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1 HMA 1951882 Hugo Wolf war ein großer Verehrer der Lyrik von Eduard Mörike; das ging so weit, daß er „sich keine Stunde von ihnen trennen“ konnte. Nahezu alle Mörike-Lieder entstan- den in einem regelrechten Schaffensrausch zwischen Februar und Mai 1888, und in diesen Monaten fand Wolf zu seiner eigenen Tonsprache. Diese Lieder zu kennen ist unabdingbar für das Verständnis der subtilen und höchst anspruchsvollen Kunst dieses letzten großen Meisters des Klavierlieds. Hugo Wolf (1860-1903) Mörike-Lieder „Denk es, o Seele“ „Gesamtkunstwerk“ – so lautete die ästhetische Fortschrittsformel in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sie hatte ihre Vordenker bei den Romantikern. Ihre exponierten Vorkämpfer fand sie in Franz Liszt, Richard Wagner und Hugo Wolf. Liszt wollte in der Gattung der Symphonischen Dichtung Literatur und Musik zu einer neuen Kunstform (ohne Worte) verschmelzen und überhöhen. Wagner schuf seine Opern als Einheit von Musik, Dichtung und Szenerie. Hugo Wolf schrieb in seltener Ausschließlichkeit Lieder. Kann man sie, die Formen intimer Kommunikation, Gesamtkunstwerke nennen? Die Idee des Gesamtkunstwerks bedeutet nicht zwingend, daß alles – Klang, Bild, Wort – explizit vorgeführt wird, sondern daß alles in des Künstlers Vorstellung vorhanden ist und in der Vorstellung des Rezipienten wachgerufen wird. Dabei sind variable Größen mitkomponiert. Niemand inszeniert Wagner so, wie er es in die Partituren schrieb, und doch bilden seine Anweisungen die notwendige Reflexionsgrundlage. Daß sich jeder zu Hugo Wolfs Liedern seine eigenen Bilder macht, bedeutet nicht, daß sie vom Komponisten nicht gewollt oder geschaffen wären. Wer die Ballade vom Feuerreiter mitverfolgt, wird die schaurigen Szenen um den geheimnisvollen Pyromanen vor sich sehen und förmlich riechen. Wer dem Gebet lauscht, wird sich durch Wolfs Musik in einen Raum der Andacht und Ruhe versetzt fühlen – ohne frömmelndes Historisieren und ohne Kirchenton-Klischees; man wird das offene Ende der Singstimme als Hinweis auf die Unendlichkeit, den aufgehobenen Lauf der Zeit erkennen, deren Stillstand das Klavier in genialer Einfachheit ausspielt. In der Begleitung des Gärtner-Liedes mischt sich der typische Reiter-Rhythmus mit der Grazie des Tonsatzes zum bezaubernden Bildnis der Prinzessin, die durch den Park reitet. Weil Wolf das Bild im Hörer will, enthalten seine Lieder alles, was ein Gesamtkunstwerk ausmacht, nur sind ihre Dimensionen und ihr Genre nicht das Drama, sondern die Lyrik und die Ballade. Wo Wagners Opern sich in die Länge dehnen, setzt Wolf auf Konzentration. Er selbst unterstrich die synästhetische Auffassung seiner Gesangsstücke. Bei Aufführungen seiner Lieder ließ er gern die Texte vorab rezitieren. Einem Freund gegenüber äußerte er, daß er sich für jedes Lied einen besonderen Bühnen-Hintergrund vorstelle, ein Bild als Szenenkulisse. Gedichte, die andere seiner Auffassung nach gültig vertont hatten, komponierte er mit wenigen Ausnahmen nicht mehr, denn er meinte, jedem Text könne nur eine ideale Musikalisierung entsprechen, so wie etwa Wagners Tristan-Libretto auch nicht mit anderer Vertonung denkbar wäre. Wolf schrieb seine Texte zwar nicht selbst, aber „er versenkte sich so sehr in einen Dichter, daß er gleichsam in dessen Persönlichkeit aufging und dann die Verse mit seinen Mitteln durchleuchtete und erhöhte“ (Hans Jancik).

