen Kulturen ...................................................................................... 27 Und sie fällten Zedernwälder ... ........................................................................... 27 Gilgamesch und Enkidu (babylonisches Epos) ........................................................29 ... vom unbekannten Perseabaum ........................................................................ 31 Die beiden Brüder (altägyptisches Märchen) ..........................................................32 Die Tamariske in der Wüste .................................................................................. 34 Die Dattelpalme, Base des ersten Menschen ........................................................ 36 Die Tamariske und die Dattelpalme im Streit (Fabel aus Mesopotamien / Irak) ........37 Der heilige Olivenbaum und sein ideeller Wert ...................................................... 39 Die Olivenbäume (Antonio Machado) .....................................................................42 Die Sequoie – ihre Größe macht sie zur Sensation ................................................ 43 I.3. Bäume verändern die Welt Exotische Bäume und ihr Weg nach Europa ............................................................ 47 Als Brasilholzbäume glutfarben färbten ... ............................................................ 47 Vom heiligen Kakaobaum der Azteken zur heutigen Schokolade ........................... 48 Die interkontinentale Wanderung der Gewürzbäume ............................................ 50 Der Kautschukbaum: Vom Urwald auf die Autobahn ............................................ 54 Der Erdbeergeschmackbaum ............................................................................... 58

II. Die Dienste der Bäume – nährend, heilend und genussvoll.................................... 61 II.1. Die süßen Früchte der Bäume Von Äpfeln, Feigen und Apfelsinen ......................................................................... 62 Apfelbaum: Der einstige Paradiesbaum liefert immer noch das beliebteste Obst .... 62 Die Geschichte eines Apfelbäumchens (Geschichte aus Russland) ..........................64 Von Birnen, Nashis und Lis .................................................................................. 65 Der Bauer, der Birnbaum und der Tod (Märchen aus Rumänien) ............................66 Orangerien und Orangenblütentee....................................................................... 67 Zitronenbaum - gesunde Säure, edles Holz .......................................................... 69 Der Feigenbaum mit paradiesischen Früchten ...................................................... 71 Portrait der Bananenstaude .................................................................................. 73 Asiatische Obstbäume ......................................................................................... 74II.2. Nährende Bäume Von Edelkastanien, Brotfrüchten und Honigbäumen ............................................... 80 Vom nährenden Esskastanienbaum ...................................................................... 80 Der Brotfruchtbaum, der Baum, der in eine Meuterei verwickelt wurde .................. 81 Die Legende des Maiore (Legende aus Tahiti) ........................................................82 Von Honig- und Zuckerbäumen ........................................................................... 83 Isapy und Ravenala - die tränkenden Bäume ........................................................ 85 Der Baum Isapy (Legende aus Paraguay) ..............................................................86

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II.3. Heilende Bäume Von Chinarinde bis Ginkgo ......................................................................................87 Dem Holunder mit Ehrfurcht begegnen ................................................................ 88 Frau Holles Medizinbaum (deutsche Legende) .......................................................89 Chinarindenbaum - der Baum gegen Malaria ....................................................... 89 Von der Weidenrinde zum Aspirin ......................................................................... 91 Die Blätter, die Samen, die Kräfte des Ginkgobaumes ........................................... 92 Patente auf die Dorfapotheke „Niembaum“ ......................................................... 96 Das biblische Klärmittel – der Moringa? ............................................................... 98 Die Überquerung des Schilfmeeres (hebräische Überlieferung) ...............................99II.4. Bäume und Zivilisation Von Schreibern, Gärtnern und Geigenbauern ........................................................100 Das Holz zum Schreiben .................................................................................... 100 Vom Wald zum Papier ........................................................................................ 102 Bäume kleiden Menschen ... .............................................................................. 103 Bonsai: Die Kunst der Miniaturbäume ................................................................ 104 Vom holzigen Weinstock zum erlesenen Wein ..................................................... 105 Der Klang des Holzes ........................................................................................ 107 Matuyas Geschenk (Märchen der Zigeuner) ........................................................109

III. Bäume für Sinne und Seele ..................................................................................111III.1. Bäume voller Farben und Düfte Von Fliederblüten und flammendem Herbstlaub ....................................................112 Die importierte Herbstfärbung ............................................................................ 112 Flamboyant – flammende Blüten, Laub wie Farn ................................................ 114 Die schöne Mzuri (Märchen aus Uganda) ............................................................114 Der lange Weg des Flieders ................................................................................ 116 Andrejkas Flieder (Erzählung aus Russland) .........................................................116 Vom Rhododendronbaum ... .............................................................................. 119 Von echten und falschen Akazien in Europa ....................................................... 120 Die Kirschbaumblüte und das Leben .................................................................. 121III.2. Bäume der Liebe und Sinnlichkeit Von erotischen Parfüms und Liebessymbolen ........................................................125 Von Bäumen mit traumhaftem Blütenduft .......................................................... 125 Die Tochter des Jasminbaumes und des Rosenbaumes (arabisches Märchen) .......127 Der kostbare Sandelholzbaum ........................................................................... 129 Weihrauch und Myrrhe – äußerst kostbare Harze ................................................ 131 Myrrha, Mutter des schönen Adonis (aus der griechischen Mythologie) .................135 Der teuerste Duft der Welt stammt vom Adlerholzbaum ...................................... 137 Früchte wie die Liebe – bezaubernder Granatapfelbaum! .................................... 140 Die Liebesfrucht (orientalisches Märchen / griechische Mythologie) .......................142III.3. Bäume voll Magie und Zauberkraft Von Wünschelruten und Baummenschen ...............................................................144 Die Wünschelrute aus Haselholz ........................................................................ 144 Der Schatz unter dem Hügel (Märchen aus England) ...........................................146 Die Fichte und ihre Seele ................................................................................... 147 Die schöne Fichte (Märchen aus Russland) ..........................................................148 Der düstere Zauber der Erlenbrüche ................................................................... 149 Wenn Menschen zu Bäumen verwandelt werden ... ............................................ 152

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III.4. Bäume im Glauben der Menschen Von heiligen Bäumen, der Weltenesche und den Bäumen der Erleuchtung .............154 Marishka (Erzählung aus Lappland) ....................................................................154 Bäume und Geburt ............................................................................................ 155 Das Kindgeschenk des Baumes (Legende der Ashaninca, Peru) ...........................155 Die Lärche - weiblich, ausdauernd, kosmisch ..................................................... 156 Das Hochzeitsgeschenk an die schöne Merisàna (Sage aus den Dolomiten, Italien) ........................................................................158 Esche und Ulme in der nordischen Mythologie ................................................... 159 Der Kapokbaum als Achse der Welt ................................................................... 162 Die Bäume im Leben Buddhas .......................................................................... 164 Buddha unter den Bäumen (Legende aus Indien) ................................................170 Aus welchem Holz war das Kreuz Christi gefertigt? ............................................. 173 Der Traum der drei Bäume (christliche Legende) ..................................................173 Die unsichere Zukunft der heiligen Urwaldbäume .............................................. 175 Die Zeit des Kolibris – Die erste Erde (Mythos der Guaranís) .................................178

IV. Bäume aus aller Welt ...........................................................................................179IV.1. Bäume in unseren Breitengraden Von Eichen, Linden und Birken ..............................................................................180 Die personifizierte, wissende Eiche ..................................................................... 180 Die Eiche und das Schilfrohr (Fabel aus Frankreich) ..............................................182 In den dunklen Buchenwäldern ... ...................................................................... 182 Linde – der Baum der Geborgenheit und Gerechtigkeit ....................................... 184 Drei Linden (Herrmann hesse) .............................................................................187 Die Birke – Pionier nach der Eiszeit und dennoch weibliches Schönheitsideal ....... 189 Der Soldat und die Birke (Märchen aus Russland) ................................................192 Tanne, Rottanne, Weihnachtstanne .................................................................... 194 Die Eibe in Gesellschaft von Tod und Leben........................................................ 198 Deirdre und Naoise (Mythos aus Irland) ...............................................................200 Die Rosskastanie – ein prächtiger Stadtbaum ..................................................... 202IV.2. Bäume am Mittelmeer Von Korkeichen, Zypressen und Johannisbrotbäumen ...........................................204 Die immergrünen Steineiche und Korkeiche ....................................................... 204 Die Steineichen (Antonio Machado) .....................................................................207 Die Pinie der Römer ... ...................................................................................... 207 ... und die Zypresse der Perser ........................................................................... 210 Der Johannisbrotbaum, für Arme und Reiche, uralt und modern ......................... 212IV.3. Bäume auf dem afrikanischen Kontinent Von Wüstenbäumen und Regenwaldriesen ............................................................214 Von Baobabs, Elefanten und Zaubererzählern .................................................... 214 Der mächtige Iroko ragt aus dem Wald ... .......................................................... 216 Der Köcherbaum und der halbunterirdische Wüstenbaum................................... 217 Urtümliche Drachenbäume ................................................................................ 220 Die Akazie in der Wüste ..................................................................................... 221IV.4. Bäume in Asien Von Zirbelkiefer, Bambus und Zimtbäumen ...........................................................225 Helferin und Zauberin Nordasiens – die sibirische Zirbelkiefer ............................. 225 Großer Rabe und das Zirbelkiefermädchen (Märchen aus Südostsibirien) ..............228 Die kostbare Rinde des Zimtbaumes .................................................................. 229 Der Zimtbaum auf dem Mond (Legende aus China) ............................................231

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Die Garnele und der Mangrovenbaum ............................................................... 232 Der hochgeachtete Bambus ............................................................................... 234 Die Geschichte eines Bambus (Erzählung von Johannes Kuhn) .............................237 Des Pflaumenbaums poetische Blüte .................................................................. 238 Der wilde Pflaumenbaum (Märchen aus China) ...................................................240IV.5. Bäume der Südsee Von Kokospalmen und Eukalyptusbäumen ............................................................241 Mit Gräserschopf ausgestattet – der Grasbaum ................................................... 241 Der vielgesichtige Eukalyptusbaum ..................................................................... 243 Kauri, der fabelhafte Riese Neuseelands ............................................................ 246 Der Kauri und der Wal (Märchen aus Neuseeland) ...............................................248 Kokospalme, Talipotpalme & Co. ....................................................................... 248 Der Himmel über Ailinglapalap (Legende aus den Marshall-Inseln) .......................252 Als der Schraubenbaum Segel und Geist war ...................................................... 253IV.6. Bäume Amerikas Von Araukarien, Ohrenbäumen und Saguaros .......................................................255 Baum des argentinischen Gauchos – der Ombú ................................................. 256 Der Wunsch des Ombú (Legende aus Argentinien) ..............................................257 Der Yerbabaum im Alltag der Südamerikaner ..................................................... 258 Timbó, der Ohrenbaum ..................................................................................... 261 Elegant dunkelrot und dauerhaft: Das Mahagoni ............................................... 262 Pehuen = Araukarie .......................................................................................... 263 Ode an die Araukanische Andentanne (Pablo neruda) .........................................266 Der nordamerikanische Lebensbaum ................................................................. 268 „Wurzelbier“ aus dem Sassafras ......................................................................... 270 Seltsame „Bäume“ der amerikanischen Halbwüsten ........................................... 272 Die Geschichte der zwei ungehorsamen Enkel (Märchen aus Arizona / USA) .........275IV.7. Bäume ohne Grenzen Von Kiefern und Pines ...........................................................................................276 Weltbürger auf der nördlichen Hemisphäre – die Kiefer ...................................... 276 Das Astloch (Sage aus Schweden) .......................................................................285IV.8. Bäume der Antarktis Von verschollenen Bäumen und Phylicas ...............................................................287 Bäume des eisigen Kontinents – eine Utopie? ..................................................... 287

V. Bäume in der modernen Welt ..............................................................................291V.1. Bäume heute Von unseren Zeitgenossen ....................................................................................292 Das harte Los der Großstadtbäume .................................................................... 292 Die verkannten Dienste der Bäume .................................................................... 293 Waldbrand – das baumzerstörende Feuer ........................................................... 294 Die Wertdegradierung der exotischen Nutzholzbäume ........................................ 296 Nachwort ..................................................................................................................... 299

Baumregister ................................................................................................................ 302Weiterführende Literatur ............................................................................................... 307Quellenangaben .......................................................................................................... 308Bildnachweis ................................................................................................................ 309

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Die Bibel berichtet lapidar, dass Gott am drit-ten Tag die trockene Erde erschuf und befahl, dass allerlei junges Grün und samentragende Bäume darauf wachsen sollen. Am sechsten Tag erschuf er schließlich den Menschen. Und der Mensch solle über das Tierreich und das Pflanzenreich herrschen und sich von den Früchten der Bäume ernähren.Andere Kulturen besitzen – was die Entste-hung der ganzen Pflanzenwelt angeht – einen ausgeschmückteren Mythos als das judeo-christliche Erbe. Die neuseeländischen Maori mit ihrer wahrlich einmaligen Baumwelt ha-ben die Entstehung der Bäume poetischer – und menschlicher – beschrieben. Viele natur-verbundene Stämme in Amerika, Afrika und Ozeanien wissen, wie ein besonders nützlicher Baum durch eine bestimmte Begebenheit ent-standen ist. So. z.B. die Kokospalme in Oze-anien oder der Isapy-Baum in Südamerika. Diese legendenhaften Geschichten weichen aber dahingehend von Mythen ab, dass sie nicht allumfassend sind, sondern nur einzelne Baumarten betreffen.

