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Review of The Hilltop in FAZ (Germany) November 30, 2013 Notable German author Eva Menasse wrote a review of the German edition of The Hilltop in Germany’s leading daily newspaper Frankfurter Allgemeiner Zeitung (FAZ). Here is the full review: SAMSTAG, 30. NOVEMBER 2013 BERUF UND CHANCE Für eine Handvoll Tomaten Eskalationsgefahr im Heiligen Land: Assaf Gavron erzählt in seinem Roman „Auf fremdem Land“ von israelischen Siedlern im Westjordanland. Von Eva Menasse Erst ist es nur ein Feld für Kirschtomaten, das Otniel Asis anlegt, zwei Kilometer von seinem israelischen Heimatdorf im Westjordanland entfernt. Gleich angrenzend ein Olivenhain der Araber, dahinter das erste arabische Dorf. Einmal werden Otniel ein paar Tomaten geklaut, „woraufhin er mit einigen Siedlergefährten in das Dorf hineingefahren war, ein bisschen randaliert und in die Luft geschossen und jeden gewarnt hatte, der es noch einmal wagen würde“. Es kommt nicht mehr vor, trotzdem holt sich Otniel die Erlaubnis zur Errichtung einer Wächterhütte. Sie wird bewilligt, damit gilt das Tomatenfeld als „landwirtschaftlicher Betrieb“. Otniel liebt sein Feld und seine Tomaten, er liebt die Einsamkeit der Grenzregion. Schließlich zieht er mit seiner Familie in einen primitiven Wohnwagen direkt am Feldesrand. Und plötzlich stehen ein paar weitere Wohnwagen da, gespendet von einem reichen Juden aus Miami. Familien ziehen ein, Otniel besorgt einen Stromgenerator für alle. Weil der Wind hier manchmal böse weht, beginnt man, die Wohnwagen mit Steinplatten zu verkleiden. Weil jede jüdische Ansiedlung in den besetzten Gebieten Anspruch auf Schutz hat, wird bald ein provisorischer Militärposten errichtet: „So setzte sich der

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Type: ReviewBook: The HilltopNewspaper: Frankfurter Allgemeine ZeitungWriter: Eva MenasseCountry: GermanyLanguage: GermanDate: November 2013

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Review of The Hilltop in FAZ (Germany)

November 30, 2013

Notable German author Eva Menasse wrote a review of the German edition of

The Hilltop in Germany’s leading daily newspaper Frankfurter Allgemeiner

Zeitung (FAZ). Here is the full review:

SAMSTAG, 30. NOVEMBER 2013

BERUF UND CHANCE

Für eine Handvoll Tomaten

Eskalationsgefahr im Heiligen Land: Assaf Gavron erzählt in seinem Roman „Auf

fremdem Land“ von israelischen Siedlern im Westjordanland.

Von Eva Menasse

Erst ist es nur ein Feld für Kirschtomaten, das Otniel Asis anlegt, zwei Kilometer

von seinem israelischen Heimatdorf im Westjordanland entfernt. Gleich

angrenzend ein Olivenhain der Araber, dahinter das erste arabische Dorf. Einmal

werden Otniel ein paar Tomaten geklaut, „woraufhin er mit einigen

Siedlergefährten in das Dorf hineingefahren war, ein bisschen randaliert und in

die Luft geschossen und jeden gewarnt hatte, der es noch einmal wagen würde“.

Es kommt nicht mehr vor, trotzdem holt sich Otniel die Erlaubnis zur Errichtung

einer Wächterhütte. Sie wird bewilligt, damit gilt das Tomatenfeld als

„landwirtschaftlicher Betrieb“.

Otniel liebt sein Feld und seine Tomaten, er liebt die Einsamkeit der

Grenzregion. Schließlich zieht er mit seiner Familie in einen primitiven

Wohnwagen direkt am Feldesrand. Und plötzlich stehen ein paar weitere

Wohnwagen da, gespendet von einem reichen Juden aus Miami. Familien ziehen

ein, Otniel besorgt einen Stromgenerator für alle. Weil der Wind hier manchmal

böse weht, beginnt man, die Wohnwagen mit Steinplatten zu verkleiden. Weil

jede jüdische Ansiedlung in den besetzten Gebieten Anspruch auf Schutz hat,

wird bald ein provisorischer Militärposten errichtet: „So setzte sich der

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Stützpunkt auf dem Hügel fest.“ Das sind die ersten paar Seiten von Assaf

Gavrons Roman „Auf fremdem Land“.

Es gibt Romane, die durch die Schönheit ihrer Sprache oder die Intelligenz ihrer

Struktur bestechen. Und es gibt andere Romane, die einfach eine Geschichte

erzählen, aber neu und unerhört anders. Ein solcher Roman ist „Auf fremdem

Land“. Geduldig stellt Gavron scharf auf die kleinen Nöte und menschlichen

Beweggründe seiner Protagonisten, bezieht alle involvierten Sphären wie Justiz,

Politik und Militär ein und dringt so zu tiefen Schichten der Erkenntnis vor. Er

bringt einen, sosehr man sich dagegen wehrt, dazu, die Welt auch aus den Augen

der Siedler zu sehen.

