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Europaische und internationale Dimension des Rechts Festschrift fUr Daphne-Ariane Simotta herausgegeben van Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhold Geimer Prof. Dr. Dr. h.c. Rolf A. Schlitze Ass.-Prof. Mag. Dr. Thomas Garber LexisNexis·

Europaische und internationale Dimension des Rechts · "Europaische und internationale Dimension des Rechts" lautet der Titel dieser Fest schrift. Daphne-ArianeSimotta hat frtih den

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Europaische undinternationale

Dimension des Rechts

FestschriftfUr

Daphne-Ariane Simotta

herausgegeben van

Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhold Geimer

Prof. Dr. Dr. h.c. Rolf A. Schlitze

Ass.-Prof. Mag. Dr. Thomas Garber

.~ LexisNexis·

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VorwortDaphne-Ariane Simotta hat am 30. April 2012 ihr 65. Lebensjahr vollendet. Die wissen­

schaftliche Welt ehrt die groBe Gelehrte mit dieser Festschrift.

Stets hat die Jubilarin das Fach "Zivilgerichtliches Verfahren" - zunachst als Assistentinvon Winfried Kralik und anschlieBend als Universitatsprofessorin an der Karl-Franzens-Uni­versitat Graz - souveran und mit brillanten Ergebnissen vertreten. Sie war die erste Frau, diesich in diesem Fach in Osterreich habilitierte, und sie war auch die erste Frau, die an derKarl-Franzens-Universitat Graz zur Ordinaria berufen wurde. Ihre zahlreichen Publikationenzum osterreichischen, europaischen und internationalen Zivilverfahrensrecht - zu nennensind der gemeinsam mit Walter H. Rechberger verfasste "Grundriss des osterreichischen Zi­vilprozessrechts" und ihre umfassende Kommentierung von Teilen der IN, der EuGVVO so­wie der EuEheKindVO in dem von Hans lV, Fasching und Andreas Konecny herausgegebenenKommentar zu den Zivilprozessgesetzen sowie ihre unzahligen Beitrage in Zeitschriften undFestschriften - haben groBe Beachtung in Lehre und Rechtsprechung gefunden; stets habensie die Dogmatik des Zivilprozessrechts bereichert und ihr wesentliche Impulse gegeben.

"Europaische und internationale Dimension des Rechts" lautet der Titel dieser Fest­schrift. Daphne-Ariane Simotta hat frtih den Wert rechtsvergleichender Studien erkannt unddaher stets den Blick tiber die Grenzen gewagt. In ihrer Forschung hat sie auslandischesSchrifttum und auslandische Rechtsprechung klar analysiert, sich mit Losungsmodellenauslandischer Rechtsordnungen auseinandergesetzt und diese kritisch hinterfragt. Frtih hatsie auch die Bedeutung der Europaisierung des Zivilverfahrensrechts erkannt - als eine derErsten in Osterreich verOffentlichte sie eine Kommentierung des EuGVD und LGVD, einOpus magnum, das tiber die Europaische Union hinaus groBe Beachtung gefunden und einbreites Echo ausgelOst hat. Aber die Jubilarin ist keine Stubenwissenschaftlerin: Auf inter­nationalen Kongressen von Athen tiber Thessaloniki bis nach Oxford ist sie durch bemer­kenswerte Interventionen hervorgetreten.

Diese Festschrift solI eine Anerkennung all ihrer wissenschaftlichen Leistungen und dar­tiber hinaus eine Hommage an ihre liebenswtirdige Personlichkeit sein, die mit ihrer groBenintellektuellen und literarischen Spannweite schon frtih die Stenosen der Juristerei durch­stoBen hat, ein Unterfangen, das vielen Juristen nicht gelingt, ja von ihnen nicht einmal alserstrebenswertes Ziel erkannt wird.

Daphne Ariane Simotta steht auf dem Hohepunkt ihres Schaffens. Sie ist nicht der vielapostrophierte "homo procul negotiis" - die Wissenschaft erwartet noch viel von ihr.

Dank gilt der Rechtsanwaltskanzlei Eisenberger & Herzog (Graz - Wien), der Rechtsan­waltskanzlei Held, Berdnik, Astner & Partner (Graz), Rechtsanwalt Dr. Hermann Holzmann(Innsbruck), Rechtsanwalt Mag. Alexander Scheer (Wien), der Osterreichischen Notariatskam­mer (Wien), dem osterreichischen Sparkassenverband (Wien) sowie der RechtsanwaltskanzleiViehbacher (Mtinchen - Vaduz - Wien - Ztirich), die durch ihre groBztigige Forderung dasErscheinen der Festschrift moglich gemacht haben.

Bedanken mochten wir uns auch bei den Schtilerinnen der Jubilarin, Univ.-Ass. Mag.Selena Clavora und Univ.-Ass. Mag. Eva Krinner, deren Einsatz ganz wesentlich zum Ge­lingen und rechtzeitigen Erscheinen der Festschrift beigetragen hat.

Nicht zuletzt sei Herrn Mag. Walther Gatterbauer und Mag. Michae! Schachner, FrauMag. Anita Gasteiner sowie Frau Katja Staud vom Verlag LexisNexis fUr die Betreuung derFestschrift gedankt.

Im Mai 2012 Reinhold GeimerRolfA. Schiitze

Thomas Garber

GeimerlSchiitze/Garber (Hrsg), Dimension des Rechts, FS Simolta, LexisNexis v

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------------------1Inhaltsverzeichnis

Vorwort. V

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren VII

Christoph AlthammerDer Einfluss fremder Rechtsordnungen auf die Entwicklung des deutschenZivilprozessrechts 1

Stefan ArnoldZum Grundsatz der Offentlichkeit im Zivilverfahren 11

Murat Atali/Bilgin TiryakiogluInternationale ZusUindigkeit der tiirkischen Gerichte in Personalstatutsangelegenheiten .... 29

Susanne AugenhoferSome questions on enforcement and individual redress - the example ofRegulation (EC) No 26112004 39

Ena-Marlis BajonsAutonome Bestimmung des ErfiiIIungsorts und IncotermsZur Rechtsprechung des EuGH in den Rechtssachen Car Trim und Electrosteel 57

Oskar J, Bal!onEntlastung der Gerichte durch Auslegung von Verfahrensvorschriften amBeispiel des Ablehnungsrechts - eine Bestandsaufnahme 73

Kai Uwe BiichlerDie Reform des osterreichischen ZusteIIungsrechtsEin kleiner Blick iiber die Grenzen 85

Astrid Deixler-HiibnerDas Unternehmen imAufteilungsverfahren 101

Katharina de la DurantayeDas AuseinanderfaIIen von Gerichtsstand und anwendbarem Recht beiVersendungskaufvertragen 115

Tanja DomejDas Rechtsbehelfsverfahren bei der europaischen vorlaufigen Kontenpfandung 129

Thomas GarberZum Begriff der Ehe iSd Art 1 Abs 1 lit a EuEheKindVO 145

Reinhold GeimerBemerkungen zur Briissel I-Reform 163

Peter GottwaldScheidungen im neuen "Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" 187

Geimer/Schiitze/Garber (Hrsg), Dimension des Rechts, FS Simotla, LexisNexis XI

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Inhaltsverzeichn is

FritjofHaftMlindlich, schriftlich, digital. 197

Viktoria HarsagiDocumentary Evidence in Comparative Perspective 205

Wolfgang HauZur internationalen Entscheidungszustlindigkeit im klinftigen Europaischen Gtiterrecht..215

Johann Hollwerth§ 17 AuBStrG - der VerfahrensbeschleunigerGrundsatze, Einsatzmoglichkeiten, Anwendungsvoraussetzungen und Wirkungeneiner praktisch beliebten Saumnisfolgenregelung 227

Stefan HuberProzessftihrung auf Englisch vor Spezialkammern fUr internationale Handelssachen 245

Abbo JunkerDas Internationale Zivilverfahrensrecht der Europaischen Unterhaltsverordnung 263

Athanassios KaissisZur Umsetzung der Elektrizitiits- und Gasrichtlinie in GriechenlandEin Uberblick tiber die Zustiindigkeiten der Regulierungsbehorde und das stiindigeSchiedsgericht im Energiebereich 275

Miklos KengyelSystem of Civil Enforcement in Hungary 283

Nikolaos K. KlamarisDie "Parteibezogenen" bzw "Personlichen" Prozessvoraussetzungen nach demgriechischen Zivilprozessrecht(Eine zusammenfassende Analyse) 291

Thomas KlickaDie Feststellungsklage nach § 228 ZPO bei Haftung wegen rechtswidrigerVerfahrensftihrung 305

Marko Knezevif:

Zur Berufung gegen das Urteil im serbischen Bagatellverfahren 311

RolfKnieperContradictions between the ICSID Convention and the ICSID Arbitration Ruleswith Respect to the Suspension of Enforcement in Annulment Proceedings 325

Oliver L. Knofel

Grenztiberschreitende Beweissammlung durch Private 333

Peter Mankowski

Klagen urn Organisationsgeschafte von Gesellschaften (Art 22 Nr 2 EuGVVO) 351

,I

XII GeimerlSchlltzelGarher (Hrsgl. Dimension des Rechts. FS Simolta. LexisNexis

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Inhaltsverzeichnis

Franz Matscher

Gedanken zu einer Reform der Gerichtsorganisation 371

Peter G. Mayr

Aktuelle Entwicklungen und ProbIeme bei den Rechtsschutzalternativen 375

Matthias NeumayrWille und Wohl der betroffenen PersonKriterien fur die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der Handlungen desSachwalters im Rahmen der Vermogensverwaltung(§ 132AuBStrG,§ 154Abs3ABGB) .401

Dirk Otto

Die Auslegung von Art IV Abs 1 des New Yorker Schiedsgerichtsubereinkommensim Lichte der Rechtsprechung des OGH .417

Christoph G. PaulusDer Staat als Schuldner - Uberlegungen anHissIich einer Entscheidung des BGH .427

Hanns PriittingDer europaische Streitgegenstand und die Rechtssache Purrucker 437

Jiirgen C. T. RassiDas Dogma vom Verbot des Ausforschungsbeweises: Eine Analyse derosterreichischen Rechtsprechung 443

Waiter H. RechbergerDie Bindungswirkung kartellgerichtlicher Entscheidungen 457

Fabian ReuschleDer Gerichtsstand nach § 32b ZPO - Anwendungsfalle aus der Praxis 471

Phi/ipp M. ReujJUnterhaltsregress revisited - Die internationaIe gerichtliche Zustandigkeit fUrUnterhaltsregressklagen nach der EuUntVO 483

Herbert RothDer Versendungskauf bei Art 5 Nr llit b EuGVO 495

Martin SchauerDas neue Erwachsenenschutzrecht der Schweiz - Inspirationsquelle fUr Osterreich? ....... 507

RolfA. SchiitzeDie Mehrfachbenennung von Schiedsrichtern als Ablehnungsgrund 519

Alexandra SimottaDie Revision der EuGVVO - Ein Uberblick 527

Geimer/Schiitze/Garber (Hrsg), Dimension des Rechts, FS Simotta, LexisNexis XIII

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lnhaltsverzeichnis

Stefan SmidVerfahren bei Zweifeln an der intemationalen Zustandigkeit des deutschenInsolvenzgerichts 545

Frank SpohnheimerMateriell-rechtliche Einwendungen bei der Vollstreckung auf Grundlage einesSchiedsspruchs , , , , 559