Interessanterweise stimmt aber die Paläobo-tanik – also die Wissenschaft der Urzeitpflan-zen – mit den universellen Entstehungsmythen darin überein, dass die Bäume sehr, sehr viel früher entstanden als der Mensch, d.h. sehr viel älter sind. Fossilienfunde und versteiner-tes Holz geben aufschlussreiche Hinweise zu urzeitlichen Bäumen und Wäldern und las-sen eine Ahnung zu längst verschwundenen Baum arten aufkommen, die schon ausgestor-ben waren, als die ersten Menschen erschie-nen.

Die Bäume der Urzeit

Nachdem vor ca. 420 Millionen Jahre die ers-ten blattlosen Urfarne an den Ufern seichter Gewässer erschienen waren, folgten viele Mil-lionen Jahre lang echte Farne, Bärlappe und Schachtelhalme. Aufgrund der dichter wer-denden Besiedelung des bodennahen Raumes und der stärker werdenden Konkurrenz, vor

I.1. Von der Entstehung der Bäume

So oder ähnlich müssen laut Forscher der Paläobotanik die Urwälder der Steinkohlezeit ausgesehen haben: feucht, heiß, urtümlich, und geprägt von Schachtelhalm- sowie von Siegel- und Schuppenbäumen (aus Brockhaus Konver-sationslexikon, 1893-1897).

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allem mit Flechten und Moosen, entwickelten einige Pflanzen im Streben nach ausreichen-dem Sonnenlicht die Fähigkeit, sich aufzu-richten. Das Höhenwachstum erforderte die Entwicklung einer festen Pflanzenarchitektur, die Stängel mussten die Blätter und das ei-gene Gewicht tragen und somit gestützt wer-den. Die Pflanzen entwickelten Festigkeit der Stängel durch Bildung und Einlagerung von Lignin – dem Stoff, der dem Holz seine feste Konsistenz verleiht. Außerdem entstand ein komplexes System von Leitbahnen innerhalb des ligninversteiften und aufrechten Stängels, die die Nährstoffe aus dem Boden senkrecht zu den weit oben angesetzten Blättern trans-portierten. Ebenso konnten durch sie die in den Blättern durch Photosynthese erzeugten Zuckerverbindungen von den Blättern nach unten transportiert werden. Durch Entwick-lung dieser zwei wesentlichen Merkmale wur-den im Laufe der Jahrmillionen aus wenigen Zentimeter hohen Pflanzen verholzte Stämme von beträchtlicher Höhe.

Was waren die typischen Bäume, die ver-breitetsten Vertreter der Urzeitwälder? Unter den feuchtwarmen Klimabedingungen des Karbon zeitalters (vor 345-270 Millionen Jah-ren) entstanden dichte Sumpfwälder, unter denen die Siegelbäume und Schuppenbäume (Bärlappgewächse) eine Höhe von mehr als 30 m erreichten. Dazwischen wuchsen 20 m hohe Schachtelhalmbäume und Baumfarne mit weit ausladenden Blattwedeln. Während

die Schuppenbäume (Lepidodendron) am Stamm wie mit Fischschuppen belegt aussa-hen und eine verzweigte Krone trugen, zeigten die Schachtelhalmbäume (Calamites) bereits die Struktur, die wir von der heutigen krauti-gen Pflanze kennen: Ineinandergeschachtelte Segmente, jeweils mit quirlartig angeordneten dünnen Ästen. Die Siegelbäume (Sigillaria) wiederum trugen auf einem langen, astlosen Stammschaft einen schlanken Schopf aus schmalen und sehr langen Blättern. Interes-santerweise stabilisierte beim Schuppenbaum nicht das Holz den Baum, sondern die Rinde; das Holz diente zur Wasserführung.

Versteinerte, in Steinkohlelagern gefundene Stämme von Schachtelhalm- sowie Bärlappbaum (v.l.n.r.).

Miniwald aus heutigen, ca. 50 cm hohen Schachtelhal-men auf wassergesättigtem Waldboden; unten Detailan-sicht von Schachtelhalmen.

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Diese drei Bäume waren zusammen mit den Baumfarnen Hauptvertreter der Sumpfwälder während der Karbonzeit und bedeckten riesi-ge Gebiete in Äquatornähe, welche - wie z.B. das heutige Mitteleuropa – viel später weiter nach Norden abdrifteten. Es wird angenom-men, dass diese Urzeitwälder aufgrund ihrer riesigen Ausdehnung deutlich mehr Sauerstoff produzierten als wir es heute kennen. Stürzten diese Bäume ein, versanken sie im Sumpf, wo sie unter Ausschluss von Sauerstoff nicht ver-moderten, sondern durch massive Sediment-überlagerungen eingeschlossen wurden. So erfolgte die Umwandlung zu Torf, dann zu Braunkohle, später zu Steinkohle.

Die meisten dieser immergrünen Bäume verschwanden allmählich, als das Klima tro-ckener wurde. Andere, neue Baumarten er-setzten sie. Baumfarne jedoch haben über-lebt, sie wachsen weltweit in den Tropen und Subtropen (z.B. Tasmanien und Neuseeland). Schachtelhalme und Bärlappe existieren heu-te hauptsächlich als niedrige Pflanzen, vor-zugsweise in feuchteren Gebieten, auch in Europa. In Südamerika gibt es jedoch noch Schachtelhalme (z.B. Equisetum giganteum), die bis zu 12 m hoch werden. Schaut man sich in Mitteleuropa zum Beispiel Schachtelhalme (Equisetum spp.) oder den Keulen-Bärlapp (Lycopodium clavatum) an und projiziert ihre Gestalt zu einem Baum-format, kann man eine vage Vorstellung vom Aussehen einstiger Schachtelhalm- und Sie-gelbäume gewinnen. Schachtelhalmbäume (Calamites)

Andere Namen: Kalamiten, Calamiten.Familie: Röhrenbaumgewächse (Calamitaceae).Gestalt: 10-20 m hoch. Krone nach oben verjüngend. Äste quirlartig um den Stamm angeordnet.Stamm: Durchmesser bis 1 m; zeigt waagerechte Seg-mentierungen und senkrechte, nebeneinander verlau-fende Rillen. Innen hohl.Blätter: Nadelförmig und schmal, bis 10 cm lang, teil-weise am Blattende v-förmig gegabelt, bis zu 25 quirlig um die Äste angeordnet.Sporen: Sporangien zu Zapfen gefasst, stammwärts gerichtet.Vermehrung auch vegetativ durch dicke, unterirdische, ebenfalls segmentierte Rhizome.Verbreitung: Vor ca. 320 bis 270 Mio. Jahren allge-mein verbreitet in feuchten und sumpfigen Gebieten (Fossilfunde Europa, Nord- und Ostasien, Nordame-rika).

Siegelbäume (Sigillaria)Andere Namen: ---Familie: Siegelbaumgewächse (Sigillariaceae).Gestalt: Bis 30 m hoch. Hoher, schlanker Stamm, ga-belte sich am oberen Ende und trug Blattschopf.Stamm: Meist siegelartige Struktur auf Stammober-fläche (= rundliche bis 6-eckige gepolsterte Blattnar-ben).Blätter: Bis 1 m lang, schmal.Blütenzapfen: Mit Stiel unmittelbar am oberen Stam-mabschnitt sitzend.Wurzeln: V-förmig gegabelt.Verbreitung: Sumpfgebiete. Bildete ausgedehnte Wäl-der vor 350 bis 250 Mio. Jahren.

Ein Baum vom Ende der Karbonzeit, der Ginkgo (Ginkgo biloba) – dessen Bestand in Fossilfunden belegt ist – hatte die Klimaver-änderungen in der Zeit danach überstanden und hielt sich in entlegenen Bergen Chinas. Bis in den letzten Jahrhunderten ein regel-rechtes Interesse an diesem Baum aus der Urzeit, mit seinen schönen fächerförmigen Blättern, für eine neue, weltweite Verbreitung sorgte – diesmal hauptsächlich als Zierbaum (s. S. 92-95).

1941 entdeckte man ein anderes lebendes Baumfossil, den Urwelt-Mammutbaum (Me-tasequoia glyptostroboides), der von Men-schenhand wieder verbreitet wird (s. Vorwort).

Urwelt-Mammutbaum (Metasequoia glyptostroboides)Andere Namen: Chinesisches Rotholz, Wassertanne, Dawn Redwood.Familie: Sumpfzypressengewächse (Taxodiaceae).Gestalt: Bis 30-35 m hoch, kegelförmig, oft mit breiter Stammbasis.Stamm: Bis 1-2 m Durchmesser; rotbraune Borke, längsrissig.Blätter: Blätter gegenseitig, flach und weich, hellgrün, 1-3,5 cm lang. Im Herbst bronzefarben.Blüte: Männliche Blüten in 5-10 cm langen, überhängen-den kätzchenartigen Ähren oder Rispen am Ende der vor-jährigen Langtriebe; kugelige, weibliche Zapfen grün.Zapfen: 5-8 Samenanlagen unter den mittleren Zap-fenschuppen.Verbreitung: Gern in Wassernähe. Ursprünglich in Zentralchina, mittlerweile in vielen gemäßigten Gebie-ten der Welt, durch den Menschen verbreitet.

1994, in einem Zeitalter, wo man die Welt für erkundet hielt, entdeckte ein kletterfreudiger Wanderer in einer abgelegenen Schlucht Aus-traliens einen kleinen Bestand an Wollemien (Wollemia nobilis). Die Wollemie ist ein Ver-wandter von Kauri und Araukarie, mit einer

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Rinde wie schokoladenüberzogene Weizen-pops und Ästen, die von weitem an grüne Flaschenputzer erinnern, dessen älteste gesi-cherte Spur auf 90 Mio. Jahre datiert war, der aber seit mind. 2 Mio. Jahren als ausgestor-ben galt ... Seit seiner Entdeckung wird dieses Relikt der Urzeit intensiv erforscht.

Wollemie (Wollemia nobilis)Andere Namen: Wollemi pine.Familie: Araukariengewächse (Araucariaceae).Gestalt: 25-40 m hoch, schmal, säulenförmig. Sei-tenzweige verzweigen nicht, sondern fallen nach Samenreife komplett ab. Neuer Zweig entsteht aus Ruheknospe am Stamm.Stamm: Borke der jungen Bäume mit rotbraunen Schuppen, bei älteren Bäumen dicht übersät mit schokoladefarbenen, warzenähnlichen Blasen. Holz-struktur und –beschaffenheit unbekannt (geschütztes Relikt).Blätter: Immergrün; flache, lineare Nadeln, 3-8 cm lang und 2-5 mm breit, optisch in 2-4 Reihen ange-ordnet. Endknospen im Winter von einer schützenden, wachsartigen, rosaweißlichen Kappe überzogen.Blüte: Männliche Zapfen schlank und konisch, 5- 11 cm lang und 1-2 cm breit. Weibliche Samenzap-fen 6-12 cm lang und 5-10 cm breit, grün; zerfallen bei Reife und geben Samen frei.Zapfen: Samen durchschnittlich 8 x 6 mm, rundum geflügelt.Vermehrung auch vegetativ durch Austrieb von Knos-pen an Stammbasis und Bildung von neuen Bäumen (daher oft mehrstämmig).Verbreitung: Natürliches Vorkommen (weniger als 100 Exemplare) nur in einem tiefen, abgelegenen und geheim gehaltenen Canyon ca. 250 km westlich von Sydney (Australien). Ansonsten in verschiedenen botanischen Gärten der Welt.

