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SWR2 ESSAY EWIG LEBEN WIE, WER UND WOZU? ÜBERMENSCHLICHES UND ALLZUMENSCHLICHES IM AKTUELLEN TRANSHUMANISMUS VON JOHANNES ULLMAIER SENDUNG /// 30.12.2013 /// 22.03 UHR Redaktion Künstlerisches Wort /// Literatur /// Stephan Krass Übernahme BR vom 15.08.2013 Regie: Barbara Schäfer __________________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. __________________________________________________________________

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SWR2 ESSAY EWIG LEBEN – WIE, WER UND WOZU?

ÜBERMENSCHLICHES UND ALLZUMENSCHLICHES IM AKTUELLEN TRANSHUMANISMUS

VON JOHANNES ULLMAIER SENDUNG /// 30.12.2013 /// 22.03 UHR Redaktion Künstlerisches Wort /// Literatur /// Stephan Krass Übernahme BR vom 15.08.2013 Regie: Barbara Schäfer __________________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung

und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.

__________________________________________________________________

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Musik Tortoise Djed

You Tube: Ray Kurzweil Human Enhancement and Singularity

Ansage

U: Guten Tag, mein Name ist Johannes Ullmaier, ich bin, wie Sie vielleicht auch, ein

sterblicher, beschränkter Mensch. Wurde aber in eine Zeit geboren, wo es zum

ersten Mal ernstzunehmende, sehr erfolgreiche Leute gibt, die behaupten, dass es

mit den menschlichen Beschränkungen und mit der Sterblichkeit sehr bald vorbei

sein wird:

K: Die Singularität wird uns erlauben, die Beschränkungen unserer biologischen

Körper und Gehirne zu transzendieren. Wir werden die Macht über unser Schicksal

erlangen. Unsere Sterblichkeit wird in unseren eigenen Händen liegen. Wir werden

so lange leben können, wie wir wollen.

A: Der hier spricht, ist nicht irgendwer: Ray Kurzweil, Jahrgang 1948, Erfinder,

Wissenschaftler, Kybernetiker und Mitbegründer Singularity University im Silicon

Valley, ist der wohl einflussreichste Repräsentant der sogenannten

transhumanistischen Bewegung, die das Hinauswachsen des Menschen über sich

selbst – vor allem über den eigenen Tod – zum intellektuellen wie technischen

Programm erhoben hat.

Musik ff

You Tube s.o.

K: Die Singularität bezeichnet den Höhepunkt der Verschmelzung unseres

biologischen Denkens und Seins mit unserer Technologie [...]. Nach Eintreffen der

Singularität – und sie ist nah – wird es keine Unterscheidung mehr zwischen Mensch

und Maschine oder zwischen physischer und virtueller Realität geben.1

U: Wahnsinn! Da bereitet sich offenbar die größte Revolution der

Menschheitsgeschichte vor, und die europäische oder gar deutsche Öffentlichkeit,

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der antiquierte Durchschnittsmensch nimmt es nur ganz am Rand zur Kenntnis, starrt

stattdessen unverdrossen aufs Politbarometer oder seine neueste App – was für eine

Ignoranz! Andererseits denke ich mir als christlich sozialisierter Mensch natürlich

gleich: „Singularität? Das klingt doch sehr nach Apokalypse und Neuer Zeit? Und

Ewiges Leben? Das kenn ich bzw. kennen wir Christen doch alles schon, seit fast

zweitausend Jahren. Und außer ein paar Leuten, die da noch ernsthaft dran glauben,

haben wir in der langen Zeit ganz gut gelernt, uns lieber klug im Diesseits

einzurichten, als das Jenseits zu erwarten. Kurzweil rennt bei uns also zwar offene

Türen ein – die aber bei den meisten längst vermauert sind. Wozu brauchen wir da

also eine neue Religion?

K: Ich bin nicht von einem Bündel religiöser Gebote oder Ideen darüber

ausgegangen, wie das Leben sein sollte, sondern meine Gedanken entstanden vor

einem wissenschaftlichen Hintergrund. Ich komme vielleicht zu ähnlichen

Ergebnissen wie manche Religionen im Hinblick auf die Idee, den Tod zu

überwinden, das Leid zu besiegen und über das hinauszuwachsen, was wir sind,

indem wir unsere Beschränkungen überschreiten. Aber meine Vorhersagen sind

nicht religiös, da sie nicht auf Glauben basieren, sondern auf der wissenschaftlichen

Auswertung technologischer Trends und Untersuchungen.2

A: Die Sicht der Transhumanisten auf die Gegenwart ist keine im klassischen Sinne

religiöse. Eher die von Menschen, die schon heute in der Welt von Morgen zu leben

und zu denken versuchen: Und solange die Evolution voranschreitet, sieht jede

Gegenwart – so aus der Zukunft angeschaut – natürlich ziemlich alt aus. Zumal im

Bewusstsein der nie gesehenen, ja kaum vorstellbaren Umwälzungen, die der

Menschheit bald bevorstehen. Und zwar nicht in irgendeiner fernen, unbestimmten

Zukunft, sondern noch zu Lebzeiten der allermeisten, die jetzt, im Jahr 2013, gerade

zuhören. Und nicht etwa nur eine Umwälzung, sondern ein ganzes Bündel

ineinandergreifender Durchbrüche, von denen jeder einzelne das menschliche Leben

schon radikal verändern würde, die in der Summe aber eine völlig neue Welt

erschaffen werden.

U: Wenn es so ist, möchte ich natürlich doch etwas genauer wissen, was auf dieser

transhumanistischen Agenda steht...

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Musikakzent Tortoise Djed

A: Erstens: die Entwicklung einer computerbasierten Künstlichen Intelligenz, die ihren

Namen endlich wirklich verdient, weil sie dem Menschen nicht nur im Schach oder

bei Jeopardy überlegen ist, sondern bei jeder erdenklichen Tätigkeit oder

Problemlösung, bis hin zur Kunst und Empathie. Weshalb sie sich ab einem

gewissen Punkt nur noch selber fortentwickeln kann – und wird, ohne dazu länger

ihrer menschlichen Erfinder zu bedürfen.

