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Architektur_001-015 01.02.2006 10:58 Uhr Seite 3
Jan Gympel
GESCHICHTE DER ARCHITEKTURV O N D E R A N T I K E B I S H E U T E
Architektur 001-120_D 11.10.2012 11:15 Uhr Seite 3 (Schwarz/Process Black Auszug)
Architektur_001-015 01.02.2006 10:58 Uhr Seite 6
BAUKUNST IM ALTEN ÄGYPTEN 2900–700 v . CHR.
Bauen – Grundbedürfnis und sozialer Akt
Den „Ur-Schaffenden“ („archi-tekton“) nannten die
alten Griechen den Baumeister: Die Architektur
gilt als „Mutter“ der bildenden Künste, denn Male-
rei oder Bildhaurei entwickelten sich häufig im
Zusammenhang mit Gebäuden, etwa in Form
von Wandgemälden oder Friesen. Selbst die ma-
gisch-kultischen Höhlenmalereien dienten als
Schmuck einer Wohnstatt.
Das Bauen erfüllt anders als alle anderen Kunst-
gattungen zuallererst das menschliche Grundbe-
dürfnis nach Sicherheit: Gebäude bieten Schutz
vor der Witterung und wilden Tieren. Deshalb
kann man den Zeugnissen der Bautätigkeit auch
kaum entgehen: Wo Menschen leben, gibt es
Häuser, Hütten, Zelte. Aber natürlich spielen beim
Bauen auch seelische und geistige Bedürfnisse
eine Rolle: Die „eigenen vier Wände“ und das
„Dach über dem Kopf“ trennen die Menschen
von der sie umgebenden Umwelt und schaffen
eigene, menschliche Dimensionen. Bauen verän-
dert auch den Außenraum: Der Hof, das Dorf und
die Stadt sind künstliche Umwelten, der Natur ab-
gerungen. Daher läßt sich viel über das Denken
und Fühlen der für ein Gebäude Verantwortlichen
daraus ablesen, wie sie das Verhältnis von Innen-
zu Außenraum gestalten: Besteht die Gebäude-
haut aus dicken Mauern oder Glaswänden? Zei-
gen Portale, Freitreppen, Vorhöfe oder Zäune eine
Öffnung oder Distanzierung?
Noch andere Fragen stellen sich stets: Wer läßt
bauen? Wer führt die Bauten aus? Für wen und
für welchen Zweck wird gebaut? In welcher Form
und mit welchen Materialien? Nicht jeder Bau ist
ein Repräsentationsbau, der mit Größe, Masse,
Stil und Schmuck beeindrucken will. Aber jeder
Bau repräsentiert den Geist seiner Zeit oder zu-
mindest den seines Bauherrn und des Architek-
ten. Und er repräsentiert, mehr als jede andere
menschliche Schöpfung, die gesellschaftlichen
Verhältnisse: Bauen ist ein sozialer Akt, der fast
immer in aller Öffentlichkeit stattfindet und viel
kostet, also abhängig ist von den Macht- und Ver-
mögensverhältnissen. Aufwendige Bauten spie-
geln daher wider, welche Personen oder Zwecke
den herrschenden Gruppen einer Gesellschaft
gerade wichtig sind.
So ist es kein Zufall, daß die Geschichte der Ar-
chitektur, des verfeinerten, durchdachten Bauens,
wesentlich von Sakralbauten geprägt ist. Wie die
Historie zeigt, bedient Religion die vielleicht wich-
tigsten seelischen Grundbedürfnisse der Men-
schen: dem Dasein einen (höheren) Sinn zu ver-
leihen, das Unbegreifliche und Unerträgliche zu
erklären, für ungesühnte Untaten eine höhere Ge-
rechtigkeit in Aussicht zu stellen und im Ange-
sicht des Todes Trost zu spenden mit der Aussicht
auf Weiterleben, Wiedergeburt oder Auferste-
hung.
Parallel zu den Gebäuden für Menschen entstan-
den also Wohnstätten für Gottheiten – ihrem Stel-
lenwert gemäß dauerhafter und prächtiger ge-
staltet als für die Sterblichen.
6 ANTIKE (2900 V. CHR.–540 N . CHR. )
Die Entwicklung der Grundlagen
ANTIKE UND FRÜHES CHRISTENTUM2900 v. Chr.–540 n. Chr.
ÄGYPTEN:
Altes Reich (2850-2052 v. Chr.):Der Pharao ist absoluter erblicherKönig, zunächst Inkarnation desFalkengottes Horus, seit der 4. Dy-nastie Sohn des Sonnengottes Re.Während der Pyramidenzeit (3.-6.Dynastie) entstehen die berühmte-sten Pyramiden, die Sonnenreligi-on wird Staatsreligion. Hierogly-phenschrift und Kalender.
Mittleres Reich (2052- um 1570v. Chr.): Einigung Ägyptens durchMentuhopet II. von Theben. Baugroßer Tempelanlagen in Karnak,dem Sitz des Reichsgottes Amun.
Neues Reich (1570-715 v. Chr.):Ägypten wird führende Groß-macht, Feldzüge nach Asien undNubien, größte Machtentfaltungunter Königin Hatschepsut, größteAusdehnung des Reiches unterThutmosis III. Riesige Tempelbau-ten in Karnak, Luxor, Abu Simbel.
Spätzeit (715-332 v. Chr.): Alex-ander d. Gr. erobert Ägypten (332).
GRIECHENLAND:
Um 560 v. Chr.: Peisistratos richtetin Athen die großen Dionysien mitmusischen Wettkämpfen undTheateraufführungen ein.
490 v. Chr.: Schlacht bei Mara-thon, Sieg Athens über die bisherunbesiegten Perser, AufstiegAthens zur politischen Großmacht
477 v. Chr.: Gründung des Atti-schen Seebundes als Schutz ge-gen die Perser.
443-429 v. Chr.: Zeitalter des Pe-rikles: Athen ist „dem Namen nachDemokratie, in Wirklichkeit aberMonarchie des ersten Mannes“.
431-404 v. Chr.: PeleponnesischerKrieg endet mit Hegemonie Spar-tas; das Perserreich geht als end-gültiger Sieger aus den weltwei-ten Machtkämpfen hervor.
336-323 v. Chr.: Alexander derGroße zieht nach Indien: Weltherr-schaftsgedanke, Ausbreitung dergriechischen Kultur.
ROM:
um 750 v. Chr.: Gründung Roms.
218 v. Chr.: Hannibal zieht überdie Alpen gegen Rom.
45 v. Chr.: Julius Cäsar Alleinherr-scher im Römischen Reich.
27 v. Chr.: Kaiser Augustus über-nimmt als vom Senat bestätigter„Princeps“ die Herrschaft.
54: Nero wird Kaiser.
70: Eroberung und Zerstörung Je-rusalems durch Titus.
79: Vesuvausbruch in Pompei.
161-180: Marc Aurel röm. Kaiser.
313: Toleranzedikt von Mailand si-chert den Christen Religionsfrei-heit und Gleichberechtigung zu.
330: Byzanz wird nach Umbenen-nung in Konstantinopel christlicheHauptstadt des Kaiserreichs.
391: Christentum wird zur Staats-religion des Römischen Reiches;Verbot aller heidnischen Kulte.
Sinnliche Freude im Umgang mitMarmor: Die Venus von Milo.
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Architektur_001-015 01.02.2006 10:58 Uhr Seite 10
gute Beziehung zu der Gottheit, die sie schützte,
in der Hand eines jeden.
In einer derart auf die Emanzipation des Men-
schen bedachten Welt – die ihren hehren Idealen
natürlich nicht in jedem Fall gerecht wurde –
scheint es konsequent, daß die Proportionen der
Gotteshäuser keine abstrakten Größen, sondern
dem menschlichen Körper abgewonnene Erfah-
rungswerte waren. Auf ihn bezogen sich die Ele-
mente des dorischen Tempels, und zwar sowohl
die der einzelnen Form als auch die der Einzelele-
mente zum Ganzen. Die so erreichte Harmonie
und Klarheit gilt bis heute als vollendet und vor-
bildlich. Die klare Tektonik geht auf die ursprüngli-
che Ausführung in Holz zurück und wurde durch
eine möglicherweise von den Ägyptern inspirierte
farbige Gestaltung noch unterstrichen. Wie Kraft-
linien betonen die Kanneluren an den Säulen de-
ren Funktion als Lastträger und heben sie vom
glatten Cella-Mauerwerk ab. Ebenso geschickt
vermittelt das dorische Kapitell mit seiner Kombi-
nation aus wulstförmiger Scheibe und flachem
Quader vom runden Säulenschaft zum eckigen
Architrav.