Dass Wissenschaftler so sichere Daten und Fakten über die Urzeitbäume liefern können, ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass die Bäume, Blätter und Rinde Abdrücke und Ver-steinerungen (sogenannte Fossilien) in Sedi-mentablagerungen hinterließen. Sogar ganze Stämme wurden in versteinerter Form gefun-den, insbesondere in den Steinkohlebecken Europas. Daher hat man eine relativ genaue Vorstellung vom Aussehen, Aufbau und der Funktion der prähistorischen Bäume gewin-nen können. Längst ausgestorbene Bäume haben botanische Namen erhalten und wer-den von den Wissenschaftlern in Kategorien eingeteilt, genauso wie lebende Bäume.

Mehr als 200 Millionen Jahre später, im so-genannten Tertiär, prägten dann ganz ande-

re Bäume – Nadelbäume – die Landschaft: Hochragende Mammutbäume und Sympfzy-pressen, unter deren Dach allmählich Laub-bäume erschienen, die wir kennen, wie Eiche, Ahorn, Platane, Magnolie oder Oleander ...

Schachtelhälmchen(Zaubermärchen aus Jakutien, Sibirien)

Ein schönes Zaubermärchen aus dem südli-chen Sibirien erzählt, wie eine alte, allein le-bende Frau in der Nähe ihrer Jurte am Weges-rand eine hübsche Schachtelhalmpflanze fand, von grüner Farbe und mit perfekt an-geordneten Quirlen. Sie grub die Pflanze vor-sichtig mit allen Wurzeln aus und legte sie auf ihr Kopfkissen. Da geschah ein Wunder: Die Pflanze erwachte zu einem schönen und tüch-tigen Mädchen, das der alten Frau den Haus-halt abnahm und ihr Gesellschaft leistete, Tag für Tag.Bald aber begegnete dem Mädchen Schach-telhälmchen der junge, gut aussehende und wohlhabende Charshit-Bergen. Der junge Mann vergaß seine Jagd und verliebte sich in das Mädchen. Auch Schachtelhälmchen war dem jungen Mann sehr zugetan. Alsbald wur-de die Hochzeit beschlossen. Auf der Reise zu dem Hochzeitsfest ließ sich Charshit-Bergen von einer eisgrauen Füchsin ablenken, er wollte ihr Fell im Hochzeitszelt auslegen. Er ließ seine Braut allein weiterziehen und jagte dem Tier hinterher. Die Füchsin entwich ihm, rannte zur allein gebliebenen jungen Frau und nahm dort ihre wahre Gestalt wieder an. Sie war nämlich eine Dschelbege, eine grässliche, graue Hexe, eine Teufelstocher, mit einem einzigen Auge und einer endlos herabhängenden Zunge. Sie wollte selbst mächtig werden und den reichen Charshit-Bergen zum Mann haben. Mit einer List sollte es ihr gelingen: Sie stahl Schachtel-hälmchens Gesicht. Den Körpers des Mäd-chens warf sie ihren grauen Hunden zum Fraß vor. Nur ein Finger rollte in den Bach neben-an und verwandelte sich im Wasser zu einem schachtelhalmgrünen Fisch. Die Teufelstocher indes ritt mit Schachtelhälmchens Gesicht an ihrer Stelle zur Hochzeit.

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Der grüne Fisch schwamm bis zu der Stelle, an der Charshit-Bergen seine Pferde immer tränkte und sprang hoch. Charshit-Bergen gefiel der Fisch, aber die als Schachtelhälm-chen verkleidete Dschelbege ließ ihn fischen und verspeiste alles Essbare. Die Gräten und den Kopf warf sie in das Feuer. Ein Hund stahl jedoch den Fischkopf, verscharrte ihn in der Erde. Am nächsten Morgen war an dieser Stel-le ein wunderschöner Schachtelhalmbaum aus der Erde gewachsen, mit schönen sattgrünen Zweigen, zu perfekten Quirlen angeordnet. Charshit-Bergen bewunderte den Baum, aber die Hexe ließ ihn sofort fällen und verbrennen. Nur einen Span konnte der Wind forttragen - weit weg bis in den Rauchabzug der Jurte der alten Frau.Schachtelhälmchen lebte von nun an als un-sichtbares Mädchen wieder bei der Großmut-ter. Ihre unsichtbaren Hände waren fleißig, sie putzten und räumten auf, und vor allen Din-gen knüpften sie eifrig mit bunten Fäden einen wunderbaren Teppich, in dem Schachtelhälm-chen die ganze Geschichte, die Verwand-lungen zum grünen Fisch und zum Schach-telhalmbaum erzählte. Als der Teppich ganz fertig geknüpft war, bat Schachtelhälmchen die alte Frau, ihn Charshit-Bergen persönlich zu überreichen, damit er ihn genau betrachte. Die alte Frau begab sich zur Jurte des ange-sehenen Jägers und reichte ihm den Teppich. Der junge Mann war zunächst von den vie-len Farben geblendet, erkannte dann aber die Muster und schließlich die Not seiner gelieb-ten, echten Schachtelhalmfrau. Er entdeckte die wahre Natur der Dschelbege. Zur Strafe ließ er sie an ein Pferd binden und durch die Steppe zu Tode schleifen. Durch den Tod der Dschelbege wurde Schachtelhälmchen erlöst und erhielt ihre Gestalt zurück. Endlich konn-ten sich die Liebenden in die Arme nehmen. Dann heirateten sie – man streute frisches grünes Gras auf ihren Weg - und wurden sehr glücklich.

Birgt dieses sibirische Märchen eine unbe-wusste Reminiszenz an längst verflossene Zeiten? Nein, vielmehr ist es vermutlich ein hochinteressanter Zufall, dass die Jakuten

dem Schachtelhalm im Märchen die Gestalt eines Baumes gaben, der längst ausgestorben ist und an den sich das Volksbewusstsein nicht erinnern kann.

Die einmalige, urtümliche Baumwelt Neuseelands

Vor ca. 150 Mio. Jahren spaltete sich Neu-seeland vom Urkontinent Gondwana und vor 80 Mio. Jahren von Australien ab und drifte-te immer weiter in den Ozean hinaus. Heute beträgt die Entfernung zur ostaustralischen Küste etwa 2000 km. Diese sehr lange Ab-geschiedenheit – kaum Kontakt zu anderen Lebewesen (Pflanzen und Tieren) – hat es trotz gelegentlicher tektonischer Aktivitäten und einiger Eiszeiten der Natur ermöglicht, sich ungestört weiterzuentwickeln und neue Erscheinungsformen hervorzubringen, die es sonst nirgendwo auf der Welt gibt. Zudem begünstigte die Nord-Süd-Ausdehnung – 1500 km vom subtropischen Norden bis zum gemäßigten Süden mit den ersten klimati-schen Einflüssen der Antarktis - die botani-sche Vielfalt.Erst vor ca. 1000 Jahren landeten die ersten Menschen auf dieser Inselgruppe. Zu jener Zeit war das Land zu 80 % mit Wald bedeckt. Die Maori, aus anderen Gebieten der Südsee angekommen, brachten den Brandrodungs-feldbau mit, d.h. sie brannten Waldflächen ab, um Felder zu gewinnen. Dennoch blieb der größte Teil des Waldes erhalten. Entspre-chend hatten die Maori einen geläufigen, selbstverständlichen Kontakt zu Bäumen. Dies spiegelt sich u.a. in ihrem Entstehungsmythos von Himmel, Erde und Natur eindeutig wider. Manche Bäume hatten einen heiligen Cha-rakter.Mit der Ankunft der europäischen Siedler vor 200 Jahren veränderte sich die Landschaft in relativ kurzer Zeit gravierend. Die Europäer brannten weite Flächen ab, um Weideflächen für die mitgebrachten Schafherden und Kühe zu schaffen. Die für den heutigen Betrachter so idyllisch wirkenden Wiesen mit grasendem

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ganze Land verteilt und dokumentieren zu-gleich die unterschiedlichsten Pflanzenformen in den verschiedenen Klimazonen. Nur 15 % der gesamten Landesfläche sind heute noch mit Wald bedeckt ...In diesen Wäldern und den Nationalparks kann man die einmaligen neuseeländischen Bäume treffen und bewundern. Es sind ver-schiedene Nadelbäume wie Totara oder Rimu und der gigantische, aber selten gewordene Kauri (s. S. 246-247), Laubbäume wie Pu-riri, Kowhai oder der prächtig rotblühende

Pohutukawa, außerdem Baumfarne. Viele dieser Bäume können als „Re-likte der Urzeit“ ange-sehen werden, als eine lebende Dokumentation dessen, was die Urzeit einst an Pflanzenuni-katen hervorgebracht hatte. Sie ermöglichen die Vorstellung einiger Urformen von Bäumen, die entstanden, als es den Menschen lange noch nicht gab.

Vieh sind also auf dem Boden abgebrannter Primärwälder entstanden. Bis auf den Cab-bage Tree erinnert kaum ein Baum auf den Wiesen an den einstigen Wald.

Dem Staat Neuseeland wurde jedoch die Einmaligkeit seiner Flora – bis zu 70 % der Gesamtflora sind endemisch, also nur hier anzutreffen – vor Jahren bewusst; er schaff-te zum Erhalt vieler typisch neuseeländischer Pflanzen- und Tierarten ausgedehnte Natio-nalparks und Reservate. Diese sind über das

Neuseeländischer Wald mit Baumfarnen. In der Mitte gut zu erkennen: Der Sil-ber-Baumfarn oder Ponga (Cyathea dealbata), Natio-nalpflanze Neuseelands.

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Zu diesen urzeitlichen Bäumen zählen die Podocarpaceae, wortwörtlich Fußfrucht-bäume (auch Steineiben genannt). Sie sind Koniferen, besitzen spiralig angeordnete Schuppen oder Nadeln, sind in den meisten Fällen zweihäusig. Auf den weiblichen Bäu-men entwickelt sich der steinfrucht- oder nussförmige Samen auf einem Stiel („Fuß“), der mit einem fleischigen, beerenähnlichen Samenschuppenrest (Epimatium) umhüllt ist. Dieser farben frohe Wulst lockt Vögel, die für die Verbreitung der Samen sorgen wer-den. Diese Koniferen verstecken ihre Samen also nicht unter den Schuppen von Zapfen, sondern präsentieren sie auf einem Podest, einem attraktiven Blickfang.

Der Totara ist ein solcher archaischer Nadel-baum, dessen Vorfahren bereits auf dem Kon-tinent Gondwana existierten. Er wächst in mil-den Gebieten bis ca. 600 m Höhe. Obgleich langsam wachsend, kann er 30 m Höhe und einen stattlichen Umfang erreichen, dabei sehr alt werden (bis 1000 Jahre). Seine ge-furchte Rinde löst sich in dicken Platten vom Stamm, die „Blätter“ bilden flache, ledrige, stumpfe Nadeln. Der Totara bringt sowohl kleine männliche Zapfen hervor als auch auf den weiblichen Bäumen die von Vögeln be-liebte fleischige, leuchtend rote, beerenähnli-che Verdickung, an deren Ende der längliche Samen aufsitzt. Das Holz ist rot, haltbar und sehr fäulnisresistent. Es wurde früher gern für Fußböden und Boote verwendet, später auch für Eisenbahnschwellen. Das Holz lässt sich außerdem gut schnitzen und bildet die Grundlage vieler Schnitzarbeiten der Maori. Auch große Einbäume wurden aus mächti-gen Totara-Stämmen gefertigt, die bis zu 100 Krieger tragen konnten.

Das gewaltige Erscheinungsbild des Totara war für die Maori ein Symbol der Stärke. Wenn sie einen Totara fällten, pflanzten sie an seiner Stelle einen Schössling, damit Tane, der Gott des Waldes, nicht zürnte, weil sie ihm eines seiner starken Kinder genommen hatten.

Totara (Podocarpus totara)Andere Namen: ---Familie: Steineibengewächse (Podocarpaceae).Gestalt: Bis 30 m hoch, mächtig, mit massivem Stamm. Krone anfangs buschig, im Erwachsenenalter offener.Stamm: Durchmesser bis 2 m; Rinde dick, faserig, oft gefurcht.Blätter: Immergrün, nadelförmig, ledrig und steif, 1,5-3 cm lang.Blüte: Strobili 2 cm lang, bis zu 4 in Büscheln; weibli-che Blüten einzeln.Samen: Nussförmige Samen, 3-5 mm lang, bei Rei-fe grün, auf orangerotem bis rotem fleischigem Wulst sitzend.Verbreitung: Neuseeland (Nord- und Südinsel).

Ebenso wie der Totara sind der Miro, der Ma-tai, der Kahikatea oder der Rimu archaische Nadelbäume.