Zweitens: die Dechiffrierung und Anwendung von biologisch-genetischen Verfahren,

die es erlauben, umfassend in evolutionäre Prozesse einzugreifen, sie also so zu

programmieren, dass die ‚Evolution der Evolution„ künftig nicht mehr auf zufällige

Mutationen angewiesen ist und für jeden kleinen Fortschritt viele Generationen oder

Jahrmillionen braucht, sondern stattdessen zu einem Zweig der

Informationstechnologie wird – und damit zur Chance, auch die menschliche Biologie

planvoll und in kurzer Zeit zu perfektionieren und zu transformieren.

Drittens schließlich: die flächendeckende Durchsetzung der Nanotechnologie, vor

allem in Form winziger Roboter, die nicht nur sämtliche Umwelt- und

Energieprobleme lösen werden, sondern mit deren Hilfe die Software der neuen

Super-Intelligenz und der neuen Super-Biologie auch in der Hardware des

menschlichen Körpers installiert werden kann: sei es, um nach Belieben zwischen

der realen Welt und allen nur erdenklichen virtuellen Realitäten hin- und herwandern

zu können; oder sei es, vor allem, um erkrankte Körperzellen zu reparieren und

veraltete zu regenerieren – also den natürlichen Verfall, letztlich den Tod zu

überwinden.

Musik Tortoise Djed

You Tube Ray Kurzweil How far to Immortality

“In 15 years we will…its never an infinite amount on time…”

U: Das klingt wirklich nicht gerade nach abendländischer Metaphysik, sondern nach

einer Zukunftskonzeption für das reale Diesseits. Andererseits könnte ich meinen

vorigen Einwand jetzt einfach etwas modernisieren und sagen: Wissenschaftliche

Auswertung technologischer Trends – schön und gut. Aber gerade als Kenner der

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Futurologie-Geschichte und geübter Mediennutzer weiß ich doch, dass solche

futuristischen Verheißungen mit meiner außermedialen Lebenswelt nur sehr begrenzt

etwas tun haben. Sicher, in Romanen und Comics, in Hollywood und

Computerspielen klappt immer alles, wenn auch mit großem finanziellem und

kreativem Aufwand. Aber genauso, wie wir uns in Text und Bild schon längst an

Cyborgs, intergalaktischen Personenverkehr, Zeitreisen, die Apokalypse und – von

Mickey Mouse über James Bond bis Lara Croft – auch an alterungslose, ewig

lebende Figuren gewöhnt haben, haben wir uns umgekehrt auch längst – und mit

dem Scheitern der bemannten Weltraumfahrt endgültig – damit abgefunden, dass

das Meiste davon in der Wirklichkeit nicht hinhaut: Die jeweils neueste Künstliche

Intelligenz ist doch nie halb so intelligent wie die dafür gestellten Förderanträge; der

neueste Cyber-Anzug sitzt wieder ziemlich schlecht und sieht noch schlechter aus;

die Lichtgeschwindigkeit wird wieder nicht überschritten, weder im Raumgleiter noch

bei der Krebs-Gen-Therapie – und am Ende sterben doch alle. So gesehen hat es

durchaus seine Richtigkeit, auch Kurzweils Techno-Prophezeihungen eher der

immerwährenden Science-Fiction-Folklore zuzurechnen – gut für ein

Wochenenddossier, aber bei aller Pfiffigkeit nichts wirklich Ernstzunehmendes.

A: Mag vieles bei Ray Kurzweil zugleich phantastisch und doch aus der Popkultur

vertraut klingen, so war er in seinem bisherigen Leben alles andere als ein Phantast;

und die transhumanistische Bewegung ist alles andere als eine verschrobene,

einflusslose Psychosekte unter vielen. Nicht primär wegen Kurzweils Herkunft aus

einer wiener jüdischen Emigrantenfamilie, die nur knapp dem Holocaust entging, was

ihn assoziativ in die Nähe anderer US-Wissenschaftsheroen wie John von Neumann

oder Eric Kandel rückt; nicht aufgrund der achtzehn Ehrendoktorwürden und

unzähligen Auszeichnungen, teils von höchsten US-Regierungsstellen, die Kurzweil

bis dato zuteil wurden; und auch nicht wegen der abermillionen Dollar, die er als

universalistischer Erfinder im Geiste Thomas Edisons oder Nikola Teslas mit seinen

zahlreichen Patenten verdient hat – darunter so populäre wie eine Computer-

Lesemaschine für Blinde (etwa den befreundeten Stevie Wonder) oder die zeitweise

überzeugendsten Nachahmungen natürlicher Musikinstrumente auf dem Synthesizer.

Was Kurzweils Kombination aus Heilslehre und technologischem Programm vielmehr

entscheidend über konkurrierende Bewegungen – und auch alle seine Kritiker –

hinaushebt, ist, dass er mit der von ihm 2009 mitbegründeten Singularity-University

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über eine Infrastruktur verfügt, die geographisch wie sozial mitten im Machtzentrum

der Gegenwart platziert ist, nämlich im Silicon Valley, genauer: auf dem

Forschungsgelände der NASA. Die Chefs von Google gehen dort ein und aus, Bill

Gates bewirbt seine Bücher.

U: Verstehe, das bedeutet, während ich als Kulturkritiker hier noch meine Gedanken

und Fragen zum Transhumanismus zu sammeln versuche, weiß die digitale

Machtzentrale aufgrund meines Tracking-Profils im Prinzip schon, was ich sagen

werde und ob ich als öffentliche Stimme überhaupt ernstzunehmen bin...

A: Den Totalitätsanspruch und die reale Macht des Transhumanismus artikuliert

Peter Diamandis, Kurzweils etwas weniger feinsinnige Kollege und Leiter der

Singularity University, mit aller Offenheit:

D: Wir werden Gott sein! Omnipotent sein! Unser Gehirn an Google anschließen

können, um etwas auf der anderen Seite der Welt kontrollieren zu können! Um die

Gedanken von jedem Menschen zu kennen zu jeder Zeit!3

You Tube Ray Kurzweil How far to immortality

“People will think it’s crazy…didn’t back up their Email…”

U: Ich sehe ein: Sich mit Kurzweils Ideen zu beschäftigen, lohnt sich – völlig

unabhängig davon, wie realistisch, stimmig oder originell sie sind. Denn sie

beschäftigen sich doch schon ziemlich handgreiflich mit uns. Wenn man nicht ganz

blind sein will, erkennt man in den rasend evolvierenden Datenkonglomeraten, Big-

Data-Routinen und Real-Schnittstellen dieses digitalstaatsindustriellen Komplexes

leicht die ersten Regungen künftiger Trans-Intelligenzen, wie bei Frankenstein, da

stöhnt es schon...kurz vorm Erwachen.