Das allmähliche Schwinden der Klarheit
Nur Göttern war es erlaubt, über der Menschen-
siedlung auf der „Akropolis“ („Haupt der Stadt“,
Burgberg) zu leben. Am berühmtesten war schon
in der Antike die Akropolis von Athen mit ihren
beiden Haupttempeln Parthenon und Erech-
theion. Sie stellte einen Höhe-, in gewisser Weise
aber auch den Endpunkt der klassischen griechi-
schen Baukunst dar: Während der Tempel ur-
sprünglich ein rein auf die äußere Wirkung be-
dachter Bau war mit einer schlichten Cella, die
Laien unzugänglich blieb (der Altar stand vor dem
Gebäude, meist im Osten), scheint der Panathe-
näenfries an der Außenwand der Parthenon-Cella
den Besucher zumindest bis in die den Tempel
umlaufende Säulenhalle hineinzuziehen. Auch
das Cella-Innere wurde architektonisch differen-
zierter, indem man es mit einer dreiseitigen Säu-
lenreihe ausgestaltete, die auch hinter dem Göt-
terbild entlangführte. Die gleichzeitige Verbreite-
rung des Mittelschiffs erlaubte ungewöhnliche
Ausmaße für diese Statue.
Im Apollontempel von Bassae, als dessen Archi-
tekt wie beim nur wenig älteren Parthenon Iktinos
gilt, umläuft ein skulptierter Fries sogar die inne-
ren Cellawände. Die Seitenschiffe sind hier ganz
verschwunden, die Säulen dicht an die Wände
gerückt und mit diesen durch kurze Mauerzun-
gen verbunden. Letztere waren notwendig, um
die Cellawände abzustützen, die hier tragende
Funktion übernommen hatten. Die Säulen waren
also nur noch Schmuck und genaugenommen
gar keine Säulen mehr, sondern nur noch eine
Verkleidung der Mauerzungenenden. Dekoration
trat an die Stelle der Betonung der Konstruktion.
So steht in diesem Tempel die älteste bekannte
korinthische Säule: Ihr allseitig mit stilisierten
10 ANTIKE (2900 V. CHR.–540 N . CHR. )
Paestum, Poseidon-Tempel (Hera-Tem-pel 2), 460-450 v. Chr.
Einer der schönsten und am besten er-haltenen dorischen Tempel überhauptist der sogenannte „Poseidon-Tempel“.Mit zwei anderen bildet er das Zentrumder Stadt Paestum, einer griechischenKolonie in Süditalien. Wie die Weihga-ben zeigen, war der Tempel nicht demMeeresgott Poseidon, sondern der Göt-ter-Mutter Hera geweiht.Mit dem dorischen Tempel haben dieGriechen ihr ganz auf Tektonik und Pro-portionierung basierendes, klassisch-hu-manistisches Bauideal verwirklicht. AlleArchitekturteile sind logisch und in ihrenMaßverhältnissen aufeinander bezogen.Das Bauwerk steht rundplastisch auf ei-nem dreistufigen Unterbau, der Krepis.Die Cella wird von 6 x 13 freistehendenSäulen umschlossen (Peripteros). Die tra-genden und die lastenden Bauelementesind klar unterschieden, die stämmigenaufstrebenden Säulen tragen denschweren horizontalen Architrav mit sei-nem Triglyphen- und Metopenfries. Die-ser lagert auf rechteckigen Platten – denAbaki – auf, die den Echinus, den run-den Wulst, der den Kopf der Säule bil-det, gleichsam zusammendrücken.Der Poseidon-Tempel ist ein Werk derhohen Klassik.
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Architektur_020-029 01.02.2006 11:08 Uhr Seite 20
KAROLINGISCHE UNDOTTONISCHE BAUKUNST750–1024
Im Schoß der Kirche
In der Folge der Völkerwanderung war das inner-
lich längst marode (West-)Römische Reich zu-
sammengebrochen. Der Verlust dieser Ordnungs-
macht leitete in weiten Teilen Europas eine Epo-
che großer Unsicherheit ein. Die einstmals römi-
schen Gebiete waren unter vielen Herrschern auf-
geteilt, die ihre Macht oft nur für relativ kurze Zeit
bewahren konnten. Staatswesen, Justiz und Tech-
nik, kurz: die gesamte Organisation des menschli-
chen Zusammenlebens verfiel unter diesen Vor-
aussetzungen. Der Lebensstandard ging stark
zurück, die Entwicklung der Städte stagnierte. All
dies wirkte sich unmittelbar auf die Kultur, insbe-
sondere auf die Bautätigkeit aus.
Einzig die Macht der Kirche war nicht auf wenige
Jahrzehnte und ein relativ kleines Gebiet begrenzt
– sie konnte ihren Einflußbereich nun sogar auf
ganz Europa ausdehnen. Sie wurde daher nach
dem Zusammenbruch Westroms zur wichtigsten
Kulturträgerin. In ihrem Schoß wurde das Erbe
der Antike bewahrt und die abendländische Kul-
tur entwickelt.
Eine Rolle spielten dabei insbesondere die Klöster
der 529 gegründeten Benediktiner, des ersten
abendländischen Mönchsordens. Oft in wenig zi-
vilisierten Gegenden gelegen, wirkten sie als kul-
turelle Vorposten. Hier wurden antike Bücher ab-
geschrieben und übersetzt, wurde geforscht und
gelehrt, und es wurden auch nicht dem Kloster
angehörige Laien in verschiedensten Disziplinen
unterrichtet. Viele der Mönche, die sich in der Re-
gel auf bestimmte Handwerke oder Wissenschaf-
ten spezialisierten, waren Berater der Fürsten. Zur
Sicherung ihrer ökonomischen Basis besaßen die
Klöster Ländereien und allein damit schon Macht.
Nicht selten dienten sie in jener Zeit ohne sichere
Staatsformen, in der oft das Faustrecht regierte,
auch als Zufluchtsstätten vor äußerer Bedrohung.
Deshalb entstanden in ihrer Nähe Siedlungen.
Roms Erbe wird beansprucht
Die politische, ökonomische und kulturelle – kurz:
die gesamtgesellschaftliche – Bedeutung der Kir-
che wuchs noch, als im Laufe des 8. Jahrhun-
derts mit dem Fränkischen Reich wieder ein
mächtiges Staatsgebilde entstand. Das vom Fran-
kenkönig Pippin begründete Bündnis zwischen
der Kirche und diesem Imperium baute Karl der
Große später weiter aus. Der Papst sicherte sich
so eine gewisse Unabhängigkeit vom byzantini-
schen Kaiser, und der fränkische König erhielt
vom Kirchenoberhaupt die sakrale Legitimation
für seine Herrschaft. Zu Weihnachten des Jahres
800 gipfelte dieser Pakt in der Kaiserkrönung Kar-
ls des Großen durch Papst Leo III. in Rom.
Das Bestreben, an das antike Römische Reich an-
zuknüpfen, das mit dieser Wiederbegründung
des abendländischen Kaisertums überdeutlich
wurde, äußerte sich auch in der Bautätigkeit. Ab-
gesehen von Bauten, die im oder durch das By-
zantinische Reich, zum Beispiel in Ravenna, er-
richtet worden waren, war in Europa seit dem
Untergang Westroms kaum Großes, Dauerhaftes,
Prachtvolles entstanden. In Konkurrenz zur damals
noch strahlenden byzantinischen Monarchie und
in Anbetracht des Anspruchs, Erbe der römischen
Hochkultur zu sein, wendete man sich unter Karl
20 ROMANIK (750–1250)
Burgen für Gott und seinen Kaiser
ROMANIK750–1250
751: Pippin wird nach dem Mero-winger Childerich III. als erster Ka-rolinger König der Franken.
800: Kaiserkrönung Karls desGroßen durch Papst Leo III.
1066: Wilhelm der Eroberer be-siegt König Harald II. in derSchlacht bei Hastings und wird inWestminster zum König gekrönt.
1073: Das von Papst Gregor VII.verhängte Verbot der Laien-investitur (Einsetzung von Bischö-fen und Äbten durch den weltli-chen Herrscher) führt zum Investi-turstreit mit dem Kaiser.
1077: Durch den Bußgang nachCanossa erlangt König Heinrich IV.die Lösung des von Papst GregorVII. ausgesprochenen Bannes undstärkt dadurch seine Macht imdeutschen Reich.
1096: 1. Kreuzzug zur EroberungJerusalems und Brechung derMacht des türkischen Islam vonPapst Urban II. veranlaßt.
1098: Abt Robert von Citeauxgründet den Zisterzienserorden.