Der Kahikatea kann eine Höhe von bis 60 m erreichen, dabei wächst er bevorzugt auf Sumpfland. Große Bestände an Kahika-tea gibt es leider nicht mehr, denn sein helles Holz wurde intensiv genutzt. Es lässt sich leicht bearbeiten, und da es praktisch geruchlos ist findet heute Kahikateaholz gern Verwendung als Butter- und Käsekisten.Vögel lieben die rotleuchtenden „Samenwüls-te“ des Kahikatea und schwärmten im Herbst weit aus, um die Bäume zu belagern. Die essbaren koroi wurden auch von den Maori gesammelt. 1841 zählte der Botaniker James Bidwill in einem einzigen Dorf etwa sechzig große Körbe, alle gefüllt mit diesen „schar-lachroten Früchten“. Obgleich das Sammeln mühselig und gefährlich ist (die Bäume müs-sen erklettert werden), bildeten diese koroi eine wesentliche Nahrungsquelle im Herbst.

Kahikatea (Dacrycarpus dacrydioides)Andere Namen: White pine.Familie: Steineibengewächse (Podocarpaceae).Gestalt: Höhe 55-60 m; überragt meist die Tiefland-wälder. Erst konische Form, später Äste nur im oberen Drittel.Stamm: Hoher, aufrechter Stamm; Durchmesser über 1 m; oft mit Brettwurzeln an der Basis; Rinde dunkel-grau.

Aus den Bäumen ihres Waldes schnitzten die Maoris gro-ße und kunstvolle Kriegskanus (Zeichnung von Sydney Parkinson, 1770).

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I.2. Die Begegnung der Bäume mit den Menschen

Manche Bäume haben den Menschen seit so langer Zeit begleitet, dass die Erwähnung ihres Namens fast automatisch an eine ur-alte Hochkultur erinnert. Die Zeder und der Olivenbaum sind solche geschichtsträchtige Pflanzen, deren Nutzen und Mythos nach Jahrtausenden weiterhin wirken. Beide Bäu-me können sehr alt werden und von dem wechselvollen Werdegang der Menschheit erzählen – genauso wie die uralte Sequoie (Mammutbaum). Ihre Entdeckung entlockte den amerikanischen Pionieren im 19. Jh. er-staunte Ausrufe - und zeigte neue Zeitdimen-sionen.

Und sie fällten Zedernwälder ...

Pollenanalysen haben gezeigt, dass die Zeder 5000 J. v. Chr. im Sudan wuchs – einem heu-te in seiner nördlichen Hälfte von Wüste und Steppen gekennzeichneten Land. Ägyptische Boote aus der Zeit von ca. 3500 J. v. Chr. wa-ren aus Zedernholz gefertigt. Der babylonische Mythos von Gilgamesch (ca. 3500 J. v. Chr. auf Tontafeln festgehalten) erzählt ebenfalls von einem großen Zedernwald. War Babylonien – auf dem Gebiet des heutigen Iraks – genauso wie vielleicht die Nähe des Nils einstmals von Zedern besiedelt, was die Menschen verges-sen hätten?Zedernbäume wurden jedenfalls in der Antike zahlreich gefällt, dies steht außer Frage. Am intensivsten fällten vermutlich die Phönizier den Baum. Phönizien bedeckte im Altertum das heutige Libanon, Teile Israels, Palästinas, der Türkei und Syriens. Die Phönizier waren erfahrene Seefahrer und geschickte Händler, die alle Küsten des Mittelmeeres kannten und mehrere bedeutende Städte wie Carthago (Tunesien) und Cadiz (Spanien) gründeten. In ihrem Land wuchsen die Zedern im Überfluss. Die Bäume lieferten dauerhaftes Bauholz, fäulnisresistentes Material für den Schiffbau, wohlriechendes Holz für heilige Tempel und

königliche Paläste. Als König Salomo in Jeru-salem einen würdigen Tempel zur Aufbewah-rung der Bundeslade erbauen wollte, bat er König Hyram aus Tyros um umfangreiche Lie-ferungen an Zedernholz. Die Bäume wurden auf den Hügeln des Libanon-Gebirges gefällt, die Stämme von den Hügeln zum Meer ge-bracht und auf dem Wasser der Küste entlang transportiert.Die Baumbestände schienen unerschöpflich, die Phönizier wurden durch den Handel mit Zedernholz reich. Verschiedene Steinreliefs der Antike (u.a. die assyrischen Reliefs aus Alabaster bzw. Kalkstein, die in Dur-Sharru-kin, im heutigen Irak, gefunden wurden) do-kumentieren den Transport der Baumstämme, das Flößen entlang der Meeresküsten sowie das Schleppen am Ankunftshafen. Sie zeugen von der enormen Bedeutung dieser Ware im antiken Handel. Die Zeder begründete die phönizische Macht, die sich besonders vom 15. bis 6. Jh. v. Chr. entfaltete.Später bemächtigten sich andere Reiche des phönizischen Gebietes, und Assyrer, Perser, Griechen und Römer plünderten die Wälder des Libanons weiter aus.In den ersten Jahrhunderten unserer Zeit-rechnung wurde ein deutlicher Rückgang der Zedernwälder spürbar. Neben dem Abholzen für große Bauprojekte und der Zahlung von Kriegstribut hatten der wachsende Bedarf an Brennholz und an Anbauland, das Weiden der Ziegen und Schafe und vermutlich eine leich-te Klimaveränderung für den stetigen Rück-gang gesorgt.Heute verfügt Libanon, das einstige „Zedern-land“, nur noch über ca. 20 km² Zedernwald! Die meisten Bäume sind alt, zwei davon sollen etwa 3000 Jahre alt sein (also Zeitgenossen SalomoS!), mehrere sind tausendjährig, die restlichen deutlich älter als 100 Jahre. Sie werden mittlerweile als heilige Bäume, als heilige Haine verehrt, als libanesischer Baum par excellence verstanden (die Zeder ziert die Staatsflagge) und mit Ehrfurcht umsorgt.

Bäume in frühen Kulturen

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Aber eine natürliche Regeneration findet nicht mehr statt. In diesen alten Wäldern wachsen heute keine jungen Bäume mehr... Die Zeiten des Fällens sind vorbei. Heute fin-det vielmehr ein Umdenken im Libanon statt: Lokale Vereine, aber auch Schüler wollen jun-ge Zedernsetzlinge pflanzen, sie versorgen und vor Fraßschäden durch Schafe schützen, damit der Symbolbaum Libanons nicht aus-stirbt, sondern sich wieder verbreitet.

Die Libanon-Zeder (Cedrus libani) wächst be-vorzugt im Gebirge zwischen 1200 und 2000 m Höhe, wo die Winter schneereich und kalt, und die Sommer heiß und trocken sind. Die Meeresnähe versorgt sie im Sommer durch aufsteigenden Nebel mit ausreichender Luft-feuchtigkeit. Außer im Libanon wächst diese Zeder noch in Teilen Syriens sowie hauptsäch-lich in der Türkei (Taurusgebirge).Die Atlas-Zeder (Cedrus atlantica) ist in ih-rem ursprünglichen Areal, dem Atlas-Gebir-ge, stark geschrumpft. Vielleicht haben lokale Klimaveränderungen, aber auch der Bedarf an Brennholz sowie die vom weidenden Vieh verursachten Schäden die Bestände in Marokko und Algerien zurückgehen lassen. Man pflanzt sie heute wieder bewusst an, so-wohl in ihrer Heimat wie auch in Südfrank-reich, um einst bewaldete und heute von Erosion gefährdete Gebirgsgegenden wieder aufzuforsten. Die blaunadelige Variante der Atlas-Zeder trifft man gelegentlich als Zier-baum in deutschen Gärten und Parks (die Libanon-Zeder allerdings viel weniger).

Zedern im heutigen Libanon.

Transport des Zedernholzes aus Libanon auf Wasserwe-gen (Basrelief aus Dur Sharrukin im ehemaligen Assyrien – Musée du Louvre, Paris).

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Zwei weitere Zedernarten existieren in der Welt: Eine eigenständige Art auf Zypern (Ce-drus brevifolia) sowie die Himalaya-Zeder (Cedrus deodara). Alle anderen Bäume, die diese Bezeichnung tragen, sind keine Zedern. Man nannte sie auf neuentdeckten Gebieten nach diesem Baum in Ermangelung einer eigenständigen Bezeichnung und weil diese fremden Bäume durch ihr Aussehen oder ih-ren Wohlgeruch an die Zeder erinnerten. Die nordamerikanischen White cedar, Red cedar und Yellow cedar sind Thuja- bzw. Wachol-der- oder Scheinzypressenarten, der südame-rikanische Cedro oder Cedrela („Zigarren-kistenholz“) gehört wiederum einer anderen botanischen Gattung an (Cedrela odorata, Meliaceae, ist ein Laubbaum).Wird aber allgemein die Zeder erwähnt, so kommt einem fast immer zuerst die legendä-re, oft erwähnte (in der Bibel mehr als sieb-zigmal!), mächtige und majestätische, die verehrte und fast mythische Libanon-Zeder in den Sinn. „Auf den Bergen stehen die Zedern mit ihren Schneeturbanen ...“ erzählt ein liba-nesischer Großvater ...

Libanon-Zeder (Cedrus libani)Andere Namen: Cedar of Lebanon, Cedro de Libano, Cèdre du Liban.Familie: Kieferngewächse (Pinaceae).Gestalt: 25-35 m hoch; Krone in der Jugend breit py-ramidenförmig, im Alter ausladend mit abgeflachtem Wipfel und fast waagerechten Ästen.Stamm: Durchmesser 1-2,5 m; Borke längsrissig, dunkelgrau.Blätter: Immergrün, spitze Nadeln, 1-3,5 cm lang; an Kurztrieben zu 20-35 zu Büscheln angeordnet.Blüten: Baum einhäusig. Männliche Zapfen blass-gelb, aufrecht, 4-6 cm lang, grob zylindrisch; weibli-che Blütenzapfen klein, grün bis rötlich.Samenstände: Längliche, geflügelte Samen, werden durch Zerfall der großen, ovoiden, 8-11 cm hohen und 4-6 cm breiten, leicht harzigen Zapfen freigesetzt.Verbreitung: Kleine Bestände im Libanon, außerdem in Syrien und im Taurusgebirge (Türkei).

Atlas-Zeder (Cedrus atlantica)Andere Namen: ---Familie: Kieferngewächse (Pinaceae).Gestalt: Bis 35-40 m hoch, in der Jugend kegelför-mig, im Alter ausladend, eher lichte Krone.Stamm: Durchmesser bis 4 m, Borke graubraun Blätter: Immergrün, Nadeln 1,5-2,5 cm lang, an Kurztrieben zu 20-40 zu Büscheln gefasst.Blüten: Baum einhäusig. Männliche Zapfen blass-gelb, aufrecht, 3-4 cm hoch; weibliche Blütenzapfen 1 cm klein, grün bis rötlich.

Samenstände: Geflügelte Samen unter den Schuppen des ovoiden, bauchigen, 5-7 cm hohen Zapfens.Verbreitung: Natürliches Vorkommen im Atlasgebirge (Marokko, Algerien). Aufforstung in Südfrankreich. Blaue Ziervariante („Blauzeder“, Cedrus atlantica `Glauca´) häufiger in Mitteleuropa vertreten.

Gilgamesh und Enkidu (babylonisches Epos)

Zum Schutz des Zedernwaldes am Götterberg hatte Enlil, der Herr der Erde, den schreckli-chen, den furchteinflößenden Huwawa ge-schaffen. Huwawa, das Ungeheuer, war der Hüter des Waldes und sein Name erfüllte alle Menschen mit Angst.Gilgamesh, der starke und mächtige König des ummauerten Uruk, sprach zu Enkidu, sei-nem Ebenbürtigen, von Götterhand aus Lehm geschaffen:„Mein Freund, lass uns gegen den kämpfen, dessen Namen alle Menschen in Uruk mit Schrecken erfüllt, gegen Huwawa.“Da entgegnete Enkidu: „Als ich in früheren Zeiten mit den Tieren jagte, habe ich den Ze-dernwald gesehen. Der Wald hat kein Ende, und die Wege, auf denen Huwawa geht, habe ich betrachtet. Huwawa ist schrecklich, seine Stimme ist wie eine Sturmflut, seine Augen schicken Feuer und sein Atem bringt Tod. Er hat sieben Unbesiegbarkeitsrüstungen. Mein Freund, der Kampf wäre ungleich.“„Enkidu mein Freund, der Tod erwartet mich auch im Palast, ich kann ihm nicht entrinnen. Soll ich in diesem Kampf fallen, wird man zu-mindest meinen Namen noch lange nennen und berichten: ,Gilgamesh hat mit Huwawa dem Schrecklichen gekämpft´. Mein Name wird noch lange im Mund des Volkes bleiben, er wird meinen Tod überdauern. Ich werde ge-gen Huwawa kämpfen.“„So werde ich an deiner Seite auch gegen Huwawa kämpfen“, entgegnete Enkidu, „und meinen Namen für die, die nach uns kommen, hinterlassen.“Sie riefen den Schmied und hießen die Hand-werker kräftige Äxte schmieden und starke Schwerter mit breiter Klinge schlagen.