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HMA 1951882

Hugo Wolf war ein großer Verehrer der Lyrik von Eduard

Mörike; das ging so weit, daß er „sich keine Stunde von

ihnen trennen“ konnte. Nahezu alle Mörike-Lieder entstan-

den in einem regel rechten Schaffensrausch zwischen

Februar und Mai 1888, und in diesen Monaten fand Wolf

zu seiner eigenen Tonsprache. Diese Lieder zu kennen ist

unabdingbar für das Verständnis der subtilen und höchst

anspruchsvollen Kunst dieses letzten großen Meisters des

Klavierlieds.

Hugo Wolf (1860-1903)

Mörike-Lieder

„Denk es, o Seele“

„Gesamtkunstwerk“ – so lautete die ästhetische Fortschrittsformel in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts. Sie hatte ihre Vordenker bei den Romantikern. Ihre exponierten Vorkämpfer fand sie in Franz Liszt, Richard Wagner und Hugo Wolf. Liszt wollte in der Gattung der Symphonischen Dichtung Literatur und Musik zu einer neuen Kunstform (ohne Worte) verschmelzen und überhöhen. Wagner schuf seine Opern als Einheit von Musik, Dichtung und Szenerie. Hugo Wolf schrieb in seltener Ausschließlichkeit Lieder. Kann man sie, die Formen intimer Kommunikation, Gesamtkunstwerke nennen? Die Idee des Gesamtkunstwerks bedeutet nicht zwingend, daß alles – Klang, Bild, Wort – explizit vorgeführt wird, sondern daß alles in des Künstlers Vorstellung vorhanden ist und in der Vorstellung des Rezipienten wachgerufen wird. Dabei sind variable Größen mitkomponiert. Niemand inszeniert Wagner so, wie er es in die Partituren schrieb, und doch bilden seine Anweisungen die notwendige Reflexionsgrundlage. Daß sich jeder zu Hugo Wolfs Liedern seine eigenen Bilder macht, bedeutet nicht, daß sie vom Komponisten nicht gewollt oder geschaffen wären. Wer die Ballade vom Feuerreiter mitverfolgt, wird die schaurigen Szenen um den geheimnisvollen Pyromanen vor sich sehen und förmlich riechen. Wer dem Gebet lauscht, wird sich durch Wolfs Musik in einen Raum der Andacht und Ruhe versetzt fühlen – ohne frömmelndes Historisieren und ohne Kirchenton-Klischees; man wird das offene Ende der Singstimme als Hinweis auf die Unendlichkeit, den aufgehobenen Lauf der Zeit erkennen, deren Stillstand das Klavier in genialer Einfachheit ausspielt. In der Begleitung des Gärtner-Liedes mischt sich der typische Reiter-Rhythmus mit der Grazie des Tonsatzes zum bezaubernden Bildnis der Prinzessin, die durch den Park reitet. Weil Wolf das Bild im Hörer will, enthalten seine Lieder alles, was ein Gesamtkunstwerk ausmacht, nur sind ihre Dimensionen und ihr Genre nicht das Drama, sondern die Lyrik und die Ballade. Wo Wagners Opern sich in die Länge dehnen, setzt Wolf auf Konzentration. Er selbst unterstrich die synästhetische Auffassung seiner Gesangsstücke. Bei Aufführungen seiner Lieder ließ er gern die Texte vorab rezitieren. Einem Freund gegenüber äußerte er, daß er sich für jedes Lied einen besonderen Bühnen-Hintergrund vorstelle, ein Bild als Szenenkulisse. Gedichte, die andere seiner Auffassung nach gültig vertont hatten, komponierte er mit wenigen Ausnahmen nicht mehr, denn er meinte, jedem Text könne nur eine ideale Musikalisierung entsprechen, so wie etwa Wagners Tristan-Libretto auch nicht mit anderer Vertonung denkbar wäre. Wolf schrieb seine Texte zwar nicht selbst, aber „er versenkte sich so sehr in einen Dichter, daß er gleichsam in dessen Persönlichkeit aufging und dann die Verse mit seinen Mitteln durchleuchtete und erhöhte“ (Hans Jancik).

