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German Issue || "Links und rechts umlauert": Zu einem symbolischen Schema in Fontanes "Effi Briest"

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"Links und rechts umlauert": Zu einem symbolischen Schema in Fontanes "Effi Briest"Author(s): Klaus HaberkammSource: MLN, Vol. 101, No. 3, German Issue (Apr., 1986), pp. 553-591Published by: The Johns Hopkins University PressStable URL: http://www.jstor.org/stable/2905607 .

Accessed: 10/12/2014 10:53

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"Links und rechts umlauert": Zu einem symbolischen Schema in

Fontanes "Effi Briest"

Klaus Haberkamm

"Es ist merkwurdig, was alles zum Zeichen wird und Geschichten ausplaudert [.. .]"

(Fontane, "Effi Briest") "Ja, das Asthetische."

(Fontane, "Der Stechlin")

"Der naturalistische Roman hat sich zur Aufgabe gestellt, Gesetze und Causalzusammenhange, welche das Menschenleben beherr- schen, wahrheitsgetreu darzustellen, um die richtige Einrichtung desselben durch Benutzung dieser Gesetze zu ermoglichen." In diesem apodiktischen Satz aus einer Programmschrift Julius Rohrs von 18911 verdichtet sich, gattungsbezogen, diejenige Tendenz des internationalen Zeitgeistes vor der Jahrhundertwende, fur die Wilhelm Scherer das beruhmte Bild pragte von der "Naturwissenschaft [. . ] als Triumphator auf dem Sie- geswagen [... ], an den wir Alle gefesselt"2 seien. Rohrs selbstsi- chere Proklamation fallt zusammen mit den Anfangen von Theodor Fontanes Arbeit an "Effi Briest"; und sofern der nicht- naturalistische Charakter dieses Werkes als ausgemacht gilt, schickte sich sein Autor angesichts der Absolutheit des neuen

' Julius Rohr, "Das Milieu in Kunst und Wissenschaft," Freie Biihne fur modernes Leben II. Jg., April 1891, H. 13, S. 341-345, hier: S. 345. -Spdtere Zitate aus Rdhrs Text ebda.

2 Wilhelm Scherer, "Die neue Generation," Vortrdge und Aufsdtze zur Geschichte des geistigen Lebens in Deutschland und Oesterreich (Berlin, 1874) S. 408-414, hier: S. 411.

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Wahrheitsanspruches offenbar zu einem anachronistischen Un- terfangen an. Anhand einer Spielart der Symbolik in Fontanes vorletztem Roman wird im folgenden zu zeigen versucht, daB er jedoch die Forderungen des Tages gezielt unterlief. Die Ergeb- nisse der Untersuchung sollen sich in das von Richard Brink- manns Titel der "Verbindlichkeit des Unverbindlichen" formel- haft umrissene Fontane-Verstandnis einfugen und der Wendung des Autors selbst von den "bestandigen Zweideutigkeiten" ge- recht werden. Von vornherein mag die historische Tatsache, daB sich in Deutschland nicht allzuviele Romanciers Postulate der Rohrschen Provenienz zueigen machen konnten, als Indiz dafur erwogen werden, daB die Position des spaten Fontane nicht ob- solet war.

* * *

Das 30. Kapitel von "Effi Briest", das der Darstellung von Brief- fund und Duell folgt, entwickelt ein Deutungsmodell des Romans. Die "Geheimratin Zwicker" (228)3 erinnert sich im Gesprach mit Effi uber Vorlieben der Ehemanner an gewisse zweifelhafte Land- partien. "[ ...] schon die bloBen Namen der dabei in Frage kom- menden Ortschaften umschlieBen eine Welt von Angst und Sorge" (257) fur die Berlinerin.

"Und das alles", fuhr die Zwicker fort, "geschieht am grunen Holze der Havelseite. Das alles liegt nach Westen zu, da haben Sie Kultur und hohere Gesittung. Aber nun gehen Sie, meine Gnadigste, nach der an- dern Seite hin, die Spree hinauf. ... .] da begegnen Sie [... .] Namen von geradezu brutalem Charakter [. .]. Aber natuirlich sind das gerade die Platze, die bevorzugt werden."

(257)

Die angedeutete Topographie ist gemafl den beiden Flussen in Halften geteilt. Die Fixierung der "Havelseite" und der "andern Seite [... .], die Spree hinauf", geschieht zudem mittels der Him- melsrichtung Westen und somit impliziter Orient-ierung. Die nicht redundante Hinzunahme der objektiven Himmelsrich- tungen betont die Unverruickbarkeit der Betrachtungsperspektive.

Der Verwechslung beider Seiten ist vorgebeugt, weil die Be- trachtungs- zugleich Bewertungsperspektive ist: Die Zwicker beur-

3 Die Seitenangaben im Text beziehen sich auf Bd. 12 [Effi Briest] und Bd. 13 [Der Stechlin] der Nymphenburger Taschenbuch-Ausgabe, Mrnchen, 1969. Einfachheits- halber sind Zitate aus Dialogen im allgemeinen nicht als solche gekennzeichriet.

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teilt den metonymisch verstandenen Westen der hauptstadtischen Umgebung im Gegensatz zum Osten positiv. Bereits ihre Rede- wendung vom "gru-nen Holze" signalisiert den Vorrang dieses ur- banen Gebietes; das auf Lukas 23, 31 zuruckgehende Deutbild fafit unausgesprochen die Spree-Seite unter der Metaphorik des "diirren Holzes".

Die strenge Antithetik des Zwei-Seiten-Modells, "Kultur und hohere Gesittung" einerseits, Kulturlosigkeit bis zur Brutali- sierung andererseits, wird jedoch uberspielt-analog dem vom biblischen Diktum in der Luther-Sprache ausgedruckten dop- pelten Frevel: "Denn so man das thut am grunen Holz, was will am durren werden?" Das heil3t: Den "Sittlichkeitszustanden" (257) bei- derseits der "grol3en Stadt" (257) droht nach Auffassung der Zwicker Gefahr. Der lediglich graduelle Unterschied in der Moral tendiert zur Angleichung von Westen und Osten. Doch gerade die Terminologie der definitiven Himmelsrichtungen kaschiert diese potentielle Anpassung: Der geographische Westen der Stadt bleibt als Westen auch ins Soziologische ubersetzt unter jedem Blick- winkel formal mit sich identisch und vom gleichermaflen unveran- derlichen Osten dichotomisch abgehoben. Der Anspruch auf An- derssein stellt aber inhaltlich-qualitativ auf Bessersein ab. Diese sprachliche Taktik des (vornehmen) Westens, als dessen Ange- horige die Zwicker spricht, verfangt. Sie spiegelt sich im Bewufltsein des "Ostens", da sich "diese Landpartien [...] das Volksgemut als eine Kremserpartie mit 'Ich bin ein Preusse' vor- stellt [.. .]" (257).

Die "gute Sitte" (256), auf deren Geltung Effis moralische Selbstvergewisserung gegen die Skepsis der Zwicker besteht, ist mithin ein Politikum. Entsprechend sieht die Geheimratin im Usus der bedenklichen Landpartien "die Keime einer sozialen Revolu- tion" (257) schlummern. Doch es geht ihr nicht primar um die aktuelle politische Lage des Reiches:

[.. .] Wenn ich sage "soziale Revolution", so meine ich natuirlich mora- lische Revolution, alles andere ist bereits wieder uberholt, und schon Zwicker sagte mir noch in seinen letzten Tagen: "Glaube mir, Sophie, Saturn friBt seine Kinder."

(257)

Auch wenn Zwicker die "historische Entwickelung" (257) gelas- sener beurteilt als der ultrakonservative "alte Herr von Borcke"- der "dem Drachen der Revolution das giftige Haupt" (119) noch

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zertreten zu mussen glaubt-, erweist sich in der Argumentation seiner Witwe der beunruhigende politische Aspekt deutlich als Funktion des gefahrlichen moralischen. Die in Zwickers Apercu aus zweiter Hand artikulierte Genugtuung teilt die Geheimratin namlich nicht: Der gesellschaftliche Umsturz drohe nicht mehr von den 'Sozialisten', sondern von der sittlichen Dekadenz der Oberschicht. Diese Befurchtung, mag sie auch von deren burger- licher Reprasentantin stammen, entlarvt Innstettens "Gotzen- dienst" (242) am "Gesellschafts-Etwas" (240) bereits vor seiner Selbsterkenntnis. -Die Assimilation des "Westens" an den "Osten" ist auflerdem im Ansatz von Gegenlaufigkeit begleitet: Der "treu ergebensten Dienerin" Roswitha Gellenhagen, die sich unkonventionell fur die "gnadige Frau" (292) verwendet, muB ihr fruherer Herr moralische Uberlegenheit bescheinigen. Buchstab- lich "gute Sitte" als Politikum! Anders als die metonymisch ver- standenen Himmelsrichtungen, die als Sprachbarrieren wirken sollen, sind die sozialen Einstufungen "oben" und "unten" im Roman keine konstanten Groflen mehr.

Die 'horizontale' und 'vertikale' Relativierung innerhalb des moralisch-politischen Zwei-Seiten-Modells ist als Fazit festzu- halten. Die zwei Seiten des Modells besitzen ihrerseits sozusagen je zwei Seiten, die insgesamt eine Nivellierung innerhalb des Modells bewirken. Indem "jedes Ding zwei Seiten hat"-die volkstumliche Wendung kann als eine der spielerischen Konkretisierungen des Lieblingswortes Briests vom "weiten Feld" betrachtet werden , gibt es zwei Ansichten davon. -Die von der Terminologie der Himmelsrichtungen im wortlichen und ubertragenen Sinne scheinbar festgeschriebene Alternative mufi indessen erzahlerisch noch starker unterlaufen werden; denn das in der Metonymie der Zwicker-Figur manifeste moralisch-politische Bewufltsein des un- umstofllichen Gegensatzes pragt in ihrer Sicht zunachst den Westen wie den Osten im klassenspezifischen Sinne. Die Einschat- zung der jeweils anderen, kontraren Schicht ist danach von affir- mativer Selbsttauschung gekennzeichnet. Auf der einen Seite zeige sich Zwicker von der Selbstzerstorung der (latenten) politi- schen Revolution und damit der eigenen Superioritat uberzeugt; aber Borckes Losung wird der realen geschichtlichen Situation weitaus eher gerecht. Auf der anderen Seite glaube das "Volks- gemut" bei den Landpartien an seriose Unternehmungen in staats- erhaltendem Geiste, an die Korrespondenz von guter Sitte und politischer Gesinnung-was einschuchtert und selbst bei distan-

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zierter Haltung des "Volkes" seinen hier mit dem Etikett der "so- zialen Revolution" versehenen Eigeninteressen abtraglich ist. Die von der Zwicker referierten Fehlurteile huben wie druben demon- strieren, daB sich die Alternative als Lebensmuster im ganzen zwar nur in formaler, doch wirksamer Weise aufrechterhalt. Dieser ge- genseitigen Verkennung mit politisch stabilisierender Funktion setzt der Autor indirekt, ebenfalls am Beispiel der Zwicker, emi massives Aufklarungs-, d.h. Relativierungssignal entgegen: Er er- setzt die definitiven Begriffe West/Ost durch die relativen Begriffe Rechts/Links. Dadurch erhoht sich der Modell-Wert des Zwei- Seiten-Rasters in "Effi Briest".-Ein Ausblick auf den "Stechlin" soll der Fundierung der Rechts-Links-Begrifflichkeit dienen.

In seinem letzten abgeschlossenen Roman laBt Fontane den Er- zahler im Zusammenhang der Wahlkampagne einen "Linkskan- didat" (169) erwahnen. Im Bestimmungswort des Kompositums liefert der Autor somit einen Begriff nach, der ihm im vorausge- henden Roman auf Grund verhaltnismad3ig geringer Akzen- tuierung der politischen Handlungskomponente entbehrlich er- scheint. Die politisch "linke" und "rechte" Position kannjedoch im Zwickerschen Modell den statt dessen benutzten metonymischen Himmelsrichtungen leicht zugeordnet werden. Auf Grund der Geistesverwandtschaft zwischen der Gattin des Parvenus von Gun- dermann dort und der Zwicker hier erstreckt sich Dubslavs Standes-Analyse, wo sie die erstere beruhrt, gleichsam auf die letz- tere mit: "Unser eigenstes Vollblut bewegt sich auch in Extremen und hat einen linken und einen rechten FlIgel; der linke nahert sich unsrer geborenen Helfrich" (43). Offensichtlich versieht Fon- tane die im parlamentarischen Sprachgebrauch Frankreichs wahrend der Restaurationszeit aufgekommenen politischen Ord- nungsbegriffe auch mit der Konnotation der politischen Kultur und guten Sitte. Nur daB sich die Valenzen des Politischen und des Sittlichen in beiden Romanen, thematisch bedingt, chiastisch zueinander verhalten. Vom "Stechlin" her gesehen ist also das nach dem West-Ost-Schema konstruierte Zwei-Seiten-Modell der "Effi Briest" ein Rechts-Links- bzw. Links-Rechts-Modell, was schon das profanisierte Zitat vom "grtinen Holze" im fruheren Roman selbst impliziert: In konstanter ikonographischer Tradition ver- fugt ein und derselbe (Lebens-)Baum uber eine bluhende und eine welke Seite bei deren entsprechender rechter und linker Pla- zierung.

Die "gute Sitte" und ihr Gegenteil, wie sie innerhalb des Zwei-

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Seiten-Rasters der Zwicker fungieren, bilden das dominante Thema des Gesprachs zwischen ihr und Effi und zugleich des ge- samten Romans. Der politischen Komponente des Rasters als eines Gesprachsparts korrespondieren die quantitativ zwar nachran- gigen, vor allem durch das Roman-Motiv der Reichstagswahl aber aufgewerteten politischen Stellungnahmen vornehmlich von Seiten des konservativen Adels und einiger liberaler Opponenten. In dieser 'kristallinen' Werkstruktur liegt der Modell-Charakter des zweiseitigen topographischen Berlin-Panoramas begriindet. Seine Eigenart ist, weiterhin unter Zuhilfenahme des "Stechlins", genauer herauszuarbeiten.

In einer scheinbar banalen Causerie mit Woldemar bekennt Czako seine Vorliebe fur Kegelbahnen. "Fur mich", fuhrt er aus,

"fangt das Vergnugen erst an, wenn das Brett lang ist und man der Kugel anmerkt, sie mochte links oder rechts abirren, aber die einge- borene Gewalt zwingt sie zum Ausharren, zum Bleiben auf der rechten Bahn. Es hat was Symbolisches oder Padagogisches, oder meinetwegen auch Politisches."

(87f.)