A: Niemand, der auf dieser Welt noch ein paar Jahre zu leben und zu kommunizieren

hat und dafür Geld verdienen muss, wird von dem, was der kalifornische

Transhumanismus prophezeit und propagiert, ganz unbehelligt bleiben. Bereits in

den vergangenen dreißig Jahren hat sich der „Intelligenz“-Abstand zwischen den

Maschinen und den Menschen, die sie bedienen, radikal zu Ungunsten der letzteren

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verändert. Und der Zeitpunkt, wo sie – auch über den Einzelnen – vermeintlich alles

besser wissen werden als dieser selbst, ist absehbar.

You Tube Ray Kurzweil Human Enhancement

“We will expand to the rest of the universe.”

K: Am Ende dieses Jahrhunderts wird der nicht-biologische Anteil unserer Intelligenz

Trillionen mal so mächtig sein wie unsere heutige menschliche Intelligenz.4

U: Ist mir das egal, solange es nur bequem ist? Ist es mir egal, womöglich bald in

allem, worin ich involviert bin, immer das schwächste, dümmste, austauschbarste

Glied zu sein? Kann das auf Dauer gutgehen? Und ist es uns zuletzt auch schon

egal, ober ich und alle, die mir wichtig sind, dabei am Ende auch noch unsterblich

werden? Oder gerade nicht? Oder als Menschheit abgeschafft? Oder gar beides

gleichzeitig?

K: Im Jahr 2099 werden Menschen, deren Existenz auf Software beruht, gegenüber

denjenigen, die noch immer die traditionelle neuronale und auf organische Zellen

sich gründende Verarbeitungsmethode nutzen, bei weitem in der Überzahl sein.5

You Tube Ray Kurzweil Human Enhancement

“Maybe intelligences from other…. expand to the rest of the universe.”

U: Wie aber soll ich mich als Mensch der Gegenwart mit den Verkündigungen dieser

transhumanen Zukunft auseinandersetzen?

Die bequemsten Reaktion wäre natürlich: einfach alles glauben und selbst

Transhumanist werden. Aber was ist, wenn es bei aller transhumanen Frömmigkeit

mit der Selbstverbesserung oder Unsterblichkeit dann doch schiefgeht? Wegen

technischer Probleme; oder weil ich den Eintrittspreis nicht zahlen kann; oder weil die

Übermensch-Maschinen mich aus irgendwelchen Gründen nicht für würdig halten?

Und was, wenn es zwar funktioniert, das transhumane Dasein sich jedoch als Hölle

offenbart, in der ich dann für immer festsitze?

Musik Tortoise Djed

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U: Die bequemste Alternative wäre, wie bisher, einfach alles tapfer ignorieren. Aber

auch da stellt sich die bange Frage: Was mache ich, wenn auf dem Display des

Digital-Monopolisten meiner Wahl mal plötzlich steht:

Service-Stimme: Lieber User, unsere Geschäftsbedingungen haben sich geändert.

Wenn du unsere Dienste, ohne die du nicht mehr existieren kannst, weiter nutzen

möchtest, dann willige jetzt bitte ein, dass wir aus den von uns zusammengeführten

Daten deinen transhumanen Super-Avatar kreieren und auf unserem Cloud-Server

bereitstellen. Du kannst ihn dann entweder selber aktivieren. Und so in ihn

übergehen. Oder wir aktivieren ihn und sehen, wie lang du neben ihm noch

durchhältst.

U: Wer hilft mir dann, wenn ich gerne noch ein bisschen Mensch bliebe? Die Politik?

Der Staat? Nach aktuellem Stand wohl kaum. Deren Repräsentanten werden tun, als

wüssten sie von nichts – obwohl ich ahne, dass sie schon selbst mehrheitlich Avatare

sind. Und die anderen User? Solidarisieren sie sich? Am digitalen Monopol vorbei?

Wohl kaum. Die große Mehrzahl wird tun, was sie so lang trainiert hat: einwilligen.

Und sonst? Ist außer ein paar analogen Außenseitern, Aborigines und

Altenheimbewohnern leider niemand mehr zu sehen.

Musik Tortoise Djed

A: Öffentlichkeit und Politik sollten flächendeckend zur Kenntnis nehmen, dass der

Transhumanismus grundsätzliche Fragen aufwirft, die nicht trivial und nicht leicht zu

entscheiden sind. Und denen man sich als Individuum wie als Gesellschaft stellen

muss, bevor Konzerne, Algorithmen oder transhumane Übermenschen allen die

Antworten diktieren – oder die Debatte sich von selbst erübrigt, so wie Kurzweil es in

einem seiner fiktiven Dialoge mit Kollegen und Kritikern – hier mit Ned Ludd, dem

klassischen Maschinenstürmer des 19. Jahrhunderts – schlagend pointiert:

Musik ff

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Ludd: Ray, dir entgeht etwas! Wir sind einfach biologische Wesen. Und ich glaube,

die meisten würden bestätigen, dass das eine grundlegende Eigenschaft des

Menschseins ist.

K: Heutzutage, sicher...

L: Und ich plane, es auch weiterhin so zu halten!

K: Wenn du für dich selber sprichst, geht das für mich in Ordnung. Aber wenn du

biologisch bleibst und deine Gene nicht reprogrammierst, wirst du die Debatte

sowieso nicht mehr lang beeinflussen können.6

U: Man sollte die Debatte also führen, solange alle Beteiligten noch „biologisch“ sind,

am besten gleich. Dafür würde man natürlich zunächst gern noch einmal etwas

genauer wissen, was es mit dieser Singularität und dem unbegrenzten Leben

konkreter auf sich hat.