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Die Ältesten der Stadt Uruk sprachen zu Gil-gamesh: „Gilgamesh, dein Vorhaben soll deinen Namen in die Ewigkeit einbringen. Doch bedenke, mächtiger König, Huwawa ist schrecklich, seine Augen schicken Feuer, sein Brüllen ist wie die Sturmflut und sein Atem bringt den Tod. Der unbändige Mut deines Herzen will dich zum Kampf führen. Es wäre ein sehr ungleicher Kampf, mit Huwawa zu ringen!“„Meine Entscheidung ist getroffen, ich will den Schrecken aus diesem Land bannen.“„So mögen dir die Götter beistehen.“Gilgamesh und Enkidu nahmen die kräftigen Äxte und die starken Schwerter und ritten zum Zedernwald. Die Entfernung von drei Wochen durchritten sie in drei Tagen. Dann erreichten sie den umfriedeten Zedernwald. Ein Wächter bewachte das Tor zum Eingang und verwehrte den Eintritt. Sie erschlugen den Wächter und betraten den großen Zedernwald.Der Wald nahm sie mit seiner Stille auf. Gil-gamesh und Enkidu blieben stehen und schau-ten zu den Bäumen hoch, zu den mächtigen, duftenden Bäumen, blickten in den kühlen Schatten unter dem Dach der Bäume und schwiegen. Sie sahen die Wege, auf denen Huwawa zu gehen pflegte.Enkidu sagte:„Huwawas Wald ängstigt mich. Mein Arm er-lahmt, die Kraft weicht aus meiner Hand, mei-nem Herzen wird bange ...“„So verzage nicht“, erwiderte Gilgamesh. „Halte dich an meinem Gewand fest und schöpfe Kraft aus mir.“Und sie schritten weiter unter dem Dach der hohen Zedern in den Wald hinein. Die Nacht breitete sich aus, bedeckte den Wald mit Dun-kelheit. Gilgamesh und Enkidu legten sich un-ter einem Baum schlafen, und der Schlaf, der Flügel der Nacht, überkam sie.In der Mitte der Nacht erwachte Gilgamesh plötzlich.„Enkidu“, sagte er, „hast du dies auch ge-träumt? Oder hat mich jemand berührt? Ist jemand mit Getose vorbeigekommen?“„Ich habe nichts vernommen“, antwortete Enkidu.„Ich hörte die Erde schreien, den Himmel to-sen, überall setzte sich die Dunkelheit fest, und

dann kam ein Feuer, ein Blitz, und es regnete den Tod. Dann erlosch die Flamme ...“„Dein Traum verheißt Gutes, mein Freund“, sagte Enkidu. „Wir werden den schrecklichen Huwawa besiegen.“Am nächsten Morgen griffen Gilgamesh und Enkidu zu den Äxten und setzten sie gegen die Stämme der Zedernbäume an. Hieb um Hieb schnitten sie eine tiefe Wunde in den Stamm, eine Zeder fiel, eine weitere Zeder fiel. Hu-wawa hörte das Gedröhne seiner mächtigen Bäume, die auf die Erde fielen.„Wer greift meinen Zedernwald an? Wer wagt es, meine Bäume umzuhauen?“ brüllte er, und seine Stimme erreichte Gilgamesh und Enkidu wie ein Windsturm.Mit mächtigen Schritten, dass die Erde erzit-terte, eilte er zu den Frevlern. Sein Anblick war schrecklich, er lähmte. Gilgamesh blieb wie angewurzelt stehen.„Schamasch, so du mir helfen willst“, erflehte Gilgamesh, „so helfe mir jetzt“.Und Schamasch, der Sonnengott, erhörte Gil-gameshs Bitte. Er schickte alle Winde zu sei-ner Verfügung: Den kalten Wind, den Wind aus dem Norden, den heißen Wind, den Wind aus dem Süden, den Gewitterwind und den Sturmwind. Alle sechs Winde griffen Huwawa an, von hinten, von vorne, wirbelten dicken Staub in die Augen, dass er nicht mehr sah, dass er sich weder nach vorne noch nach hin-ten bewegen konnte. Da schlugen Gilgamesh und Enkidu mit ihren Äxten auf in ein und er stürzte zu Boden.„Haltet ein“, bat Huwawa, „lasst mich am Le-ben. Der Zedernwald soll euch gehören; ihr mögt daraus machen, was ihr wollt, Häuser bauen, Paläste schmücken ...“„Höre nicht auf seine Worte, drängte Enkidu, sie sind verräterisch!“Und Gilgamesh hieb Huwawas Kopf vom Rumpf ab, dass ein Raunen durch den ganzen Zederwald lief.Dann kehrten sie zum ummauerten Uruk zu-rück. Die Menschen sprachen: „Gilgamesh und Enkidu haben Huwawa besiegt, sie haben den Zedernwald vom Ungeheuer Huwawa be-freit. Sie haben Großes vollbracht!“

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... vom unbekannten Persea-baum

Im alten Ägypten wurden verschiedene Bäu-me verehrt, vielleicht weil Bäume in dieser von Wüsten bestimmten Region (außer entlang des Nils) eher Seltenheitscharakter hatten. Man-che Bäume, wie Tamariske, Sykomore (Maul-beerfeige), Akazie oder Dumpalme waren Gottheiten geweiht. So auch der Perseabaum, der Baum der Göttin Isis, der mütterlichen und nährenden Göttin. Er tritt in altägyptischen Schriften manchmal als schewab auf (persea war die Bezeichnung der griechischen Schrift-steller); nach Ansicht mancher Quellen war er der ished-Baum. Der Perseabaum wuchs so-wohl in Sakralanlagen wie auch in vielen Pri-vatgärten. Im religiösen Umfeld spielte dieser Baum eine nicht unbedeutende Rolle. Da seine Früchte in der Zeit der Nilflut und so-mit zum Beginn des neuen Vegetationszyklus reiften, assoziierte man den Baum gern mit der Wiederbelebung der Natur nach der Trocken-heit. Im übertragenen Sinne symbolisierte er auch die Wiedergeburt nach dem Tod. Seine Früchte von gelber Farbe – der Farbe der Son-ne – symbolisierten ebenso den altägyptischen Glauben: Wie der strahlende Himmelskörper am Abend stirbt der Mensch, um nach der gro-ßen Reise wieder zu erwachen. Ein Perseabaum wuchs in der Umfriedung des Tempels des Sonnengottes Re; man glaubte, dass die „Große Katze“ von Heliopolis den heiligen Baum vor der böswilligen Schlange Apofis schütze. Mumien legte man Kränze aus Perseablättern um. Die Mumie des berühm-ten Pharaos TutancHamun trug eine kunstvolle Pflanzengirlande um den Hals, in die Persea-blätter eingearbeitet waren. Auch Perseafrüch-te gehörten häufig zu den Grabbeigaben. Seit dem Neuen Reich (ab 1550 v. Chr.) wurde die Perseafrucht außerdem auf Grabmalereien dargestellt, gelegentlich als dauerhafte Grab-beigabe in Fayence nachgebildet. In Deir-el-Bahari standen zwei Perseabäume in sorgfältig aufbereiteten Pflanzgruben am Aufgang zum Totentempel der Königin HatScHepSut (15. Jh. v. Chr.). Göttliche Schreiber schrieben außer-

dem auf die Perseablätter die Thronnamen und Regierungsjahre der Pharaonen. Die Form der Blätter ähnelt der der menschlichen Zunge. So nahm man an, dass sie aus dem Leben der Herrscher erzählen könnten ... Es ist belegt, dass aus dem Holz dieses Baumes neben kleineren Möbeln auch Götterstatuen geschnitzt wurden. Insbesondere ab der XVIII. Dynastie, d.h., ab dem 16.-15. Jh. v. Chr. wur-de dem Perseabaum ein heiliger Charakter zu-geschrieben.Doch – was ist ein Perseabaum? Der vielge-reiste griechische Arzt und durch Nutzung von Heilpflanzen zwangsläufig auch Botaniker di-oSkurideS hat eine genaue Beschreibung des altägyptischen Baumes hinterlassen. Zusam-men mit Informationen des griechischen Philo-sophen und Pflanzeninteressierten tHeopHraSt gibt dies ein relativ genaues Bild: Der Perse-abaum ist ein großer, schöner, schattenspen-dender Baum, dessen Höhe und Gestalt, aber auch die Fruchtform, die Blüte, die Blätter und die Zweige denen des Birnbaums ziemlich ähn-lich sind. Er bringt zahlreiche, essbare und gut verdauliche Früchte hervor. Die reife Frucht ist gelb, länglich wie die Mandel, mit einem Kern wie der der Pflaume, nur kleiner und weicher. Ihr Fleisch ist weich; es schmeckt zwar bitter, verliert die Bitterstoffe aber nach dem Überbrü-hen und nimmt einen angenehmen und süßli-chen Geschmack an. Unreife Früchte werden außerdem eingekocht. Zudem verwendete man den Baum zu Heilzwe-cken: Die trockenen, fein zerstoßenen Blätter sollen blutstillende Wirkung haben. Nach einer alten, in Hieroglyphen verfassten Papyrusrolle behandelte man im pharaonischen Ägypten auch Brandwunden mit dem getrockneten Baumsaft des Perseabaums.Als die große altägyptische Zivilisation der Pharaonen unterging, verlor der Baum allmäh-lich seine religiöse Bedeutung. Man nutzte ihn seiner Früchte – und vor allen Dingen seines Holzes – wegen sogar intensiver weiter. Im 4. Jh. n. Chr. wurde ein Befehl erlassen, dass Per-seabäume nicht mehr gefällt werden dürfen.Ägypten ist jedoch ein baumarmes Land und der Bedarf an Brennholz blieb bzw. stieg mit dem Bevölkerungszuwachs. Es ist außerdem

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anzunehmen, dass die Perseabäume als Obst-bäume eine intensive Pflege erforderten, die allmählich vernachlässigt wurde ... Der Be-stand an Perseabäumen schwand zusehends. Das letzte Perseabaum-Exemplar wurde von einem Ägyptologen im 17.Jh. gesichtet. Seitdem gilt der Baum in Ägypten als ausge-storben. Botaniker verliehen ihm den lateini-schen Fachnamen Mimusops shimperi. Lediglich zwei Exemplare wachsen heute im Garten des Ägyptischen Museums in Kairo. Der vielgereiste Botaniker, Forscher und Ägyp-tologieinteressierte Georg ScHweinfurtH hatte Ende des 19. Jahrhunderts den Perseabaum im Süden der arabischen Insel entdeckt, wo er heute noch wächst und stattliche Exemplare hervorbringt. Er hatte ihn an Hand der Blätter als den Baum identifiziert, von dem die Blätter der Mumiengirlanden stammten. Er brachte Samen und Setzlinge nach Ägypten zurück, damit eines Tages ausgewachsene Persea-bäume an die einstige Bedeutung des Bau-mes im alten Ägypten erinnern können.

Perseabaum (Mimusops schimperi)Andere Namen: Mimusops laurifolia, Mimusopsbaum.Familie: Sapotengewächse (Sapotaceae).Gestalt: 15-20 m hoch, Krone dicht und ausladend.Stamm: Kräftig und aufrecht. Rinde braun. Holz hell-braun.Blätter: Immergrün, oval-zugespitzt, etwa 6-8 cm lang.Blüten: Getrennt geschlechtig, cremeweiß, in Rispen stehendFrüchte: Ca. 4 cm lang, eiförmig-zugespitzt, gelbe Fruchthaut (Beere).Verbreitung: In der Antike entlang des Nils (Ägypten) kultiviert, heute dort ausgestorben. Außerdem noch im Süden der arabischen Halbinsel, in Äthiopien sowie Somalia.