Christian SteinlelStephan WilskelChristian LeisingerKartellrechtliche Sammelklagen in Europa - aktuelle Fragen und Initiativen zurStarkung des effektiven Rechtsschutzes 573

Michael StiirnerDie EuVTVO als Baustein des Europaischen Zivilprozessrechts 587

Bartosz SujeckiDie small-claims-Verordnung in den Niederlanden 601

Christoph TholeDie Anerkennung von (auBerinsolvenzlichen) Sanierungs- und Restrukturierungs-verfahren im Europaischen Verfahrensrecht 613

Eva TschernerDas Rekursrecht der Quasi-Partei bei Berichtigung der ParteienbezeichnungAnmerkung zu OGH 8 Ob 5111 Oy 625

Dimitrios Tsikrikas

Einige Gedanken iiber den Anwendungsbereich der Europaischen Beweisverordnung .... 635

fan von Hein

Die Abschaffung des Exequaturverfahrens durch die Revision der EuropaischenGerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung: Eine Gefahrdung desVerbraucherschutzes? 645

Friedrich Grafvon Westphalen

Zu Art 83 und 84 des Entwurfs des Gemeinsamen Europaischen Kaufrechts 659

Karol Weitz

Die geplante Erstreckung der Zustandigkeitsordnung der Briissel 1-Verordnung aufdrittstaatsansassige Beklagte 679

Matthias Weller

Vollstreckungszugriff im Wiener Belvedere: Volkergewohnheitsrechtliche ImmuniUitfUr auslandische staatliche Kunstleihgaben 691

RudolfWelser

Reformbedarf bei den letztwilligen Verfiigungen 699

Harm Peter Westermann

Treuepflichten im schiedsgerichtlichen Eilverfahren 703

, I

XIV Geimer/Schiilze/Garber (Hrsg), Dimension des Rechls, FS Simolla, LexisNexis

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lnhaltsverzeichnis

Christian WolfRenaissance des Vermogensgerichtsstands? 717

Pelayia Yessiou-FaltsiFeststellungsklagen und Anerkennung ausHindischer Entscheidungen 731

Wolfgang ZenkerZur Vollstreckbarkeit insolvenzrechtlicher Titel nach der EuVTVO - zugleich einBeitrag zur Auslegung von Art 25 EulnsVO 741

Lebenslauf 759

Verzeichnis der wissenschaftlichen VerOffentlichungen 761

Geimer/Schlltze/Garber (Hrsg), Dimension des Rechls, FS Simolla, LexisNexis xv

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Zum Grundsatz der OffentIichkeit im ZivilverfahrenSrcfan Arnold, Miinchen*

I. EinfUhrung 11II. Zum Zweck des Grundsatzes der Offentlichkeit 12

A. r::infUhrende Stellungnahmcn der Judikatur.............................................................................. 12B. Offentlichkeit als Spiegel der AlIgemeinheit des Rechts.......................................................... 13C. Offentlichkeit als vertrauensbildendes Stabilitatsinstrument der Gesellschaft......................... 14D. Offentlichkeit als legitimitatssichemdes Kontrollinstrument 15

rn. Bedenken gegen die Offcntlichkeitsmaxime als tragfahiges zivilverfahrensrechtliches Pinzip.... 16A. Ein Prinzip ohne praktische Wirkungsmacht? 16B. Negative Beeinflussung des Prozessablaufs? 17C. Offentlichkeit als Gefahr fUr effizienten Rechtsschutz? 18D. Offentlichkeitsmaxime als Gefahr fUr Personlichkeitsrecht und informationelle

Selbstbestimmung? 19IV. Parteidisposition tiber die Offentlichkeit des Verfahrens............................................................... 20

A. Disponibilitat tiber die Offentlichkeitsvorschriften nach dem deutschen Gerichts-verfassungsrecht........................................................................................................................ 21

B. Disponibilitiit der Offentlichkeitsmaxime de lege ferenda? 22V. Ungerechtfertigter Nicht-Ausschluss der Offentlichkeit als absoluter Revisionsgrund 24

VI. Offentlichkeitsmaxime und englische Verfahrenssprache vor deutschen Gerichten 25VII. VorzUge der Offentlichkeit als Verfassungsrechtssatz 26

VIII. Zusammenfassung und Schlussbemerkung 27

I. EinfiihrungSeit dem 19. lahrhundert finden milndliche Verhandlungen auch in Zivilsachen grund­

satzlich Offentlich statt. Die Geltung der OffentIichkeitsmaxime im Zivilverfahren gilt unsheute als selbstverstandlich. Sie ist auch in Art 6 Abs 1 EMRK' sowie in Art 47 Abs 2 derCharta der Grundrechte der Europaischen Union2 verankert. In Osterreich hat die Offent­lichkeit des Verfahrens in Zivil- und Strafsachen zudem Verfassungsrang: Gem Art 90 Abs IS 1 Bundes-Verfassungsgesetz sind "Verhandlungen in Zivil- und Strafrechtssachen vordem erkennenden Gericht .. , mUndlich und offentIich"3. Im deutschen Grundgesetz findetsich dagegen anders als etwa auch in der Bayerischen Verfassunt keine vergleichbare Re­gelung, sodass der Grundsatz der Offentlichkeit nach hM kein Rechtssatz mit Verfassungs­rang ist, sondern bloB eine Prozessrechtsmaxime, die auf der Ebene des einfachen Rechtseinzelne Verfahrensarten beherrscht.5 Die Geltung des Offentlichkeitsprinzips gerade im Zi-

* Akademischer Rat a.Z. am Institut fUr Internationales Recht - Rechtsvergleichung der Ludwig-Maxi­milians-Universitat MUnchen (Lehrstuhl ProI'. Dr. Stephan Lorenz) und Mitglied des Forderkollegs derBayerischen Akademie der Wissenschaften.

1 Zum Offentlichkeitsgrundsatz gem Art 6 Abs I EMRK vgl Tubis, Die OfTentlichkeit des Verfahrensnach Art 6 I EMRK, NJW 20 I 0,415; Meyer-Ladewig, Europiiische Menschenrechtskonvention3 (2011)Rn 1831'1'.

2 Zum Offentlichkeitsgrundsatz gem Art 47 Abs 2 Charta der Grundrechte der Europaischen Union vglBlanke in CallieslRuffert (Hrsg), EUV/AEUV - Das Verfassungsrecht der Europaischen Union mitEuropaischer Grundrechte-Charta4 (20 11) Art 47 EU-GRCharta Rn 16.

J Dazu Lienhacher, Der Offentlichkeitsgrundsatz des Zivil- und Strafverfahrens im osterreichischen Ver­fassungsrecht, OJZ 1990,425 (435).

4 Art 90 der Bayerischen Verfassung lautet: "Die Verhandlungen vor alien Gerichten sind offentlich. BeiGefiihrdung der Staatssicherheit oder der offentlichen Sittlichkeit kann die Offentlichkeit durch Ge­richtsbeschluB ausgeschlossen werdcn."

5 BVerfGE 4, 74; BVerfGE 15,303; Schilken, Gerichtsverfassungsrecht4 (2007) § 12 Rn 159; KissellMayer (Hrsg). Gerichtsverfassungsgesetz6 (20 I0) Art 169 GVG Rn 4 mwN auch zur Gegenauffassung.

Geimer/Schiit:.e/Garber (Hrsg), Dimension des Rc<:hts. FS Simotta. LexisNcxis 11

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Stefan Arnold

vilverfahren ist dabei keine Selbstverstandlichkeit. Sie wurde erst nach heftigen politischenKontroversen im 19. Jahrhundert insb gegen die politischen Interessen des Feudaladelsdurchsetzt, der die Patrimonialgerichtsbarkeit beherrscht hatte.6 Auch in jUngerer Zeit zei­gen sich wieder Anzeichen eines "Kampfes um die GerichtsOffentlichkeit". So haben etwaUrsula Kobl und Wolfgang Grunsky die Offentlichkeitsmaxime in Zweigel gezogen.7 UndjUngst hat Wolfgang Ewer den Offentlichkeitsgrundsatz auf dem Boden des geltenden deut­schen Gerichtsverfassungsrechts als nachgiebiges Recht interpretiert, das zur Dispositionder Parteien steht.8 Diese kritischen Stellungnahmen geben Anlass zu einer Analyse der mitder Offentlichkeitsmaxime verfolgten Zwecke und damit der theoretischen Grundlegungder Offentlichkeit als zivilverfahrensrechtliches Prinzip. Auf dieser Grundlage lassen sicheinige Einzelfragen der Offentlichkeitsmaxime beantworten, zunachst die nach ihrer Dis­positivitat de lege lata und de lege ferenda. Zudem gilt zu klaren, weshalb Verletzungender Offentlichkeitsmaxime einen absoluten Revisionsgrund bilden sollten. FUr das deutscheVerfahrensrecht wird noch zu untersuchen sein, ob der Grundsatz der offentlichen Verhand­lung gewahrt ist, wenn Gerichtsverfahren in englischer Sprache gefUhrt werden. Abschlie­Bend werden einige Gedanken der Frage gewidmet, ob das deutsche Verfassungsrecht nachVorbild des osterreichischen Verfassungsrechts die Offentlichkeitsmaxime auch als verfas­sungsrechtlichen Rechtssatz betrachten sollte. Die Geehrte hat der Verfahrensmaxime derOffentlichkeit im Zivilprozess einige grundlegende Uberlegungen gewidmet.9 Daher ist zuhoffen, dass die nachfUhrenden AusfUhrungen auf ihr Interesse stoBen konnten.

11. Zum Zweck des Grundsatzes der OffentlichkeitInwieweit der Grundsatz der Offentlichkeit ein tragfahiges zivilprozessuales Prinzip bil­

den kann, lasst sich nur beantworten, wenn die mit der Offentlichkeit verfolgten Zweckeaufgedeckt werden. 1O

A. Einfiihrende Stellungnahmen der Judikatur

In der Judikatur finden sich etliche Aussagen zu den mit der Offentlichkeitsmaxime ver­folgten Zwecken. Aus diesen seien zwei pointierte und pragnante Stellungnahmen heraus­gegriffen, die einen ersten Zugriffspunkt fUr die weitere Untersuchung bieten. Der europai-

6 Dazu eindringlich Fogen, Der Kampf urn die Gerichtsbfl'entlichkeit (1974). Vgl auch die Rezension vonKobl in Archiv fUr di~ civilistische Praxis (AcP) 177 (1977), 102.

7 Skeptisch Kobl, Die Offentlichkeit des Zivilprozesses - eine unzeitgemaBe Form? in HubmannJHiibner(~rsg), Festsc~ril't fUr Ludwig Schncm von.Carolsl'eld zum 70. Geburtstag 26. Januar 1973, 235 (235).Kobl zul'?lge 1st der ~run,?satz ~er 0!fenthchkelt de lege ferenda durch ein ausdil'l'erenziertes Prinzipcler (un~11lttel.baren) Nlchtol'l'enthchkeIt zu ersetzen, vgl insb 248 l'l': Aul' Antrag einer Partei mUsse die<?l'l'ent.hchke.lt ausgeschlossen werden oder es dUrfe bei grundsatzlicher NichtOl'l'entlichkeit die Ol'l'ent­hchkelt nur Im Emverstandnis beider Parteien zugelassen werden. Zustimmend Grunsky, Grundlagendes Verl'ahrensrechts2 (1974) 224 f.

