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Friedensnobelpreisträgerin der Frauenkirche DresdenDr. Mohamed ElBaradei18. März 2014
S T I F T U N G F R A U E N K I R C H E D R E S D E N
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Friedensnobelpreisträgerin der Frauenkirche Dresden
18. März 2014
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Friedensnobelpreisträgerin der Frauenkirche Dresden
18. März 2014
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Inhaltsverzeichnis
05 Friedensnobelpreisträger in der Frauenkirche Pfarrer Sebastian Feydt
06 Begrüßung Landesbischof Jochen Bohl
07 Grußwort Ministerpräsident Stanislaw Tillich 09 Friedensnobelpreisträgerrede »Langfristiger Frieden ist nicht einfach nur Wunschdenken« Dr. Mohamed ElBaradei
25 Schülerwettbewerb Pfarrer Holger Treutmann
26 Die Siegerbeiträge des Schülerwettbewerbs
29 Jugendliche erleben Frauenkirche Dr. Anja Häse
30 Impressionen der Jugendlichen
32 Impulse zur Friedensnobelpreisträgerrede Staatssekretär David Gill Botschafter Wolfgang Ischinger Prof. Dr. Volker Perthes
41 Dr. Mohamed ElBaradei – Biografi e
42 Friedensnobelpreisträger 2014 – 1970
2 | M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N | 3
Inhaltsverzeichnis
05 Friedensnobelpreisträger in der Frauenkirche Pfarrer Sebastian Feydt
06 Begrüßung Landesbischof Jochen Bohl
07 Grußwort Ministerpräsident Stanislaw Tillich 09 Friedensnobelpreisträgerrede »Langfristiger Frieden ist nicht einfach nur Wunschdenken« Dr. Mohamed ElBaradei
25 Schülerwettbewerb Pfarrer Holger Treutmann
26 Die Siegerbeiträge des Schülerwettbewerbs
29 Jugendliche erleben Frauenkirche Dr. Anja Häse
30 Impressionen der Jugendlichen
32 Impulse zur Friedensnobelpreisträgerrede Staatssekretär David Gill Botschafter Wolfgang Ischinger Prof. Dr. Volker Perthes
41 Dr. Mohamed ElBaradei – Biografi e
42 Friedensnobelpreisträger 2014 – 1970
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behörde IAEO, Dr. Mohamed ElBaradei, zu Gast war. Neben
seiner öffentlichen Rede in der Frauenkirche und einem Abend-
essen im Kreise von Ehrengästen und Experten lag das Augen-
merk insbesondere auf der Begegnung mit der nächsten
Generation. Dabei hatten die Gewinner eines gemeinsam mit
dem Freistaat Sachsen ausgelobten Schülerwettbewerbs
die Gelegenheit, ihre Ideen und Überlegungen zum Thema
Nuklearwaffen ausführlich in einem vertraulichen Gespräch
mit Dr. ElBaradei und Ministerpräsident Tillich zu diskutieren.
Es ist der Stiftung Frauenkirche Dresden eine Freude und ein
Anliegen, mit der vorliegenden Publikation zu dokumentieren,
wie der Friedensnobelpreisträger Dr. Mohamed ElBaradei und
maßgebliche Gäste sowie die beteiligten Jugendlichen die
Leitfrage der Veranstaltungsreihe beantwortet haben:
Was müssen wir heute tun,
um die Welt in zwanzig Jahren friedlicher zu gestalten?
Sebastian FeydtPfarrer der Frauenkirche
Friedensnobel-preisträger in der Frauenkirche
Friedensstifter sind sie. Oft auch Friedenstreiber. Manchmal
sind sie mit ihrem Engagement für den Frieden ihrer Zeit weit
voraus und zählen erst sehr viel später zu den prägenden
Persönlichkeiten der Geschichte. Weil sie nicht nachlassen in
ihren Bemühungen, der Welt ein friedlicheres Antlitz zu geben
und Hoffnung wecken, wo Völker nicht in Frieden miteinander
leben. Dort sind zu allen Zeiten engagierte Frauen und Männer
gefragt, die sich für die Verständigung zwischen den Völ-
kern einsetzen. Ihnen dachte einst Alfred Nobel einen Preis
zu. Wer maßgeblich und nachhaltig auf die Völkerverständi-
gung hinwirkt und Friedensforen fördert, soll mit dem Frie-
densnobelpreis ausgezeichnet werden. Man könnte meinen,
die Mütter und Väter des Wiederaufbaus der Frauenkirche
Dresden hatten 1994, nur wenige Jahre nach der Friedlichen
Revolution und dem Fall der Mauer diesen noblen Ansatz
vor Augen, als sie in der Satzung der Stiftung Frauenkirche
Dresden festschrieben: »Es soll mit dem Wiederaufbau der
Frauenkirche ein Wahrzeichen entstehen, das zu Toleranz
und Frieden der Völker und Religionen mahnt, (…) ein Ort
geschaffen werden zur Durchführung von Symposien, Vor-
trägen…« Was liegt daher näher, als Friedensnobelpreis-
träger in die Frauenkirche einzuladen, um ihre Erfahrungen
im Engagement für den Frieden in der Welt weiterzugeben?
Inspiriert von der Rede des vormaligen fi nnischen Präsidenten
Martti Ahtisaari im Dezember 2010 in der Frauenkirche hat die
Stiftung Frauenkirche Dresden eine Veranstaltungsreihe mit
Friedensnobelpreisträgern ins Leben gerufen, in deren Rahmen
2014 der ehemalige Leiter der Internationalen Atomenergie-
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behörde IAEO, Dr. Mohamed ElBaradei, zu Gast war. Neben
seiner öffentlichen Rede in der Frauenkirche und einem Abend-
essen im Kreise von Ehrengästen und Experten lag das Augen-
merk insbesondere auf der Begegnung mit der nächsten
Generation. Dabei hatten die Gewinner eines gemeinsam mit
dem Freistaat Sachsen ausgelobten Schülerwettbewerbs
die Gelegenheit, ihre Ideen und Überlegungen zum Thema
Nuklearwaffen ausführlich in einem vertraulichen Gespräch
mit Dr. ElBaradei und Ministerpräsident Tillich zu diskutieren.
Es ist der Stiftung Frauenkirche Dresden eine Freude und ein
Anliegen, mit der vorliegenden Publikation zu dokumentieren,
wie der Friedensnobelpreisträger Dr. Mohamed ElBaradei und
maßgebliche Gäste sowie die beteiligten Jugendlichen die
Leitfrage der Veranstaltungsreihe beantwortet haben:
Was müssen wir heute tun,
um die Welt in zwanzig Jahren friedlicher zu gestalten?
Sebastian FeydtPfarrer der Frauenkirche
Friedensnobel-preisträger in der Frauenkirche
Friedensstifter sind sie. Oft auch Friedenstreiber. Manchmal
sind sie mit ihrem Engagement für den Frieden ihrer Zeit weit
voraus und zählen erst sehr viel später zu den prägenden
Persönlichkeiten der Geschichte. Weil sie nicht nachlassen in
ihren Bemühungen, der Welt ein friedlicheres Antlitz zu geben
und Hoffnung wecken, wo Völker nicht in Frieden miteinander
leben. Dort sind zu allen Zeiten engagierte Frauen und Männer
gefragt, die sich für die Verständigung zwischen den Völ-
kern einsetzen. Ihnen dachte einst Alfred Nobel einen Preis
zu. Wer maßgeblich und nachhaltig auf die Völkerverständi-
gung hinwirkt und Friedensforen fördert, soll mit dem Frie-
densnobelpreis ausgezeichnet werden. Man könnte meinen,
die Mütter und Väter des Wiederaufbaus der Frauenkirche
Dresden hatten 1994, nur wenige Jahre nach der Friedlichen
Revolution und dem Fall der Mauer diesen noblen Ansatz
vor Augen, als sie in der Satzung der Stiftung Frauenkirche
Dresden festschrieben: »Es soll mit dem Wiederaufbau der
Frauenkirche ein Wahrzeichen entstehen, das zu Toleranz
und Frieden der Völker und Religionen mahnt, (…) ein Ort
geschaffen werden zur Durchführung von Symposien, Vor-
trägen…« Was liegt daher näher, als Friedensnobelpreis-
träger in die Frauenkirche einzuladen, um ihre Erfahrungen
im Engagement für den Frieden in der Welt weiterzugeben?
Inspiriert von der Rede des vormaligen fi nnischen Präsidenten
Martti Ahtisaari im Dezember 2010 in der Frauenkirche hat die
Stiftung Frauenkirche Dresden eine Veranstaltungsreihe mit
Friedensnobelpreisträgern ins Leben gerufen, in deren Rahmen
2014 der ehemalige Leiter der Internationalen Atomenergie-
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Parteien und Lagern herbeizuführen. Sie sind persönlichen
Risiken nicht ausgewichen, als Sie eine Politik nicht mehr mit-
tragen konnten, die den Grundsatz der Versöhnung missachtete.
Es spricht für Sie, dass Sie durch Ihren Rücktritt vom Amt des
Vizepräsidenten im vergangenen Jahr ein deutliches Zeichen
gesetzt haben.
Aus all diesen Gründen bin ich als Vorsitzender des Kuratoriums
der Stiftung Frauenkirche sehr dankbar, Sie heute hier begrüßen
zu dürfen. Mit Ihrem Lebenswerk stehen Sie für den Ruf zum
Frieden, dem auch die Frauenkirche Dresden so stark verbun-
den ist. Wir freuen uns außerordentlich, dass Sie gekommen
sind, um nach Martti Ahtisaari die zweite Friedensnobelpreis-
trägerrede an diesem Ort zu halten.
Jochen BohlLandesbischof der Evangelisch-Lutherischen
Landeskirche Sachsens
Vorsitzender des Kuratoriums der
Stiftung Frauenkirche Dresden
Begrüßung Sehr geehrter Herr Dr. ElBaradei, sehr geehrter Herr Minister-
präsident Tillich, sehr geehrter Herr Landtagspräsident Dr. Rößler,
sehr geehrte Frau Präsidentin Munz, sehr geehrter Herr Staats-
sekretär Gill, sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin Orosz, liebe
Schülerinnen und Schüler, meine Damen und Herren,
mit dieser Kirche verbindet sich die Erinnerung an den 13. Feb-
ruar 1945, als Dresden durch Fliegerbomben zerstört wurde.
Die Ruine der Frauenkirche wurde in den 1980er Jahren zu einem
Mahnmal für den Frieden. Besonders junge Menschen fanden
an diesem Ort ihre Inspiration, sich dem nuklearen Wettrüsten
der Blöcke entgegenzustellen; hier beteten sie für den Frieden.
Es war ein »konventioneller« Krieg, dem die Stadt zum Opfer
fi el. Aber im Zeitalter der atomaren Bewaffnung wissen wir,
dass weit Schlimmeres möglich geworden ist.
An dieser kurzen Erinnerung mag man ablesen, wie sehr
bedeutsam für den Frieden in der Welt Ihre Tätigkeit, sehr
geehrter Herr Dr. ElBaradei, als Generaldirektor der Internatio-
nalen Atomenergieagentur gewesen ist. Unter anderem durch
Inspektionen soll die IAEO gemäß ihrem Auftrag verhindern,
dass nukleares Material entgegen völkerrechtlichen Verpfl ich-
tungen für militärische Zwecke missbraucht wird. In den Jahren
Ihrer Tätigkeit an der Spitze der Organisation haben Sie so
einen entscheidenden Beitrag zur Verhinderung eines mögli-
chen nuklearen Krieges geleistet. Auch haben Sie in konkreten
Situationen unmittelbar versucht, den Frieden zu bewahren.
Ich erinnere daran, dass Sie im Frühjahr 2003 die Existenz von
Massenvernichtungswaffen im Irak angezweifelt haben und so
dem beabsichtigten Krieg zu Recht seine Legitimation entzogen.
In jüngster Zeit nun haben Sie mit Ihrem Eintreten für Demokratie
und Recht in Ihrem Heimatland Ägypten mit großem Einsatz
versucht, eine Versöhnung zwischen den so unterschiedlichen
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Grußwort»Wenn einer keine Angst hat, hat er keine Phantasie«. Der das
sagte, war ein Dresdner – Erich Kästner. In Anlehnung an Käst-
ner kann man vielleicht sagen, dass unser heutiger Gast die
Beherrschung des Spielraums zwischen »Angst« und »Phan-
tasie« zu seiner Lebensaufgabe gemacht hat. Wie groß und
wie real die Gefahr gewesen ist, haben immer wieder nukleare
Krisen und Zwischenfälle gezeigt. Aus einem »kalten« hätte ge-
nauso gut ein »heißer« Krieg werden können. Die Welt stand
während des Kalten Krieges mehrfach am Rande des atomaren
Abgrunds. Das wurde im letzten Jahr wieder deutlich, als
Stanislaw Petrow mit dem Dresden-Preis ausgezeichnet wurde.
Er war es, der 1983 als Oberstleutnant der sowjetischen Luft-
verteidigungsstreitkräfte einen vom System gemeldeten
»Angriff« der USA als Fehlalarm einstufte und somit einen
Atomkrieg verhinderte.
Sie – sehr verehrter Dr. ElBaradei – haben als Direktor der Inter-
nationalen Atomenergie-Organisation hartnäckig gemahnt
und immer wieder zum Handeln aufgefordert. Sie waren das
»Gesicht« der IAEO. Ihr Einsatz gegen den Missbrauch der
Atomkraft für militärische Zwecke wurde mit dem Friedens-
nobelpreis ausgezeichnet.
Wie nah die nukleare Bedrohung war, das blieb vielfach im
Verborgenen. So erging es auch den Anwohnern rund um
den Taucherwald bei Bautzen. Erkennbar war, dass die Sowje-
tischen Streitkräfte aufrüsteten: 1982 wurde der Wald bei
Uhyst am Taucher gesperrt. 1983 erfolgte der Ausbau der
Kaserne in Bischofswerda. Und ab April 1984 gab es nächtliche
Truppen- und Materialtransporte. Seither war der Taucher-
wald abgeriegelt. Aber was genau im Wald verborgen war, das
zeigte sich erst vier Jahre später: Am 25. Februar 1988 erfolg-
te über Bischofswerda der Abzug jener Raketeneinheit, von
deren Ankunft und Existenz kaum jemand wusste. Und erst
mit dem Abzug ließ sich erahnen, dass der Taucherwald einer
der »heißen Orte im Kalten Krieg« war. Die dort stationierten
sowjetischen Mittelstreckenraketen vom Typ SS-12 waren mit
nuklearen Sprengköpfen bewaffnet – jeder mit einer Spreng-
kraft von 25 Hiroshima-Bomben.
Ich habe Ihnen diese Geschichte erzählt, weil sie die Zer-
störungskraft und die Bedrohung von Atomwaffen greifbar
macht. Weil deutlich wird, wie wichtig nukleare Abrüstung ist.
Und weil sie uns vor Augen führt, wie kostbar der Frieden in
Europa ist. Leider sind Atomwaffen weltweit noch immer eine
reale Bedrohung. Das zu ändern, bleibt unser aller Auftrag.
Aber wir alle wissen auch, dass die Notwendigkeit etwas zu
tun, noch lange nicht dazu führt, dass es auch getan wird.
Dazu braucht es Weitsicht, Mut und Unnachgiebigkeit.
Stanislaw TillichMinisterpräsident des Freistaates Sachsen
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Parteien und Lagern herbeizuführen. Sie sind persönlichen
Risiken nicht ausgewichen, als Sie eine Politik nicht mehr mit-
tragen konnten, die den Grundsatz der Versöhnung missachtete.
Es spricht für Sie, dass Sie durch Ihren Rücktritt vom Amt des
Vizepräsidenten im vergangenen Jahr ein deutliches Zeichen
gesetzt haben.
Aus all diesen Gründen bin ich als Vorsitzender des Kuratoriums
der Stiftung Frauenkirche sehr dankbar, Sie heute hier begrüßen
zu dürfen. Mit Ihrem Lebenswerk stehen Sie für den Ruf zum
Frieden, dem auch die Frauenkirche Dresden so stark verbun-
den ist. Wir freuen uns außerordentlich, dass Sie gekommen
sind, um nach Martti Ahtisaari die zweite Friedensnobelpreis-
trägerrede an diesem Ort zu halten.
Jochen BohlLandesbischof der Evangelisch-Lutherischen
Landeskirche Sachsens
Vorsitzender des Kuratoriums der
Stiftung Frauenkirche Dresden
Begrüßung Sehr geehrter Herr Dr. ElBaradei, sehr geehrter Herr Minister-
präsident Tillich, sehr geehrter Herr Landtagspräsident Dr. Rößler,
sehr geehrte Frau Präsidentin Munz, sehr geehrter Herr Staats-
sekretär Gill, sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin Orosz, liebe
Schülerinnen und Schüler, meine Damen und Herren,
mit dieser Kirche verbindet sich die Erinnerung an den 13. Feb-
ruar 1945, als Dresden durch Fliegerbomben zerstört wurde.
Die Ruine der Frauenkirche wurde in den 1980er Jahren zu einem
Mahnmal für den Frieden. Besonders junge Menschen fanden
an diesem Ort ihre Inspiration, sich dem nuklearen Wettrüsten
der Blöcke entgegenzustellen; hier beteten sie für den Frieden.
Es war ein »konventioneller« Krieg, dem die Stadt zum Opfer
fi el. Aber im Zeitalter der atomaren Bewaffnung wissen wir,
dass weit Schlimmeres möglich geworden ist.
An dieser kurzen Erinnerung mag man ablesen, wie sehr
bedeutsam für den Frieden in der Welt Ihre Tätigkeit, sehr
geehrter Herr Dr. ElBaradei, als Generaldirektor der Internatio-
nalen Atomenergieagentur gewesen ist. Unter anderem durch
Inspektionen soll die IAEO gemäß ihrem Auftrag verhindern,
dass nukleares Material entgegen völkerrechtlichen Verpfl ich-
tungen für militärische Zwecke missbraucht wird. In den Jahren
Ihrer Tätigkeit an der Spitze der Organisation haben Sie so
einen entscheidenden Beitrag zur Verhinderung eines mögli-
chen nuklearen Krieges geleistet. Auch haben Sie in konkreten
Situationen unmittelbar versucht, den Frieden zu bewahren.
Ich erinnere daran, dass Sie im Frühjahr 2003 die Existenz von
Massenvernichtungswaffen im Irak angezweifelt haben und so
dem beabsichtigten Krieg zu Recht seine Legitimation entzogen.
In jüngster Zeit nun haben Sie mit Ihrem Eintreten für Demokratie
und Recht in Ihrem Heimatland Ägypten mit großem Einsatz
versucht, eine Versöhnung zwischen den so unterschiedlichen
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Grußwort»Wenn einer keine Angst hat, hat er keine Phantasie«. Der das
sagte, war ein Dresdner – Erich Kästner. In Anlehnung an Käst-
ner kann man vielleicht sagen, dass unser heutiger Gast die
Beherrschung des Spielraums zwischen »Angst« und »Phan-
tasie« zu seiner Lebensaufgabe gemacht hat. Wie groß und
wie real die Gefahr gewesen ist, haben immer wieder nukleare
Krisen und Zwischenfälle gezeigt. Aus einem »kalten« hätte ge-
nauso gut ein »heißer« Krieg werden können. Die Welt stand
während des Kalten Krieges mehrfach am Rande des atomaren
Abgrunds. Das wurde im letzten Jahr wieder deutlich, als
Stanislaw Petrow mit dem Dresden-Preis ausgezeichnet wurde.
Er war es, der 1983 als Oberstleutnant der sowjetischen Luft-
verteidigungsstreitkräfte einen vom System gemeldeten
»Angriff« der USA als Fehlalarm einstufte und somit einen
Atomkrieg verhinderte.
Sie – sehr verehrter Dr. ElBaradei – haben als Direktor der Inter-
nationalen Atomenergie-Organisation hartnäckig gemahnt
und immer wieder zum Handeln aufgefordert. Sie waren das
»Gesicht« der IAEO. Ihr Einsatz gegen den Missbrauch der
Atomkraft für militärische Zwecke wurde mit dem Friedens-
nobelpreis ausgezeichnet.
Wie nah die nukleare Bedrohung war, das blieb vielfach im
Verborgenen. So erging es auch den Anwohnern rund um
den Taucherwald bei Bautzen. Erkennbar war, dass die Sowje-
tischen Streitkräfte aufrüsteten: 1982 wurde der Wald bei
Uhyst am Taucher gesperrt. 1983 erfolgte der Ausbau der
Kaserne in Bischofswerda. Und ab April 1984 gab es nächtliche
Truppen- und Materialtransporte. Seither war der Taucher-
wald abgeriegelt. Aber was genau im Wald verborgen war, das
zeigte sich erst vier Jahre später: Am 25. Februar 1988 erfolg-
te über Bischofswerda der Abzug jener Raketeneinheit, von
deren Ankunft und Existenz kaum jemand wusste. Und erst
mit dem Abzug ließ sich erahnen, dass der Taucherwald einer
der »heißen Orte im Kalten Krieg« war. Die dort stationierten
sowjetischen Mittelstreckenraketen vom Typ SS-12 waren mit
nuklearen Sprengköpfen bewaffnet – jeder mit einer Spreng-
kraft von 25 Hiroshima-Bomben.
Ich habe Ihnen diese Geschichte erzählt, weil sie die Zer-
störungskraft und die Bedrohung von Atomwaffen greifbar
macht. Weil deutlich wird, wie wichtig nukleare Abrüstung ist.
Und weil sie uns vor Augen führt, wie kostbar der Frieden in
Europa ist. Leider sind Atomwaffen weltweit noch immer eine
reale Bedrohung. Das zu ändern, bleibt unser aller Auftrag.
Aber wir alle wissen auch, dass die Notwendigkeit etwas zu
tun, noch lange nicht dazu führt, dass es auch getan wird.
Dazu braucht es Weitsicht, Mut und Unnachgiebigkeit.
Stanislaw TillichMinisterpräsident des Freistaates Sachsen
8 | M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N | 9
»Langfristiger Frieden ist nicht einfach nur Wunschdenken«
Friedensnobelpreisträgerrede von
Dr. Mohamed ElBaradeiFriedensnobelpreisträger 2005
ehemaliger Generaldirektor der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO)
im Rahmen der Reihe
»Friedensnobelpreisträger in der Frauenkirche Dresden«
Die Rede wurde in englischer Sprache gehalten.
Dies ist die verschriftlichte Übersetzung.
8 | M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N | 9
»Langfristiger Frieden ist nicht einfach nur Wunschdenken«
Friedensnobelpreisträgerrede von
Dr. Mohamed ElBaradeiFriedensnobelpreisträger 2005
ehemaliger Generaldirektor der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO)
im Rahmen der Reihe
»Friedensnobelpreisträger in der Frauenkirche Dresden«
Die Rede wurde in englischer Sprache gehalten.
Dies ist die verschriftlichte Übersetzung.
10 | M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N
Ministerpräsident Tillich, Bischof Bohl, meine Damen und Herren,
es ist eine große Ehre für mich, an dieser Vortragsreihe teil-
zunehmen – hier in der Frauenkirche, die ein weithin aner-
kanntes Symbol des Friedens und der Versöhnung ist. Die Tat-
sache, dass ich hier vor Ihnen als arabischer Moslem in einer
deutschen Kathedrale stehe, um über die Möglichkeiten des
weltweiten Friedens zu sprechen, spricht Bände über unser
gemeinsames Schicksal und die geteilte Hoffnung. Vor drei
Tagen jährte sich der Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien zum
dritten Mal: ein sinnloser, zerstörender, entmenschlichender
Konfl ikt. Mehr als 130.000 Männer, Frauen und Kinder haben
bis heute ihr Leben verloren. Mehr als 2 Millionen Flüchtlinge
mussten ihre Heimat verlassen.
Vor drei Wochen autorisierte das russische Parlament die Ent-
sendung von Truppen in die Ukraine, was möglicherweise in
eine größere Konfrontation münden könnte. Und die Entsen-
dung ist nicht abgeschlossen. In den letzten drei Jahren hat
unser Kampf in Ägypten für echte Demokratie immer wieder
das Hindernis der gewaltsamen Unterdrückung erfahren. Und
selbst heute, während wir hier zusammenkommen, fordern
bewaffnete Konfl ikte Opfer in Afghanistan, Pakistan, der Zent-
ralafrikanischen Republik, im Südsudan und in vielen anderen
Ländern.
Unsere Entwicklung als Spezies – im Hinblick auf unsere Fähig-
keit, für unsere Mitmenschen zu sorgen und unsere Meinungs-
verschiedenheiten auf friedvolle Art und Weise zu begleichen
– scheint sich wenig entwickelt zu haben seit Anbeginn der
geschichtlichen Aufzeichnung. Kriege bestimmen die mensch-
liche Zeitschiene: die griechischen Kriege, die römischen Krie-
ge, die Eroberungen durch die Mongolen, die Kreuzzüge,
Bürgerkriege, die Napoleonischen Kriege, Weltkriege mit Hun-
derten von Millionen von Menschen, die ihr Leben verloren
haben. Heute kann man sich kaum der Gründe erinnern, die
zu diesen Kriegen führten. Viele der Länder, die daran teilnah-
men, gibt es heute nicht mehr.
Reiche und Dynastien stiegen auf, indem sie jeweils die vo-
rangehenden Regime blutig entthronten. Wir haben den
Westfälischen Frieden unterschrieben, wir haben den Wiener
Kongress organisiert, der die Souveränität des Einzelstaates
festlegte und die internationalen Regeln festlegte – aber die
Kämpfe gingen weiter. Wir haben den Völkerbund gegründet
– dieser konnte jedoch nicht den Zweiten Weltkrieg verhin-
dern. Wir haben die Vereinten Nationen gegründet – aber
trotzdem hängt der nukleare Holocaust wie ein Damokles-
schwert über unseren Köpfen. Regionale Kriege fi nden nach
wie vor überall auf der Welt statt. Wir haben das sogenannte
»Humanitäre Völkerrecht« zur Regelung des bewaffneten
Konfl ikts entwickelt, damit wir uns gegenseitig »mensch-
licher« umbringen können, indem wir Zivilisten schonen
und die Behandlung von Gefangenen regeln. Allerdings wird
dieses humanitäre Völkerrecht inzwischen häufi ger aufgrund
von Verstößen denn wegen seiner Einhaltung erwähnt.
Was ist aus unserer Menschlichkeit geworden? Haben wir nach
Tausenden von Jahren der Zivilisation überhaupt nichts ge-
lernt über die Möglichkeit, unsere Meinungsverschiedenhei-
ten friedlich zu lösen? Sind wir dazu verdammt, diesen Teufels-
kreis der Gewalt für immer weiterzuführen? Trotz der langen
Liste der gewaltsamen Konfl ikte, die ich gerade erwähnt habe,
ist meine Antwort ganz klar: Nein, wir sind nicht dazu ver-
dammt. Menschen sind keine zutiefst mangelhaften Wesen.
Das glaube ich nicht. Wir sind nicht dazu geboren zu hassen.
Die Künste des Krieges werden erlernt. Wir sind ebenso in der
Lage, die Künste des Friedens zu lernen – und unseren Kindern
weiterzugeben. Wie Albert Camus es einst gesagt hat: »Der
Frieden ist der einzige Kampf, den es zu führen lohnt.«
Auf dieser Prämisse fußend habe ich meinen Vortrag heute
unter den Titel gestellt: »Langfristiger Frieden ist nicht einfach
nur Wunschdenken.« Die Frage, die ich hier in den Raum stellen
möchte, ist: Was kann man in zehn Jahren schaffen – ich wur-
de nach 20 Jahren gefragt, aber ich möchte von zehn Jahren
sprechen. Selbst wenn ein Jahrzehnt als eine kurze Zeit er-
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scheint, dann überlegen Sie sich doch einmal, was in den
letzten zehn Jahren alles passiert ist: Die Erweiterung der Eu-
ropäischen Union um weitere 13 Mitglieder, die Entstehung
von Facebook, Twitter und Youtube – das erste iPhone. Die In-
novation des Teilchenbeschleunigers am CERN [Anm.: Conseil
Européen pour la Rechereche Nucléaire; Europäisches Kernfor-
schungszentrum, Genf] und die Entdeckung des Higgs-Boson
Partikels vor ein paar Jahren. Oder das erste künstliche Organ,
das transplantiert wurde. Wikileaks, Occupy Wall Street, die
Welle prodemokratischer Bewegungen, die die arabischen
Länder erfasste im Nahen Osten und im Norden Afrikas.
Viele dieser Ereignisse hätte man nicht vorhersehen können.
Wenn Sie mir vor zehn Jahren gesagt hätten, dass so dramati-
sche Ereignisse in der arabischen Gesellschaft stattfi nden wür-
den, wäre ich skeptisch gewesen und ich hätte nicht geglaubt,
dass das während meiner Lebenszeit noch stattfi nden könne.