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Die Mörike-Lieder

Unter Hugo Wolfs rund dreihundert Liedern bilden die 53 Stücke, die er zwischen dem 16. Februar und dem 26. November 1888 nach Gedichten von Eduard Mörike komponierte, zahlenmäßig die größte Gruppe. Die poetischen Werke des schwäbischen Dichters besaß er seit seinem 18. Lebensjahr. Sie wurden ihm so wertvoll, daß er 1886 bekannte, er könne sich keine Stunde von ihnen trennen. Durch sie habe er „nach langem Irren und Suchen sich und seine Eigenart gefunden“ (Jancik). Man bezeichnet den Dichter und Theologen aus Ludwigsburg bei Stuttgart oft als Biedermeier-Poeten. Das ist, vorsichtig gesagt, ungenau, denn neben inniger Frömmigkeit finden sich bei ihm erotische Fantasien, die nicht ins Berufsbild des Geistlichen passen, neben dem Lob des kleinen Glücks auch eine robuste Ironie und ein ausgeprägter Sinn für die „schwarze“ Erzählkunst (einschließlich des gleichfarbigen Humors). Mörike verfasste seine Gedichte, auch die strengen Formen wie die Sonette, größtenteils als gedanklich offene Texte. Mit Ausnahme einiger Balladen steuern sie keinen eindeutigen Plot und keinen Zielpunkt an. Sie geben sich vielmehr wie Ausschnitte aus einem größeren Zusammenhang, wie Momentaufnahmen, die mehr ahnen lassen, als sie zeigen. Die Aura des Offenen, der Klang in Mörikes Sprache und seine Kunst des Atmosphärischen forderten Komponisten schon vor Hugo Wolf heraus. Keiner aber nahm sich wie der Wahlwiener aus Windischgrätz einen ganzen Zyklus von mehr als fünfzig Liedern vor, deren Gesamtaufführung die Dauer eines Musikdramas erreichen würde. Als ein Gesamtkunstwerk sind die 53 Lieder tatsächlich konzipiert. Wolf versah sie mit einer Einleitung und einem Epilog. Beide sind subjektiv gefasst. Der eröffnende Dank des Genesenen an die Hoffnung (der Titel erinnert an Beethovens spätes a-Moll-Quartett) richtet sich auch an Mörike, der Wolfs Kreativität Befreiung und Richtung gab. Das Schlußlied, eine handfeste Humoreske, führt keinen melancholischen Abschied in romantischer Tradition vor; da wird vielmehr der Vertreter einer verhaßten Zunft, unter der Wolf litt, energisch hinauskomplimentiert: ein Kritiker. Das Stück beginnt wie Schumanns Chorlied vom Zahnweh („Wie du mit giftgem Stachel fast“), und es endet nach dem Treppensturz des Rezensenten mit einem munteren Walzer (man munkelte in Wien, das sei das Lieblingsgenre des Oberkritikers, Eduard Hanslick, gewesen). Die Künstler trafen für die vorliegende Aufnahme eine Auswahl an Liedern, welche die Struktur und wesentliche Züge des gesamten Zyklus konzentriert enthält. Humoresken bilden die Schlußgruppe in Wolfs Mörike-Liederbuch. Sie haben ihre Vorboten in der Begegnung und der Nimmersatten Liebe. Die Schlußgruppe selbst beginnt mit der Storchenbotschaft: Die Tiere, die nach deutschem Kinderglauben die Säuglinge in die Welt bringen, konfrontieren den Schäfer mit den Folgen schöner (nimmersatter?) Liebe. Wolf macht daraus ein Scherzo mit launigem Dissonanz- und Motivspiel. Balladen gehen den Humoresken voran. Die Verbindung von Leitmotivtechnik und stilisierter Lautmalerei, die musikalische Verschränkung, die scheinbar heterogenen Strophen verbindet und so in die Hintergründe leuchtet, die Prägnanz der atmosphärischen Schilderungen machen den Feuerreiter zu einem Meisterstück seines Genres. An die Geliebte, Peregrina I und II, Lebe wohl gehören als relativ geschlossene Gruppe im Zyklus zusammen. Tonal schließen sie direkt aneinander an, sie bewegen sich in ähnlich ruhigem Grundpuls auf teilweise verwandten melodischen Linien durch vergleichbare harmonische Spannungsfelder. Peregrina II beginnt und endet mit dem Nachspiel von Peregrina I, einer Variante des Singstimmenanfangs. Lebe wohl entwickelt sich aus den Halbtonzügen, welche die Peregrina-Vertonungen kennzeichneten und im Lied An die Geliebte zunehmend Bedeutung gewonnen hatten. Die vier Stücke beleuchten einen Gedanken: die Spannung zwischen verklärter Liebe und erotischem Verlangen. Der emotionalen Intensität der Verse, in denen Mörike ein Schlüsselerlebnis verarbeitete, entspricht die enorme musikalische Dichte in Wolfs Komposition. Diese vier Lieder haben ihren Vorboten wiederum Im Frühling, einem jener Naturlieder, die wie eine eigene Ebene immer wieder zwischen die anderen Vertonungen eingefügt sind. Als kommentierende, die Perspektiven weitende Ebene werden sie in Dichtung und Musik zur zentrierenden Instanz des ganzen Zyklus, denn immer ist in ihnen auch vom Menschen die Rede. Jedes einzelne Lied trägt seinen Wert und Sinn in sich. Dennoch bezog sich Wolfs Komponieren auch auf ihre Folge und Zusammenstellung. Ideen von Exposition und Durchführung, von Andeuten, Aufgreifen und Entwickeln eines (literarischen und musikalischen) Gedankens lassen sich im Aufbau des Zyklus erkennen. Gesamtkunstwerke sind diese Stücke auch in einem menschlich-subjektiven Sinn. Mörike brachte ihn auf die Formel: „Denk es, o Seele!“