8 Ewer, Da~ Ol'l'entlichkeitsprinzip - ein Hindernis fUr die Zulassung von Englisch als konsensual-optio­naler Ger.lchtssprache? NJW 2010, 1323 (1323).

9 ~imotta, Ube~legung~n zur Ol'l'entlichkeit im ZivilprozeB, in BallonJHagen, Verfahrensgarantien im na­tlOnalen und mternatlOnalen ProzeBrecht - Festschril't Franz Matscher zum 65 Geburtsta<T (1993) 449(449). . '"

10 ~u~h die (Jeehrt~ hat in ihre~ grun~legen?en Untersuchung des, Ol'l'entli~hkeitsprinzips im ZivilprozessdIe m. der osterrelchlschen DIskusslOn erorterten Zwecke und Zlele der Ol'l'entlichkeitsmaxime in einem,,strell'zug durch die zivilprozessuale Literatur" eindringlich analysiert und bewertet: Simotta in BallonJHagen, Verl'ahrensgarantien 450 fl'.

11 12Geimer/Schiitze/Garber (Hrsgl, Dimension des Rechts. FS Simotta, LexisNexis

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Zum Grundsatz der Ojfentlichkeit im Zivilverfahren

sche Gerichtshof filr Menschenrechte beschrieb in seinem Urteil vom 8. 12. 1983 11 die mitder Offentlichkeit des Verfahrens verfolgten Zwecke eindringlich. Die Offentlichkeit schilt­ze "die Gerichtsunterworfenen gegen eine geheime Justiz, die der Kontrolle der Offentlich­keit entgeht" und stelle "ein Mittel dar, urn das Vertraueri in Ober- und Untergerichte zuerhalten"12. Sie trage so zur Transparenz der Rechtsprechung bei und helfe, "das Ziel vonArt 6 I zu verwirklichen: Ein bilIiges Verfahren, das zu garantieren zu den grundlegendenPrinzipien jeder demokratischen Gesellschaft im Sinne der Konvention gehort"13. Der Ge­richtshof analysiert den Zweck der Offentlichkeit also zunachst von ihrem Gegensatz her:dem Geheimverfahren, das von der Offentlichkeit nicht kontrolliert werden kann. In einemsolchen Verfahren kann kein Vertrauen der Bilrger in die Rechtsprechung entstehen. Hierkommt bereits ein zentrales Ziel der Offentlichkeit zum Ausdruck: Das Vertrauen aller Bilr­ger zu gewinnen, dass Recht in einem gerechten und transparenten Verfahren vor den Ge­richten gesucht und entschieden wird. So verwirklicht die Offentlichkeit nach der Einschat­zung des Gerichtshofs sowohl das Demokratieprinzip wie auch das Rechtsstaatsprinzip.14

Auch das OLG KOln sieht in seinem Urteil vom 7. 11. 198415 die Offentlichkeit im De­mokratieprinzip verankert. Die Regelungen der GerichtsOffentlichkeit gehorten "zu denelementarsten Grundlagen des Prozel3rechts und geben der Offentlichkeit und den ParteienRechte von hochster Wichtigkeit"16. Dabei fokussiert das OLG KOln zunachst auf die amProzess unbeteiligten Personen, deren Unterrichtungsmoglichkeit zentral sei, damit "jederVerdacht einer geheimen Rechtsprechung abgewendet wird"l7. Das OLG Koln nimmt aberauch die Interessen der Prozessbeteiligten und die Moglichkeit nicht Offentlicher Verhand­lung in den Blick - sein Urteil betraf ja gerade die Situation, in der eine Verhandlung ineiner Kindschaftssache entgegen der gesetzlich angeordneten Nichtoffentlichkeit Offentlichstattfand. Hier weist das Gericht darauf hin, dass die NichtOffentlichkeit regelmal3ig demSchutz der Parteien oder Betroffenen dient, insb dem Schutz der Intimsphare. 18 Gerade dieNotwendigkeit, die Vorteile der Gerichtsoffentlichkeit mit den Nachteilen bezilglich derPersonlichkeitsrechte der Prozessbeteiligten (und gegebenenfalls Zeugen) in einen Aus­gleich zu bringen, hat Simotta eindringlich herausgearbeitet und betont. 19

B. Offentlichkeit als Spiegel der Allgemeinheit des Rechts

Hegel hat in seinen Grundlinien der Philosophie des Rechts eine rechtsphilosophischeGrundlage der Offentlichkeitsmaxime erarbeitet.20 Hegel betont in seiner Rechtsphilosophieden objektiven Charakter des positiven Rechts. Aus der Objektivitat des Rechts, das nichtnur den Einzelnen angeht, sondern allgemeinverbindlich ist, folgert er, dass die von Ge­richten verfolgte Rechtsverwirklichung auch Offentlich erfolgen muss. Auch er stellt dem

11 EGMR 8. 12. 1983, E-2. 312 Nr 27, Fall Pretto, NJW 1986,2177,2178. EuGRZ 1985,548.12 EGMR 8. 12. 1983, 3/1982/49/78, Fall Pretto, NJW 1986, 2177, 2178.13 EGMR 8.12.1983,3/1982/49/78, Fall Pretto, NJW 1986,2177,2178.14 Zur Verankerung im Demokratieprinzip vgl auch Erdsiek, Rundfunk- und Fernsehtibertragungen aus

dem Gerichtssaal, NJW 1960, 1048 (1049): "Ohne weiteres zuzugeben ist, daB die Offen1egung vonMachtvorgangen ein unverzichtbares Postu1at der Demokratie ist, ferner, daB es sich auch beim Richtenurn einen Machtvorgang hande1t."

15 OLG KOln 7.11. 1984, 16 U 102/84 NJW-RR 1986,560.16 OLG Koln, Urteil vom 7.11. 1984, 16 U 102/84, NJW-RR 1986,560,561.17 OLG Koln, Urteil vom 7.11. 1984, 16 U 102/84, NJW-RR 1986,560,561.18 OLG Koln, Urteil vom 7.11. 1984, 16 U 102/84, NJW-RR 1986,560,561.19 Simotta in Ballon/Hagen, Verfahrensgarantien 456 ff.20 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse

(1995) Zusatz zu § 224 S 365.

Geimer/Schiilz.e/Garher (Hrsg), Dimension des Rechts, FS Simotta, LexisNexis 13

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Srefan Arnold

Offentlichen Verfahren ein zu Hegels Zeiten noch verbreitetes2! Geheimverfahren entgegen,

das Laien unzuganglich blieb:

"Die Offentlichkeit der Rechtspftege nimmt der gerade Menschensinn fUr das Rechte undRichtige. Ein groBer Grund dagegen war ewig die Vornehmheit der Gerichtsherren, die sichnicht jedem zeigen wollen und sich als Horte des Rechts ansehen, in das die Laien nichteindringen sollen. Es gehort zum Rechte aber name~~lich das Zutrauen, das die BUrger zudemselben haben, und diese Seite ist es, welche die Offentlichkeit des Rechtsprechens for­dert. Das Recht der Offentlichkeit beruht darauf, daB der Zweck des Gerichts das Recht ist,welches als eine Allgemeinheit auch vor die Allgemeinheit gehort; dann aber auch darauf,daB die BUrger die Uberzeugung gewinnen, daB wirklich Recht gesprochen wird."n

Hegels AusfUhrungen bieten ein auch heute noch solides Fundament fUr die Offentlich­keitsmaxime: Was als Recht gesprochen wird, geht uns alle an, weil das Recht nie bloB pri­vate Angelegenheit der im Prozess konkret Betroffenen ist. Recht gilt in seiner Allgemein­heit vielmehr fUr alle - jeder kann potenziell das in einzelnen Prozessen ausgesprocheneRecht in gleicher Weise erfahren wie die konkret Betroffenen. Dies wird bei Musterpro­zessen besonders anschaulich. Vor diesem Hintergrund ist es unerlasslich, alien BUrgerneinen Einblick zu gewahren, wie Recht durch Gerichte verfolgt und verwirklicht wird.Diese Einblicksmoglichkeit ist notwendige Bedingung fUr die Stabilitat unserer Gesell­schaftsordnung. Nur wenn der Einzelne die Moglichkeit hat, in das Verfahren der Rechts­verwirklichung einzusehen, kann er Vertrauen fassen, dass Recht nach fairen Prinzipien undMaBstaben in redlicher Anstrengung der Richter gesprochen wird. Ohne solches Vertrauenzumindest einer groBen Mehrheit der BevOlkerung ist eine dauerhaft stabile Gesellschafts­ordnung aber kaum vorstellbar. Die Funktionsbedingungen und Wirkungsweise dieses Ver­trauens hat Luhmann aus rechtssoziologischer Perspektive eingehend erarbeitet.

C. Offentlichkeit als vertrauensbildendes Stabilitatsinstrument derGesellschaft

Verfahren dienen dazu, Entscheidungen zu legitimieren. FUr das zivilgerichtliche Ver­fahren bedeutet dies: Das vom Richter gesprochene Recht wird (auch) dadurch legitimiert,dass der Richterspruch aus dem Verfahren hervorgeht, das das jeweils geltende Zivilverfah­rensrecht postuliert. Solche Legitimierung ergibt sich fUr Luhmann nun aus einem weitge­henden Konsens der Gesellschaftsmitglieder Uber die Verbindlichkeit der Entscheidungen.Solche "Konsensvermutungen" erfordern aber nach Luhmann, die Offentlichkeit am Verfah­ren als Zuschauer zuzulassen:

"Urn solche Konsensvermutungen, die Verbindlichkeit des amtlichen Entscheidens be­treffend, stabilisieren zu konnen, muB man auch die Nichtbeteiligten am Verfahren betei­ligen. Sie werden zwar nicht als Sprecher in Rollen zugelassen, aber das Verfahren ist alsDrama auch fUr sie bestimmt. Sie sollen mit zu der Uberzeugung gelangen, daB alles mitrechten Dingen zugeht, daB in ernsthafter, aufrichtiaer und anaestrenater BemUhuna Wahr-'. Cl b b b

heIt und Recht ermIttelt werden und daB auch sie gegebenenfalls mit Hilfe dieser Institutionzu ihrem Recht kommen werden."23

. ~~:. das ~erichtliche Verfa~.ren gewendet, haben die AusfUhrungen Luhmanns hohe Plau­sIbIlItat: DIe Zulassung der Offentlichkeit zum gerichtlichen Verfahren sichert den gesell-

21 Vgl nur Fogen, GerichtsOffentlichkeit, 37 ff.22 Hegel, Philosophie des Rechts, Zusatz zu § 224 S 365.23 Luhmann, Legitimation durch Verfahren3 (1978) 123.