Die Lehre ist eindeutig: Man soll nie die Kraft des mensch-
lichen Geistes unterschätzen. Mit der richtigen Haltung und
der richtigen Strategie sind wir in der Lage, Großes zu leisten,
ja Beeindruckendes zu erreichen. Bei der gegenwärtigen Ge-
schwindigkeit der Veränderungen ist ein Jahrzehnt eine lange
Zeit. Und als ich mir deswegen überlegte, was wir uns in zehn
Jahren vornehmen könnten, war ich doch voller Hoffnung. Ich
habe diese Hoffnung in zehn Schritte übersetzt – realistische,
praktische Maßnahmen, meiner Ansicht nach, die unsere Ge-
sellschaft und unsere Zukunftsperspektiven verändern wer-
den. Die ersten fünf rufen zur Veränderung in unserem Ver-
ständnis und in unserer Haltung auf. Die letzten fünf sind so
etwas wie ein Handlungsleitfaden.
Schritt 1:Wir müssen die Dualität der menschlichen Natur begreifen: gemeinsame Werte, unterschiedliche
Perspektiven.
Der britische politische Philosoph Thomas Hobbes hat diese
Dualität vor vier Jahrhunderten in seinem Werk »De Cive –
Über den Bürger« dargestellt. Hobbes beobachtete, dass Men-
schen verschiedener Hintergründe – verschiedener sozialer
Klassen, politischer und religiöser Überzeugungen – es sehr
oft doch sehr schnell und sehr einfach fi nden, gemeinsam die
ideale Zukunft zu beschreiben. Sie alle haben die Hoffnung,
dass eine Zukunft voller Frieden, Gerechtigkeit und Freiheit für
zukünftige Generationen möglich ist. Zugleich sind sie auch
sehr schnell darüber übereingekommen, was das Grundver-
halten sein müsste, was diese Zukunft erst möglich macht:
Werte wie Ehrlichkeit, Toleranz, Großzügigkeit und Respekt
für menschliche Würde.
Aber Hobbes beobachtete auch, dass die gleichen Menschen
Entschuldigungen dafür parat hatten, warum sie in der Gegen-
wart zu gegensätzlichem Handeln gezwungen sind: erbitterter
Wettbewerb, Täuschung, Ausbeutung und sogar Gewalt. Diese
Verhaltensmuster, die von Gier, Angst und anderen mensch-
lichen Leidenschaften angefacht werden, führen zu einem
zerstörerischen Kreislauf aus Hass, Unterdrückung, zivilen
Unruhen und der Unterdrückung bzw. dem Verlust der Men-
schenwürde. Diese Unterscheidungen der Menschen zwi-
schen positiven Werten und gegenwärtigen negativen Ver-
haltensmustern haben eine direkte Relevanz für die friedliche
Lösung von Konfl ikten – einschließlich solch langanhaltender
Spannungen wie dem Konfl ikt zwischen Israelis und Palästi-
nensern. Eine weithin geteilte Ansicht ist, dass die Lösung für
diese Konfl ikte in der Entdeckung gemeinsamer Werte liegt.
Ich stimme dem nicht zu. Die reiche Textur der menschlichen
Familie enthält bereits einen Grundstock an Grundwerten,
der sich über alle Religionen und Glaubenssysteme hinweg
erstreckt.
10 | M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N
Ministerpräsident Tillich, Bischof Bohl, meine Damen und Herren,
es ist eine große Ehre für mich, an dieser Vortragsreihe teil-
zunehmen – hier in der Frauenkirche, die ein weithin aner-
kanntes Symbol des Friedens und der Versöhnung ist. Die Tat-
sache, dass ich hier vor Ihnen als arabischer Moslem in einer
deutschen Kathedrale stehe, um über die Möglichkeiten des
weltweiten Friedens zu sprechen, spricht Bände über unser
gemeinsames Schicksal und die geteilte Hoffnung. Vor drei
Tagen jährte sich der Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien zum
dritten Mal: ein sinnloser, zerstörender, entmenschlichender
Konfl ikt. Mehr als 130.000 Männer, Frauen und Kinder haben
bis heute ihr Leben verloren. Mehr als 2 Millionen Flüchtlinge
mussten ihre Heimat verlassen.
Vor drei Wochen autorisierte das russische Parlament die Ent-
sendung von Truppen in die Ukraine, was möglicherweise in
eine größere Konfrontation münden könnte. Und die Entsen-
dung ist nicht abgeschlossen. In den letzten drei Jahren hat
unser Kampf in Ägypten für echte Demokratie immer wieder
das Hindernis der gewaltsamen Unterdrückung erfahren. Und
selbst heute, während wir hier zusammenkommen, fordern
bewaffnete Konfl ikte Opfer in Afghanistan, Pakistan, der Zent-
ralafrikanischen Republik, im Südsudan und in vielen anderen
Ländern.
Unsere Entwicklung als Spezies – im Hinblick auf unsere Fähig-
keit, für unsere Mitmenschen zu sorgen und unsere Meinungs-
verschiedenheiten auf friedvolle Art und Weise zu begleichen
– scheint sich wenig entwickelt zu haben seit Anbeginn der
geschichtlichen Aufzeichnung. Kriege bestimmen die mensch-
liche Zeitschiene: die griechischen Kriege, die römischen Krie-
ge, die Eroberungen durch die Mongolen, die Kreuzzüge,
Bürgerkriege, die Napoleonischen Kriege, Weltkriege mit Hun-
derten von Millionen von Menschen, die ihr Leben verloren
haben. Heute kann man sich kaum der Gründe erinnern, die
zu diesen Kriegen führten. Viele der Länder, die daran teilnah-
men, gibt es heute nicht mehr.
Reiche und Dynastien stiegen auf, indem sie jeweils die vo-
rangehenden Regime blutig entthronten. Wir haben den
Westfälischen Frieden unterschrieben, wir haben den Wiener
Kongress organisiert, der die Souveränität des Einzelstaates
festlegte und die internationalen Regeln festlegte – aber die
Kämpfe gingen weiter. Wir haben den Völkerbund gegründet
– dieser konnte jedoch nicht den Zweiten Weltkrieg verhin-
dern. Wir haben die Vereinten Nationen gegründet – aber
trotzdem hängt der nukleare Holocaust wie ein Damokles-
schwert über unseren Köpfen. Regionale Kriege fi nden nach
wie vor überall auf der Welt statt. Wir haben das sogenannte
»Humanitäre Völkerrecht« zur Regelung des bewaffneten
Konfl ikts entwickelt, damit wir uns gegenseitig »mensch-
licher« umbringen können, indem wir Zivilisten schonen
und die Behandlung von Gefangenen regeln. Allerdings wird
dieses humanitäre Völkerrecht inzwischen häufi ger aufgrund
von Verstößen denn wegen seiner Einhaltung erwähnt.
Was ist aus unserer Menschlichkeit geworden? Haben wir nach
Tausenden von Jahren der Zivilisation überhaupt nichts ge-
lernt über die Möglichkeit, unsere Meinungsverschiedenhei-
ten friedlich zu lösen? Sind wir dazu verdammt, diesen Teufels-
kreis der Gewalt für immer weiterzuführen? Trotz der langen
Liste der gewaltsamen Konfl ikte, die ich gerade erwähnt habe,
ist meine Antwort ganz klar: Nein, wir sind nicht dazu ver-
dammt. Menschen sind keine zutiefst mangelhaften Wesen.
Das glaube ich nicht. Wir sind nicht dazu geboren zu hassen.
Die Künste des Krieges werden erlernt. Wir sind ebenso in der
Lage, die Künste des Friedens zu lernen – und unseren Kindern
weiterzugeben. Wie Albert Camus es einst gesagt hat: »Der
Frieden ist der einzige Kampf, den es zu führen lohnt.«
Auf dieser Prämisse fußend habe ich meinen Vortrag heute
unter den Titel gestellt: »Langfristiger Frieden ist nicht einfach
nur Wunschdenken.« Die Frage, die ich hier in den Raum stellen
möchte, ist: Was kann man in zehn Jahren schaffen – ich wur-
de nach 20 Jahren gefragt, aber ich möchte von zehn Jahren
sprechen. Selbst wenn ein Jahrzehnt als eine kurze Zeit er-
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scheint, dann überlegen Sie sich doch einmal, was in den
letzten zehn Jahren alles passiert ist: Die Erweiterung der Eu-
ropäischen Union um weitere 13 Mitglieder, die Entstehung
von Facebook, Twitter und Youtube – das erste iPhone. Die In-
novation des Teilchenbeschleunigers am CERN [Anm.: Conseil
Européen pour la Rechereche Nucléaire; Europäisches Kernfor-
schungszentrum, Genf] und die Entdeckung des Higgs-Boson
Partikels vor ein paar Jahren. Oder das erste künstliche Organ,
das transplantiert wurde. Wikileaks, Occupy Wall Street, die
Welle prodemokratischer Bewegungen, die die arabischen
Länder erfasste im Nahen Osten und im Norden Afrikas.
Viele dieser Ereignisse hätte man nicht vorhersehen können.
Wenn Sie mir vor zehn Jahren gesagt hätten, dass so dramati-
sche Ereignisse in der arabischen Gesellschaft stattfi nden wür-
den, wäre ich skeptisch gewesen und ich hätte nicht geglaubt,
dass das während meiner Lebenszeit noch stattfi nden könne.
Die Lehre ist eindeutig: Man soll nie die Kraft des mensch-
lichen Geistes unterschätzen. Mit der richtigen Haltung und
der richtigen Strategie sind wir in der Lage, Großes zu leisten,
ja Beeindruckendes zu erreichen. Bei der gegenwärtigen Ge-
schwindigkeit der Veränderungen ist ein Jahrzehnt eine lange
Zeit. Und als ich mir deswegen überlegte, was wir uns in zehn
Jahren vornehmen könnten, war ich doch voller Hoffnung. Ich
habe diese Hoffnung in zehn Schritte übersetzt – realistische,
praktische Maßnahmen, meiner Ansicht nach, die unsere Ge-
sellschaft und unsere Zukunftsperspektiven verändern wer-
den. Die ersten fünf rufen zur Veränderung in unserem Ver-
ständnis und in unserer Haltung auf. Die letzten fünf sind so
etwas wie ein Handlungsleitfaden.
Schritt 1:Wir müssen die Dualität der menschlichen Natur begreifen: gemeinsame Werte, unterschiedliche
Perspektiven.
Der britische politische Philosoph Thomas Hobbes hat diese
Dualität vor vier Jahrhunderten in seinem Werk »De Cive –
Über den Bürger« dargestellt. Hobbes beobachtete, dass Men-
schen verschiedener Hintergründe – verschiedener sozialer
Klassen, politischer und religiöser Überzeugungen – es sehr
oft doch sehr schnell und sehr einfach fi nden, gemeinsam die
ideale Zukunft zu beschreiben. Sie alle haben die Hoffnung,
dass eine Zukunft voller Frieden, Gerechtigkeit und Freiheit für
zukünftige Generationen möglich ist. Zugleich sind sie auch
sehr schnell darüber übereingekommen, was das Grundver-
halten sein müsste, was diese Zukunft erst möglich macht:
Werte wie Ehrlichkeit, Toleranz, Großzügigkeit und Respekt
für menschliche Würde.
Aber Hobbes beobachtete auch, dass die gleichen Menschen
Entschuldigungen dafür parat hatten, warum sie in der Gegen-
wart zu gegensätzlichem Handeln gezwungen sind: erbitterter
Wettbewerb, Täuschung, Ausbeutung und sogar Gewalt. Diese
Verhaltensmuster, die von Gier, Angst und anderen mensch-
lichen Leidenschaften angefacht werden, führen zu einem
zerstörerischen Kreislauf aus Hass, Unterdrückung, zivilen
Unruhen und der Unterdrückung bzw. dem Verlust der Men-
schenwürde. Diese Unterscheidungen der Menschen zwi-
schen positiven Werten und gegenwärtigen negativen Ver-
haltensmustern haben eine direkte Relevanz für die friedliche
Lösung von Konfl ikten – einschließlich solch langanhaltender
Spannungen wie dem Konfl ikt zwischen Israelis und Palästi-
nensern. Eine weithin geteilte Ansicht ist, dass die Lösung für
diese Konfl ikte in der Entdeckung gemeinsamer Werte liegt.
Ich stimme dem nicht zu. Die reiche Textur der menschlichen
Familie enthält bereits einen Grundstock an Grundwerten,
der sich über alle Religionen und Glaubenssysteme hinweg
erstreckt.
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Das Problem liegt eher in der menschlichen Subjektivität:
scharf divergierende Wahrnehmungen vergangener Ereignis-
se, die zu Unzufriedenheit und unterschiedlichen Wahrneh-
mungen der gegenwärtigen Wirklichkeit führen. Juden und
Araber in Palästina bekämpfen sich nicht, weil ihre Grund-
werte anders wären, sie kämpfen, weil jeder die Geschichte
der Region aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. Jeder
glaubt, dass das Land seinem Volk gehört.
Die Lösung ist, ein Umfeld zu schaffen, in dem Dialog wieder
möglich ist. Ein Dialog, der diese subjektiven Ansichten auf-
nimmt und gleichzeitig den Schwerpunkt auf die gemeinsame
Vision einer friedlichen Zukunft setzt, wodurch das Positive
und Gute in jedem Teilnehmer hervorgebracht wird. Ob dies
auf nationaler oder internationaler Ebene stattfi ndet – es erfor-
dert die Entwicklung von Institutionen und Verfahren, die auf
menschlicher Solidarität fußen und die so aufgestellt werden,
dass ausgeglichene Lösungen gefunden und gleiche Chancen
geschaffen werden: für ökonomische und politische Teilhabe
aller Parteien und Kontrollmöglichkeiten gegen Vorherrschaft
oder Manipulation durch eine einzelne Partei. Ich werde auf
diese Institutionen und Prozesse später noch genauer einge-
hen.
Schritt 2:Wir müssen anerkennen, wie die Globalisierung
die Wirklichkeit verändert hat.
Thomas Hobbes begründete die Wichtigkeit einer guten Re-
gierungsführung auf der Ebene des Stadtstaates mit seinen
eigenen Beobachtungen. Aber in den darauffolgenden Jahren
hat sich die Dimension radikal verändert. Die Globalisierung,
der schnelle Strom an Gütern, Dienstleistungen, Informatio-
nen, Finanzen und Menschen über jegliche nationalen und
kontinentalen Grenzen hinweg haben den menschlichen Aus-
tausch umdefi niert. Wir sind jetzt sprichwörtlich mehr verbun-
den als jemals zuvor. Die Stadt ist heute der ganze Planet.
Und was bedeutet das im praktischen Sinne? Zuerst einmal ist
die Entwicklung der Zivilisation nicht länger ein Nullsummen-
spiel, bei dem ein Land oder eine Gruppe für sich Sicherheit
und Ressourcen erwerben kann, indem es ein anderes einfach
nur ausbeutet. Wenn man schlechte Konditionen und Bedin-
gungen für ein Land oder eine Gruppe schafft, ob getrieben
von Gier oder Ideologie, wird das unweigerlich zu einem Bu-
merang-Effekt führen. Wenn man zum Beispiel einen Teil der
Gesellschaft zur Armut verdammt oder ihre Menschenrechte
beschneidet, werden diese Umstände wiederum zu Extremis-
mus führen oder Krankheiten hervorbringen, die unweigerlich
auch den Unterdrücker erreichen werden. Ich bitte Sie jetzt
und hier nicht an das Karma zu glauben. Was ich sage, ist,
dass wir auf irreversible Art und Weise als globale Gesellschaft
verbunden sind.
Zweitens: Wenn wir die wichtigsten globalen Herausforderun-
gen betrachten – Terrorismus, den Klimawandel, Armut, die
Begrenztheit der Ressourcen oder die Massenvernichtungs-
waffen – dann sehen wir, dass all diese Bedrohungen keine
Grenzen kennen. Der traditionelle Begriff der nationalen Si-
cherheit wird obsolet. Naturgemäß erfordern diese Risiken
und Bedrohungen multinationale und sogar oft globale Zu-
sammenarbeit. Nationale Entscheidungen müssen natürlich
getroffen werden, aber ein Maßstab für die Sinnfälligkeit
dieser Aktionen und Handlungen sind deren globale Auswir-
kungen. Keine Regierung – und auch keine begrenzte Allianz
– kann diese Bedrohungen allein meistern.
Diese Veränderung des Verständnisses muss wiederum zu
einer Veränderung der Haltung führen. Es ist unvermeidbar,
dass wir eine globale Gesellschaft werden und die Vernunft
eine Anpassung hervorbringt: Die Grundwerte, die wir teilen,
müssen in der gesamten Gesellschaft angewendet werden.
Unsere traditionelle Familie ist jetzt die menschliche Familie.
Und wie bei jeder Familie, kann man auch bei der menschli-
chen Familie Meinungsunterschiede und widerstrebende In-
teressen erwarten. Unsere Antwort auf diese Konfl ikte kann
12 | M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N | 13
Das Problem liegt eher in der menschlichen Subjektivität:
scharf divergierende Wahrnehmungen vergangener Ereignis-
se, die zu Unzufriedenheit und unterschiedlichen Wahrneh-
mungen der gegenwärtigen Wirklichkeit führen. Juden und
Araber in Palästina bekämpfen sich nicht, weil ihre Grund-
werte anders wären, sie kämpfen, weil jeder die Geschichte
der Region aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. Jeder
glaubt, dass das Land seinem Volk gehört.
Die Lösung ist, ein Umfeld zu schaffen, in dem Dialog wieder
möglich ist. Ein Dialog, der diese subjektiven Ansichten auf-
nimmt und gleichzeitig den Schwerpunkt auf die gemeinsame
Vision einer friedlichen Zukunft setzt, wodurch das Positive
und Gute in jedem Teilnehmer hervorgebracht wird. Ob dies
auf nationaler oder internationaler Ebene stattfi ndet – es erfor-
dert die Entwicklung von Institutionen und Verfahren, die auf
menschlicher Solidarität fußen und die so aufgestellt werden,
dass ausgeglichene Lösungen gefunden und gleiche Chancen
geschaffen werden: für ökonomische und politische Teilhabe
aller Parteien und Kontrollmöglichkeiten gegen Vorherrschaft
oder Manipulation durch eine einzelne Partei. Ich werde auf
diese Institutionen und Prozesse später noch genauer einge-
hen.
Schritt 2:Wir müssen anerkennen, wie die Globalisierung
die Wirklichkeit verändert hat.
Thomas Hobbes begründete die Wichtigkeit einer guten Re-
gierungsführung auf der Ebene des Stadtstaates mit seinen
eigenen Beobachtungen. Aber in den darauffolgenden Jahren
hat sich die Dimension radikal verändert. Die Globalisierung,
der schnelle Strom an Gütern, Dienstleistungen, Informatio-
nen, Finanzen und Menschen über jegliche nationalen und
kontinentalen Grenzen hinweg haben den menschlichen Aus-
tausch umdefi niert. Wir sind jetzt sprichwörtlich mehr verbun-
den als jemals zuvor. Die Stadt ist heute der ganze Planet.
Und was bedeutet das im praktischen Sinne? Zuerst einmal ist
die Entwicklung der Zivilisation nicht länger ein Nullsummen-
spiel, bei dem ein Land oder eine Gruppe für sich Sicherheit
und Ressourcen erwerben kann, indem es ein anderes einfach
nur ausbeutet. Wenn man schlechte Konditionen und Bedin-
gungen für ein Land oder eine Gruppe schafft, ob getrieben
von Gier oder Ideologie, wird das unweigerlich zu einem Bu-
merang-Effekt führen. Wenn man zum Beispiel einen Teil der
Gesellschaft zur Armut verdammt oder ihre Menschenrechte
beschneidet, werden diese Umstände wiederum zu Extremis-
mus führen oder Krankheiten hervorbringen, die unweigerlich
auch den Unterdrücker erreichen werden. Ich bitte Sie jetzt
und hier nicht an das Karma zu glauben. Was ich sage, ist,
dass wir auf irreversible Art und Weise als globale Gesellschaft
verbunden sind.
Zweitens: Wenn wir die wichtigsten globalen Herausforderun-
gen betrachten – Terrorismus, den Klimawandel, Armut, die
Begrenztheit der Ressourcen oder die Massenvernichtungs-
waffen – dann sehen wir, dass all diese Bedrohungen keine
Grenzen kennen. Der traditionelle Begriff der nationalen Si-
cherheit wird obsolet. Naturgemäß erfordern diese Risiken
und Bedrohungen multinationale und sogar oft globale Zu-
sammenarbeit. Nationale Entscheidungen müssen natürlich
getroffen werden, aber ein Maßstab für die Sinnfälligkeit
dieser Aktionen und Handlungen sind deren globale Auswir-
kungen. Keine Regierung – und auch keine begrenzte Allianz
– kann diese Bedrohungen allein meistern.
Diese Veränderung des Verständnisses muss wiederum zu
einer Veränderung der Haltung führen. Es ist unvermeidbar,
dass wir eine globale Gesellschaft werden und die Vernunft
eine Anpassung hervorbringt: Die Grundwerte, die wir teilen,
müssen in der gesamten Gesellschaft angewendet werden.
Unsere traditionelle Familie ist jetzt die menschliche Familie.
Und wie bei jeder Familie, kann man auch bei der menschli-
chen Familie Meinungsunterschiede und widerstrebende In-
teressen erwarten. Unsere Antwort auf diese Konfl ikte kann
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aber nicht länger der bewaffnete Konfl ikt sein oder die Be-
schränkung der menschlichen Würde. Wir haben keine Wahl;
es ist die einzige logische Schlussfolgerung. Seit Jahrhunder-
ten haben wir die Alternativen für Konfl iktlösungen als eine
Frage der Ethik behandelt. Heutzutage aber ist es eine Frage
des globalen Überlebens. Ich bin nicht sicher, solange nicht
jeder in meiner Familie sicher ist. Ich bin nicht frei, solange
nicht jeder andere auch frei ist.
Schritt 3: Wir müssen die Auswirkungen extrem ungleicher
Verteilung des Wohlstandes begreifen.
Die ungleiche Verteilung des globalen Wohlstandes hat fast
schon obszöne Dimensionen erreicht. Im Oktober vergange-
nen Jahres berichtete das Forschungsinstitut der Credit Suisse,
dass mehr als 40 Prozent des weltweiten Vermögens von we-
niger als einem Prozent der Weltbevölkerung gehalten wird.
Rund 2,8 Milliarden Menschen – fast die Hälfte aller unserer
Mitmenschen – muss mit weniger als zwei Dollar pro Tag
auskommen. Ein im Januar 2014 veröffentlichter Bericht von
OXFAM International unterstrich diesen Kontrast nochmals
deutlich: Die reichsten 85 Einzelpersonen auf dem Planeten
vereinen den gleichen Reichtum wie die ärmsten 3,5 Milliarden.
Zu oft gehen diese Statistiken zum einen Ohr hinein und zum
anderen wieder heraus; aber sie sind nicht einfach nur Zahlen:
Es gibt ein menschliches Antlitz dahinter, eine Karriere, eine
Reihe von Träumen und Wünschen, die mit jedem Leben ver-
bunden sind, das in diesen sterilen Statistiken aufgeht. Der
Nobelpreis-gekrönte Wirtschaftswissenschaftler Armatya Sen
hat das ganz eloquent festgehalten. Er sagte, dass die Un-
gleichheit die Fähigkeit des Einzelnen beschränkt, sein volles
Potenzial zu entfalten. Es betrifft die Gesundheit, die Ernäh-
rung, die Bildung, den Lebensstil und den Selbstwert und
schließlich auch die Fähigkeit, einen sinnvollen Beitrag für die
Gemeinschaft zu leisten.
Schlussendlich ist es die Chancenungleichheit, die zu persön-
lichen Herausforderungen führt, die dann wiederum auf natio-
naler und globaler Ebene ihre Auswirkungen haben können.
Die jüngsten Wirtschaftskrisen begannen in den reichsten
Nationen, entwickelten ihre schwersten Auswirkungen aber in
den ärmsten Volkswirtschaften. Vor 50 Jahren war Afrika ein
Nettoexporteur von Nahrungsmitteln; heute importiert Afrika
ein Drittel seines Getreides. Heute Nacht werden rund 900
Millionen Menschen hungrig ins Bett gehen – mehr als die Be-
völkerung der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union
zusammengenommen. Ein weiteres Beispiel ist die Abwan-
derung von Fachkräften: Mehr als zwei Drittel der Ärzte, die
an den Universitäten in Ghana und Simbabwe ihr Diplom er-
halten, emigrieren innerhalb von fünf Jahren nach dem Erhalt
ihres Diploms hauptsächlich nach Großbritannien. Zu diesem
Zeitpunkt gibt es mehr äthiopische Ärzte, die in Chicago prak-
tizieren, als in ganz Äthiopien.
Dies sind aber nur kleine Beispiele für diese Auswirkungen.
Sie zeigen aber ganz deutlich, warum wir die Ungleichheit
in der Reichtumsverteilung nicht länger als eine Reihe steriler
volkswirtschaftlicher Zahlen sehen sollten. Die Auswirkungen
der Armut sind real und menschlich. Es braucht keinen Anti-
kapitalismus, um dies zu korrigieren. Wir müssen eine gut
durchdachte Strategie und Zusammenarbeit auf globaler Ebene
erreichen. Aber wir müssen dafür auch der Wahrheit ins Ge-
sicht sehen.
M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N | 15
Schritt 4:Wir müssen erkennen, dass wir
menschlichem Leben unterschiedlichen Wert zusprechen.
Vor 2 Wochen kamen 15 Kinder als Flüchtlinge von der Zen-
tralafrikanischen Republik nach Kamerun. Sie waren so unte-
rernährt, dass sie bei ihrer Ankunft starben. Ich möchte jetzt
die Frage stellen: Welchen Wert können wir dem Leben von 15
afrikanischen Kindern beimessen? Und wie lässt sich das ver-
gleichen mit dem Wert, den wir dem Leben 15 unterernährter,
vor der Brutalität fl üchtender deutscher oder amerikanischer
Kindern in der gleichen Situation beimessen würden? Wie
wäre die Berichterstattung dann?
Millionen menschlicher Leben werden durch bewaffnete Kon-
fl ikte, Hungersnöte und Krankheiten verloren. Die globale
Antwort auf diese Todesrate aber, die emotionale Reaktion,
die Nachrichtenlage und die Möglichkeit oder die Bereitschaft
auch dem Abhilfe zu leisten, hängt davon ab, wer stirbt und
wo diese Tode stattfi nden. Trotz der enorm hohen Opfer-
zahlen in den jüngsten Konfl ikten in Ruanda und Darfur hat
die internationale Gemeinschaft kaum mehr getan als ihre
Bestürzung zu äußern. Warum? Weil die Orte von geringem
strategischen Wert waren. Während des Irakkrieges wussten
wir immer genau, wie viele US- und andere Koalitionssoldaten
starben. Aber es gab nur eine ungefähre Schätzung der Anzahl
irakischer Zivilisten, die ihr Leben verloren. Und um zurück-
zukommen auf diese 15 Kinder aus der Zentralafrikanischen
Republik: Der Reaktionsplan der Vereinten Nationen, um in
dieser Krise zu handeln, hat bis heute nur ein Fünftel der 550
Millionen Dollar erhalten, die gebraucht werden. Auf der an-
deren Seite liegt der globale Haushaltsposten für militärische
Ausgaben jährlich bei 1,7 Billionen Dollar.
Es ist also nicht eine Frage des Geldes. Wir haben das Geld,
um diese Tragödien anzugehen. Das Problem sind auch nicht
unsere gemeinsamen Werte. Das Wesen des Problems ist die
verzerrte Art und Weise, wie wir diese Werte anwenden. Die
Ergebnisse sind bereits in unseren Haushaltsplänen enthalten.
Der Wert, den wir menschlichem Leben beimessen ist ver-
schieden, je nachdem wessen Leben es ist.
Schritt 5:Wir müssen die menschliche
Sicherheit neu defi nieren und weichen Machtfaktoren größere Bedeutung
beimessen.
Ungleichheit und Unsicherheit sind unsere beiden größten
globalen Herausforderungen. Wenn man sie richtig versteht,
dann sind sie zwei Seiten derselben Medaille. Die Armut hängt
häufi g mit fehlender guter Regierungsführung zusammen.
Fehlende gute Regierungsführung hängt wiederum mit vie-
len Problemen zusammen: mit Korruption, der Verweigerung
sozialer Gerechtigkeit und politischer Freiheit, mit fehlender
wirtschaftlicher Chancen und mit dem Scheitern der Rechts-
staatlichkeit. Dieses Versagen führt zu einem Verlust an Hoff-
nung, einem Gefühl der Ungerechtigkeit und Radikalisierung.
Und dies wiederum kann Bürgerkriege befeuern und inter-
staatliche Konfl ikte herbeiführen.
Ironischerweise haben wir die Ineffektivität der militärischen
Macht im Angesicht dieser miteinander verbundenen globa-
len Unsicherheiten miterlebt. Die Vereinigten Staaten, die ein-
zige Supermacht der Welt, hält sich ein Militär, das zu Land,
zu Luft und zu Wasser seinesgleichen sucht. Dennoch hat sich
der US-amerikanisch geführte Krieg in Afghanistan und im Irak
jahrelang hingezogen und trotz der enormen übermächtigen
Streitkraft stellte sich kein Sieg ein.