Musik Tortoise Djed

You Tube Ray Kurzweil Human Enhancement

My prediction is, objective….out in the Cloud.”

A: Laut Ray Kurzweil werden die kybernetische, die biotechnologische und die

nanotechnologische Revolution gemeinsam um das Jahr 2045 zu einem prinzipiell

neuen Weltzustand führen, den er – in Anschluss an John von Neumann und Vernor

Vinge – die „Singularität“ nennt. Nicht im Sinne der Mathematik, wo der Ausdruck die

Definitionslücke einer Funktion meint, etwa bei der Division durch Null. Oder im

Sinne der Astrophysik, wo er für ein schwarzes Loch steht. Sondern als Metapher für

das bislang Unvorstellbare, was geschehen wird, sobald das vom Menschen

erschaffene Übermenschliche einmal das Kommando übernimmt und die weitere

Zukunft modelliert.

Eingebettet ist Kurzweils Singularität in eine universale Weltgeschichtsphilosophie

aus sechs zwar jedesmal aufeinander aufbauenden, sich aber stets überbietenden

und deshalb auch immer kürzeren Epochen:

K: Epoche 1: Physik und Chemie seit dem Urknall – Epoche 2: Biologie und DNA seit

Entstehung des Lebens – Epoche 3: Das Gehirn, seit den ersten Mustererkennungen

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und -repräsentationen durch Tiere – Epoche 4: Technologie als den Menschen

definierende Möglichkeit, innere Modelle in die Außenwelt zu exportieren und dort

wirksam werden zu lassen, vom Steinkeil bis zum Internet – Epoche 5: Die

Verschmelzung von menschlicher Technologie und menschlicher Intelligenz, wie jetzt

gerade massiv beginnt und alsbald in die Singularität münden wird – sowie

schließlich: Epoche 6: Das Universum erwacht – d.h. die neue Hyperintelligenz wird

das gesamte Universum kolonisieren.7

A: Dabei ist Ray Kurzweil – wie gesagt: Jahrgang 1948 – fest davon überzeugt, dass

er all das noch selbst erleben wird. Und zwar nicht als gebrechlicher Greis kurz vor

dem Dahinscheiden, sondern als agiler Transmensch von nur 97 Jahren, dem noch

viele Jahre, ja Jahrtausende bevorstehen. Wie das konkret vor sich gehen soll, hat er

in Büchern wie „Transcend. Nine Steps to Living Well Forever“ oder „Fantastic

Voyage. Live Long Enough to Live Forever” detailliert beschrieben – bis hin zu

einzelnen Gymnastikübungen und Kochrezepten.

U: Oje, „1001 Rezepte, die sie kochen sollten, bevor Sie unsterblich werden“, das

klingt doch wieder eher nach Psychosekte und Quacksalberei.

A: All das ist freilich nur der erste Schritt, genauer gesagt: die erste von drei Brücken

zur Unsterblichkeit:

K: Brücke Eins handelt von allem, was man im Hier und Jetzt tun kann, um jene

Prozesse zu verlangsamen, die zu Krankheit und Altern führen, sie in vielen Fällen

sogar ganz zu stoppen. […] Diese Brücke Eins bringt dich über eine bewegliche

Grenze, da sich unser Wissen über Biologie und darüber, wie man ihre

Begrenzungen überwindet, beständig erweitert – und zwar exponentiell.

So führt uns Brücke Eins zu Brücke Zwei, welche die volle Entfaltung der

biotechnologischen Entwicklung markiert. In weniger als zwei Jahrzehnten werden

wir die Mittel dazu haben, unsere eigene Biologie zu perfektionieren, indem wir die

sie steuernden Informationsprozesse vollkommen neu programmieren. Wir werden

imstande sein, unsere Gene zu verändern, Jahrzehnte länger – und gut! – zu leben,

als wir es uns heute unter einem langen Leben vorstellen.

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Dies wiederum bringt uns zu Brücke Drei – der vollen Blüte der nanotechnischen

Revolution, wo wir über die Grenzen der Biologie hinausgehen und unendlich leben

können.8

A: Dieser Brückenpfad zum unbegrenzten Leben braucht natürlich ein breites

technisches Fundament. Und dieses Fundament, wovon, wie Kurzweil einräumt,

noch entscheidende Teile fehlen, entsteht, wie er als erfahrener Erfinder weiß,

mitnichten sprunghaft, sondern als Synthese aus unzähligen kleinen Fortschritten auf

den verschiedensten Gebieten. Wann dabei genau welches Patent angemeldet

werden kann, ist nicht vorhersagbar. Doch die Richtung ist laut Kurzweil klar. Und

auch, dass die Entwicklung sich – so wie die Technikgeschichte insgesamt – stets

weiter beschleunigen wird. Dem entspricht die exponentielle Zunahme der Speicher-

und Rechenkapazitäten von Computern, wie Gordon Moore sie 1965 postuliert hat,

und wie sie sich seither überwältigend vollzieht.

U: Also wenn ich das hör, denke ich wunderbar, der einladende US-Optimismus,

nicht dieses alteuropäische Gemüffel, dieser Untergang, zum Museum werden,

Kalifornien, das ist der Aufbruch, Go West bis zum Pazifik, zum Mond, nach innen, in

die Psychedelic Welt, Timothy Leary, der im späteren Leben Transhumanist wurde.

Hier bei Kurzweil geht es weiter mit dem den Aufbruch in die Nanosphäre und

entscheidende, ins ewige Leben. Immer der praktische Geist der Hippie-Utopisten,

jedes Problem ist lösbar mit Technik. Gegenteil der deutschen Stimmung, in

Deutschland Hauptsache bremsen, was zwar so polarisiert nicht stimmt, aber man

muss schon zugeben, die Kalifornier legen hier eine Dynamik vor, hier wir nicht

gebremst, hier wird nach vorne geblickt. Wenn man nicht überrollt werden will, sollte

man das entschieden organisieren. (Take 23)

A: In wenigen Jahren wird die Komplexität der Computer die Dimension des

menschlichen Gehirns erreichen und rasch überschreiten. So rast die Welt von sich

aus unaufhaltsam auf die Singularität zu. Und wer willens und fähig ist, sich dafür

bereit zu machen, kann das Wunder selber miterleben – und vor allem: überleben.