Geimer/Schaf:.dGarher (Hrsg), Dimension des Rcchts, FS Sirnotla. LexisNcxis

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I . " - \ . .- 7 '.' '. '. ,

Zum Grundsatz der Offentlichkeit im Zivilverfahren

schaftlichen Konsens libel' die Legitimitat und Verbindlichkeit gerichtlicher Entscheidun­gen. Darliber hinaus begrlindet Luhmann, dass fUr diese Konsensfunktion del' Offentlichkeitnicht maBgeblich ist, dass tatsachlich Publikum an den Verfahren teilnimmt, sondern viel­mehr die bloBe Moglichkeit del' Teilnahme ausreicht:

"Der Ablauf des Verfahrens muB flir Unbeteiligte miterlebbar sein. Dabei kommt es aufZuganglichkeit an, nicht so sehr auf aktuelle Prasenz, auf wirkliches Hingehen und Zu­schauen. Entscheidend ist, daB die Moglichkeit dazu offensteht. Diese Moglichkeit starktdas Vertrauen odeI' verhindert zumindest das Entstehen jenes MiBtrauens, das an alien Ver­suchen del' Geheimhaltung sich ansetzt. Die Funktion des Verfahrensprinzips del' Offent­lichkeit liegt in del' Symbolbildung, in del' Ausgestaltung des Verfahrens als eines Dramas,das richtige und gerechte Entscheidung symbolisiert, und dazu ist die standige Gegenwarteines mehr odeI' weniger groBen Teiles del' Bevolkerung nicht erforderlich. Es genligt einallgemeines und unbestimmtes Wissen, daB solche Verfahren laufend stattfinden und daBsich jedermann bei Bedarf darliber genauer unterrichten kann."24

Das Verfahren symbolisiert hier als "Drama" eine richtige und gerechte Entscheidung ­als solches muss es sich auch an die gesamte Bevolkerung wenden, wenn es seine Sym­bolkraft erhalten solI. Gerade im Zivilverfahren wird sich haufig kaum Publikum in denProzessen einfinden. Gleichwohl wissen wir um Zivilverfahren und unsere Moglichkeit, andiesen teilzunehmen. Wir rechnen daher nicht damit, dass Richter unfair und ohne Anstren­gung um die Wahrheit richten werden, unser Vertrauen in die Legitimitat und Verbindlich­keit zivilrechtlicher Richtersprliche ist vielmehr hoch. Die Sicherung dieses Vertrauens del'Bevolkerung in die ludikatur ist deshalb wesentlicher Zweck del' Offentlichkeitsmaxime.25

D. Offentlichkeit als legitimitatssicherndes Kontrollinstrument

Luhmann setzt wenig Hoffnung darin, dass die Offentlichkeit zu einer faktischen Kon­trolle und Qualitatssteigerung del' Entscheidungsprozesse beitragen kann: "Eine effektiveKontrolle und eine Steigerung del' Rationalitat des Entscheidungsvorgangs HiBt sich von ei­nem anwesenden Publikum ohnehin nicht erwarten."26 Diese Skepsis hat insb auch Kiiblweiter vertieft und exemplifiziert: 27 "Im Gerichtssaal darf nul' ein stummes, in den Verfah­rensablauf nicht eingreifendes Publikum anwesend sein ... Kompetente Beurteiler del' Rich­tigkeit del' Rechtsanwendung lassen sich ... nul' durch die juristische Fachliteratur und dieVerbandspresse interessieren."28 Eine Kontrollfahigkeit sei nur mit Blick auf die Wahrungelementarer prozessualer Rechte und del' Unabhangigkeit von politischen Einflussnahmengegeben; insgesamt gebe es aber nul' eine "verschwindend kleine Kontrolleistung del' un­mittelbaren Offentlichkeit"29. Luhmann und Kiibl ist gerade mit Blick auf das Zivilverfah­ren insoweit zuzustimmen, als die Kontrollmoglichkeiten eines Laienpublikums begrenztsind. Ohne Kenntnis del' Akten und ohne juristischen Sachverstand ist es juristischen Laienkaum moglich, alle Einzelheiten des Verfahrens nachzuvollziehen. Gleichwohl kommt del'

24 Luhmann, Legitimation3, 123 f.25 VgI auch Schilken, Gerichtsverfassungsrecht4 § 12 Rn 155; Zimmermann in Rauscher (Hrsg), Mlinche­

ner Kommentar zur Zivilprozessordnung P (2008) § 169 GVG Rn 1.26 Luhmann, Legitimation3, 124.27 Kobl in FS Schnorr 244 f. Vgl auch Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz6 § 169 GVG Rn I: "Diese

ursprlingliche Kontroll- und Sicherungsfunktion del' Offentlichkeit hat im modemen gewaltengeteiltenRechtsstaat mit seinen vielfliltigen rechtlichen Sicherungen teilweise ihre unmittelbare Bedeutung ver­loren."

28 Kobl in FS Schnorr 245.29 Kijbl in FS Schnorr 245.

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Offentlichkeitsmaxime im Zivilverfahren auch eine legitimit~itssichernde Kontrollfunkti­on zu.30 Zivilrichter wissen urn die Moglichkeit, dass in der Verhandlung Publikum anwe­send sein kann. Auch deshalb wcrden sie sich davor huten, elementare Prozessgrundrechte- beispielsweise das Recht auf rechtliches Gehor - zu verletzen, indem sie ctwa Parteienrasch und grundlos das Wort abschneiden. Willki.irliche Verfahren und Entscheidungenwerden so erheblich erschwert, ebenso offensichtliche Einflussnahmen vonseiten Dritter. 31

Richter werden vielmehr generell die Verhandlung mit Blick auf seine Offentlichkeit soausgestalten, dass es seine vertrauens- und legitimationsbildende Funktion ausfUllen kann.Diese Funktion des Offentlichkeitsprinzips beschreiben auch Rechberger/Simotta in ihrem"Grundriss des osterreichischen Zivilprozessrechts" anschaulich: Die VolksOffentlichkeit si­chere den "demokratischen Charakter der Rechtspflege, indem sie das Vertrauen der Bevol­kerung in die Wirksamkeit und Unabhangigkeit der Gerichtsbarkeit zu fordern" suche "unddurch die offentliche Kontrolle des Verfahrens Schutz vor Willkur" sichere.32 Gerade wegendieser Kontrollfunktion kann durch die Offentlichkeitsmaxime auch die Anerkennung derRichter in ihrer Unabhangigkeit und Unparteilichkeit gestarkt werden. Zimmermann siehtvor diesem Hintergrund den Zweck des Offentlichkeitsprinzips zu Recht auch in der "Star­kung der richterlichen Unabhangigkeit sowie des Vertrauens der Allgemeinheit in die drit­te Gewalt"33. FIankiert wird diese Funktion auch von einem im Ausgangspunkt legitimenInformationsinteresse der Allgemeinheit.34 Kissel/Mayer zufolge dient die Offentlichkeit"einer uber den Einzelfall hinausgehenden Information der Allgemeinheit, urn die kritischeBegleitung der RSpr als Teil des gesellschaftlichen Lebens und Interessenausgleichs wieauch der gesellschaftlichen Entwicklung zu ermoglichen"35. Auch Kleinknecht sieht - frei­lich mit Blick vornehmlich auf das Strafverfahren - das Informationsinteresse der Gesell­schaft als tragenden Grund fUr die Offentlichkeitsmaxime.36

Ill. Bedenken gegen die Offentlichkeitsmaxime alstragfahiges zivilverfahrensrechtliches Pinzip

A. Eio Priozip ohoe praktische \Virkuogsmacht?

Simotfa hat nachgewiesen, dass in der praktischen Erfahrung die Erwartungen an dieGerichtsOffentlichkeit schon bald nach ihrer EinfUhrung enttauscht warden waren. SchonAnfang des 20. lahrhunderts wurde ihren Recherchen nach beobachtet, dass nur selten Zi­vilverfahren tatsachlich von Unbeteiligten besucht werden; Interesse bestehe nur aus Sen­sationslust an bestimmten einzelnen Fallen. Die Offentlichkeit befriedige daher eher dasInteresse an einzelnen Fallen, nicht aber das Interesse an der Rechtspflege selbst. Diese Be­obachtung hat auch heute noch Gtiltigkeit: In Zivilverfahren durfte sich auch heute nur inseItenen Fallen tatsachlich Publikum einfinden.37 Eine Ausnahme gilt freilich fUr Verfahren,

.10 VgI daw auch Schilken.,. Gerichtsverfassungsrecht4 § 12 Rz 155; Prutting, Das Fernsehen im Gerichts­saal - Ausweitun~ der Offentlichkeit im Zivilprozess? in Geilller (Hrsg), Wege zur Globalisierung desRec~ts - Fest~chnft fUr Rolf A. Schlitze wm 65. Geburtstag (1999) 685 (685, 688).

31 Schtlken, Genchtsverfassungsrecht4 § 12 Rz 155 mwN.:: R~chberger/Si~lOtta,Grundriss des osterreichischen Zivilprozessrechts8 (2010) Rn 416... ZlIlllllerlllann In Rauscher, Munchener Kommentar P § 169 GVG Rn I.34 Dies betont auch etwa Kiibler, Amt und Stellung des Richters in der Gesellschaft von Morgen, Deutsche

Richterzeitung (DRiZ) 1969, 379 (382).35 Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz6 § 169 GVG Rn I.36 Kleinknecht, Schutz der Personlichkeit des Angeklagten durch Ausschluss der Offentlichkeit in der

Hauptverhandlung, in Hamlll/Matzke (Hrsg), Festschrift fUr Erich Schmidt-Leichner (1977) I11 (113).37 Vg~ dazu auch Betterlllann, Hundert Jahre Zivilprozef3ordnung - Das Schicksal einer liberalen Kodifi­

katlOn, ZZP 1978,365 (366, 370).

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16Geimer/Schiir:.e/Garber (Hrsg), Dimension des Rcchts, FS Simotla. LcxisNcxis

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s_Zum Grundsatz der Offentlichkeit im Zivilveifahren

denen besonders hohe Offentliche Aufmerksamkeit zuteil wird - etwa Produkt- oder Pros­pekthaftungsHiIIe. FUr die Bedeutung der Offentlichkeit als tragfahige Verfahrensmaxime istdies jedoch unschiidIich: Tatsachliche Anwesenheit ist fUr die oben erarbeitete Funktion desOffentlichkeitsprinzips nicht erforderIich. AuBerdem Iasst sich das Recht in seiner Objekti­vital nicht vollstandig von den einzelnen Fallen trennen: Die Anwendung des Rechts nimmtzwingend Bezug auf die der En~scheidung zugrunde liegenden Sachverhaltsumstande. Dasobjektive Recht manifestiert sich am konkreten Einzelfall, der als Manifestationsbedingungdes objektiven Rechts auch die AlIgemeinheit betrifft. Die Wirkungsmacht der Verfahrens­offentlichkeit zeigt sich daher nicht im anwesenden Publikum. Sie manifestiert sich viel­rnehr im Vertrauen der BUrger in ordnungsgemaBe Rechtspflege und damit im Rechtsfrie­den einer Gesellschaft.