Die dezidierte Beilaufigkeit des letzten Begriffs meint ihr Gegen- teil. Die Kegelbahn ist von immenser politischer Signifikanz und ahnlich dem West-Ost-Tableau in "Effi Briest" Deutmodell des "Stechlins". Czako pladiert quasi fur den "goldenen Mittelweg" der Kugel, die mit der. Vorstellung der Fortuna-Kugel zu asso- ziieren ist: Standig zu befurchten steht ihr Abirren nach "links oder rechts"- Richtungsangaben, die der vorgeschaltete Kapitel- teil hauft. Das drohende Entgleisen der Kugel ist durch den mit- gegebenen Impuls zur Stetigkeit zu vermeiden. Auf der Bedeu- tungsebene kann solche Steuerung-was fur die Kombination von guter Sitte und ihrer politischen Erscheinungsform in beiden Ro- manen von Belang ist-nach Czakos eigener Auslegung padago- gischer oder politischer Art sein. Die 'Auflerlichkeit' der Bahn- lange setzt die raumliche Dimension in die zeitliche um, auch iubertragen betrachtet. Der "rechten" Bahn entspricht unbe- schadet etymologischer Verwandtschaft in diesem Falle nicht die rechte, die wie die linke ein Irrweg ware. Mit der ebenso konkreten wie trivialen Kegelbahn liegt folglich-um die erste von Czakos Erklarungen aufzugreifen-ein spezifisch Fonta- nesches Symbol vor. Es erinnert, auch dinglich, an die Schaukel in "Effi Briest". Als Symbol kann die Kegelbahn auch unabhangig

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von der Figuren-Interpretation fungieren, weil Fontane nicht nur mit einem Element, der Kugel, sondern insgesamt ein altehrwur- diges Sinnbild auf eigenwillige und moderne Weise in Dienst nimmt: das des Dreiweges namlich. Beim Deutbild dieses Konigs- weges, der via regia, hat "nur die Weg-Eigenschaft 'geradeaus' positive Bedeutung."4 Sogar die Versuchung liegt nahe, das Her- vorheben des Mittelkegels in Czakos Imagination-"acht um den Konig" (87)-in die Symbolik einzubeziehen. Der gerade und be- standige Konigsweg der politisch-sozialen Reform, das ist das 'padagogische' Anliegen des "Stechlins", verburgt die Uberfiussig- keit der Revolution, sei es von "links", sei es, recht verstanden, von der anderen Seite. "[... ] was revolutionar ist, das wackelt" (47), versichert Dubslav, mit der gewahlten Metapher gleichsam auf das Symbol der Kegelbahn verweisend.

Das ausgehende 19. Jahrhundert definiert-Hubert Ohl hat das ausfuhrlich nachgewiesen5-den Gehalt eines Symbols geradezu. Wie im vorliegenden Falle kann das durch ausdruckliche Setzung der Figuren selbst geschehen. Jedenfalls ist der Figurenbezug ein bestimmendes Merkmal des spatzeitlichen Symbols und tragt we- sentlich zur Eingrenzung seiner Gultigkeit bei. Anhand von Hegels Einteilung der "Symbolischen Kunstform" in der "Asthe- tik" hat Ohl die Struktur des vom Kunstler Fontane konstituierten Symbols als "die eines 'als Symbol gewuJ3ten Symbols'"6 ermittelt; erzahlerisches Symbolisieren werde bei ihm-in Hegels Worten- "zu einem bewufiten Abscheiden der fur sich selber klaren Bedeu- tung von ihrem sinnlichen, mit ihr verwandten Bilde."7 Nicht nur auf die Landschaftsschilderung, sondern auch auf kompakte Ding-Bilder wie die Kegelbahn im "Stechlin" trifft Hegels Beob- achtung zu, daB die konkrete Erscheinung der separaten, ob- gleich der Erscheinung affinen Signifikanz "ausdrucklich zu einem bloflen Bilde heruntergesetzt"8 werde. -Indem die Figur

4 Wolfgang Harms, Homo viator in bivio: Studien zur Bildlichkeit des Weges, Medium Aevum: Philologische Studien, Bd. 21 (Muinchen, 1970) S. 183. -Besondere Be- wertungen des Konigsweges, etwa durch Plato, konnen hier auBer Betracht bleiben.

5 Vgl. hierzu und zum Folgenden Hubert Ohl, Bild und Wirklichkeit: Studien zur Romankunst Raabes und Fontanes (Heidelberg, 1968) S. 200ff.

6 Ohl, Bild und Wirklichkeit, S. 220. 7 Zitat so bei Ohl, Bild und Wirklichkeit, S. 220. 8 Zitat so bei Ohl, Bild und Wirklichkeit, S. 220. -Im Zusammenhang fiuhrt Hegel

aus, den "ersten A u s g a n g s p u n k t" der Entwicklung der Symbolik bilde " die eigentliche unbewuBte originare Symbolik, deren Gestaltungen noch nicht als Sym-

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Czako einerseits den Symbolbegriff expressis verbis 'verkuindet' sowie durch Synonymisierung fullt und damit eingrenzt, ja erst von der Kegelbahn als solcher plaudert, um dann ihre Auslegung hinzuzufuigen, verhalt sie sich insoweit paradigmatisch. Indem der Autor seine Gestalt andererseits zweifach auf uberlieferte Symbola, etablierte und allgemeine Sinnbilder, zuruckgreifen lafIt, entzieht er sich eindeutiger nachhegelscher Klassifizierung. Wohl konsti- tuiert er seine eigene 'Symbolik'- mit den hier diskutierten Exem- peln allerdings in weitausholendem Ruckgriff in die Geschichte der Sinnbildlichkeit: Offenkundig liegen mit der Anschauung der rol- lenden, zur Abweichung drangenden (Fortuna-)Kugel und dem Orientierungssystem des Konigswegs, die Fontane ingenios-hu- morvoll zu der realistischen Kegelbahn kombiniert, emblematische Allegorien vor. "Sprechen [... .] die Emblematiker selbst gelegent- lich von einem Symbolon, dann meinen sie damit allein den Bildteil des Emblems", das "notwendig des sinnaufschlieflenden Textes" bedarf.9 Czakos Erlauterungen ubernehmen im "Stechlin" sozu-

bole g e s e t z t sind." Er fahrt fort: "Das E n d e dagegen ist das Verschwinden und Sichauflosen des Symbolischen, indem der bisher a n s i c h seyende Kampfjetzt in's KunstbewuBtseyn kommt, und das Symbolisiren deshalb zu einem b e w u B t e n A b s c h e i d e n der fur sich selber klaren Bedeutung von ihrem sinnlichen mit ihr verwandten Bilde wird, jedoch in dieser Trennung zugleich ein ausdruckliches B e z i e h e n bleibt, das sich aber nicht mehr als eine u n m i t t e 1 b a r e Identitat, sondern als eine bloBe V e r g 1 e i c h u n g Beider geltend macht, in welcher die fruher ungewuBte Unterschiedenheit und Trennung ebenso sehr zumVorschein kommt. -DieB ist der Kreis des als Symbol g e w u B t e n Symbols; die fur sich ihrer Allgemeinheit nach gekannte und vorgestellte Bedeutung, deren konkretes Erscheinen ausdrucklich zu einem bloBen B i 1 d e heruntergesetzt, und mit der- selben zum Zweck kunstlerischer Veranschaulichung verglichen ist." (Georg Wil- helm Friedrich Hegel, Werke: Vollstandige Ausgabe durch einen Verein von Freunden des Verewigten [ ...] Zehnter Band. Erste Abtheilung. Berlin, 1835, S. 410f.) An spa- terer Stelle definiert Hegel: "Unter der bewuBten Symbolik namlich ist zu ver- stehen, daB die Bedeutung nicht nur fur sich gewuBt, sondern a u s d r ii c k 1 i c h von der auBerlichen Weise, in welcher sie dargestellt wird, unterschieden gesetzt ist. Die Bedeutung, so fur sich ausgesprochen erscheint dann [... .] nicht wesentlich in der Gestaltung, welche ihr auf solche Weise gegeben wird. Die Beziehung beider aufeinander bleibt aber nicht mehr, wie auf der vorigen Stufe, ein in der Bedeu- tung selber schlechthin begrundetes Beziehen, sondern wird ein mehr oder weni- ger zufalliges Zusammenbringen, welches der S u bj e k t i v i t a t des Poeten, dem Vertiefen seines Geistes in ein auBerliches Daseyn, seinem Witze, seiner Erfindung uberhaupt angehort, wobei er denn bald mehr von einer sinnlichen Er- scheinung ausgehn, und ihr aus sich eine verwandte geistige Bedeutung einbilden, bald seinen Ausgangspunkt mehr von der wirklich oder auch nur relativ innern Vorstellung nehmen kann, um dieselbe zu verbildlichen, oder selbst nur ein Bild mit einem andern, das gleiche Bestimmungen in sich faBt, in Beziehung zu setzen." (Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Werke, S. 487).

9 Albrecht Schone, Emblematik und Drama im Zeitalter des Barock, 2., uberarbeitete und erganzte Auflage (Munchen, 1968) S. 32.

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sagen den Text-Part zum erzahlten Bildteil im Sinne der ur- spriunglich ikonographisch-literarischen Mischform. Deren zeit- gemdiBe Aktualisierung ermoglicht Fontane die relativ selbstan- dige und limitierte Fiulung. Arbeitsgenetisch durfte es-wie es Hegel auch vorsieht-eher umgekehrt sein: Der Autor findet zu seiner auf den Begriff gebrachten Erzahlabsicht, die mindestens idealtypisch vorausliegt, die ihm passend erscheinende, bereitste- hende Allegorie hinzu. Sofern Fontanes Sinn-Bildlichkeit bereits auf andere Weise Gestaltetes im Roman aufgreift-wobei es frei- lich selten zu bloBer Doppelung kommt-, findet dieses Struktur- merkmal seine Erklarung in ihrem emblematischen Grundzug: Es erganzen sich (erzahltes) Bild und 'Kommentar' zu einem-ge- schichtlich ja vorgegebenen-Formtypus. Insofern kann fur Fon- tane auch Goethes in den "Maximen und Ref lexionen" niederge- legte einschlagige Erkenntnis (Nr. 750) bemuht werden. Von Goethes Symbol unterscheidet sich die hier untersuchte Variante des Fontaneschen Sinnbildes nicht so sehr als dessen Fortentwick- lung oder genauer: Verfallserscheinung wie paradoxerweise als eine seiner historischen Vorstufen in assimilierter Form, als seit der Antike ererbte und modifizierte Allegorie. Es ist von daher ratsam, auf der Grundlage des Gesamtbestandes der von Fontane selbst so genannten Symbolik seinen bisherigen Stellenwert in der Geschichte der epischen Symbolkunst zu uberdenken. Dabei konnte sich ergeben, daB der Autor als Symboliker tatsachlich das manieristisch tingierte Auslaufen eines langanhaltenden Gestal- tungsprozesses allegorisch-emblematischer Pragung markiert.

Auch ohne die Interpretation einer epischen Figur ist der wohl- verstandene Symbolcharakter der hier exemplarisch zu behan- delnden Kegelbahn gewahrleistet, und zwar durch die Integration der Links-Rechts-Opposition in das Deutsystem des Konigswegs. Die Wertbesetzung dieses formalen Gerusts der Orts- oder Rich- tungsangaben konstituiert ein universell verbreitetes 'Symbol', das geschichtlich weit vor die politische Auslegung des 19. Jahrhun- derts zuriickreicht. Seit der Antike sind Deutbilder bekannt, die sich des Links-Rechts-Gegensatzes bedienen und ihn vornehmlich religios und bzw. oder ethisch-moralisch auffullen. Die Synkrisis des Herakles am Scheidewege und das Y-Signum, die beide mit der Zweiwege-Vorstellung des Neuen Testaments (Matth. 7, 13ff.) verkniupft sein konnen, sind als herausragende Beispiele zu nennen.10 In der Regel reprasentiert die rechte Seite der Deut-

10 Vgl. Harms, Homo viator, passim; dazu: Sr. Ursula Deitmaring OSU: "Die Be-

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bilder, der gegebenenfalls der beschwerliche, schmale Weg zu- geordnet ist, den positiven Wert, gemeinhin das Seelenheil oder die Tugend, und umgekehrt. Erst vor dieser jahrtausendealten, stabilen Uberlieferung sind die Ausbildung der politisch signifi- kanten Variante der Rechts-Links-Polaritat oder Etikettierungen wie die des Rechts- und Links-Hegelianismus durch David Fried- rich StrauB voll verstandlich. StrauB' standortgebundene Aufwer- tung der Links-Position gegenuber der rechten, hinter der das ehemalige religiose Schema erkennbar bleibt, muB dabei unter methodischem Aspekt beachtet werden.-Es ist weniger erstaunlich, daB der symbolisch begriffene Rechts-Links-Gegensatz Eingang in die Literatur gefunden hat, als daB ihm bei Fontane bislang kaum nachgegangen worden ist. Die vermeintlich bloBe Detailfreude des realistischen Erzahlers mag hier blockierend gewirkt haben. Doch gilt uberhaupt fuir die neuere Literaturwissenschaft der Befund des Kunsthistorikers Harald Justin:

wahrend die dechiffrierung der mittellage oder des oben und unten im biologisch-anthropologischen, im kulturellen oder im symbolischen kontext wenig schwierigkeiten bereitet, wie an der vielzahl der verof- fentlichten schriften zu diesem problem abzulesen ist [.. ], hat die rechts-links-problematik bislang weniger beachtung gefunden.[ .. ]"11

Der an der Kegelbahn im "Stechlin" explizierte Symbolbegriff kann, wie ausgefuhrt, auf das Zwei-Seiten-Modell in "Effi Briest" ubertragen werden. Das Analogon bildet das Rechts-Links- Symbol. Im fruheren Roman begrundet die Metonymisierung formal-geographischer Orientierungsbegriffe zusammen mit deren polarer kulturell-sittlicher Wertbesetzung die Symbolik des Modells; die implizite Zuteilung des signifikativen Rechts-Links- Schemas zu den beiden nunmehr sozial bedeutenden Seiten festigt sie: "[ ...] nach Westen [.. .] haben Sie Kultur und hohere Gesit- tung". Der "Westen" ist folglich das Symbol des Hoherwertigen, der "Osten" das des Gegenteils. Der "Westen" gilt somit nach tra-

deutung von Rechts und Links in theologischen und literarischen Texten bis um 1200," ZfdA 98 (1969): 265-292. Vgl. auch Vilma Fritsch, Links und Rechts in Wis- senschaft und Leben (Stuttgart, 1964); Rodney Needham, Right and Left: Essays on Dual Classification, ed. and with an introduction by Rodney Needham, foreword by E. E. Evans-Pritchard (Chicago, 1973); Wilhelm Ludwig, Das Rechts-Links-Problem im Tierreich und beim Menschen: Mit einem Anhang: Rechts-Links-Merkmale der Pflanzen, Mit 143 Abb. (Berlin, 1932) (zoologische Abhandlung).