Um 1100: Vom Frankenreich herhat sich das Turnier als ritterlichesKampfspiel allgemein verbreitet.Hildegard von Bingen, Äbtissin undGelehrte, bekämpft kirchliche Miß-stände, schreibt religiöse und wis-senschaftliche Werke.
1119: Gründung der ersten eu-ropäischen Universität in Bologna(Paris um 1150, Oxford 1163, Sala-manca 1218, Cambridge 1229).
1122: Durch das Konkordat vonWorms kann der Investiturstreit bei-gelegt werden, da Heinrich V. aufdie Investitur verzichtet.
1147: Bernhard von Clairveaux ver-anlaßt 2. Kreuzzug unter demStauferkönig Konrad III.
1155: Kaiserkrönung Friedrich I.Barbarossa in Rom.
1170-1220: Blüte der höfischen
Dichtung mit Chrétien de Troyes,Wolfram von Eschenbach undWalther von der Vogelweide.
1215: Englische Barone erzwingenvon König Johann I. Ohneland die„Magna Charta“, die Privilegien derStädte, freien Verkehr der Kaufleute,Erblichkeit der Lehen und freieWahl der Bischöfe durch die Geist-lichkeit garantiert.
1232: Kaiser Friedrich II. macht sei-nen Hof in Palermo zum Mittel-punkt des italienischen kulturellenLebens und überläßt in Deutsch-land den geistlichen und welt-lichen Fürsten wichtige Hoheits-rechte.
Um 1250: Carmina Burana,Sammlung mittelalterlicher unddeutscher Lieder fahrender Schüler.
Die Schlacht bei Hastings auf demTeppich von Bayeux: König Haroldwird von einem Pfeil getroffen.
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ROMANIK (750–1250) 25
Auch wenn Ste. Foy heute – wie die meisten ro-manischen Kirchen – kahl und farblos erscheint,muß man sich stattdessen für ihre Entstehungs-zeit eine reiche, bunte und pompöse Ausstat-tungsvielfalt vorstellen, die den Pilger durch im-mer neue Eindrücke beschäftigte, ja sogar ge-fangennahm. Kapitelle und Ecken waren wiewundersame Tierfiguren gestaltet, die der fran-zösische Kunsthistoriker Focillon als wie aus ei-nem ungeheuren kollektiven Alptraum entsprun-gen beschrieb. Gewölbe und Wände waren mitbiblischen Bilderbogen überzogen, außerdemhingen Wandteppiche über den ansonsten kal-ten und abweisenden Wänden. Die Schätze undReichtümer der Kirche waren nicht hinter ver-schlossenen Türen versteckt, sondern wurden inall ihrem Glanz und ihrer Pracht auf dem Altarausgestellt.Anspruchsvoll und von großer Wirkung ist dasTympanon, d. h. das überwölbte Giebelfeld über
dem westlichen Hauptportal derKirche, mit der figürlichen Hoch-reliefdarstellung des JüngstenGerichts, welches an Strafe undLohn für Ungläubige und Gläubi-ge gemahnt. In der dreireihigenAnordnung des Reliefs sind be-sonders die Seligen, die zur Rech-ten Christi sitzen (d. h. auf der lin-ken Seite des Tympanons), betont,sowie die Verdammten in derHölle auf der anderen Seite. Die-ses Thympanon ist ungewöhn-licherweise mit vielen erläutern-den lateinischen Inschriften verse-hen; außerdem werden verschie-dene Begebenheiten aus den Le-genden der Heiligen Fides darge-stellt. Diese wurden sicherlich denPilgern in den Predigten eindring-lich vor Augen gestellt.
SAINTE FOY
Nach einigen fehlgeschlagenen Versuchenkonnte ein Mönch der Benediktinerabtei vonConques 866 die Überreste der frühchristlichenHeiligen Fides (franz. Foy) von Agen durch Dieb-stahl an sich bringen. In ihrem neuen Kloster er-wies sich die Reliquie der Heiligen bald als übe-raus wundertätig. Schon im 9. Jahrhundert erhielten die Reliquieneinen kostbaren, goldenen Schrein in der Formder thronenden Fides, der nach einem Wunder985 noch prächtiger erneuert wurde und sich
als einziger von vielen gleichartigen anderer Kir-chen bis heute erhalten hat. Als Station auf demPilgerweg nach Santiago de Compostela brach-ten die Reliquien dem Kloster schnell großenRuhm und Reichtum. Daran orientierte sich auch der Neubau der Klo-sterkirche, der um 1050 begonnen wurde undden vorhandenen karolingischen Bau ersetzensollte. Der Chor als wichtigster Bauteil der Klo-sterkirche war bis 1065 vollendet und die Reli-quien konnten feierlich in ihr neues Heiligtumübertragen werden. Vielleicht am Ende des 11. Jahrhunderts odererst zu Beginn des 12. Jahrhunderts wurde dieKirche bis zur Westfassade fertiggestellt. Ihre bei-den Türme wurden, wie so häufig im Mittelalter,nicht vollendet, sondern erst im späten 19. Jahr-hundert hinzugefügt. Der Bau bietet sich trotz-dem als bemerkenswerte künstlerische Einheitdar, ist gut erhalten und nicht durch spätere Ver-änderungen überformt. Ste. Foy in Conques, einem Dorf imsüdfranzösischen DepartementAveyron, nahe der Ouche-Schlucht,ist die kleinste Vertreterin einerGruppe der sogenannten Pilgerkir-chen, die alle auf den Hauptroutendes Pilgerweges nach Santigo deCompostela lagen und selbst be-deutende Wallfahrtsorte waren. Da-zu gehörten die heute nicht mehrexistierenden Bauten von St. Martinin Tours und St. Martial in Limoges,sowie die noch stehenden KirchenSt. Sernin in Toulouse und die vonSantiago in Compostela selbst. Allediese Kirchen zeichnen sich durch
gemeinsame Kennzeichen aus: Das weit ausla-dende Querhaus ist wie das Langhaus von Sei-tenschiffen begleitet. Alle Seitenschiffe tragen mitViertelkreistonnen gewölbte Emporen, welchedie Tonnen des Mittel- und Querhausschiffs tra-gen. Sicherheitshalber verzichtete man auf einenObergaden im Mittelschiff und beleuchtete dasInnere indirekt mit großen Fenstern in den Sei-tenschiffen und Emporen. An den Querhaus-stirnseiten sollten die Emporen in Conques wiebei den anderen Pilgerkirchen auch weiterge-führt werden. Doch begnügte man sich schließ-lich mit einem Laufgang. Als östlichen Abschlußverwenden die Pilgerkirchen den in Frankreichgerade neu entwickelten Umgangschor mit Ka-pellenkranz. Er konzentriert die liturgischen Funk-tionen im Hauptchor und bietet den Gläubigendie Möglichkeit, in einer entsprechend angeleg-ten Krypta unter dem Chor an den Reliquien vor-beizuziehen. In Conques, welches als Pilgerat-traktion geplant war, stellte man die Reliquienpraktischerweise – dem späteren Brauch dergotischen Epoche vorgreifend – im Chor sicht-bar aus und verzichtete auf die für die romani-sche Zeit typische Krypta. Die Pilgerscharenkonnten nun bequemer den Chorumgang be-nutzen. Sowohl die drei Apsiden des Umgangsals auch die vier an den Ostseiten des Querhau-ses wurden für die vielen Meßfeiern der Mön-che benutzt. Die Außenansicht des Chors besticht durch diefür die Romanik typische Staffelung der stereo-metrischen Baukörper, die im oktogonalen Vie-rungsturm gipfelt. Das Innere beeindruckt durchdie Klarheit und Harmonie der Gliederung unddie starke Vertikalisierung des Raums. Lang- undQuerhaus zeigen denselben zweigeschossigenAufriß: sehr hohe Arkadenbögen zu den Seiten-schiffen, darüber große Bogenöffnungen miteingestellten, bogentragenden Säulen zu denEmporengeschossen. Im Arkadengeschoßwechseln sich von Joch zu Joch Halbsäulen mitrechteckigen Vorlagen ab. Diese Art der Rhyth-misierung findet sich bei keiner der anderen Pil-gerkirchen. Diese Vorlagen ‚bedienen‘ die Gurt-bögen, die optisch die Tonne tragen. Im Sank-tuarium, dem Chorrund, tragen schlanke Säulengestelzte Bögen. Darüber laufen zwei Geschossevon Bogengalerien mit je sieben Bögen, von de-nen drei durchbrochen sind. In der unteren Rei-he öffnen sie sich auf ein unbelichtetes Gewölbeüber dem Chorumgang, in der oberen lassen siedas Tageslicht einfallen.