B. Negative Beeinflussung des Prozessablaufs?

Simotta hat auf weitere Nachteile der OffentIichkeit hingewiesen: Die Offentlichkeit kon­ne, wenn sie sich verwirkliche und besonders viele Zuschauer kommen, den Prozessablaufund die Verhandlung stOren, also etwa Zeugen oder Beteiligte in ihren Aussagen beeinflus­sen. Simotta sieht hier die Gefahr, "daB in diesen Fallen sehr oft der Zweck der Offent­lichkeit geradezu vereitelt wird"38. Die Geehrte hat hier ein Paradoxon offengelegt: Die Of­fentIichkeit des Verfahrens konnte bewirken, dass die Ziele der Offentlichkeit nicht gewahrtwerden. Auch konne der Verhandlungssaal "zum Theater" umfunktioniert werden. 39 DieseBedenken treffen durchaus zu: Wir neigen dazu, uns anders zu verhalten, wenn wir "allei­ne" oder "unter uns" sind, als wenn wir uns in der Offentlichkeit wissen. Dies gilt umsomehr, als wir in einer zentralen Rolle - etwa als Richter oder Anwalt - auftreten, und einunbeteiIigtes Publikurn vor uns wissen, das jedes unserer Worte vielleicht kritisch beobach­tet und beurteilt. Schon diese Beobachtung lehrt, dass die Offentlichkeit den Prozessablaufdurchaus beeinftussen kann. Simotta weist auch zu Recht darauf hin, dass diese Nachteiledurch Berichterstattung in der Presse noch verstarkt werden konnten.40 Diese Offentlich­keitswirkungen lassen sich nicht leugnen. Sie bestehen - je nach PersonIichkeit und Cha­rakter der Beteiligten - mehr oder weniger stark. Gleichwohl schmaIern sie die Bedeutungder Offentlichkeitsmaxime als Verfahrensprinzip nicht wesentIich. Die Kontrollfunktionder Offentlichkeit ist ohnehin darauf angelegt, dass Offentlichkeit auch Auswirkungen aufdas Prozessgeschehen haben kann. Die Verfahrensbeteiligten werden in den meisten Fallenauch urn diese MogIichkeit wissen und sich die notige Erfahrung aneignen, dieser Gefahrzu begegnen. Einer Multiplizierung dieser Gefahren durch Film- oder Tonaufzeichnungendes Geschehens kann durch die Verfahrensordnungen vorgebeugt werden. So lautet etwa§ 169 S 2 deutsches GVG: "Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Film­aufnahmen zum Zwecke der offcntlichen VOIfUhrung oder VerOffentIichung ihres Inhaltssind unzuIassig."41 Auch im Osterreichischen Rccht findet sich in § 22 MedG ein vergleich­bares Verbot.42 Der Ausschluss von Ton- und Filmaufnahmen ist auch rechtspoIitisch be­grUBenswert.43 FUr die oben erarbeitete Funktion der OffentIichkeitsmaxime ist nicht er-

38 Silllotta in BallonlHagen, Verfahrensgarantien 454. VgI auch Kublin FS Schnorr 243.W Simotta in BallolllHagell, Verfahrensgarantien 454; ahnlich auch Schragel in FaschinglKonecllY (Hrsg),

Kommentar zu den ZivilprozeBgesetzen I1/22 (2003) § I7 I ZPO Rn 4.40 Simotta in BallonlHagen, Verfahrensgarantien 454.41 Vgl dazu auch etwa Alwart, Personale OffentIichkeit (§ I69 GVG), JZ 1990, 883.42 Dazu etwa Schragel in FaschinglKoneclly, Kommentar I1/22 § I7 I ZPO Rn I5. .43 Priittillg in FS Schlitze 685; Kis.I'ellMayer, Gerichts,,:erfassungsgesetz· § I69 GVG Rn 66; Huff, Saalbf­

fentIichkeit auch in Zukunft ausreichend - Keine Anderung des § I69 S 2 GVG, NJW 200 I, I622(aIle mwN); zur Vergiftung der Gerichtsatmosphare durch Medienbffentlichkeit in den USA vgI auf-

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forderlich, dass die Offentlichkeit durch Aufnahmen aus dem Gerichtssaal informiert wird.Zudem ware die Gefahr einer Beeinftussung des Verfahrens bei der Zulassung von Ton- undFilmaufnahmen erhoht. Vor diescm Hintergrund ist begrtil3enswert, dass das BvcrG in sei­nem Urteil vom 24. 1. 2001 die Verfassungsmal3igkeit des § 169 S 2 GVG auch mit B1ickauf die verfassungsrechtlich geschtitzte Rundfunk- und Medienfreiheit (Art 5 Abs 1 S 2GG) klargestellt hat.44

c. Offentlichkeit als Gefahr fUr effizienten Rechtsschutz?

Kiibl und Grunsky haben darauf hingewiesen, dass Prozessbeteiligte sehr oft..ein Interessedaran haben, ihre Angelegenheiten geheim zu halten und Streit nicht in der Offentlichkeitauszutragen.45 Rechtsschutz dtirfe nicht damit bezahlt werden mtissen, dass Dinge bekanntwerden, die man geheim halten will; bedenklich sei, wenn von einer Rechtsschutzmoglich­keit wegen der drohenden Offentlichkeit gar Abstand genommen werde.46 Diese Interessenseien auch schutzwtirdig. Sie zeigten sich auch etwa darin, dass Schiedsverfahren oft des­halb gewahlt wtirden, weil sie nicht Offentlich sind.47 Auch wtirde ein erfahrener Anwaltselbst vor normalen Zivilklagen den Mandanten darauf hinweisen, dass die Angelegenheitbei Gerichtswege vor die Offentlichkeit getragen werde.48 Kohl zufolge sind diese Nachteileund Schaden kaum gering zu schatzen; Schaden durch unberechtigte Klageerhebungen oderfalsche Anschuldigungen konnten vielmehr selbst bei einem Obsiegen der Betroffenen nichtausgeglichen werden.49 Ftir Grunsky ist die GerichtsOffentlichkeit ohnehin nur historischerkIarbar, sie habe sich in unsere Zeit "hintibergerettet"50. Mit "Hintiberretten" impliziertGrunsky freilich, dass in der Offentlichkeit eine Art Atavismus Iiegt, dass der Offentlich­keitsmaxime also keine tragfahige Funktion mehr zuteil wird. Insofern kann Grunsky nichtbeigepftichtet werden: Auch heute kommt der Offentlichkeit als Prozessmaxime BedeutungfUr das Recht in seiner objektiven Gi.iItigkeit sowie eine vertrauens- und legitimationssi­chernde Funktion zu, die letztlich der Friedenssicherung dient.51 Im Obrigen sind die vonGrunsky und Kohl aufgezeigten Wirkungen der Offentlichkeit im Ausgangspunkt durchausplausibel. Die Betroffenen konnen sehr wohl ein von ihnen hoch geschatztes Interesse dar­an haben, dass ihr Streit nicht Offentlich wird. Diese Interessen sind zudem auch im Ansatznicht illegitim. Allerdings steht ihnen die Funktion der Offentlichkeit entgegen, ihre Bedeu­tung fUr das Recht in seiner Objektivitat und das Vertrauen in die Legitimitat und Verbind­Iichkeit gerichtlicher Entscheidungen. Hier zeigt sich also ein Widerstreit der subjektivenInteressen des Einzelnen und der objektiven Interessen der Rechtsgemeinschaft, zwischendenen das Recht abzuwagen hat.52 Der Einzelne ist Mitglied einer Rechtsgemeinschaft, der

schlussreich Widll1aier, Jury und Medien - Zu einem elementaren verfassungsrechtlichen Problem inden USA, NJW 2004, 407; aA etwa Giindisch/Dany, Rundfunkberichterstattung aus Gerichtsverhand­lungen, NJW 1999,256; Dieckmanll, Zur Zulassung von Ton- und Femseh-Rundfunkaufnahmen inGerichtssalen: "Drum prufe, wer sich ewig bindet !", NJW 2001, 2451.

44 BVerfG 24. 1. 2001, 1 BvR 2623/95, BVerfGE 103,44. VgI dazu etwa Stiirner, Gerichtsoffentlichkeitund Me.dlenoffentlic~k,:it in dcr Informationsgesellschaft, JZ 2001, 699; Zur Entwicklung vgl schonWolf, DIe Gesetzeswldngkeu von Fernsehubertragungen aus Gerichtsverhandlungen, NJW 1994, 681.

45 Grunsky, Verfahrensrechts2 224 f; Kohl in FS Schnorr 236 f.46 Grunsky, Verfahrensrechts2 224; Kohl in FS Schnorr 247 f.47 Kiihl in FS Schnorr 236 f.48 Kiihl in FS Schnorr 236 f.49 Kiihl in FS Schnorr 236 f.50 Grunsky, Verfahrensrechts2 224.51 S oben 11.

52 Fur Kiihl wird der.einzelne R,:chtsschutzsuchende dadurch zum "Objekt des Verfahrens", vgl Kiihl inFS Schnorr 247. Dlese sprachhche Wendung legt freilich eine Art "Degradierung" zum "bloBen Objekt"

18Geimer/Sdlllr::.e/Gllrher (Hrsg), Dimension des Rcchts. FS Simotla. LexisNcxis

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ZUI1l Grundsatz der Offentlichkeit im Zivilverfahren

er sich nicht ohne Weiteres entziehen kann. Der zunachst nur den Einzelnen betreffendeStreit wird zu einem potenzielIen Teil des allgemeingUltigen objektiven Rechts, das nichtnur den Einzelnen angeht, sondern alIe betritft. Fur den Einzelnen verbleibt es also bei ei­ner Abwagungsentscheidung: Er muss fUr sich selbst entscheiden, was ihm mehr wert ist- die Durchsetzung des Rechts im gerichtlichen Verfahren oder aber die Geheimhaltungseiner Angelegenheiten.53 Dazu kommt, dass eine klare Trennung offentlicher und privaterInteressen auch mit Blick auf die Offentlichkeitsmaxime nur schwer moglich iSt.54 Oflent­liche und private Interesse konnen hier gegenHiufig sein, sie mussen es aber durchaus nicht.Die Prozessparteien konnen je nach Charakter, Neigung und Situation ganz unterschied­liche Ziele mit Blick auf die Offentlichkeit verfolgen. Die eine mag sich stark dagegenstrauben, ihre Angelegenheiten Offentlich bekannt werden zu lassen. Diese Prozessparteidurfte Grunsky und Kiibl vor Augen schweben. Andere mogen es aber gerade darauf anle­gen, ihre Sache publik werden zu lassen. VielIeicht mochten sie gerade erreichen, dass einbestimmter Sachverhalt breiteren Kreisen bekannt wird. Oder eine Partei mag die Offent­Iichkeit des Zivilverfahrens und die Scheu der Gegenpartei vor ihr gerade fUr seine Zweckeausnutzen wolIen, etwa urn zu einer gunstigen auJ3ergerichtlichen Einigung zu gelangen.Die Offentlichkeit des Verfahrens kann von den Parteien also durchaus als taktisches Instru­ment eingesetzt werden, sie liegt dann auch in deren privatem Interesse. Ein weiteres Privat­interesse an der Offentlichkeit kann sich fUr zunachst unbeteiligte Dritte ergeben. Das durchdie Oflentlichkeit generierte Bekanntwerden bestimmter Sachverhalte kann diesen zunachstUnbeteiligten mogliche eigene Anspruche aufzeigen. In FalIen der Prospekthaftung oderder Haftung wegen schadhafter Arzneimittel sind solche Fernwirkungen der Offentlichkeitoft zu erwarten. Im Grundsatz lasst sich daher aus potenzielIen GeheimhaltungsinteressenEinzelner kein durchschlagender Einwand gegen das Offentlichkeitsprinzip herleiten.