Wenn wir das Wesen dieser Unsicherheiten, vor denen unsere
Menschheitsfamilie steht, richtig verstehen, dann müssen wir
auch feststellen, dass wir den traditionellen Glauben an die
militärische Macht neu bewerten müssen. Intelligente Bomben
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aber nicht länger der bewaffnete Konfl ikt sein oder die Be-
schränkung der menschlichen Würde. Wir haben keine Wahl;
es ist die einzige logische Schlussfolgerung. Seit Jahrhunder-
ten haben wir die Alternativen für Konfl iktlösungen als eine
Frage der Ethik behandelt. Heutzutage aber ist es eine Frage
des globalen Überlebens. Ich bin nicht sicher, solange nicht
jeder in meiner Familie sicher ist. Ich bin nicht frei, solange
nicht jeder andere auch frei ist.
Schritt 3: Wir müssen die Auswirkungen extrem ungleicher
Verteilung des Wohlstandes begreifen.
Die ungleiche Verteilung des globalen Wohlstandes hat fast
schon obszöne Dimensionen erreicht. Im Oktober vergange-
nen Jahres berichtete das Forschungsinstitut der Credit Suisse,
dass mehr als 40 Prozent des weltweiten Vermögens von we-
niger als einem Prozent der Weltbevölkerung gehalten wird.
Rund 2,8 Milliarden Menschen – fast die Hälfte aller unserer
Mitmenschen – muss mit weniger als zwei Dollar pro Tag
auskommen. Ein im Januar 2014 veröffentlichter Bericht von
OXFAM International unterstrich diesen Kontrast nochmals
deutlich: Die reichsten 85 Einzelpersonen auf dem Planeten
vereinen den gleichen Reichtum wie die ärmsten 3,5 Milliarden.
Zu oft gehen diese Statistiken zum einen Ohr hinein und zum
anderen wieder heraus; aber sie sind nicht einfach nur Zahlen:
Es gibt ein menschliches Antlitz dahinter, eine Karriere, eine
Reihe von Träumen und Wünschen, die mit jedem Leben ver-
bunden sind, das in diesen sterilen Statistiken aufgeht. Der
Nobelpreis-gekrönte Wirtschaftswissenschaftler Armatya Sen
hat das ganz eloquent festgehalten. Er sagte, dass die Un-
gleichheit die Fähigkeit des Einzelnen beschränkt, sein volles
Potenzial zu entfalten. Es betrifft die Gesundheit, die Ernäh-
rung, die Bildung, den Lebensstil und den Selbstwert und
schließlich auch die Fähigkeit, einen sinnvollen Beitrag für die
Gemeinschaft zu leisten.
Schlussendlich ist es die Chancenungleichheit, die zu persön-
lichen Herausforderungen führt, die dann wiederum auf natio-
naler und globaler Ebene ihre Auswirkungen haben können.
Die jüngsten Wirtschaftskrisen begannen in den reichsten
Nationen, entwickelten ihre schwersten Auswirkungen aber in
den ärmsten Volkswirtschaften. Vor 50 Jahren war Afrika ein
Nettoexporteur von Nahrungsmitteln; heute importiert Afrika
ein Drittel seines Getreides. Heute Nacht werden rund 900
Millionen Menschen hungrig ins Bett gehen – mehr als die Be-
völkerung der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union
zusammengenommen. Ein weiteres Beispiel ist die Abwan-
derung von Fachkräften: Mehr als zwei Drittel der Ärzte, die
an den Universitäten in Ghana und Simbabwe ihr Diplom er-
halten, emigrieren innerhalb von fünf Jahren nach dem Erhalt
ihres Diploms hauptsächlich nach Großbritannien. Zu diesem
Zeitpunkt gibt es mehr äthiopische Ärzte, die in Chicago prak-
tizieren, als in ganz Äthiopien.
Dies sind aber nur kleine Beispiele für diese Auswirkungen.
Sie zeigen aber ganz deutlich, warum wir die Ungleichheit
in der Reichtumsverteilung nicht länger als eine Reihe steriler
volkswirtschaftlicher Zahlen sehen sollten. Die Auswirkungen
der Armut sind real und menschlich. Es braucht keinen Anti-
kapitalismus, um dies zu korrigieren. Wir müssen eine gut
durchdachte Strategie und Zusammenarbeit auf globaler Ebene
erreichen. Aber wir müssen dafür auch der Wahrheit ins Ge-
sicht sehen.
M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N | 15
Schritt 4:Wir müssen erkennen, dass wir
menschlichem Leben unterschiedlichen Wert zusprechen.
Vor 2 Wochen kamen 15 Kinder als Flüchtlinge von der Zen-
tralafrikanischen Republik nach Kamerun. Sie waren so unte-
rernährt, dass sie bei ihrer Ankunft starben. Ich möchte jetzt
die Frage stellen: Welchen Wert können wir dem Leben von 15
afrikanischen Kindern beimessen? Und wie lässt sich das ver-
gleichen mit dem Wert, den wir dem Leben 15 unterernährter,
vor der Brutalität fl üchtender deutscher oder amerikanischer
Kindern in der gleichen Situation beimessen würden? Wie
wäre die Berichterstattung dann?
Millionen menschlicher Leben werden durch bewaffnete Kon-
fl ikte, Hungersnöte und Krankheiten verloren. Die globale
Antwort auf diese Todesrate aber, die emotionale Reaktion,
die Nachrichtenlage und die Möglichkeit oder die Bereitschaft
auch dem Abhilfe zu leisten, hängt davon ab, wer stirbt und
wo diese Tode stattfi nden. Trotz der enorm hohen Opfer-
zahlen in den jüngsten Konfl ikten in Ruanda und Darfur hat
die internationale Gemeinschaft kaum mehr getan als ihre
Bestürzung zu äußern. Warum? Weil die Orte von geringem
strategischen Wert waren. Während des Irakkrieges wussten
wir immer genau, wie viele US- und andere Koalitionssoldaten
starben. Aber es gab nur eine ungefähre Schätzung der Anzahl
irakischer Zivilisten, die ihr Leben verloren. Und um zurück-
zukommen auf diese 15 Kinder aus der Zentralafrikanischen
Republik: Der Reaktionsplan der Vereinten Nationen, um in
dieser Krise zu handeln, hat bis heute nur ein Fünftel der 550
Millionen Dollar erhalten, die gebraucht werden. Auf der an-
deren Seite liegt der globale Haushaltsposten für militärische
Ausgaben jährlich bei 1,7 Billionen Dollar.
Es ist also nicht eine Frage des Geldes. Wir haben das Geld,
um diese Tragödien anzugehen. Das Problem sind auch nicht
unsere gemeinsamen Werte. Das Wesen des Problems ist die
verzerrte Art und Weise, wie wir diese Werte anwenden. Die
Ergebnisse sind bereits in unseren Haushaltsplänen enthalten.
Der Wert, den wir menschlichem Leben beimessen ist ver-
schieden, je nachdem wessen Leben es ist.
Schritt 5:Wir müssen die menschliche
Sicherheit neu defi nieren und weichen Machtfaktoren größere Bedeutung
beimessen.
Ungleichheit und Unsicherheit sind unsere beiden größten
globalen Herausforderungen. Wenn man sie richtig versteht,
dann sind sie zwei Seiten derselben Medaille. Die Armut hängt
häufi g mit fehlender guter Regierungsführung zusammen.
Fehlende gute Regierungsführung hängt wiederum mit vie-
len Problemen zusammen: mit Korruption, der Verweigerung
sozialer Gerechtigkeit und politischer Freiheit, mit fehlender
wirtschaftlicher Chancen und mit dem Scheitern der Rechts-
staatlichkeit. Dieses Versagen führt zu einem Verlust an Hoff-
nung, einem Gefühl der Ungerechtigkeit und Radikalisierung.
Und dies wiederum kann Bürgerkriege befeuern und inter-
staatliche Konfl ikte herbeiführen.
Ironischerweise haben wir die Ineffektivität der militärischen
Macht im Angesicht dieser miteinander verbundenen globa-
len Unsicherheiten miterlebt. Die Vereinigten Staaten, die ein-
zige Supermacht der Welt, hält sich ein Militär, das zu Land,
zu Luft und zu Wasser seinesgleichen sucht. Dennoch hat sich
der US-amerikanisch geführte Krieg in Afghanistan und im Irak
jahrelang hingezogen und trotz der enormen übermächtigen
Streitkraft stellte sich kein Sieg ein.
Wenn wir das Wesen dieser Unsicherheiten, vor denen unsere
Menschheitsfamilie steht, richtig verstehen, dann müssen wir
auch feststellen, dass wir den traditionellen Glauben an die
militärische Macht neu bewerten müssen. Intelligente Bomben
16 | M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N | 17
können die Hungrigen nicht speisen. Panzer und Raketen kön-
nen keine Krankheiten bekämpfen und die ungleiche Vertei-
lung von Wohlstand bekämpfen.
Viele von uns treten jetzt dafür ein, eher weiche Machtfaktoren
zu vertreten – diese nichtmilitärischen Eigenschaften, die dazu
führen, dass ein Land ein bedeutender Akteur auf der globa-
len Bühne ist. Der amerikanische Politikwissenschaftler Joseph
Nye hat gesagt: Ein Land hat mehr weiche Machtfaktoren,
wenn seine Kultur, seine Werte und seine Institutionen zu Be-
wunderung und Respekt in anderen Teilen der Welt anregen.
Viele der etablierten Demokratien wie bspw. Deutschland ha-
ben eine ganze Bandbreite dieser Eigenschaften exportbereit,
zum Beispiel die Redefreiheit, eine ökonomische und soziale
Dynamik, die Rechtsstaatlichkeit, fortschrittliche Wissenschaft
und Technologien. Um diese Eigenschaften beneiden sie die
unterdrückten und verarmten Gesellschaften auf der ganzen
Welt. Wenn die wohlhabenden Länder nur halb so viel Kreati-
vität und Ressourcen in diese weichen Machtfaktoren stecken
würden und diese Instrumente von Frieden und Fortschritt so
verbreiteten, wie sie Geld für Kriegsgerät ausgeben, wäre un-
sere Welt sehr viel sicherer. Die Rendite wäre sofort einfahrbar.
Verbunden mit diesen kulturellen Werten sollten wir willens
sein in einen Dialog einzutreten. Der Widerwillen vieler poli-
tischer Führer mit anderen zu sprechen, solange nicht Bedin-
gungen erfüllt werden, macht mir Sorgen. Dialog und Diplo-
matie sind die bedeutendsten Instrumente, um Konfl ikte lösen
zu können und Unterschiede zu überwinden. Das ist etwas,
was wir gerade jetzt bedenken sollten.
Schritt 6:Wir müssen unsere unzureichend funktionierenden internationalen
Institutionen und Regierungs mechanismenreformieren.
Auf dem New Yorker Weltgipfel von 2005 waren die Vereinten
Nationen Gastgeber für die größte Anzahl von Staats- und Re-
gierungschefs, die je zusammengekommen sind. Ganz oben
auf der Agenda stand die neu artikulierte Norm der Schutzver-
antwortung. Diese Norm besagt, dass die Souveränität eines
Staates nicht nur das Recht, sondern auch die Verantwortung
beinhaltet, seine Bevölkerung gegen schwerwiegende Men-
schenrechtsverletzungen, Völkermord, Verbrechen gegen die
Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und ethnische Säuberung
zu schützen. In der Norm heißt es auch, dass die internationale
Gemeinschaft die Verantwortung trägt, angemessene huma-
nitäre und andere friedliche Mittel zu ergreifen, wenn ein Staat
nicht in der Lage ist, seine Bevölkerung vor diesen Gräuel taten
zu schützen. Sollten diese nicht ausreichen, kann sie stärkere
Maßnahmen bis hin zur kollektiven Gewaltanwendung ergrei-
fen, wenn sie vom UN-Sicherheitsrat autorisiert wird.
Aber Normen sind nur so sinnvoll wie die Institutionen, die sie
in eigentliches Handeln überführen. Mehrfach haben wir in
den vergangenen Jahren Vorfälle gesehen, bei denen man sich
auf die Schutzverantwortung berufen hat: in Darfur, Kenia,
Libyen, der Elfenbeinküste, im Jemen, in Mali, in Sudan und
Südsudan und in der Zentralafrikanischen Republik. Die Inter-
vention der internationalen Gemeinschaft kam jedoch häufi g
sehr spät. Sie kann aber nur dann effektiv sein, wenn sie früh
eingesetzt wird und friedliche Lösungen noch möglich sind.
In den meisten Fällen wartet der Sicherheitsrat jedoch mit sei-
ner Intervention, bis Gewalt angewendet werden muss und
meist die einzige Option ist. Schlimmer ist, dass internatio-
nale Interventionen in den vergangenen Jahrzehnten häufi g
auch grob inkonsistent waren: fehlendes Handeln in Orten
16 | M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N | 17
können die Hungrigen nicht speisen. Panzer und Raketen kön-
nen keine Krankheiten bekämpfen und die ungleiche Vertei-
lung von Wohlstand bekämpfen.
Viele von uns treten jetzt dafür ein, eher weiche Machtfaktoren
zu vertreten – diese nichtmilitärischen Eigenschaften, die dazu
führen, dass ein Land ein bedeutender Akteur auf der globa-
len Bühne ist. Der amerikanische Politikwissenschaftler Joseph
Nye hat gesagt: Ein Land hat mehr weiche Machtfaktoren,
wenn seine Kultur, seine Werte und seine Institutionen zu Be-
wunderung und Respekt in anderen Teilen der Welt anregen.
Viele der etablierten Demokratien wie bspw. Deutschland ha-
ben eine ganze Bandbreite dieser Eigenschaften exportbereit,
zum Beispiel die Redefreiheit, eine ökonomische und soziale
Dynamik, die Rechtsstaatlichkeit, fortschrittliche Wissenschaft
und Technologien. Um diese Eigenschaften beneiden sie die
unterdrückten und verarmten Gesellschaften auf der ganzen
Welt. Wenn die wohlhabenden Länder nur halb so viel Kreati-
vität und Ressourcen in diese weichen Machtfaktoren stecken
würden und diese Instrumente von Frieden und Fortschritt so
verbreiteten, wie sie Geld für Kriegsgerät ausgeben, wäre un-
sere Welt sehr viel sicherer. Die Rendite wäre sofort einfahrbar.
Verbunden mit diesen kulturellen Werten sollten wir willens
sein in einen Dialog einzutreten. Der Widerwillen vieler poli-
tischer Führer mit anderen zu sprechen, solange nicht Bedin-
gungen erfüllt werden, macht mir Sorgen. Dialog und Diplo-
matie sind die bedeutendsten Instrumente, um Konfl ikte lösen
zu können und Unterschiede zu überwinden. Das ist etwas,
was wir gerade jetzt bedenken sollten.
Schritt 6:Wir müssen unsere unzureichend funktionierenden internationalen
Institutionen und Regierungs mechanismenreformieren.
Auf dem New Yorker Weltgipfel von 2005 waren die Vereinten
Nationen Gastgeber für die größte Anzahl von Staats- und Re-
gierungschefs, die je zusammengekommen sind. Ganz oben
auf der Agenda stand die neu artikulierte Norm der Schutzver-
antwortung. Diese Norm besagt, dass die Souveränität eines
Staates nicht nur das Recht, sondern auch die Verantwortung
beinhaltet, seine Bevölkerung gegen schwerwiegende Men-
schenrechtsverletzungen, Völkermord, Verbrechen gegen die
Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und ethnische Säuberung
zu schützen. In der Norm heißt es auch, dass die internationale
Gemeinschaft die Verantwortung trägt, angemessene huma-
nitäre und andere friedliche Mittel zu ergreifen, wenn ein Staat
nicht in der Lage ist, seine Bevölkerung vor diesen Gräuel taten
zu schützen. Sollten diese nicht ausreichen, kann sie stärkere
Maßnahmen bis hin zur kollektiven Gewaltanwendung ergrei-
fen, wenn sie vom UN-Sicherheitsrat autorisiert wird.
Aber Normen sind nur so sinnvoll wie die Institutionen, die sie
in eigentliches Handeln überführen. Mehrfach haben wir in
den vergangenen Jahren Vorfälle gesehen, bei denen man sich
auf die Schutzverantwortung berufen hat: in Darfur, Kenia,
Libyen, der Elfenbeinküste, im Jemen, in Mali, in Sudan und
Südsudan und in der Zentralafrikanischen Republik. Die Inter-
vention der internationalen Gemeinschaft kam jedoch häufi g
sehr spät. Sie kann aber nur dann effektiv sein, wenn sie früh
eingesetzt wird und friedliche Lösungen noch möglich sind.
In den meisten Fällen wartet der Sicherheitsrat jedoch mit sei-
ner Intervention, bis Gewalt angewendet werden muss und
meist die einzige Option ist. Schlimmer ist, dass internatio-
nale Interventionen in den vergangenen Jahrzehnten häufi g
auch grob inkonsistent waren: fehlendes Handeln in Orten
18 | M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N
wie Ruanda oder Syrien auf der einen Seite, wo massenhaft
Zivilisten abgeschlachtet wurden und energisches Handeln im
Irak und in Serbien auf der anderen ohne ein Sicherheitsrats-
mandat bzw. ein Sicherheitsratsmandat wie zum Beispiel in
Libyen, das durch die NATO ausgeführt wurde. Um effektiv
zu sein, muss die Schutzverantwortung eine präzise Defi nition
und klare Modalitäten haben und darf nicht den Launen der
P5, der Ständigen Sicherheitsratsmitglieder mit Veto-Recht,
unterliegen. Sehr oft aber setzt der UN-Sicherheitsrat nur eine
Parodie seiner eigentlichen Funktion um und bietet nichts wei-
ter als Händeringen, Rhetorik und politischen Streit.
Dabei müssen doch stets die gleichen Standards der Rechen-
schaftspfl icht angewendet werden. Zwar hat der Sicherheits-
rat erfolgreich mehrere Fälle wie zum Beispiel die im Sudan
und in Libyen vor den Internationalen Strafgerichtshof verwie-
sen; er schwieg jedoch vollständig zu den Gräueltaten, die im
Irak und Afghanistan begangen wurden. Das ist eine selektive
Justiz: Wenn der Täter Freunde auf den oberen Ebenen hat,
und damit meine ich die P5, dann werden diese Standards
nicht angewandt. Gegenwärtig untersucht der Internationale
Strafgerichtshof acht Fälle – alle in Afrika.
Diese widersprüchlichen Standards werden auch klar ersicht-
lich, wenn man sieht, wie viel Ressourcen für eine UN-Akti-
on zur Verfügung gestellt werden. Unter der UN-Charta von
1945 haben sich die Mitgliedsstaaten verpfl ichtet ihre Streit-
kräfte unter einem Sonderabkommen mit dem Sicherheitsrat
zur Verfügung zu stellen. Dennoch hat bis heute kein einziges
Land in den vergangenen 70 Jahren je ein solches Abkommen
geschlossen. In einigen Fällen wie zum Beispiel in Afghanistan
wird die Operation durch die NATO gut ausgerüstet – sowohl
hinsichtlich der Streitkräfte als auch der Geräte – weil eine
Großmacht einen strategischen Wert wahrnimmt. In anderen
Fällen wie zum Beispiel in Darfur sind die Vereinten Nationen
gezwungen sich auf afrikanische Streitkräfte zu verlassen, die
schlecht mit Ausrüstung und Personal ausgestattet sind.
Wenn wir diese weichen Machtfaktoren und die Verwendung
von Dialog und Diplomatie zur Konfl iktlösung betrachten, ist
klar, dass solche Instrumente dann am effektivsten sind, wenn
sie kollektiv eingesetzt werden – wenn die Länder durch die in-
ternationalen Institutionen wie zum Beispiel die Vereinten Na-
tionen und ihre Unterorganisationen zusammenarbeiten. Aber
auch diese Behörden können nur effektiv sein, wenn die Mit-
gliedsstaaten bereit sind, sie mit den notwendigen Ressour-
cen und den notwendigen Befugnissen auszustatten. An der
humanitären Front betteln die Vereinten Nationen gegenwär-
tig um 12,9 Milliarden Dollar, um humanitäre Katastrophen
in 52 Ländern bekämpfen zu können: 17 Millionen Menschen
sind davon betroffen. Aber sie haben Schwierigkeiten, diese
Finanzmittel zu bekommen. Dabei entsprechen diese Finanz-
mittel der Hälfte eines Prozents dessen, was die Länder gleich-
zeitig für Rüstung ausgeben.
Ich glaube, dass es jetzt an der Zeit ist, diese unzureichend
funktionierenden Institutionen zu reformieren. Wir können
nicht immer wieder dasselbe tun und andere Ergebnisse er-
warten. Der Sicherheitsrat muss über die Struktur, über die
Befugnisse und Ressourcen verfügen, die nötig sind, um der
Bedrohung internationalen Friedens und Sicherheit nur auf
der Grundlage von menschlicher Solidarität zu entsprechen,
ungeachtet der geopolitischen Interessen eines individuel-
len Mitgliedsstaates. Die humanitären Institutionen der Ver-
einten Nationen müssen sowohl die Befugnisse als auch die
Ressourcen bekommen, um die Menschenwürde eines jeden
Einzelnen sicherzustellen, indem die grundlegenden Bedürf-
nisse erfüllt werden können – nahrhafte Lebensmittel, Hygie-
ne, sauberes Wasser, Gesundheitsversorgung und Bildung –,
wenn die Staaten dies selbst nicht schaffen.
Als Mitglieder der Menschheitsfamilie dürfen wir geringere
Standards nicht akzeptieren.
M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N | 19
Schritt 7:Wir müssen die Technologie in den
Dienst von Entwicklung stellen.
Zu Beginn meiner Rede habe ich eine Reihe von Fortschritten
in Wissenschaft und Technik angesprochen. Wir leben in ei-
ner Zeit des nie dagewesenen Fortschritts – in der Medizin, in
der Informationstechnologie, der Biotechnologie, der Nano-
technologie und vielen anderen Bereichen. Dennoch scheinen
wir nicht in der Lage zu sein, diese Fortschritte so zu nutzen,
dass unsere Welt menschlicher und friedlicher wird. Die In-
novationen, der Erfi ndergeist und das Unternehmertum sind
Schlüsselworte, die ganz oben auf der Agenda eines jeden
Landes in der industrialisierten Welt stehen. Aber relativ wenig
Forschungsgelder oder Risikokapital konzentrieren sich dar-
auf, die Herausforderungen der Entwicklungsländer zu lösen.
Damit meine ich zum Beispiel Energieerzeugung mittels Mi-
kronetzen oder Kleinstanlagen zur Wasseraufbereitung oder
günstige medizinische Lösungen für Infektionskrankheiten.
Regelmäßig sehen wir Beispiele für fortschrittliche Techniken,
die missbraucht werden, um unsere Grundwerte einzuschrän-
ken – wie zum Beispiel die Hightech-Abhörmethoden, die un-
ser Recht auf Privatsphäre missachten.
Betrachten Sie einmal den Medizinbereich: Erfolgreiche an-
tiretrovirale Behandlungsmöglichkeiten sind für HIV-AIDS
entwickelt worden. Aber sie sind größtenteils für die Armen
nicht zugänglich und taugen daher kaum als Lösung für den
tragischen Tribut, den ganz Afrika an AIDS nach wie vor zollt.
Der Direktor von UN AIDS hat Anfang letzten Jahres dem
Menschenrechtsrat gesagt: »Es ist unerhört, dass, obwohl wir
all die Instrumente haben, um diese Epidemie bekämpfen zu
können, über 1,7 Millionen Menschen dieses Jahr, 2013, ster-
ben werden, weil sie keinen Zugang zu diesen Behandlungs-
methoden bekommen.« In den Ländern mit niedrigem und
mittlerem Einkommen werden von 29 Millionen möglichen
Patienten nur 9 Millionen diese Behandlung erhalten.
Noch einmal komme ich zurück auf diese Ungleichheit zwi-
schen unseren vorwärts gerichteten Werten, die sich die ge-
samte Menschheitsfamilie teilt und unserem sehr engstirnigen
Verhalten als Einzelpersonen, Unternehmen und Regierungen.
Wir wollen nicht, dass unsere Mitbürger Hunger leiden oder
im Elend leben. Es liegt vielmehr daran, dass wir so gefangen
sind in den Prioritäten des Moments, dass wir das große Bild
nicht sehen.
Schritt 8:Wir müssen Atomwaffen abschaffen.
Wenn wir technische Innovationen breiter anwenden beim
Versuch, die Herausforderungen der Entwicklung anzugehen,
hätten wir eine sehr schnelle und offensichtliche Rendite. Das
zeigt, wie hoch die Verschwendung und die Nutzlosigkeit der
Investition in immer größere und stärkere Waffen und die Auf-
rechterhaltung von Waffenarsenalen ist.
Die Beseitigung von Atomwaffen ist kein Modethema. Eines
sollte durch die Ausbreitung von fortschrittlichen Technologi-
en und Wissenschaften aber ganz klar sein: Solange sich Län-
der auf diese Waffen verlassen, werden auch andere versuchen
in ihren Besitz zu kommen. Aber – und das möchte ich noch
einmal hervorheben – menschliche Sicherheit ist kein Null-
summenspiel.
Es ist zwingend, dass kein weiteres Land mehr versucht diese
tödlichen Waffen zu erwerben. Gleichzeitig ist es aber auch
wichtig, dass die Atomwaffenstaaten die atomaren Abrüs-
tungsanstrengungen beschleunigen. Dazu brauchen wir na-
tionale Sicherheitspolitiken, die die strategische Rolle redu-
zieren, die diesen Waffen zugeschrieben wird. Atomwaffen
sollten in unserer Doktrin der kollektiven Sicherheit keine Rolle
spielen. Es ist doch Wahnsinn, dass wir fast ein viertel Jahr-
hundert nach dem Ende des Kalten Krieges noch immer über
18 | M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N
wie Ruanda oder Syrien auf der einen Seite, wo massenhaft
Zivilisten abgeschlachtet wurden und energisches Handeln im
Irak und in Serbien auf der anderen ohne ein Sicherheitsrats-
mandat bzw. ein Sicherheitsratsmandat wie zum Beispiel in
Libyen, das durch die NATO ausgeführt wurde. Um effektiv
zu sein, muss die Schutzverantwortung eine präzise Defi nition
und klare Modalitäten haben und darf nicht den Launen der
P5, der Ständigen Sicherheitsratsmitglieder mit Veto-Recht,
unterliegen. Sehr oft aber setzt der UN-Sicherheitsrat nur eine
Parodie seiner eigentlichen Funktion um und bietet nichts wei-
ter als Händeringen, Rhetorik und politischen Streit.
Dabei müssen doch stets die gleichen Standards der Rechen-
schaftspfl icht angewendet werden. Zwar hat der Sicherheits-
rat erfolgreich mehrere Fälle wie zum Beispiel die im Sudan
und in Libyen vor den Internationalen Strafgerichtshof verwie-
sen; er schwieg jedoch vollständig zu den Gräueltaten, die im
Irak und Afghanistan begangen wurden. Das ist eine selektive
Justiz: Wenn der Täter Freunde auf den oberen Ebenen hat,
und damit meine ich die P5, dann werden diese Standards
nicht angewandt. Gegenwärtig untersucht der Internationale
Strafgerichtshof acht Fälle – alle in Afrika.
Diese widersprüchlichen Standards werden auch klar ersicht-
lich, wenn man sieht, wie viel Ressourcen für eine UN-Akti-
on zur Verfügung gestellt werden. Unter der UN-Charta von
1945 haben sich die Mitgliedsstaaten verpfl ichtet ihre Streit-
kräfte unter einem Sonderabkommen mit dem Sicherheitsrat
zur Verfügung zu stellen. Dennoch hat bis heute kein einziges
Land in den vergangenen 70 Jahren je ein solches Abkommen
geschlossen. In einigen Fällen wie zum Beispiel in Afghanistan
wird die Operation durch die NATO gut ausgerüstet – sowohl
hinsichtlich der Streitkräfte als auch der Geräte – weil eine
Großmacht einen strategischen Wert wahrnimmt. In anderen
Fällen wie zum Beispiel in Darfur sind die Vereinten Nationen
gezwungen sich auf afrikanische Streitkräfte zu verlassen, die
schlecht mit Ausrüstung und Personal ausgestattet sind.
Wenn wir diese weichen Machtfaktoren und die Verwendung
von Dialog und Diplomatie zur Konfl iktlösung betrachten, ist
klar, dass solche Instrumente dann am effektivsten sind, wenn
sie kollektiv eingesetzt werden – wenn die Länder durch die in-
ternationalen Institutionen wie zum Beispiel die Vereinten Na-
tionen und ihre Unterorganisationen zusammenarbeiten. Aber
auch diese Behörden können nur effektiv sein, wenn die Mit-
gliedsstaaten bereit sind, sie mit den notwendigen Ressour-
cen und den notwendigen Befugnissen auszustatten. An der
humanitären Front betteln die Vereinten Nationen gegenwär-
tig um 12,9 Milliarden Dollar, um humanitäre Katastrophen
in 52 Ländern bekämpfen zu können: 17 Millionen Menschen
sind davon betroffen. Aber sie haben Schwierigkeiten, diese
Finanzmittel zu bekommen. Dabei entsprechen diese Finanz-
mittel der Hälfte eines Prozents dessen, was die Länder gleich-
zeitig für Rüstung ausgeben.