Die beiden Brüder (altägyptisches Märchen)

Es waren einmal zwei Brüder. Der ältere hieß Anubis, er besaß ein Haus, Felder und eine Frau. Der jüngere, Bata, wohnte bei ihm und arbeitete für ihn wie für einen Vater. Eines Tages beschloss Bata aber, das Haus seines Bruders zu verlassen. Als die Erde wieder hell wurde und der neue Tag begann, sprach Bata zu seinem älteren Bruder:„Ich habe immer tüchtig für dich gearbeitet, nun aber verlasse ich dein Haus, deine Felder und dein Vieh. Zum Tal der Schirmpinien werde ich mich begeben. Was du eines Tages für mich machen kannst ist folgendes: Wenn du abends nach der Arbeit nach Hause kommst und dein Bier schäumt über, dann weißt du, dass mir etwas zugestoßen ist. Dann eile in das Tal der Schirmpinien und suche nach meinem Herzen. Ich werde nämlich mein Herz herausnehmen und es auf die Blüte der höchsten Schirmpinie legen. Wenn du dann mein Herz gefunden hast, lege es in eine Schale mit frischem Was-ser, und ich werde wieder erwachen.“Nach diesen Worten nahm Bata seine Sandalen und einen Stock, verließ das Haus seines Bru-ders und wanderte bis ins Tal der Schirmpinien. Dort nahm er das Herz aus seiner Brust und legte es auf die Blüte der höchsten Schirmpinie. Tagsüber jagte er das Wild der Wüste, nachts schlief er unter der Schirmpinie.So verging die Zeit, der Nil überschwemmte die Felder und zog sich zurück. Allmählich sehnte sich Bata nach einer Frau und er baute in der Nähe der Schirmpinie ein Haus.Re-Harachte, der Sonnengott, fand Gefallen an Batas Tüchtigkeit. So sprach er zu Chnum, dem Schöpfergott: „So erschaffe ihm doch eine schöne Frau.“ Und Chnum formte für Bata eine schöne Frau, deren Schönheit die jeder ir-dischen Frau übertraf. Bata war sehr glücklich, diese Frau zu bekommen und liebte sie sehr. Er vertraute ihr manch eine Sache an und erzählte ihr sein Geheimnis, dass sein Herz auf der Blüte der höchsten Schirmpinie lag. Tagsüber jagte Bata in der Wüste, die Frau ging aber oft in der Nähe des Hauses spazieren.

Die Große Katze kämpft mit der Schlange Apofis vor ei-nem Perseabaum (Wandmalerei im Grab des Sennedjem, Deir-el-Medineh, Ägypten).

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Eines Tages rollten die Wellen des Flusses bis zu ihren Füßen, eine Schirmpinie hielt eine Haarlocke der Frau fest und ließ sie dann in den Fluss fallen. Die Wogen trugen die Haar-locke fort, bis zum Waschplatz am Palast des Pharaos. Der Duft der Haarlocke geriet in die Kleidung des Pharaos, die man soeben im Fluss wusch. Also meldete der Wasch-meister den besonderen Vorfall dem Pharao persönlich. Seine Majestät war von dem au-ßerordentlich lieblichen Duft der Haarlocke sehr angetan. Man ließ die Schreiber und die Gelehrten kommen. „Dieser Duft stammt von einer Tochter Re-Harachtes. Sie lebt im Tal der Schirmpinien“, fanden die Gelehrten heraus.Der Pharao schickte Soldaten zum Tal der Schirmpinien, und mit ihnen mehrere Frauen, die schöne Kleider und Schmuck mit sich führ-ten, um die Frau zu locken. Sie kamen in der Mitte des Tages an, als Bata wie üblich auf der Jagd war. Seiner Frau gefielen die kost-baren Stoffe und der erlesene Schmuck sehr. Wie schöner und unterhaltsamer könnte sie im Palast des Pharaos leben als in der schmucklo-sen, armen Hütte Batas. Bereitwillig folgte sie den Soldaten.Der Pharao empfing die Frau gleich nach der Ankunft. In der Tat, ihre Schönheit machte sie eines Pharaos würdig. Er bot ihr die Stellung seiner Lieblingsfrau an.„Ich habe einen Mann, Bata, einen Bauer und Jäger, den ich nicht ausgesucht habe. Sein Herz bewahrt er auf der höchsten Schirmpinie des Tals auf. Wird die Schirmpinie gefällt, so stirbt er...“ verriet die Frau.Sofort ließ der Pharao einige Soldaten mit Äx-ten in das Tal der Schirmpinie schicken, damit sie unverzüglich den höchsten Baum fällten.Im Augenblick, in dem die Schirmpinie zu Boden stürzte, fiel Bata tot um. Am gleichen Abend, da Anubis, sein Bruder, von der Feld-arbeit nach Hause kam, schäumte sein Bier kräftig über. Da wusste Anubis, dass seinem Bruder etwas zugestoßen war. Sofort verließ er sein Haus und wanderte in das Tal der Schirm-pinien. Er fand Bata auf dem Bett liegen. Anubis suchte nun, wie Bata ihn einst ange-wiesen hatte, das Herz. Überall suchte er auf der Erde, lange, Tage und Wochen suchte er,

vergebens. An dem Tag, an dem er verzwei-felt aufgeben wollte, durchsuchte er ein letztes Mal die Erde. Da fand er eine trockene Frucht, das war Batas Herz. Anubis brachte das Herz in die Hütte, legte es in eine Schale und ließ es das frische Wasser aufsaugen. In der Nacht zitterte Batas Körper; er öffnete die Augen. Anubis gab ihm die Schale mit frischem Was-ser und Bata trank das Wasser und schluckte sein Herz hinunter. Das Herz gelangte wieder an die richtige Stelle.Als die Erde wieder hell wurde und ein neuer Tag begann, verwandelte sich Bata in einen prächtigen, farbenfrohen Stier. Anubis setzte sich auf das Tier und ritt zum Palast des Pha-raos. Man meldete seiner Majestät, ein Bauer wolle ihm einen überaus prächtigen Stier ver-kaufen. Der Pharao begutachtete den Stier, hatte seine Freude an dem Tier und kaufte ihn gegen Gold von Anubis. Von da an hielt sich Bata als Stier im Hof des Palastes auf.Nach einigen Tagen kam er in die Nähe der Lieblingsfrau der Pharaos, seiner einstigen Frau: „Du bist eine Verräterin. Ich habe dir mein Geheimnis anvertraut, dafür hast du mich töten lassen. Ich bin aber immer noch Bata, und lebe als Stier weiter.“Furcht erfasste die Frau und sie sann, wie sie Bata loswerden könnte. Zum Pharao war sie so liebenswürdig, süß und schmeichelnd, dass er ihr keine inbrünstige Bitte abschlagen konn-te.„Ich zehre mich danach, von der Leber dieses Stiers zu essen. Sicher ist diese Leber köstlich!“Der Pharao befahl also, für seine Lieblings-frau seinen Lieblingsstier schlachten zu lassen. Als der Stier auf den Schultern der Träger lag, schüttelte er noch einmal kräftig seinen Na-cken und zwei Bluttropfen fielen zu Boden, je einer links und rechts des großen Palastein-ganges. Über Nacht wuchsen an dieser Stelle zwei große Perseabäume, beide überragend.„Über Nacht sind zwei wunderschöne Persea-bäume aus dem Boden gewachsen, zur Ehre seiner Majestät. Diese Perseabäume sind sei-ner Majestät würdig“, meldete man dem Pha-rao.Der Pharao ließ sich und seine Lieblingsfrau zum Eingang bringen. Wahrhaftig prächtige

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Bäume waren gewachsen; der Pharao setzte sich unter einen Perseabaum, die Frau unter den anderen. Da flüsterte der Perseabaum zur Frau: „Ich bin Bata und lebe immer noch. Als Perseabaum lebe ich weiter, dir Verräterin zum Trotz!“Der Frau wurde bange.„Diese Bäume sind nur wertvoll, wenn man daraus schöne Möbel zimmert“, sprach sie zum Pharao.Der Pharao hörte auf ihre Stimme und ließ sofort erfahrene Handwerker kommen. Man fällte beide Perseabäume und verarbeitete sie zu Möbeln. Die Frau schaute den Schreinern zu. Bei ihrer Arbeit flog aber ein Holzsplitter in ihren offenen Mund und sie wurde augen-blicklich schwanger.Nach neun Monaten gebar sie einen Jungen, den der Pharao als seinen Lieblingssohn aner-kannte. Und so wurde Bata, als Sohn des Pha-raos wiedergeboren, viele Jahre später, nach dem Tod seiner Majestät, selbst zum Pharao. Er erzählte dem Gericht von dem wiederholten Verrat seiner einstigen Frau und Scheinmutter. Das Gericht verhängte das Todesurteil über die Frau.Da holte Bata seinen Bruder Anubis als Erb-prinzen in den Palast. Dieser regierte das Land nach Batas Heimgang, viele Jahre später.

Die Tamariske in der Wüste

Die Tamariske, als typische Pflanze der Wüs-tenregionen, kommt in einem breiten Gebiet von Nordafrika bis Mittelorient vor. Die meis-ten Tamarisken sind reichverzweigte Sträu-cher, die Art Tamarix aphylla allerdings ist ein Baum, der eine Höhe von 10 m, im Einzelfall von bis zu 15 m erreicht. Gemeinsam ist den meisten Arten, dass ihre Blätter zu Schuppen reduziert sind und sich an die Zweige schmie-gen. Somit vermindert die Pflanze die Wasser-verdunstung in der heißen, trockenen Wüste. Das Wurzelsystem ist stark entwickelt, einzelne Wurzeln reichen bis 20 m in die Tiefe und 50 m in die Breite. So kann die Tamariske besser verfügbares Wasser sammeln, bestenfalls gar in der Tiefe eine Wasserader erreichen.

Tamarisken werden in der Bibel, insbesondere im Alten Testament, mehrmals erwähnt. Unter anderem heißt es, dass aBraHam mit aBimelecH in Beerscheba einen Vertrag schloss und dass er anschließend dort eine Tamariske pflanzte und Gott den Ewigen anrief (Genesis XXI).Bereits vor Jahrtausenden schätzten die No-madenvölker, von denen das Alte Testament berichtet, und die mit ihren Herden durch die Wüste zogen, den wohltuenden Schatten der Tamarisken bei ihrer Rast. Die weichen, zar-ten und leicht salzigen Zweige dienten den Tieren als Futter.Eine Besonderheit der Tamariskengattung ist das Salzexudat. Die Pflanze besitzt nämlich die besondere Eigenschaft, über spezielle Drüsen Salz abzusondern. Sofern man mit der Hand über die Zweige streift wird die Haut mit einer zähflüssigen, glänzenden Salzflüssigkeit be-deckt. Durch den reflektierenden Effekt dieser Salzschicht schützt sich die Tamariske vor den heißen Sonnenstrahlen und behält länger die Kühle der Nacht. Dieses Salzexudat lässt sich auch als Kochsalz verwenden.

Blühende Ziertamariske; die schmalen Schuppenblätter sind noch kaum zu erkennen.

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mit einem speziellen Messer jeden zweiten Tag in den frühen Morgenstunden durchgeführt, wenn der Milchsaft am ergiebigsten ist. Jeder Schnitt wird jeweils 1,5 mm unterhalb des vorigen Schnittes angebracht. Somit entsteht auf einer Stammhälfte ein halbes „Fischgrä-tenmuster“. Der Milchsaft tritt aus der frisch geschnittenen Stelle, läuft zum tiefsten Punkt und tropft über eine Abflussrinne in einen da-runter am Stamm befestigten Becher. Diese Schnitte werden von oben nach unten durch-geführt, immer nur auf der gleichen Stamm-hälfte, damit die Versorgung des Baumes mit Wasser und Nährstoffen über die andere Rindenhälfte erhalten bleibt. Ist man unten angekommen (nach ca. 8 Jahren), wird die andere Baumhälfte herangezogen, während die erste Hälfte sich nun regenerieren kann und nach 8 Jahren wieder produktiv ist.Und was passiert, wenn dieser Baum nach ca. 30 Jahren ausgedient hat und seine Rinde nicht mehr ausreichend Latex liefert? Früher brannte man gleichaltrige Plantagebäume einfach ab. Heute wird nicht mehr so radikal vernichtet. Kautschukholz ist nämlich ein wit-terungsbeständiges, hartes Holz; aus ihm las-sen sich robuste Gartenmöbel, Türen, Parkett herstellen.So kam der Kautschuk vom Urwald in Autorei-fen, mit denen die Fahrer über die Autobahn rasen und den Urwald vergessen haben ...

Kautschukbaum (Hevea brasiliensis)Andere Namen: Gummibaum.Familie: Wolfsmilchgewächse (Euphorbiaceae).Gestalt: 20-30 m hoher Baum; schlanke Krone.Stamm: Durchmesser ca. 35 cm; Rinde graubraun, führt Milchsaft.Blätter: Dreiteilig gefingert; Blättchen elliptisch zuge-spitzt, 7-20 cm lang, jedes Jahr Blätter neu gebildet.Blüten: Kleine, weißlichgelbe Blüten in Rispen am Zweigende, 1 cm lang; Bestäubung durch Wind.Früchte: Breite braune Kapseln mit drei Fächern, springen bei Reife mit lautem Knall auf; Samen 2- 2,5 cm lang.Verbreitung: Heimisch in den Flusswäldern des Ama-zonas (Brasilien). Anbau heute hauptsächlich in Südostasien (Malaysia, Indonesien), außerdem teilw. Westafrika und Südamerika.

