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ZWF 3/2018

WirtschaftsstrafrechtFristsetzung durch OLG

Fristsetzung durch OLG zur Beendigung des ErmittlungsverfahrensAnmerkungen zu OLG Wien 8. 11. 2017, 22 Bs 75/17s

Norbert Wess / Julia Sagmeister

11. Sachverhalt und Entscheidung des OLG

Die Staatsanwaltschaft Wien führte seit bereitsmehr als sechs Jahren ein Ermittlungsverfahrengegen mehrere Beschuldigte wegen §§ 153 Abs 1und 3 Fall 2, 15, 156 Abs 1 und 2, 161 Abs 1StGB. Bereits im Dezember 2014 erhob dieStaatsanwaltschaft Wien Anklage gegen die Be-schuldigten. Die Anklageschrift wurde jedochim April 2015 zurückgewiesen, woraufhin sichdas Verfahren erneut im Stadium des Ermitt-lungsverfahrens befand.

Im Februar 2017 wies das Landesgericht fürStrafsachen Wien die von mehreren Beschuldig-ten gestellten Einstellungsanträge ab. Gegendiesen Beschluss erhoben die Beschuldigten Be-schwerde, in der sie eine Verletzung des Be-schleunigungsgebots nach § 9 StPO geltendmachten, weil das Ermittlungsverfahren bereitsmehrere Jahre dauern würde und seitens der Er-mittlungsbehörden keine weiteren Ermittlungs-handlungen gesetzt worden seien. Auch müss-ten bei verfassungskonformer Interpretationdes gegenständlich nicht anwendbaren § 108aStPO die darin enthaltenen Wertungen in jenenVerfahren zur Anwendung kommen, derenDauer das dort gesetzlich normierte Ausmaßum mehr als das Doppelte übersteigen. DieStaatsanwaltschaft hätte den angenommenenVerdacht konkretisieren und darlegen müssen,welche für die Aufklärung der Sache relevantenInformationen aus weiteren Ermittlungshand-lungen erwartet werden könnten.

Das OLG Wien stellte in seinem Beschlusseinleitend fest, dass die Rechtsmittel demGrunde nach nicht berechtigt seien und führtedazu Folgendes aus:

„Soweit die Einspruchswerber mit Blick auf dieBestimmung des § 108a StPO eine Verletzung derHöchstdauer des Ermittlungsverfahrens ins Tref-fen führen, sind sie in Übereinstimmung mit derOberstaatsanwaltschaft darauf hinzuweisen, dass§ 108a StPO keine (absolute) Höchstdauer des Er-mittlungsverfahrens vorsieht, sondern bloß einevon Amts wegen durchzuführende gerichtlicheÜberprüfung der Dauer des Ermittlungsverfahrensin bestimmten Abständen. Diese Überprüfung er-folgt gem § 108a Abs 3 StPO nach den Vorgabendes § 108 StPO, also jenen im gegenständlichenFall ohnehin anzuwendenden Kriterien. Selbst beivon den Beschwerdeführern eingeforderter verfas-sungskonformer Interpretation des – zufolge § 516Abs 10 zweiter Satz StPO fallbezogen nicht an-wendbaren – § 108a StPO wäre das Vorliegen derVoraussetzungen des § 108 Abs 1 Z 1 und Z 2 StPOzu prüfen, sodass sich das Oberlandesgericht Wienauch nicht zur allenfalls angeregten Einleitungeines Gesetzesprüfungsverfahrens beim Verfas-sungsgerichtshof veranlasst sieht.“