"I Harald Justin, "rechts und links im bild. zu den stromen der bipolaritat piktu- raler einschreibungen," kultuRRevolution nr. 6 (Juni 1984): 48-52, hier S. 48. '

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ditionellem Muster als der im Doppelsinne Rechte, der "Osten" demgemaB als der Linke. Doch die Gleichsetzung absoluter Him- melsrichtungen mit relativen Seiten-Angaben, sei beides wortlich oder ubertragen verstanden, kann nicht automatisch erfolgen. Diese begriffliche Nicht-Identitat erzahlerisch bewuBt zu machen ist Fontanes Ziel, indem er dem Deutbild in "Effi Briest"-dessen AusmaBi ubrigens das seines ublichen epischen Landschaftsbildes symbolischer Art ubersteigt, wie das der Kegelbahn im Garten es unterschreitet- das Links-Rechts-Schema integriert. Zugleich macht der Autor so die bisher fur diesen Fall als implizit ermittelte symbolische Rechts-Links-Dichotomie zu einer ausdrucklichen. Vom beherrschenden Thema der "guten Sitte" in "Effi Briest" her steht zu erwarten, daB die inhaltliche Fullung des dem Zwei- Seiten-Modell assimilierten Rechts-Links-Schemas moralischer Art iSt.

Zolas "Nana", Lekture der Zwicker, gibt das Vorzeichen fur die Konzeption der Figur ab, die nicht nur das Zwei-Seiten-Modell formuliert, sondern ihm auch existentiell angehort: Zwar gaben ihr schon die bloBen Namen der bei den Landpartien besuchten "Vergniigungsorter" "einen Stich ins Herz" (257), doch man habe "schliefflich auch seine Hilfsmittel und Gegenkrafte" (256). Im Sinne dieser Doppeldeutigkeit kann die mannerfreundliche Be- gleiterin Effis nach deren Annahme "wahrscheinlich sogar mit einer Vergangenheit" (229) aufwarten. Nach Auffassung Inn- stettens-von dem seine Frau weiB, daB er "wohl mit Recht" "die Unsitte unserer Zeit aus diesem und ahnlichem" (229) herleitet- ist daher die Zwicker "keine Frau fur Effi, der nun mal ein Zug innewohnte, sich nach links hin treiben zu lassen" (230). Den Denk- und Lebensstil der erfahrenen Zwicker kennzeichnet und wertet Innstetten demnach indirekt mit der Symbol-Metapher "links". Dieser Position zugeneigt zu sein glaubt er von Effi; der Roman kIBt ihn noch im selben Kapitel erfahren, daB sie sie bereits erlangt habe. Mit der Verwendung des Symbols markiert Inn- stetten seinen eigenen moralischen Standpunkt als rechten, be- dingen doch formallogisch Rechts und Links einander. Der Autor setzt diese Bezogenheit der Pole in Handlung um, hier indem er die Perspektive Innstettens nahtlos in die des Erzahlers hinilber- gleiten aIBt und so ein motivisches Junktim schafft: Der Ehemann habe nach der Erwagung von Effis "Links-Drift" davon Abstand genommen, "irgendwas in diesem Sinne zu schreiben [... .], weil er sich sagte, daB es doch nichts helfen wuirde" (230). Ironischerweise

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gibt der "Schulmeister" (280) die Erziehung seiner Frau kurz vor der Entdeckung der Briefe auf. Das Motiv des Erziehertums Inn- stettens, welches das Erzahlarrangement deutlich als "rechtes" Motiv ausweist, ist eng auf das inhaltlich kontrare Motiv von Effis passivem "Treiben" bezogen. Sahe allerdings Innstettens verspa- teter Verzicht auf padagogische EinfluBnahme wie die Kapitula- tion der rechten vor der linken Kraft aus, so ware ubersehen, daB Fontane strukturell gemaB der Dialektik von Rechts und Links verfahrt: Effis latente Neigung zum "Aparten" (89) wird in Reak- tion auf den massiven Einsatz von Innstettens "Angstapparat aus Kalkil" (136) aktiviert, was letztlich wiederum steigernde Auswir- kung auf Innstettens erzieherische Haltung hat. Umgekehrt stoBt mit der Katastrophe der vollendeten Links-Drift Effis Innstettens Ehrgeiz-von dem seine erzieherischen MaBnahmen, vor allem die Kultivierung von Effis Empfanglichkeit fur Spukhaftes, funk- tionell abhangen-ins Leere. Formelhaft gesprochen: Links gibt es nur, weil es Rechts gibt, und vice versa. -Wie Innstettens sym- bolisches Bild des "Treibenlassens" auf das Zwei-Seiten-Modell wenige Kapitel danach vorausweist, so weist es auf ein ahnliches Bild wenige Kapitel vorher zuruck. Luise Briest, in manchem Inn- stetten verwandt, urteilt uber ihre Tochter, sie lasse "sich gern treiben, und wenn die Welle gut ist, dann ist sie auch selber gut" (220). Nur scheinbar setzt die Mutter den Akzent anders als ihr Schwiegersohn, denn das Gegenteil ihrer positiven Konkreti- sierung drangt sich gerade in der Aussparung auf, zumal "Kampf und Widerstand" (220), die aufzubieten nur gegen eine "schlechte Welle" sinnvoll ist, nicht Effis Sache seien. Der nur teilweise aus- gesprochenen Gut-Schlecht-Antithese hier entspricht die nur teil- weise ausgesprochene Rechts-Links-Opposition dort. Fontanes durch Hinzunahme des Links-Symbols differenziertes Bild des Treibens verdeutlicht indes, daB die traditionelle Korrespondenz von Rechts und Gut diesmal nicht vorausgesetzt werden kann, auch wenn das "Verbotene, das Geheimnisvolle" (172), das seine Macht als das Linke auf Effi ausiubt, eindeutig das Schlechte bleibt. Die Logik des Bildes vom Treiben besagt doch: Die Links-Drift- in der Sprache des Bildes gesprochen-verstarkt sich durch den Rechts-Druck. Das Aparte, dem Effi zuneigt, wird von "rechts" aus zum "A-parten". Erziehung, die mit 'Spuk'-Terror operiert, er- reicht das Gegenteil des Angestrebten. Es zeichnet sich ab, daB die Relativitat der Positionen zur Relativierung der von ihnen symbo- lisierten Inhalte und damit Werte tendiert. Rechts kann, pointiert

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gesagt, effektiv zu links werden. LaBt der Druck von rechts nach, entsteht ein Sog in diese Richtung: Fontane signalisiert jenseits von Psychologisierung und Kausalitat Effis Abkehr von der "linken" Zwicker im Augenblick gesteigerter Einfuhlsamkeit Inn- stettens fur seine Frau. Wahrend dieser auf einmal rucksichtsvoll die "nach links hin" Treibende mit Ermahnungen fUr den Um- gang mit der Geheimratin "nicht verstimmen wollte" (230), h6rte Effi den pikanten Erzahlungen ihrer Begleiterin

mit sehr geteilten Empfindungen zu. Wenn die Geheimratin nur ein biBchen anders gewesen ware, so hatte dies alles reizend sein konnen, aber da sie nun mal war wie sie war, so fuhlte sich Effi wenig angenehm von dem beruihrt, was sie sonst vielleicht einfach erheitert hatte.

(255)

Umgekehrt bringt- Fontanes Wellen-Bild ist stimmig-der Druck von rechts einen Sog nach links hervor: Beim ersten, von Innstetten keineswegs begrif3ten Ausritt zu dritt-auf dem der Offizier Crampas gegen den Juristen Innstetten geltend macht, alle "Gesetzlichkeiten" seien langweilig (131)- reitet "Effi zwi- schen ihnen" (130). Dasselbe Kapitel erzahlt, bei einem spateren Ausflug-Innstetten ist durch die Wahlkampagne verhindert- zwinge "die Enge des Weges [ ...] die beiden Reiter dicht neben- einander" (133). Brauchen hier die Plazierungen nach rechts und links als selbstevident nur impliziert zu sein, sitzt Crampas bei der Uberquerung des Schloons, mit dem das Wellen-Bild strukturell korrespondiert, auf gleichengem Wege expressis verbis links von Effi. -In der Konsequenz des Bildes der Woge liegt obendrein die "Fluktuation" der Handlung von einer "Seite" zur jeweils an- deren. Nachdem Effi innerlich und auBerlich zur Ordnung zur- uckgekehrt ist, treibt sie die Dressur Annies, eine besonders "linke" Variante rechter Erziehung,12 sozusagen wieder nach links, in die Untreue tieferer Art:

[.. .] ich will euch nicht mehr, ich hass' euch, auch mein eigen Kind. Was zuviel ist, ist zuviel. Ein Streber war er, weiter nichts.-Ehre, Ehre, Ehre ... [... ] Mich ekelt, was ich getan; aber was mich noch mehr ekelt, das ist eure Tugend. Weg mit euch.

(280)

12 Es ware zu prfifen, ob Annies exponierter Verlegenheitsgeste in der bedeu- tungsvollen Szene der Wiederbegegnung mit der Mutter, "mit der Linken" (278) nach der Tischdecke zu greifen, unter diesem Aspekt Signifikanz zukommt.

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An sich den Schuldlosen und Unschuldigen vorbehalten, denn "eine Schuldige kann ihr Kind nicht erziehen" (259), vermag sich Erziehung negativ auszuwirken, falls sie starr wird.

Die verdeckte Satirisierung der Oberschicht im Zwei-Seiten-Mo- dell der Zwicker-dessen Generalthema der guten Sitte das Erzie- hungsmotiv subsumiert ist-wird durch den festen und damit af- firmativen Rahmen der metonymisch verwendeten Himmelsrich- tungen gedampft. Deren Substitution durch die Korrelation Links-Rechts, dies ergibt sich methodisch aus der Interpretation des vorausliegenden Wellen-Bildes, lost das sprachlich stabilisierte Orientierungs- und Wertungsgerust auf und setzt die Satire durch Relativierung frei. Die Relativierung ergibt sich dabei nicht nur aus der Korrelation von Rechts und Links. Sind doch die Orts- bzw. Richtungsangaben rechts und links buchstablich eine Sache der Perspektive! Damit kann auch unter symbolischem Aspekt Rechts/Links je nach "Ansicht" zu Links/Rechts werden. In wohl- kalkulierten erzahldidaktischen Schritten laBt Fontane seinen Er- zahler diese Reduktion der Verbindlichkeit, nicht zuletzt der ideo- logischen Valenz, demonstrieren. Der von Ohl beobachteten per- spektivischen Symbolik Fontanes gesellt sich im signifikativen Rechts-Links-Schema eine Spielart mit im eigentlichen Sinne per- spektivischer Funktion hinzu. Auf diese durch gehaufte Rechts- Links-Symbolik erzielte wechselnde Perspektivierung der Erzahl- struktur kommt es dem Autor in "Effi Briest", aber auch in an- deren Romanen, entscheidend an, da die intendierte asthetische Perspektive eine symbolisch iiberhohte ideologische ist. Derjewei- lige, w6rtlich begriffene Standpunkt der Figuren auf der Erzahl- ebene ist zugleich ein auf der Bedeutungsebene angesiedelter, ubertragen zu begreifender. Die Differenz literaler Standorte, wie sie sich aus Handlungs- und Personenkonstellationen ergibt, ist eine Differenz der im uneigentlichen Sinne verstandenen Stand- punkte. Die Bewertung der metaphorisierten Standorte wechselt mit der Perspektive, derjeweils eine Perspektive im Wortsinne zu- grunde liegt. Und diese ist notwendig immer eine doppelte; rechts kann, je nach Blickrichtung, auch links sein. Um die Symbolik zu konkretisieren: Eine sich beispielsweise topographisch nach rechts wendende Romanfigur braucht, signifikativ gesehen, keineswegs fur jede Betrachtungsweise das Rechte zu tun. Diese zweifache Orientierung leistet paradoxerweise dadurch Rezeptions- steuerung, daB sie den Leser mit dem kalkuliert verwirrenden Spiel der Perspektiven um so mehr zur Einnahme eines eigenen

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verstehend-wertenden Stand-Ortes herausfordert. Auch ftir den Rezipienten gilt zunachst einmal die strukturell vermittelte Ein- sicht, daB "alle Zeichen triigen" (186)-wie Innstetten weiB-und daB "alles so seine zwei Seiten" (189) hat-wie Effi weiB-, daB es mithin schwer ist zu wissen, erkenntnismdiBig und praktisch, "was man tun und lassen soll" (123), wie der StoBseufzer des alten Briest lautet. Diese Situation des Rezipienten symbolisiert in "Effi Briest" drastisch das der Kegelbahn dinglich und funktionell ah- nelnde Symbol der Berliner Pferdebahn, das nicht nur auf Effis gewissensgescharfte Beziehung zu Crampas zielt: "Und wenn es dann so klingelt", lobt Roswitha indirekt die Kessiner Idylle ohne GroBstadtverkehr, "und man nicht weiB, ob man links oder rechts soll, und mitunter ist mir schon gewesen, als ginge alles grad uber mich weg" (190).13

Die Zwangslaufigkeit der Relativitat von Rechts und Links zwingt den Autor zum gestalterischen Nachweis der Intentiona- litat seiner Symbolik als einer in der Romanstruktur ambivalenten. Fontane fuhrt ihn durch erzahlerischen Einsatz von ausnahms- weise wertkonstanten Links- bzw. Rechtssymbolen, von Symbolen also mit fixer Ausrichting auf einen "Gesichts-Punkt". Links- bzw. Rechts-Symbol und Bezugsmarke bilden in diesem Falle gewis- sermaBen ein festes, sich gemeinsam bewegendes System-im Ge- gensatz zu Relationen mit autonomem, allein wechselndem, d. h. sich verdoppelndem, Perspektivpunkt. Fontane hat der Crampas- Figur die Aufgabe des Paradigmas zugedacht.

Nach Innsteten ist Crampas "ein Mann der Riicksichtslosig- keiten und hat so seine Ansichten iuberjunge Frauen" (166). Aber auch objektiv ist der "Mann vieler Verhaltnisse" (107) dem Thema der guten Sitte klar zugeordnet. Der "Damenmann" (107) hat sogar-Prazedenzfall fur die weitere Handlung-in einem Duell eine bleibende Blessur davongetragen. Aus dieser entwickelt der Realist Fontane ein zwar das asthetisch Bedenkliche streifendes, doch unter methodischem Aspekt unumgangliches Symbol im Rahmen seines Rechts-Links-Schemas: Crampas' Pladoyer fur den "Leichtsinn" (132) widerspricht Innstetten unter anziuglichem Blick "auf des Majors linken, etwas verkiirzten Arm" (132). Nun

13 Um der Symbolik willen laBt sich Fontane fast von der Kolportage 'iberrollen': Bevor Effi nach "rechts", in das Bekenntnis zur Ehe, ausweicht, hat sie mit dem Vorschlag zu gemeinsamer "Flucht" (237) den Sprung nach "links", zu Crampas, gewagt. Insofern fungiert Roswithas Feststellung: "Nein, so was ist hier nicht" (190), als Ironie.

