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Gedanken zum Begriff der Angst aus biokybernetischer und systemtheoretischer Sicht
unter Verwendung der Erkenntnisse aus
GRUNDFORMEN DER ANGSTvon
Fritz Riemann
vonDetlef Mamrot
Die Ökologie zeigt uns, dass natürliche Lebensformenbestrebt sind, das Optimum ihrer Vitalität zu suchen.
Das Leiden in körperlicher Form (Schmerz) zeigt an, dass das Optimum nicht erreicht ist und bewirkt ab einer bestimmten Schwelle
zunehmend stark den Wunsch nach Veränderung.
Der Wunsch, sich dem Leiden zu entziehen, ist in der gesamten belebten Natur zu beobachten.
Leid erstreckt sich beim Menschen und bei höheren Tierenauch auf den psychischen Bereich.
Angst ist die mentale Vorwegnahmedrohenden Leidens.
Wird Angst übermächtig, wird sie selbst der Grund des Leidens.Die Angst vor der Angst.
Nach Fritz Riemann kann man zwei antagonistische Begriffspaare menschlichen Strebens erkennen:
Wandel <> Stabilität
Ich <> Wir
Wandel
Stabilität
Wir
Ich
zum Verständnis dieser vier Begriffe wird das Studium vonRiemann, F.; Grundformen der Angst empfohlen.
Wandel
Stabilität
Wir
Ich
Jeder Mensch besitzt einen eigenen Balancepunkt innerhalb dieses Feldes.
individuellerBalancepunkt
An diesem Punkt ist das Leiden für ihn nicht spürbar, mindestens jedoch zu ertragen.
Angst lässt sich vom Leiden durch Bewusstseinsveränderungen entkoppeln. Man kann also Angst haben ohne zu leiden.
Wandel
Stabilität
Wir
Ich
Wenn das gelingt, kann sich der persönliche Balancepunkt angstarmin einem größeren Bereich bewegen und das Leben wird vitaler, inhaltsreicher.
Wie groß dieser Bereich ist, ist davon abhängig, welches Leid Menschen in ihrer Historie erfahren haben und mit welchen
Ängsten dies verbunden war.
Wandel
Stabilität
Wir
Ich
Die Beweglichkeit des Balancepunktes ist nicht mit dem als Koordinatenabszisse aufgetragenen „Wandel“ zu verwechseln.
Die Beweglichkeit des Balancepunktes liegt gegenüber dem „Wandel“auf einer Metaebene und wird im Folgenden Balancedynamik genannt.
Wandel
Stabilität
Wir
Ich
Diese Balancedynamik weist zwei Eigenschaften auf:
Größe der Verschiebung (S) und Geschwindigkeit mit der diese erfolgt (v = S/t).
Die Verknüpfung beider Größenergibt sich wie folgt:
Balancedeynamik B = S * v = S * S / t = S² / t
Je größer die Zeit t, die zur Verschiebung S genutzt wird, desto geringer ist die Balancedynamik B und anders herum.
Die Größe der Verschiebung ist von erheblich höherem Gewicht als die Zeit, in der diese Verschiebung stattfindet.
In Abhängigkeit von der Balancedynamik entstehen Ängste.
Angst
BalancedynamikBalancedynamik V(t)
Angst
Hier zunächst angenommen ist ein linearer Zusammenhang.
Angst, in nicht zu großer Ausprägung, führt zu Handlungen und diese zur Reduzierung der Balancedynamik.
Balancedynamik V(t)
Angst
Angst
BalancedynamikBalancedynamik V(t)
Angst
Auch dieser Zusammenhang hier zunächst als linear angenommen.
Wandel
Stabilität
Wir
Ich
In Abhängigkeit von der Balancedynamik entstehen also Ängste die eine Rückstellung herausfordern oder auch bewirken.
Rückstellwirkung aus Angst
Hier dargestellt wurde das Beispiel einer Veränderungzu mehr „Ich“ und mehr erforderlichen Wandelbarkeit.
Dies könnte zum Beispiel der Fall sein, wenn der Partner stirbt.
Erläuternder Hinweis:Eine andere Art der Darstellung dieser Rückkopplungen durch die
blose Definition der Wirkung der verwendeten Pfeile ohne die Definition funktionaler Beziehungen führt auf folgende Vereinbarung.Diese Aussage gilt im folgenden für alle verwendeten Modellpfeile.
Angst
Balancedynamik
Je größer dieAusgangsgröße,desto größer die Zielgröße,je kleiner die Ausgangsgröße,desto kleiner die Zielgröße.
Je größer die Ausgangsgrößedesto kleiner die Zielgröße.je kleiner die Ausgangsgröße,desto größer die Zielgröße.
Derartige Kreisprozesse werden in der Systemtheorie Regelkreise oder negative Rückkopplungen genannt.