HABAKUK TRABER

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1 | Gebet

Herr, schicke was du willst,Ein Liebes oder Leides;Ich bin vergnügt, daß beidesAus deinen Händen quillt.

Wollest mit FreudenUnd wollest mit LeidenMich nicht überschütten!Doch in der Mitten,Liegt holdes Bescheiden.

2 | Fußreise

Am frischgeschnittnen Wanderstab,Wenn ich in der FrüheSo durch Wälder ziehe,Hügel auf und ab:Dann, wie’s Vöglein im LaubeSinget und sich rührt,Oder wie die gold’ne TraubeWonnegeister spürt In der ersten Morgensonne:So fühlt auch mein alter, lieberAdam Herbst- und Frühlingsfieber,Gottbeherzte,Nie verscherzteErstlings-Paradieseswonne.

Also bist du nicht so schlimm, o alterAdam, wie die strengen Lehrer sagen;Liebst und lobst du immer doch,Singst und preisest immer noch,Wie an ewig neuen Schöpfungstagen,Deinen lieben Schöpfer und Erhalter.Möcht’ es dieser geben Und mein ganzes LebenWär’ im leichten WanderschweißeEine solche Morgenreise!

3 | Er ist’s

Frühling läßt sein blaues BandWieder flattern durch die Lüfte;Süße, wohlbekannte DüfteStreifen ahnungsvoll das Land.Veilchen träumen schon,Wollen balde kommen.– Horch, von fern ein leiser Harfenton!Frühling, ja du bist’s!Dich hab ich vernommen!