Tympanonplastik über dem Haupt-portal mit einer Darstellung desJüngsten Gerichts
Das Innere der Kirche: Blick durch das vonnatürlichem Licht beleuchtete Hauptschiffnach Osten in den Altarraum
In einem abgelegenen Tal auf dem auf demWeg nach Santiago liegt in der Nähe vonConques die Pilgerkirche Ste. Foy
Architektur 001-120_D ALT 17.09.2009 12:50 Uhr Seite 25 (Schwarz/Process Black Auszug)
Architektur_030-041 15.02.2006 12:56 Uhr Seite 30
DIE KLASSISCHE KATHEDRAL-GOTIK IN FRANKREICH1130-1300
Vom Massen- zum Gerüstbau
Der Übergang von der Romanik zur Gotik ist zeit-
lich kaum genau einzugrenzen. Kunsthistoriker
streiten gern, ob etwa die Kathedrale von Durham
noch spätromanisch oder schon frühgotisch ist
oder vielleicht einem Übergangsstil angehört.
Auch Hilfs-Begriffe wie „Romanische Frühgotik“
wurden eingeführt. Dabei ist schon der Begriff
„Gotik“ fragwürdig: Er wurde im 16. Jahrhundert
von dem italienischen Maler, Baumeister und
Kunstschriftsteller Vasari in abwertender Weise
aufgebracht, denn die (West-)Goten hatten dem
Römischen Reich den Todesstoß versetzt, für
Vasari waren sie Barbaren. Und noch um 1800
galt die Gotik mancherorts als Inbegriff des Wi-
dersprüchlichen und Geschmacklosen.
Unstrittig ist, daß ihr Ursprung in der Île de Fran-
ce liegt, der Umgebung von Paris. Hier hatten die
Kapetinger ihre Machtbasis; sie hatten im Westteil
des einstigen Fränkischen Reiches im Jahre 987
mit der Wahl Hugo Capets zum König die Karo-
linger abgelöst. Im 11. Jahrhundert, als es den Ka-
petingern gelang, von hier aus das Land unter ih-
rer Führung wieder zu einen, wurde diese Ge-
gend zum Mittelpunkt der sich entwickelnden
französischen Nationalkultur und Wissenschaft .
Das Bauwerk, das bis heute als Inbegriff gotischer
Architektur gilt, ist die Kathedrale. Sie steht als
Symbol für die neue Macht der französischen Kö-
nige, die sich im gleichen Maß, in dem der Ein-
fluß der Krone fortschreitet, über ganz Frankreich
ausbreitet. Obwohl sie als Krönungsort, Grablege
und mit der Königsgalerie an der Fassade den
Herrschaftsanspruch der Könige sichtbar legiti-
miert (hierbei vergleichbar dem Anspruch roma-
nischer Kaiserdome), repräsentiert sie zugleich
gesamtgesellschaftliches Gedankengut und ist
Ausdruck der politischen und theologischen
Weltsicht aller Bürger. Diese errichten ihre Kathe-
drale nicht mehr in Frondienst, sondern in der
Überzeugung, gemeinsam ein Wahrzeichen ihres
Glaubens, ihrer Stadt und ihrer selbst zu bauen.
Der Bürgerstolz der Zünfte zeigt sich in reicher
Ausstattung: Stifterbildnisse und Inschriften lassen
nach der Anonymität des frühen Mittelalters indi-
viduelle Erinnerungen an Baumeister, Künstler
und Bürger zu. Die Gestaltung der Kathedrale
spricht die Sprache aller Schichten, denn ihre
Symbolik, vor allem die Figuren und Fensterbilder,
kann von den Gebildeten wie vom einfachen Volk
verstanden werden – wenn auch unterschied-
lichen Deutungsmustern folgend, die aber jeweils
den gleichen Zweck erfüllen.
Unter den vielen romanischen Bauschulen in
Frankreich, von denen manche noch bis zur Mitte
des 13. Jahrhunderts im überkommenen Stil wei-
terarbeiteten, entwickelte jene der Ile de France
den Stil, der die Romanik zunächst in Frankreich
und dann im gesamten Abendland ablösen soll-
te. Als „Gründungsbau“ der Gotik gilt die Abteikir-
che von Saint-Denis bei Paris. Der Abt dieser Kir-
che, Suger, ließ in den Jahren 1140-44 den alten,
30 GOTIK (1130–1500)
Die Überwindung desDiesseits
GOTIK1130-1500
Um 1250: Mittelalterliche Eintei-lung der „freien Künste“ in „Trivium“(Grammatik, Rhetorik, Dialektik) und„Quadrivium“ (Musik, Astronomie,Arithmetik, Geometrie).
1254: Hofkaplan Robert de Sor-bon gründet in Paris Theologen-schule (ab 14. Jh. Sorbonne ge-nannt).
Um 1260: Nach alchemistischerAuffassung bestehen Metalle ausQuecksilber, Schwefel und Salzund lassen sich ineinander (mit Hil-fe des „‚Steins der Weisen“) um-wandeln.
1275: Marco Polo gelangt nachPeking.
Um 1300: Apothekerberuf inDeutschland, Brillenherstellung inItalien, Glasfenster finden langsamVerbreitung, der Trittwebstuhlkommt auf, Räderuhr mit Hemm-rad in Italien; Messen in Brügge,Antwerpen, Lyon und Genf gewin-nen stark an Bedeutung.
1302: Bulle „Unam sanctam“ vonPapst Bonifaz VIII. erlassen (Formu-lierung des päpstlichen Weltherr-schaftsanspruchs).
1309: Papst Klemens V. verlegtPapstsitz nach Avignon („Babyloni-sche Gefangenschaft der Kirche“).
1311: Dante beginnt mit der Arbeitan der Göttlichen Komödie.
1318: Entwicklung eines neuenZahlungssystems. In Venedig wirdein Gesetz zur Geldüberschreibung(Girobank) erlassen.
1339-1453: „HundertjährigerKrieg“ zwischen England undFrankreich; Jeanne d'Arc befreit Or-léans und erreicht die KrönungKarls VII. zum König ganz Frank-reichs (1429); in englischer Gefan-genschaft wird sie als Hexe ver-brannt (1431).
1347: Ausbruch der Pest in Euro-pa.
Um 1350: Teilung des englischenParlaments in Oberhaus (House of
Lords) und Unterhaus (House ofCommons), welches Petitionsrechterhält.
1353: Boccaccio vollendet seine
Novellensammlung Decamerone.
1356: In der „Goldenen Bulle“ be-stätigt Kaiser Karl IV. den siebendeutschen Kurfürsten das Rechtder ausschließlichen Königswahl.
1378-1417: Das große Schismamit Gegenpäpsten in Avignon undRom kennzeichnet einen Tiefpunktder Papstmacht
1415: Der tschechische ReformatorJohann Hus wird als Ketzer ver-brannt.
1445: Erster Buchdruck mit be-weglichen Lettern von Johann Gu-tenberg in Mainz.
1447: Gründung der vatikanischenBibliothek.
1481: Einführung der Inquisition inSpanien. Die weltliche Obrigkeitmuß die Todesstrafe vollstrecken,da die Kirche „nicht nach Blut dür-stet“.
1492: Entdeckung Amerikas durchChristoph Columbus; Martin Be-haim entwirft den ersten Globus.
König Karl V. (der Weise, 1364-1380) zieht in Paris ein; Miniaturaus der französischen Chronikvon Jehan Foucquet, 1472.