Nach Ansicht des OLG Wien lag im gegen-ständlichen Fall weder der Einstellungsgrunddes § 108 Abs 1 Z 1 StPO noch jener des § 108Abs 1 Z 2 StPO vor. „Das Gesetz nimmt eine Ab-wägung zwischen Dringlichkeit und Gewicht desTatverdachts einerseits und Dauer und Umfangdes Ermittlungsverfahrens andererseits vor. […]Eine Verletzung des Grundsatzes der Beschleuni-gung (§ 9 Abs 1 StPO) soll grundsätzlich nicht zueinem durchsetzbaren Anspruch auf Einstellungdes Verfahrens führen. Lediglich in extremen Fäl-len, in denen weitere Ermittlungen eine notwen-dige Verdichtung der Verdachtslage vernünfti-gerweise nicht (mehr) erwarten lassen, soll dasVerfahren beendet werden und der Beschuldigtedas Recht haben, dies geltend zu machen unddurchzusetzen […]. Gemäß § 212 Z 2 iVm § 215Abs 2 StPO hat das Oberlandesgericht das Ver-fahren aufgrund eines Anklageeinspruchs einzu-stellen, wenn Dringlichkeit und Gewicht des Tat-verdachts trotz hinreichend geklärten Sachver-

Dr. Norbert Wess, LL.M., M.B.L. ist Rechtsanwalt und Partner bei wkklaw Rechtsanwälte in Wien.

Dr. Julia Sagmeister ist Rechtsanwaltsanwärterin bei wkklaw Rechtsanwälte in Wien.

Wie hinlänglich bekannt, beträgt die Verfahrensdauer in Ermittlungsverfahren bei kom-plexeren Wirtschaftsstrafsachen sehr oft viele Jahre. Auch zehn Jahre oder mehr sind inderartigen Verfahren keine Seltenheit.1 Im Zusammenhang mit einem solchen, im Übri-gen auch medial sehr bekannten, Verfahren setzte das OLG Wien unlängst einen relativaußergewöhnlichen Schritt: Im Zuge der Entscheidung über eine Beschwerde gegen einenBeschluss, mit dem das Erstgericht die Einstellungsanträge mehrerer Beschuldigter abwies,setzte das OLG der Strafverfolgungsbehörde eine Frist, binnen derer die zuständige Staats-anwaltschaft zwingend über die Anklageerhebung oder aber die Einstellung des Ermitt-lungsverfahrens zu entscheiden hatte.

1 Siehe dazu im Detail und insb zur Angemessenheit derVerfahrensdauer und der Rsp des EGMR Herbst/Wess,Überlange Verfahrensdauer in (gerichtlichen) Strafver-fahren, in Lewisch (Hrsg), Wirtschaftsstrafrecht undOrganverantwortlichkeit, Jahrbuch 15 (2015) 237(237 ff).

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halts nicht ausreichen, um eine Verurteilung desAngeklagten auch nur für möglich zu halten undvon weiteren Ermittlungen eine Intensivierungdes Verdachts nicht zu erwarten ist. Aus all demerhellt, dass eine gerichtliche Einstellung des Er-mittlungsverfahrens nach § 108 Abs 1 Z 2 StPOjedenfalls dann nicht mehr in Betracht kommt,wenn die Verdachtslage ein Gewicht erreichte,das bereits die Einbringung einer Anklage recht-fertigen würde. Eine gänzliche Aufgabe des staat-lichen Strafanspruchs wäre diesfalls nicht zurechtfertigen. Nach Anklageeinbringung muss dieübermäßige Verfahrensdauer jedoch in jedemFall zu einer spür- und messbaren Strafreduktionführen […].“