4 | Im Frühling

Hier lieg’ ich auf dem Frühlingshügel:Die Wolke wird mein Flügel,Ein Vogel fliegt mir voraus.Ach, sag’ mir, all einzige Liebe,Wo du bleibst, daß ich bei dir bliebe!Doch du und die Lüfte, ihr habt kein Haus.Der Sonnenblume gleich steht mein Gemüte offen,Sehnend,Sich dehnendIn Lieben und Hoffen.Frühling, was bist du gewillt?Wenn werd ich gestillt?

Die Wolke seh ich wandeln und den Fluß,Es dringt der Sonne goldner KußMir tief bis ins Geblüt hinein;Die Augen, wunderbar berauschet,Tun, als schliefen sie ein,Nur noch das Ohr dem Ton der Biene lauschet.

Ich denke dies und denke das,ich sehne mich, und weiß nicht recht, nach was:Halb ist es Lust, halb ist es Klage:Mein Herz, o sage,Was webst du für ErinnerungIn golden grünen Zweige Dämmerung?Alte unnennbare Tage!

5 | Auf ein altes Bild

In grüner Landschaft Sommerflor,Bei kühlem Wasser, Schilf und Rohr,Schau, wie das Knäblein SündelosFrei spielet auf der Jungfrau Schoss!Und dort im Walde wonnesam,Ach, grünet schon des Kreuzes Stamm!

6 | Der Genesene an die Hoffnung

Tödlich graute mir der Morgen:Doch schon lag mein Haupt, wie süß!Hoffnung, dir im Schoß verborgen, Bis der Sieg gewonnen hieß.

Opfer bracht’ ich allen Göttern,Doch vergessen warest du;Seitwärts von den ew’gen RetternSahest du dem Feste zu.

O, vergib, du Vielgetreue!Tritt aus deinem Dämmerlicht,Daß ich dir in’s ewig neue,Mondenhelle Angesicht

Einmal schaue, recht von Herzen,Wie ein Kind und sonder Harm;Ach, nur einmal ohne SchmerzenSchließe mich in deinen Arm!

7 | Auf einer Wanderung

In ein freundliches Städtchen tret’ ich ein,In den Straßen liegt roter Abendschein.Aus einem offnen Fenster eben, Über den reichsten BlumenflorHinweg, hört man Goldglockentöne schweben,Und eine Stimme scheint ein Nachtigallenchor,Daß die Blüten beben,Daß die Lüfte leben,Daß in höherem Rot die Rosen leuchten vor.

Lang hielt ich staunend, lustbeklommen.Wie ich hinaus vor’s Tor gekommen,Ich weiß es wahrlich selber nicht.Ach hier, wie liegt die Welt so licht!Der Himmel wogt in purpurnem Gewühle,Rückwärts die Stadt in goldnem Rauch:Wie rauscht der Erlenbach,Wie rauscht im Grund die Mühle,Ich bin wie trunken, irrgeführt - O Muse, du hast mein Herz berührtMit einem Liebeshauch!

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8 | Zitronenfalter im April

Grausame Frühlingssonne, Du weckst mich vor der Zeit,dem nur in Maienwonne Die zarte Kost gedeiht!Ist nicht ein liebes Mädchen hier,Das auf der Rosenlippe mirEin Tröpfchen Honig beut,So muß ich jämmerlich vergehnUnd wird der Mai mich nimmer sehnIn meinem gelben Kleid.

9 | Der Gärtner

Auf ihrem LeibrößleinSo weiß wie der Schnee,Die schönste PrinzessinReit’t durch die Allee.

Der Weg, den das RößleinHintanzet so hold,Der Sand, den ich streute,Er blinket wie Gold!

Du rosenfarb’s HütleinWohl auf und wohl ab,O wirf eine Feder,Verstohlen herab!

Und willst du dagegenEine Blüte von mir,Nimm tausend für eine,Nimm alle dafür!