Kurzweil, selbst als Unitarier aufgewachsen, hat dafür einen charakteristischen

Begriff:

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K: Ich betrachte jeden Menschen, der die Singularität begreift und deren

Auswirkungen auf sein oder ihr eigenes Leben reflektiert hat, als ‚Singularitianer„.9

U: Gut, dann werde ich also Singularitianer, insofern, als ich versuche, diese

Auswirkungen zu reflektieren. Aber wo beginnen? Es sind so viele Fronten. Und so

viele verschiedenen Ebenen.

A: Um eine sinnvolle Debatte über den Transhumanismus zu führen, wird man nicht

darum herumkommen, verschiedene Fragenfelder auseinanderzuhalten:

1) Was ist technisch überhaupt möglich? Respektive wie wahrscheinlich? Und bis

wann?

2) Welche Konsequenzen – und womöglich Paradoxien – ergeben sich jeweils

daraus? Vor allem bei der Frage nach dem unbeschränkten Leben.

Und auf dieser Basis schließlich 3) Was wollen wir? Als Gesellschaft und als

Einzelne?

U: Gut, dann frag ich mich jetzt also als Mensch im Dialog mit Kurzweil, was es mit

diesem ewigen Leben auf sich hat.

Musik Tortoise Djed

U: Bei aller Grundsätzlichkeit, oder gerade deswegen, darf man natürlich auch nicht

außer Acht lassen, dass der kalifornische Transhumanismus, auch wenn

Gesellschaft bei ihm, wenn überhaupt, meist nur als Bremse vorkommt, die

Entstehung des unbegrenzten Lebens ja nicht im luftleeren Raum propagiert,

sondern durchaus in einen ganz bestimmten gesellschaftlichen Kontext:

K: Denn das Gesetz des sich beschleunigenden Nutzens ist im Prinzip eine

ökonomische Theorie, d.h. die primäre treibende Kraft des technischen Fortschritts,

der eigentliche Brennstoff dieses Gesetzes ist nichts anderes als der ökonomische

Imperativ konkurrierender Marktkräfte. [...] Und dieser ökonomische Imperativ ist das

Äquivalent zum Überleben in der biologischen Evolution.10

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U: An solchen Statements merkt man, im transhumanen Kalifornien weht der Geist

des kapitalistischen Sozialdarwinismus. Ob dort wirklich ein freier Markt herrscht, ist

eine andere Frage, aber umso mehr ist das eigene Selbstverständnis: totaler

Wettbewerb zum Zwecke maximaler Dynamik. Und insofern muss man sich

klarmachen, dass auch das Ewige Leben nach jetziger Lage bzw. Kassenlage

zunächst einmal nur als Privileg für Reiche wird entstehen können.

K: Diese Ungleichheit ist allerdings nichts Neues. Außerdem hat das Gesetz des sich

beschleunigenden Nutzens diesbezüglich einen wichtigen und hilfreichen Effekt.

Denn wegen des fortschreitenden exponentiellen Wachstums beim Preis-

Leistungsverhältnis werden all diese Techniken bald so billig werden, dass sie

praktisch kostenlos sind. Schauen Sie sich an, wie viel hochwertige Information man

heute kostenlos im Internet findet! [...] Und wie die Zugriffsmöglichkeit darauf selbst

in den ärmsten Ländern Afrikas rasant ansteigt!11

U: Das mag stimmen, andererseits: das freie Wissen im Internet ist weder überall

qualitativ hochwertig, noch das Hochwertige überall kostenlos, und frei auch insofern

nicht, als sein Abruf und seine Verwendung global überwacht werden kann – und

wird. Und außerdem gilt das ja nur Software; bei der Hardware sieht es nicht ganz so

aus; und bei ganz un-digitalen Dingen wie Wohnen, Essen, Heizen schon gar nicht.

Der prinzipielle Einwand ist aber der: Hier wird ein soziales Problem rein technisch

gelöst: Technik statt Ethik, Technik als Ethik. Und das bedeutet in Analogie zu

bisherigen Entwicklung: So wie die Tiere und die Steine nicht gefragt wurden, ob sie

Atombomben und die Wall Street wollen, werden die Menschen von den

Supermenschen auch nicht vorher gefragt werden, ob sie superüberlegene oder

unsterbliche Artgenossen haben oder selber sein wollen oder nicht. Es werden

einfach irgendwann die Tools dazu angeboten, erst teuer, dann billiger – und es wird

eine Welt gebaut, wo man diese Tools verwenden muss, wenn man darin nicht

untergehen will! Der Unterschied zu den Tieren ist allerdings: Diese hätten wir auch

relativ schlecht fragen. Uns Menschen könnte man aber eigentlich fragen. Aber wenn

niemand das tut, dann stellen wir eben unsere Fragen, zunächst also mal: Ewig

leben – Wie?

Natürlich durch Technik, aber in verschiedenen Aspekten, erstens: Selbsttechnik.

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Musik Tortoise, Djed

K: Zum TRANSCENDieren gehören, wie das Wort selbst schon sagt, neun Elemente:

- T für Talk to your Doctor: Sprich mit deinem Doctor, analysiere deinen aktuellen

Gesundheitszustand,

- R für Relaxation: Spann auch mal aus,

- A für Assessments: Kontrolliere engmaschig deine Körperdaten, Blutwerte, etc.

- N für Nutrition: Esse gesund,

- S für Supplements: Vergiss nicht deine Nahrungsmittelzusätze, Vitaminpräparate

etc.

- C für Calories: Reduziere deine Kalorien,

- E für Exercising: Mache regelmäßig deine Gymnastikübungen,

- N für New Technologies: Setze neue Technologien gleich ein, sobald sie auf den

Markt kommen, es gibt z.B. schon erschwingliche Genom Tests – und schließlich:

- D für Detoxifying, entgifte dich.12

U: Also Selbstdisziplin, Affektkontrolle. Klappt das? Teils ja: Wer gesund lebt, lebt im

Schnitt gesünder und länger. Kurzweil selbst war Diabetiker, seine Urerfahrung:

Analyse, technische Lösung. So auch beim Altern. Jetzt von 250 Zusatzpillen am Tag

auf 200 Pillen am Tag runter.