Architektur 001-120_D ALT 17.09.2009 12:50 Uhr Seite 30 (Schwarz/Process Black Auszug)
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BAROCK UND ROKOKO (1600–1780) 57
pische Bewegtheit eines Baus wich so weitge-hend einer starren, einschüchternden Pracht, dieganz – dem Selbstverständnis Ludwigs XIV. alsVerkörperung des Staates und unumschränkterHerrscher entsprechend – auf Repräsentation be-dacht war und jedes menschliche Maß verlorenhatte. Dies wird auch in dem riesigen Vorplatz unddem großen Ehrenhof deutlich, der unter LudwigXV. ab 1742 nochmals durch zwei Flügelbautenerweitert wurde (der eine stammt von Ange-Jac-ques Gabriel, der andere wurde im 19. Jahrhun-dert als dessen genaue Kopie errichtet). Die ge-samte Schloßanlage erreichte damit eine Tiefevon 407 Metern, eine Dimension, deren Ziel eswar, europaweit unübertroffen zu bleiben.1667 begann Le Nôtre mit der Gestaltung desGartens. Direkt am Schloß entstand zwischenNeptunbecken im Norden und Orangerie im Sü-den, zu der zwei jeweils zwanzig Meter breite„Hundertstufentreppen" hinabführen, eine breiteFläche mit regelmäßigen, niedriggeschnittenenHeckenmustern, das barock-typische „Broderiepar-terre" (von frz. „broder" = sticken, da die Natur hierzum Ornament mit Formen eines Stickmusterswurde). In der rechtwinklig vom Schloß ausgehen-den Hauptachse folgen das Latonabecken undTapis Vert (64 x 335 Meter) sowie das etwas tieferliegende Apollobassin (82 x 116 Meter). Von Bro-derien umsäumt, rahmt es die auf einem von Rös-sern und Tritonen (Meeresgöttern) gezogenen Wa-gen stehende Statue des Sonnengottes, mit demsich der König identifizierte, ein. Das Bassin stelltdas Zentrum des Radial-, Achsen- und Sternsy-stems dar, das den Garten durchzieht. Wegen desBaumbestands, der heute sehr viel dichter undhöher als ursprünglich gedacht ist, kommt diesesSystem jedoch nicht mehr voll zur Geltung.Die gewaltige Ausdehnung der Freianlage ver-deutlicht der 1560 Meter lange Kanals, der eben-falls in der Hauptachse liegt. Er wird von einemkürzeren Querkanal gekreuzt, an dessen Nord-ende zwei Lustschlösser liegen: das Grand Tria-non, das Hardouin-Mansart und Robert de Cotte1687-1688 erbauten, und das Petit Trianon, 1764-68 von J.-A. Gabriel errichtet. Nach dem Tod Lud-wigs XIV. wurden sie vom Hof dem riesigen Ver-sailler „Hauptschloß" vorgezogen.
VERSAILLES
Keine andere Schloß-, Stadt- und Gartenanlagebesaß in der Zeit des Barock einen solchen Vor-bildcharakter wie jene von Versailles, einem Vorortsüdwestlich von Paris. Frankreichs König LudwigXIII. ließ dort ab 1623 ein kleines Wasserschloßanlegen. Noch ganz in der Tradition der Renais-sance, handelte es sich um eine Vier-Flügel-Anla-ge, die um einen quadratischen Hof gruppiert war.Den vierten Flügel ersetzte allerdings eine niedrigeArkade. Sie wurde abgerissen, nachdem 1661 derAusbau des Schlosses begann.In jenem Jahr übernahm der später als „Sonnen-könig" bezeichnete Ludwig XIV. die Regierungsge-schäfte, die er bis 1715 innehaben sollte. Dieselange Regierungszeit steht für den Höhepunktfürstlicher Macht in Europa – mit Paris als dessenpolitischem und sozialem Mittelpunkt –, aberauch für die beginnende Aufklärung, die schließ-lich den Absolutismus am Ende des 18. Jahrhun-derts ablöste.Das Schloß Vaux-le-Vicomte, das sich der Finanz-minister Nicolas Fouquet bei Paris hatte bauenlassen, wurde im Jahr des Regierungsantritt desneuen Königs fertiggestellt und konnte diesem alsIdeenfundus dienen. Der Architekt Louis Levau, derInnenarchitekt Le Brun und der GartengestalterAndré Le Nôtre, die dort tätig gewesen waren, soll-ten nun in Versailles arbeiten, das Ludwig XIV. zuseiner neuen Residenz erkoren hatte. Diese Bau-aufgabe war nicht nur von ungeheurer räumlicherDimension. Es mußte vor allem – eine Angele-genheit von enormer politischer Brisanz – dasSymbol der nationalen Einheit entstehen, das dieGröße der königlichen Macht in alle Lande aus-strahlen sollte.1661 begann nach Plänen Levaus die Ummante-lung der alten Schloßanlage, 1668-71 wurde derEhrenhof durch die Hinzufügung zweier sich nachaußen staffelnder Flügel, deren Kopfenden großeTempelfassaden erhielten, erweitert. Gleichzeitigentstand die ausgedehnte Gartenfront, deren Brei-te sich aus der Verbindung mit den Hofflügeln er-gab und die Levau mit zwei Eckpavillons (darinder „Kriegs-" bzw. der „Friedenssaal") zu gliedernversuchte. Durch eine Terrasse über dem Erdge-schoß wurden sie miteinander verbunden, so daßdas erste Stockwerk, das des Königs, noch stärkerals Hauptgeschoß erschien.
Jules Hardouin-Mansart, der 1678 die Bauleitungan Stelle des acht Jahre zuvor verstorbenen Levauübernahm, überbaute die Terrasse mit derberühmten Spiegelgalerie („Galerie des Glaces"),deren Auskleidung mit Spiegeln einerseits eineaußergewöhnliche Lichtfülle erzeugte, andererseitsdurch die hin- und hergeworfenen Reflexionenauch ein optisches Verwirrspiel und eine schein-bare Verlängerung des Raums ins Unendliche, dietypisch für den barocken Illusionismus ist. Manmuß sich diesen Saal – von Hunderten Kerzen er-leuchtet – als Rahmen prächtiger barocker Festevorstellen. Aber er erlangte auch historische Be-deutung: Am 18. Januar 1919 wurde hier die Ver-sailler Friedenskonferenz begonnen, die mit derUnterzeichnung des Friedensvertrags am 28. Junidesselben Jahres ihren Abschluß fand.Durch die Überbauung der Terrasse entstand anStelle des vor- und zurückspringenden Baukörperseine große, durchgehende Fassade, die auch vonder leichten Mittelrisalitbildung kaum belebt wird.Mit zurückgelegten Flügelbauten wurde dieseGartenfront noch weiter, bis auf eine Gesamtlängevon 576 Metern verlängert. Die für den Barock ty-
Feldherrenblick über Stadt, Schloss und Gartenanlagen, ein Kupferstich aus dem Jahr 1700
Die Spiegelgalerie des Königlichen Schlosses
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die mit einer ans Skurrile grenzenden Phantasie
lebendige Bewegtheit spüren ließen. Sein weit
verbreitetes theoretisches Werk beeinflußte be-
sonders böhmische und süddeutsche Baumeister
stark. So ließen sich nicht nur die Brüder Dient-
zenhofer für die Kirche St. Nikolaus auf der Prager
Kleinseite von Guarini anregen, sondern vor allem
auch der Würzburger Baumeister Johann Baltha-
sar Neumann. Seine Wallfahrtskirche Vierzehnhei-
ligen vollendete Guarinis Gedanken der Raum-
durchdringung; die den ganzen Innenraum be-
wegenden Schwingungen werden durch ein
kreatives Farbenspiel und eine Vielzahl von Orna-
menten verstärkt. Auch Dominicus Zimmermann,
der Architekt der Wallfahrtskirche der Wies, nahm
dieses Konzept auf, entwickelte es aber noch da-
durch weiter, daß er den sich der Kirche nähern-
den Pilger „narrt“: Die weiße und bescheidenen
Schlichtheit des Kirchenäußeren läßt nicht einmal
vermuten, von welch märchenhafter Pracht das
Innere ist.
Das Rokoko und der Rückzug ins Private
Nach dem Tod Ludwigs XIV. 1715 setzte ein ge-
wisser Überdruß an all dem Prunk und der Mo-
numentalität ein. In Paris entstand ein neuer Stil,
den man nach dem neuen König Ludwig XV.
auch „Louis-quinze“ nannte. Die gängigere Be-
zeichnung „Rokoko“ leitete sich ab von dem fran-
zösischen Wort „rocaille“ = Muschel, die eines
der Grundmotive des Stils wurde. Muschel- und
Knorpelwerk, Blumen und Ranken umschlängel-
ten die Bauglieder in naturalistischer oder auch
bizarr stilisierter Form teils locker und asymme-
trisch, teils sie um- oder überwuchernd.
Nicht nur das Dekor wurde feiner, kleiner und ver-
spielter. Das Intime und Persönliche erhielt größe-
re Bedeutung, die Ambitionen richteten sich stär-
ker auf die Gestaltung des Innenraums. Man lieb-
te galante Schäferspiele und zierliche Porzellanfi-
guren und baute kleine Gartenschlößchen, die
häufig mit romantisch klingenden Namen verse-
hen wurden (z. B. „Monbijou“ in Berlin oder „Soli-
tude“ in Stuttgart).