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besagt Harald Weinrichs "anthropolinguistische Theorie", "daB die Prapositionen der deutschen Sprache in ihren Bedeutungen das Anschauungsmodell leiblicher Kommunikation abbilden.''14 Die Praposition "links (von)" und "rechts (von)" mit ihren Varianten und Gleiches gilt fur die anderen einschlagigen Wortarten-lieBen

namlich in ihrer Opposition besonders deutlich erkennen, daB es hier nicht auf geometrische Dimensionen, sondern auf die spezifische Sei- tigkeit des menschlichen Korpers ankommt. Die semantischen Konno- tationen dieser beiden Prapositionen setzen immer voraus, daB eine dieser Seiten, normalerweise die rechte, die bessere ist, wahrend die andere Seite, normalerweise die linke, die schlechtere ist.15

Bei damit ubereinstimmender moralischer Wertigkeit von "links" und "rechts" nimmt Fontanes gestalterischer Wille im Falle der Crampas-Figur die auf auBere, geometrische, Referenzpunkte projizierte "Leibseitigkeit" gewissermaBen auf diese selbst zuruck, wodurch die Referenzpunkte bei aller Mobilitat der Figur in ihrem buchstablichen und symbolischen Seitenbezug fixiert werden. Crampas' verstummelter Arm, unabanderlich der Korperachse zugeordnet, bleibt immer der linke. Die Bedingtheit der Verwun- dung, die Innstetten hervorhebt, macht die GliedmaBe zum sym- bolischen Zeichen galanten Leichtsinns, zum Links-Symbol. Durch pragmatisch unn6tige Wiederholung hervorgehoben (vgl. 107), stempelt also das 'Stigma' des verkiirzten Arms, das in inhaltlich- ursachlicher Beziehung zu-allgemein gesprochen -unkonven- tionellen Erscheinungen der 6ffentlichen Sitte steht, Crampas zu einem "Linken". In Ubereinstimmung damit setzt er Innstettens Credo -"Gesetz", "Disziplin", "Zucht und Ordnung" (131)- eine Haltung entgegen, die jener im Grunde mit den Reizwortern des konservativen alten Borcke bezeichnen konnte: "Auflehnung, Trotz, Indisziplin" (119). Der Modell-Charakter des Zwickerschen

14 Harald Weinrich, Fur eine Grammatik mit Augen und Ohren, Handen und Fifien am Beispiel der Prapositionen, Rheinisch-Westfalische Akademie der Wissenschaften. Geisteswissenschaften, Vortrage-G 217 (Opladen, 1976) S. 12; das Folgende S. 13.

15 In diesem Zusammenhang ist eine Anmerkung Weinrichs um des Unter- schiedes zur "westlichen" und damit Fontaneschen Denkform willen interessant: "Im Chinesischen benutzt auch die Gemeinsprache die Himmelsrichtung, um die linke und die rechte Position zu beziehen. Das ist aber nur ein scheinbarer Wider- spruch zum Anschauungsmodell des Leibes. Denn fur das chinesische (Sprach-)Denken ist der Mensch mit den Kommunikationsorganen seines Leibes nach strengen Regeln in das Universum mit seinen (Himmels-)Richtungen hiqein- gestellt." (Weinrich, Fiur eine Grammatik mit Augen und Ohren, S. 13 Anm. 29).

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Zwei-Seiten-Panoramas bestatigt sich hier exemplarisch durch das Hinuberspielen der (guten) Sitte ins Politische. -Fontane stutzt das gewagte anatomische Links-Symbol erzahlerisch dadurch, daB er Effi in der weltanschaulichen Debatte der beiden Manner am Strand fur Crampas Partei ergreifen lIBt, nachdem sie-was fur die symbolische Topographie des Schloon-Abenteuers drei Ka- pitel spater bedeutsam ist-mehrmals "ein Stuck ange- schwemmtes Holz [... .] nach links hin in die See oder nach rechts hin in die Kessine" (131) geworfen hat.16

Crampas' Arm dient Fontane nicht nur als 'symbolmetho- discher' Beleg, sondern fuihrt auch die epische Vorausdeutung als eine wichtige Leistung des signifikativen Links-Rechts-Schemas vor: Der notdurftig verheilte Arm ist als linker kaschiertes Un- heilssymbol, und das um so starker, als standige Verkruppelung und nicht umkehrbare Seitenfixierung der GliedmaBe ideell zur Deckung gelangen. Crampas' Untergang ist von vornherein un- ausweichlich; Innstettens Worte: "Aber mal kommt es" (131), sind unter symbolischem Gesichtspunkt zukunftsgewisse Prophe- zeiung. Zudem ist der fur immer gezeichnete Major im Unter- schied zu den ubrigen Hauptfiguren als unwandelbar in seiner 'links-lastigen', bohemehaft-fatalistischen Grundstimmung und seinen Lebensanschauungen avisiert: "[...] er lebt gern und ist zugleich gleichgultig gegen das Leben. Er nimmt alles mit und weiB doch, daB es nicht viel damit ist" (244). "Alles ist Schicksal" (237), schreibt er in einem seiner Briefe an Effi.

Das 16. Kapitel-auffallenderweise dasselbe, in dem Crampas' Arm als Links-Symbol bestatigt wird-bietet auch das 'symbol- methodische' Pendant "zur Rechten". Als zweite Passion Inn- stettens auBer dem Ehrgeiz nennt Crampas den Erzieherdrang: "[. .. ] er operiert namlich immer erzieherisch, ist der geborene Pad- agog [...], links Basedow und rechts Pestalozzi" (136). In dieser saloppen Verbildlichung totalen Erziehertums nehmen die beiden Padagogen materiell und symbolfunktionell exakt den Platz ein, den die Arme fur Crampas innehaben. Wahrend in dessen Fall aber bezeichnenderweise ausschlieBlich der linke Arm eine pragmatisch-symbolische Rolle spielt, hebt sich in der Anspielung

16 Die Kessiner Veranda mit dem Schaukelstuhl (!), an die als Ort der ersten Begegnung mit Crampas sich Effi spaterhin noch genau erinnert (vgl. 222), besitzt "links und rechts breite Leinwandvorhange [ ...], die sich [...] hin und her schieben lieBen" (124). Schon hier fiuhren Innstetten und der Major eine Art Streitgesprach, in das sich Effi einschaltet, um Crampas auf ihre Seite zu ziehen.

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auf Goethes Gedicht "Dine zu Koblenz" der Unterschied von Rechts und Links gleichsam in der substantiellen Gleichheit des als "rechts" symbolisierten Erzieheramtes Innstettens auf:17 Weder Basedow noch Pestalozzi konnen mit der von ihm kalkulierten Angst als Disziplinierungsinstrument in Verbindung gebracht werden.18

Die bisherigen Ergebnisse der Analyse der Rechts-Links-Sym- bolik in "Effi Briest" lassen sich auf der Grundlage des Romanein- gangs zusammenfassen, bevor sie auf zentrale Kapitel des Werkes interpretatorisch angewandt werden sollen. In den drei ersten Ka- piteln, die die Handlung bis zur Verlobung vorantreiben, setzt Fontane die Rechts-Links-Korrelation dreimal ein, und zwar je einmal. Diese suggestive Haufung laBt-was die dem Autor so wichtige Expositionsfunktion des Romanbeginns unterstreicht das allgemein bewuBte symbolische Denkschema assoziieren. Im ersten Kapitel macht die Titelheldin "abwechselnd nach links und rechts ihre turnerischen Drehungen" (8), was die Mutter zur er- sten, weitreichenden Kennzeichnung Effis, als "Tochter der Luft" (8), veranlaBt. Das hier gewissermaBen starre Rechts-Links- Schema gleicht dem von Crampas vertretenen Muster; bei Gym- nastik liegt ein Bezugspunkt auBerhalb der Korperseiten habituell nicht vor. Fontane weist hier somit nicht nur weit auf den 'symbol- methodischen' Sonderfall der Crampas-Figur voraus, sondern bietet auch zuallererst die Folie fur das Verstandnis des wesentlich modifizierten zweiten Beispiels, das seinerseits die Einsicht in die Eigenart des dritten und mit ihm der Links-Rechts-Symbole des

17 Von gleicher Struktur ist Effis Vergleich ihres Mannes mit einem orientali- schen Fursten aus einem Bilderbuch; "in seinem Rucken war [... .] eine groBe rote Seidenrolle, die links und rechts ganz bauschig zum Vorschein kam" (57). Symbo- lisch ist auf die Rolle eines Paschas abgehoben, dessen Machtanspruch dem des 'Erziehers' Innstetten gleicht.

'8Jiurgen Link spricht unter Bezug auf die analoge Stelle im 14. Buch von Goethes Dichtung und Wahrheit ("Ich saB zwischen Lavater und Basedow; der erste belehrte einen Landgeistlichen uiber die Geheimnisse der Offenbarung Johannis, und der andere bemuhte sich vergebens, einem hartnackigen Tanzlehrer zu be- weisen, daB die Taufe ein veralteter und fur unsere Zeiten gar nicht berechneter Gebrauch sei. [ ...]" [Zit. nach Link]) vom "obskurantismus eines lavater" und vom "aufklarer basedow", ordnet also entsprechend die Rechts-Position im Gedicht als konservativ-reaktionare Lavater, die Links-Position als progressive Basedow zu. Wahrend nach der hier vertretenen Auffassung bei Fontane die Extreme im rechten Pol zusammenfallen, muB sich Goethe als "deutsche[r] burger" laut Link "zunachst einmal nach zwei seiten hin scharfstens gegen extreme abgrenzen", bevor er "ein reformerisch gemeintes Wort sagen darf." (Jurgen Link, "assymmetrie und exzentrizitat bei holderlin," kultuRRevolution, nr. 6. (Juni 1984): 56-58, hier: S. 56).

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Romans uberhaupt vorbereitet. Setzt sich mit dem zweiten Beispiel Effis Turnen in Laufen "links hin, rechts hin" (16) um, hebt be- sonders die scheinbar geringfugige sprachliche Erganzung der Richtungsangaben die Differenzierung hervor. Die von den Ad- verbien verdeutlichte Bewegung ist von der buchstablich und sym- bolisch ortsgebunden-statischen Gymnastik unterschieden. Als auf ein Ziel "hin" gerichtete impliziert sie uber die Korperorien- tiertheit hinaus ein Umfeld, zu dem sich die Richtungen als relativ verstehen. Bei somit mobilen, vom Bezugsrahmen getrennten Per- spektivpunkten ist die Voraussetzung fur die Umkehrung von rechts und links gegeben. Dies geschieht beim drittenmal. Jetzt laBt der Autor den Erzahler das Umfeld konkretisieren: Effi schreitet mit den befreundeten Zwillingen "zwischen den rechts und links bliihenden Studentenblumen auf und ab" (20). Die Wie- derholung des Vorgangs macht den beim zweiten Beispiel nur vir- tuellen Perspektivwechsel fur die Figuren explizit. Beim Hinschreiten etwa rechts stehende Blumen befinden sich beim Herschreiten links. Das anscheinend Gleichbleibende, Blumen- sorte und Zwillinge, verandert sich in seinem-freilich noch ganz im AuBerlichen verbleibenden-Bezug auf die Zentralgestalt. Auch manifestiert sich der Perspektivwechsel sprachlich: Die Trias der Belegstellen etabliert zunachst die Paarung Links-Rechts durch Wiederholung, um sie dann durch die umgekehrte zu ersetzen. Die dritte Verwendung des Links-Rechts-Schemas demonstriert schlieBlich den Zusammenhang von Raum und Zeit bei der Fest- stellung der Orientierungsmarken. Effis Auf- und Abgehen als notwendig temporales Fortschreiten bestimmt links und rechts auBer nach dem Ort nach der Zeit. So 'gesehen', ist die Perspektive auch und primar eine zeitliche. Dem Rechts-Links-Symbol ist damit eine Komponente hinzugewonnen, deren strukturelle Wichtigkeit aus Innstettens Grubeln uber die Grenze der Ver- jahrung erhellt. Die Abhangigkeit der Funktion der Rechts-Links- Symbolik vom erzahlten Zeit-Punkt ist somit in "Effi Briest" stets mitzubeachten. 19

19 Eine auf den ersten Blick unscheinbare Mitteilung des Erzahlers, ebenfalls schon aus dem dritten Kapitel, veranschaulicht, daB der im doppelten Verstande rechte Ort eine Funktion der Zeit ist: Die Damen Briest sitzen bei ihrer ersten Berlin-Reise gelegentlich "bei Kranzler am Eckfenster oder zu statthafter Zeit auch wohl im Cafe Bauer" (23). Fontane konnte davon ausgehen, daB dem zeitgenossi- schen Lesepublikum nicht nur die Namen, sondern auch die Lokalisierung der beiden beruhmten Cafehauser vertraut waren: genau einander gegeniuber, "Unter den Linden" Nr. 25 und Nr. 26 (vgl. Theodor Fontane, Effi Briest, Munchen, 1981

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In den Kapiteln 18 und 19, der formalen Mitte des Romans, laBt Fontane der Schilderung der nachtlichen Ruckfahrt der Gesell- schaft von der Weihnachtsfeier die der Hinfahrt am Nachmittag vorangehen. Zu Beginn der Sequenz legt sich Effi Rechenschaft uber ihr bisheriges Verhalten gegen Crampas ab: "Nein, sie konnte sich nicht tadeln, auf seinen Ton eingegangen zu sein, und doch hatte sie ganz leise das Gefuhil einer iuberstandenen Gefahr" (145). Die sich in dieser Reaktion abzeichnende, vorerst gestoppte, "Links-Drift" Effis macht auf der narrativen Ebene ihre An- nahme, "daB das alles nun mutmaBlich hinter ihr lage" (145), als Illusion kenntlich.

Aus mehr als pragmatischen Grunden hat auf beiden Strecken der Schlitten mit dem Landrat "die Tete" (151) inne; gravierend unterschiedlich ist-bei identischer Topographie-die Strecken- fuihrung. Die exakte Beschreibung des Erzahlers transzendiert of- fenbar den Realismus:

Zwischen Kessin und Uvagla (wo, der Sage nach, ein Wendentempel gestanden) lag ein nur etwa tausend Schritt breiter, aber wohl an- derthalb Meilen langer Waldstreifen, der an seiner rechten Langsseite das Meer, an seiner linken, bis weit an den Horizont hin, ein groBes, uberaus fruchtbares und gut angebautes SWt&k Land hatte. Hier, an der Binnenseite, flogen jetzt die drei Schlitten hin.