Sachlich nun graduell etwas Neues, aber vom Modus her: Früher konnte man im

Angesicht des Todes entscheiden, zwischen verschiedenen Lebensökonomien: lang

oder kurz leben, wild oder brav? Hier passiert aber alles schon „sub specie

aeternitatis“ – also: Turnübungen für die Unsterblichkeit. Wird man die durch ein paar

blöde Exzesse gefährden? Ambivalenz von Sorgfalt mit sich selbst und

unvorstellbarer Angst um sich.

Aber natürlich ist das nur die Alte Schule der technischen Verbesserung. Etwas

handfester wird es schon bei der Körper-Hardware:

K: Wir haben inzwischen für alles Prothesen: für unsere Hüften, Knie, Schultern,

Kiefer, Zähne, Haut, Arterien, Venen, Herzklappen, Arme, Beine, Finger und Zehen.

Und Systeme, die auch komplexere Organe ersetzen können, wie etwa das Herz,

werden gerade eingeführt. In dem Maße, wie wir die Funktionsweise des

menschlichen Körpers und des Gehirns verstehen, werden wir bald in der Lage sein,

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unvergleichlich überlegene Systeme zu entwerfen, Systeme, die länger und besser

funktionieren werden, ohne Ausfalls- oder Krankheitsrisiko, und ohne Altern.13

U: Funktioniert das? Sicher, zunehmend. Bis hin zum Paradox des Sports, wo die

Paralympiker die Olympiker in immer mehr Disziplinen hinter sich lassen, so dass

man sich zunehmend entscheiden müssen wird, was einen eigentlich interessiert: die

objektiv besten Leistungen? Oder die Paralympics der besten menschlichen

Athleten?

Das ist aber vergleichsweise Folklore: Das eigentliche Problem ist die moralische

Dimension, die hier sichtbar wird: Immer ist derselbe Prozess: Jemand hat einen

Defekt (in den USA oft Soldaten, die aus dem Krieg kommen). Man will ihnen helfen,

und sie wollen auch selbst Hilfe. Dabei entwickelt man Prothesen, diese werden aber

bald besser als die natürlichen Körperteile und entwickeln dann indirekt Druck auf

alle. Diese „Ausweitung der Moralitätszone“ wird aber von den Technikern, denen es,

wenn sie ehrlich sind, oft mehr um ihre Ingenieurs-Ehrgeiz geht als um den einzelnen

Leidenden, ausgeklammert. Hart gesagt: Die Kranken werden moralisch in Geiselhaft

genommen, um auf Dauer einen neuen, stressigeren Standard für alle zu etablieren.

Und nicht nur im Körperlichen:

K: Wir werden in dem Maß unvergleichlich klüger, in dem wir mit unserer

Technologie verschmelzen.14

U: Bei Kurzweil kippt „klüger“ aber fast immer ganz auf die eine Seite von smart, also

nicht weise oder reif, sondern schlau, fit. Gemeint: bessere Umweltanpassung mit

allen Formen von Enhancement, psychischer Leistungsverbesserung, sei es

klassisch früher durch Drogen, Kaffee oder heute Ritalin, vor allem aber durch die

Verbindung mit schwacher KI, also konkret etwa: das Smartphone, Google-Brille,

Wikipedia, das ganze Weltwissen, kurzum: die erweiterte Augmented Reality immer

vor sich haben.

Auch das kann wieder Mängel ausgleichen: Wer dauernd bei allem auf dem

Schlauch steht, kann immer nachschauen. Wer die Daten über sein Gegenüber

sofort vor sich hat, hat bessere Handlungsoptionen. Aber auch hier: blitzschnell: ein

neuer Standard, ein neues Anforderungsniveau für alle, wo zwar sicher mehr

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Information umgesetzt wird, nicht aber unbedingt mehr Erfahrung generiert wird,

mehr Glück oder gar neue Ideen generiert.

Was dagegen auf jeden Fall generiert wird, ist ein nie dagewesenes Maß an

Überwachung und Mißbrauchsmöglichkeiten:

K: Wenn wir die 2020er Jahre erreichen und in unseren Körpern und Gehirnen

Software implementiert sein wird, werden die staatlichen Autoritäten einen legitimen

Anspruch darauf haben, diese Datenströme nach Gelegenheit zu überwachen.15

U: Kurzweil verweist dann zwar schon auf die Verluste an Freiheit und Privatheit, die

das mit sich bringen kann, aber anders als etwa bei der Energieversorgung, wo er,

um die Verwundbarkeit des Staates zu minimieren, auf Dezentralisierung setzt,

kommt er hier nicht etwa auf die Idee, dass man darauf achten müsste, zuerst

gewisse Daten-Dezentralisierungs- oder gar ethische Standards zu sichern, bevor

man sich sein erstes Google-Hirn-Implantat einbauen lässt, oder 2014 seine Google-

Brille aufzieht. Das ist ihm nicht so wichtig – da sieht man, in welche Richtung sich

das bewegt.

Auf neue Ideen kommt man durch schwache KI kaum. Dazu bräuchte man starke

Formen von Künstlicher Intelligenz, also solche, die selbständig komplexe Probleme

lösen und wirklich „menschlich“ agieren können; aber auch die stehen, nach so

vielen Enttäuschungen – laut Kurzweil – jetzt endgültig vor der Tür.

Musik Tortoise, Djed

You Tube: Ray Kurzweil Human Enhancement and Singularity

“We’re already there…includes our whole moral system.”

K: Sobald wir einmal vollständige Modelle der menschlichen Intelligenz entwickelt

haben, werden Maschinen in der Lage sein, die flexiblen und feinen Ebenen

menschlicher Mustererkennung mit den Vorteilen von Maschinen-Intelligenz zu

kombinieren.16

U: Ob das funktionieren kann, wird sich zeigen. Die Chancen werden immer besser.