Sodann geht das OLG Wien noch weiter undführt aus, dass „Dringlichkeit und Gewicht desauf Grundlage hinreichend geklärten Sachver-halts gegen die Beschwerdeführer vorliegendenTatverdachts eine gerichtliche Einstellung des Er-mittlungsverfahrens nach § 108 Abs 1 Z 2 StPOnicht“ zulassen, sondern vielmehr „eine neuerli-che Anklageerhebung durch die Staatsanwalt-schaft Wien erlauben. Nachdem das Oberlandes-gericht Wien bereits […] die Anklageschrift derStaatsanwaltschaft […] zurückgewiesen hatte, je-denfalls seit erstgerichtlicher Beschlussfassungkeine weiteren Ermittlungsschritte erfolgten undentgegen der Ankündigung der Oberstaatsan-waltschaft Wien von April 2017 das Ermittlungs-verfahren noch immer keiner ‚Enderledigung‘ zu-geführt worden ist, war der Staatsanwaltschaftmit Blick auf die Verletzung des Beschleunigungs-gebots und die Bestimmung des § 108 Abs 1 Z 2StPO in analoger Anwendung des § 107 Abs 4StPO der aus dem Spruch ersichtliche Auftrag zuerteilen (vgl 11 Os 131/13v, RIS-Justiz RS0124006)“. Daher war der Staatsanwaltschaft zurHintanhaltung weiterer Verzögerungen eineFrist zur Entscheidung über eine Anklageerhe-bung oder Einstellung des Ermittlungsverfah-rens zu setzen.

2. Anmerkungen zum Beschluss des OLG

2.1. Einleitende BemerkungenDie Entscheidung des OLG Wien, der Staatsan-waltschaft eine Frist zur Entscheidung über dieEinstellung des Ermittlungsverfahrens oder dieAnklageerhebung zu setzen, ist durchaus als au-ßergewöhnlich zu bezeichnen und wurde ganzoffensichtlich vor dem Hintergrund getroffen,der festgestellten Verletzung eines subjektivenRechts – des Beschleunigungsgebots2 – Abhilfe

zu verschaffen. Dabei bringt das OLG relativ un-missverständlich zum Ausdruck, dass Anklagezu erheben ist („Dringlichkeit und Gewicht desauf Grundlage hinreichend geklärten Sachver-halts gegen die Beschwerdeführer […] bereits […]eine neuerliche Anklageerhebung durch dieStaatsanwaltschaft Wien erlauben“3). Wenn-gleich das seit mehreren Jahren andauernde Er-mittlungsverfahren durch diese Entscheidungnunmehr zeitnah einer Enderledigung zuge-führt werden konnte, stellt sich die Frage, wieder Auftrag des OLG zu verstehen ist und ob eszu diesem Vorgehen überhaupt berechtigt war.

2.2. Zur Anwendung von § 107 Abs 4 StPOZunächst sei angemerkt, dass die Setzung einerFrist durch das OLG an die Staatsanwaltschaftgesetzlich nicht vorgesehen und – soweit er-sichtlich – bis dato auch noch nicht vorgekom-men ist. Das OLG begründet den Auftrag an dieStaatsanwaltschaft damit, dass dieser „mit Blickauf die Verletzung des Beschleunigungsgebotsund die Bestimmung des § 108 Abs 1 Z 2 StPO inanaloger Anwendung des § 107 Abs 4 StPO“ zuerteilen war.

§ 107 Abs 4 StPO ist eine Bestimmung ausdem Verfahren über Einsprüche gem § 106StPO und normiert, dass Staatsanwaltschaft undKriminalpolizei in jenen Fällen, in denen dasGericht dem Einspruch stattgibt, den entspre-chenden Rechtszustand mit den ihnen zu Ge-bote stehenden Mitteln herzustellen haben. Eine§ 107 Abs 4 StPO entsprechende Bestimmungist iZm Beschwerden gegen gerichtliche Be-schlüsse nicht vorgesehen, weshalb in diesenFällen § 107 Abs 4 StPO analog zur Anwendungkommen soll.4

Im Rahmen eines Einspruchs nach § 106StPO kann eine Person eine Verletzung subjekti-ver Rechte durch die Staatsanwaltschaft geltendmachen, wenn ihr im Ermittlungsverfahren dieAusübung eines Rechts verweigert worden istoder eine Ermittlungs- oder Zwangsmaßnahmeunter Verletzung der Bestimmungen dieses Ge-setzes angeordnet oder durchgeführt wurde.Vergleicht man den Einspruch nach § 106 StPOmit der Beschwerde nach § 87 StPO, ist die Ziel-setzung der beiden Rechtsmittel durchaus ver-gleichbar.5 Die ähnliche Zielsetzung der Bestim-mungen legt eine analoge Anwendung des § 107Abs 4 StPO nahe.

Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dassder gegenständliche Beschluss des OLG zwar im

2 Das Beschleunigungsgebot ist in § 9 StPO geregelt undwird als subjektives Recht eingestuft. So etwa Hinterho-fer/Oshidari, System des österreichischen Strafverfah-rens (2017) Rz 2.128; Pilnacek/Stricker in Fuchs/Ratz,WK StPO, § 106 Rz 11. Zum Beschleunigungsgebot all-gemein siehe Fabrizy, StPO13, § 9; Kier in Fuchs/Ratz,WK StPO § 9; Nimmervoll, Das Strafverfahren2 (2017)42. Zum Beschleunigungsgebot und zur Angemessen-heit der Verfahrensdauer siehe Herbst/Wess in Lewisch,Jahrbuch 15, 237 (237 ff).

3 OLG Wien 8. 11. 2017, 22 Bs 75/17s.4 OGH 10. 12. 2013, 11 Os 131/13v; 13. 8. 2008, 14 Os

108/08a; Pilnacek/Stricker in Fuchs/Ratz, WK StPO,§ 107 Rz 24.

5 Dies zeigt sich auch dadurch, dass ein Einspruch nichtzusteht, wenn gleichzeitig (gegen die Bewilligung einesZwangsmittels) auch eine Beschwerde erhoben werdenkann. In diesem Fall ist daher der Beschwerde der Vor-rang zu geben und sind in dieser auch die Einspruchs-gründe aufzunehmen. Dazu Pilnacek/Stricker in Fuchs/Ratz, WK StPO, § 106 Rz 29; Wess in Kier/Wess (Hrsg),Handbuch Strafverteidigung (2017) Rz 6.69.

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Rahmen eines Beschwerdeverfahrens ergangenist. Der vom OLG erteilte Auftrag richtet sich je-doch – wie im Falle eines Einspruchs – eindeutigan die Staatsanwaltschaft, während die Be-schwerde eigentlich ein Rechtsmittel gegen ge-richtliche Beschlüsse darstellt. Der Auftrag desOLG hat damit letztlich mit der eigentlichen Be-schwerde nichts zu tun, sondern will vielmehr –ganz iSd §§ 106 f StPO und lediglich aus Anlassder Beschwerde – eine Verletzung eines subjek-tiven Rechts, nämlich der festgestellten Verlet-zung des Beschleunigungsgebots, Abhilfe ver-schaffen. Vor diesem Hintergrund erscheint dieanaloge Anwendung des § 107 Abs 4 StPO in derhier vorliegenden Konstellation zulässig.

Eine analoge Anwendung des § 107 Abs 4StPO ist uE daher durchaus ein zulässiger undzuverlässiger Weg, der festgestellten Verletzungdes Beschleunigungsgebots Abhilfe zu verschaf-fen. Ganz in diesem Sinne erteilt das OLG derStaatsanwaltschaft – wie in § 107 Abs 4 StPO fürdas Einspruchsverfahren vorgesehen – zu Rechtden Auftrag, die ihr zu Gebote stehenden Mittelzu ergreifen, um den entsprechenden Rechtszu-stand herzustellen und zumindest weitere Ver-letzungen des Beschleunigungsgebots zu ver-hindern.

2.3. Zum Auftrag an die StaatsanwaltschaftInteressant ist zudem auch der Inhalt des Auf-trags, den das OLG der Staatsanwaltschaft er-teilt. Dieser kann bei genauerer Betrachtungletztlich nicht als (allgemeine) Aufforderungzum Treffen einer Entscheidung zur Beendi-gung des Ermittlungsverfahrens, sondern wohl(nur) als Auftrag dahingehend verstanden wer-den, eine ganz bestimmte Entscheidung zur Be-endigung des Ermittlungsverfahrens zu treffen.