Angst/Balancedynamik
Zeit
Angst
Balancedynamik
Das Ergebnis einer Veränderung einer der Größen ist, dass das System sich wie ein Pendel verhält und der ursprüngliche
Zustand wieder hergestellt wird.
Über die gezeigte Rückkopplung wird rekursiv eine Stelle im Koordinatensystem gefunden, an der das Leid lebbar ist.
Wandel
Stabilität
Wir
Ich
Dieses Bewahren eines lebbaren Bereiches der menschlichen Psyche istmit dem Eingangs dargestellten Suchen nach dem physischen Optimalbereich
jedes Lebewesens vergleichbar.
Wird die Angst selbst die Ursache für Angst vor Leid (das ist der Fall, wenn innere Widerstände zunehmend das Gefühl der Angst verdrängen)
so ist das Systemmodell wie folgt zu erweitern.
Angst
Balancedynamik
Angst
Zeit
Angst/Balancedynamik
Zeit
Die obere Rückkopplung verhält sich nun eskalierend.
Die untere wie gezeigt stabilisierend.
Angst
Zeit
Verfeinern wir das Modell und gehen davon aus, dass die Wirkung von Angst auf Balancedynamik nicht linear ist.
Angst
Balancedynamik
Balancedynamik V(t)
Angst
Eine geringe Angst lässt hier eine hohe Balancedynamik zu, bei zunehmender Angst nimmt die Balancedynamik ab, ab einem bestimmten Grad der Angst
nimmt sie nun jedoch wieder zu, bspw. weil aus großer Angst Veränderungen rasch vorgenommen werden.
Dann ergibt sich u.U. folgende Entwicklung.
Wandel
Stabilität
Wir
Ich
Es gibt einen gesellschaftlich akzeptierten Bereich, in dem Balancepunkte liegen „dürfen“.
Dieser Bereich ist von Gesellschaft zu Gesellschaft und zeitlich in seiner Lage veränderlich (vgl. Paul Watzlawick auf der nächsten Seite).
„…Ich lebte in den 50er Jahren kurz in Bombay und dort wurden mir Swamis vorgestellt. Das sind heilige weise Männer, auf die im Okzident die Diagnose der schizophrenen Katatonie angewandt würde… Also sehen Sie, die Frage nach der Wirklichkeit ist eine Frage der Ansicht, der Definition…“
Paul Watzlawick
Die ausserhalb dieses Bereiches liegenden Balancepunkte werden mit Krankheitsbildern gleichgesetzt und nach Riemann wie folgt benannt:
Wandel
Stabilität
Wir
Ichdepressiv
schizoid
hysterisch
zwanghaft
Das Driften des Balancepunktes in diese extremen Bereicheist eine Folge des Überwiegens eskalierender Rückkopplungen
über stabilisierende Regelkreise.
Wandel
Stabilität
Wir
Ichdepressiv
schizoid
hysterisch
zwanghaft
Angst
Zeit
Angst ist damit ein psychisches Regulativ zur Vermeidung von Leiden.
Wird Angst übermächtig, zum Beispiel weil die Randbedingungen ihre Minderung
a) durch Veränderung der Einstellung zur Angst oderb) durch Verschiebung des Balancepunktes
nicht zulassen (zum Beispiel im Burn-Out) oder
weil dazu nicht genügende Zeit zur Verfügung steht, ist sie selbst es, die uns leiden lässt.
Sie erfüllt dann ihre regulierende Aufgabe nicht mehr.
Aus dem regulierenden Regelkreis wird dann eine eskalierende Rückkopplung u. U. mit der Folge des Hinausdriftens des Balancepunktes aus dem gesellschaftlich akzeptierten Bereich.
Wandel
Wir
Ganz schwer in eine kontrollierte Phase zurückzuführen sind Systemzustände, die ein dauerhaftes Pendeln des Balancepunktes bewirken,
wobei dieses Pendeln zeitweise stabil und lebbar sein kann. Die Stabilität dürfte jedoch durch äußere Veränderungen stark gefährdet sein.
Insbesondere ist die harmonisierte Anpassung daran, bspw. für einen Partner, außerordentlich schwierig.
Angst/Balancedynamik
Zeit
Ich
Stabilität
Die Modellbildungstechnik wurde hier nur grob umrissen.
Heute vorhandene Modellierungprogramme lassen eine auch erheblichfeinere und der Komplexität der Fragestellung bei Verfeinerung
nach und nach gerecht werdende Betrachtung zu.
Heute bestehen diese Möglichkeiten. Hier besteht in der Psychologie ein erheblicher Forschungsbedarf.
Wären diese Möglichkeiten bereits für Personen wie Riemann oder Watzlawick verfügbar gewesen, hätten diese unter Umständen Modelle als ihre
Texte begleitendes Denk-, Analyse und Darstellungswerkzeug verwendet.