Ich glaube, dass es jetzt an der Zeit ist, diese unzureichend
funktionierenden Institutionen zu reformieren. Wir können
nicht immer wieder dasselbe tun und andere Ergebnisse er-
warten. Der Sicherheitsrat muss über die Struktur, über die
Befugnisse und Ressourcen verfügen, die nötig sind, um der
Bedrohung internationalen Friedens und Sicherheit nur auf
der Grundlage von menschlicher Solidarität zu entsprechen,
ungeachtet der geopolitischen Interessen eines individuel-
len Mitgliedsstaates. Die humanitären Institutionen der Ver-
einten Nationen müssen sowohl die Befugnisse als auch die
Ressourcen bekommen, um die Menschenwürde eines jeden
Einzelnen sicherzustellen, indem die grundlegenden Bedürf-
nisse erfüllt werden können – nahrhafte Lebensmittel, Hygie-
ne, sauberes Wasser, Gesundheitsversorgung und Bildung –,
wenn die Staaten dies selbst nicht schaffen.
Als Mitglieder der Menschheitsfamilie dürfen wir geringere
Standards nicht akzeptieren.
M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N | 19
Schritt 7:Wir müssen die Technologie in den
Dienst von Entwicklung stellen.
Zu Beginn meiner Rede habe ich eine Reihe von Fortschritten
in Wissenschaft und Technik angesprochen. Wir leben in ei-
ner Zeit des nie dagewesenen Fortschritts – in der Medizin, in
der Informationstechnologie, der Biotechnologie, der Nano-
technologie und vielen anderen Bereichen. Dennoch scheinen
wir nicht in der Lage zu sein, diese Fortschritte so zu nutzen,
dass unsere Welt menschlicher und friedlicher wird. Die In-
novationen, der Erfi ndergeist und das Unternehmertum sind
Schlüsselworte, die ganz oben auf der Agenda eines jeden
Landes in der industrialisierten Welt stehen. Aber relativ wenig
Forschungsgelder oder Risikokapital konzentrieren sich dar-
auf, die Herausforderungen der Entwicklungsländer zu lösen.
Damit meine ich zum Beispiel Energieerzeugung mittels Mi-
kronetzen oder Kleinstanlagen zur Wasseraufbereitung oder
günstige medizinische Lösungen für Infektionskrankheiten.
Regelmäßig sehen wir Beispiele für fortschrittliche Techniken,
die missbraucht werden, um unsere Grundwerte einzuschrän-
ken – wie zum Beispiel die Hightech-Abhörmethoden, die un-
ser Recht auf Privatsphäre missachten.
Betrachten Sie einmal den Medizinbereich: Erfolgreiche an-
tiretrovirale Behandlungsmöglichkeiten sind für HIV-AIDS
entwickelt worden. Aber sie sind größtenteils für die Armen
nicht zugänglich und taugen daher kaum als Lösung für den
tragischen Tribut, den ganz Afrika an AIDS nach wie vor zollt.
Der Direktor von UN AIDS hat Anfang letzten Jahres dem
Menschenrechtsrat gesagt: »Es ist unerhört, dass, obwohl wir
all die Instrumente haben, um diese Epidemie bekämpfen zu
können, über 1,7 Millionen Menschen dieses Jahr, 2013, ster-
ben werden, weil sie keinen Zugang zu diesen Behandlungs-
methoden bekommen.« In den Ländern mit niedrigem und
mittlerem Einkommen werden von 29 Millionen möglichen
Patienten nur 9 Millionen diese Behandlung erhalten.
Noch einmal komme ich zurück auf diese Ungleichheit zwi-
schen unseren vorwärts gerichteten Werten, die sich die ge-
samte Menschheitsfamilie teilt und unserem sehr engstirnigen
Verhalten als Einzelpersonen, Unternehmen und Regierungen.
Wir wollen nicht, dass unsere Mitbürger Hunger leiden oder
im Elend leben. Es liegt vielmehr daran, dass wir so gefangen
sind in den Prioritäten des Moments, dass wir das große Bild
nicht sehen.
Schritt 8:Wir müssen Atomwaffen abschaffen.
Wenn wir technische Innovationen breiter anwenden beim
Versuch, die Herausforderungen der Entwicklung anzugehen,
hätten wir eine sehr schnelle und offensichtliche Rendite. Das
zeigt, wie hoch die Verschwendung und die Nutzlosigkeit der
Investition in immer größere und stärkere Waffen und die Auf-
rechterhaltung von Waffenarsenalen ist.
Die Beseitigung von Atomwaffen ist kein Modethema. Eines
sollte durch die Ausbreitung von fortschrittlichen Technologi-
en und Wissenschaften aber ganz klar sein: Solange sich Län-
der auf diese Waffen verlassen, werden auch andere versuchen
in ihren Besitz zu kommen. Aber – und das möchte ich noch
einmal hervorheben – menschliche Sicherheit ist kein Null-
summenspiel.
Es ist zwingend, dass kein weiteres Land mehr versucht diese
tödlichen Waffen zu erwerben. Gleichzeitig ist es aber auch
wichtig, dass die Atomwaffenstaaten die atomaren Abrüs-
tungsanstrengungen beschleunigen. Dazu brauchen wir na-
tionale Sicherheitspolitiken, die die strategische Rolle redu-
zieren, die diesen Waffen zugeschrieben wird. Atomwaffen
sollten in unserer Doktrin der kollektiven Sicherheit keine Rolle
spielen. Es ist doch Wahnsinn, dass wir fast ein viertel Jahr-
hundert nach dem Ende des Kalten Krieges noch immer über
20 | M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N | 21
17.000 Atomwaffen haben: über 4.000, die einsatzbereit sind
und 2.000 im Status höchster Alarmbereitschaft – also in we-
niger als einer halben Stunde einsatzfähig.
Wie passt nun der Iran in diese Gleichung? Das Atompro-
gramm des Iran war in den vergangenen zehn Jahren ein im-
mer wieder besprochenes Thema. Die nuklearen Waffen im
Nahen Osten und andernorts sind lange als Garanten von
Macht, Prestige und Sicherheit gegen einen Angriff gesehen
worden.
Die iranische Entschlossenheit, die Atomtechnik zu beherr-
schen, ist meiner Meinung nach der Wunsch, als wichtige Re-
gionalmacht anerkannt zu werden. Wie wir jedoch in jüngster
Vergangenheit gesehen haben, kann das Thema mit dem Iran
gelöst werden. Nicht durch Bedrohung und Einschüchterung,
nicht durch Schuldzuweisungen und Beleidigungen, sondern
durch Dialog und Verhandlung. Der jüngste Dialog mit direk-
ter Interaktion zwischen dem Iran und den Vereinigten Staaten
ist ein willkommener Schritt in die richtige Richtung. Die Miss-
stände und das Misstrauen zwischen diesen beiden Ländern
haben sich in den vergangenen 50 Jahren akkumuliert. Mit
Fortschritten in diesem Bereich werden sich mehr Chancen
entwickeln und wir werden versuchen müssen Unterschiede in
vielen anderen Bereichen weiter zu versöhnen.
Schritt 9:Wir müssen die Wirtschaft in den Dienst
der gesamten Menschheit stellen.
Jahrhundertelang haben die Menschen es verstanden, Krieg
profi tabel zu machen und die Armen und die weniger Mäch-
tigen für Profi t auszunutzen. Dieses Modell kann nicht länger
aufrechterhalten werden. Es ist Zeit für einen neuen Ansatz
der globalen Wirtschaft, der darauf abzielt, Wohlstand durch
Frieden zu erreichen.
Der erste praktische Bereich für einen strategischen Wandel
erfordert eine Neuausrichtung der Forschungs- und Entwick-
lungshaushalte der Regierungen. Innovation folgt Investitio-
nen. Wenn wohlhabende Regierungen weiterhin zehn Mal so
viel Geld für Aufrüstung und Verteidigung wie für humanitäre
Hilfe ausgeben, wird dies natürlich auch Auswirkungen darauf
haben, wo Investoren, Unternehmen und Forschungsuniver-
sitäten ihr Geld investieren. Wenn aber die gleichen Regie-
rungen Forschung und Entwicklung fördern würden, um die
größten Herausforderungen der Entwicklungsländer zu lösen,
wäre das Ergebnis die Entwicklung neuer Technologien, die
Erschließung neuer Industrien und neuer Märkte und schluss-
endlich auch eine Revolution in der Bewältigung der Kosten
humanitärer Hilfe.
Ein zweiter Bereich für wirtschaftliche Innovationen liegt dar-
in, wie wir das brachliegende Potenzial der Menschen in den
Entwicklungsländern ausnutzen können. Wir haben hier hoch
motivierte Bevölkerungen, viele mit einem hohen Prozentsatz
junger Menschen – in Ägypten sind 50 Prozent der Bevölke-
rung jünger als 25. Fernsehen und Internet haben diesen jun-
gen Menschen mehr als je zuvor die Möglichkeit gegeben in
die Welt zu blicken. Sie möchten Chancen nutzen, von denen
sie wissen, dass sie andernorts existieren. Intelligente unter-
nehmerische Investitionen in Hightech-Fähigkeiten, in eine
IKT-Infrastruktur (IKT: Informations- und Kommunikations-
technologien), in Anschubfi nanzierungen und Unterstüt-
zungen für Unternehmer können zu einem sehr hohen Profi t
und zu guten Renditemöglichkeiten führen.
Ein dritter Bereich für wirtschaftliche Innovationen ist, den neu
entstandenen Demokratien dabei zu helfen, die Institutionen
und Mechanismen für gute Regierungsführung zu schaffen.
Das ist eine sehr viel intelligentere strategische Investition als
der Verkauf von Waffen oder die Bereitstellung von Militärhilfe
für diese Länder. Durch den Beginn eines Prozesses der sozia-
len und ökonomischen Entwicklung – durch den Export der
20 | M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N | 21
17.000 Atomwaffen haben: über 4.000, die einsatzbereit sind
und 2.000 im Status höchster Alarmbereitschaft – also in we-
niger als einer halben Stunde einsatzfähig.
Wie passt nun der Iran in diese Gleichung? Das Atompro-
gramm des Iran war in den vergangenen zehn Jahren ein im-
mer wieder besprochenes Thema. Die nuklearen Waffen im
Nahen Osten und andernorts sind lange als Garanten von
Macht, Prestige und Sicherheit gegen einen Angriff gesehen
worden.
Die iranische Entschlossenheit, die Atomtechnik zu beherr-
schen, ist meiner Meinung nach der Wunsch, als wichtige Re-
gionalmacht anerkannt zu werden. Wie wir jedoch in jüngster
Vergangenheit gesehen haben, kann das Thema mit dem Iran
gelöst werden. Nicht durch Bedrohung und Einschüchterung,
nicht durch Schuldzuweisungen und Beleidigungen, sondern
durch Dialog und Verhandlung. Der jüngste Dialog mit direk-
ter Interaktion zwischen dem Iran und den Vereinigten Staaten
ist ein willkommener Schritt in die richtige Richtung. Die Miss-
stände und das Misstrauen zwischen diesen beiden Ländern
haben sich in den vergangenen 50 Jahren akkumuliert. Mit
Fortschritten in diesem Bereich werden sich mehr Chancen
entwickeln und wir werden versuchen müssen Unterschiede in
vielen anderen Bereichen weiter zu versöhnen.
Schritt 9:Wir müssen die Wirtschaft in den Dienst
der gesamten Menschheit stellen.
Jahrhundertelang haben die Menschen es verstanden, Krieg
profi tabel zu machen und die Armen und die weniger Mäch-
tigen für Profi t auszunutzen. Dieses Modell kann nicht länger
aufrechterhalten werden. Es ist Zeit für einen neuen Ansatz
der globalen Wirtschaft, der darauf abzielt, Wohlstand durch
Frieden zu erreichen.
Der erste praktische Bereich für einen strategischen Wandel
erfordert eine Neuausrichtung der Forschungs- und Entwick-
lungshaushalte der Regierungen. Innovation folgt Investitio-
nen. Wenn wohlhabende Regierungen weiterhin zehn Mal so
viel Geld für Aufrüstung und Verteidigung wie für humanitäre
Hilfe ausgeben, wird dies natürlich auch Auswirkungen darauf
haben, wo Investoren, Unternehmen und Forschungsuniver-
sitäten ihr Geld investieren. Wenn aber die gleichen Regie-
rungen Forschung und Entwicklung fördern würden, um die
größten Herausforderungen der Entwicklungsländer zu lösen,
wäre das Ergebnis die Entwicklung neuer Technologien, die
Erschließung neuer Industrien und neuer Märkte und schluss-
endlich auch eine Revolution in der Bewältigung der Kosten
humanitärer Hilfe.
Ein zweiter Bereich für wirtschaftliche Innovationen liegt dar-
in, wie wir das brachliegende Potenzial der Menschen in den
Entwicklungsländern ausnutzen können. Wir haben hier hoch
motivierte Bevölkerungen, viele mit einem hohen Prozentsatz
junger Menschen – in Ägypten sind 50 Prozent der Bevölke-
rung jünger als 25. Fernsehen und Internet haben diesen jun-
gen Menschen mehr als je zuvor die Möglichkeit gegeben in
die Welt zu blicken. Sie möchten Chancen nutzen, von denen
sie wissen, dass sie andernorts existieren. Intelligente unter-
nehmerische Investitionen in Hightech-Fähigkeiten, in eine
IKT-Infrastruktur (IKT: Informations- und Kommunikations-
technologien), in Anschubfi nanzierungen und Unterstüt-
zungen für Unternehmer können zu einem sehr hohen Profi t
und zu guten Renditemöglichkeiten führen.
Ein dritter Bereich für wirtschaftliche Innovationen ist, den neu
entstandenen Demokratien dabei zu helfen, die Institutionen
und Mechanismen für gute Regierungsführung zu schaffen.
Das ist eine sehr viel intelligentere strategische Investition als
der Verkauf von Waffen oder die Bereitstellung von Militärhilfe
für diese Länder. Durch den Beginn eines Prozesses der sozia-
len und ökonomischen Entwicklung – durch den Export der
22 | M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N | 23
weichen Marktfaktoren, wie ich das vorhin nannte – werden
wir stabile verlässliche Partner schaffen, die auch Märkte und
Möglichkeiten für unsere Unternehmen darstellen. Eine solche
Großzügigkeit ist alles andere als Wohltätigkeit. Es ist eine In-
vestition in unser eigenes Überleben.
Schritt 10:Wir müssen uns selbst umschulen – und
vor allem die Jugend umschulen –und ihnen die Kunst des Friedens
beibringen.
Jeder der bisher beschriebenen neun Schritte erfordert ge-
wisse Elemente der Umschulung, die alle praktischen strate-
gischen Nutzen mit sich bringen. Die Bildung ist hierbei der
Schlüssel. Neugier und der Glaube an die Macht des Lernens
ist essenziell für das, was uns menschlich macht.
Mit der schnellen Geschwindigkeit des Wandels, den wir ge-
genwärtig erleben, brauchen wir ein globales Umschulungs-
programm, um unsere Unsicherheit als Menschheitsfamilie zu
überwinden. Zuerst einmal müssen wir unsere Jugendlichen
bilden. Wir müssen eine Grund- und Sekundarschulausbil-
dung für Mädchen und Jungen in den ärmsten Ländern si-
cherstellen, wenn wir möchten, dass diese jungen Menschen
nicht in Armut leben. Die gegenwärtigen Anstrengungen im
Bildungsbereich reichen nicht aus. Der jüngste Bericht der UN-
ESCO zu globaler Bildung besagt, dass, wenn der gegenwärti-
ge Trend so weitergeht, es bis zum Jahr 2072 dauern wird, bis
die jüngsten armen Frauen in den Entwicklungsländern lesen
und schreiben können. Das kann so nicht akzeptiert werden.
Auf der positiven Seite sehen wir gegenwärtig viele Anstren-
gungen einen neuen Ansatz zum Thema Bildung zu entwi-
ckeln. Meine Alma Mater, die New York University, betreibt ei-
nen globalen Bildungscampus in Abu Dhabi. Jedes Jahr wählen
sie ungefähr 200 Studierende aus, die aus mehr als 50 Ländern
kommen und nur auf der Grundlage ihrer Leistung zugelassen
werden. Einige kommen aus der absoluten Armut; alle Kosten
werden von den Vereinigten Arabischen Emiraten getragen.
Die Idee ist, dass diese jungen Menschen zusammenkommen,
um wirklich multikulturelle und globale Sichtweisen für ihre
Rollen als spätere Führungspersönlichkeiten zu entwickeln. Der
Präsident der NYU John Sexton sagte mir, dass bereits nach
wenigen Jahren hervorragende Ergebnisse zu beobachten
waren. Solche Anstrengungen geben uns Hoffnung.
Bildung zahlt eine Multigenerationendividende aus. Wir kön-
nen uns keine weiteren verlorenen Generationen länger leis-
ten.
Lassen Sie mich schlussfolgernd sagen:
Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind größer als
ein einzelnes Land, ein einzelner Konfl ikt oder ein einzelnes
Thema. Wir kämpfen um das Herz der Menschheit. Was für
eine Welt wollen wir unseren Kindern hinterlassen? Was sind
die Werte, die Institutionen, die Formen der Regierungsfüh-
rung, die Verhaltensweisen und die Einstellungen, die es uns
ermöglichen als globale Gesellschaft einen andauernden Frie-
den zu erreichen?
Die Lösungen liegen nahe – denn die Lösungen liegen in uns.
Egal, wie groß die Herausforderung sein mag, eine andauern-
de Investition in menschliche Sicherheit ist eine Investition in
unsere gemeinsame Zukunft als eine Menschheitsfamilie.
Vielen Dank.
22 | M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N | 23
weichen Marktfaktoren, wie ich das vorhin nannte – werden
wir stabile verlässliche Partner schaffen, die auch Märkte und
Möglichkeiten für unsere Unternehmen darstellen. Eine solche
Großzügigkeit ist alles andere als Wohltätigkeit. Es ist eine In-
vestition in unser eigenes Überleben.
Schritt 10:Wir müssen uns selbst umschulen – und
vor allem die Jugend umschulen –und ihnen die Kunst des Friedens
beibringen.
Jeder der bisher beschriebenen neun Schritte erfordert ge-
wisse Elemente der Umschulung, die alle praktischen strate-
gischen Nutzen mit sich bringen. Die Bildung ist hierbei der
Schlüssel. Neugier und der Glaube an die Macht des Lernens
ist essenziell für das, was uns menschlich macht.
Mit der schnellen Geschwindigkeit des Wandels, den wir ge-
genwärtig erleben, brauchen wir ein globales Umschulungs-
programm, um unsere Unsicherheit als Menschheitsfamilie zu
überwinden. Zuerst einmal müssen wir unsere Jugendlichen
bilden. Wir müssen eine Grund- und Sekundarschulausbil-
dung für Mädchen und Jungen in den ärmsten Ländern si-
cherstellen, wenn wir möchten, dass diese jungen Menschen
nicht in Armut leben. Die gegenwärtigen Anstrengungen im
Bildungsbereich reichen nicht aus. Der jüngste Bericht der UN-
ESCO zu globaler Bildung besagt, dass, wenn der gegenwärti-
ge Trend so weitergeht, es bis zum Jahr 2072 dauern wird, bis
die jüngsten armen Frauen in den Entwicklungsländern lesen
und schreiben können. Das kann so nicht akzeptiert werden.
Auf der positiven Seite sehen wir gegenwärtig viele Anstren-
gungen einen neuen Ansatz zum Thema Bildung zu entwi-
ckeln. Meine Alma Mater, die New York University, betreibt ei-
nen globalen Bildungscampus in Abu Dhabi. Jedes Jahr wählen
sie ungefähr 200 Studierende aus, die aus mehr als 50 Ländern
kommen und nur auf der Grundlage ihrer Leistung zugelassen
werden. Einige kommen aus der absoluten Armut; alle Kosten
werden von den Vereinigten Arabischen Emiraten getragen.
Die Idee ist, dass diese jungen Menschen zusammenkommen,
um wirklich multikulturelle und globale Sichtweisen für ihre
Rollen als spätere Führungspersönlichkeiten zu entwickeln. Der
Präsident der NYU John Sexton sagte mir, dass bereits nach
wenigen Jahren hervorragende Ergebnisse zu beobachten
waren. Solche Anstrengungen geben uns Hoffnung.
Bildung zahlt eine Multigenerationendividende aus. Wir kön-
nen uns keine weiteren verlorenen Generationen länger leis-
ten.
Lassen Sie mich schlussfolgernd sagen:
Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind größer als
ein einzelnes Land, ein einzelner Konfl ikt oder ein einzelnes
Thema. Wir kämpfen um das Herz der Menschheit. Was für
eine Welt wollen wir unseren Kindern hinterlassen? Was sind
die Werte, die Institutionen, die Formen der Regierungsfüh-
rung, die Verhaltensweisen und die Einstellungen, die es uns
ermöglichen als globale Gesellschaft einen andauernden Frie-
den zu erreichen?
Die Lösungen liegen nahe – denn die Lösungen liegen in uns.
Egal, wie groß die Herausforderung sein mag, eine andauern-
de Investition in menschliche Sicherheit ist eine Investition in
unsere gemeinsame Zukunft als eine Menschheitsfamilie.
Vielen Dank.
24 | M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N | 25
»Friedenswettbewerb«Sächsische Schülerinnen und Schüler wurden zu einem Ideenwettbewerb eingeladen
Der Friedensnobelpreis ist Auszeichnung für eine Lebens-
leistung. Einzelpersonen oder Organisationen werden für
einen Impuls gewürdigt, der herausragend für das friedliche
Zusammenleben zwischen Menschen dieser Welt gewirkt
hat. Der Preis ist rückblickend eine Anerkennung für Geleis-
tetes und vorausblickend eine Verpfl ichtung. Schülerinnen
und Schüler suchen ihr Leben zu gestalten. Dabei spielt die
Ausbildung in der Schule eine wesentliche Rolle. Sensibilität
für Friedensfragen kann in unterschiedlichen Fächern inhalt-
lich entwickelt werden. Junge Menschen denken und kom-
munizieren in der Regel weltweit und stehen zugleich vor
der Herausforderung ihr persönliches Lebensumfeld sinnvoll
und friedlich zu gestalten. Die Erfahrung, dass das persönli-
che Engagement Beachtung fi ndet und Wirkungen entfalten
kann, die weit über das individuelle Umfeld hinausreichen, ist
kostbar. Nicht zuletzt sind es auch persönliche Vorbilder, an
denen sich Schülerinnen und Schüler orientieren. Inhalte ver-
mitteln sich nachhaltiger, wenn sie mit Emotionen verbunden
werden können. Persönliche Wertschätzung und menschli-
che Begegnungen spielen dabei eine entscheidende Rolle.
Insofern liegt es nahe, Friedensnobelpreisträger unmittelbar
mit jungen Menschen in Verbindung zu bringen. Für beide
kann die Begegnung im besten Fall eine Bereicherung sein.
Im Zusammenwirken mit dem Sächsischen Staatsministerium
für Kultus konnte durch die Stiftung Frauenkirche ein Schüler-
wettbewerb ausgelobt werden, der die Rede des Friedens-
nobelpreisträgers Dr. Mohamed ElBaradei inhaltlich fl ankiert
und im Blick auf die Situationen von jungen Menschen
heute aktualisiert. Eine Welt ohne Nuklearwaffen – Illusion
oder Auftrag an die junge Generation in dieser Welt? Mit
dieser Frage beschäftigten sich Schulklassen und kleine
Arbeitsgemeinschaften auf Anregung des Friedensnobelpreis-
trägers im Vorfeld der Rede. Ziel ist es, Jugendliche nicht nur
in besonderer Weise zur Rede des Friedensnobelpreisträgers
in die Frauenkirche einzuladen, sondern sie am histo rischen
Ort der Verwundung und Versöhnung als Partner auf Augen -
höhe am politischen Diskurs mit namhaften Politikern teilha-
ben zu lassen. Der Preis für die Siegergruppen war bewusst nicht
die Füllung der Klassenkasse, sondern ein ideeller Wert: Ein
Tag an der Dresdner Frauenkirche, der in einem gesonder-
ten Format die Geschichte und Botschaft dieser Kirche erle-
ben lässt, Möglichkeiten eröffnet, andere Schülerinnen und
Schüler mit ihren Ideen kennenzulernen, gemeinsam zu es-
sen und zu entdecken, und auf kreative Weise die Fragen und
Interessen zu entwickeln, die man am Abend im exklusiven
Gespräch mit dem Friedensnobelpreisträger erörtern will.
Die Gedanken und Wünsche der jungen Menschen für eine
friedvolle Zukunft fanden in einer transparenten »Wunsch-
Welt« Platz, die in den zukünftigen Jahren in der Frauen -
kirche ausgestellt sein wird, als Ansporn zur Friedensarbeit. Die
persönliche Würdigung der Schülerinnen und Schüler durch
die hochrangig besetzte Jury und den Ministerpräsidenten
bot eine gute Grundlage für ein beiderseitig wertschätzendes
und interessiertes Gespräch zwischen dem Friedensnobelpreis-
träger und den ausgezeichneten Schülergruppen. Das ge -
schützte Format eines nichtöffentlichen Gesprächs für zwei
Stunden in der Unterkirche unmittelbar vor dem öffentlichen
Vortrag im Hauptraum eröffnete die exklusive Möglichkeit,
Dr. ElBaradei nicht nur als politischen Akteur vor dem Hinter-
grund seiner Lebensleistung kennenzulernen, sondern auch
als Menschen wie du und ich mit Hoffnungen, Enttäuschun-
gen und Idealen.
Holger Treutmann, Pfarrer der Frauenkirche
24 | M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N | 25
»Friedenswettbewerb«Sächsische Schülerinnen und Schüler wurden zu einem Ideenwettbewerb eingeladen
Der Friedensnobelpreis ist Auszeichnung für eine Lebens-
leistung. Einzelpersonen oder Organisationen werden für
einen Impuls gewürdigt, der herausragend für das friedliche
Zusammenleben zwischen Menschen dieser Welt gewirkt
hat. Der Preis ist rückblickend eine Anerkennung für Geleis-
tetes und vorausblickend eine Verpfl ichtung. Schülerinnen
und Schüler suchen ihr Leben zu gestalten. Dabei spielt die
Ausbildung in der Schule eine wesentliche Rolle. Sensibilität
für Friedensfragen kann in unterschiedlichen Fächern inhalt-
lich entwickelt werden. Junge Menschen denken und kom-
munizieren in der Regel weltweit und stehen zugleich vor
der Herausforderung ihr persönliches Lebensumfeld sinnvoll
und friedlich zu gestalten. Die Erfahrung, dass das persönli-
che Engagement Beachtung fi ndet und Wirkungen entfalten
kann, die weit über das individuelle Umfeld hinausreichen, ist
kostbar. Nicht zuletzt sind es auch persönliche Vorbilder, an
denen sich Schülerinnen und Schüler orientieren. Inhalte ver-
mitteln sich nachhaltiger, wenn sie mit Emotionen verbunden
werden können. Persönliche Wertschätzung und menschli-
che Begegnungen spielen dabei eine entscheidende Rolle.
Insofern liegt es nahe, Friedensnobelpreisträger unmittelbar
mit jungen Menschen in Verbindung zu bringen. Für beide
kann die Begegnung im besten Fall eine Bereicherung sein.
Im Zusammenwirken mit dem Sächsischen Staatsministerium
für Kultus konnte durch die Stiftung Frauenkirche ein Schüler-
wettbewerb ausgelobt werden, der die Rede des Friedens-
nobelpreisträgers Dr. Mohamed ElBaradei inhaltlich fl ankiert
und im Blick auf die Situationen von jungen Menschen
heute aktualisiert. Eine Welt ohne Nuklearwaffen – Illusion
oder Auftrag an die junge Generation in dieser Welt? Mit
dieser Frage beschäftigten sich Schulklassen und kleine
Arbeitsgemeinschaften auf Anregung des Friedensnobelpreis-
trägers im Vorfeld der Rede. Ziel ist es, Jugendliche nicht nur
in besonderer Weise zur Rede des Friedensnobelpreisträgers
in die Frauenkirche einzuladen, sondern sie am histo rischen
Ort der Verwundung und Versöhnung als Partner auf Augen -
höhe am politischen Diskurs mit namhaften Politikern teilha-
ben zu lassen. Der Preis für die Siegergruppen war bewusst nicht
die Füllung der Klassenkasse, sondern ein ideeller Wert: Ein
Tag an der Dresdner Frauenkirche, der in einem gesonder-
ten Format die Geschichte und Botschaft dieser Kirche erle-
ben lässt, Möglichkeiten eröffnet, andere Schülerinnen und
Schüler mit ihren Ideen kennenzulernen, gemeinsam zu es-
sen und zu entdecken, und auf kreative Weise die Fragen und
Interessen zu entwickeln, die man am Abend im exklusiven
Gespräch mit dem Friedensnobelpreisträger erörtern will.
Die Gedanken und Wünsche der jungen Menschen für eine
friedvolle Zukunft fanden in einer transparenten »Wunsch-
Welt« Platz, die in den zukünftigen Jahren in der Frauen -
kirche ausgestellt sein wird, als Ansporn zur Friedensarbeit. Die
persönliche Würdigung der Schülerinnen und Schüler durch
die hochrangig besetzte Jury und den Ministerpräsidenten
bot eine gute Grundlage für ein beiderseitig wertschätzendes
und interessiertes Gespräch zwischen dem Friedensnobelpreis-
träger und den ausgezeichneten Schülergruppen. Das ge -
schützte Format eines nichtöffentlichen Gesprächs für zwei
Stunden in der Unterkirche unmittelbar vor dem öffentlichen
Vortrag im Hauptraum eröffnete die exklusive Möglichkeit,
Dr. ElBaradei nicht nur als politischen Akteur vor dem Hinter-
grund seiner Lebensleistung kennenzulernen, sondern auch
als Menschen wie du und ich mit Hoffnungen, Enttäuschun-
gen und Idealen.