Dazu sei angemerkt, dass das OLG derStaatsanwaltschaft lediglich die Anklageerhe-bung oder die Einstellung des Ermittlungsver-fahrens als Optionen offenlässt. Die dritte Op-tion – nämlich die Fortführung des Ermitt-lungsverfahrens durch weitere, zweckdienlicheErmittlungshandlungen – wird seitens des OLGüberhaupt nicht erwähnt und scheint gegen-ständlich nach Ansicht des OLG daher vonvornherein keine Option zu sein.

Darüber hinaus verneint das OLG Wien inseiner Begründung sowohl das Vorliegen derVoraussetzungen des § 108 Abs 1 Z 1 StPO alsauch jene des § 108 Abs 1 Z 2 StPO, bei derenVorliegen bereits das OLG selbst das Ermitt-lungsverfahren einstellen hätte müssen. DasOLG gibt damit auf diesem Wege zu verstehen,dass zumindest die auf einem Antrag des Be-schuldigten beruhende Einstellung des Ermitt-lungsverfahrens nicht in Betracht kommt.

Berücksichtigt man schließlich die weiterenAusführungen des OLG, wonach „Dringlichkeitund Gewicht des auf Grundlage hinreichend ge-klärten Sachverhalts gegen die Beschwerdeführer[…] bereits […] eine neuerliche Anklageerhebungdurch die Staatsanwaltschaft Wien erlauben“

würden, entsteht der Eindruck, der Staatsan-waltschaft stehe aufgrund der Vorgaben desOLG Wien ausschließlich die dritte Option –nämlich die Anklageerhebung – offen.

Ein solcher Auftrag eines Gerichts an dieStaatsanwaltschaft – sollte er tatsächlich dahin-gehend zu verstehen sein, die Staatsanwaltschaftmöge Anklage erheben – ist jedoch nicht nur ge-setzlich nicht vorgesehen, sondern wirft, in na-heliegender Weise, auch ganz grundsätzlicheBedenken auf: So gibt dergestalt das Gericht derStaatsanwaltschaft klar zu verstehen, dass im ge-genständlichen Fall jedenfalls eine Anklage zuerheben ist. Da die Anklage gem § 4 StPO aberausschließlich der Staatsanwaltschaft obliegt,träfe das Gericht damit letztlich eine Entschei-dung, die unzweifelhaft in die alleinige Befugnisder Staatsanwaltschaft fällt.6

Daran vermag auch der Einspruch gegen dieAnklageschrift gem § 212 StPO nichts zu än-dern. Zwar ist das Gericht im Falle eines Ein-spruchs gegen die Anklageschrift gem § 212StPO durch die Überprüfung der Anklageerhe-bung durch das OLG in gewissem Maße einge-bunden.7 Auch in diesem Fall ist die Beurteilungund Entscheidung, ob Anklage erhoben wird,aber eine ausschließliche Kompetenz der Staats-anwaltschaft, der selbst nach Erhebung der An-klage die Dispositionsbefugnis über die Anklageerhalten bleibt (indem sie etwa auch nach An-klageerhebung von dieser zurücktreten kann).8Durch den Einspruch über die Anklageschriftfindet hingegen nur eine nachgelagerte Über-prüfung dieser bereits getroffenen Entscheidungder Staatsanwaltschaft statt. In die Frage, obüberhaupt Anklage erhoben wird, ist das Ge-richt daher gerade nicht eingebunden.

Darüber hinaus wäre das OLG auch jenesGericht, das im Falle einer Anklageerhebungüber einen allfälligen Einspruch gegen die An-klageschrift gem § 212 StPO zu entscheidenhätte.9 Hätte das OLG der Staatsanwaltschaftdurch den hier diskutierten Beschluss aber tat-sächlich bereits zu verstehen gegeben, dass miteiner Anklageerhebung vorzugehen ist, hätte esdamit seine spätere Entscheidung über einenEinspruch gegen die Anklageschrift bereits vor-weggenommen und sich selbst vorab präjudi-ziert.