(152)

Weniger als um den sagenhaften heidnischen Tempel, der im- merhin vorausweisend den Ort derVerfuhrung grob markiert, ist es um den an sich trivialen Wald mit seiner (suidlichen) Binnen- und (nordlichen) "Buten"-Seite zu tun. Der Erzahler will unter Kaschierung der perspektivischen Gebundenheit seiner Schil-

[= Theodor Fontane, Sdmtliche Romane, Erzahlungen, Gedichte, Nachgelassenes, hrsg. von Walter Keitel und Helmuth Ntirnberger, Werke und Schriften, Bd. 17], S. 343f. zu Text S. 23.-Das folgende Zitat ebda.)-eine Plazierung, die sich ubrigens an Innstettens "Privatwohnung" im Verhaltnis zum eigentlichen "Landratsamt [...] schrag gegenuber, an der anderen Seite der StraBe" (49), wiederholt. Nach der Himmelsrichtung lag das eine Cafe also unveranderlich auf der Nord-, das andere auf der Sucdseite der All&e-von deren Langsachse her aber wechselweise rechts oder links. Der zeitliche Aspekt potenziert die Relativierung: Da das "Bauer" "nachmittags und abends Treffpunkt der Berliner Halbwelt" ist, mussen sich die Damen Briest-so die Anspielung des Romanerzahlers-bei der Wahl des Cafes nach der Tageszeit richten. Die Perspektive im wbrtlichen und ubertragenen Sinne wechselt: Nur zur rechten Zeit (vormittags) liegt das "Bauer" rechts, am rechten Ort, wirklich und symbolisch. Denn im Rahmen des Generalthemas der "guten Sitte" macht die symbolisch unschwer als "links" zu identifizierende Demimonde, das 'Lokal' zu einem "linken" Platz.

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derung spielerisch glauben machen, der Wald besitze ebenso ob- jektiv-invariabel eine Rechts- und eine Links-Seite. Er mochte den Eindruck erwecken, die nach Himmelsrichtung und Verhaltnis zum Meer festgelegte Binnenseite-Entsprechendes gilt fur die AuBenseite-falle zusammen mit der relativen linken Seite. Er laBt die einmalige -Verwendung der Korrelation links und rechts in diesem Kapitel, die mit deren Akkumulation im folgenden kon- trastiert, als gleichsam statuarische an dieser Suggestion mit- wirken, macht aber eigentlich bereits in der scheinbaren Tautologie der Seitenbestimmung die Diskrepanz in der Orientierungsstim- migkeit bewuBt. Diese Leistung resultiert dann vollends aus der erzahlerisch exponierten Umkehrung von Blickrichtung und Sei- tenfestlegung in der Erzahlung des nachtlichen Geschehens. Die Fahrt entlang der zum Meer gelegenen (AuBen-)Seite des Waldes, jetzt der linken, verwehrt den Schlitten der Schloon. Aber auch die Route an der, nunmehr rechts liegenden, Binnenseite hin scheidet entgegen Effis Erwartung aus; sie

nahm an, daB schlieBlich an dem landeinwarts gelegenen AuBenrande des Waldes hin die Weiterfahrt gehen wurde, genau also den Weg ent- lang, auf dem man in friuher Nachmittagsstunde gekommen war. Inn- stetten aber hatte sich inzwischen einen anderen Plan gemacht, und im selben Augenblicke, wo sein Schlitten die Bohlenbrucke passierte, bog er, statt den AuBenweg zu wahIen, in einen schmaleren Weg ein, der mitten durch die dichte Waldmasse hindurchfuhrte. Effi schrak zu- sammen.

(164)

Weil der fuhrende Innstetten die Schlitten nach dem Halt am Schloon nach rechts schwenken laBt-was einer Fahrt auf dem linken Ufer des ursprunglichen Rinnsals gleichkommt-, bedeutet das Uberqueren der Brucke eine Links-Kehre. Diese wird durch das uberraschende Einscheren in den Waldweg verdoppelt!20

Effis Erschrecken signalisiert zwar die von ihr gespurte' Bedro- hung durch die ungunstig veranderte Situation-uber eine tat- sachlich bevorstehende Versuchung oder gar uber deren Ausgang ist aber, zumal nach Effis fruherem Optimismus, auf Handlungs- niveau in diesem Augenblick noch nicht entschieden. Doch die

20 Dieser Doppelung stehen im selben Kapitel zwei Rechts-Angaben des Er- zahlers in rahmender Funktion gegenilber (vgl. 159 u. 165). Beide situieren das verschneite Kessin-auf dem Hintergrund von Brentanos Gedicht "Die Gottes- mauer" symbolisch der Ort der Unschuld und Geborgenheit-im Verhdltnis zum Meer als Bereich sirenenhafter Lockung fur Effi.

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vorbereitende intensive (Links-)Symbolik des Autors spricht eine klare Sprache; und so kann sich der Erzahler auch die Konkreti- sierung des Geschehens im Walde weitgehend ersparen. Die vor- angehende Symbolik wirkt um so starker, als ohne Innstettens expressis verbis nicht begriindetes-Manover an der Waldecke der Weg entlang der in Fahrtrichtung rechten AuBenseite die Linksschwenkung vor der Brucke unter symbolischem Aspekt neutralisiert hatte.

Fontane ist darauf bedacht, die Links-Symbolik im Kapitel un- verkennbar aufzubauen: Sidonie von Grasenabb-die ihre dezi- diert 'rechten' Anschauungen wahrend der Weihnachtsfeier bekraftigt: "Keine Zucht. Das ist die Signatur unserer Zeit." (153) -nimmt auf der Ruckfahrt zum VerdruB Effis den freigewor- denen Platz Innstettens ein. Dennoch sitzt die "dreiundvierzig- jahrige alte Jungfer" (67)-im Gegensatz zu der Effi mindestens in der Empfanglichkeit fur Spukhaftes und im "Gefahrdetsein" (98) verwandten Trippelli bei der vorweihnachtlichen Soiree ein Jahr fruher (vgl. 94)-rechts von der jungeren Frau: Effi stellt sich schlafend und neigt den Kopf zur anderen Seite-"immer mehr nach links" (160). Auf eine penetrante Anzuglichkeit "diese(r) furchtbare(n) Sidonie" (153) hin, die Effi fruher "rundweg fur eine 'Atheistin' erklart" (67) hat, wendet diese sich einmal mehr "ungeduldig zur Seite" (161). Zwischen diese beiden Hinweise auf Effis Links-Wendungen plaziert der Erzahler eine Warnung Si- donies, die sich der symbolischen Metaphorik des im Grunde gleichgesinnten Innstetten (vgl. 155) an die Seite stellt: "Sie sollten sich nicht so sehr nach links beugen, meine gnadigste Frau" (160). Obwohl Sidonie den richtigen "Einsetzemoment" (160) fuir ihre Sticheleien erst spater gekommen sieht, erweckt der Autor schon mit dieser Formulierung seiner Figur den Anschein einer Allusion und hebt so die Warnung auf die symbolische Ebene. Sidonie- die ebenso boshafte wie scharfe Beobachterin, die Effi unmiBver- standlich versichert, es falle ihr leicht, andern "ins Herz zu sehen" (161)-spielt auf Crampas an. Eigentlich banale Realien wie das fehlende "Schutzleder" (160) oder die am Schlitten dafur nicht einmal vorhandenen Haltehaken sind in die Symbolisierung ein- bezogen. Schutzleder haben fur die das Aparte liebende Effi "so was Prosaisches" (160). Die Links-Symbolik des Kapitels ist dann vollig etabliert, wo sie sich von der Bindung an Sidonies Perspek- tive emanzipiert: "wenn ich hinausfloge [!]", erwidert Effi, "mir war es recht, am liebsten gleich in die Brandung" (160). Das Meer

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liegt in Fahrtrichtung links. Die seit dem ersten Kapitel des Romans eingesetzte Symbolik der "Flut" (14) wird hier, im 19. Ka- pitel, durch das Umspielen des "Meerfrauen"(160)-Mythologems verdichtet und verquickt sich mit der Links-Symbolik. Spatestens von da ab stehen die erzahlten Ereignisse um den Schloon im Zei- chen der Lockung von "links" als des Pendants zur Drift nach links. Die Vorausdeutung ist ausgangssicher. Nach Innstettens Anweisung vor dem Schloon bewegen sich die Schlitten "immer dicht an dem Wasserlaufe hin, an dessen anderem Ufer dunkle Waldmassen aufragten. Effi sah hinuber" (164), d. h. zum Schau- platz der folgenden Verfuhrung-nach links. Sie wendet sich damit ab von dem rechts befindlichen Waldstiuck, dessen "Gehege, [.. .] drin Wild eingezaumt war" (153), nach allen Einzelheiten als Symbol ihrer Ehe fungiert. GemaB der Basis-Korrelation gibt es- das von Effis Mutter gebrauchte Wellenbild lehrt es ausdrucklich -auch in symbolischer Hinsicht Links nicht ohne Rechts.

Den vor dem Schloon "am auBersten Flugel haltenden Gieshuib- lerschen" (162) Schlitten konnte man links in der aufge- ruckten 'Troika' vermuten. SchlieBlich hat der ihn lenkende Inn- stetten die Spitzenposition inne und durfte wie Effis Schlitten "hart am Wasser hin" (159) gefahren sein. Die Damen bemerken jedoch, "daB rechts von ihnen [...] auch die beiden anderen Schlitten hielten-am weitesten nach rechts der von Innstetten gefiuhrte". Scheinbar pleonastisch erganzt der Erzahler, es habe "naher heran der Crampassche" (161) gestanden. Damit findet sich-die Pole bedingen einander systemgerecht-Effi auf dem linken Flugel wieder, noch links vom vorerst mittleren Standpunkt des Majors. Anders als die beiden Waldsaume, welche die unmit- telbare Vergleichsfolie abgeben, unterliegt diese Formation nicht der Relativierung durch Perspektivwechsel, ist doch weder ein mogliches Gegenstuck erzahlerisch realisiert, noch die Perspektive von Erzahler oder Figuren auf das jenseitige Ufer des Schloons verlagert: Die Hinfahrt verlauft unproblematisch und damit ohne Halt; auf der Ruckfahrt folgt nicht nur Effis Blick, sondern auch der des Erzahlers den unbehinderten Kutschen vom diesseitigen Ufer des Schloons aus nach. Dieser Wasserlauf, "im Winter [ ...] nicht immer, aber doch oft [...] ein Sog" (162), steht fur den Nachmittag des Ausflugstages nicht zur (Erzahl-)Rede; zur Uber- raschung der Ruckkehrenden erst nachts vorfindlich, legt er sich gleichsam als Barriere vor einen Perspektivwechsel. Die Situation der drei Schlitten am Wasserlauf entzieht sich folglich dem Ver-

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gleich-ein Argument, das nach Ruckuberquerung des Schloons mit Blick auf den Waldrand gerade nicht gilt. Die erstaunliche Anordnung der drei Schlitten verweist den "verbindlichsten aller Landrate, der sich, um hilfreich zu sein, sogar von seiner jungen Frau trennen wolle" (159), auch im ubertragenen Sinne eindeutig auf die rechte Seite. Innstetten ist in der ungewohnlichen Kut- scherrolle auf der Fabel-Stufe des Erzahlten zugleich Lenker (des fremden Schlittens) und Fuhrer (aller Schlitten). Bald wird vom "rechten Flugel her [...] des Landrats bestimmte Weisung her- iuber"-schallen (164), wobei das Werk fur die Reminiszenz an Kantor Jahnkes militarisch-gravitatischen Auftritt "am rechten Flugel" (29) der Marschkolonne bei der Sedan-Parade sorgt. Sym- bolischer Lenker und Fuhrer Effis und Crampas'-die ihm auf derselben Fabel-Stufe in je einem Schlitten folgen-ist Innstetten, weil die "ziemlich angeheiterten Scherzen" (159) entspringenden Komplimente gegen den zuvorkommenden Landrat auf seine Ehe allgemein zutreffen. Die Rucksicht auf andere, aber auch Ehrgeiz und Geltungsbeduirfnis des Reichstags- und Minister-Aspiranten lassen ihn seine junge Frau vernachlassigen und sie fur Crampas' Werben empfanglich werden. Pragt Innstetten spater die Wen- dung von Effis Links-Drift, so braucht seine eigene-rechte- Stellung nur noch Implikation zu sein, darf sie allein an seine posi- tive Selbsteinschatzung gebunden bleiben, weil Fontane seinen Er- zahler als Instrument der Symbolisierung langst objektivierend und sanktionierend hat vorarbeiten lassen.-Allerdings besetzt Innstetten am Schloon den rechten Platz nur so lange, wie die Schlitten halten; die auf seine Anordnung erfolgende Weiterfahrt nach rechts, aber das linke Ufer entlang hebt jene Position auf. Innstetten, so wird auf diese Weise symbolisiert, "steht rechts", als Handelnder gerat er jedoch nach links, gerade indem er sich rechts halt: Ostentativ laBt ihn Fontane den zunachst an seinen Schlitten herantretenden Major als Beistand (!) zu Effi schicken: Crampas geht nach links, und zwar am eigenen Schlitten vorbei ganz nach links! Eine Klimax ist mit diesem "Fauxpas" (166)-der um so mehr als Innstettens "Schritt vom Wege" fungiert, als er die Bezeichnung nicht gelten lassen will-konsequent durchgefuihrt: Auf Innstettens Initiative ist mit Crampas die "Partie zu Oberfor- ster Ring verabredet" (149) worden; nachdem ausgerechnet "das linke Pferd" (158) Mirambo verletzt hat, bietet sich der Landrat als Kutscher an; zuletzt dirigiert dieser Crampas-der mit seinem Schlitten nicht nur im wortlichen Verstande zwischen seinem ehe- maligen Kriegskameraden und dessen Frau steht-zu Effi.