Der ErbeergeschmackbaumEin namenloser Baum aus fernen Gefilden hat ganz unauffällig unsere modernen Ess-gewohnheiten beeinflusst. Die Lebensmittel-industrie liefert uns eine Vielzahl von Nah-rungsmitteln mit appetitlichem Aussehen und gleichbleibendem Geschmack, darunter auch vielfach Fruchtjoghurts, die sich im Kühl-schrank lange halten. Zu den beliebtesten Sorten gehört der Erdbeerjoghurt. Doch wer macht sich schon Gedanken darüber, dass Ge-schmack und Duft der Erdbeeren sich schnell verflüchtigen? Erdbeerpüree aus echten Gar-tenerdbeeren schmeckt nach nur zwei Tagen nicht mehr. Wieso schmeckt also der Joghurt zwei Wochen nach dem Kauf im Supermarkt immer noch lecker nach Erdbeeren?Was die Lebensmittelindustrie lieber ver-schweigt ist, dass im Erdbeerjoghurt meistens keine (oder nur teilweise) echten Erdbeeren zu finden sind, sondern dass der Geschmack das Ergebnis eines ausgeklügelten Rezeptes ist. Bekannt ist, dass der Erdbeergeschmack durch Aufkochen von Wasser, Alkohol, eini-ger anderer Zutaten - und von Sägespänen eines australischen Baumes entsteht... Dieses „natürliche Aroma“ verwendet die Lebensmit-telindustrie, um viel Natur vorzugaukeln. Laut Gesetz sind solche Aromen zwar „natürlich“, denn sie stammen z.T. von einem echten Naturprodukt ab – in diesem Fall von jenem australischen Baum – aber eben nicht von der Erdbeere.Die Geheimhaltung der Identität des Baumes zwingt den Interessierten zu Spekulationen über dessen Namen. Fest steht zumindest, dass der im Deutschen „Erdbeerbaum“ ge-nannte Baum (Arbutus unedo) das Erdbeera-roma nicht liefern kann. Dieser immergrüne Baum hat kugelige rote Früchte und gedeiht entlang des Atlantiks, noch viel mehr aber im Mittelmeerraum, vorzugsweise in Macchien. Seinen deutschen Namen hat der Baum nur dem Aussehen seiner Früchte zu verdanken, in Frankreich zum Beispiel nennt man ihn „ar-bousier“, was nichts mit „fraise“ (Erdbeere) gemeinsam hat. Die Frucht des Erdbeerbau-mes ist zwar essbar, schmeckt aber sehr fade.

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Man kann vermuten, welcher Baum die ent-scheidende Grundsubstanz für das Erdbeera-roma der Lebensmittelindustrie liefert. Bereits die Aborigenes verwendeten die Blätter des Eucalyptus olida als Gewürz für ihre Speisen. Australische Köche und Hausfrauen haben für ihre „Busch-Küche“ diese und viele weitere Zutaten aus der einheimischen Natur wieder-entdeckt, dessen Genuss den Ureinwohnern längst vertraut war. Die Blätter des Eucalyp-tus olida werden als „olida“ oder „forestberry herb“ angeboten, sie dienen hauptsächlich als Geschmacksverstärker für Marmeladen und Soßen, und offenbaren einen Erdbeer- sowie einen leichten Zimtgeschmack. Die dampfde-stillierten Blätter dieses Baumes liefern in der Tat ein ätherisches Öl (Methyl-Cinnamate), das in der Kosmetik und der Geschmacksge-bung Verwendung findet, und das auch in der echten Erdbeere vorkommt. Dieses Öl wurde in den 1980-er Jahren von einem australi-schen Wissenschaftler entdeckt. Der Name dieses Baumes in Australien lautet „strawber-ry gum“, also buchstäblich „Erdbeereukalyp-tus“. Liefern also die Sägespäne dieses Bau-mes das weithin eingesetzte Erdbeeraroma? Denkbar wäre dies, denn oft finden sich die ätherischen Öle eines Teils des Baumes (z.B. Blätter) auch an anderer Stelle des gleichen Baumes (z.B. Holz oder Rinde) wieder. Oder die Erwähnung von Sägespänen durch den Angestellten jener Lebensmittelindustrie sollte in die Irre führen, da ohnehin das ätherische Öl aus den Blättern verwendet wird...Was ist überhaupt über den Erdbeereuka-lyptus bekannt? Dieser Baum ist etwa 20 m hoch, trägt weiße Blüten und ganzjährig Früchte. Er kommt in einem recht begrenzten Areal des australischen Staates New South Wales vor und bevorzugt trockenen, eher un-fruchtbaren Boden, gern in höheren Lagen. Aufgrund seines begrenzten Vorkommens in der Natur ist der Baum in die Liste der ge-fährdeten Arten aufgenommen worden. Die Nachfrage nach seinen ätherischen Ölen ist dem australischen Staat durchaus bekannt, das australische Parlament räumt dem Baum sogar einen „beträchtlichen Handelswert auf-grund der flüchtigen Öle“ ein. Deshalb wird

Eucalyptus olida mittlerweile in Plantagen an-gebaut. Dass im teils bewaldeten New South Wales zudem zahlreiche Sägewerke ansässig sind, erhärtet die Hypothese, dass gerade die Sägespäne des Erdbeereukalyptus das mo-derne Erdbeeraroma liefern könnten.Die Aromafabriken lassen zuweilen aus den Schloten ihrer Werke Erdbeerluft entweichen, dass es in der ganzen Umgebung nach Erd-beerjoghurt oder Erdbeerkaugummi riecht, wie zum Beispiel im deutschen Holzminden oder im chilenischen Cerillos, einem Vorort von Santiago. Dieses Aroma wird weltweit verkauft und den Joghurts, Nachspeisen, Eis-crems, Zahnpastas, Kosmetikprodukten usw. zugefügt. Gerade wenn sich auf Joghurts in der Zutatenliste dezent versteckt der Hinweis „natürliches Aroma“ findet, ist davon auszu-gehen, dass hier die Holzspäne eines australi-schen Baumes ihre Wirkung entfalten – ohne dass der Verbraucher es ahnt.So hat ein Baum unbemerkt die Verbraucher-gewohnheiten beeinflusst. Ohne diesen Baum gäbe es viel weniger Erdbeerspeisen. Die Jah-resproduktion Deutschlands an Erdbeeren von ca. 53.000 t. würde den Bedarf an ferti-gen Erdbeerspeisen keinesfalls decken. In den „erdbeergeschmackliebenden“ USA reicht die heimische Ernte noch nicht einmal um 5-10 % der Erdbeerprodukte abzudecken.

„Erdbeereukalyptus“ (Eucalyptus olida)Andere Namen: Strawberry gum; als Gewürz unter „Olida“ und „Forestberry herb“ im lokalen Handel.Familie: Myrtengewächse (Myrtaceae).Gestalt: Mittelgroß, bis 20 m Höhe.Stamm: Rinde bei erwachsenen Bäumen faserig.Blätter: Junge Blätter oval und mattgrün, bis 7 cm lang; erwachsene Blätter lanzettlich, glänzend grün, bis 16 cm. Stark aromatisch; enthalten größere Men-ge ätherischen Öls.Blüten: Cremefarben.Früchte: Kleine holzige Kapseln.Verbreitung: Nur in den Hochlandgebieten von New South Wales (Östl. Australien). Gilt als gefährdet; wird wegen seines ätherischen Öls und der Gewürz-qualitäten angebaut.

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in dieser öden Landschaft, verstand die ge-seufzten Schmerzensschreie, das tränenreiche Wimmern und öffnete die Rinde. Ein wunder-barer Knabe kam heraus.Er war so schön, wuchs so prächtig, wirkte so anziehend, dass sehr bald Aphrodite, die Göttin der Liebe, ihren rechtmäßigen Liebha-ber vernachlässigte, um den wunderschönen Adonis in die Kunst, die Geheimnisse, die Bin-dungen der Liebe einzuführen. Adonis hatte zur Mutter einen fast stummen Baum und nie-manden als Vater. Wer hätte ihn unterweisen können, von Mäßigkeit erzählen, Grenzen zei-gen? Adonis gab sich ganz der Liebe zur wun-derschönen Aphrodite hin, war er noch nicht mal halb erwachsen. Der Göttin Aphrodite ge-fiel ihr jugendlicher Liebhaber, der ihre Diens-te, ihre Kunst so leidenschaftlich pflegte.Aber nicht allen gefiel dieser so hübsche, aus einem Baum mit verruchter Vergangenheit geborene Jüngling. Trotz Aphrodites Warnun-gen achtete der liebestrunkene Adonis nicht auf den Wildeber. Das mächtige Tier rannte eines Tages wie aus dem Nichts auf ihn zu, durchbohrte ihn mit seinen Hauern. Adonis verblutete und verwandelte sich in ein rotes Adonisröschen.

Der teuerste Duft der Welt stammt vom Adlerholzbaum

In der Bibel kommt der Begriff „Aloe“ mehr-mals vor, besonders im Alten Testament, so zum Beispiel im Psalm 45 (Ein Lied zur Hoch-zeit des Königs), Vers 9:Von Myrrhe, Aloe und Kassia duften all deine Gewänder.OderIch habe mein Lager besprengt mit Myrrhe, Aloe und Zimt.Komm, wir wollen bis zum Morgen in Liebe schwelgen,wir wollen die Liebeslust kosten.(Sprichwörter 7, 17-18)

Im kaum prüden Hohelied heißt es:Wer ist sie, die aus der Steppe heraufsteigtIn Säulen von Rauch,umwölkt von Myrrhe und Weihrauch, von allen Wohlgerüchen der Händler. (3, 6)ferner:Ein Lustgarten sproßt aus dir ...... Krokus, Gewürzrohr und Zimt,alle Weihrauchbäume, Myrrhe und Aloe,allerbester Balsam. (4, 13-14)In einem anderen Zusammenhang taucht die Pflanzenbezeichnung „Aloe“ im Neuen Testa-ment auf:Es kam auch Nikodemus, der früher einmal Jesus bei Nacht aufgesucht hatte. Er brach-te eine Mischung aus Myrrhe und Aloe, etwa hundert Pfund. Sie nahmen den Leichnam Jesu und umwickelten ihn mit Leinenbinden, zusammen mit den wohlriechenden Salben, wie es beim jüdischen Begräbnis Sitte ist. (Joh. 19, 39-40)

Es ist durchaus denkbar, dass bei der Bestat-tung Jesu Christi nach seinem Tod am Kreuz tatsächlich Extrakte der wahren Aloe-Pflanze, einer Sukkulente, als Duftstoff für die Einbal-samierung verwendet wurden. Auch im alten Ägypten war die Verwendung des aus der Aloe vera gewonnenen Öls weit verbreitet.Bei den anderen Texten hingegen sind sich Bibeldeuter und Botaniker weitgehend einig, dass hier vielmehr ein alter Übersetzungsfehler vorliegt und die Rede vom Aloeholzbaum ist, einem Baum aus Asien, dessen duftendes Holz bereits in der Antike hoch begehrt war. Heute spricht man eher vom Adlerholzbaum.Bereits 3700 Jahre alte ägyptische Urkunden belegen, dass „Aloeholz“, zusammen mit wei-teren kostbaren Substanzen, auf dem Seeweg über das Rote Meer bezogen wurden. Dieser Duftstoff wurde unter anderem zur Einbal-samierung der Pharaonen verwendet. Aber auch als Räucherwerk schätzte man ihn hoch. Er war bereits in der Antike sehr wertvoll und eines der kostbarsten Geschenke. Der Duft von Adlerholz gilt sowohl als anregend, aph-rodisierend wie auch, im religiösen Zusam-menhang, als erlesenes Mittel zur Förderung der Meditation.