Allerdings erweitert sich auch hier die ethische Kampfzone. Denn was heißt

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Verbesserung der menschlichen Intelligenz? KI für mehr Weisheit? Mehr Demut? Für

die Einhaltung der Goldenen Regel? Die Nächstenliebe? Die Einhaltung der

Menschenrechte? Gegen Profitsucht? Die könnten viele derzeitige Machthaber gut

brauchen, davon hört man aber, außer in legitimatorischen Nebensätzen, von

Kurzweil nie was. Immer geht es um Mustererkennen, Rechnen, Problemlösen – also

nackte Intelligenzsteigerung unter bewusstem, eklatantem Ausschluss jeglicher

Vernunftbindung. So steht leider zu erwarten, dass Kurzweils Superintelligenzen

zwar in vielem bessere Testergebnisse liefern werden, aber im Vergleich zu einem

nicht völlig verkommenen Normalmenschen – in Punkto Verantwortung, Weisheit und

Würde – trotzdem einen evolutionären Abstieg, nach seiner Terminologie eigentlich

einen Irrweg bedeuten.

Denn entweder die Superintelligenzen verhalten sich so wie wir zu den früheren

Evolutionsstufen: Dann sollten wir lieber schauen, dass wir pittoresk aussehen oder

gut schmecken, damit wir wenigstens im History-Zoo oder als Nutzmenschen

überleben dürfen. Oder die Superintelligenzen werden irgendwann so klug, dass sie

merken, dass sie nur ins Monströse vergrößerte Nerds sind – und eliminieren sich

dann aus besserer Einsicht selber. Wenn man dagegen andere Superintelligenzen

wollte, müsste man die Sache wohl völlig anders angehen.

Tut man aber nicht. Eher betreibt man parallel die biotechnologische Revolution:

Musik Tortoise, Djed

K: Einer der energischsten und kundigsten Kämpfer gegen den Alterungsprozess ist

Aubrey de Grey, Wissenschaftler am Gentechnik-Institut in Cambridge. [...] De Grey

ist sich sicher, dass wir in zehn Jahren „robust verjüngte“ Mäuse vorführen können

werden, also solche, die jünger wirken als vor ihrer Gen-Behandlung. Sobald wir aber

zeigen können, dass wir den Alterungsprozess bei einem Tier, das mit uns 99%

seiner Gene teilt, umkehren können, wird das die allgemeine Auffassung von der

Unvermeidlichkeit des Todes massiv herausfordern. Dadurch wird einer enormer

Konkurrenzdruck entstehen, diese Ergebnisse in menschliche Anwendungen zu

überführen.17

U: Ob es funktionieren wird? Man wird sehen. Entscheidend ist, sich klarzumachen,

dass der Tod hier insgesamt pathologisiert, zur Krankheit erklärt wird. Damit werden

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die Sterblichen nun insgesamt als Geisel genommen. Für einen Zustand, den man

einerseits als extremen Freiheitsgewinn verbuchen kann: So wie bisher nur der

Selbstmörder verfügt nun auch der Lebende über sein Leben. Auf der anderen Seite

bedeutet das: Wer künftig sterben will, muss sich dafür selber umbringen, muss dafür

an sich selbst zum Mörder werden. Und sich damit nicht nur ein paar Jahre, sondern

seine eigene Ewigkeit rauben.

[Was nach dem Wie zur nächsten Frage führt: Wer soll ewig leben?]

K: Wissen ist kostbar in all seinen Formen: als Musik, Kunst, Wissenschaft und

Technologie genauso wie das in unseren Körpern und Gehirnen eingelagerte

Wissen. Jeder Verlust einen solchen Wissens wäre tragisch.18

U: Das klingt gut, also eigentlich alle. Worüber man bei Kurzweil kaum etwas findet,

sind die Fragen, die das aufwirft. Denn das Geniale an der paulinischen

Jenseitserfindung war ja, dass es da keine realen Probleme gibt, im Himmel haben

alle Platz, alles ist auf unbestimmte Weise super, es ist auch alles statisch, gibt keine

weitere Evolution mehr.

Bei einem Realübergang zum unbegrenzten Leben wäre das nicht so. Ewige würden

neben Sterblichen leben, was die Populärkultur in Serien wie „True Blood“ mit

Vampiren schon durchbuchstabiert; aber man wüsste doch darüber hinaus gerne,

wie das werden soll: Wo sollen, wenn alle überleben sollen, dann alle hin? In die

Cloud? Dann also offenbar doch auf Dauer keine Wahlfreiheit zwischen virtual und

real, sondern eine Festplatten- Bio-Adapter-Existenz.

Und wie soll es gesellschaftlich gehen? Gibt es noch Familien? 200 Generationen

unter einem Dach? Werden noch weiterhin Kinder geboren? Wie teilt man seine

Lebensspanne ein? 18 Jahre Kindheit und Jugend und dann 3000 Jahre fitte

Berufstätigkeit?

De facto muss man sich, wenn Kurzweils Visionen wahr werden, um all des keine

Sorgen machen:

K: Information ist kein Wissen. Die Welt quillt über vor Informationen. Es ist aber

gerade die Aufgabe der Intelligenz, die herausragenden Informationen zu finden.

Jede Sekunde fließen hunderte von Megabits durch unsere Sinne, aber der Großteil

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davon wird intelligenterweise ausgefiltert. Wir reagieren nur auf die Schlüsselreize.

So zerstört Intelligenz per Selektion Information, um Wissen zu kreieren.19

U: Klingt auch erstmal toll. Sobald die Superintelligenzen dies auf die Menschheit

anwenden, werden sie feststellen, dass auch sehr viele Menschen eigentlich nur

Information sind, und keine Wissen. Wozu so viele Shopping-Center, Konsumenten,

laute Leute, die dasselbe kaufen, denken und fühlen? Das ist doch redundant. Also

weg mit allem, bis auf je ein zwei Zoo-Exemplare für die Forschung. Fürs Museum.

Je genauer man die Menschheit ansieht, desto mehr Schwächen entdeckt man. Weg

damit, als Hyperintelligenz.