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Diese Fehlentscheidung Innstettens prajudiziert die gravierende auf dem jenseitigen Schloon-Ufer; buchstablich und symbolisch gerat der recht(s) denkende Mann auf linke Abwege. Der statt des AuBenweges am Waldrand durch unerwartetes, doch geplantes Abbiegen nach links gewahlte schmale Weg ist praktisch die Paral- lele zum vom Schloon verwehrten Weg entlang dem-nunmehr linken-Waldrand. Er ist mithin das Aquivalent zur Strecke ent- lang der links liegenden, Effi 'rufenden' See. Diese Symbolik ver- mittelt die auf der Handlungsebene nicht ausgefuihrte Motivation fir Innstettens eigenen "Schritt vom Wege"; die am Gegensatz von links und rechts orientierte Szenerie erweist sich als symbo- lische Projektion seines "leitenden" BewuBtseins: Die umfassende Strategie des Ehe-Schulmeisters gegenuber seiner jungen Frau setzt sich hier in Taktik um. Fontane bedient sich dabei darstelle- risch der tradierten Wegebildlichkeit. Durch die Attribuierung des eingeschlagenen Weges, deren Funktion sich keineswegs im Prag- matisch-Stimmungshaften erschopft, bringt der Autor biblische Symbolik ins erzahlerische Spiel, die er ebenfalls im Kapitel sorgsam angelegt hat. Er macht sich so die traditionelle Affinitat zwischen der Rechts-Links-Symbolik und der Symbolik des schmalen und des breiten Weges zunutze, wie sie vor allem in Form der Verse der Bergpredigt zum allgemeinen BewuBtseins- besitz gehor(t)en. Und er bereitet den Einsatz der Wege-Symbolik uberdies durch die Einfiuhrung eines Gespraches sittlich-religioser Thematik an der weihnachtlichen Festtafel vor: Die Handlung des Kapitels gliedert sich deutlich in Halften, die Festlichkeit und den Ruckweg. Die erste, sozusagen rechte Halfte beherrscht auBer Si- donie beispielsweise Guldenklee mit seinen Ausfallen gegen den "ganze(n) liberale(n) Krimskrams" (157) der Zeit. Die Satirisierung seines Verdikts gegen jene "Judengeschichte" (157) von den drei Ringen laBt dieses antidogmatische Symbol fuir die Unmoglichkeit absoluter, unverruckbarer Wahrheit, die auch die Relativitat des Rechts-Links-Symbols im Roman propagiert, desto scharfer in seinem Toleranzappell hervortreten. In der zweiten Kapitelhalfte -deren Schwelle ohne pragmatische Notwendigkeit, aber um so passender das besagte linke Pferd markiert-treten Effis 'links'- gerichtete Sehnsucht und die Crampas-Gestalt bis hin zur Ver- fuihrung zunehmend in den Vordergrund.- Es ist, was die 'rechte' Kapitel-Halfte angeht, Indiz fur die Integration der religios-kon- fessionellen Komponente in die Rechts-Links-Symbolik, daB sich Sidonie als sittenstrenge Erzieherin aus orthodoxer Glaubigkeit geriert. So wendet sie sich an der Tafel Pastor Lindequist, "ihrem

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Nachbarn zur Linken" (155), zu-Sitzordnungen sind besonders in diesem Romankapitel von Signifikanz-, urm ihm pastorale Laschheit vorzuwerfen. Sie beteuert zu wissen, "daB die, denen die FuIrsorge ftir junge Seelen obliegt, es vielfach an dem rechten Ernste fehlen lassen [...], immer dem Unbequemen aus dem Wege gehen" (156). Mit anderen Worten: diese Menschen beschritten-denn das "Fleisch ist schwach" (155)-den leichten, breiten Weg, der, wiederum in Luthers Wortlaut, "zur Ver- dammniB abfuIhret" (Matth. 7, 13). Allzu schnell vergaBen sie, "daB das uns anvertraute Gut auch mal von uns zuruckgefordert wird" (156). Fontanes massive Ironisierung der Roastbeef-Liebha- berin verdeutlicht, wie sehr sich Sidonie selbstgerecht als eine Pil- gerin auf dem schmalen Weg, "der zum Leben fuhret" (Matth. 7, 14), begreift. Der Landrat in der Kutscherrolle nun, "der ihr ei- gentlich zustimmte" (155), geht demgemaB aus padagogischer Verantwortung dem Unbequemen buchstablich nicht aus dem Wege und setzt eine 'junge Seele" der Bewahrungsprobe aus. "Innstetten -sehr zu Crampas' Uberraschung- war auch furs 'Riskieren'" (163), heiBt es zuvor bei den forcierten, aber schei- ternden Versuchen der direkten Schloon-Durchquerung. An der symboltrachtigen Wegegabel hinter der Brucke fuhrt er die Schlitten auf den schmalen Weg, von dem auf der narrativen Ebene Gieshubler arglos meint, er habe nach dem Schloon "immer noch Fahrlichkeit genug" (167) geboten. Zwar ist der Wanderer nach uberkommener religios-symbolischer Vorstellung auf dem engen Pfad von den Tucken des Versuchers umlauert-es gehort gerade zu Innstettens hybridem Vorsatz, daB Crampas in Effis Schlitten mitfahrt-, doch dem Standfesten winkt der "ewige" Lohn, Effi aus der Sicht ihres Mannes analog eine Ehe "ganz wie ein Marchen" (153). Indes uberfordert Innstetten mit diesem Ex- periment zum einen sich selbst. Obwohl er seine Frau bei der An- kunft "scharf beobachtet" (165), erlangt er keine GewiBheit uber ihre Bestandigkeit. Der forschende Blick ist vielmehr Indiz seiner Unsicherheit. Unter symbolischem Aspekt ist dieses Resultat der Probe von vornherein zu erwarten, denn der von Innstetten ein- geschlagene schmale Weg ist gleichermaBen, bezogen auf den jetzt rechts liegenden alternativen AuBenweg, der linke.21 Die Symbol-

21 Zu einer ahnlichen erzdhlerischen Modifikation des orthodoxen Schemas von Rechts-Links(-Allegorik) in Kombination mit signifikativer Wegebildlichkeit vgl. Klaus Haberkamm, "'FRsBpfad' oder 'Fahrweg'? Zur Allegorese der Wegewahl bei Grimmelshausen," Rezeption und Produktion zwischen 1570 und 1 730: Festschrift fur Gunther Weydt zum 65. Geburtstag, hrsg. von Wolfdietrich Rasch, Hans Geulen und Klaus Haberkamm (Bern und Munchen, 1972) S. 285-317.

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werte des Gut und Bose konterkarieren einander. Zum anderen uberfordert, gerade weil es sich eben auch und fur Effi ausschliel3lich um den linken Weg handelt, der Ehemann seine Frau, die sich von Anfang an (symbolisiert im Schlitten) gefahrlich weit nach 'links' neigt. Der Weg den landeinwarts gelegenen Wald- rand entlang, den der erzahlerische Perspektivwechsel zum rechten macht und den Effi als Route falschlich voraussetzt, ware unter den veranderten Umstanden, die in der Zeitdifferenz zwi- schen Hin- und Herfahrt manifest sind, der "rechte" gewesen. Die Persiflage der 'blinden' Selbstgefalligkeit Sidonies als gewisser Parallelfigur zu Innstetten gibt die negative Antwort auf Inn- stettens verhangnisvolle Test-Frage im voraus -wobei die Relati- vierung der rechten Position durch Ironie deren Relativierung durch Symbolik entspricht, sich die Ironie allgemein als funktio- nelles Analogon der Rechts-Links-Korrelation, die immer auch eine Links-Rechts-Korrelation ist, bezeugt.

Innstettens Auftrag bewirkt, daB Crampas nach dem Umsteigen Sidonies "links neben" (164) Effi Platz nimmt. Dort kann er sitzen, weil sie "von der einen Seite nach der anderen" (164) ruckt. Der Erzahler begrundet diesen Vorgang eingehend mit der Etikette, betont damit aber die symbolische Intention des Autors: Die bis dahin vom Meer ausgehende diffuse 'linke' Lockung der nervosen jungen Frau verkorpert sich nunmehr stimmig in Crampas, dem sowieso auf der linken Seite Gezeichneten. Effis rechter Platz im Schlitten-vorher schon einmal adaquaterweise fur eine 'Rechte' aufgegeben-genugt real und symbolisch der gesellschaftlichen Form, nicht ihrem nach 'links' tendierenden Wesen. Zwar symbo- lisiert er ihren Widerstandswillen, doch gleichzeitig ihre Nachgie- bigkeit: Der Platz links von ihr kann dadurch eingenommen werden. Der emblemgemaBe Kommentar des Erzahlers zu diesem 'Bild' folgt bald darauf: Effi "fuirchtete sich und war doch zugleich wie in einem Zauberbann und wollte auch nicht heraus" (164). Effis Gebete versagen, das (Schlitten-)Gelaut hort sie nicht mehr, der Verfuhrer kann-Symbol unter Symbolen-ihre geschlos- senen Finger Ibsen. "[... .] links und rechts umlauert" (96),22 unter- liegt Effi dem gemeinsamen Anschlag Innstettens und Crampas',

22 Vgl. Effis aufschluBreiche Worte zu Innstetten: "Wie galant du bist, Geert. Wenn ich dich nicht kennte, konnt ich mich furchten. Oder lauert wirklich was dahinter?" (148).-Einer dem Trippelli-Bekenntnis vergleichbaren AuBerung Dubslavs fehlt, bezeichnenderweise fur den "Stechlin", die Angabe der Seiten: "Wir sind immer von neidischen und boshaften Wesen mit Fuchsschwanzen und Fleder- mausflugeln umstellt" (53).

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der Exponenten dieser symbolischen Positionen. Die Korrelation bekraftigt ihren Symbolwert und ihre Relativierungsfunktion: Indem sich Innstetten in "linker" Weise zu Effi verhalt, kann Crampas zum rechten Mann fur sie werden. Die dreimalige Ver- wendung des Rechts-Links-Schemas in den drei ersten Kapiteln des Romans symbolisiert den Auftakt des Weges der Titelheldin zwischen den gegensatzlichen Seiten. Umgekehrt faBt das SchluBtableau des letzten Kapitels, in dem das im Werk weitver- zweigte Eisenbahn-Motiv kulminiert, die Lebens-Begegnung der beiden entgegengesetzt disponierten Protagonisten in ihrer ge- genlaufigen und damit sichje einzeln von Pol zu Pol vollziehenden Entwicklung symbolisch zusammen. Die als unfertiges Madchen ausziehende Effi kehrt als gereifte Frau in die Familie und hei- matliche Erde zuriick, wahrend der seinem Lebensgefuhl nach buirgerliche Beamte Innstetten schliefflich sogar mit der Flucht aus der Zivilisation liebaugelt:

Zuge kamen und gingen, und mitunter sah sie zwei Rauchfahnen, die sich einen Augenblick wie deckten und dann nach links und rechts hin wieder auseinandergingen, bis sie ... .] verschwanden.

(296) Der Schloon in seiner komplexen Symbolik gibt die Probe aufs Exempel der dargelegten Interpretation ab. Normalerweise "bloB ein kuimmerliches Rinnsal, das hier rechts vom Gothener See her herunterkommt" (162)- so fuhrt nicht von ungefahr Sidonie diesseits des Wasserlaufs geographisch korrekt aus-, schwelle dieser an,

wenn der Wind nach dem Lande hin steht. Dann druckt der Wind das Meerwasser in das kleine Rinnsal hinein, aber nicht so, daB man es sehen kann. Und das ist das Schlimmste von der Sache, darin steckt die eigentliche Gefahr. Alles geht namlich unterirdisch vor sich.

(162) In jedem Fall vereinigen sich das Wasser von rechts und das Wasser von links; die FlieBrichtungen sind dabei, je nach Perspek- tive, auch umgekehrt benennbar. Im Einklang mit der bislang im Kapitel geltenden Symbolik flieBen diesmal das von links kom- mende Meer und das von rechts flieBende Rinnsal ineinander. Auf diese Weise erganzen sich auch symbolisch Links und Rechts zum Sog, "als ob es ein Sumpf oder ein Moor ware" (162). Die auf die Titelfigur angewandten Wellen-Bilder modifizieren sich. Es

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liegt in der Logik der Gegenstromung, daB Effi sich nicht mehr treiben lassen kann, sondern "versinken" (162) muB.23

Crampas' Auffassung von der "trennende[n] Macht" oder "scheidende[n] Kraft" (169) des Wassers gilt, spielerisch formu- liert, nicht fur benachbarte Kapitel. Wie das komplexe 20. Kapitel in vielfaltiger, nicht zuletzt zeitlicher Hinsicht mit den beiden vor- ausgehenden Kapiteln verknupft ist, so fuhrt es die symbolische Wasser-Motivik massiv fort. Noch wichtiger ist, daB der Roman damit zugleich in einer weit ausholenden strukturellen Korre- spondenz auf Innstettens Symbol-Metapher der Links-Drift vor- ausweist: "So trieb sie denn weiter", heiBt es von Effi, "heute, weil sie's nicht andern konnte, morgen, weil sie's nicht andern wollte" (172). Die Implikation, daB Effi nach links treibe, ist offenkundig. Wenn im selben Kapitel Effi ihren Mann mehrfach an die Wald- ecke begleitet, "da, wo der Morgnitzer Querweg einmundet" und wo Crampas zunachst das Duell stattfinden lassen will (vgl. 243), um dort nach "rechts bis an den Strand" zu gehen, wahrend er "links weiter"-fahrt (173), dann bestimmt das unmittelbar voraus- liegende Bild des Treibens die wahre Orientierung: Effi, die ihren Mann tauscht und ihnje erneut zu betrugen im Begriff steht, geht in Wirklichkeit nach 'links'. Sie entfernt sich von Norm und Kon- vention, wenn sie-parallel zum Schloon-die Richtung ein- schlagt, die zur Einmundung des Waldpfades als des Schauplatzes des ersten Ehebruchs in ihren Strandweg fuhrt. Innstetten, der umgekehrt den gesellschaftlichen Verpflichtungen der Landbe- suche zu Beginn des neuenJahres penibel nachkommt-zu denen unter besonderer Beachtung "des Ordentlichen und Wohlerwo- genen" (173) eingeladen worden ist-, wendet sich damit tatsach- lich nach 'rechts'. Eine der zu besuchenden, uber den Morgnitzer Weg zu erreichenden Familien sind die Grasenabbs. "Empfiehl mich all den Herrschaften; nur bei Sidonie kannst du schweigen" (174), auBert Effi bezeichnenderweise. Das vorherige Kapitel, das

23 Vom Schloon-Symbol aus wird rtickwirkend ein gleichartiges im 17. Kapitel- das bereits die Annaherung zwischen Effi und Crampas intensiviert-voll er- kennbar: "der bis zum Sturm sich steigernde Nordwester stand anderthalb Tage lang so hart auf die Molen, daB die mehr und mehr zuruckgestaute Kessine das Bollwerk uberstieg und in die StraBen trat" (137). Der Verzicht auf explizite Rechts-Links-Symbolik wird hier durch die strukturelle Funktion des Kapitels er- moglicht: Es bildet den Einsatz der Klimax beider folgenden Mittelkapitel mit auf- steigender Anzahl solcher Symbole.