10 | Begegnung

Was doch heut Nacht ein Sturm gewesen,Bis erst der Morgen sich geregt!Wie hat der ungebetne BesenKamin und Gassen ausgefegt!

Da kommt ein Mädchen schon die Straßen,Das halb verschüchtert um sich sieht;Wie Rosen, die der Wind zerblasen,So unstet ihr Gesichtchen glüht.

Ein schöner Bursch tritt ihr entgegen,Er will ihr voll Entzücken nahn:Wie sehn sich freudig und verlegenDie ungewohnten Schelme an!

Er scheint zu fragen, ob das LiebchenDie Zöpfe schon zurecht gemacht,Die heute Nacht im offnen StübchenEin Sturm in Unordnung gebracht.

Der Bursche träumt noch von den Küssen, Die ihm das süße Kind getauscht,Er steht, von Anmut hingerissen, Derweil sie um die Ecke rauscht.

11 | Der Tambour

Wenn meine Mutter hexen könnt’,Da müßt’ sie mit dem Regiment,Nach Frankreich, überall mit hin,Und wär’ die Marketenderin.

Im Lager wohl um Mitternacht,Wenn niemand auf ist als die Wacht,Und alles schnarchet, Roß und Mann,Vor meiner Trommel säß’ ich dann:

Die Trommel müßt’ eine Schüssel sein;Ein warmes Sauerkraut darein;Die Schlegel Messer und Gabel,Eine lange Wurst mein Sabel,

Mein Tschako wär’ ein Humpen gut,Den füll’ ich mit Burgunderblut.Und weil es mir an Lichte fehlt,Da scheint der Mond in mein Gezelt ;

Scheint er auch auf franzö’sch herein,Mir fällt doch meine Liebste ein:Ach weh! Jetzt hat der Spaß ein End’!– Wenn nur meine Mutter hexen könnt’!

12 | Jägerlied

Zierlich ist des Vogels Tritt im Schnee,Wenn er wandelt auf des Berges Höh:Zierlicher schreibt Liebchens liebe Hand,Schreibt ein Brieflein mir in ferne Land’.

In die Lüfte hoch ein Reiher steigt,Dahin weder Pfeil noch Kugel fleugt:Tausendmal so hoch und so geschwindDie Gedanken treuer Liebe sind.

13 | Nimmersatte Liebe

So ist die Lieb’! So ist die Lieb’!Mit Küssen nicht zu stillen:Wer ist der Tor und will ein SiebMit eitel Wasser füllen?Und schöpfst du an die tausend Jahr;Und küssest ewig, ewig gar,Du tust ihr nie zu Willen.

Die Lieb’, die Lieb’ hat alle StundNeu wunderlich Gelüsten;Wir bissen uns die Lippen wund, Da wir uns heute küßten.Das Mädchen hielt in guter Ruh’,Wie’s Lämmlein unterm Messer;Ihr Auge bat: nur immer zu,Je weher desto besser!

So ist die Lieb’, und war auch so,Wie lang es Liebe gibt, Und anders war Herr Salomo,Der Weise, nicht verliebt.

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14 | In der Frühe

Kein Schlaf noch kühlt das Auge mir,Dort gehet schon der Tag herfürAn meinem Kammerfenster.Es wühlet mein verstörter SinnNoch zwischen Zweifeln her und hinUnd schaffet Nachtgespenster.– Ängste, quäleDich nicht länger, meine Seele!Freu dich! schon sind da und dortenMorgenglocken wach geworden

15 | Denk’ es, o Seele

Ein Tännlein grünet wo,Wer weiß, im Walde,Ein Rosenstrauch, wer sagt,In welchem Garten?Sie sind erlesen schon,Denk’ es, o Seele,Auf deinem Grab zu wurzelnUnd zu wachsen.