D. Offentlichkeitsmaxime aIs Gefahr fUr PersonIichkeitsrecht undinformationeIIe Selbstbestimmung?

Selbstverstandlich kann die Offentlichkeitsmaxime nicht uneingeschrankte Geltung be­anspruchen. Auf widerstreitende Interessen, insb schutzwurdige Interesse Privater an Ge­heimhaltung vor alIem ihrer Privat- und Intimsphare, muss die positivrechtliche Gestaltungdes Offentlichkeitsprinzips Rucksicht nehmen und eine sinnvolIe Abwagung ermoglichen:55

Wenn etwa Umstande aus der Intimsphare des Einzelnen zur Rede stehen - wie etwa haufigin familienrechtlichen Fragen -, so kann die Offentlichkeitsmaxime zurticktreten mtissen.Dies zeigt sich in der heutigen Ausgestaltung der Verfahrensordnungen an unterschied­Iicher StelIe. Fur das Verfahren in Familiensachen bestimmt etwa § 170 deutsches GVG,

nahe. Der Leser denkt hier durchaus auch an die zweite Formel des Kategorischen Imperativs, die hierverletzt zu sein scheint. lodes werden die Anliegen des Einzelnen keineswegs missachtet; der Prozessbietet weiterhin ein Forum fur die Durchsetzung des subjektiven Rechts. Gleichwohl htingt die Stabilittitder Rechtsgemeinschaft unter anderem auch von der Offentlichkeit des Verfahrens ab. Die Offentlich­keit wird dem Einzelnen also lediglich als Preis aufgeburdet, den er fUr die gerichtliche Durchsetzungseines Rechts zahlen muss.

53 Nur am Rande sei darauf hingewiesen, dass eine unterbliebcne Durchsetzung vermeintlichen subjekti­yen Rechts auch Gerichte entlastet und Kosten sparen kann. Sie vermeidet auch die ansonsten moglicheNiederlage vor Gericht.

54 Vgl allgemein zur Schwierigkeit der Dichotomie offentlich - privat; Horwitz, The History of PubliciPrivate Distinction, University of Pennsylvania Law Review 130 (1982) 1423 ff sowie die Beitrtige inPasserin d'EntrevesMigel (Hrsg), Public and private - legal, political and philosophical perspectives(2000).

55 S dazu etwa Pantazo[io!llos, Der Offentlichkeitsgrundsatz im Zivilprozess, Zeitschrift fUr Zivilprozess­recht International (ZZPlnt) 2008, 319.

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dass Verhandlungen, Erorterungen und Anhorungen in Familiensachen sowie in Angele­genheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht Offentlich sind.56 Auch das osterreichischeAuBerstreitgesetz verwirklicht heute den Schutz der Privat- und Intimsphare umsichtig undiiberzeugend, fUr Familienrechtsangelegenheiten insb in § 140 AuBerstreitgesetz.57 Das Er­fordernis, Entwicklungen im Personlichkeitsrecht und im Datenschutzrecht bei der Aus­gestaltung der Offentlichkeitsmaxime starker zu beriicksichtigen, hat Simotta bereits 1993iiberzeugend herausgearbeitet, als diese Belange im osterreichischen AuBerstreitverfahrennoch nicht ausreichend beriicksichtigt waren.58 Simotta pUidierte dabei ausdriicklich dafUr,die Bestimmungen Uber den Ausschluss der Offentlichkeit im Zivilprozess den strafprozes­sualen Regelungen anzupassen.59 Fiir diesen Gleichlauf fUhrt sie in rechtsvergleichenderPerspektive auch an, dass in Deutschland die gleichen Bestimmungen fUr den Ausschlussder Offentlichkeit in Zivil- und Strafverfahren maBgeblich seien. Ein Blick auf das deutscheVerfahrensrecht zeigt die Tragfahigkeit dieser Uberlegung. Im deutschen Gerichtsverfas­sungsrecht findet sich auch in § 171 b GVG eine fUr Zivil- wie Strafverfahren gleicherma­Ben geltende Regelung, die im Rahmen des Opferschutzgesetzes vom 18. 2. 1986 Einzug indas Gerichtsverfassungsgesetz fand. 60 Die Regelung ist zwar ihrer Entstehungsgeschichtenach auf den Strafprozess zugeschnitten, findet aber auch im Zivilverfahrensrecht Anwen­dung.61 Sie ermoglicht den Gerichten eine sorgsame Abwagung zwischen den Interessendes Einzelnen an Geheimhaltung und den Interessen der Allgemeinheit an der GerichtsOf­fentlichkeit, gerade in Zivilverfahren der ordentlichen Gerichtsbarkeit, die nicht schon gem§ 170 GVG unter Ausschluss der Offentlichkeit stattfindcn. Insgesamt beriicksichtigen so­wohl das osterreichische wie auch das deutsche Verfahrensrecht heute Belange des Person­lichkeitsrechts und der informationellen Selbstbestimmung in angemesscner Weise.

IV. Parteidisposition iiber die Offentlichkeit des VerfahrensAuf dem Boden ihrer Kritik an der Offentlichkeitsmaxime als tragfahiges Prinzip des

Zivilverfahrens schlagt Kijbl vor, das gerichtliche Verfahren de lege ferenda in samtlichenZivilsachen zur Disposition jeder Partei zu stellen.62 Eine Disposition "zur gesamten Hand"scheide dagegen aus, da sich die Parteien eher feindselig gegeniiberstiinden und der Ge-

56 § 170 (I) Verhandlungen, Erorterungen und Anhorungen in Familiensachen sowie in Anoeleoenhei­ten der freiwilligen Gerichtsbarkeit sind nicht offentlich. Das Gericht kann die Offentlichkeif zulas­sen, jedoch nicht gegen den Willen eines Beteiligten. In Betreuungs- und Unterbringungssachen istauf Verlangen des Be~roffenen eine~ Person seines Vertrauens die Anwesenheit zu gestalten. (2) DasRechtsbeschwerdegencht kann die Offentlichkeit zulassen, soweit nicht das Interesse eines Beteiligtenan der nicht offentlichen Erorterung Uberwiegt. Zu § 170 GVG vgl etwa Kissel/Marer, Gerichtsver­fassung~gesetz6 § 170 GVG Rn I ff; Volker Lipp, Offentlichkeit der mUndlichen Verhandlung und derEntscheldungsverkUndung? FUR 201 1,37.

:: V.gI Zan~l/Mondel in Rechberger (Hrsg), Kommentar zum Auf3erstreitgesetz (2006) § 19 Rn I ff.. SlIl10fta In Ballon/Hagen, Verfahrensgarantien 454 ff.59 Sil1lofta in Balloll/Hagen, Verfahrensgarantien 462 ff.60 § 171 b Abs I.de~tsches GVG laut~t: "Die Offentlichkeit kann ausgeschlossen werden, soweit Umstande

a~s dem personlichen Lebensberelch eines Prozef3beteiligten, Zeugen oder durch eine rechtswidrige Tat(§ I I A~~ I.Nr 5 des Strafgesetzbuches) Verletzten zur Sprache kommen, deren offentliche Erorterungschlltzwurdlge Interessen verletzen wUrde, soweit nicht das Interesse an der offentlichen Erorterun o?ieser Umstande Uberwiegt. Dies gilt nicht, s~weit die Personen, deren Lebensbereiche betroffen sind.In ~er}-Iaupt~erha?d.lungdem Ausschluf3 der Offentlichkeit widersprechen." Abs 2 der Vorschrift lautet:"Dle OffentlIchkeil 1st auszuschlief3en, wenn die Voraussetzungen des Absatzes I Satz I vorliegen undder Ausschl.lIf3 von der Person, deren Lebensbereich betroffen ist, beantragt wird." Dazu etwa Kissel/Mayer, Genchtsverfassungsgesetz6 § 17 Ib GVG Rn I ff.

61 Schilkell, Gerichtsverfassungsrechr' § 12 Rn 190.62 Kiibl in FS Schnorr 248 ff.

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Zum Grundsatz der OjJemlichkeit im ZivilvefJahren

heimnisschutz von dem Zufall abhinge, "dal3 die OffentIichkeitsscheu gerade auf beide Sei­ten gIeichmal3ig verteiIt ist"63, Kijbl kIeidet ihren Vorschlag in foIgende Worte:

"Ein echter Fortschritt im Geheimnisschutz ist deshaIb nur errungen, wenn entwederschon auf Wunsch einer Partei die Offentlichkeit ausgeschIossen wird, wie im finanzge­richtIichen Verfahren (§ 52 II FGO), oder bei grundsatzIicher NichtOffentIichkeit die Of­fentIichkeit (oder einzeIne bestimmte Personen) nur im Einverstandnis beider ParteienzugeIassen werden. Die gemeinschaftliche Option fUr die Herstellung der unmitteIbaren Of­fentlichkeit sollte den Parteien unbenommen bleiben, soweit nicht iiberwiegende OffentIicheInteressen wie die Staatssicherheit, die SittIichkeit oder dgI gefahrdet wiirden."64

Ewer hat dagegen jiingst einen anderen Weg zur Beschrankung der OffentIichkeitsma­xime beschritten aIs KiJbl und Grunsky. Seiner Auffassung nach steht die OffentIichkeitdes Verfahrens nach dem geItenden deutschen Gerichtsverfassungsrecht in Zivilsachengrundsatzlich zur Disposition der Parteien.65 Seine Auffassung geht insofern weiter aIs dieOberIegungen KiJbls und Grunskys. aIs Ewer schon de lege lata die VerfahrensOffentIich­keit nach § 169 GVG fUr dispositiv halt. Sie verlangt andererseits alIerdings, dass sich dieParteien iibereinstimmend gegen die Offentlichkeit entscheiden. Diese kritischen Stellung­nahmen der Literatur geben AnIass, zu untersuchen, inwieweit die OffentlichkeitsmaximefUr das deutsche Recht de lege lata zwingendes Recht ist und ob sich gegebenenfalls de legeferenda eine AusgestaItung des Offentlichkeitsprinzips als dispositives Recht empfiehlt.

A. Disponibilitat iiber die Offentlichkeitsvorschriften nach demdeutschen Gerichtsverfassungsrecht

Ob die Parteien iiber die OffentIichkeit und deren Ausschluss frei entscheiden diirfen, isteine Frage des jeweils geltenden positiven Rechts. Untersucht man diese Frage exempIa­risch fUr das deutsche Gerichtsverfassungsrecht, ergibt sich, dass die OffentIichkeit des Ver­fahrens grundsi.itzlich nicht zur Disposition der Parteien steht. Das ZiviIverfahren wird zwargrundsatzlich von der Dispositionsmaxime beherrscht (vgI exempIarisch § 308 der deut­schen ZPO). Wie weit die Dispositionsbefugnis der Parteien reicht und weIche Grenzen ihrzwingendes Verfahrensrecht setzt, lasst sich aus der GeItung der Dispositionsmaxime alleinallerdings nicht herleiten. Dazu bedarf es vielmehr einer eindringlichen Analyse der jeweiIsin Betracht stehenden Verfahrensregeln. Die Vorschriften iiber die OffentIichkeit sind aberzwingendes Verfahrensrecht,66 weil die OffentIichkeit aIs Verfahrensmaxime OffentIichenInteressen dient, iiber die den Parteien weder einseitig noch im Einvernehmen eine Dispo­sitionsbefugnis zukommt.67 Dies zeigt sich auch daran, dass in den Regelungen des GVG

63 K(jbl in FS Schnorr 248 f. Ebenso Grunsky, Verfahrensrechts2, 225: "Der Schutz der Privatsphare darf

nicht davon abhangen, dal3 der ProzeBgegner denselben Wunsch verspUrt." VgI auch Simotta in BallonlHagen, Verfahrensgarantien 462: "Gegen diesen Vorschlag von Fasching ist erstens einzuwenden, daBdie ProzeBparteien naturgemal3 eine eher feindselige Haltung gegeneinander haben und sich daher sehroft die andcre Partei aus Bestemm oder um den Gegner zu argern, dem Antrag auf Ausschliel3ung derOffentlichkeit nicht anschlieBen wird. Der Geheimnisschutz jeder Partei hinge - wie Kobl es zutreffendformuliert hat - von dem Zufall ab, dal3 die Offentlichkeitsscheu auf beide Seiten gleichmaBig verteiltis!. Zweitens, dal3 die von Fasching vorgeschlagene Regelung, weil sie nur den ProzeBparteien einAntragsrecht einraumt, den personlichen Lebensbereich und den Geheimnisbereich des Zeugen nichtschUtz!."