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der Verfuhrung, demonstriert aus der Erzahlsituation heraus denn auch, daB der Morgnitzer Weg nach rechts abbiegt: Nie- mand anders als Sidonie wird mit ihm in Verbindung gebracht. Sie mochte von Effi im Schlitten mitgenommen werden. "Wo der Morgnitzer Weg abzweigt, steig ich aus [ ...]" (159). Auch wenn es sich um verschiedene Wege handeln sollte, bleibt die Richtung nach Morgnitz dieselbe. In beiden aufeinanderfolgenden Kapiteln ist somit derselbe Schauplatz gegeben; bis ins textliche Detail tragt Fontane dafur Rechnung, daB die Perspektive des Verftihrungs- kapitels nachwirkt! Die Wirkung der korrigierten Links-Rechts- Orientierung, die von dem Bild des Treibens auf die Szenen an der Waldecke ausgeht, wird durch die Perspektive des 19. Kapitels mit ahnlicher Handlung bekraftigt. In den jeweiligen Abschieden des 20. Kapitels fallt sogar der erzahlerisch entfaltete Perspek- tivwechsel der Kapitel 18 und 19 mit dem Effekt der Relativierung von rechts und links in eins zusammen. Was aus der einen Blickrichtung rechts bzw. links ist, wird aus der entgegengesetzten links bzw. rechts. Ubertragen gesprochen, glaubt die nach rechts gehende Effi-auch Roswitha gibt sie im selben Kapitel die unzu- verlassige Auskunft, sie spaziere "die Chaussee hinunter und dann rechts an den Platz mit dem Karussell" (174)-zu diesem Zeit- punkt das fur sie Rechte, und zwar aus Opposition zu ihrem Mann, zu tun. Innstetten, der die Etikette und seine Reputation strikt beachtet, vernachlassigt dadurch seine Frau und ermoglicht ihr- wie in der Verfuhrungsszene-obendrein den Ehebruch. In diesem Sinne geht er nach 'links'. In einer wichtigen fruheren Szene fahren beide Ehegatten an der Wegscheide noch zusammen in dieselbe Richtung, und zwar, wie Innstetten bestimmt, nach "links" (85). Damit bestatigt sich die Interpretation dieser, seiner Richtung: Innstetten fahrt ausgerechnet nach Effis nachtlichem 'Spuk'-Erlebnis "auf einem Umwege" (84) zur Station, umr das Grab des Chinesen passieren und seine Einschuchterung Effis in- tensivieren zu konnen. Die Wegscheide an der Waldecke symboli- siert die neue eheliche Situation aufs genaueste: Die Ehegatten be- wegen sich jetzt in entgegengesetzte Richtungen, gehen ausein- ander. Indem Innstetten unter den gegebenen topographischen Umstanden nach links geht, muB sich Effi nach rechts begeben. Die formale Logik der Links-Rechts-Korrelation verweist so auf das ideelle Kausalverhaltnis: Weil Innstetten in seinem ganzen ehelichen Verhalten nach 'links' tendiert, obwohl er als 'Rechter' handelt, wendet sich seine Frau nach 'rechts', was mit 'linker' Akti-

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vitat gleichbedeutend ist. Einmal mehr im Roman bedingen Rechts und Links einander; gemeinsam unterliegen sie der Rela- tivierung durch Perspektivwechsel im buchstablichen und ubertra- genen Sinne. Entsprechend geht Effi-so lautet der emblema- tische Kommentar des Kapitelendes zur groBen Pictura des ge- samten 20. Kapitels-"allerhand Widerstreitendes, Gutes und Boses, [... .] durch den Kopf" (175). Sie erinnert sich an Crampas' Analyse, daB Innstetten "mit dem Spuk und ihrer Furcht eine Ko- modie spiele. Der groBe Erzieher! Aber hatte er nicht recht? War die Komodie nicht am Platz?" (175). Dieses Verhaltnis von Ur- sache und Wirkung ist aber nur die spatere Phase der Entwick- lung: Effis eigenes "verstecktes Komodienspiel" (177) ist nicht nur Voraussetzung fur seines, sondern auch bereits Reaktion darauf. Ihre schwere Gewissensqual, die in der zentralen Spiegel-Szene desselben 20. Kapitels zum Ausdruck kommt, laBt sich durch diese Verantwortung Innstettens freilich nicht beschwichtigen. Von diesem BewuBtsein fur die "gute Sitte" her gesehen, das mitjeder 'Links'-Wendung gescharft wird, geht Effi in diesem Kapitel tat- sachlich standig nach 'rechts'.

Im 28. Kapitel, dem Duell-Kapitel, fallt die Verlaufsrichtung des Kessiner Weges auf. DaB von der Bahnstation aus "der Weg nach links abzweigt" (242), hat der Erzahler zwar bereits innerhalb des 6. Kapitels, in seinem Bericht uber Effis erste Ankunft in der Stadt, mitgeteilt, aber nur indirekt, weil allenfalls von spater her erkennbar:

[...] uber die Schienen weg, die vielgleisig an der Ubergangsstelle lagen, ging es in Schraglinie den Bahndamm hinunter und gleich danach an einem schon an der Chaussee gelegenen Gasthause voruber.

(44) Verschleiernd obendrein fuigt er eingangs hinzu, dort gabele sich der Weg, "wie rechts nach Kessin, so links nach Varzin hin" (44). Durch die nur geringe Versetzung der Orientierungspunkte, einmal Bahnhof, einmal benachbartes Gasthaus, ergibt sich fast der Eindruck einer widerspruchlichen Angabe. Dieses Verfahren findet seine Erklarung auf der Symbolebene des Erzahlten: Zu Beginn liegt fur das Paar Kessin als Ort der Ehe, der gesellschaft- lichen Etablierung und der vermeintlichen Geborgenheit der Wertbesetzung nach "rechts", doch mit dem Schein des Mondes, den Effi vor der Stadt beim Blick "nach rechts hinuber" (48) auf

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"Wasser und Sumpf" (48) liegen sieht, verbindet sich fur sie bereits "Unheimliches" (49). Am Ende, d. h. zu veranderter Zeit, ist demonstrativ derselbe Ort, der als Schauplatz der Handlung abgelost ist, aber kraftig nachwirkt, zum "linken" geworden. Alle 'buirgerlichen' Werte sind fur das Paar vernichtet. Im Schiffs- Motiv wiederholt sich diese Veranderung: Bei der Abreise von Kessin steht Effi "nahe am Steuer" (194) des FluBdampfers, ubrigens nicht ohne sich ihrer ersten Ankunft in der Stadt "im offenen Wagen am Ufer ebendieses Breitlings hin" (194) zu erin- nern. Innstetten nimmt ebenfalls "in der Nahe des Steuers" (242) des Schiffes Platz, allerdings bei seiner Ruckkehr zum Duell. Steuerbord und Backbord, rechte und linke Seite des Dampfers, schiffsbezogen mit sich identisch, sind bei diesen strukturell korre- spondierenden, aber gegenlaufigen Fahrten vertauscht, so daB3 Kessin zuerst wiederum rechts, zuletzt wiederum links liegt: Wahrend Effi sich beim Verlassen Kessins von Crampas lost, kommt Innstetten zuruck, um sich auf todliche Weise an ihn zu binden. Innstetten liefert, einmal mehr kunstformgerecht, den emblematischen Kommentar hinzu: "[...] ein grauer Novem- bertag damals, aber er selber froh im Herzen; nun hatte sichs ver- kehrt: das Licht lag drauBen, und der Novembertag war in ihm" (242f.).

Wie ohne handlungsmaBige Notwendigkeit ein linkes Schlit- tenpferd die Ereignisse der zweiten, 'linken' Halfte des 19. Ka- pitels auslost, so dient hier Fontane abermals eine scheinbare Tri- vialitat als erzahlerischer Ausgangspunkt und als stoffliches Ve- hikel fur von Links-Symbolik stark beherrschtes Geschehen. Der in das Gesprach Innstettens mit Wullersdorf vor dem Duell ein- geschalteten Information ist, im MiBverhaltnis zu ihrer Wichtig- keit im Realnexus, ein eigener Abschnitt vorbehalten:

In diesem Augenblicke wurde von links her ein zuruckgeschlagener Chaisewagen sichtbar, der, weil es noch vor der bestimmten Zeit war, langsam herankam.

(245)

Was daran -pragmatisch -Spannung ist, ist- symbolisch- "Sich-in-Szene-Setzen" (291). Der Detailfreude des Erzahlers tate es keinen Abbruch, falls die Herkunftsrichtung des Zweisitzers ungenannt bliebe, doch weder kann auf eine solche verzichtet werden, noch ist sie durch das Korrelat rechts ersetzbar.

Den Rest des aus dramaturgischen Grunden kurzen Kapitels

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fullteine dichte Abfolge von Links-Rechts-Richtungsangaben, die Fontane hier gegen Ende des Romans nach bewahrtem Muster, aber in resilmierender Haufung symbolisiert: Unter Verzicht diesmal auf die Metaphorisierung der bloBen Orientierungskorre- lation unterlegt er dieser ausdrucklich und um so wirksamer das traditionelle Gut-Bose-Schema, arbeitet mehrfach mit der Wege- gabel als "verlandschaftlichter" (Harms) Denkfigur der Wahl zwi- schen "Links" und "Rechts" und spielt auf die biblische Wegebild- lichkeit deutlich an. Die im Erzahlgeschehen des Kapitels stets prasente, aber immer nur Moglichkeit bleibende Entscheidung fur die rechte Seite steigert die Dominanz der Entscheidung fur die linke Seite. In dieser Konsequenz und Haufung unterliegt die Ab- folge der Links-Angaben einmal nicht der Relativierung. Fontane sorgt auch vom Schauplatz her fur Eindeutigkeit und Konstanz der Blickrichtung: Ware im 19. Kapitel der Schloon zum Zwecke der erzahlerischen Realisierung des Perspektivwechsels fur die zentralen Figuren und den ihnen folgenden Erzahler notfalls noch zu durchqueren gewesen-das Meer ist es hier, im 28. Ka- pitel, nicht.

Der Kutscher des Chaisewagens bekommt ein nicht ernstge- meintes "rechts statt links" (245) liegendes Fahrziel genannt. Die Begrundung dieser Taktik durch den Erzahler leistet die vom Autor intendierte Symbolisierung: "die falsche Weisung wurde nur gegeben, um etwaigen Zwischenfallen, die doch immerhin moglich waren, vorzubeugen" (245). Da die Kessiner, "halb [.. .] Philister und halb Pfiffici" (244), wissen, "um was sichs handelt", und sich darum huten, die "Neugierigen zu spielen" (245), konnte es sich beim Abbiegen nach links nur um polizeilich-juristisch ver- anlal3te Zwischenfalle handeln. Aber allenfalls unter pragmati- schem Aspekt geht es darum, eventuelle Verfolger nach rechts in die Irre laufen zu lassen. Zumal Innstetten nach Crampas' Totung die "Gnade Seiner Majestat [... .] und die wohlwollende Gesinnung des Ministers" (291) zuteil werden, ein 'linker' Unrechtsakt also gleichsam gutgeheiBen wird, ist Fontane vielmehr von vornherein daran gelegen, symbolisch die Identitat der offiziellen amtlich-ju- ristischen Position mit der ethisch-moralisch positiven zum Aus- druck zu bringen: Das Einschwenken des Gefahrts nach rechts, weg vom Duell-Platz, brachte keine polizeilichen Verwicklungen mit sich; die rechte Position symbolisiert die richtige Position. Die Konsistenz der Links-Symbolik des Kapitels korreliert dabei mit der Konsistenz von dessen Rechts-Symbolik. Fontane nahert sich

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der figurenunabhangigen Orientierung an den absoluten Him- melsrichtungen, die das Zwickersche Modell zwei Kapitel spater- wenngleich mit satirischem Vorbehalt-expliziert. Doch es ist zu beachten, daB dem Kutscher die Fahrtroute gerade nicht in der Terminologie der nichtsymbolischen Himmelsrichtungen wieder wurde es sich um Osten und Westen handeln-angegeben wird. Immerhin unterliegt Innstetten auf Grund dieser grob3tmo- glichen Annaherung der konstanten Symbolik an die Orien- tierung nach Himmelsrichtungen bereits im voraus unmerklich der Satirisierung. Dort pocht die Geheimratin mittels der Termi- nologie der Himmelsrichtungen auf die Unantastbarkeit des ge- sellschaftlichen Koordinatensystems, tragt aber selbst aktiv zu seiner Korrosion bei. Hier treibt der Jurist, der fur sich die strenge Einnahme des "rechten" Standpunktes beansprucht, gerade durch diese Striktheit-wie zuvor schon-nach "links": Um des 'rechten' "Gesellschafts-Etwas" willen begeht der Mann von "Grundsatzen" (276) effektiv Unrecht. Die Ehre, wie sie Innstetten als "rechte" idolisiert, reprasentiert in Wahrheit einen fatalen, "linken" Wert. Fontanes Strukturierung des Erzahlgeschehens ist konsistent: Es ist von makabrer Ironie, daB der "Linke" Crampas-auf den Inn- stetten in der Duell-Szene im Doppelsinne zugeht-fruher alle "Gesetzlichkeiten" fur langweilig erklart hat, was in seinem Sinne 'todlich' heiBt. Nunmehr miBachtet Innstetten auf buchstablich todliche Weise das formale Gesetz. -Die Handlungspragmatik- der es zunachst erklartermaBen gleichgultig ist, "ob man sich nun weiter drauBen nach rechts oder links zu halten vorhatte" (245) gleitet in die Symbolik hinuber. Die rechten Richtungsangaben lenken absichtlich vom Platz des verbotenen Duells ab, und gerade dadurch ordnet sich die Pragmatik immer mehr der Symbolik unter: Niemand auBer dem Kutscher vernimmt ja-so sind die Erorterungen von Innstettens taktischer Tauschung zu prazi- sieren-die zur Vermeidung von Aufsehen gedachte Anweisung. AuBerdem konnte der Kutscher in Sichtweite des Publikums, also wahrend der vollen Durchquerung Kessins, auch bei offener Nen- nung des Fahrtziels keine andere Route wahlen. Die anfangliche Irrefuhrung soll folglich die Analogie zu Innstettens Verhalten an der Waldecke bei der Ruckkehr von der Weihnachtsfeier betonen, dem Kutscher fallt dabei im wesentlichen die Rolle Effis zu: er "wollte [... .] rechts einbiegen [... .] 'Fahren Sie lieber links'" (246). Die schon im Schloon-Kapitel die Rechts-Links-Symbolik unter- stutzende, neuerliche Anspielung auf die Matthaus-Verse bekraf-

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tigt die Werkintention, Innstettens erneuten "Schritt vom Wege", d. h. eine seiner gravierenden, sogar fur ihn selbst zu- nachst durchaus diskutablen Entscheidungen und ihre negative Bewertung, im voraus zu symbolisieren. Nicht nur biegt der Kutscher nach der 'Kurs-Korrektur' "links in eine breite Fahr- straBe ein"; auch Innstetten geht anschlieBend-der Erzahler be- richtet davon nur wenige Zeilen spater-zu FuB "eine ziemlich breite FahrstraBe hinunter" (246). Anders als der auBere Waldweg zweimal explizit als breite benannt, kann die StraBe ihrem Symbol- wert nach nur zu einem "linken" Ziel fuhren, das passend im wortlichen und symbolischen Sinne von Crampas markiert wird. Der Signifikanz dieses Zieles aber, dem sich Innstetten unbeirrt nahert, sind auBer dem erklarten "Leichtsinn" des einen Mannes auch die starre Prinzipientreue des anderen, auBer der erotischen Frivolitat auch die EhrpuBligkeit als 'links'-wertige Abweichungen von der politisch-sozialen Kraft der "guten Sitte" subsumiert. So erwartet Innstetten auch, "nach links hin, schon die Gegenpartei" (246). Sich mithin nach links wendend, schreitet Innstetten ihr entgegen, bevor er und Crampas-symbolischer Hohepunkt-"a tempo" (246) aufeinander zu schreiten, Innstetten sich dem Feind der Handlungsebene auf der Symbolebene vollends annahert.