Holger Treutmann, Pfarrer der Frauenkirche
26 | M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N
»Frieden stattBekriegen«Auf dem Weg in eine Welt ohne Nuklearwaffen
Victoria Lê, Livia Koenitz, Charlotte Bäcker, Hannes Lienig,
Silvia Dietze, Anna Dorothea Uschner, Sophia Lehne, Nora
Hartmann, Oleksiy Bezugly, Jenny Steinert, Mei Yang, Stefanie
Pusch (Lehrerin) – Gymnasium Dresden-Plauen
In einer Spezialausgabe des fi ktiven politischen Jugendma-
gazins „The Road“ thematisierten die Jugendlichen die Frage-
stellung des Wettbewerbs. Zunächst setzten sie sich mit der
Geschichte der Atomwaffen und den gegenwärtigen welt-
weiten Standorten von Atomwaffen auseinandergesetzt und
führten im Anschluss beim »Tag der Offenen Tür« ihres Gym-
nasiums eine Umfrage und Aktionen durch, um auf das Thema
aufmerksam zu machen und sich eine Meinung zu bilden.
»Das Magazin fällt durch seine sachliche Kompetenz, profes-
sionelle Gestaltung und den überaus differenzierten Umgang
mit dem Wettbewerbsthema positiv auf. Es ist ein exzellent
recherchiertes, bestens durchdachtes Heft, das Interesse für
das Thema (nicht nur) bei Jugendlichen weckt«, so die Jury in
ihrer Begründung des Siegerbeitrages.
125 Teilnehmerinnen und Teilnehmer folgten dem Aufruf
der Stiftung Frauenkirche Dresden am Friedenswettbewerb
»Schüler treffen Friedensnobelpreisträger in der Frauenkirche
Dresden« teilzunehmen. Dr. Mohamed ElBaradei fragte: »Eine
Welt ohne Nuklearwaffen – Illusion oder Auftrag an die jun-
ge Generation in dieser Welt?« und rief die Schülerinnen und
Schüler auf, sich intensiv mit diesem Thema auseinanderzu-
setzen und ihre Wünsche, Ängste, Ideen und Lösungsansätze
vorzustellen. Die Stiftung Frauenkirche Dresden erreichten Bei-
träge u.a. in Form von Film, Hörspiel und Schülerzeitung. Die
drei Jurymitglieder lobten das Engagement der Teilnehmen-
den und die hohe Qualität der Einreichungen. Besonders wur-
de die Kreativität hervorgehoben, mit der die Schülerinnen
und Schüler einerseits die Gründe für das Streben nach Atom-
waffen darstellten und zugleich die Folgen des Besitzes für die
internationale Sicherheit und einen möglichen Einsatz dabei
nicht außer Acht ließen. Anders als noch in den 1980er Jahren
nahmen die Schülerinnen und Schüler nicht nur eine europäi-
sche Perspektive ein, sondern thematisierten die globalen As-
pekte der (Nicht-)Verbreitung und Möglichkeiten der Kontrolle
von Atomwaffen. Aus den dreizehn Gruppeneinreichungen
benannte die Jury drei gleichrangige Sieger, die das Wettbe-
werbsthema in herausragender Weise bearbeitet hatten. Zur
Jury gehörten neben der Bundesbeauftragten für Fragen der
Abrüstung und Rüstungskontrolle, Ministerialdirigentin Antje
Leendertse, Herbert Wolff, Staatssekretär
des Sächsischen Staatsministeriums für Kul-
tus und Dr. Oliver Meier, Stiftung Wissen-
schaft und Politik am Deutschen Institut für
Internationale Politik und Sicherheit.
Die Siegerbeiträge des Schülerwett-bewerbs
M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N | 27
»zehn«Thesenanschlag
Adrian Laugsch, Valentin Gies, Daniel Hofmann, Pia Weigel,
Helena Kieß – Evangelisches Kreuzgymnasium Dresden
Die Einreichung umfasste eine fi lmische Performance und ein
begleitendes Essay und thematisierte visionär zehn grundsätz-
liche Thesen. »Kühn und mutig sollen zehn Thesen künden
von einer friedlicheren Welt der Sicherheit und Freiheit von
atomaren Bedrohungen der Existenz der Menschheit«.
»Neben der sehr schlüssigen Streitschrift, die Sehnsüchte,
Appelle, Bedenken und Begehren der jungen Generation
auf- und anzeigt, haben die Schülerinnen und Schüler eine
fi lmische Übersetzung der Worte eingereicht, die in ihrer ex-
pressiven Symbolhaftigkeit einem apokalyptischem Aufschrei
nahekommt«, waren sich die Jurymitglieder einig. Lobend er-
wähnt wurde zudem die hervorragende Filmmusik, die vom
15-jährigen Adrian Laugsch, einem der jüngsten Komponisten
in Sachsens, stammt.
»Die Entscheidung liegt bei Euch!«Für eine Zukunft ohne Atomwaffen
Milena Hauser, Henriette Weiß, Charlotte Pech,
Victoria Tost – Evangelisches Kreuzgymnasium Dresden
»Der Beitrag wirft vor allem die Frage auf, welche Dilemmata
sowohl eine atomwaffenfreie Welt als auch das Festhalten an
Atomwaffen mit sich bringt. Eine solch differenzierte und für
den Zuschauer manchmal überraschende Analyse, verbunden
mit der Aufforderung, selbst zu entscheiden welche Welt die
bessere ist, dürfte ein nachhaltigeres Engagement für die nuk-
leare Abrüstung hervorbringen als plakative Warnungen vor
dem Atomkrieg«, äußerte sich die Jury in ihrer Begründung.
Die Jugendlichen reichten einen Kurzfi lm ein, der über einen
historischen Überblick zur Entwicklung von Atomwaffen einen
Entwurf alternativer Zukunftsszenarien aufzeichnete.
26 | M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N
»Frieden stattBekriegen«Auf dem Weg in eine Welt ohne Nuklearwaffen
Victoria Lê, Livia Koenitz, Charlotte Bäcker, Hannes Lienig,
Silvia Dietze, Anna Dorothea Uschner, Sophia Lehne, Nora
Hartmann, Oleksiy Bezugly, Jenny Steinert, Mei Yang, Stefanie
Pusch (Lehrerin) – Gymnasium Dresden-Plauen
In einer Spezialausgabe des fi ktiven politischen Jugendma-
gazins „The Road“ thematisierten die Jugendlichen die Frage-
stellung des Wettbewerbs. Zunächst setzten sie sich mit der
Geschichte der Atomwaffen und den gegenwärtigen welt-
weiten Standorten von Atomwaffen auseinandergesetzt und
führten im Anschluss beim »Tag der Offenen Tür« ihres Gym-
nasiums eine Umfrage und Aktionen durch, um auf das Thema
aufmerksam zu machen und sich eine Meinung zu bilden.
»Das Magazin fällt durch seine sachliche Kompetenz, profes-
sionelle Gestaltung und den überaus differenzierten Umgang
mit dem Wettbewerbsthema positiv auf. Es ist ein exzellent
recherchiertes, bestens durchdachtes Heft, das Interesse für
das Thema (nicht nur) bei Jugendlichen weckt«, so die Jury in
ihrer Begründung des Siegerbeitrages.
125 Teilnehmerinnen und Teilnehmer folgten dem Aufruf
der Stiftung Frauenkirche Dresden am Friedenswettbewerb
»Schüler treffen Friedensnobelpreisträger in der Frauenkirche
Dresden« teilzunehmen. Dr. Mohamed ElBaradei fragte: »Eine
Welt ohne Nuklearwaffen – Illusion oder Auftrag an die jun-
ge Generation in dieser Welt?« und rief die Schülerinnen und
Schüler auf, sich intensiv mit diesem Thema auseinanderzu-
setzen und ihre Wünsche, Ängste, Ideen und Lösungsansätze
vorzustellen. Die Stiftung Frauenkirche Dresden erreichten Bei-
träge u.a. in Form von Film, Hörspiel und Schülerzeitung. Die
drei Jurymitglieder lobten das Engagement der Teilnehmen-
den und die hohe Qualität der Einreichungen. Besonders wur-
de die Kreativität hervorgehoben, mit der die Schülerinnen
und Schüler einerseits die Gründe für das Streben nach Atom-
waffen darstellten und zugleich die Folgen des Besitzes für die
internationale Sicherheit und einen möglichen Einsatz dabei
nicht außer Acht ließen. Anders als noch in den 1980er Jahren
nahmen die Schülerinnen und Schüler nicht nur eine europäi-
sche Perspektive ein, sondern thematisierten die globalen As-
pekte der (Nicht-)Verbreitung und Möglichkeiten der Kontrolle
von Atomwaffen. Aus den dreizehn Gruppeneinreichungen
benannte die Jury drei gleichrangige Sieger, die das Wettbe-
werbsthema in herausragender Weise bearbeitet hatten. Zur
Jury gehörten neben der Bundesbeauftragten für Fragen der
Abrüstung und Rüstungskontrolle, Ministerialdirigentin Antje
Leendertse, Herbert Wolff, Staatssekretär
des Sächsischen Staatsministeriums für Kul-
tus und Dr. Oliver Meier, Stiftung Wissen-
schaft und Politik am Deutschen Institut für
Internationale Politik und Sicherheit.
Die Siegerbeiträge des Schülerwett-bewerbs
M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N | 27
»zehn«Thesenanschlag
Adrian Laugsch, Valentin Gies, Daniel Hofmann, Pia Weigel,
Helena Kieß – Evangelisches Kreuzgymnasium Dresden
Die Einreichung umfasste eine fi lmische Performance und ein
begleitendes Essay und thematisierte visionär zehn grundsätz-
liche Thesen. »Kühn und mutig sollen zehn Thesen künden
von einer friedlicheren Welt der Sicherheit und Freiheit von
atomaren Bedrohungen der Existenz der Menschheit«.
»Neben der sehr schlüssigen Streitschrift, die Sehnsüchte,
Appelle, Bedenken und Begehren der jungen Generation
auf- und anzeigt, haben die Schülerinnen und Schüler eine
fi lmische Übersetzung der Worte eingereicht, die in ihrer ex-
pressiven Symbolhaftigkeit einem apokalyptischem Aufschrei
nahekommt«, waren sich die Jurymitglieder einig. Lobend er-
wähnt wurde zudem die hervorragende Filmmusik, die vom
15-jährigen Adrian Laugsch, einem der jüngsten Komponisten
in Sachsens, stammt.
»Die Entscheidung liegt bei Euch!«Für eine Zukunft ohne Atomwaffen
Milena Hauser, Henriette Weiß, Charlotte Pech,
Victoria Tost – Evangelisches Kreuzgymnasium Dresden
»Der Beitrag wirft vor allem die Frage auf, welche Dilemmata
sowohl eine atomwaffenfreie Welt als auch das Festhalten an
Atomwaffen mit sich bringt. Eine solch differenzierte und für
den Zuschauer manchmal überraschende Analyse, verbunden
mit der Aufforderung, selbst zu entscheiden welche Welt die
bessere ist, dürfte ein nachhaltigeres Engagement für die nuk-
leare Abrüstung hervorbringen als plakative Warnungen vor
dem Atomkrieg«, äußerte sich die Jury in ihrer Begründung.
Die Jugendlichen reichten einen Kurzfi lm ein, der über einen
historischen Überblick zur Entwicklung von Atomwaffen einen
Entwurf alternativer Zukunftsszenarien aufzeichnete.
28 | M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N | 29
Jugendliche erleben FrauenkircheWie haben die Schülerinnen und Schüler des Schülerwettbewerbs die Frauenkirche erfahren?
»Ich höre einen Ton aus vielen Tönen: Frieden, Frieden, wo
Gott wohnt« – die letzten Worte des Gedichts, das Christian
Lehnert 2003 anlässlich der Weihe der neuen Frauenkirchen-
glocken für die Friedensglocke Jesaja schrieb, verklingen. Dicht
beieinander stehen die Jugendlichen in den beiden schmalen
Glockenstuben, vor Augen die Glocken, deren Namen und
Zier auf ihre liturgische Funktion hinweisen. Warum sich ins
achtstimmige Geläut der Frauenkirche neben sieben neuen
Glocken auch die fast fünfhundert Jahre alte Gedächtnisglocke
einfügt, ist eine von vielen Entdeckungen auf dem Weg der
Schülerinnen und Schüler durch die Frauenkirche.
Der Weg beginnt in der Unterkirche, dem Raum der Stille. Ehe-
mals Grablege, Kirchenkeller und Schutzraum in Kriegszeiten
trägt der sparsam gestaltet Sakralraum sichtbare Spuren exis-
tenzieller Themen wie Tod und Auferstehung, Krieg und Zer-
störung, Verletzung und Heilung. Hier in Stille anzukommen,
selbst still zu werden, die Aufmerksamkeit dem Nebeneinan-
der alter und neuer Steine und dessen Botschaft zuzuwenden,
Zitate laut zu lesen, wie Augenzeugen den Bombenangriff auf
Dresden erinnerten, die Bedeutung moderner Gestaltungs-
elemente bewusst wahrzunehmen und schließlich die eigene
Stimme aufschwingen zu lassen in einem Gesang, der den
schlichten, steinsichtigen Raum mit lebendigem Klang erfüllt,
eröffnet die Frauenkirchenerkundung. Ihr Ziel ist die Ermögli-
chung individueller Begegnung mit der Frauenkirche und ihrer
Botschaft, die aus sich selbst heraus nahelegt, warum die Rede
eines Friedensnobelpreisträgers hier ihren richtigen Platz hat.
Von der Unterkirche steigen wir auf in den Kirchenraum, wo das
Leben in der Frauenkirche hauptsächlich stattfi ndet: in Got-
tesdiensten, Konzerten, Vorträgen und Zeiten offener Kirche.
Von der zweiten Empore schweift der Blick durch den Raum:
nach unten zu den Tagesbesuchern, die besichtigend einher-
gehen, in Betrachtung versunken sitzen oder im Gespräch mit
einem gastgebenden, ehrenamtlichen Kirchenführer stehen,
nach oben zu den Bildfeldern der Innenkuppel und natürlich
nach vorn zum Altar. Nach wenigen einleitenden Worten zu
geschichtlichen Rahmendaten und warum der Kirchenraum
gebaute evangelische Theologie ist, wechseln wir eine Etage
tiefer und treten auf der Sängerempore dicht an den gebro-
chenen Altar heran. Aus der Fülle des Bildprogramms fokus-
siert die Wahrnehmung in der zentralen Altarszene, wo sinn-
fällig Kriegszerstörtes belassen wurde, etwa an der Figur des
Judas und wo »Narben der geheilten Wunde« sich dem zwei-
ten Blick entbergen. Woran diese Narben erinnern und wozu
sie mahnen, wiederholt das im Kirchenraum aufgestellte alte
Turmkreuz. Bevor die Erkundungstour weiter nach oben führt,
wird die Einladung ausgesprochen, später am Tage unten am
alten Turmkreuz ein Gebetslicht anzuzünden: in Gedenken
an... Es folgen der Aufenthalt in den Glockenstuben und da-
nach der Aufstieg hinauf zur Aussichtsplattform.
Wie sich der Blick von hier über Dresden hinaus in die Weite
richtet, weist auch die Botschaft der Frauenkirche über räumli-
che und zeitliche Grenzen hinweg in eine zukünftige Welt, für
die die Jugendlichen von heute in besonderer Weise einstehen
werden. Dass sie sich dieser Verantwortung stellen wollen,
haben die Schülerinnen und Schüler in ihren preisgekrönten
Beiträgen eindrücklich gezeigt.
Anja HäseDr. Anja Häse ist seit 2002 Leiterin des Besucherdienstes
der Stiftung Frauenkirche Dresden.
28 | M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N | 29
Jugendliche erleben FrauenkircheWie haben die Schülerinnen und Schüler des Schülerwettbewerbs die Frauenkirche erfahren?
»Ich höre einen Ton aus vielen Tönen: Frieden, Frieden, wo
Gott wohnt« – die letzten Worte des Gedichts, das Christian
Lehnert 2003 anlässlich der Weihe der neuen Frauenkirchen-
glocken für die Friedensglocke Jesaja schrieb, verklingen. Dicht
beieinander stehen die Jugendlichen in den beiden schmalen
Glockenstuben, vor Augen die Glocken, deren Namen und
Zier auf ihre liturgische Funktion hinweisen. Warum sich ins
achtstimmige Geläut der Frauenkirche neben sieben neuen
Glocken auch die fast fünfhundert Jahre alte Gedächtnisglocke
einfügt, ist eine von vielen Entdeckungen auf dem Weg der
Schülerinnen und Schüler durch die Frauenkirche.
Der Weg beginnt in der Unterkirche, dem Raum der Stille. Ehe-
mals Grablege, Kirchenkeller und Schutzraum in Kriegszeiten
trägt der sparsam gestaltet Sakralraum sichtbare Spuren exis-
tenzieller Themen wie Tod und Auferstehung, Krieg und Zer-
störung, Verletzung und Heilung. Hier in Stille anzukommen,
selbst still zu werden, die Aufmerksamkeit dem Nebeneinan-
der alter und neuer Steine und dessen Botschaft zuzuwenden,
Zitate laut zu lesen, wie Augenzeugen den Bombenangriff auf
Dresden erinnerten, die Bedeutung moderner Gestaltungs-
elemente bewusst wahrzunehmen und schließlich die eigene
Stimme aufschwingen zu lassen in einem Gesang, der den
schlichten, steinsichtigen Raum mit lebendigem Klang erfüllt,
eröffnet die Frauenkirchenerkundung. Ihr Ziel ist die Ermögli-
chung individueller Begegnung mit der Frauenkirche und ihrer
Botschaft, die aus sich selbst heraus nahelegt, warum die Rede
eines Friedensnobelpreisträgers hier ihren richtigen Platz hat.
Von der Unterkirche steigen wir auf in den Kirchenraum, wo das
Leben in der Frauenkirche hauptsächlich stattfi ndet: in Got-
tesdiensten, Konzerten, Vorträgen und Zeiten offener Kirche.
Von der zweiten Empore schweift der Blick durch den Raum:
nach unten zu den Tagesbesuchern, die besichtigend einher-
gehen, in Betrachtung versunken sitzen oder im Gespräch mit
einem gastgebenden, ehrenamtlichen Kirchenführer stehen,
nach oben zu den Bildfeldern der Innenkuppel und natürlich
nach vorn zum Altar. Nach wenigen einleitenden Worten zu
geschichtlichen Rahmendaten und warum der Kirchenraum
gebaute evangelische Theologie ist, wechseln wir eine Etage
tiefer und treten auf der Sängerempore dicht an den gebro-
chenen Altar heran. Aus der Fülle des Bildprogramms fokus-
siert die Wahrnehmung in der zentralen Altarszene, wo sinn-
fällig Kriegszerstörtes belassen wurde, etwa an der Figur des
Judas und wo »Narben der geheilten Wunde« sich dem zwei-
ten Blick entbergen. Woran diese Narben erinnern und wozu
sie mahnen, wiederholt das im Kirchenraum aufgestellte alte
Turmkreuz. Bevor die Erkundungstour weiter nach oben führt,
wird die Einladung ausgesprochen, später am Tage unten am
alten Turmkreuz ein Gebetslicht anzuzünden: in Gedenken
an... Es folgen der Aufenthalt in den Glockenstuben und da-
nach der Aufstieg hinauf zur Aussichtsplattform.
Wie sich der Blick von hier über Dresden hinaus in die Weite
richtet, weist auch die Botschaft der Frauenkirche über räumli-
che und zeitliche Grenzen hinweg in eine zukünftige Welt, für
die die Jugendlichen von heute in besonderer Weise einstehen
werden. Dass sie sich dieser Verantwortung stellen wollen,
haben die Schülerinnen und Schüler in ihren preisgekrönten
Beiträgen eindrücklich gezeigt.
Anja HäseDr. Anja Häse ist seit 2002 Leiterin des Besucherdienstes
der Stiftung Frauenkirche Dresden.
»Die Ankunft im Raum der
Stille war für mich etwas sehr
besonderes. Wir durften erst
einmal zur Ruhe kommen und
haben dann die Akustik des
Raumes ausprobiert, indem
wir einen alten Kirchengesang
eingeübt und dann gesungen
haben. Das Gespräch war das
Spannendste. Wir durften mit
dem Friedensnobelpreisträger
über das Thema Atomwaffen
diskutieren. Eine große Ehre!
Ich habe durch das Gespräch
auch eine neue Ansichtsweise
erhalten. ElBaradei hat uns er-
mutigt, sich gegen Atom- und
Nuklearwaffen einzusetzen. Er
hat uns klar gemacht, dass wir
endlich etwas machen müs-
sen, denn es ist allerhöchste
Zeit. Es hat mich beeindruckt,
dass er Hoffnung in eine
Gruppe ganz normaler Kinder
setzt und extra angereist ist,
um uns anzuspornen.«
Mei Yang
»Es gibt sie also noch, die Menschen mit Vision, die Furcht-
losen und Mutigen: Das Treffen mit Mohamed ElBaradei eu-
phorisierte mich und stimmte mich nachdenklich zugleich.
Im alltäglichen Trott scheint man manchmal den Blick für das
Ganze zu verlieren, wenn man sich in Nichtigkeiten verrennt,
anstatt den großen Weltproblemen mit Weitsicht, Klugheit
und Zähheit zu begegnen, so wie der Friedensnobelpreis-
träger es Tag für Tag zu tun pfl egt. Besonders beeindruckt
hat mich seine Bodenständigkeit, die uns verriet, dass er im
Moment, als ihm der begehrte Preis verkündet wurde, einen
Schlafanzug trug, und seine Liebe zum Menschen, die er als Motiv seines Handels in vielen
Sätzen durchblicken ließ. Die Kuppel der Frauenkirche wurde für mich zum Zelt einer fried-
volleren und gerechteren Welt, als ElBaradei am Abend dieses Tages der Momente des Frie-
dens seine Forderungen verkündete. Der 18. März: für mich ein sich tief in mein Gedächtnis
einbrennender Tag und die Zusammenkunft mit einem Helden.« Helena Kieß
»Ich bin froh, an diesem Projekt teilgenommen zu ha-
ben. Dadurch habe ich zum ersten Mal genauer nach
Atomwaffen geforscht und mich mit diesem Thema
auseinandergesetzt. In diesem Zusammenhang stellte
die Kirche für mich einen Ort des Friedens, aber auch
der Stärke dar. Die Begegnung mit dem Friedensnobel-
preisträger, welche im Laufe des Tages stattfand, war
einer der Höhepunkte.« Livia Koenitz
30 | M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N
»Meiner Meinung nach war der Tag in der Frauenkirche
sehr gelungen. Neben den Veranstaltungen zum Wettbe-
werb hat mir besonders die Führung durch die Frauenkir-
che gefallen. Dort hat man Dinge erfahren, die man als
›normaler‹ Tourist nicht lernt. Die Rede am Abend fand ich
sehr anschaulich, da ElBaradei so viele Argumente vorbrach-
te. So war meiner Meinung nach besonders überzeugend,
dass er gezeigt hat, dass nicht nur Regierungen und hohe
Institutionen Veränderungen bewirken können. Jedem Ein-
zelnen ist es möglich, sich gegen Atomwaffen einzusetzen.«
Sophia Lehne
»Die Führung durch die Frauenkirche war schön und für mich
etwas ganz besonderes, da ich noch nie in der Frauenkirche
war. Der Friedensnobelpreisträger hat eine wunderbare Rede
gehalten, welche auch noch einmal die allerwichtigsten Aspek-
te für eine friedvollere Welt aufgezeigt hat. Auch hat mir seine
Rede noch einmal gezeigt, dass alle Menschen der Gemein-
schaft etwas dafür tun müssen, damit wir unserem Ziel, in eine
atomwaffenfreie Welt zu gehen, ein Stück näher kommen. Alles
in allem war es ein unvergesslicher Tag, den ich gegen nichts
eintauschen würde.« Nora Hartmann
»Da ich als Dresdnerin bis zu diesem Tag noch nie auch nur
einen Fuß in die Frauenkirche gesetzt habe, sind mir persönlich
besonders die Momente im Glockenturm und – trotz des Win-
des – auf der Kuppel in Erinnerung geblieben, was sicherlich
auch an den vielen interessanten, teilweise auch historischen,
Informationen lag. Das Gespräch mit dem Friedensnobelpreis-
träger Mohamed ElBaradei war sicherlich für jeden Zuhörer oder
sogar Fragenden ein einmaliges Erlebnis. Vor allem die Aussage,
dass die Zukunft unserer Welt in den Händen der Jugend liegt,
hat mich in meinem Denken bestätigt.« Silvia Dietze
M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N | 31
»Ich fand den Tag der Preisverleihung, des Gespräches und die
Rede super. Eigentlich ist das die erste Veranstaltung, in der die
Realität die Erwartungen überstieg. Das Gespräch war sogar
wichtiger als die Rede, da dort alles kürzer, verständlicher und
direkter als in der Rede war. Die Auffassung, dass ›wenn die USA
heute globale Überwachung betreiben kann, werden es morgen
viele andere auch können‹ ist eigentlich für mich das Wichtigste,
was ich aus den Gesprächen mitgenommen habe, da meine Moti-
vation schon zu Beginn des Projekts war, eine bekanntere Person,
die tatsächlich stark überwacht wurde, fragen zu können, wie man
eigentlich dazu steht, wie es sich anfühlt, zu erfahren, dass man überwacht wurde. ElBaradeis
Gedanke, dass unser Denken friedlicher werden müsse, damit sich etwas auf der Welt ändert, hat
mich sehr zum Nachdenken gebracht. Denn tatsächlich denken wir mehr an Krieg als an Frieden.
Und es gibt mehr Medien, die von Krieg handeln, als Medien, die von Frieden handeln. Ob sich
das ändern kann, ist ungewiss.« Aljoscha Bezugly
»Ich habe die Frauenkirche an
diesem Tag sowohl als Rück-
zugsort, als auch als Raum der
Begegnung vieler verschiedener
Menschen erlebt, vor allem aber
als Ort mit einer Geschichte, die
uns ermahnt, Frieden zu stiften
und zu erhalten. ElBaradei per-
sönlich begegnen zu können,
ihm Fragen zu stellen und zu-
hören zu können, war und ist
für mich ein unvergessliches
Erlebnis. Es fällt mir schwer, ge-
nau zu sagen, was an diesem
Tag ganz besonders besonders
war. Jeder Ort, den wir ge-
meinsam in der Frauenkirche
besucht haben, der Raum der
Stille, die Empore, die Glocken
und zuletzt die Kuppel sowie
die Zeit, die wir mit dem Frie-
densnobelpreisträger verbrin-
gen konnten, sind für mich in
ihrer eigenen Art und Stim-
mung so beeindruckend ge-
wesen.«
Anna Dorothea Uschner
»Die Ankunft im Raum der
Stille war für mich etwas sehr
besonderes. Wir durften erst
einmal zur Ruhe kommen und
haben dann die Akustik des
Raumes ausprobiert, indem
wir einen alten Kirchengesang
eingeübt und dann gesungen
haben. Das Gespräch war das
Spannendste. Wir durften mit
dem Friedensnobelpreisträger
über das Thema Atomwaffen
diskutieren. Eine große Ehre!
Ich habe durch das Gespräch
auch eine neue Ansichtsweise
erhalten. ElBaradei hat uns er-
mutigt, sich gegen Atom- und
Nuklearwaffen einzusetzen. Er
hat uns klar gemacht, dass wir
endlich etwas machen müs-
sen, denn es ist allerhöchste
Zeit. Es hat mich beeindruckt,
dass er Hoffnung in eine
Gruppe ganz normaler Kinder
setzt und extra angereist ist,
um uns anzuspornen.«
Mei Yang
»Es gibt sie also noch, die Menschen mit Vision, die Furcht-
losen und Mutigen: Das Treffen mit Mohamed ElBaradei eu-
phorisierte mich und stimmte mich nachdenklich zugleich.