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Im arabischen Raum wird dieses „Oud“ ge-nannte Räucherholz in Größe von Splittern zuweilen auf dem Markt angeboten. Über den aufsteigenden Rauch des Rauchgefäßes stellen sich nicht selten Frauen, um so Körper und Kleidung zu parfümieren und ihre sinn-liche Attraktivität zu steigern. Auch Männer parfümieren sich gelegentlich den Bart mit „Oud“.Im japanischen Raum hingegen wird Ad-lerholz (dort „Jinkoh“ genannt = sinkendes Holz, sinkender Weihrauch) für Meditations-zeremonien begehrt. Je nach Art und Qualität entwickelt das Räucherholz – von der Größe eines halben Reiskorns nur – eine halbe Stun-de lang Duftnoten, die von balsamisch-süß über waldig bis würzig-bitter reichen. Es gilt, die verschiedenen Duftnuancen wahrzuneh-men, und durch diese Achtsamkeit eine inne-re Vervollkommnung zu erlangen.Die mystischen Sufis des Orients ihrerseits betrachten „Oud“ als Mittel, das die Seele zu den höchsten Entwicklungsstufen begleiten kann.Als Parfümgrundstoff wird Adlerholz in Indi-en häufiger mit Sandelholz kombiniert, dieses Duftgemisch dient zur Herstellung von im Ori-ent sehr beliebten Parfüms mit geheimnisvol-ler Note.

Überhaupt hat Adlerholz im indischen Kul-turraum – unabhängig von den religiösen Strömungen - eine lange Tradition. Bereits im 3. Jh. v. Chr. erwähnt der Brahmane cHanakya (gestorben 293 v. Chr.), von Beruf Minister und kaiserlicher Berater, in seinem politischen Lehrbuch Arthashastra das Adlerholz. Eben-so nennt es der lyrische Dichter kalidaSa (4.- 5. Jh. n. Chr.) in seinem in Sanskrit verfassten dramatischen Schauspiel Shakuntala. Der chi-nesische buddhistische Pilger Hiuen-tSang, der im 7. Jahrhundert Teile Indiens bereiste und seine Beobachtungen in einem Reisetage-buch festhielt, berichtete vom Adlerholz. Das moslemische Werk Sahi al-Bukhari wiederum, das Aussagen des Propheten enthält, bezeich-net es als „Weihrauch des Paradieses“.Im ostindischen Assam, in dem der Baum wächst, schätzten die Herrscher des einst un-abhängigen Staates den erlesenen Stoff. Die ersten historischen Chroniken in Sans-kritsprache (652 n. J.C.) halten fest, dass BHaSkaravarman, König von Assam, seinem Verbündeten HarScHa, König im Norden In-diens, viele wertvolle Geschenke überreichen ließ. Darunter waren eine große Menge an feinem „Papier“ aus Adlerholzrinde sowie Adlerholzöl in beträchtlicher Menge. Einige Jahrhunderte später besiegten der als heilig

Splitter von angebautem Adlerholz (Fotos: Robert A. Blanchette, Uni-versity of Minnesota).

Ein ausgewachsener Adlerholz-baum in Vietnam.

Bei Befall durch einen bestimmten Pilz re-agiert der Adlerholzbaum mit einer stark ver-mehrten Harzproduktion, die den Kern des Stamms allmählich durchtränkt. Dabei wird das infizierte Holz immer dunkler und wertvol-ler und wird zum begehrtesten Duftlieferanten der Welt - hier Stammquerschnitt.

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geltende, moslemische Fakir Shah Jalal und seine Verbündeten den letzten (Hindu-)König Raja gaur govinda 1348 in Sylhet (heute Ban-gladesch). Im königlichen Speicher entdeck-ten sie, neben vielen weiteren Kostbarkeiten, auch Adlerholz und Adlerholzöl. Offensicht-lich beherrschten die Inder bereits seit vielen Jahrhunderten die Kunst der Holzdestillation. Die 1590 verfassten Memoiren von akBar dem Großen berichten eingehend darüber. akBar war einer der bedeutendsten Herrscher der mächtigen Moghul-Dynastie, die von 1526 bis 1858 über weite Teile des indischen Subkontinents herrschte. Ihre Hauptstädte mit den heute noch prachtvollen Palästen im Rajasthan zeugen vom Prunkt dieser Dynas-tie. In diesen Memoiren ließ der Herrscher das Adlerholz, das Verfahren zur Herstellung des edlen Öls sowie die Anwendung desselben ausführlich schildern. Es wird vermutet, dass das Vorkommen von Adlerholzbäumen im viel östlicher gelegenen Assam ein wesentlicher Bewegungsgrund für die Moghule war, dieses Land zu erobern und in ihr Reich einzuglie-dern.In Europa hingegen ist Adlerholz nur wenig bekannt. Der heiligen Hildegard von Bingen, Kennerin von Heilpflanzen, war der „Arbor ligni aloes“ zumindest vom Namen her be-kannt. In ihrem Werk „Das Buch von den Bäu-men“ erwähnt sie: „Der Baum des Aloeholzes ist warm und bezeichnet einen Menschen mit fiebrigem Magen“. Denn auch medizinische Dienste leistet der Adlerholzbaum. Diese werden unter anderem in der ayurvedischen Medizin eingesetzt (u.a. hat das Harz des Adlerholzbaumes antimikrobielle Wirkung). Wichtiger als in der Medizin aber bleibt die Qualität des Holzes als Duftspender. Der erste Europäer, der mit Adlerholz in Kontakt kam, dürfte Marco polo gewesen sein. Er empfand es als eines der vornehmsten Wohlgerüche aus China und Indien. China importierte Ad-lerholz seit Jahrhunderten. Zur Zeit der chine-sischen Dynastien mussten die Provinzen des tiefen Südens (Vietnam) die Steuern in Form von Adlerholz bezahlen.Doch – was ist das Besondere an diesem legendären Aloeholz- oder Adlerholzbaum

(Aquilaria agallocha, auf englisch „Agar-wood“ genannt)? Der Adlerholzbaum ist ein bis zu 40 m hoher Baum, der vorwiegend in Hinterindien (Kambodscha, Laos, Vietnam, Malaysia, Indonesien) wächst. Er hat eine silbrige, grünlich gefleckte Rinde. Seine wie Adlerschwingen abstehende Äste haben ihm angeblich seinen Namen gegeben (Aquilaria - von aquila = Adler). Im gesunden Zustand bringt der Baum kein duftendes Holz hervor. Erst wenn ein Pilz (Phialophora parasitica) sein Kernholz befällt, reagiert er mit der Produkti-on eines Harzes, das das Holz durchtränkt. Je harzreicher das Holz, umso erlesener der Duft. Die allerbesten Duftnoten stammen von fossilen Stämmen, die Jahrhunderte lang un-ter der Erde begraben verbracht haben. Stellt man fest, dass der Baum mit dem Pilz infi-ziert ist, wird die Rinde entfernt. Diese wird bis heute nach einem komplexen Verfahren zu ei-nem erlesenen Papier verarbeitet. Das weiche, beige Splintholz wird ebenfalls entfernt. Übrig bleibt das dunkle, schwere Kernholz. Gutes Adlerholz sinkt im Wasser. Je mehr Harz das Holz enthält, um so schwerer ist es.Leider ist äußerlich nicht erkennbar, ob ein Baum infiziert oder noch gesund ist. Dadurch wurden unnütz Bäume gefällt (nur 1 % bis maximal 5 % der stehenden Bäume sind laut Untersuchungen vom Pilz befallen). Der enor-me Wert dieses Duftstoffes hat daher in meh-reren Ländern zum Raubbau dieser Pflanzen-art geführt. Die Gattung Aquilaria gilt heute als gefährdet. Deshalb versucht man – sowohl um den Raubbau einzudämmen wie auch um die Absatzmenge zu erhöhen – junge Adler-holzbäume in Plantagen künstlich mit dem entsprechenden Pilz zu infizieren, damit sie kontrolliert das duftende Harz produzieren. Allerdings gilt das aus Plantagen gewonnene Agarwood als nicht ganz identisch mit dem natürlich entstandenen. Der exquisite Duft des Adlerholzbaumes ist weiterhin kostbarer als Gold. Ein Kilo ausge-zeichnetes Adlerholz kostet ca. 50.000 EUR (es wird meist Gramm weise verkauft), ein Kilogramm destilliertes Adlerholzöl ist sogar 250.000 EUR wert!

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In Malaysia nennt man diesen Baum „Raja kayu“, Holz der Könige ...

Adlerholzbaum (Aquilaria agallocha)Andere Namen: Aloe (vor allem in der Bibel), Aloe-holzbaum, Agarwood, Oud, Aquilaria malaccensis, Calambac, Gaharu.Familie: Seidelbastgewächse (Thymelaeaceae).Gestalt: Immergrüner Laubbaum, bis 40 m hoch. Äste gelegentlich „schwingenartig“ ausgerichtet.Stamm: Durchmesser bis 1 m. Rinde glatt, silbrig, ge-legentlich braun und grün besprenkelt.Blätter: Einfach, wechselständig, 5-11 cm lang, sch-mal, elliptisch-zugespitzt.Blüten: Fünfzählig, gelblichgrün, in Dolden stehend.Früchte: Holzige, tropfenförmige, zweiteilige Kapsel-früchte mit 2 Samen; bis 3 cm lang.Verbreitung: In den tropischen Regelwäldern Südost-asiens, von Assam (Indien) über Myanmar, Indochina bis Neuguinea. Wird selten.

Weitere duftspendende Bäume: s. Mimosen-baum, Orangenbaum, virginischer Wachol-der, Zeder, Zimt.

Früchte wie die Liebe – bezau-bernder Granatapfelbaum!

Zwischen den beiden Polen des zwischen-menschlichen Verlangens – der romantischen Verführung und der gewaltsamen Entführung, wie weiter erzählt - spielt am Mittelmeer und im Orient die Frucht des Granatapfelbaumes immer die gleiche Rolle: Sie symbolisiert die Sinnlichkeit in all ihren Schattierungen. Da-zwischen liegen Sehnsucht, Liebe, Lust, Sexu-alität, Weiblichkeit, Fruchtbarkeit. Bereits anti-ke Göttinnen, so zum Beispiel die griechische Aphrodite, Göttin der Liebe, oder Astarte, phönizische Göttin der Fruchtbarkeit, wurden häufig mit einem Granatapfel in der Hand dargestellt. Sogar die Bibel, insbesondere das Alte Testament, konnte sich der Symbolkraft dieser Frucht nicht entziehen. In SalomoS Ho-helied heißt es:Rote Bänder sind deine Lippen, lieblich ist dein MundDem Riss eines Granatapfels gleicht deine Schläfe hinter dem Schleier ...

ferner:Ein Lustgarten sproßt aus dir, Granatbäume mit köstlichen Früchten ... (Hohelied 4, 3+13)

Auch im 2. Buch moSe (Exodus) bringen die von moSeS ausgesandten Männer aus Kanaan eine Rebe mit Trauben, Feigen und einige Granatäpfel mit als Beweis, dass dieses ver-sprochene Land in der Tat fruchtbar und als Heimat begehrenswert ist.Warum dem Granatapfel eine solche Rolle zugeschrieben wurde, von der hellenistisch-römisch geprägten Welt bis in die persische Kultur, ist nachvollziehbar: Die zahlreichen Samen im Inneren der Frucht, im rotgefärb-ten Fruchtsaft liegend, verheißen Frucht-barkeit, Reichtum, Überfluss und sinnliche Freuden. Der rote Saft ist Symbol der Liebe. Junge Bräute in Rom trugen ein Kränzchen aus geflochtenen Granatapfelzweigen, sie sollten Kinderreichtum bringen. In Griechen-land gibt es den Brauch, bei einer Hochzeit einen Granatapfel auf den Boden zu werfen und zerplatzen zu lassen, damit dem Braut-paar Glück, Wohlstand und Nachkommen beschieden seien. Das „Nationalgericht“ Per-siens, ein Huhn (am Kaspischen Meer auch Wildente oder Fasan), in einer sehr schmack-haften Soße aus Walnüssen und Granatapfel-saft gekocht, heißt Khoresch-e fesendschan, was übersetzt bedeutet „Genieße es, und du wirst leben“... Ein hoher Beamter des altägyp-tischen Reiches (unter ramSeS IV.) versprach sich ein schönes Leben nach dem Tod: Un-ter seinen Grabbeigaben befanden sich auch Granatäpfel. Vermutlich ist die Frucht der Ver-führung (und der Erkenntnis), die Eva Adam im Garten Eden reichte, eher ein Granatapfel gewesen als ein gewöhnlicher Apfel ...Auch sind es die Samen, die für die Frucht namengebend wurden. Aus dem lateinischen Wort grana (Samen) entstanden der Granat-apfel (französisch: grenade; spanisch: grana-da), die andalusische Stadt Granada (in de-ren Umgebung zahlreiche Granatapfelbäume wachsen), der Halbedelstein Granat (nach der Farbe des Fruchtsaftes), die Grenadine (ursprünglich Granatapfelsirup, mit dem rote