Damit würde sich das OLG mit dem an dieStaatsanwaltschaft gerichteten Auftrag letztlich

6 Ausnahmen bestehen nur im Falle einer Privat- oderSubsidiaranklage. Vgl dazu Hinterhofer/Oshidari, Sys-tem des österreichischen Strafverfahrens, Rz 2.47; Nim-mervoll, Strafverfahren2, 32; Wiederin in Fuchs/Ratz,WK StPO, § 4 Rz 42 ff.

7 Zum Anklageeinspruch und zu den gesetzlich normier-ten Einspruchsgründen siehe ausführlich Birklbauer/Mayerhofer in Fuchs/Ratz, WK StPO, § 212 Rz 2 ff;Rami in Kier/Wess, HB Strafverteidigung, Rz 10.1 ff.

8 Birklbauer/Mayerhofer in Fuchs/Ratz, WK StPO, Vor§§ 210–215 Rz 1, 56 ff.

9 Birklbauer/Mayerhofer in Fuchs/Ratz, WK StPO, Vor§§ 210–215 Rz 46; Rami in Kier/Wess, HB Strafverteidi-gung, Rz 10.13.

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eine Entscheidung anmaßen, die eindeutig undausschließlich in den Kompetenzbereich derStaatsanwaltschaft fällt.

2.4. Zur Fristsetzung durch die Staatsan-waltschaft

Ein dritter Punkt, der an dieser Stelle kurz auf-gegriffen werden soll, ist die Frage, wie die mitdem Auftrag an die Staatsanwaltschaft verbun-dene Fristsetzung zu verstehen ist. Dabei sindgrundsätzlich zwei Auslegungsvarianten denk-bar: Zum einen könnte die Fristsetzung dahinge-

hend ausgelegt werden, dass bis zum Endeder Frist bereits eine Anklageerhebung oderEinstellung des Verfahrens erfolgt seinmuss.

Zum anderen könnte die Frist auch so ver-standen werden, dass bis zum Ablauf dersel-ben lediglich ein Erledigungsvorschlag vor-liegen muss.

Gerade bei berichtspflichtigen Akten, wie demhier vorliegenden, kann dieser Entscheidungpraktische Bedeutung zukommen.10

Der zuerst genannten Auslegungsvariante isteindeutig der Vorzug zu geben, weil nur durcheine Anklageerhebung oder Einstellung bis zumAblauf der Frist die Verletzung des Beschleuni-gungsgebots gegenüber dem Beschuldigten be-hoben bzw zumindest eine weitere Verletzungdieses subjektiven Rechts hintangehalten wer-den kann. Vor diesem Hintergrund, das sei nuram Rande erwähnt, wurde im gegenständlichenVerfahren am 1. 2. 2018 von einem der Beschul-digten im Übrigen auch ein neuerlicher Einstel-lungsantrag (wegen „Fristablauf“) gestellt, weildiesem bis zum 31. 1. 2018 keine Enderledigungzugestellt wurde.11 Die Staatsanwaltschaft Wienscheint der Frist – wohl nicht zuletzt aus Prakti-kabilitätsgründen – offensichtlich die zuletzt ge-nannte Auslegungsvariante zugrunde zu legen.12

Bis zum Ende der Frist wurde lediglich ein Erle-digungsvorschlag an die Oberbehörden sowieden Weisungsrat übermittelt und daher wederdas Ermittlungsverfahren eingestellt noch An-klage erhoben. Eine tatsächliche Beendigung desErmittlungsverfahrens konnte somit bis zumEnde der gesetzten Frist nicht erreicht werden.