Es wird gern gestritten, ob das Rokoko als eigene
Stilepoche oder als Variante des Spätbarock an-
zusehen ist. Und auch wenn man Stilgrenzen an-
nimmt, ist es eine Interpretationsfrage, ob man
eine Dekoration als so zart und feingliedrig, einen
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Dominicus Zimmermann: Wallfahrts-kirche zum gegeißelten Heiland,(Wieskirche), Wies bei Steingaden, Ober-bayern, 1745-57
Nicht mehr nur nach Rom, sondern eben-so zu den süddeutschen Wallfahrtskirchenin Dörfern und freier Landschaft pilgertendie Gläubigen im späten Barock. Die Kirche in der Wies von DominicusZimmermann erhält durch den großzügi-gen Lichteinfall und die weiße Innenfas-sung des ovalen Langhauses eine heitereAtmosphäre, die durch leuchtende Farb-akzente im Chor noch verstärkt wird.Die obere Loggia des doppelgeschossi-gen Chorumgangs grenzen blaumarmo-rierte Stucksäulen ein, die mit den rotmar-morierten am Hochaltar kontrastrieren,über dem ein blauer Baldachin schwebt.Im unteren Teil des doppelgeschossigenHochaltars steht das Gnadenbild des ge-geißelten Christus und bestimmt das Bild-programm bis hin zum Deckengemälde,wo Engel Gottvater die Leidenswerkzeugevorzeigen.
Johann Balthasar Neumann: Wall-fahrtskirche zu den 14 Nothelfern(Vierzehnheiligen), Oberfranken, 1743-1772
Die Kirche stellt mit ihrem ungebundenenRaumsystem eine vollendete Synthese ausbarocker Plastizität und schon rokoko-hafter Leichtigkeit dar, wobei der Wider-spruch zwischen Langhaus und Zentral-bau auf originelle Weise aufgelöst ist.Denn der zierliche Altar der vierzehn Not-helfer befindet sich nicht im Chor, sondernfrei im Raum, mitten im Langhaus untereinem Baldachin, dessen Pfeilerstellungenein Oval umgrenzen.Die große Tambourkuppel über der Vie-rung, die die italienischen Kirchenräumein die Höhe zog, ist hier den gegeneinan-der gesetzten Oval- und Kreisformen ge-wichen, die das Gewölbe verschwindenlassen und jede Schwere auflösen. Neu-mann steigert so Christoph Dientzenho-fers Methode zur synkopischen Durchdrin-gung der Gewölbe. Keine strenge Monu-mentalität mehr beeindruckt hier, sondernHeiterkeit in einem lichten Raum machtdie Atmosphäre dieser Kirche anziehend.
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DIE SCHULE VON CHICAGO1880–1900
In die Höhe gebaut
Auch für den Bau von Wohn- oder Verwaltungs-
häusern galt das Gebot der optimalen Ausnut-
zung einer gegebenen Grundfläche. Gerade aber
die zur Bebauung zur Verfügung stehenden
Grundflächen wurden immer rarer und teurer.
Dies gilt im besonderen Maße für die Wirt-
schafts- und Verwaltungszentren der Vereinigten
Staaten und hier vor allem für Chicago: 1850
zählte die Stadt erst 30 000 Einwohner, 1870
zehnmal so viele, 1880 eine halbe und 1890
mehr als eine Million. Zu diesem Zeitpunkt war
Chicago längst zur beherrschenden Metropole
des amerikanischen Mittelwestens geworden,
Knotenpunkt von Eisenbahn und Schiffahrt, Um-
schlagplatz für Getreide und Holz, Standort von
Metallverarbeitungsbetrieben und der größten
Schlachthöfe der Welt.
1871 hatte man hier auf besonders bittere Weise
erfahren müssen, daß Eisen bei weitem nicht so
feuerfest war, wie man geglaubt hatte: In dem
Großbrand, der fast die ganze Stadt vernichtete,
schmolzen die Eisenkonstruktionen wie Butter.
Angesichts des Booms suchte man nach Mög-
lichkeiten, immer höher und zugleich feuerfest zu
bauen. Doch der höchste Ziegelbau, den man
1884-1892 errichtete, das Monadnock Building
von Burnham und Root, mußte für seine fünfzehn
Stockwerke mit gut zwei Meter dicken Erdge-
schoßmauern ausgestattet werden – was wert-
volle Laden- wie Schaufensterfläche kostete. Zu-
kunftsweisend war dagegen die Gestaltung des
Gebäudes als schmucklose rote Ziegelscheibe,
die nur von flachen, haushohen Erkern und den
tief in die Wand eingelassenen Fenstern geglie-
dert wurde.
Form follows function
In Chicago, der zukunftseuphorischen Metropole,
stand man einer schlichten und damit auch öko-
nomischen Gestaltung aufgeschlossener gegen-
über als etwa in New York, wo man die Hoch-
häuser noch mit schweren, historisierenden
Außenwänden versah. Hier wollte man nicht die
Motive der europäischen Architekturgeschichte
imitieren, sondern selbstbewußt einen eigenen
Stil schaffen. Schon 1879 hatte William le Baron
Jenney an den Fassaden seines von gußeisernen
Säulen getragenen First Leiter Buildings nur noch
die Stützen und Querträger (Geschoßdecken) ver-
kleidet und das so entstandene Raster mit riesi-
gen Fensterflächen ausgefüllt. Ähnlich ging der
Architekt, nach dessen Entwurf mit dem Home
Insurance Building 1883-85 das erste zehn-
stöckige Hochhaus mit reinem Stahlskelett ge-
baut wurde, rund zehn Jahre später beim Second
Leiter Building vor: Dessen natursteinverkleidetes
Äußeres war fast ganz schmucklos und wurde
nur von waage- wie senkrechten Mauerbändern
gegliedert; einzig angedeutete Kapitelle am Kopf
der breiten Mauerstreifen, die jeweils im Abstand
von vier Fenstern die Fassade strukturierten, erin-
nerten noch schwach an Pilaster. Die Feuerfestig-
keit dieses Gebäudes gewährleistete die Umman-
telung seines Metallgerüstes - erstmals aus dem
für die weitere Entwicklung der Bautechnik wich-
tigen Bessemerstahl - mit Hohlsteinen.
Indem sie zwischen zwei Fenster jeweils einen
hervorgehobenen, senkrechten Wandstreifen leg-
ten, unterstrichen Dankmar Adler und Louis H.
Sullivan beim Wainwright Building in St. Louis
1890-1891 und dem noch bekannteren Guaranty
78 HISTORISMUS UND INGENIEURARCHITEKTUR (1840–1900)
Daniel Hudson Burnham: Flatiron(Fuller Building), New York, 1902
Das Hochhaus am New Yorker Broad-way, das auf einem äußerst spitzwinkli-gen – bügeleisenförmigen (daher seinName) – Grundstück steht, gilt als extre-mes Beispiel für die optimale Nutzungeiner begrenzten Fläche.
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Abtei Kloster, dem ein Abtoder eine Äbtissin vorsteht. Dasmit dem Kloster verbundeneHaus des Abtes enthält oft eineeigene Kapelle, manchmal aucheinen gesonderten Kreuzgang.
Agora Griechischer Markt- undVersammlungsplatz.
Antentempel Älteste Formdes griechischen Tempels mitverlängerten Cella-Wänden (An-ten), die eine Vorhalle bilden, inderen Öffnung zwei Säulen ein-gestellt sind.
Aquädukt Römisch-antikeWasserleitung, bei der eineWasserrinne offen oder ver-deckt durch eine oft mehr-stöckige Bogenbrücke in natürli-chem Gefälle des Wassers indie Stadt fließen konnte.
Apsis In der römischen Antike:Halbkreisförmiger, überwölbterRaum, der einem übergeordne-ten Hauptraum an- oder einge-baut ist. In der christlichen Bau-kunst: Meist halbkreisförmigerAbschluß eines rechteckigenLangbaus; wichtiger Bestandteildes Kirchengebäudes.
Architrav In der antiken Kunstund in den von ihr abhängigenBaustilen der waagerechte, aufden Säulen aufliegende und vonihnen getragene Hauptbalkeneines Tempels. Der A. trägt sei-nerseits den Oberbau.
Arkade Bogenstellung; ein aufStützgliedern, d. h. auf Pfeilernoder Säulen (Arkadenstützen)ruhender Rundbogen. Die Rei-hung mehrerer Bögen nenntman Arkaden(-bögen). Arkadenkönnen in einem oder mehrerenGeschossen übereinander an-geordnet sein (Arkadenge-schoß). Die dreieckige, auf einerSpitze stehende Fläche überden Stützgliedern heißt Arka-denzwickel.
Atrium Zentraler Wohnhof desrömischen Privathauses. In derfrühchristlichen und mittelalterli-chen Baukunst ein der Kirchevorgelagerter Hof (auch Para-dies genannt).