Im alltäglichen Trott scheint man manchmal den Blick für das
Ganze zu verlieren, wenn man sich in Nichtigkeiten verrennt,
anstatt den großen Weltproblemen mit Weitsicht, Klugheit
und Zähheit zu begegnen, so wie der Friedensnobelpreis-
träger es Tag für Tag zu tun pfl egt. Besonders beeindruckt
hat mich seine Bodenständigkeit, die uns verriet, dass er im
Moment, als ihm der begehrte Preis verkündet wurde, einen
Schlafanzug trug, und seine Liebe zum Menschen, die er als Motiv seines Handels in vielen
Sätzen durchblicken ließ. Die Kuppel der Frauenkirche wurde für mich zum Zelt einer fried-
volleren und gerechteren Welt, als ElBaradei am Abend dieses Tages der Momente des Frie-
dens seine Forderungen verkündete. Der 18. März: für mich ein sich tief in mein Gedächtnis
einbrennender Tag und die Zusammenkunft mit einem Helden.« Helena Kieß
»Ich bin froh, an diesem Projekt teilgenommen zu ha-
ben. Dadurch habe ich zum ersten Mal genauer nach
Atomwaffen geforscht und mich mit diesem Thema
auseinandergesetzt. In diesem Zusammenhang stellte
die Kirche für mich einen Ort des Friedens, aber auch
der Stärke dar. Die Begegnung mit dem Friedensnobel-
preisträger, welche im Laufe des Tages stattfand, war
einer der Höhepunkte.« Livia Koenitz
30 | M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N
»Meiner Meinung nach war der Tag in der Frauenkirche
sehr gelungen. Neben den Veranstaltungen zum Wettbe-
werb hat mir besonders die Führung durch die Frauenkir-
che gefallen. Dort hat man Dinge erfahren, die man als
›normaler‹ Tourist nicht lernt. Die Rede am Abend fand ich
sehr anschaulich, da ElBaradei so viele Argumente vorbrach-
te. So war meiner Meinung nach besonders überzeugend,
dass er gezeigt hat, dass nicht nur Regierungen und hohe
Institutionen Veränderungen bewirken können. Jedem Ein-
zelnen ist es möglich, sich gegen Atomwaffen einzusetzen.«
Sophia Lehne
»Die Führung durch die Frauenkirche war schön und für mich
etwas ganz besonderes, da ich noch nie in der Frauenkirche
war. Der Friedensnobelpreisträger hat eine wunderbare Rede
gehalten, welche auch noch einmal die allerwichtigsten Aspek-
te für eine friedvollere Welt aufgezeigt hat. Auch hat mir seine
Rede noch einmal gezeigt, dass alle Menschen der Gemein-
schaft etwas dafür tun müssen, damit wir unserem Ziel, in eine
atomwaffenfreie Welt zu gehen, ein Stück näher kommen. Alles
in allem war es ein unvergesslicher Tag, den ich gegen nichts
eintauschen würde.« Nora Hartmann
»Da ich als Dresdnerin bis zu diesem Tag noch nie auch nur
einen Fuß in die Frauenkirche gesetzt habe, sind mir persönlich
besonders die Momente im Glockenturm und – trotz des Win-
des – auf der Kuppel in Erinnerung geblieben, was sicherlich
auch an den vielen interessanten, teilweise auch historischen,
Informationen lag. Das Gespräch mit dem Friedensnobelpreis-
träger Mohamed ElBaradei war sicherlich für jeden Zuhörer oder
sogar Fragenden ein einmaliges Erlebnis. Vor allem die Aussage,
dass die Zukunft unserer Welt in den Händen der Jugend liegt,
hat mich in meinem Denken bestätigt.« Silvia Dietze
M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N | 31
»Ich fand den Tag der Preisverleihung, des Gespräches und die
Rede super. Eigentlich ist das die erste Veranstaltung, in der die
Realität die Erwartungen überstieg. Das Gespräch war sogar
wichtiger als die Rede, da dort alles kürzer, verständlicher und
direkter als in der Rede war. Die Auffassung, dass ›wenn die USA
heute globale Überwachung betreiben kann, werden es morgen
viele andere auch können‹ ist eigentlich für mich das Wichtigste,
was ich aus den Gesprächen mitgenommen habe, da meine Moti-
vation schon zu Beginn des Projekts war, eine bekanntere Person,
die tatsächlich stark überwacht wurde, fragen zu können, wie man
eigentlich dazu steht, wie es sich anfühlt, zu erfahren, dass man überwacht wurde. ElBaradeis
Gedanke, dass unser Denken friedlicher werden müsse, damit sich etwas auf der Welt ändert, hat
mich sehr zum Nachdenken gebracht. Denn tatsächlich denken wir mehr an Krieg als an Frieden.
Und es gibt mehr Medien, die von Krieg handeln, als Medien, die von Frieden handeln. Ob sich
das ändern kann, ist ungewiss.« Aljoscha Bezugly
»Ich habe die Frauenkirche an
diesem Tag sowohl als Rück-
zugsort, als auch als Raum der
Begegnung vieler verschiedener
Menschen erlebt, vor allem aber
als Ort mit einer Geschichte, die
uns ermahnt, Frieden zu stiften
und zu erhalten. ElBaradei per-
sönlich begegnen zu können,
ihm Fragen zu stellen und zu-
hören zu können, war und ist
für mich ein unvergessliches
Erlebnis. Es fällt mir schwer, ge-
nau zu sagen, was an diesem
Tag ganz besonders besonders
war. Jeder Ort, den wir ge-
meinsam in der Frauenkirche
besucht haben, der Raum der
Stille, die Empore, die Glocken
und zuletzt die Kuppel sowie
die Zeit, die wir mit dem Frie-
densnobelpreisträger verbrin-
gen konnten, sind für mich in
ihrer eigenen Art und Stim-
mung so beeindruckend ge-
wesen.«
Anna Dorothea Uschner
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Impulse zur FriedensnobelpreisträgerredeIm Rahmen eines Abendessens im kleinen Kreis refl ektierten Staatssekretär David Gill, Botschafter Wolfgang Ischinger und Professor Dr. Volker Perthes die Friedensnobelpreisträgerrede 2014:
Preis bedachte, sondern ad personam auch die wichtigste
Einzelperson hinter der Organisation, so zum Beispiel unseren
heutigen Ehrengast, Dr. ElBaradei, der 12 Jahre lang, von 1997
bis 2009, an der Spitze der Internationalen Atomenergiebe-
hörde stand.
Wir können nicht leugnen, dass die Staaten heute oft vor He-
rausforderungen stehen, denen sie allein nicht mehr gewach-
sen sind. Multilateralität scheint daher wichtiger zu sein als je
zuvor. In einigen Fällen brauchen Staaten internationale Orga-
nisationen als Forum für Kooperation. In anderen Fällen treten
Staaten freiwillig, als vertrauensbildende Maßnahme, interna-
tionalen Organisationen bei. Multilaterale Zusammenarbeit ist
in Europa zum Garanten für Frieden und Stabilität geworden.
Der Erfolg eines multilateralen Ansatzes hängt jedoch letzt-
endlich von den Initiativen und der Bereitschaft der Staaten
ab. In diesem Geist forderte Präsident Gauck auch Deutsch-
land auf, sich international »früher, entschiedener und subs-
tanzieller einzubringen«.
Traurige Wahrheit ist, dass einige Staaten noch immer uni-
laterale Aktionen vorziehen und ihre Macht im System der
Vereinten Nationen missbrauchen. 2014 ist ein »Jahr des Ge-
denkens«. Wir werden trauriger Ereignisse gedenken wie des
100. Jahrestags des Beginns des Ersten Weltkriegs oder des
75. Jahrestags des Beginns des Zweiten Weltkriegs, aber auch
freudiger Ereignisse wie des Falls der Berliner Mauer vor 25
Jahren. Die Agenda von Präsident Gauck für dieses Jahr wird
zum erheblichen Teil vom Gedenken an diese historischen
Staatssekretär David Gill
Exzellenzen, sehr geehrte Damen und Herren.
In den letzten 15 Jahren wurden mit dem Friedensnobelpreis
bemerkenswert oft internationale Organisationen ausgezeichnet,
zum Beispiel die Vereinten Nationen (2001), die Europäische
Union (2012) oder erst kürzlich die Organisation für das Verbot
chemischer Waffen (2013). Von den insgesamt 126 Friedens-
nobelpreisen, die seit 1901 verliehen wurden, gingen 25 an
internationale staatliche oder nichtstaatliche Organisationen.
Zwei Organisationen, nämlich das Internationale Komitee des
Roten Kreuzes und das Büro des Hohen Flüchtlingskommissars
der UN, erhielten den Preis sogar mehrmals.
Ich fi nde diese Tatsachen recht interessant, zeigen sie doch,
dass jene Organisationen offenbar als die wichtigsten inter-
nationalen Friedensstifter galten bzw. gelten – zumindest zur
Zeit der Preisverleihung. Ich fi nde es auch bemerkenswert,
dass der Prozentsatz der Organisationen, die den Preis er-
hielten, im Gegensatz zu Einzelpersonen in letzter Zeit offen-
bar gestiegen ist. Man könnte daraus schlussfolgern, dass in
jüngster Zeit kollektive Anstrengungen für Frieden und Sicher-
heit erfolg reicher waren als der Einsatz Einzelner. Allerdings
ist diese Schlussfolgerung wohl nur teilweise richtig, da alle
kollektiven Maßnahmen von Einzelnen initiiert, beschlossen
und umgesetzt werden müssen.
Das ist der Grund dafür, dass das Nobelpreiskomitee in man-
chen Fällen nicht nur die Organisation als solche mit dem
M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N | 33
Daten bestimmt. Bei der Planung seiner Agenda für dieses
geschichtsträchtige Jahr hatten wir jedoch keine Vorstellung,
wie bedeutsam es in unseren Tagen werden würde, sich mit
unserer Geschichte zu befassen und aus ihr zu lernen, die Ver-
gangenheit ins Bewusstsein zu heben und damit zu Stabilität,
Sicherheit und Frieden in Europa und der Welt beizutragen.
Ich hoffe von Herzen, dass die aktuelle Ukraine-Krise auf fried-
liche Weise gelöst werden kann.
Ich glaube, dass die heute mit der Rede von Dr. ElBaradei be-
gonnene neue Veranstaltungsreihe »Friedensnobelpreisträger
in der Frauenkirche« helfen wird, das Bewusstsein zu stärken,
dass Frieden nicht für selbstverständlich genommen werden
kann, sondern aktiv erhalten und gepfl egt werden muss. Ich
bin sicher, dass die Antworten auf die Leitfrage »Was müssen
wir heute tun, um die Welt von morgen friedlicher zu machen?
voller visionärer, aber auch sehr konkreter, ergebnisorientier-
ter Maßnahmen und Vorschläge sein werden. Die Reden und
Diskussionen, die wir hören werden, werden so wie heute die
wichtigen Beiträge und Leistungen früherer Friedensnobel-
preisträger wieder in unser kollektives Gedächtnis holen und
uns Gelegenheit geben, über sie zu refl ektieren und sie als
Quelle der Inspiration für gegenwärtiges und künftiges Han-
deln zu nutzen. Die Veranstaltungen werden auch innovative
Ideen von Friedensnobelpreisträgern sichtbar machen und
– vielleicht – sogar künftige Friedensnobelpreisträger hervor-
bringen. Es könnte keinen besseren Ort für Refl exion und Ins-
piration geben als die Dresdner Frauenkirche, die ein Symbol
der Versöhnung ist.
Eure Exzellenz, sehr geehrter Herr Dr. ElBaradei,
fast vier Jahre ist es her, dass Sie im Schloss Bellevue das Bun-
desverdienstkreuz erhielten: für Ihre Rolle als Generaldirektor
der Internationalen Atomenergiebehörde und für Ihre erfolg-
reichen Bemühungen, einen wirksamen Multilateralismus in
dieser Organisation und darüber hinaus zu verwirklichen. Der
damalige Präsident Köhler nannte Sie in seiner Rede einen »Vi-
sionär für eine Menschheitsfamilie«. Die Welt braucht Visionä-
re wie Sie, und wir Deutschen sind froh, an Ihnen einen Freund
und engen Partner zu haben. Ich hoffe von Herzen, dass Ihr
Land, Ägypten, seine schwierige Übergangsphase meistern
wird.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Staatssekretär David GillDas Bundespräsidialamt wird vom Chef des
Bundespräsidalamt, Staatssekretär David Gill,
geleitet.
32 | M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N
Impulse zur FriedensnobelpreisträgerredeIm Rahmen eines Abendessens im kleinen Kreis refl ektierten Staatssekretär David Gill, Botschafter Wolfgang Ischinger und Professor Dr. Volker Perthes die Friedensnobelpreisträgerrede 2014:
Preis bedachte, sondern ad personam auch die wichtigste
Einzelperson hinter der Organisation, so zum Beispiel unseren
heutigen Ehrengast, Dr. ElBaradei, der 12 Jahre lang, von 1997
bis 2009, an der Spitze der Internationalen Atomenergiebe-
hörde stand.
Wir können nicht leugnen, dass die Staaten heute oft vor He-
rausforderungen stehen, denen sie allein nicht mehr gewach-
sen sind. Multilateralität scheint daher wichtiger zu sein als je
zuvor. In einigen Fällen brauchen Staaten internationale Orga-
nisationen als Forum für Kooperation. In anderen Fällen treten
Staaten freiwillig, als vertrauensbildende Maßnahme, interna-
tionalen Organisationen bei. Multilaterale Zusammenarbeit ist
in Europa zum Garanten für Frieden und Stabilität geworden.
Der Erfolg eines multilateralen Ansatzes hängt jedoch letzt-
endlich von den Initiativen und der Bereitschaft der Staaten
ab. In diesem Geist forderte Präsident Gauck auch Deutsch-
land auf, sich international »früher, entschiedener und subs-
tanzieller einzubringen«.
Traurige Wahrheit ist, dass einige Staaten noch immer uni-
laterale Aktionen vorziehen und ihre Macht im System der
Vereinten Nationen missbrauchen. 2014 ist ein »Jahr des Ge-
denkens«. Wir werden trauriger Ereignisse gedenken wie des
100. Jahrestags des Beginns des Ersten Weltkriegs oder des
75. Jahrestags des Beginns des Zweiten Weltkriegs, aber auch
freudiger Ereignisse wie des Falls der Berliner Mauer vor 25
Jahren. Die Agenda von Präsident Gauck für dieses Jahr wird
zum erheblichen Teil vom Gedenken an diese historischen
Staatssekretär David Gill
Exzellenzen, sehr geehrte Damen und Herren.
In den letzten 15 Jahren wurden mit dem Friedensnobelpreis
bemerkenswert oft internationale Organisationen ausgezeichnet,
zum Beispiel die Vereinten Nationen (2001), die Europäische
Union (2012) oder erst kürzlich die Organisation für das Verbot
chemischer Waffen (2013). Von den insgesamt 126 Friedens-
nobelpreisen, die seit 1901 verliehen wurden, gingen 25 an
internationale staatliche oder nichtstaatliche Organisationen.
Zwei Organisationen, nämlich das Internationale Komitee des
Roten Kreuzes und das Büro des Hohen Flüchtlingskommissars
der UN, erhielten den Preis sogar mehrmals.
Ich fi nde diese Tatsachen recht interessant, zeigen sie doch,
dass jene Organisationen offenbar als die wichtigsten inter-
nationalen Friedensstifter galten bzw. gelten – zumindest zur
Zeit der Preisverleihung. Ich fi nde es auch bemerkenswert,
dass der Prozentsatz der Organisationen, die den Preis er-
hielten, im Gegensatz zu Einzelpersonen in letzter Zeit offen-
bar gestiegen ist. Man könnte daraus schlussfolgern, dass in
jüngster Zeit kollektive Anstrengungen für Frieden und Sicher-
heit erfolg reicher waren als der Einsatz Einzelner. Allerdings
ist diese Schlussfolgerung wohl nur teilweise richtig, da alle
kollektiven Maßnahmen von Einzelnen initiiert, beschlossen
und umgesetzt werden müssen.
Das ist der Grund dafür, dass das Nobelpreiskomitee in man-
chen Fällen nicht nur die Organisation als solche mit dem
M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N | 33
Daten bestimmt. Bei der Planung seiner Agenda für dieses
geschichtsträchtige Jahr hatten wir jedoch keine Vorstellung,
wie bedeutsam es in unseren Tagen werden würde, sich mit
unserer Geschichte zu befassen und aus ihr zu lernen, die Ver-
gangenheit ins Bewusstsein zu heben und damit zu Stabilität,
Sicherheit und Frieden in Europa und der Welt beizutragen.
Ich hoffe von Herzen, dass die aktuelle Ukraine-Krise auf fried-
liche Weise gelöst werden kann.
Ich glaube, dass die heute mit der Rede von Dr. ElBaradei be-
gonnene neue Veranstaltungsreihe »Friedensnobelpreisträger
in der Frauenkirche« helfen wird, das Bewusstsein zu stärken,
dass Frieden nicht für selbstverständlich genommen werden
kann, sondern aktiv erhalten und gepfl egt werden muss. Ich
bin sicher, dass die Antworten auf die Leitfrage »Was müssen
wir heute tun, um die Welt von morgen friedlicher zu machen?
voller visionärer, aber auch sehr konkreter, ergebnisorientier-
ter Maßnahmen und Vorschläge sein werden. Die Reden und
Diskussionen, die wir hören werden, werden so wie heute die
wichtigen Beiträge und Leistungen früherer Friedensnobel-
preisträger wieder in unser kollektives Gedächtnis holen und
uns Gelegenheit geben, über sie zu refl ektieren und sie als
Quelle der Inspiration für gegenwärtiges und künftiges Han-
deln zu nutzen. Die Veranstaltungen werden auch innovative
Ideen von Friedensnobelpreisträgern sichtbar machen und
– vielleicht – sogar künftige Friedensnobelpreisträger hervor-
bringen. Es könnte keinen besseren Ort für Refl exion und Ins-
piration geben als die Dresdner Frauenkirche, die ein Symbol
der Versöhnung ist.
Eure Exzellenz, sehr geehrter Herr Dr. ElBaradei,
fast vier Jahre ist es her, dass Sie im Schloss Bellevue das Bun-
desverdienstkreuz erhielten: für Ihre Rolle als Generaldirektor
der Internationalen Atomenergiebehörde und für Ihre erfolg-
reichen Bemühungen, einen wirksamen Multilateralismus in
dieser Organisation und darüber hinaus zu verwirklichen. Der
damalige Präsident Köhler nannte Sie in seiner Rede einen »Vi-
sionär für eine Menschheitsfamilie«. Die Welt braucht Visionä-
re wie Sie, und wir Deutschen sind froh, an Ihnen einen Freund
und engen Partner zu haben. Ich hoffe von Herzen, dass Ihr
Land, Ägypten, seine schwierige Übergangsphase meistern
wird.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Staatssekretär David GillDas Bundespräsidialamt wird vom Chef des
Bundespräsidalamt, Staatssekretär David Gill,
geleitet.
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unterzubringen, müssten die nicht-ölexportierenden Länder
der Region in der nächsten Dekade über 18 Mio. Vollzeitjobs
schaffen (IWF-Schätzung 2012).
Der Einfl uss Deutschlands und der Europäischen Union ist begrenzt
Wie können wir helfen? Die Europäische Union hat zeitgleich
mit dem Arabischen Frühling ihre Nachbarschaftspolitik neu
ausgerichtet. Die Idee war, den Staaten, die sich wirtschaftlich
und politisch öffnen, umfangreichere Entwicklungshilfe, Zu-
gang zum europäischen Binnenmarkt und mehr Arbeits- und
Studentenvisa anzubieten (»more for more«). Wenn das Ziel
dieser Politik die Unterstützung einer friedlichen Demokrati-
sierung und nachträgliches Wirtschaftswachstum war, dann
müssen wir sie wohl als gescheitert erklären. Vielleicht waren
aber auch unsere ursprünglichen Erwartungen zu hoch. Die
Mitgliedsländer der EU sind seit langem uneins über den rich-
tigen Umgang mit ihren südlichen Nachbarn; die EU hat zu
wenig Ressourcen, um auf eine so große Anzahl so hetero-
gener Länder Einfl uss zu nehmen; und in Folge der Eurokri-
se ist die EU geschwächt, zu sehr mit sich selbst beschäftigt
und auch weniger großzügig ihren Nachbarn gegenüber.
Noch größere Hindernisse bestehen auf der anderen Seite
des Mittelmeers. Die Menschen in Tunesien und Ägypten sind
nicht – wie in der Ukraine – mit EU-Flaggen auf die Straße ge-
gangen. Neue, selbstbewusste arabische Regierungen sehen
die Bedingungen, die die EU an ihre Unterstützung knüpft, oft
als unwillkommene Einmischung in innere Angelegenheiten.
Und sie haben Alternativen. Saudi-Arabien, die Vereinten
Arabischen Emirate und Kuwait haben Ägypten mit fast 14
Mrd. Dollar unter die Arme gegriffen. Das hat Kairo in die
Lage versetzt, das Geld des Westens und die damit verbun-
denen Bedingungen abzulehnen. Auch Jordanien, Marokko
und Tunesien haben Unterstützung von ihren Öl-exportieren-
den Nachbarn erhalten. Algerien und Libyen, selbst Öl- und
Gasexportländer, haben ihre eigenen öffentlichen Ausgaben
Botschafter Wolfgang Ischinger
Euer Exzellenz, sehr geehrte Damen und Herren,
ich danke Ihnen für die Möglichkeit, einige weitere Gedanken
zu den wirtschaftlichen Perspektiven zu äußern. Viele Länder in
der arabischen Welt haben für ihr Streben nach Freiheit einen
hohen wirtschaftlichen Preis gezahlt. Besonders hart betroffen
sind die Länder, die nicht über Öl und andere Bodenschätze
für den Export verfügen. In den fünf Jahren vor Ausbruch des
Arabischen Frühlings wuchs das Bruttosozialprodukt in diesen
Ländern im Durchschnitt um mehr als 5 %. Seither waren es
nur noch 2 bis 3 %. Dieser Wert entspricht in etwa dem Be-
völkerungswachstum, folglich stagniert das Durchschnittsein-
kommen der Bevölkerung. Aber das Durchschnittseinkom-
men ist ein rein statisches Konstrukt. Extreme Unterschiede
in Einkommen und Wohlstand haben zu den Unruhen in der
arabischen Welt beigetragen. Diese Unterschiede sind seither
nicht kleiner geworden. In der Vergangenheit haben die Re-
gierungen der Region versucht, solchen Ungleichheiten durch
Schaffung von öffentlichen Arbeitsplätzen gegenzusteuern so-
wie durch die großzügige Subventionierung von Brennstoffen
und anderen Gütern des Grundbedarfs. Und genauso haben
sie auch auf die Ereignisse des Arabischen Frühling reagiert.
Das Resultat war eine Ausweitung der Haushaltsdefi zite und
Staatsschulden, die sich auf Dauer nicht durchhalten lässt. In
Zukunft wird nicht mehr die öffentliche Hand, sondern der
Privatsektor in dieser Region Wachstum und Arbeitsplätze
schaffen müssen. Das ist im Moment nicht der Fall. Die of-
fi zielle Arbeitslosigkeit ist in Tunesien auf 17 Prozent und in
Ägypten auf über 13 Prozent gestiegen. Noch viel schlimmer
ist die Jugendarbeitslosigkeit: Mit 25 Prozent für die gesamte
Region ist sie die höchste der Welt. Obgleich der überdurch-
schnittlich hohe Anteil an Jugendlichen (youth bulge) schon
seit fast 20 Jahre zurückgeht, drängen jedes Jahr Millionen auf
die rigiden und schlecht funktionierenden Arbeitsmärkte der
Region. Um diese Neuzugänge sowie die älteren Arbeitslosen
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massiv ausgeweitet. In diesem Umfeld kann die EU mit ihren
beschränkten Ressourcen keine Veränderungen erkaufen. Es ist
und bleibt eine gute Idee, den Ländern des Nahen Ostens und
Nordafrikas verbesserten Zugang zum europäischen Binnen-
markt zu geben. Allerdings genießen sie in den meisten Sek-
toren bereits zollfreien Zugang. Das gilt sogar für 80 Prozent
der landwirtschaftlichen Güter. Doch der bilaterale Handel ist
asymmetrisch. Für viele Länder der Region ist die EU ein wich-
tiger Handelspartner, für uns dagegen ist die Region (noch)
kein wichtiger Markt. Erfolgversprechender ist vielleicht das
direkte Engagement deutscher Firmen in der Region. In Ägyp-
ten beschäftigen mehr als 80 deutsche Unternehmen etwa
24.000 Menschen. Rund 250 deutsche Firmen sind in Tunesi-
en aktiv, vorwiegend Mittelständler. Und – im Unterschied zu
vielen französischen und italienischen Firmen in der Region –
blieben sie auch während der jüngsten politischen Unruhen
vor Ort. Diese Firmen können vielleicht zum Aufbau einer
dynamischeren Privatwirtschaft beitragen, womit ich zu mei-
nem letzten Punkt komme.
Kleine Unternehmen schaffen Arbeitsplätze
Das arabische Modell, Arbeitsplätze durch öffentliche Ausga-
ben zu schaffen, ist nicht mehr tragbar. Nur die Privatwirt-
schaft kann die Krise auf dem Arbeitsmarkt überwinden. Zwar
mangelt es der Region nicht an Firmenneugründungen, doch
den allermeisten Firmen gelingt es nicht, zu wachsen und Ar-
beitsplätze zu schaffen. Das Geschäftsumfeld ist ein Grund
dafür. In Libyen dauert eine Firmengründung zwei Monate,
und ein Anschluss an die Stromversorgung kostet das Drei-
fache eines Jahreseinkommens. In Ägypten kann man zwar in-
nerhalb von ein oder zwei Wochen eine Firma gründen; doch
dann verbringt ein Unternehmer im Durchschnitt fast 400
Stunden pro Jahr mit Steuerabrechnungen und über 1.000
Stunden mit der Durchsetzung seiner Lieferanten- und anderer
Verträge (Weltbank-Datenbank »Doing Business« 2014). Re-
gierungshandlungen sind oft eher wachstumsschädlich als
wachstumsfreundlich. Die Korruption ist ein Riesenproblem
für kleinere Firmen. Tunesien gilt als das am wenigsten korrupte
Land der Region, doch selbst Tunesien steht auf dem Index
von Transparency International an 77. Stelle, weit hinter Kuba
oder Saudi-Arabien. Marokko und Algerien folgen auf Platz 91
bzw. 94, und Ägypten sogar erst auf Platz 114. Darüber hinaus
haben alle Regierungen auf die Unruhen von 2011 mit höheren
öffentlichen Ausgaben reagiert. Die öffentliche Kreditaufnahme
verdrängt aber die Gewährung von Privatdarlehen. In der Re-
gion gehen nur 8 Prozent der Bankkredite an kleinere Firmen
(Umfrage der Weltbank / Union of Arab Banks, 2011). Es ist
daher ermutigend, dass die Europäische Union durch ihren
eigenen Haushalt und die Euroepan Investment Bank bis zu
800 Mio. Euro an Krediten für kleinere Unternehmen in der
Region bereitstellen will. Diese Unternehmen brauchen einen
soliden Finanzsektor, der ihnen helfen kann, zu investieren
und zu expandieren. Sie brauchen fl exiblere Arbeitsmärkte,
korruptionsfreie und verlässliche öffentliche Dienstleistungen
und effi ziente Steuersysteme. Auf diesen Gebieten können die
EU und Deutschland mehr Hilfe leisten – durch fachliche Be-
ratung, den Aufbau von Institutionen und die Stärkung des
Finanzsektors. Auch die nachbarschaftliche Hilfe in der Region
könnte von Regierungen auf die Privatwirtschaft umgelenkt
werden. So forderte z.B. Majid Jafar, der CEO von Crescent
Petroleum, dass die reichen Golfsstaaten einen Marshall-Plan
für die arabische Welt aufl egen. Die Gelder sollen durch Privat-
unternehmen oder Public-Private Partnerships in Infrastruktur-
projekte investiert werden.
Schlussfolgerung: Wachstum, nicht Ideologien!
In den letzten Jahren lag unser Augenmerk vor allem auf po-
litischer Instabilität und religiösem Extremismus. Es ist nun an
der Zeit, uns wieder mehr der sozio-ökonomischen Untermau-
erung eines erfolgreichen politischen Wandels zuzuwenden.
Es ist vielleicht kein Zufall, dass Tunesien – das Land, das schon
vor 2011 die besten Wirtschaftsdaten aufzuweisen hatte –
34 | M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N
unterzubringen, müssten die nicht-ölexportierenden Länder
der Region in der nächsten Dekade über 18 Mio. Vollzeitjobs
schaffen (IWF-Schätzung 2012).
Der Einfl uss Deutschlands und der Europäischen Union ist begrenzt
Wie können wir helfen? Die Europäische Union hat zeitgleich
mit dem Arabischen Frühling ihre Nachbarschaftspolitik neu
ausgerichtet. Die Idee war, den Staaten, die sich wirtschaftlich
und politisch öffnen, umfangreichere Entwicklungshilfe, Zu-
gang zum europäischen Binnenmarkt und mehr Arbeits- und
Studentenvisa anzubieten (»more for more«). Wenn das Ziel
dieser Politik die Unterstützung einer friedlichen Demokrati-
sierung und nachträgliches Wirtschaftswachstum war, dann
müssen wir sie wohl als gescheitert erklären. Vielleicht waren
aber auch unsere ursprünglichen Erwartungen zu hoch. Die
Mitgliedsländer der EU sind seit langem uneins über den rich-
tigen Umgang mit ihren südlichen Nachbarn; die EU hat zu
wenig Ressourcen, um auf eine so große Anzahl so hetero-
gener Länder Einfl uss zu nehmen; und in Folge der Eurokri-
se ist die EU geschwächt, zu sehr mit sich selbst beschäftigt
und auch weniger großzügig ihren Nachbarn gegenüber.
Noch größere Hindernisse bestehen auf der anderen Seite
des Mittelmeers. Die Menschen in Tunesien und Ägypten sind
nicht – wie in der Ukraine – mit EU-Flaggen auf die Straße ge-
gangen. Neue, selbstbewusste arabische Regierungen sehen
die Bedingungen, die die EU an ihre Unterstützung knüpft, oft
als unwillkommene Einmischung in innere Angelegenheiten.