Zwei schwarze Rößlein weidenAuf der Wiese,Sie kehren heim zur StadtIn muntern Sprüngen.Sie werden schrittweis gehnMit deiner Leiche;Vielleicht, vielleicht noch eh’An ihren HufenDas Eisen los wird,Das ich blitzen sehe!

16 | An die Geliebte

Wenn ich, von deinem Anschaun tief gestillt,Mich stumm an deinem heilgen Wert vergnüge,Dann hör ich recht die leisen AtemzügeDes Engels, welcher sich in dir verhüllt.

Und ein erstaunt, ein fragend Lächeln quilltAuf meinem Mund, ob mich kein Traum betrüge,Daß nun in dir, zu ewiger Genüge,Mein kühnster Wunsch, mein einzger, sich erfüllt?

Von Tiefe dann zu Tiefen stürzt mein Sinn,Ich höre aus der Gottheit nächtger FerneDie Quellen des Geschicks melodisch rauschen.

Betäubt kehr ich den Blick nach oben hin,Zum Himmel auf – da lächeln alle Sterne;Ich kniee, ihrem Lichtgesang zu lauschen.

Peregrina

17 | IDer Spiegel dieser treuen, braunen AugenIst wie von innerm Gold ein Widerschein;Tief aus dem Busen scheint er’s anzusaugen,Dort mag solch Gold in heil’gem Gram gedeihn.

In diese Nacht des Blickes mich zu tauchen,Unwissend Kind, du selber lädst mich ein –Willst, ich soll kecklich mich und dich entzünden,Reichst lächelnd mir den Tod im Kelch der Sünden!

18 | IIWarum, Geliebte, denk’ ich deinAuf einmal nun mit tausend Tränen,Und kann gar nicht zufrieden sein,Und will die Brust in alle Weite dehnen?Ach, gestern in den hellen Kindersaal,Beim Flimmer zierlich aufgesteckter Kerzen,Wo ich mein selbst vergaß in Lärm und Scherzen,Tratst du, o Bildnis mitleidschöner Qual;Es war dein Geist, er setzte sich ans Mahl,Fremd saßen wir mit stumm verhalt’nen Schmerzen;Zuletzt brach ich in lautes Schluchzen aus,Und Hand in Hand verließen wir das Haus.

19 | Lebewohl

„Lebe wohl“ – Du fühlest nicht,Was es heißt, dies Wort der Schmerzen;Mit getrostem AngesichtSagtest du’s und leichtem Herzen.

Lebe wohl! – Ach! tausendmalHab’ ich mir es vorgesprochen,Und in nimmersatter QualMir das Herz damit gebrochen!

20 | Verborgenheit

Laß, o Welt, o laß mich sein!Locket nicht mit Liebesgaben,Laßt dies Herz alleine habenSeine Wonne, seine Pein!

Was ich traure weiß ich nicht,Es ist unbekanntes Wehe;Immerdar durch Tränen seheIch der Sonne liebes Licht.

Oft bin ich mir kaum bewußt,Und die helle Freude zücketDurch die Schwere, so mich drücket,Wonniglich in meiner Brust.

Laß, o Welt, o laß mich sein!Locket nicht mit Liebesgaben,Laßt dies Herz alleine habenSeine Wonne, seine Pein!

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21 | Der Feuerreiter

Sehet ihr am FensterleinDort die rote Mütze wieder ?Nicht geheuer muß es sein,Denn er geht schon auf und nieder.Und auf einmal welch GewühleBei der Brücke, nach dem Feld!Horch! das Feuerglöcklein gellt:Hinterm Berg,Hinterm BergBrennt es in der Mühle!

Schaut! da sprengt er wütend schierDurch das Tor, der Feuerreiter,Auf dem rippendürren Tier,Als auf einer Feuerleiter!Querfeldein! Durch Qualm und SchwüleRennt er schon und ist am Ort!Drüben schallt es fort und fort:Hinterm Berg,Hinterm Berg,Brennt es in der Mühle.Der so oft den roten HahnMeilenweit von fern gerochen,Mit des heil’gen Kreuzes SpanFreventlich die Glut besprochen –Weh! dir grinst vom DachgestühleDort der Feind im Höllenschein.Gnade Gott der Seele dein!Hinterm Berg.Hinterm BergRast er in der Mühle!