Axialität Die Ausrichtung derAchsen in einem Bauwerk. EineAchse ist eine gedachte Gerade,die der Länge oder der Breitenach durch einen Baukörperoder ein Bauteil gezogen wer-den kann.
Balustrade Ein durch Neben-einanderreihen von kleinenSäulchen (Baluster) gebildetesGeländer.
Baptisterium Selbständigeskirchliches Bauwerk, in dem diechristliche Taufe vollzogen wur-de. In der Mitte befand sich einTaufbecken (Piscina), in demder Täufling vollständig unterge-taucht wurde.
Basilika Die Markt- und Ge-richtshalle des römischen Rei-ches; Bautypus vom Christen-tum übernommen. Beim christ-lichen Kirchenbau handelt essich um einen mehrschiffigenLangbau mit einem Mittelschiff,das höher als die Seitenschiffeist und eine Fensterzone(Gaden) aufweist.
Basis Der Fuß einer Säule odereines Pfeilers.
Bauhütte Gemeinschaft derBauleute und Steinmetze an ei-nem mittelalterlichen Kirchen-bau.
Bauhüttenbücher Obwohl dieZunftordnung das „Hüttenge-heimnis“ vorschrieb, gelangtedie hochentwickelte Geometrieder gotischen Kirchenbauten imspäten Mittelalter auch überden Buchdruck an die Öffent-lichkeit.
Bauschule Oberbegriff fürräumlich nahe und stilistischverwandte Baukunst; meist re-gional zugehöriger Name (wieB. der Ile de France).
Binder Baustein, dessenSchmalseite im Mauerwerknach außen zeigt.
Bleiverglasung Metallstreifen,mit denen die Einzelscheibengroßer Glasfenster gefaßt wer-den; schon den Römern geläu-fig.
Blendarkade, Blendbogen,
Blendfenster Ein der Mauerzum Zweck der Dekoration undder Gliederung vorgebauter Bo-gen, der keine Maueröffnungumschließt. Mehrere Blendbö-gen bilden eine Blendarkade.
Bogen Gewölbte Konstruktionin einer Maueröffnung oder Hal-le. Der B. bietet die einzigeMöglichkeit, um im Steinbaugrößere Spannweiten zu über-brücken, da er die Last abfängtund auf Stützen verteilt. Der er-ste Stein des B.s ist der Anfän-
ger, im höchsten Punkt (Schei-tel) sitzt der Schlußstein. DieAnsichtsseite des B.s heißtStirn, die Innenfläche Bogenlai-bung und die obere Außen-fläche Rücken. Die meisten B.-Formen sind aus einem Kreisoder mehreren Kreissegmentenentwickelt: Der Rundbogen ent-spricht einem Halbkreisbogen,der Spitzbogen wird aus zweiKreisbögen konstruiert, die sichim Scheitel überschneiden undeine Spitze formen.
Bündelpfeiler In der gotischenBaukunst eine um einen Pfeiler-kern geordnete Gruppe von klei-nen und großen Dreiviertelsäu-len (Dienste).
Campanile Der freistehendeGlockenturm italienischer Kir-chen.
Camposanto („Hl. Feld“) Italie-nische Bezeichnung für Fried-hof.
Cella Fensterloser Hauptraumdes antiken Tempels, in demdas Götterbild stand.
Chor Ursprünglich nur für denChorgesang der Geistlichen be-stimmter, höherliegenderRaumteil in christlichen Kirchen.Seit dem 8./9. Jh. wird die ge-samte Verlängerung des Mittel-schiffes als Chor bezeichnet.
Chorumgang Ein um den Chorherumlaufender Gang, derdurch die Weiterführung derSeitenschiffe entsteht und ge-wöhnlich durch offene Bogen-stellungen vom Chor getrenntist.
Dachreiter Schlankes (Holz)-Türmchen auf dem First desHauptdaches einer Kirche.
Dekor Gesamtheit aller zurAusschmückung dienenden Ge-genstände und Einzelmotive ei-nes Bauwerks.
Dienst In der gotischen Kunsthohe Halb- oder Dreiviertelsäulean der Wand oder am Bündel-pfeiler.
Donjon Zentraler, wehrhafterWohnturm, bes. französischerBurgen.
Doppelchorig Kirche mit einemOst- und einem Westchor.
Doppelturmfassade Hauptan-sichtsseite eines Kirchenbaus,die von einem Turmpaar be-grenzt ist.
Dorisch Ältester der griechischklassischen Stile (s. Säulenord-nung).
Dreikonchenanlage, auch
Kleeblattanlage Kirche mitdrei Apsiden (s. Apsis), die nachdrei Richtungen weisen.
Empore Tribüne oder Galerieim Kirchenraum, die zur Ver-größerung der Bodenfläche, zurAbsonderung bestimmter Grup-pen der Gemeinde (z. B. Frau-en), vor allem aber der Gliede-rung der Wand dient (s. Wand-aufbau).
Emporenbasilika Basilika, diezu beiden Seiten des Mittel-schiffes Emporen über den Sei-tenschiffen hat.
Enfilade Zimmerflucht, bei derdie Türen in einer Achse liegenund eine Durchsicht durch alleZimmer gewähren.
Fiale Schlankes, spitzes Tür-mchen. Typische architektoni-sche Zierform der Gotik, die oftals Pfeileraufsatz auftritt.
First Linie, an der die Dach-flächen eines Gebäudes in ei-nem Winkel zusammenstoßen.
Freitreppe Eine außerhalb desGebäudes angelegte Treppe oh-ne Dach.
Fries Waagerechter Streifenzur Gliederung, zum Schmuckund zur Belebung einer Wand.Man unterscheidet zwischenOrnamentfries und Figurenfries.
Fischgrätverband Eine Art desMauerverfahrens, bei dem dieSteine in zwei Schichten ab-wechselnd schräg zueinandergesetzt sind, so daß ein Fisch-grätmuster entsteht.
Forum Römischer Markt- undVersammlungsplatz.
Fresko Malereitechnik, bei dermit Wasser angeriebene, kalk-beständige Farben auf frischenKalkputz aufgetragen werden;bereits seit der Antike bekannt.Die Fresken Raffaels, Michelan-gelos und Tiepolos gelten alsHöhepunkte dieser Kunst.
Gaden (Lichtgaden, Ober-gaden) Die Fensterzone im Mit-telschiff der Basilika.
Galerie Nach einer Seite offe-ner, langgestreckter Gang.1. Repräsentativer Verbindungs-gang im Schloßbau der Renais-sance und des Barock. 2. Offe-ner Laufgang an Kirchen oderWehrbauten.
Gebälk 1. Alle zu einerDeckenkonstruktion gehören-den Balken. 2. In der Antike dieGesamtheit von Architrav, Friesund Gesims.
Gebundenes System Häufi-
112 ANHANG
BEGRIFFSREGISTER
Die erklärten Begriffe sind im Haupttext kursiv gestellt.
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Architektur_112-120 01.02.2006 11:17 Uhr Seite 115
Sockel Der Unterbau eines Ge-bäudes (S.-Geschoß), einer Säu-le oder einer Statue.
Spitzbogen s. Bogen.
Stabkirche SkandinavischeHolzkirche, deren Wände aussenkrechten Pfosten und Ma-sten gebaut sind.
Stabwerk s. Maßwerk.
Staffelhalle Mehrschiffige Hal-lenkirche mit stufenförmig zurMitte ansteigenden Gewölbenin den einzelnen Schiffen.
Stalaktiten Gewölbe der isla-mischen Baukunst, das aus ei-ner Vielzahl von übereinander-gesetzten Einzelkörpern be-steht, die wie Tropfstein herab-zuhängen scheinen.
stereometrisch, Stereometrie
Lehre von der Berechnung geo-metrischer Körper.
Strebewerk/Strebebogen/Strebepfeiler Skelettbau-weise, die besonders für dengotischen Kirchenbau typischist. Die Strebepfeiler dienen zurVerstärkung hoher Mauern undzur Ableitung von Schubkräften.Sie steigen entweder an denAußenmauern empor oder sieüberragen die Seitenschiffe undsind über deren Dächer hinwegdurch Strebebögen verbunden.Das Strebewerk dient der Ver-teilung der Schubkräfte vonDach und Gewölbe.
Stukkatur Aus Stuck (Gemischaus Gips, Kalk und Sand) herge-stellte, plastische Verzierungvon Bauteilen.
Stützenwechsel Wechsel vonPfeiler und Säule im Mittelschiff
der romanischen Basilika, imgebundenen System ist er tech-nisch bedingt.
Tambour Der zylindrische odervieleckige Unterbau einer Kup-pel, meist von Fenstern durch-brochen.