Und sie haben Alternativen. Saudi-Arabien, die Vereinten
Arabischen Emirate und Kuwait haben Ägypten mit fast 14
Mrd. Dollar unter die Arme gegriffen. Das hat Kairo in die
Lage versetzt, das Geld des Westens und die damit verbun-
denen Bedingungen abzulehnen. Auch Jordanien, Marokko
und Tunesien haben Unterstützung von ihren Öl-exportieren-
den Nachbarn erhalten. Algerien und Libyen, selbst Öl- und
Gasexportländer, haben ihre eigenen öffentlichen Ausgaben
Botschafter Wolfgang Ischinger
Euer Exzellenz, sehr geehrte Damen und Herren,
ich danke Ihnen für die Möglichkeit, einige weitere Gedanken
zu den wirtschaftlichen Perspektiven zu äußern. Viele Länder in
der arabischen Welt haben für ihr Streben nach Freiheit einen
hohen wirtschaftlichen Preis gezahlt. Besonders hart betroffen
sind die Länder, die nicht über Öl und andere Bodenschätze
für den Export verfügen. In den fünf Jahren vor Ausbruch des
Arabischen Frühlings wuchs das Bruttosozialprodukt in diesen
Ländern im Durchschnitt um mehr als 5 %. Seither waren es
nur noch 2 bis 3 %. Dieser Wert entspricht in etwa dem Be-
völkerungswachstum, folglich stagniert das Durchschnittsein-
kommen der Bevölkerung. Aber das Durchschnittseinkom-
men ist ein rein statisches Konstrukt. Extreme Unterschiede
in Einkommen und Wohlstand haben zu den Unruhen in der
arabischen Welt beigetragen. Diese Unterschiede sind seither
nicht kleiner geworden. In der Vergangenheit haben die Re-
gierungen der Region versucht, solchen Ungleichheiten durch
Schaffung von öffentlichen Arbeitsplätzen gegenzusteuern so-
wie durch die großzügige Subventionierung von Brennstoffen
und anderen Gütern des Grundbedarfs. Und genauso haben
sie auch auf die Ereignisse des Arabischen Frühling reagiert.
Das Resultat war eine Ausweitung der Haushaltsdefi zite und
Staatsschulden, die sich auf Dauer nicht durchhalten lässt. In
Zukunft wird nicht mehr die öffentliche Hand, sondern der
Privatsektor in dieser Region Wachstum und Arbeitsplätze
schaffen müssen. Das ist im Moment nicht der Fall. Die of-
fi zielle Arbeitslosigkeit ist in Tunesien auf 17 Prozent und in
Ägypten auf über 13 Prozent gestiegen. Noch viel schlimmer
ist die Jugendarbeitslosigkeit: Mit 25 Prozent für die gesamte
Region ist sie die höchste der Welt. Obgleich der überdurch-
schnittlich hohe Anteil an Jugendlichen (youth bulge) schon
seit fast 20 Jahre zurückgeht, drängen jedes Jahr Millionen auf
die rigiden und schlecht funktionierenden Arbeitsmärkte der
Region. Um diese Neuzugänge sowie die älteren Arbeitslosen
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massiv ausgeweitet. In diesem Umfeld kann die EU mit ihren
beschränkten Ressourcen keine Veränderungen erkaufen. Es ist
und bleibt eine gute Idee, den Ländern des Nahen Ostens und
Nordafrikas verbesserten Zugang zum europäischen Binnen-
markt zu geben. Allerdings genießen sie in den meisten Sek-
toren bereits zollfreien Zugang. Das gilt sogar für 80 Prozent
der landwirtschaftlichen Güter. Doch der bilaterale Handel ist
asymmetrisch. Für viele Länder der Region ist die EU ein wich-
tiger Handelspartner, für uns dagegen ist die Region (noch)
kein wichtiger Markt. Erfolgversprechender ist vielleicht das
direkte Engagement deutscher Firmen in der Region. In Ägyp-
ten beschäftigen mehr als 80 deutsche Unternehmen etwa
24.000 Menschen. Rund 250 deutsche Firmen sind in Tunesi-
en aktiv, vorwiegend Mittelständler. Und – im Unterschied zu
vielen französischen und italienischen Firmen in der Region –
blieben sie auch während der jüngsten politischen Unruhen
vor Ort. Diese Firmen können vielleicht zum Aufbau einer
dynamischeren Privatwirtschaft beitragen, womit ich zu mei-
nem letzten Punkt komme.
Kleine Unternehmen schaffen Arbeitsplätze
Das arabische Modell, Arbeitsplätze durch öffentliche Ausga-
ben zu schaffen, ist nicht mehr tragbar. Nur die Privatwirt-
schaft kann die Krise auf dem Arbeitsmarkt überwinden. Zwar
mangelt es der Region nicht an Firmenneugründungen, doch
den allermeisten Firmen gelingt es nicht, zu wachsen und Ar-
beitsplätze zu schaffen. Das Geschäftsumfeld ist ein Grund
dafür. In Libyen dauert eine Firmengründung zwei Monate,
und ein Anschluss an die Stromversorgung kostet das Drei-
fache eines Jahreseinkommens. In Ägypten kann man zwar in-
nerhalb von ein oder zwei Wochen eine Firma gründen; doch
dann verbringt ein Unternehmer im Durchschnitt fast 400
Stunden pro Jahr mit Steuerabrechnungen und über 1.000
Stunden mit der Durchsetzung seiner Lieferanten- und anderer
Verträge (Weltbank-Datenbank »Doing Business« 2014). Re-
gierungshandlungen sind oft eher wachstumsschädlich als
wachstumsfreundlich. Die Korruption ist ein Riesenproblem
für kleinere Firmen. Tunesien gilt als das am wenigsten korrupte
Land der Region, doch selbst Tunesien steht auf dem Index
von Transparency International an 77. Stelle, weit hinter Kuba
oder Saudi-Arabien. Marokko und Algerien folgen auf Platz 91
bzw. 94, und Ägypten sogar erst auf Platz 114. Darüber hinaus
haben alle Regierungen auf die Unruhen von 2011 mit höheren
öffentlichen Ausgaben reagiert. Die öffentliche Kreditaufnahme
verdrängt aber die Gewährung von Privatdarlehen. In der Re-
gion gehen nur 8 Prozent der Bankkredite an kleinere Firmen
(Umfrage der Weltbank / Union of Arab Banks, 2011). Es ist
daher ermutigend, dass die Europäische Union durch ihren
eigenen Haushalt und die Euroepan Investment Bank bis zu
800 Mio. Euro an Krediten für kleinere Unternehmen in der
Region bereitstellen will. Diese Unternehmen brauchen einen
soliden Finanzsektor, der ihnen helfen kann, zu investieren
und zu expandieren. Sie brauchen fl exiblere Arbeitsmärkte,
korruptionsfreie und verlässliche öffentliche Dienstleistungen
und effi ziente Steuersysteme. Auf diesen Gebieten können die
EU und Deutschland mehr Hilfe leisten – durch fachliche Be-
ratung, den Aufbau von Institutionen und die Stärkung des
Finanzsektors. Auch die nachbarschaftliche Hilfe in der Region
könnte von Regierungen auf die Privatwirtschaft umgelenkt
werden. So forderte z.B. Majid Jafar, der CEO von Crescent
Petroleum, dass die reichen Golfsstaaten einen Marshall-Plan
für die arabische Welt aufl egen. Die Gelder sollen durch Privat-
unternehmen oder Public-Private Partnerships in Infrastruktur-
projekte investiert werden.
Schlussfolgerung: Wachstum, nicht Ideologien!
In den letzten Jahren lag unser Augenmerk vor allem auf po-
litischer Instabilität und religiösem Extremismus. Es ist nun an
der Zeit, uns wieder mehr der sozio-ökonomischen Untermau-
erung eines erfolgreichen politischen Wandels zuzuwenden.
Es ist vielleicht kein Zufall, dass Tunesien – das Land, das schon
vor 2011 die besten Wirtschaftsdaten aufzuweisen hatte –
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Wolfgang Ischinger Botschafter Wolfgang Ischinger ist Vor-
sitzender der Münchner Sicherheitskon-
ferenz und Generalbevollmächtigter für
Regierungsbeziehungen bei der Allianz SE.
auch in der politischen Umgestaltung bisher am erfolgreichs-
ten war. Der Weg zu einer nachhaltigen wirtschaftlichen Ent-
wicklung wird lang und beschwerlich sein. Die Erwartungen
sind hoch. Die Regierungen stehen unter extremem Druck,
schnelle Ergebnisse zu liefern. Und natürlich sind Wirtschafts-
wachstum und Arbeitsplätze keine hinreichenden, wohl aber
notwendige Bedingungen für eine erfolgreiche politische Um-
gestaltung. Das Gegenteil von Mut ist die Entmutigung. Das
darf uns nicht passieren. Veranstaltungen wie diese, bei de-
nen Staatsmänner wie Mohamed ElBaradei ihre Visionen für
Frieden und Prosperität teilen, sind dafür unentbehrlich. Ich
hoffe, dass diese Reihe von Reden hier in der Frauenkirche –
einem Symbol für den »Wiederaufbau des Friedens« aus der
Asche von Krieg und Konfl ikten – im Laufe der Zeit so etwas
wie Lindau für die Nobelpreisträger wird.
M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N | 37
Polarisierung bzw. Konfrontation zwischen Russland und dem
Westen auf den Nahen Osten auswirken, und das sicherlich
nicht positiv. Zudem wird sie sich auch auf unsere Bemühungen
auswirken, dem Nahen Osten zu etwas mehr Frieden zu ver-
helfen. Dieser Gedanke bringt mich nun mitten in das Thema
hinein, über das ich gebeten wurde, zu sprechen.
Obwohl ich darauf hinwies, dass die Konfrontation zwischen
Russland und dem Westen sich auf den Nahen Osten auswir-
ken wird, muss uns klar sein, dass die Turbulenzen, die wir
seit mindestens 2011 im Nahen Osten erleben, nichts mit dem
Konfl ikt der Großmächte zu tun haben. Es geht hier nicht um
einen (Stellvertreter-)Streit der Großmächte. Es ist im Wesent-
lichen und hauptsächlich ein Ringen innerhalb der Gesell-
schaften oder zwischen Gesellschaft und staatlicher Autorität.
Es ist ein Kampf gegen den alten, autoritär gestalteten Gesell-
schaftsvertrag, der nicht mehr funktioniert. Es ist ein Kampf
um Würde, ein Ringen um Gerechtigkeit, das Ringen einer
Generation zugunsten einer gerechten Teilhabe, von der die
Menschen meinen und erlebt haben, dass sie ihnen vorenthal-
ten wird. Und wenn wir darüber sprechen wollen, was getan
werden muss, um eine friedlichere Welt zu gestalten, oder zu-
mindest zu einer friedlicheren arabischen Region und einem
friedlicheren Nahen Osten beizutragen, dann geht es natür-
lich um wirtschaftliche und soziale Entwicklung, insbesondere
für diese junge, starke Generation, die einerseits besser ausge-
bildet ist als ihre Väter, jedoch andererseits weniger Chancen,
weniger Möglichkeiten hat als diese. Wenn diese neue Gene-
ration keine gerechte Teilhabe bekommt, dann stehen wir vor
weiteren zwei Jahrzehnten voller Turbulenzen im Nahen Osten
und darüber hinaus. Nicht nur in Ägypten, in Syrien und in
Libyen – den Ländern, in denen wir bereits Unruhen oder so-
gar Bürgerkriege gesehen haben –, sondern auch in Ländern,
die von diesen Turbulenzen bislang nicht betroffen waren oder
zumindest nicht betroffen schienen. Überlegen Sie nur einmal,
ob Sie sich vorstellen können, dass der Iran – oder alternativ
auch Saudi-Arabien – in zwanzig Jahren noch genau so ausse-
Prof. Dr. Volker Perthes
Herr Landesbischof, Herr Mohamed ElBaradei, Herr Minister-
präsident, Exzellenzen, meine Damen und Herren,
wie Wolfgang Ischinger wurde ich gebeten, über den Nahen
Osten zu sprechen, und ebenso wie Wolfgang Ischinger fällt
es mir schwer davon abzusehen, ein paar Worte über die ak-
tuelle Situation zu verlieren, die wir im viel näheren Osten als
dem Nahen Osten derzeit erleben. Ich werde über den Nahen
Osten sprechen, doch gestatten Sie mir zunächst drei kurze
Anmerkungen zur aktuellen Situation in der Ukraine:
Seit einigen Tagen habe ich das Gefühl – und das knüpft ein
wenig an das an, was Wolfgang Ischinger sagte – dass einige
politische Entscheidungsträger in Russland, aber nicht nur in
Russland, sich mit der Aussicht eines erneuten Kalten Krieges
recht wohl fühlen. Dies erscheint einfach – nicht so komplex
wie die eng miteinander verbundene, globalisierte, interde-
pendente Welt, in der wir leben – und manchen gefällt wohl
die Vorstellung, dass sie wissen, wie diese einfache Welt zu
handhaben wäre. Sie unterschätzen vermutlich, wie schwierig
der Kalte Krieg tatsächlich war. Und der Hauptgrund hierfür
könnte sein, dass politische Entscheidungsträger Komplexität
nicht übermäßig schätzen. Ich vermute, dass Sie, Mohamed
ElBaradei, dies in Ihren verschiedenen Funktionen als General-
direktor der IAEO wie auch als Politiker – wenn auch nur für
kurze Zeit – in Ägypten erfahren haben.
Meine zweite Anmerkung zielt auf den Fakt, dass die Ukraine
ein Land ist, dessen Kernwaffen abgebaut wurden, das freiwil-
lig seine Kernwaffen aufgegeben hat. Und mittlerweile ist das
Land diesbezüglich abgerüstet. Ich weiß nicht, was das für die
Zukunft der Nonproliferation bedeutet oder welche Lehren an-
dere Länder daraus ziehen. Sie könnten denken, dass sie mehr
Sicherheit und mehr Rüstung benötigen, wenn sie sehen, was
in der Ukraine passiert. Und drittens wird sich die derzeitige
36 | M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N
Wolfgang Ischinger Botschafter Wolfgang Ischinger ist Vor-
sitzender der Münchner Sicherheitskon-
ferenz und Generalbevollmächtigter für
Regierungsbeziehungen bei der Allianz SE.
auch in der politischen Umgestaltung bisher am erfolgreichs-
ten war. Der Weg zu einer nachhaltigen wirtschaftlichen Ent-
wicklung wird lang und beschwerlich sein. Die Erwartungen
sind hoch. Die Regierungen stehen unter extremem Druck,
schnelle Ergebnisse zu liefern. Und natürlich sind Wirtschafts-
wachstum und Arbeitsplätze keine hinreichenden, wohl aber
notwendige Bedingungen für eine erfolgreiche politische Um-
gestaltung. Das Gegenteil von Mut ist die Entmutigung. Das
darf uns nicht passieren. Veranstaltungen wie diese, bei de-
nen Staatsmänner wie Mohamed ElBaradei ihre Visionen für
Frieden und Prosperität teilen, sind dafür unentbehrlich. Ich
hoffe, dass diese Reihe von Reden hier in der Frauenkirche –
einem Symbol für den »Wiederaufbau des Friedens« aus der
Asche von Krieg und Konfl ikten – im Laufe der Zeit so etwas
wie Lindau für die Nobelpreisträger wird.
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Polarisierung bzw. Konfrontation zwischen Russland und dem
Westen auf den Nahen Osten auswirken, und das sicherlich
nicht positiv. Zudem wird sie sich auch auf unsere Bemühungen
auswirken, dem Nahen Osten zu etwas mehr Frieden zu ver-
helfen. Dieser Gedanke bringt mich nun mitten in das Thema
hinein, über das ich gebeten wurde, zu sprechen.
Obwohl ich darauf hinwies, dass die Konfrontation zwischen
Russland und dem Westen sich auf den Nahen Osten auswir-
ken wird, muss uns klar sein, dass die Turbulenzen, die wir
seit mindestens 2011 im Nahen Osten erleben, nichts mit dem
Konfl ikt der Großmächte zu tun haben. Es geht hier nicht um
einen (Stellvertreter-)Streit der Großmächte. Es ist im Wesent-
lichen und hauptsächlich ein Ringen innerhalb der Gesell-
schaften oder zwischen Gesellschaft und staatlicher Autorität.
Es ist ein Kampf gegen den alten, autoritär gestalteten Gesell-
schaftsvertrag, der nicht mehr funktioniert. Es ist ein Kampf
um Würde, ein Ringen um Gerechtigkeit, das Ringen einer
Generation zugunsten einer gerechten Teilhabe, von der die
Menschen meinen und erlebt haben, dass sie ihnen vorenthal-
ten wird. Und wenn wir darüber sprechen wollen, was getan
werden muss, um eine friedlichere Welt zu gestalten, oder zu-
mindest zu einer friedlicheren arabischen Region und einem
friedlicheren Nahen Osten beizutragen, dann geht es natür-
lich um wirtschaftliche und soziale Entwicklung, insbesondere
für diese junge, starke Generation, die einerseits besser ausge-
bildet ist als ihre Väter, jedoch andererseits weniger Chancen,
weniger Möglichkeiten hat als diese. Wenn diese neue Gene-
ration keine gerechte Teilhabe bekommt, dann stehen wir vor
weiteren zwei Jahrzehnten voller Turbulenzen im Nahen Osten
und darüber hinaus. Nicht nur in Ägypten, in Syrien und in
Libyen – den Ländern, in denen wir bereits Unruhen oder so-
gar Bürgerkriege gesehen haben –, sondern auch in Ländern,
die von diesen Turbulenzen bislang nicht betroffen waren oder
zumindest nicht betroffen schienen. Überlegen Sie nur einmal,
ob Sie sich vorstellen können, dass der Iran – oder alternativ
auch Saudi-Arabien – in zwanzig Jahren noch genau so ausse-
Prof. Dr. Volker Perthes
Herr Landesbischof, Herr Mohamed ElBaradei, Herr Minister-
präsident, Exzellenzen, meine Damen und Herren,
wie Wolfgang Ischinger wurde ich gebeten, über den Nahen
Osten zu sprechen, und ebenso wie Wolfgang Ischinger fällt
es mir schwer davon abzusehen, ein paar Worte über die ak-
tuelle Situation zu verlieren, die wir im viel näheren Osten als
dem Nahen Osten derzeit erleben. Ich werde über den Nahen
Osten sprechen, doch gestatten Sie mir zunächst drei kurze
Anmerkungen zur aktuellen Situation in der Ukraine:
Seit einigen Tagen habe ich das Gefühl – und das knüpft ein
wenig an das an, was Wolfgang Ischinger sagte – dass einige
politische Entscheidungsträger in Russland, aber nicht nur in
Russland, sich mit der Aussicht eines erneuten Kalten Krieges
recht wohl fühlen. Dies erscheint einfach – nicht so komplex
wie die eng miteinander verbundene, globalisierte, interde-
pendente Welt, in der wir leben – und manchen gefällt wohl
die Vorstellung, dass sie wissen, wie diese einfache Welt zu
handhaben wäre. Sie unterschätzen vermutlich, wie schwierig
der Kalte Krieg tatsächlich war. Und der Hauptgrund hierfür
könnte sein, dass politische Entscheidungsträger Komplexität
nicht übermäßig schätzen. Ich vermute, dass Sie, Mohamed
ElBaradei, dies in Ihren verschiedenen Funktionen als General-
direktor der IAEO wie auch als Politiker – wenn auch nur für
kurze Zeit – in Ägypten erfahren haben.
Meine zweite Anmerkung zielt auf den Fakt, dass die Ukraine
ein Land ist, dessen Kernwaffen abgebaut wurden, das freiwil-
lig seine Kernwaffen aufgegeben hat. Und mittlerweile ist das
Land diesbezüglich abgerüstet. Ich weiß nicht, was das für die
Zukunft der Nonproliferation bedeutet oder welche Lehren an-
dere Länder daraus ziehen. Sie könnten denken, dass sie mehr
Sicherheit und mehr Rüstung benötigen, wenn sie sehen, was
in der Ukraine passiert. Und drittens wird sich die derzeitige
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hen wie heute. Obwohl wir uns das nicht wirklich vorstellen
können, so wissen wir doch nicht, wie sich diese Länder ver-
ändern werden. Wird es Reformen von oben geben? Wird es
keine Reformen und Unterdrückung geben? Wird es Kämpfe
geben, vielleicht sogar Bürgerkriege? Wir können diese Fra-
gen heute nicht mit Gewissheit beantworten, aber wir wissen,
dass diese Länder anders aussehen werden als heute. Damit
ist aber auch klar, dass den Staaten ein, wahrscheinlich sogar
zwei Jahrzehnte voller Turbulenzen bevorstehen.
Ich möchte vor allem ein Land in den Fokus meiner Betrach-
tungen nehmen, ein Land, das mir persönlich sehr am Herzen
liegt, und das ist Syrien: Es ist das Land im Nahen Osten, das
auch Mohamed ElBaradei in seinem Vortrag in der Frauenkir-
che in der vergangenen Stunde gesondert angesprochen hat.
Ich glaube, dass wir über den Konfl ikt in Syrien sprechen müs-
sen – nicht nur, weil er eine so große humanitäre Tragödie ist,
sondern weil Syrien tatsächlich entscheidend für die weiteren
Entwicklungen in der Region geworden ist. Je länger der Krieg
in Syrien andauert, desto wahrscheinlicher wird es, dass Syrien
auseinanderbricht und es wird niemanden geben, der es wie-
der zusammenbringen kann. Dies wird nicht nur geopolitische
Folgen haben, es wird auch – ich weiß noch nicht einmal, ob es
diesen Begriff eigentlich gibt – »geokulturelle« Folgen haben.
Geopolitisch wurde bereits viel zu Syrien gesagt, und es ist
ziemlich klar, dass, wenn Syrien auseinanderfällt, dies auch ei-
nen Zerfall der nach dem Ersten Weltkrieg entstandenen bzw.
post-osmanischen Staatsordnungen bedeutet, zumindest aber
des Staatssystems im arabischen Osten. Die syrischen Gren-
zen sind bereits in Aufl ösung begriffen. Es gibt schon heute
weder klaren Grenzen zwischen Syrien und dem Irak, noch
zwischen Syrien und dem Libanon. Und so müssen wir uns
auf eine Zone voller Chaos einstellen und auf eine Situation,
die sich grundlegend von dem Staatensystem unterscheidet,
das seit dem Ende des ersten Weltkriegs vorherrschte. Diesmal
wird es allerdings keine externen Mächte geben, die eine neue
Ordnung für die Region festlegen und umsetzen. Es wird dort
keine internationale Intervention geben, die eine neue Staats-
ordnung schafft und die Region wird sich selbst überlassen
bleiben. Ob das als gut oder schlecht bewertet werden muss,
bleibt Ihnen überlassen.
Doch über die Geopolitik hinaus gibt es auch noch etwas, das
ich als die »geokulturelle« Auswirkung, speziell des Bürger-
kriegs in Syrien bezeichne. Wenn Syrien zerfällt, wenn es in
Stücke zerbricht und in Herrschaftsgebiete von Kriegsherren
aufgeteilt werden sollte, dann wird, so glaube ich, das Konzept
eines multi-konfessionellen und multi-ethnischen Staates im
Nahen und Nahen und Mittleren Osten verloren sein. Syrien
war ein grundsätzlich multi-ethnischer, multi-konfessioneller
Staat. Es wurde in den letzten Jahrzehnten sehr schlecht re-
giert, blieb aber multi-konfessionell. Wenn Syrien also zerfällt,
dann wird es keine multi-konfessionellen Staaten mehr im
arabischen Osten geben. Was bestenfalls bleibt, ist eine Form
eher asymmetrischer Toleranz gegenüber Minderheiten. To-
leranz ist jedoch etwas grundlegend anderes als Bürgerrecht.
Toleranz bedeutet keine Gleichberechtigung, Toleranz läuft
darauf hinaus, dass eine dominierende Glaubensrichtung oder
eine dominierende Gemeinschaft anderen gestatten würde,
bis zu einem gewissen Grad auch in ihrem Herrschaftsgebiet
zu sein und dort zu leben.
Können wir also den Krieg in Syrien beenden? Natürlich kann
der Krieg enden, und er wird irgendwann enden, doch wenn
wir das in kürzerer Zeit herbeiführen wollen, dann bedarf es
zumindest eines Minimalkonsens im Hinblick auf drei zentrale
Punkte:
Erstens müssen lokale, regionale und internationale Entschei-
dungsträger erkennen, dass das derzeitige Staatssystem im
arabischen Osten nur bei einer Beendigung der Kämpfe in
Syrien erhalten bleiben wird. Endet der Krieg nicht und endet
er nicht bald, dann wird auch das Staatssystem im arabischen
Osten zerfallen und zersplittern. Zweitens - und womöglich
M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N | 39
noch problematischer - ist es, dass diejenigen, die den Kampf
von innen oder von außen fortsetzen wollen, erkennen, dass
es keiner der syrischen Konfl iktparteien gelingen wird, einen
militärischen Sieg zu erreichen und zugleich den Staat Syri-
en zu erhalten. Ein militärischer Sieg kann möglicherweise
in Teilen des Gebietes, des Landes errungen werden, aber es
ist unmöglich, einen militärischen Sieg zu erreichen und den
Staat, so wie er ist, zu erhalten. Zu guter Letzt: Zweifellos ist
es nützlich, die Mission von Lakhdar Brahimi als UN-Sonder-
beauftragtem weiterzuführen und die Parteien zu einer drit-
ten Genfer Konferenz einzuladen. Ebenso müssen wir jedoch
auch erkennen, dass dieses Konzentrieren auf die Beziehung
zwischen Regierung und Opposition feststeckt und sich keine
Fortschritte ergeben werden, wenn dies nicht durch eine Art
gesellschaftlichen Konsens unterstützt wird, wenn nicht auch
irgendwo außerhalb des Landes ein Zusammentreffen glaub-
würdiger Repräsentanten des syrischen Volkes aus allen un-
terschiedlichen Regionen stattfi ndet. Unterschiedliche Regio-
nen bedeuten auch unterschiedliche Glaubensrichtungen und
unterschiedliche Ethnien, die zusammentreffen und sich in
einer Mediation zusammenfi nden. Ich könnte mir vorstellen,
dass Martti Ahtisaari eine Persönlichkeit wäre, die eine solche
Gruppe zusammenbringen und die notwendigen Mediations-
prozesse leiten könnte. Er hat erhebliche Erfahrung in der Me-
diation und seine professionellen Kenntnisse würden dringend
benötigt: Die diversen syrischen Interessensgruppen müssen
also zusammenkommen und miteinander besprechen, ob sie
noch in einem gemeinsamen Land leben wollen, und auf wel-
cher Verfassungsgrundlage dieses Land basieren sollte. Ein sol-
cher Prozess müsste durch parallele Abkommen sowohl zwi-
schen den USA und Russland als auch zwischen Saudi-Arabien
und dem Iran fl ankiert werden, damit er funktionieren kann.
Diese Begleitabkommen zu erreichen scheint allerdings von
Woche zu Woche schwieriger zu werden. Das heißt nun aber
nicht, dass man aufgeben sollte, und ich wäre ein schlechter
politischer Berater, wenn ich sagen würde: »Ach, macht euch
doch keine Mühe, es klappt sowieso nicht!« Meiner Meinung
nach sollten wir uns weiterhin darum bemühen, dass es funk-
tioniert. Und deshalb lassen Sie mich mit zwei Empfehlungen
schließen, die sich gewissermaßen an uns selber richten – wo-
bei mit »uns« wir in Deutschland, wir in Europa oder wir in
den Vereinten Nationen gemeint sind, je nachdem, wie Sie das
defi nieren möchten.
Die erste Empfehlung ist die, dass wir den Konfl ikt in Syrien
nicht noch weiter geopolitisieren dürfen. In diesem Konfl ikt
in Syrien geht es nicht um uns. Es geht nicht darum, dass wir,
Russland, der Iran oder die Saudis gewinnen. Es geht um die
Notwendigkeit der Aufteilung von Macht, darum inklusive Lö-
sungen zu fi nden und das Töten zu beenden. Und dafür – ob
uns das nun gefällt oder nicht – brauchen wir nach wie vor die
Kooperation mit unseren russischen Partnern und Kollegen;
wir brauchen nach wie vor eine Kooperation mit dem Iran. Es
wird schwieriger werden als es bereits vor einem Monat war.
Aber es ist dennoch notwendig.