Das Ergebnis ist ein politischer Roman im allerbesten Sinn, der nie plump

indoktrinieren will, sondern eine verwickelte Geschichte mit äußerster

Genauigkeit und allen Ambivalenzen erzählt. Der Leser soll sich sein eigenes Bild

machen. Das ist zwar am Ende kein entscheidend anderes als vorher (die

Siedlungen sind eine Katastrophe, und es wird keinen Frieden geben, bevor sie

nicht massiv zurückgebaut werden), aber ein unvergleichlich präziseres, das die

multikausale Genese der Situation und die menschlichen Dramen mitbedenkt.

Gleichzeitig ist es ein immens lustiges Buch oder besser: ein aberwitziges. Die

besten Satiren sind ja die, die wahr sind oder sein könnten, und dieser Roman

quillt schier davon über. Bekanntlich ist Israel ein kleines Land mit vielen

Parteien, konkurrierenden politischen Strömungen und einer Menge Filz und

Nepotismus. Die Siedler, namentlich ihr Chef Otniel, sind äußerst geschickt

darin, immer die richtigen Abgeordneten oder Journalisten anzurufen und zu

instrumentalisieren, sobald mal wieder ein Räumungs- oder Abrissbefehl droht.

Wenn es richtig brenzlig wird, organisieren diese Ultraorthodoxen mit ihren

Handys blitzschnell solidarische Flashmobs.

Sie wollen aus den unterschiedlichsten Gründen im Grenzgebiet leben: Die einen

sind bitterarm und können sich schlicht nichts anderes leisten, die anderen

schätzen das Pioniergefühl in der Wildnis. Einige, nicht alle, pflegen das

bekannte politisch-religiöse Sendungsbewusstsein und wollen die Palästinenser

verdrängen. Gabi Kupfer, die heimliche Hauptfigur, ein im säkular-

sozialistischen Kibbuz großgezogenes Waisenkind, sucht nach einer

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traumatischen Scheidung hier Rettung in der Einsamkeit und der Hinwendung

zu Gott. Er wird von seinem älteren Bruder, dem gänzlich areligiösen Roni,

wahrhaft heimgesucht, nachdem der in der Finanzkrise als New Yorker

Aktienspekulant die Vermögen seiner Anleger durchgebracht hat und sich nun in

Gabis Wohnwagen, mit nichts als einem teuren Anzug auf dem Leib, vor

Strafverfolgung verstecken will. Geschäftsmann durch und durch, versucht Roni

bald, mit den benachbarten arabischen Olivenbauern ins Geschäft zu kommen,

was von Otniel und Co gar nicht gern gesehen wird. Und so vergehen die Jahre.

An weit entfernten Gerichtshöfen wird um die Auflösung des Stützpunkts

„Ma’alah Chermesch 3“ prozessiert, wechselnde Regierungen haben das Problem

der illegalen Siedlungen mal mehr, mal weniger im Blick, doch die Menschen

dort, überzeugt von ihrem gottgegebenen Recht an dem Land, kümmern sich

sowieso nicht darum. Ein eher zufälliger Artikel in der „Washington Post“ macht

Ma’alah Chermesch 3 plötzlich weltbekannt und zum Stein im Schuh des

Sicherheitsministers. Wenn er Zeit hat, unternimmt er durchaus Anstrengungen,

sich des winzigen Stützpunkts zu entledigen, doch scheitert er ein ums andere

Mal.

Es ist der große Roman zum inneren Zustand Israels, den der 1968 geborene

Assaf Gavron hier geschrieben hat, eine moderne Sisyphos-Geschichte, mit dem

namenlosen Sicherheitsminister und seinen bedauernswerten Soldaten, die die

Siedler erst schützen und dann wegräumen sollen, als tragischen Helden. Die

Menschen aus Ma’alah Chermesch wiederum, das erkennt man betroffen, sind

genau wie überall anders auch, unverfroren, bauernschlau, nur auf den eigenen

Vorteil bedacht und flink mit der Opferrolle zur Hand. Wieso wir, fragt einmal

eine Siedlerin empört, sind denn drüben bei den Arabern alle Gebäude

genehmigt? Wieso Ma’alah Chermesch 3?, fragt einer der Berater den Minister,

ich kann dir fünf Stützpunkte nennen, die noch weniger eine rechtliche

Grundlage haben!

Im Grunde geht es zu wie in jedem Kleingartenverein, wo sich Menschen ja auch

mit allen Mitteln um Grundstücksgrenzen und überhängende Äste streiten und

klare Regelverstöße im Nachhinein legalisieren wollen. Nur dass hier, in den seit

1967 von Israel besetzten Gebieten, die eine Partei, die Palästinenser, kaum

Rechte und Handhabe hat, während die Unverschämtheiten der anderen,

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rücksichtslos auch gegenüber den eigenen Leuten im israelischen Kernland,

jederzeit einen Flächenbrand auslösen können.