Tektonik Gegliederter Aufbaueines Gebäudes, wobei die Ein-zelteile technisch und formal ei-ne künstlerische Einheit bilden.
Terrakotta Gebrannte Tonerde,aus der künstlerische Gegen-stände wie z. B. Reliefs, Archi-tekturteile, Bauplastik geformtwerden.
Therme Römische Badeanla-ge, durch hohle Wände oderHohlziegel im Fußboden zentralbeheizt.
Tonne s. Gewölbe.
Triforium Ein schmaler, in Bo-genstellung sich öffnender Lauf-gang unter den Fenstern vonMittelschiff, Querschiff undChor des romanischen und goti-schen Kirchenraumes. Das T.dient hauptsächlich der Gliede-rung.
Triglyphe Platte mit drei senk-rechten Einkerbungen am Ge-bälk der dorischen Ordnung.
Tympanon 1. Giebelfeld desantiken Tempels. 2. Bogenfeldüber dem romanischen und go-tischen Portal.
Umgangschor s. Chorum-gang.
Verblendung (Blende) Ein demMauerkörper zur Dekorationund Gliederung hinzugefügtes(vorgeblendetes) architektoni-sches Motiv, z. B. Blendfenster,
Blendarkade.
verkröpftes Gesims s. Ge-sims.
Vierung Quadratischer oderrechteckiger Raum, der durchdie Durchdringung von Lang-haus und Querhaus im Kirchen-bau entsteht.
Vierungsturm Am Außenbauauf der Vierung aufsitzenderTurm.
Volute Architektonisches Gliedmit spiralförmiger Einrollung,z. B. am ionischen Kapitell.
Walmdach Eine Dachform, dieentsteht, wenn die Giebel desSatteldaches durch schrägeDachflächen ersetzt werden.
Wandaufbau Gliederung derInnenseiten der Mittelschiff-mauer einer Basilika. Nach derAnzahl der übereinanderfolgen-den Elemente gehören zumdreizonigen W. Arkade, Emporeoder Triforium sowie Fenster;zum vierzonigen W. gehören Ar-kade, Empore, Triforium undFenster.
Wanddienst s. Dienst.
Wandpfeilerkirche Einschiffi-ge Kirche mit nach innengerückten Strebepfeilern, zwi-schen denen anstelle der Sei-tenschiffe Kapellen liegen.
Werkstein Ein zu regelmäßigerForm zugehauener Naturstein,als massiver, rechteckiger Blockauch Quader genannt.
Westwerk Karolingischen undfrühchristlichen Kirchen im We-sten vorgelegter, annäherndquadratischer Vorbau. Nachaußen erscheint das W. als
breiter Turm, oft von zwei er-höhten Treppentürmen flankiert.
Widerlager Festes Mauer-werk, das dem seitlichen Schubeines Bogens oder Gewölbesentgegenwirkt.
Wimperg Ziergiebel gotischerPortale und Fenster. Der W. istoft von Fialen gerahmt, mitKrabben besetzt und von einerKreuzblume abgeschlossen.
Zentralbau Bauform, bei deralle Teile auf einen Mittelpunktbezogen sind. Der Grundriß be-ruht auf einer geometrischen Fi-gur (Kreis, Ellipse, Quadrat). Dasrömische Pantheon galt als derHöhepunkt des antiken Z.s. Derzentrale Rundbau mit Kuppelwar das Ideal der Renaissance-architektur.
Zentralperspektive Alle vonder Bildebene in die Tiefeführenden Geraden (Fluchtlini-en) laufen auf einen gemeinsa-men Punkt (Fluchtpunkt) zu. Diekonstruierte Z. und ihre theoreti-sche Begründung ist eine Lei-stung der Frührenaissance.
Zikkurat Künstlicher Stufen-berg mit Rampen oder Treppen,auf dem der „Wohnturm“ derGottheit stand.
Zinnen Die Zacken einer Brü-stungsmauer oder einer Brust-wehr. Zwischen zwei Z. liegt ei-ne Scharte.
Zwerggalerie Ein in derAußenmauer ausgesparterLaufgang mit kleiner Bogenstel-lung und zierlichen Säulen. DieZ. war eine Zierform der romani-schen Baukunst ohne konstruk-tive Eigenschaften.
ANHANG 115
Aalto, Hugo Henrik Alvar
(1898-1976) Finnischer Archi-tekt, dessen Bauten sich durchFunktionalität, Anpassung anden Menschen, regionsbezoge-ne Architekturformen und durcheigene plastische Vorstellungenauszeichnen. 94
Abbé Laugiér, Marc-Antoine
(1713-1769) Französischer Je-suitenpater und Architektur-theoretiker des die Antike ver-herrlichenden Klassizismus. 63
Alberti, Leon Battista (1404-1472) Italienischer Baumeister,
Architekturtheoretiker, universa-le Persönlichkeit. In seinem Kir-chenbau St. Andrea in Mantuanahm er die typische Raumformder Barockkirche vorweg. Seine„Drei Bücher über die Malerei“und die „Zehn Bücher über dieBaukunst“ sind grundlegendeTexte der Kunsttheorie. 15, 44,45, 49
Anthemios von Tralleis (6. Jh.n. Chr.) Griechischer Architektund Gelehrter. Erbaute auf Be-fehl des Kaisers Justinian 532-537 in Konstantinopel die HagiaSophia, das Hauptwerk der by-
zantinischen Baukunst. A.v.T.verstand die Architektur als „dieAnwendung der Geometrie auffeste Materie“. 15
Asplund, Gunnar (1885-1940)Bedeutender schwedischer Ar-chitekt, der unter der Verwen-dung von leichten Metallbautei-len, Glas und freieren Dachfor-men den Übergang von derklassizistischen Architekturauf-fassung zur modernen Architek-tur vollzog. 94
Barry, Sir Charles (1795-1860)Frühviktorianischer englischerArchitekt, der auf einer dreijähri-gen Reise (1817-20) internatio-nale Bauwerke studierte. Mit-tels seiner Skizzen entwarf er inLondon Stadtpaläste im Stil derNeurenaissance. Sein Haupt-
werk ist das Parlamentsgebäu-de am Londoner Themseufer.70, 71
Behnisch, Günter (1922-2010)Das bekannteste Werk aus der1966 gegründeten Bürogemein-schaft Behnisch & Partner sinddie Sportbauten des Münche-ner Olympiaparks. B. gehört zuden renommierten deutschenGegenwartsarchitekten für öf-fentlich genutzte Bauten. 104,108, 109
Behrens, Peter (1868-1940)Deutscher Baumeister undKunstgewerbler. Seit 1907 warer Architekt und künstlerischerBeirat der AEG in Berlin. SeineFabriken zählen zu den erstenarchitektonisch bedeutenden In-dustriebauten. 84, 86
ARCHITEKTENREGISTERFett hervorgehobene Seitenzahlen verweisen auf Abbildungen
Architektur 001-120_D 18.10.2012 12:05 Uhr Seite 115 (Text black Auszug)
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Mit Textbeiträgen von Stefan Breitling, Elke Dorner, Andrea Dreher, Markus Hattstein, Friedrich Wilhelm Krahe, Günter Külzhammer,
Iris Lautenschläger, Katrin Bettina Müller, Katja Reissner
Zeichnungen von Christina Melhose
© h.f.ullmann publishing GmbH
© für die abgebildeten Werke,soweit dies nicht bei den Künstlern oder deren Nachlassverwaltern liegt:
Horta, Victor © VG Bild-Kunst, Bonn 2013Lissitzky, Lasar Markowitsch © VG Bild-Kunst, Bonn 2013
Tatlin, Vladimir Evgranowitsch © VG Bild-Kunst, Bonn 2013Le Corbusier © FLC / VG Bild-Kunst, Bonn 2013
Mies van der Rohe, Ludwig © VG Bild-Kunst, Bonn 2013Wright, Frank Lloyd © VG Bild-Kunst, Bonn 2013
Herausgeber: Peter DeliusRedaktion, Layout: Ulrike Sommer
Umschlaggestaltung: Simone StickerCoverfotos:
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Thomas Röske-Fotolia.com; Shen Meng-Fotolia.com;
Jolanthe Leiss-Fotolia.com; David H. Seymour-Fotolia.com
Gesamtherstellung: h.f.ullmann publishing GmbH, Potsdam
Printed in China, 2013
ISBN 978-3-8480-0416-4
10 9 8 7 6 5 4 3 2 1X IX VIII VII VI V IV III II
Architektur 001-120_D 06.11.2012 9:05 Uhr Seite 2 (Schwarz/Process Black Auszug)
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