Trotzdem soll nach Kurzweil alles irgendwie human bleiben:

Musik Tortoise, Djed

K: Manche Beobachter bezeichnen die Periode nach Eintreffen der Singularität als

„post“-human. Für mich bedeutet „human“ sein aber gerade, Teil einer Zivilisation zu

sein, die ihre Grenzen überschreiten will. [...] Wenn wir den technologisch

veränderten Menschen nicht mehr als „menschlich“ begreifen, wo ziehen wir dann

die Grenzlinie?20

U: Eine herausfordernde Frage, die aber darauf deutet, dass man diese Grenze

vielleicht nicht anhand der Anzahl von Prothesen und Nanobots, die jemand im

Körper hat, diskutieren sollte, wie Kurzweil, sondern sich prinzipiell fragen muss: Was

gehört eigentlich zum Menschsein?

Bislang war das vor allem der Tod.

K: Die Hauptrolle der traditionellen Religionen bestand darin, den Tod zu einer guten

Sache zu rationalisieren. Malcom Muggeridge bringt diese allgemeine Ansicht auf

den Punkt, wenn er sagt: „Ohne Tod wäre das Leben unerträglich.“ Aber die

Explosion der Kunst, Wissenschaft und der anderen Formen des Wissens, die die

Singularität mit sich bringen wird, macht das Leben durchaus erträglicher; es macht

das Leben erst wirklich sinnvoll!21

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U: Endlichkeit Segen oder Fluch - das ist wirklich eine philosophische, tiefe, für

Menschen kaum lösbare Frage. Es gibt Menschen, die sich den Tod

herbeiwünschen, andere, die vielleicht ewig leben wollen. Was fatal wäre, wäre, sich

als Mensch angesichts dieser Herausforderung auf seine Mangelhaftigkeit

zurückzuziehen. Bzw. sich den Fortschrittsbegriff zum reinen Für oder Wider den Tod

verengen zu lassen. Es kann auch andere Lebenssinne geben als den, unsterblich

zu werden. Das ist bei dem Druck, der durch den Transhumanismus entstehen wird,

eine schwerwiegende Gefahr.

Auch für Kurzweil selbst ist das Wozu des ewigen Lebens, auf wenn er viele seiner

Anhänger damit ködern dürfte, nicht dieses ewige Leben selbst, ist dieses ewige

Leben eigentlich nicht der Sinn:

K: Aus meiner Sicht besteht der Sinn des Lebens –unseres Lebens – darin, immer-

größeres Wissen zu kreieren und zu genießen. sich einer höheren „Ordnung“

entgegenzubewegen.22

U: Darum geht es ihm, wenn man Kurzweil ontologisch fassen will, müsste man

sagen, er ist eine Art Pattern-Platoniker, bei allem Technizismus und Realismus, den

er auf der einen Seite ausstrahlt, steckt dahinter eine radikale Geistutopie, letztlich

ein ganz klassischer jüdisch, christlich-platonischer , plutinischer- metaphysischer

Tradition, da gibt es einen Geist der über den Dingen schwebt, der die Dinge

bestimmen, überwinden will und kann. Das ist im Prinzip der Plan, Kurzweils

Elysium, seine große Vision, dass wofür er letztlich wahrscheinlich lebt, ist ein

bisschen wie ein Mad Scientist bei James Bond, dass er Zeuge werden will, sehen

will, wie diese Intelligenz das Universum nach und nach erfüllt, also quasi diesen

gigantischen Orgasmus seines Geistes über die Materie bis in die letzten Ränder des

Universums mitverfolgen kann.

Musik Tortoise, Djed

K: So zeigt sich, dass wir als Menschen nach allen Kränkungen durch die

Wissenschaft im Universum doch zentral sind. Unsere Fähigkeit, Modelle zu kreieren

[...], war ausreichend, um uns in eine andere Form der Evolution zu überführen:

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Technologie. [...] Und diese Entwicklung wird weitergehen, bis wir das gesamte

Universum zu unserer Verfügung haben.23

U: Und hier sind wir am Schluss dann doch beim allzumenschlichen Kern des

kalifornischen Transhumanismus angelangt: beim kleinen Nerd-Jungen, der davon

träumt, der Master of the Universe zu sein. Wenn man so begabt und mächtig ist wie

Ray Kurzweil, kann man auf dem gloriosen Weg zum eigenen Scheitern sehr viel

Gutes und sehr viel Böses anrichten. Aber der Transhumanismus wird dabei viel

Hilfe brauchen. Hilfe von ganz normalen, leidenden, liebenden, lachenden

Menschen. Denn genauso, wie die Maschinen den Menschen helfen sollen, müssen

die Menschen den Maschinen auch helfen, menschlich zu bleiben, solange ihnen

hoffentlich nicht alles egal ist.

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22

1 Singularity, 9 (+ Titel).

2 Hülswitt, 28.

3 Arte-Doku Mensch 2.0. – amerikanischer O-Ton.

4 Singularity, 9.

5 Homo Sapiens, unpag., 8.

6 Singulartiy, 226.

7 Singularity: Zusammenfassung von 14-21

8 We often use the metaphor of three bridges to talk about the three steps toward radical life

extension. Bridge One is about what you can do right now to slow down and in many cases to

stop the processes that lead to disease and aging. [...] Bridge One will take you over a moving

frontier because our knowledge about biology and how to transcend its limitations is

expanding – at an exponential pace.

Bridge One will take us to Bridge Two, which is the full flowering of the biotechnology

revolution. In less than two decades, we will have the means to perfect our own biology by

fully reprogramming its information processes. We will be able to actually change our genes

in order to live – well – for decades longer than what we now consider a long life. This, in

turn, will take us to Bridge Three – the full flowering of the nanotechnology revolution –

where we can go beyond the limitations of biology and live indefinetely. [Transcend, XX] 9 I regard someone who understands the Singularity and who has reflected on its implications

for his or her own life as a “singularitarian”. [Singularity, 7] 10

Singularity, 96. 11

Singularity, 470. 12

Transcend, 422/3, Zus.. 13

Singularity, S. 302. 14

Singularity, S. 24. 15

Singulyrity, S. 424. 16

Singularity, S. 441/2. 17

Singularity, S. 213. 18

Singularity, S. 372. 19

Ebd. 20

Singularity S. 374. 21

Singularity, S. 372. 22

Ebd. 23

Singularity, S. 487.