Keine Stunde hielt es an,Bis die Mühle barst in Trümmer;Doch den kecken ReitersmannSah man von der Stunde nimmer.Volk und Wagen im GewühleKehren heim von all dem Graus;Auch das Glöcklein klinget aus:Hinterm Berg,Hinterm BergBrennt’s! –

Nach der Zeit ein Müller fandEin Gerippe samt der MützenAufrecht an der KellerwandAuf der beinern Mähren sitzen:Feuerreiter, wie so kühleReitest du in deinem Grab!Husch! da fällt’s in Asche ab.Ruhe wohl,Ruhe wohlDrunten in der Mühle!

22 | Storchenbotschaft

Des Schäfers sein Haus und das steht auf zwei Rad,Steht hoch auf der Heiden, so frühe, wie spat;Und wenn nur ein mancher so’n Nachtquartier hätt’!Ein Schäfer tauscht nicht mit dem König sein Bett.

Und käm’ ihm zur Nacht auch was Seltsames vor,Er betet sein Sprüchel und legt sich auf’s Ohr;Ein Geistlein, ein Hexlein, so lustige Wicht’,Sie klopfen ihm wohl, doch er antwortet nicht.

Einmal doch, da ward es ihm wirklich zu bunt:Es knopert am Laden, es winselt der Hund;Nun ziehet mein Schäfer den Riegel – ei schau!Da stehen zwei Störche, der Mann und die Frau.Das Pärchen, es machet ein schön Kompliment,Es möchte gern reden, ach, wenn es nur könnt!Was will mir das Ziefer? – ist so was erhört?Doch ist mir wohl fröhliche Botschaft beschert.

Ihr seid wohl dahinten zu Hause am Rhein?Ihr habt wohl mein Mädel gebissen ins Bein?Nun weinet das Kind und die Mutter noch mehr, Sie wünschet den Herzallerliebsten sich her?

Und wünschet daneben die Taufe bestellt:Ein Lämmlein, ein Würstlein, ein Beutelein Geld?So sagt nur, ich käm in zwei Tag oder drei,Und grüßt mir mein Bübel und rührt ihm den Brei!

Doch halt! warum stellt ihr zu zweien euch ein?Es werden doch, hoff ich, nicht Zwillinge sein?Da klappern die Störche im lustigsten Ton,Sie nicken und knicksen und fliegen davon.

23 | Abschied

Unangeklopft ein Herr tritt Abends bei mir ein:„Ich habe die Ehr, Ihr Rezensent zu sein!“Sofort nimmt er das Licht in die Hand,Besieht lang meinen Schatten an der Wand,Rückt nah und fern: „Nun, lieber junger Mann,Sehn Sie doch gefälligst mal Ihre Nas’ so von der Seite an!Sie geben zu, daß das ein Auswuchs is’.” – Das? Alle Wetter – gewiß!Ei Hasen! ich dachte nicht,All’ mein Lebtage nicht,Daß ich so eine Weltsnase führt’ im Gesicht!

Der Mann sprach noch verschiednes hin und her,Ich weiß, auf meine Ehre, nicht mehr;Meinte vielleicht, ich sollt’ ihm beichten.Zuletzt stand er auf; ich tat ihm leuchten.Wie wir nun an der Treppe sind,Da geb’ ich ihm, ganz frohgesinnt,Einen kleinen Tritt, Nur so von hinten aufs Gesäße mit –Alle Hagel! ward das ein Gerumpel,Ein Gepurzel, ein Gehumpel!Dergleichen hab’ ich nie gesehn,All mein Lebtage nicht gesehnEinen Menschen so rasch die Trepp’ hinabgehn!