Die mehrmalige Explikation der Rechts-Links-Opposition auf engstem Raum in diesem Kapitel symbolisiert im ganzen Inn- stettens Ref lexion uber Recht und Unrecht in der Duell-Frage. Es konstituiert sich mit der Sequenz vom 27. bis zum 29. Kapitel eine triptychonartige Folge, in der das symbolgesattigte Mittelkapitel die zogernde Revision der unmittelbar vorher bezogenen Rechts- position des Protagonisten im unmittelbar folgenden Kapitel, das keine Rechts-Links-Symbolik mehr braucht, ankundigt und gutheiBt: Will der Kutscher "rechts einbiegen auf die Mole zu", erhalt er den Bescheid: "Das mit der Mole kann nachher kommen" (246). Fahrt Innstetten am Ende tatsachlich mit dem Wagen "direkt nach der Bahnstation [...], ohne Kessin noch einmal zu beruhren" (247), akzentuiert diese Route nur die Sym- bolfunktion der Mole: Als rechts gelegener Ort wird sie auf dem Wege zum Duell beschworen und bezeichnet Innstettens Rechts- bewuBtsein, das er 'umgeht'. Aber auch nach dem Duell laBt er die Mole 'links liegen', gelangt er nicht direkt zur Einsicht in das Rechte. Im 16. Kapitel, als man beim Ausritt zu dritt, "sich rechts haltend" (130) am Strand, tatsachlich "den diesseitigen Molen- damm erreicht" (130), verficht Innstetten gegen Crampas noch

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die uneingeschrankte Gultigkeit der formalen "Gesetzlichkeiten" (131) ... Innstetten schwenkt, symbolisch anders gesprochen, den Lampenschirm mit den Bildern seiner Frau aus der Zeit der Theaterauffuhrung, den er angesichts von Crampas' Briefen "langsam von links nach rechts" (237) dreht, ebenso behutsam wieder in entgegengesetzter Richtung. "[...] es waren dieselben Gedanken wie zwei Tage zuvor", lautet die Subscriptio zu jener Pictura mit der Inscriptio des Wichertschen Dramentitels, "nur daB sie jetzt den umgekehrten Gang gingen und mit der Uber- zeugtheit von seinem Recht und seiner Pflicht anfingen, um mit Zweifeln daran aufzuhoren" (247). Uberzeugtheit von Recht und Pflicht, von der Ordnung als "rechter" Position, sowie Zweifel daran, Abweichen von der Ordnung als "linker"; beides je nach Perspektive und damit besonders zu verandertem Zeitpunkt um- kehrbar-das ist die Signatur des gesamten symbolisch struktu- rierten Romans.

Wenn Innstetten sich der im 28. Kapitel symbolisierten Rechts- Perspektive gegen Ende des Werkes dann angleicht, korrigiert er die Auffassung der sterbenden Effi, "daB er in allem recht gehan- delt" (299). Nur wenige Kapitel, d. h. kurze Zeit zuvor ist Effi noch der Meinung, Innstetten "hatte recht und noch einmal und noch einmal, und zuletzt hatte er doch unrecht" (247). Den struktur- konform schwankenden Figuren-Perspektiven setzt die Werkin- tention die stabile Symbolik des 28. Kapitels entgegen. Deren Fe- stigkeit ist in gewisser Weise nichtsdestoweniger zugleich Entschie- denheit in der Relativierung: "[... ] ob man sich nun weiter drauBen nach rechts oder links zu halten vorhatte, durch die Plan- tage muBte man jedenfalls" (245), d. h. der Weg nach rechts oder links kann eine Zeitlang derselbe sein. Die ominose Plantage, die Effi bei ihren Rendez-vous mit Crampas beruhrt, verdeutlicht die standige latente Moglichkeit, mitjedem Schritt nach "rechts" oder "links" zu gelangen. Der Irrtum liegt bei diesem Sachverhalt um so naher. Wer bei falscher Grundorientierung vermeint, sich nach rechts zu begeben-im erzahlten Geschehen gibt er es bezeich- nenderweise nur vor-, bewegt sich tatsachlich nach links. Das trifft-durch denselben Schauplatz der Plantage noch klarer er- kennbar-sowohl auf Effi als auch auf Innstetten zu. Die Einfahrt nach Kessin bereits demonstriert einmal mehr, daB zur Grund- orientierung die Beachtung der Zeitdimension gehort, die "rechts" und "links" bestimmt. Auch wenn die StraBe unverandert nach rechts fuhrt, kann sich-so zeigt der Kapitelbeginn-zu anderer Zeit der Gesichtspunkt verschieben und sie zur linksabbiegenden

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machen. Wesentlich zum Komplex der Zeit gehort somit die Vor- ausschau, das Vorausdenken, aus dem Bewul3tsein fur den Wechsel. Der Relativismus der Darstellung-den Fontane ebenso konsistent wie paradox wiederum relativieren kann, indem er ihn zuweilen aussetzt24-resultiert zunachst in der Verunsicherung der Orientierung des Rezipienten. Das Symbol der bedrohlichen Berliner Pferdebahn demonstriert, daB solche tiefgehende Irrita- tion in der didaktischen Absicht des Autors liegt. Denn es handelt sich eben nicht-wie besonders die gelegentliche erzahlerische Verhinderung des Perspektiv-Wechsels lehrt-um eine Relati- vierung letztlich nihilistischer Art. Fontane ist es um die heilsame Verunsicherung der allzu Selbstsicheren vom Schlage Innstettens und um die Warnung der von ihnen Abhangigen zu tun, um die Erschuitterung des 'manichaischen' Moral-Musters ersterer zugun- sten hoherer menschlicher Wahrheit, der "guten Sitte". Das Werk widerlegt schon durch den Stellenwert des unmittelbaren Endes die Meinung von Effis Mutter, Pastor Niemeyer sei "doch eigent- lich eine Null, weil er alles in Zweifel laMt" (301). Im Geiste dieser positiven Skepsis ist Behutsamkeit angebracht und von Ubereilung abzuraten. Das zentrale Paradigma des Romans lautet: Nach rund siebenjahrigem Abstand von der Affare und bei anhaltender Liebe zu seiner Frau muB-vorsichtig formuliert-Innstettens Entscheidung nicht zwangslaufig fur das Duell fallen. Nicht nur, "was uns Freude machen soll", so kann Innstettens spaite Er- kenntnis erganzt werden, ist "an Zeit und Umstande gebunden" (290). Innstettens Schmerz- so weiB er selbst, ohne es zu beher- zigen-hatte sich mit der Zeit gemildert. Effi wird die Zeiten, "als der Chinese spukte j.. . ,] gluickliche Zeiten" (267) nennen.

24 Diese Relativierung erstreckt sich noch grundsatzlicher auf Fontanes struktu- relles Verfahren: Nicht nur 'blockiert' der Autor im Einzelfalle wie beispielsweise im 28. Kapitel die Umkehrbarkeit der Perspektive bei der Rechts-Links-Symbolik, sondern er sieht auch unter bemerkenswerter Suspendierung des asthetischen Ganzheitsmodells von der Symbolisierung jedweder Rechts-Links-Angabe im Roman ab. So durfte das Detail, Effi sei nach Empfang des elterlichen Briefes in Bad Ems noch "bis an ihr nach rechts hin gelegenes Zimmer" (259) gelangt, unter signifikativem Aspekt irrelevant sein, obwohl der Anfang des bedeutsamen 30. Ka- pitels fur die symbolische Funktion der-diesmal architektonischen-Rauman- ordnung zu sprechen scheint: "In ihrem zwischen ihren zwei Wohnzimmern gele- genen gemeinschaftlichen Salon mit Blick auf den Garten stand ein Palisander- flugel, auf dem Effi dann und wann eine Sonate, die Zwicker dann und wann einen Walzer spielte [.. .]" (253).-Gleiches trifft auf Innstettens Haus zu, in dem bei- spielsweise das Arbeitszimmer vom Eingang her gesehen "nach links hin" (51) liegt, wahrend der Saal mit den Gardinen "nach rechts hin" (61) lokalisiert ist.

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DaB der Autor den Titelhelden seines letzten Romans gegen Ende eine ironische Absage an die Vorstellung vom Ubermen- schen als Normvorgabe diuBern laBt, durfte nach der vorausge- henden Darlegung uber die Relativierung als innere Form von "Effi Briest" um so verstandlicher sein:

Jetzt hat man statt des wirklichen Menschen den sogenannten Uber- menschen etabliert; eigentlich gibt es aber bloB noch Untermenschen, und mitunter sind es gerade die, die man durchaus zu einem 'Uber' machen will.

(303)

Zumal bei der zeitlichen Nahe des "Stechlins" zu "Also sprach Za- rathustra" darf in diesem Bekenntnis Dubslavs ein kritischer Reflex Fontanes auf Nietzsches Philosophie erblickt werden. Be- denkt man andererseits, daB3 Fontanes symbolisches Rechts-Links- Schema gewissermal3en ebenfalls ein Umwertungs-Modell dar- stellt, dessen Funktion die "Perspektivitdt aller Werte und Urteile"25 ist, erweist sich um so mehr die Modernitat des nur nach doktri- naren Kriterien geschichtlich ruckstandigen Autors von "Effi Briest". Diese Modernitat erweist sich paradoxerweise gerade daran, daB3 sich Fontane nicht dem von Rohr aufgestellten Pro- gramm verschreibt. Fur den Beitrager der "Freien Buhne" galt als sicher, "daB3 die Erkenntnis von der aul3erordentlichen Gro{3e des Einflusses der Verhaltnisse auf den Menschen immer mehr zu-

25 Ohl, Bild und Wirklichkeit, S. 173.-Zur 'situationsmalBigen' Verwandtschaft zwischen Fontane und Nietzsche, gerade was das Problem der Umwertung aller Werte betrifft, vgl. Ohl, Bild und Wirklichkeit, S. 173f.-Die hier vorgetragene These beruhrt sich in gewisser Weise mit Peter-Klaus Schusters-freilich auf dem umstrittenen Vergleich des Romans vor allem mit den Bildern der Praraffaeliten beruhender-Auffassung, Fontane habe sich vom "Reiz zwischen unbestechlicher Detailbeobachtung und einer in ihr sich artikulierenden und doch uber sie hin- ausreichenden Bedeutsamkeit der Thematik" angesprochen gefuhlt und inspi- rieren lassen. "[...] was Fontane der uberkommenen Allegorie vorwirft: 'Einen Gedanken, ein Bild in unerbittlich-konsequenter Durchfuhrung zu Tode zu hetzen' ", werde in "Effi Briest" mit "der diskreten Einbettung des Bedeutenden im Beilaufigen" vermieden. Dem Demonstrativen der traditionellen Allegorie- vornehmlich der Personenallegorie-setze der Autor "sein eigenes kaschierendes Verfahren" entgegen, wie es sich in seinem Kommentar zur Unbestimmtheit in Millais' Gemalde "Autumn Leaves" (1856) spiegele, wie sie immer da waltet, wo ein reiches inneres Leben sich in seiner Ganzheit vor uns erschlief3t und, statt einsei- tiger Befriedigung, eine vielfache und fruchtbare Anregung gibt." (Peter-Klaus Schuster, Theodor Fontane: Effi Briest-Ein Leben nach christlichen Bildern. Tubingen 1978. t = Studien zur deutschen Literatur. Band 55.] S. 154 und 156.) Solche Unbe- stimmtheit-fur die der Relativismus der Links-Rechts-Symbolik eine wichtige Sig- natur darstellt-ergibt sich in "Effi Briest" ebenso aus dem Reichtum inneren Lebens einzelner Romanfiguren wie aus der Vielfalt des Lebens schlechthin.

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nehmen und einen wichtigen Teil einer vollstandig determini- stischen Weltanschauung bilden wird, deren erste Vorzeichen sich schon von Tag zu Tag haufen." In Fontanes "Effi Briest"-der Heinrich Mann bekanntlich rund ein halbes Jahrhundert nach Fontanes Tod bescheinigen sollte, das giultige Dokument einer Ge- sellschaft, eines Zeitalters zu sein-waren solche Vorzeichen fur den zeitgenossischen Beobachter freilich gerade nicht auszuma- chen. Sosehr der Roman ein Werk des "Gesellschafts-Etwas" ist, so sehr entgeht er der in diesem Thema verborgenen Gefahr: Er entzieht sich dem Anspruch, an der Ausbildung "einer vollstandig deterministischen Weltanschauung" mitzuwirken. Fontane teilt nicht die Naivitat, die sich in Rohrs wohlmeinendem Idealismus manifestiert: "Die Ueberhebung der Glucklichen zu unter- drucken, zu verhuten, daB sie mit Hochmut auf die Unglucklichen herabblicken, als ob der beiderseitige Platz die Folge eigenen Ver- dienstes und eigener Verschuldung sei und nicht, wie es in neunzig unter hundert Fallen zu sein pflegt, der Macht uber- machtiger Umstande, und so die Kluft zu uberbrucken, welche heut zwischen Arm und Reich gahnt, und Milde des Urteils zu verbreiten, das ist eine so erhabene Aufgabe, wie man sie nur immer erdenken kann." Vielmehr tritt die moralisch-politische Kraft des in "Effi Briest" paradigmatisch dargestellten Relativie- rungsprinzips hervor-die Roswitha-Gestalt, die nach dem ei- genem Zeugnis ihres Herrn diesem "uber" ist, kann nicht hoch genug eingeschatzt werden-, weil es Veranderbarkeit der Ver- haltnisse aufweist und ihre Veranderung fordert, wo die Progres- siven des Tages Mitleid und "Milde des Urteils" zur Uberbruckung der sozialen Kluft vorsahen.

The Johns Hopkins University

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