64 K(jbl in FS Schnorr 249.65 Ewer, NJW 2010, 1323.66 Differenzierend Wagner, ProzeBvertrage - Privatautonomie im Verfahrensrecht (1998) 80 f.67 OLG KOln, NJW-RR 1986,560; Rimmelspacher, Zur Bedeutung des Offentlichkeitsgrundsatzes und zu

den Rechtsfolgen eines entsprechenden Verfahrensverstol3es, JZ 2001, 155. Zimmermann in Rauscher,MUnchener Kommentar P § 169 GVG Rn 24 1'1'; Wagner, ProzeBvertrage 80 f.

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zur Offentlichkeit zum Teil eine Dispositionsbefugnis der Parteien ausdriicklich gesetzlichfestgelegt ist, namlich dort, wo das Gesetz private Interessen der Betr~ffen~nberiicksichtigt(vgl § 171 b Abs 1 S 2 GVG: "Die geschiitzte Pers?n kann auf den Ihr dlenenden Schu~z

des Offentlichkeitsausschlusses verzichten und die Offentlichkeit der Verhandlung herbel­fiihren obwohl ihre Personlichkeitssphare betroffen ist"). Das deutsche GVG kennt detail­liert u:nrissene Tatbestande, bei denen ein Offentlichkeitsausschluss moglich oder g.~botenist (insb § 171b Abs 2, § 172 GVG). Daraus ergibt sich, dass die Regelungen der Offent­lichkeit nicht grundsatzlich zur Disposition der Parteien stehen konnen. Sonst waren die de­taillierten gesetzlichen Ausnahmen dieses Grundsatzes ni~.ht erkHirbar. Auch § 128 Abs 2der deutschen ZPO steht dem zwingenden Charakter der Offentlichkeitsmaxime nicht ent­gegen.68 Nach dieser Vorschrift konnen die Parteien einvernehmlich auf eine miindliche Ver­handlung verzichten. Das Verfahren ist in diesem Fall im Wesentlichen schriftlicher Natur.Insofern mag man, da das schriftliche Verfahren nicht offentlich stattfindet, hier au~h voneiner mittelbaren und eingeschrankten Dispositionsbefugnis der Parteien iiber die Offent­lichkeit sprechen.69 Fiir das Vertrauen der Rechtsgemeinschaft in den ordnungsgemaBenAblauf der miindlichen Verhandlung ist die Offentlichkeit hier aber entbehrlich, weil indieser Situation iiberhaupt nicht miindlich verhandelt wird.70 Wenn sich die Parteien nichtfUr das schriftliche Verfahren entscheiden, bleibt es fUr die miindliche Verhandlung bei derzwingenden Natur der Offentlichkeitsmaxime.71 Ohnehin ermoglicht auch § 128 Abs 2 derdeutschen ZPO den Parteien einen wirksamen Verzicht auf die miindliche Handlung nur,wenn auch der Richter "mitspielt" und sein Ermessen dahingehend ausiibt, von einer miind­lichen Verhandlung abzusehen. Auch die Regelungen des deutschen Verfahrensrechts, diefUr das finanzgerichtliche Verfahren und das berufsgerichtliche Verfahren gegen Rechtsan­walte eine einseitige Dispositionsbefugnis festlegen (§ 52 Abs 2 Finanzgerichtsordnung und§ 135 Abs 1 S 2 Bundesrechtsanwaltsordnung), betreffen Sondersituationen und zeigen imUmkehrschluss, dass der Gesetzgeber im Grundsatz von der zwingenden Natur der Offent­lichkeitsmaxime ausgeht.72

B. Disponibilitat der Offentlichkeitsmaxime de lege ferenda?

Sollte die Gerichtsoffentlichkeit generell zur Disposition einzelner Prozessbeteiligter ste­hen wie Kob[73 un~ Grunsky74 vorschlagen? Die von Kobl und Grunsky aufgefUhrten Be­denken gegen die Offentlichkeit als zivilrechtliche Verfahrensmaxime haben sich nicht alsdurchgreifend erwiesen.75 Das Offentlichkeitsprinzip ist notwendiges Spiegelbild der AlIge­meinheit und Objektivitat alIen Rechts; es starkt dariiber hinaus das Vertrauen der Rechts-

68 S etwa Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz6 § 169 GVG Rn 58; Zimmermann in Rauscher, Mtin­chener Kommentar 13 § 169 GVG, Rn 25; aA BverwG, Beschluss vom 30. I!. 2004 10 B 64/04 un­ver.0ffe.ntlic~t U~rissowie Beck~S 2004, 27614); Ewer, NJW 2010, 1324 f. Zum Zu~ammenhangdesM~n~hchkeltspnnZIpsmlt dem Offentlichkeitsprinzip vgl Gaier, Urteilstatbestand und Mtindlichkeits­pnnZIp (1999) 129 ff.

~: Z!mmermann in R~uscher, Mtinchener Kommentar .13 § 169 GVG, Rn 25.I;:lOe a.nd~re Frage 1St, ob das schnfthche Verfahren 10 gleicher Weise Stabilitat, Vertrauen und Verbind-

71 h~hkelt. nchterhch~r Entscheidungen sichern kann. Diese Frage wird hier nicht weiter verfolgt.DIes durfte auch fur das Verwaltungsverfahren gelten, vgl Meissner in Schoch/Schmidt-AjJmannlPietz­ner (Hrsg), Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 22. EL (2011) § 55 VwGO Rn 23 mwN AA- EwerNJW 2010, 1324. . . ,

72 ifi3~immermann in Rauscher, Mtinchener Kommentar 13 § 169 GVG, Rn 26; aA: Ewer, NJW 2010,

73 Kohl in FS Schnorr 248 ff.74 Grunsky, Verfahrensrechts2 224 f.75 S oben, Ill.

22GeimerlSchiilze/Garher (Hrsg), Dimension des Rechts, FS Simoua, LexisNexis

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Zum Grundsatz der Ojfentlichkeit im Zivilverfahren

gemeinschaft in Verfahren und Ergebnisse richterlicher Rechtsanwendung. So dient es derVerbindlichkeit richterlicher Entscheidungen und damit letztlich dem Rechtsfrieden und derRechtssicherheit. Mit diesen Funktion der Offentlichkeitsmaxime Uisst sich die einseitigeDisposition der einzelnen Prozessbeteiligten tiber die Offentlichkeit auch de lege ferendanicht vereinbaren.76 Diese Losung wtirde mogliche Interessen Einzelner gegentiber den In­teressen der Rechtsgemeinschaft tiberbetonen. Ein weiteres, von Kobl und Grunsky nichtverfolgtes Argument fUr die einseitige Parteidisposition tiber die Offentlichkeit lief3e sichaus einem Vergleich zum Schiedsverfahren ziehen. Schiedsverfahren finden grundsatzlichnicht offentlich statt. Die NichtOffentlichkeit des Schiedsverfahrens ist zwar in der ZPOnicht ausdrticklich normiert, sie wird aber regelmaf3ig vereinbart. So gewahrleistet etwa fUrSchiedsverfahren nach der Deutschen Institution fUr Schiedsgerichtsbarkeit eV § 43.1 derSchiedsordnung dieser Institution die Vertraulichkeit des Verfahrens.77 Alle Beteiligten sindzudem zur Geheimhaltung verpflichtet.78 Soweit es also Parteien freisteht, ihre Streitigkei­ten kraft wirksamer Schiedsabrede unter die Schiedsgerichtsbarkeit zu stellen, konnte esihnen auch freigestellt sein mtissen, das gerichtliche Verfahren nicht offentlich zu gestal­ten. Dies erscheint auf den ersten Blick als logische Schlussfolgerung a majare ad minus:Wenn (und soweit) die Parteien sich der staatlichen Zivilgerichtsbarkeit vollstandig entzie­hen konnen, mtissen sie die staatliche Zivilgerichtsbarkeit auch nicht Offentlich gestaltenkonnen. Auch dieses Argument greift indes letztlich nicht durch. Auf3er Frage steht, dassdas Bedtirfnis nach Vertraulichkeit und Geheimhaltung oft eine gewichtige Motivation derParteien bildet, Schiedsabreden zu treffen. Gerade im Wirtschaftsverkehr haben die Betei­ligten oft ein grof3es Interesse daran, juristische Konflikte fUr die Offentlichkeit unsichtbarauszutragen. Allein die Tatsache, dass ein Unternehmen mit einem anderen Unternehmenrechtlichen Streit austragt, kann fUr das Image der betroffenen Unternehmen nachteiligsein. Haufen sich derartige Vorkommnisse, kann es zu einem Verlust des Ansehens diesesUnternehmens kommen. Eine weitere Gefahr besteht darin, dass im offentlichen VerfahrenGeschaftsgeheimnisse, Patente oder Lizenzen zur Sprache kommen konnen, die die Betrof­fenen lieber geheim halten mochten. Gleiches gilt fUr Kundenlisten, Marktstrategien odersonstige Daten.79 Trotz dieser nachvollziehbaren Interessen lasst sich auch aus der Moglich­keit einer Schiedsabrede nicht herleiten, dass die VerfahrensOffentlichkeit staatlicher Zivil­verfahren zur Disposition der Parteien stehen sollte. Zunachst besteht die Wahlfreiheit nurin Grenzen: Voraussetzung ist eine wirksame Schiedsvereinbarung zwischen den Parteien,bereits hier sind der Parteidisponibilitat enge Grenzen gesetzt.80 Dazu tritt ein weiterer As­pekt: Der Schiedsspruch steht unter dem Vorbehalt staatlicher Kontrolle. Wenn das Schieds­verfahren - etwa im Rahmen eines Aufhebungs- oder eines Vollstreckungsverfahrens - auf

76 VgI auch das Urteil des RG vom 4.5. 1938, RGZ 157,341,347. Nach Ewer bedarf es keiner weiterenAusfUhrungen zur Begrlindung, dass der Ansatz des RG nicht tragf<ihig ist, weil das Urteil vom 4. 5.1938 stammt und die Unverzichtbarkeit maBgeblich mit der Bedeutung der Rechtspflege fUr die "Volks­gemeinschaft" begrlindet wird, vgl Ewer, NJW 2010, 1325. Ewer ist selbstverstiindlich zuzustimmen,dass jedwede von nationalsozialistischer Ideologie beeinflusste Rechtsprechung nicht fortwirken darf.Der vom RG entschiedene Fall betraf allerdings einen Verkehrsunfall, spezifisch nationalsozialistischesGedankengut lasst sich dem Urteil kaum entnehmen. "Volksgemeinschaft" ist selbstverstandlich heutekein unbelastet brauchbarer Begriff. Das Reichsgericht lasst sich hier aber auch durchaus so verstehen,dass es Iediglich auf liber die Interessen der beteiligten Parteien hinausweisende objektive Interessender Allgemeinheit hingewiesen hat.