Die zweite Empfehlung lautet, das fortzusetzen, woran Mo-
hamed ElBaradei schon seit langem arbeitet: Wir müssen uns
noch viel stärker darum bemühen, den Konfl ikt mit dem Iran
um sein Atomprogramm zu lösen. Ich denke, wir haben im
Laufe der vergangen zehn Jahre unter Einsatz einer sehr ge-
wissenhaften Politik, allen voran seitens der Europäer, die sich
bemühten, die Amerikaner und andere ins Boot zu holen, ei-
niges erreicht. Es wird nach wie vor kompliziert bleiben. Und
ich bin mir nicht so sicher, dass Russland daran interessiert ist,
den Iran wieder am Weltmarkt für Erdgas und Erdöl zu haben,
heute noch viel weniger als möglicherweise noch vor einiger
Zeit. Dennoch müssen wir das weiterführen: Wir müssen die
bilateralen Gespräche zwischen den westlichen Mächten und
dem Iran weiterführen. Denn wenn wir in diesem Zusammen-
hang irgendeine Art der Verständigung mit dem Iran errei-
chen, die uns zumindest eine gewisse Sicherheit hinsichtlich
der Beschränkungen und bezüglich der Transparenz im irani-
schen Atomprogramm gewährt, dann könnte es wieder ein
38 | M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N
hen wie heute. Obwohl wir uns das nicht wirklich vorstellen
können, so wissen wir doch nicht, wie sich diese Länder ver-
ändern werden. Wird es Reformen von oben geben? Wird es
keine Reformen und Unterdrückung geben? Wird es Kämpfe
geben, vielleicht sogar Bürgerkriege? Wir können diese Fra-
gen heute nicht mit Gewissheit beantworten, aber wir wissen,
dass diese Länder anders aussehen werden als heute. Damit
ist aber auch klar, dass den Staaten ein, wahrscheinlich sogar
zwei Jahrzehnte voller Turbulenzen bevorstehen.
Ich möchte vor allem ein Land in den Fokus meiner Betrach-
tungen nehmen, ein Land, das mir persönlich sehr am Herzen
liegt, und das ist Syrien: Es ist das Land im Nahen Osten, das
auch Mohamed ElBaradei in seinem Vortrag in der Frauenkir-
che in der vergangenen Stunde gesondert angesprochen hat.
Ich glaube, dass wir über den Konfl ikt in Syrien sprechen müs-
sen – nicht nur, weil er eine so große humanitäre Tragödie ist,
sondern weil Syrien tatsächlich entscheidend für die weiteren
Entwicklungen in der Region geworden ist. Je länger der Krieg
in Syrien andauert, desto wahrscheinlicher wird es, dass Syrien
auseinanderbricht und es wird niemanden geben, der es wie-
der zusammenbringen kann. Dies wird nicht nur geopolitische
Folgen haben, es wird auch – ich weiß noch nicht einmal, ob es
diesen Begriff eigentlich gibt – »geokulturelle« Folgen haben.
Geopolitisch wurde bereits viel zu Syrien gesagt, und es ist
ziemlich klar, dass, wenn Syrien auseinanderfällt, dies auch ei-
nen Zerfall der nach dem Ersten Weltkrieg entstandenen bzw.
post-osmanischen Staatsordnungen bedeutet, zumindest aber
des Staatssystems im arabischen Osten. Die syrischen Gren-
zen sind bereits in Aufl ösung begriffen. Es gibt schon heute
weder klaren Grenzen zwischen Syrien und dem Irak, noch
zwischen Syrien und dem Libanon. Und so müssen wir uns
auf eine Zone voller Chaos einstellen und auf eine Situation,
die sich grundlegend von dem Staatensystem unterscheidet,
das seit dem Ende des ersten Weltkriegs vorherrschte. Diesmal
wird es allerdings keine externen Mächte geben, die eine neue
Ordnung für die Region festlegen und umsetzen. Es wird dort
keine internationale Intervention geben, die eine neue Staats-
ordnung schafft und die Region wird sich selbst überlassen
bleiben. Ob das als gut oder schlecht bewertet werden muss,
bleibt Ihnen überlassen.
Doch über die Geopolitik hinaus gibt es auch noch etwas, das
ich als die »geokulturelle« Auswirkung, speziell des Bürger-
kriegs in Syrien bezeichne. Wenn Syrien zerfällt, wenn es in
Stücke zerbricht und in Herrschaftsgebiete von Kriegsherren
aufgeteilt werden sollte, dann wird, so glaube ich, das Konzept
eines multi-konfessionellen und multi-ethnischen Staates im
Nahen und Nahen und Mittleren Osten verloren sein. Syrien
war ein grundsätzlich multi-ethnischer, multi-konfessioneller
Staat. Es wurde in den letzten Jahrzehnten sehr schlecht re-
giert, blieb aber multi-konfessionell. Wenn Syrien also zerfällt,
dann wird es keine multi-konfessionellen Staaten mehr im
arabischen Osten geben. Was bestenfalls bleibt, ist eine Form
eher asymmetrischer Toleranz gegenüber Minderheiten. To-
leranz ist jedoch etwas grundlegend anderes als Bürgerrecht.
Toleranz bedeutet keine Gleichberechtigung, Toleranz läuft
darauf hinaus, dass eine dominierende Glaubensrichtung oder
eine dominierende Gemeinschaft anderen gestatten würde,
bis zu einem gewissen Grad auch in ihrem Herrschaftsgebiet
zu sein und dort zu leben.
Können wir also den Krieg in Syrien beenden? Natürlich kann
der Krieg enden, und er wird irgendwann enden, doch wenn
wir das in kürzerer Zeit herbeiführen wollen, dann bedarf es
zumindest eines Minimalkonsens im Hinblick auf drei zentrale
Punkte:
Erstens müssen lokale, regionale und internationale Entschei-
dungsträger erkennen, dass das derzeitige Staatssystem im
arabischen Osten nur bei einer Beendigung der Kämpfe in
Syrien erhalten bleiben wird. Endet der Krieg nicht und endet
er nicht bald, dann wird auch das Staatssystem im arabischen
Osten zerfallen und zersplittern. Zweitens - und womöglich
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noch problematischer - ist es, dass diejenigen, die den Kampf
von innen oder von außen fortsetzen wollen, erkennen, dass
es keiner der syrischen Konfl iktparteien gelingen wird, einen
militärischen Sieg zu erreichen und zugleich den Staat Syri-
en zu erhalten. Ein militärischer Sieg kann möglicherweise
in Teilen des Gebietes, des Landes errungen werden, aber es
ist unmöglich, einen militärischen Sieg zu erreichen und den
Staat, so wie er ist, zu erhalten. Zu guter Letzt: Zweifellos ist
es nützlich, die Mission von Lakhdar Brahimi als UN-Sonder-
beauftragtem weiterzuführen und die Parteien zu einer drit-
ten Genfer Konferenz einzuladen. Ebenso müssen wir jedoch
auch erkennen, dass dieses Konzentrieren auf die Beziehung
zwischen Regierung und Opposition feststeckt und sich keine
Fortschritte ergeben werden, wenn dies nicht durch eine Art
gesellschaftlichen Konsens unterstützt wird, wenn nicht auch
irgendwo außerhalb des Landes ein Zusammentreffen glaub-
würdiger Repräsentanten des syrischen Volkes aus allen un-
terschiedlichen Regionen stattfi ndet. Unterschiedliche Regio-
nen bedeuten auch unterschiedliche Glaubensrichtungen und
unterschiedliche Ethnien, die zusammentreffen und sich in
einer Mediation zusammenfi nden. Ich könnte mir vorstellen,
dass Martti Ahtisaari eine Persönlichkeit wäre, die eine solche
Gruppe zusammenbringen und die notwendigen Mediations-
prozesse leiten könnte. Er hat erhebliche Erfahrung in der Me-
diation und seine professionellen Kenntnisse würden dringend
benötigt: Die diversen syrischen Interessensgruppen müssen
also zusammenkommen und miteinander besprechen, ob sie
noch in einem gemeinsamen Land leben wollen, und auf wel-
cher Verfassungsgrundlage dieses Land basieren sollte. Ein sol-
cher Prozess müsste durch parallele Abkommen sowohl zwi-
schen den USA und Russland als auch zwischen Saudi-Arabien
und dem Iran fl ankiert werden, damit er funktionieren kann.
Diese Begleitabkommen zu erreichen scheint allerdings von
Woche zu Woche schwieriger zu werden. Das heißt nun aber
nicht, dass man aufgeben sollte, und ich wäre ein schlechter
politischer Berater, wenn ich sagen würde: »Ach, macht euch
doch keine Mühe, es klappt sowieso nicht!« Meiner Meinung
nach sollten wir uns weiterhin darum bemühen, dass es funk-
tioniert. Und deshalb lassen Sie mich mit zwei Empfehlungen
schließen, die sich gewissermaßen an uns selber richten – wo-
bei mit »uns« wir in Deutschland, wir in Europa oder wir in
den Vereinten Nationen gemeint sind, je nachdem, wie Sie das
defi nieren möchten.
Die erste Empfehlung ist die, dass wir den Konfl ikt in Syrien
nicht noch weiter geopolitisieren dürfen. In diesem Konfl ikt
in Syrien geht es nicht um uns. Es geht nicht darum, dass wir,
Russland, der Iran oder die Saudis gewinnen. Es geht um die
Notwendigkeit der Aufteilung von Macht, darum inklusive Lö-
sungen zu fi nden und das Töten zu beenden. Und dafür – ob
uns das nun gefällt oder nicht – brauchen wir nach wie vor die
Kooperation mit unseren russischen Partnern und Kollegen;
wir brauchen nach wie vor eine Kooperation mit dem Iran. Es
wird schwieriger werden als es bereits vor einem Monat war.
Aber es ist dennoch notwendig.
Die zweite Empfehlung lautet, das fortzusetzen, woran Mo-
hamed ElBaradei schon seit langem arbeitet: Wir müssen uns
noch viel stärker darum bemühen, den Konfl ikt mit dem Iran
um sein Atomprogramm zu lösen. Ich denke, wir haben im
Laufe der vergangen zehn Jahre unter Einsatz einer sehr ge-
wissenhaften Politik, allen voran seitens der Europäer, die sich
bemühten, die Amerikaner und andere ins Boot zu holen, ei-
niges erreicht. Es wird nach wie vor kompliziert bleiben. Und
ich bin mir nicht so sicher, dass Russland daran interessiert ist,
den Iran wieder am Weltmarkt für Erdgas und Erdöl zu haben,
heute noch viel weniger als möglicherweise noch vor einiger
Zeit. Dennoch müssen wir das weiterführen: Wir müssen die
bilateralen Gespräche zwischen den westlichen Mächten und
dem Iran weiterführen. Denn wenn wir in diesem Zusammen-
hang irgendeine Art der Verständigung mit dem Iran errei-
chen, die uns zumindest eine gewisse Sicherheit hinsichtlich
der Beschränkungen und bezüglich der Transparenz im irani-
schen Atomprogramm gewährt, dann könnte es wieder ein
40 | M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N
kleines bisschen einfacher sein, einige der vielen Konfl ikte im
Nahen Osten zu lösen - einschließlich des Konfl ikts in Syrien.
Vielen Dank.
Prof. Dr. Volker PerthesDirektor des Deutschen Instituts für Inter -
nationale Politik und Sicherheit und
geschäftsführender Vorsitzender der Stif-
tung Wissenschaft und Politik (SWP)
M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N | 41
einer umfassenden internationalen Zusammenarbeit begeg-
net werden. »Dieser Grundsatz fi ndet heute seinen klarsten
Ausdruck in der Arbeit der IAEO und ihres Generaldirektors«,
erklärte das Preiskomitee.
In seinem Heimatland war der Ägypter die zentrale Figur der
Nationalen Bewegung für Veränderung, zu der sich 2010 zahl-
reiche Oppositionspolitiker zusammengeschlossen hatten. Sie
setzte sich für demokratische Reformen ein. Im September
2010 rief ElBaradei zum Boykott der anstehenden Parlaments-
wahl in Ägypten auf. Ende April 2012 gründete er eine eige-
ne politische Partei namens »Verfassungspartei«. Im Juli 2013
wurde ElBaradei zum Vizepräsidenten der Übergangsregie-
rung Ägyptens ernannt, trat jedoch schon am 14. August 2013
zurück und begründete dies mit dem Versuch der ägyptischen
Regierung, die politische Krise in Ägypten gewaltsam zu lösen.
Dr. MohamedElBaradeiBiografi e
Dr. Mohamed ElBaradei wurde 1942 in Kairo geboren. Er
schloss das Studium der Rechtswissenschaften an der Universi-
tät Kairo ab und wurde später im Fachbereich Internationales
Recht an der New York University School of Law promoviert.
Seinen berufl ichen Werdegang hatte er 1964 im diploma-
tischen Dienst Ägyptens begonnen, wo er in der Ständigen
Vertretung seines Landes bei den Vereinten Nationen in New
York und in Genf für politische, rechtliche und sicherheitspo-
litische Belange zuständig war. Er arbeitete zudem u.a. für die
Generalversammlung der Vereinten Nationen, den UN-Sicher-
heitsrat, die Genfer Abrüstungskonferenz, die UN-Menschen-
rechtskommission, die Weltgesundheitsorganisation und die
Organisation für Afrikanische Einheit und die Arabische Liga.
Von 1974 bis 1978 war Dr. ElBaradei Rechtsberater im ägypti-
schen Außenministerium. 1989 verließ er den diplomatischen
Dienst und wechselte zu den Vereinten Nationen. Er hat auf
der ganzen Welt über internationales Recht, internationale Or-
ganisationen, Weltsicherheit, Waffenkontrolle und friedliche
Nutzung von Atomenergie doziert und ist Autor zahlreicher
Veröffentlichungen.
Dr. Mohamed ElBaradei war von 1997 bis 2009 Generaldirek-
tor der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO), der
er seit 1984 angehörte. Im Oktober 2005 wurde Dr. ElBaradei
gemeinsam mit der von ihm geleiteten Internationalen Ato-
menergie-Organisation der Friedensnobelpreis zugesprochen.
Das Nobelpreiskomitee in Oslo würdigte damit den Einsatz der
IAEO und ihres Generaldirektors gegen die Ausbreitung von
Atomwaffen. Der Bedrohung durch Nuklearwaffen müsse mit
40 | M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N
kleines bisschen einfacher sein, einige der vielen Konfl ikte im
Nahen Osten zu lösen - einschließlich des Konfl ikts in Syrien.
Vielen Dank.
Prof. Dr. Volker PerthesDirektor des Deutschen Instituts für Inter -
nationale Politik und Sicherheit und
geschäftsführender Vorsitzender der Stif-
tung Wissenschaft und Politik (SWP)
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einer umfassenden internationalen Zusammenarbeit begeg-
net werden. »Dieser Grundsatz fi ndet heute seinen klarsten
Ausdruck in der Arbeit der IAEO und ihres Generaldirektors«,
erklärte das Preiskomitee.
In seinem Heimatland war der Ägypter die zentrale Figur der
Nationalen Bewegung für Veränderung, zu der sich 2010 zahl-
reiche Oppositionspolitiker zusammengeschlossen hatten. Sie
setzte sich für demokratische Reformen ein. Im September
2010 rief ElBaradei zum Boykott der anstehenden Parlaments-
wahl in Ägypten auf. Ende April 2012 gründete er eine eige-
ne politische Partei namens »Verfassungspartei«. Im Juli 2013
wurde ElBaradei zum Vizepräsidenten der Übergangsregie-
rung Ägyptens ernannt, trat jedoch schon am 14. August 2013
zurück und begründete dies mit dem Versuch der ägyptischen
Regierung, die politische Krise in Ägypten gewaltsam zu lösen.
Dr. MohamedElBaradeiBiografi e
Dr. Mohamed ElBaradei wurde 1942 in Kairo geboren. Er
schloss das Studium der Rechtswissenschaften an der Universi-
tät Kairo ab und wurde später im Fachbereich Internationales
Recht an der New York University School of Law promoviert.
Seinen berufl ichen Werdegang hatte er 1964 im diploma-
tischen Dienst Ägyptens begonnen, wo er in der Ständigen
Vertretung seines Landes bei den Vereinten Nationen in New
York und in Genf für politische, rechtliche und sicherheitspo-
litische Belange zuständig war. Er arbeitete zudem u.a. für die
Generalversammlung der Vereinten Nationen, den UN-Sicher-
heitsrat, die Genfer Abrüstungskonferenz, die UN-Menschen-
rechtskommission, die Weltgesundheitsorganisation und die
Organisation für Afrikanische Einheit und die Arabische Liga.
Von 1974 bis 1978 war Dr. ElBaradei Rechtsberater im ägypti-
schen Außenministerium. 1989 verließ er den diplomatischen
Dienst und wechselte zu den Vereinten Nationen. Er hat auf
der ganzen Welt über internationales Recht, internationale Or-
ganisationen, Weltsicherheit, Waffenkontrolle und friedliche
Nutzung von Atomenergie doziert und ist Autor zahlreicher
Veröffentlichungen.
Dr. Mohamed ElBaradei war von 1997 bis 2009 Generaldirek-
tor der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO), der
er seit 1984 angehörte. Im Oktober 2005 wurde Dr. ElBaradei
gemeinsam mit der von ihm geleiteten Internationalen Ato-
menergie-Organisation der Friedensnobelpreis zugesprochen.
Das Nobelpreiskomitee in Oslo würdigte damit den Einsatz der
IAEO und ihres Generaldirektors gegen die Ausbreitung von
Atomwaffen. Der Bedrohung durch Nuklearwaffen müsse mit
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Friedensnobel-preisträger2014 – 1970
2014 Kailash Satyarthi und Malala Yousafzai
»für ihren Kampf gegen die Unterdrückung von Kindern
und für das Recht aller Kinder auf Bildung«
2013 Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW)
»für ihre umfangreichen Bemühungen für die Abschaf-
fung chemischer Waffen«
2012 Europäische Union (EU)
»für ihren gewaltlosen Kampf für die Sicherheit von
Frauen und für das Recht der Frauen zu voller Teilhabe
an der Friedensarbeit«
2011 Ellen Johnson Sirleaf, Leymah Gbowee
und Tawakkol Karman
»für ihren gewaltlosen Kampf für die Sicherheit von
Frauen und für das Recht der Frauen zu voller Teilhabe
an der Friedensarbeit«
2010 Liu Xiaobo
»für seinen langen und gewaltlosen Kampf für grund-
legende Menschenrechte in China«
2009 Barack H. Obama
»für seine außergewöhnlichen Anstrengungen zur
Stärkung der internationalen Diplomatie und der
Zusammenarbeit zwischen den Völkern«
2008 Martti Ahtisaari
»für seinen bedeutenden, mehrere Kontinente und
mehr als drei Jahrzehnte umspannenden Einsatz für
die Lösung internationaler Konfl ikte«
2007 Zwischenstaatlicher Ausschuss über Klimaverände-
rung (IPCC) und Albert Arnold (Al) Gore Jr.
»für ihre Bemühungen, das Wissen über die vom
Menschen verursachte Klimaveränderung zu erweitern
und zu verbreiten und die nötigen Grundlagen für
Maßnahmen gegen diese Veränderung zu legen«
2006 Muhammad Yunus und Grameen Bank
»für ihr Engagement für eine wirtschaftliche und
soziale Entwicklung von unten«
2005 Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) und
Mohamed ElBaradei
»für ihr Engagement, die Anwendung der Kernenergie
für militärische Zwecke zu verhindern und sicher-
zustellen, dass Kernenergie für friedliche Zwecke auf
möglichst sichere Weise genutzt wird«
2004 Wangari Muta Maathai
»für ihren Einsatz für nachhaltige Entwicklung,
Demokratie und Frieden«
2003 Shirin Ebadi
»für ihren Einsatz für Demokratie und Menschenrechte.
Im Mittelpunkt steht für sie der Kampf für die Rechte
von Frauen und Kindern«
2002 Jimmy Carter
»für seine jahrzehntelangen unermüdlichen Anstren-
gungen bei der Suche nach friedlichen Lösungen für
internationale Konfl ikte, für die Förderung von Demo-
kratie und Menschenrechten und für die Förderung
wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung«
M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N | 43
2001 Vereinte Nationen (U.N.) und Kofi Annan
»für ihre Arbeit für eine besser organisierte und
friedlichere Welt«
2000 Kim Dae-jung
»für sein Wirken für Demokratie und Menschenrechte
in Südkorea und in Asien generell und insbesondere für
Frieden und Versöhnung mit Nordkorea«
1999 Ärzte ohne Grenzen
»in Anerkennung der medizinischen Pionierarbeit der
Organisation auf mehreren Kontinenten«
1998 John Hume und David Trimble
»für ihren Einsatz für eine friedliche Lösung des
Konfl ikts in Nordirland«
1997 Internationale Kampagne für das Verbot von
Landminen (ICBL) und Jody Williams
»für ihren Einsatz für das Verbot und die Beräumung
von Anti-Personen-Minen«
1996 Carlos Filipe Ximenes Belo und José Ramos-Horta
»für ihr Wirken für eine gerechte und friedliche Lösung
des Konfl ikts in Ost-Timor«
1995 Joseph Rotblat und die Pugwash Conferences on
Science and World Affairs
»für ihren Einsatz für eine Verringerung der Rolle der
Nuklearwaffen in der internationalen Politik und, auf
lange Sicht, für die Abschaffung dieser Waffen«
1994 Yasser Arafat, Shimon Peres und Yitzhak Rabin
»für ihre Bemühungen, Frieden im Nahen Osten zu
schaffen«
1993 Nelson Mandela und Frederik Willem de Klerk
»für ihr Wirken für die friedliche Beendigung des Apart-
heid-Regimes und die Schaffung der Grundlagen für
ein neues, demokratisches Südafrika«
1992 Rigoberta Menchú Tum
»in Anerkennung ihres Wirkens für soziale Gerechtigkeit
und ethno-kulturelle Versöhnung auf der Grundlage der
Achtung der Rechte der indigenen Völker«
1991 Aung San Suu Kyi
»für ihren gewaltfreien Kampf für Demokratie und
Menschenrechte«
1990 Michail Gorbatschow
»für seine Führungsrolle im Friedensprozess, der heute
bedeutende Teile der internationalen Gemeinschaft
charakterisiert«
1989 der 14. Dalai Lama, Tenzin Gyatso
1988 die Friedenstruppen der Vereinten Nationen
1987 Oscar Arias Sánchez
1986 Elie Wiesel
1985 Internationale Physiker für die Verhinderung eines
Atomkriegs
1984 Desmond Mpilo Tutu
1983 Lech Walesa
1982 Alva Myrdal und Alfonso García Robles
1981 Büro des Hohen Flüchtlingskommissars der UN
1980 Adolfo Pérez Esquivel
1979 Mutter Teresa
1978 Mohammad Anwar Al-Sadat und Menachem Begin
1977 Amnesty International
1976 Betty Williams und Mairead Corrigan
1975 Andrei Sacharow
1974 Seán MacBride und Eisaku Sato
1973 Henry A. Kissinger und Le Duc Tho
1972 Es wurde kein Friedensnobelpreis in diesem Jahr
verliehen.
1971 Willy Brandt
1970 Norman Ernest Borlaug
…
42 | M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N
Friedensnobel-preisträger2014 – 1970
2014 Kailash Satyarthi und Malala Yousafzai
»für ihren Kampf gegen die Unterdrückung von Kindern
und für das Recht aller Kinder auf Bildung«
2013 Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW)
»für ihre umfangreichen Bemühungen für die Abschaf-
fung chemischer Waffen«
2012 Europäische Union (EU)
»für ihren gewaltlosen Kampf für die Sicherheit von
Frauen und für das Recht der Frauen zu voller Teilhabe
an der Friedensarbeit«
2011 Ellen Johnson Sirleaf, Leymah Gbowee
und Tawakkol Karman
»für ihren gewaltlosen Kampf für die Sicherheit von
Frauen und für das Recht der Frauen zu voller Teilhabe
an der Friedensarbeit«
2010 Liu Xiaobo
»für seinen langen und gewaltlosen Kampf für grund-
legende Menschenrechte in China«
2009 Barack H. Obama
»für seine außergewöhnlichen Anstrengungen zur
Stärkung der internationalen Diplomatie und der
Zusammenarbeit zwischen den Völkern«
2008 Martti Ahtisaari
»für seinen bedeutenden, mehrere Kontinente und
mehr als drei Jahrzehnte umspannenden Einsatz für
die Lösung internationaler Konfl ikte«
2007 Zwischenstaatlicher Ausschuss über Klimaverände-
rung (IPCC) und Albert Arnold (Al) Gore Jr.
»für ihre Bemühungen, das Wissen über die vom
Menschen verursachte Klimaveränderung zu erweitern
und zu verbreiten und die nötigen Grundlagen für
Maßnahmen gegen diese Veränderung zu legen«
2006 Muhammad Yunus und Grameen Bank
»für ihr Engagement für eine wirtschaftliche und
soziale Entwicklung von unten«
2005 Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) und
Mohamed ElBaradei
»für ihr Engagement, die Anwendung der Kernenergie
für militärische Zwecke zu verhindern und sicher-
zustellen, dass Kernenergie für friedliche Zwecke auf
möglichst sichere Weise genutzt wird«
2004 Wangari Muta Maathai
»für ihren Einsatz für nachhaltige Entwicklung,
Demokratie und Frieden«
2003 Shirin Ebadi
»für ihren Einsatz für Demokratie und Menschenrechte.
Im Mittelpunkt steht für sie der Kampf für die Rechte
von Frauen und Kindern«
2002 Jimmy Carter
»für seine jahrzehntelangen unermüdlichen Anstren-
gungen bei der Suche nach friedlichen Lösungen für
internationale Konfl ikte, für die Förderung von Demo-
kratie und Menschenrechten und für die Förderung
wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung«
M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N | 43
2001 Vereinte Nationen (U.N.) und Kofi Annan
»für ihre Arbeit für eine besser organisierte und
friedlichere Welt«
2000 Kim Dae-jung
»für sein Wirken für Demokratie und Menschenrechte
in Südkorea und in Asien generell und insbesondere für
Frieden und Versöhnung mit Nordkorea«
1999 Ärzte ohne Grenzen
»in Anerkennung der medizinischen Pionierarbeit der
Organisation auf mehreren Kontinenten«
1998 John Hume und David Trimble
»für ihren Einsatz für eine friedliche Lösung des
Konfl ikts in Nordirland«
1997 Internationale Kampagne für das Verbot von
Landminen (ICBL) und Jody Williams
»für ihren Einsatz für das Verbot und die Beräumung
von Anti-Personen-Minen«
1996 Carlos Filipe Ximenes Belo und José Ramos-Horta
»für ihr Wirken für eine gerechte und friedliche Lösung
des Konfl ikts in Ost-Timor«
1995 Joseph Rotblat und die Pugwash Conferences on
Science and World Affairs
»für ihren Einsatz für eine Verringerung der Rolle der
Nuklearwaffen in der internationalen Politik und, auf
lange Sicht, für die Abschaffung dieser Waffen«
1994 Yasser Arafat, Shimon Peres und Yitzhak Rabin
»für ihre Bemühungen, Frieden im Nahen Osten zu
schaffen«
1993 Nelson Mandela und Frederik Willem de Klerk
»für ihr Wirken für die friedliche Beendigung des Apart-
heid-Regimes und die Schaffung der Grundlagen für
ein neues, demokratisches Südafrika«
1992 Rigoberta Menchú Tum
»in Anerkennung ihres Wirkens für soziale Gerechtigkeit
und ethno-kulturelle Versöhnung auf der Grundlage der
Achtung der Rechte der indigenen Völker«
1991 Aung San Suu Kyi
»für ihren gewaltfreien Kampf für Demokratie und
Menschenrechte«
1990 Michail Gorbatschow
»für seine Führungsrolle im Friedensprozess, der heute
bedeutende Teile der internationalen Gemeinschaft
charakterisiert«
1989 der 14. Dalai Lama, Tenzin Gyatso
1988 die Friedenstruppen der Vereinten Nationen
1987 Oscar Arias Sánchez
1986 Elie Wiesel
1985 Internationale Physiker für die Verhinderung eines
Atomkriegs
1984 Desmond Mpilo Tutu
1983 Lech Walesa
1982 Alva Myrdal und Alfonso García Robles
1981 Büro des Hohen Flüchtlingskommissars der UN
1980 Adolfo Pérez Esquivel
1979 Mutter Teresa
1978 Mohammad Anwar Al-Sadat und Menachem Begin
1977 Amnesty International
1976 Betty Williams und Mairead Corrigan
1975 Andrei Sacharow
1974 Seán MacBride und Eisaku Sato
1973 Henry A. Kissinger und Le Duc Tho
1972 Es wurde kein Friedensnobelpreis in diesem Jahr
verliehen.
1971 Willy Brandt
1970 Norman Ernest Borlaug
…
44 | M O H A M E D E L B A R A D E I | 1 8 . 0 3 . 2 0 14 | F R A U E N K I R C H E D R E S D E N
Die Stiftung Frauenkirche Dresden dankt für die freundliche Unterstützung:
Ein besonderer Dank gilt zudem allen beteiligten Mitarbeitenden und ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern der Frauenkirche,
die diese Veranstaltung durch ihren Einsatz maßgeblich ermöglicht haben.
Stiftung Frauenkirche Dresden
Georg-Treu-Platz 3 | 01067 Dresden
Telefon 0351.65606-100 | Telefax 0351.65606-112
www.frauenkirche-dresden.de
ImpressumHerausgeber: Stiftung Frauenkirche Dresden | Georg-Treu-Platz 3 | 01067 Dresden | [email protected]
Geschäftsführung: Pfarrer Sebastian Feydt | Dipl. rer. pol. Christine Gräfi n von Kageneck | Pfarrer Holger Treutmann
Redaktion: Mandy Dziubanek
Text: Mandy Dziubanek, Grit Jandura (sofern nicht anders ausgewiesen)
Gra� sches Konzept | Umsetzung: THORN werbeagentur Leipzig
Fotos: Steffen Füssel, Grit Jandura (WunschWelt), Bundesregierung/Fotograf: Steffen Kugler (Staatssekretär David Gill)