Durch den Beschluss des OLG und die damitverbundene Fristsetzung an die Staatsanwalt-schaft konnte nun aber – nach mehr als sechsJahren Ermittlungsverfahren – eine endgültigeKlärung erreicht werden. Wenngleich das Er-

mittlungsverfahren bis zum Ende der vom OLGgesetzten Frist nicht beendet wurde, hatte derBeschluss des OLG – zumindest für die Beschul-digten – letztendlich erfreuliche Auswirkungen.Wie bereits erwähnt, wurde vor Ablauf der Fristlediglich ein Erledigungsvorschlag an die Ober-behörden und den Weisungsrat übermittelt.13

Die Staatsanwaltschaft ist dem Auftrag des OLGnachgekommen und hat – ganz im Sinne desoben erwähnten Verständnisses des Auftragsdes OLG und in Fortsetzung der bereits 2014eingebrachten, aber zurückgewiesenen Ankla-geschrift – eine neuerliche Anklageerhebungvorgeschlagen. Einige Wochen nach Ablauf derFrist wurde nunmehr durch das Justizministe-rium aber bekanntgegeben, dass der von derStaatsanwaltschaft ausgearbeitete Entwurf derAnklageschrift von der Oberstaatsanwaltschaftund dem Justizministerium einvernehmlich ab-gelehnt wurde und auch seitens des Weisungs-rats keine Bedenken gegen dieses Vorgehen er-hoben wurden.14

Mit dem in diesem Beitrag behandeltenBeschluss hat das OLG einen außerge-wöhnlichen Schritt gesetzt. Wenngleichein Auftrag an die Staatsanwaltschaft ausdem – wohl von allen Seiten begrüßten –Grund gesetzt wurde, der festgestelltenVerletzung des BeschleunigungsgebotsAbhilfe zu verschaffen, und eine analogeAnwendung des § 107 Abs 4 StPO grund-sätzlich zulässig und geeignet scheint, dieVerletzung tatsächlich zu beenden, wirftder konkrete Auftrag an die Staatsanwalt-schaft einige Fragen auf. Indem das OLGweitere Ermittlungsschritte von vornhe-rein ausschließt und letztlich auch dieMöglichkeit einer Einstellung des Ermitt-lungsverfahrens auf Antrag des Beschul-digten verneint, entsteht der Eindruck,der Staatsanwaltschaft stehe nur der Wegder sofortigen Anklageerhebung offen.Ein derartiger Auftrag erscheint aber imLichte des § 4 StPO unzulässig, da dasOLG der Staatsanwaltschaft letztlich eineEntscheidung „abnehmen“ bzw „auf-drängen“ würde, die in den ausschließli-chen Kompetenzbereich der Anklagebe-hörde fällt.

10 Radasztics/Sackmann, Berichtspflichten aus Sicht derStaatsanwaltschaft, ZWF 2017, 12 (14 f, 17).

11 Graber, Causa Meinl: Justiz hat neuen Einstellungsan-trag auf dem Tisch, derStandard.at vom 14. 2. 2018,https://derstandard.at/2000074287365/Causa-Meinl-Justiz-hat-neuen-Einstellungsantrag-auf-dem-Tisch(Zugriff am 26. 2. 2018).

12 Causa Meinl: Staatsanwaltschaft Wien hält Frist nichtein, diepresse.com vom 31. 1. 2018, https://die-presse.com/home/wirtschaft/recht/5363903/Causa-Meinl_Staatsanwaltschaft-Wien-haelt-Frist-nicht-ein(Zugriff am 26. 2. 2018).

13 Causa Meinl: Staatsanwaltschaft Wien hält Frist nichtein, diepresse.com vom 31. 1. 2018, https://die-presse.com/home/wirtschaft/recht/5363903/Causa-Meinl_Staatsanwaltschaft-Wien-haelt-Frist-nicht-ein(Zugriff am 26. 2. 2018).

14 Justiz stellt Verfahren gegen Julius Meinl ein, die-presse.com vom 21. 2. 2018, https://diepresse.com/home/wirtschaft/economist/5375955/Justiz-stellt-Ver-fahren-gegen-Julius-Meinl-ein (Zugriff am 26. 2. 2018).

▶ Auf den Punkt gebracht

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