77 Vgl § 43.1 Schiedsordnung der Deutschen Institution fUr Schiedsgerichtsbarkeit, abrufbar unter http://www.dis-arb.de!deIl6!regeln!dis-schiedsgerichtsordnung-98-id2 (Stand: 16. 2. 2012).

78 S naher Kreindler/Rust, Beck'sches Rechtsanwalts-Handbuch lO (2011) § 7 Rn 28 f.79 Dazu stellvertretend KreindlerlRust, Wahl zwischen ordentlichem Gerichtsverfahren und Schiedsver­

fahren, in BiichtinglHeussen (Hrsg), Rechtsanwalts-Handbuch lO § 7 Rn 13 sowie Rn 28 f.80 Dazu stellvertretend Voit in Musielak, Kommentar zur Zivilprozessordnung8 (2011) § 1029 Rn 10 ff

mwN.

Geimer/Schiilze/Gllrher (Hrsg), Dimension des Rechts, FS Simotta. LexisNexis 23

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die Wahruno- der Verfahrensstandards iiberpriift wird, so wird die Vertraulichkeit des Verfah­rens hinfiiIlfg.81 Hier slOBt also auch die NichtOffentlichkeit des Schiedsverfahrens an ihreGrenzen.

:: s.Krein~lerIRust in BiichtinglHeussen, RechtsanwalIs-Handbuch 1o § 7 Rn 29.SlInotta.m BallonlHagen, Verfahrensgarantien 465.

83 Wenzel m R~usche: (Hrsg), Miinchener Kommentar zur Zivilprozessordnung II' (2007) § 547 ZPORn 15; Ball m Muslelak, KommentarS § 547 ZPO Rn 12.

Geimer/Schiitze/Garher (Hrsg), Dimension dcs Rechts, FS Simotta, LexisNexis24

v. Ungerechtfertigter Nicht-Ausschluss der Offentlichkeit alsabsoluter Revisionsgrund

Simotta hat fUr das osterreichische Verfahrensrecht vorgeschlagen, den ungerechtfertig­ten Nicht-Ausschluss der OffentIichkeit zum absoluten Revisionsgrund zu erheben: "Wei­ters ware es, um dem PersonIichkeits- und Datenschutz der Verfahrensbeteiligten wirklichzum Durchbruch zu verhelfen, in Erwagung zu ziehen, ob man nicht auch den ungerecht­fertigten Nicht-Ausschluss der OffentIichkeit unter Nichtigkeitssanktion steIIen sc:,ute. Denndie Kausalbeziehungen zwischen dem ungerechtfertigten Nicht-Ausschluss der Offentlich­keit und dem InhaIt des Urteils werden fast niemals nachweisbar sein."82 Dieser Vorschlagder Jubilarin ist mit BIick auf das deutsche Zivilprozessrecht besonders interessant: Dennim deutschen Revisionsrecht ist der Vorschlag Simottas verwirklicht. Wenn eine Entschei­dung aufgrund miindlicher Verhandlung ergeht, ist sie gem § 547 Nr 5 der deutschen ZPO"stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen, ... wenn ... die Vorschrifteniiber die OffentIichkeit des Verfahrens verIetzt sind". Die Revision ist dann zwingend gem§ 545 Abs I, 546 der deutschen ZPO begrUndet. § 547 Nr 5 deutsche ZPO differenziertnicht danach, in weIche Richtung die Vorschriften iiber die OffentIichkeit des VerfahrensverIetzt sind. Gedacht war wohl vor aIIem an die zu Unrecht erfolgte "Geheimsitzung" un­ter Ausschluss der Offentlichkeit, doch ist auch der umgekehrte FaIl erfasst. Der Tatbestandist sowohl dann erfUIlt, wenn die OffentIichkeit zu Unrecht (also im Wesentlichen entgegen§ 169 GVG) ausgeschlossen war, als auch dann, wenn die Offentlichkeit zu Unrecht nichtausgeschlossen war, also unter Verletzung der §§ 170 ff GVG eine Offentliche Verhandlungstattgefunden hat.83

Die Strenge des § 547 Nr 5 deutsche ZPO erstaunt auf den ersten Blick ebenso wie dieForderung Simottas. Mit Blick auf die konkret in Rede stehende Entscheidung lasst sichkaum rechtfertigen, weshalb auch eine zu Unrecht erfolgte offentliche Verhandlung einenabsoluten Revisionsgrund darsteIlen soIIte. Denn zum einen dUrfte die Entscheidung nur inseltenen FaIlen aIlein wegen der offentIichen Verhandlung tatsachIich auf der RechtsverIet­zung beruhen, wie § 547 Nr 5 ZPO zu fingieren befiehlt: RegelmaBig wird sich nicht zeigenlassen, dass das Gericht zu einem anderen Ergebnis gekommen ware, wenn die Verhand­lung nicht OffentIich gewesen ware. Zum anderen scheinen auch die Interessen und Rech­te, die durch den Ausschluss der Offentlichkeit geschUtzt werden soIIen, nicht nach einemabsol~ten. Revisionsgru~dzu verIangen: Diese Interessen und Rechte sind ja bereits unwi­derbnnghch yerletzt. DIe Verhandlung hat bereits Offentlich stattgefunden; den vom Aus­schluss der Offentlichkeit geschUtzten Personen kann nicht mehr im Nachhinein dadurchgeholfen werden, dass die Entscheidung kassiert wird.

Der Grund fUr die Strenge des § 547 Nr 5 ZPO und fUr den Ansatz Simottas ist daher ananderer SteIIe zu suchen. Es wUrde zu kurz greifen, nur die konkrete Entscheidung und diekonkret verletzten Interessen und Rechte zu betrachten. Vielmehr verwirklicht sich hier einPraventionsgedanke. Die strenge Sanktion des § 547 Nr 5 ZPO ist deshalb gerechtfertigt,

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Zum Grunclsatz cler Offentlichkeit im Zivilveifahren

weil sie dazu fUhren kann, dass die Vorschriften iiber die Offentlichkeit des Verfahrens inder Rechtspraxis gewahrt bleiben. Keine Richterin sieht es gerne, wenn ihre Entscheidungin der Revision aufgehoben wird. Das liegt zum einen daran, dass ihr eine mogliche Zu­riickverweisung zusatzliche Arbeit aufbiirdet. Zum anderen empfinden Richter die Aufhe­bung auch als personliche Niederlage. Dies gilt umso mehr, wenn ihnen ein VerstoB gegeneinen absoluten Revisionsgrund angelastet wird. Richter sehen sich als Hiiter des Rechts,dieses Selbstverstandnis ist empfindlich gestOrt, wenn sie sich dem Vorwurf eines Versto­Bes gegen rechtsstaatliche Grundsatze des Verfahrensrechts ausgesetzt sehen. Vor diesemHintergrund zwingt § 547 Nr 5 ZPO den Richter dazu, die Vorschriften iiber die Offent­lichkeit des Verfahrens peinlich genau zu priifen - dies sowohl, wenn in Rede steht, ob erdie Offentlichkeit ausschlieBen soli, als auch dann, wenn in Rede steht, ob eine OffentlicheVerhandlung Platz greifen darf. § 547 Nr 5 ZPO lasst sich deshalb als Ausfluss des Praven­tionsgedankens im Zivilverfahrensrechts teleologisch erklaren.

VI. Offentlichkeitsmaxime nnd englische Verfahrenssprachevor deutschen Gerichten

In Deutschland wird derzeit der Entwurf eines Gesetzes zur EinfUhrung von KammernfUr internationale Handelssachen (KfiHG)84 diskutiert. Die Besonderheit der Verhandlungvor diesen Kammern soli darin bestehen, dass bei internationalen Streitigkeiten die Partei­en iibereinstimmend die Verhandlung in englischer Sprache bestimmen konnen.85 Ziel desEntwurfes ist es, die Wahl deutscher Gerichtsstandorte, mittelbar aber auch die Wahl deut­schen materiellen Rechts als Vertragsstatut zu fOrdern. 86 Das Gesetz versucht also, Vortei­le in einem vom Gesetzgeber akzeptierten Wettbewerb der Rechtsordnungen fUr die deut­sche Rechtsordnung zu erreichen. Letztlich soli das Gesetz auch den WirtschaftsstandortDeutschland starken. Inwieweit diese gesetzgeberischen Ziele mit der anvisierten Einftih­rung internationaler Handelskammern tatsachlich erreicht werden konnen, ist eine komple­xe Frage, die hier nicht weiter verfolgt werden kann.87 Mit Blick auf die Offentlichkeitsma­xime im Zivilverfahrensrecht stellt sich allerdings die Frage, ob eine in englischer SprachegefUhrte Verhandlung noch ein "Offentliches" Verfahren ist. Nicht jeder potenzielle Zu­schauer ist der englischen Sprache machtig; zudem ist die Gerichtssprache gem § 182 S IGVG deutsch. Die oben erarbeiteten Funktionen der Gerichtsoffentlichkeit konnen aller­dings auch bei englischer Verfahrenssprache gewahrt werden. Ein in englischer Sprache ge­fUhrtes Verfahren ist kein Geheimverfahren. Auch ermoglicht etwa § 185 Abs 2 GVG demGericht, von Dolmetschern abzusehen, wenn alle Beteiligten die fremde Sprache verstehen.Ob das Publikum diesen Verhandlungsteil versteht oder nicht, ist nicht relevant. Dies giltumso mehr, als in vielen technisch oder rechtlich anspruchsvollen Verfahren ein deutsch­sprachiges Publikum inhaltlich auch dann nur wenig verstehen diirfte, wenn die Verhand­lung in deutscher Sprache erfolgt. Fiir die Vertrauensfunktion der Offentlichkeit ist nichtmaBgeblich, dass tatsachlich Publikum in den GerichtssaIen der Verhandlung beiwohnt; es

84 Entwurf eines Gesetzes zur EinfUhrung von Kammern fUr internationale Handelssachen (KfiHG)vom 16. 6. 2010, Bundestag-Drucksache 17/2163, abrufbar unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/l7/021/1702163.pdf (Stand: 16. 2. 2012). Dazu etwa Armbriister, Englischsprachige Zivilprozessevor deutschen Gerichten? ZRP 2011, 102.

85 Vgl Art 1 des Gesetzesentwurfes, oben FN 84.86 Vgl Drucksache 17/2163, oben FN 84 S 1 und 2.87 Zu einigen Aspekten s etwa Armbriister, ZRP 2011, 102; Flessner, Deutscher Zivilprozess auf Englisch

- Der Gesetzentwurf des Bundesrats im Lichte von Staatsrecht, Grundrechten und Europarecht, NJW2011,3544; lllmer, Ziel verfehlt - Warum Englisch als Verfahrenssprache in § 1062 ZPO zuzulassen ist,Zeitschrift fUr Rechtspolitik, ZRP 2011, 170.

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.. at d SS die Moalichkeit dazu besteht. Fiir unser aller Bewusstsein, dass keine Geheim-genu

o' a 0 . h G d" dl' hverfahren stattfinden, sondem dass der Richter nach rechtsstaathc e? run. satzen re IC

nach Wahrheit und Recht sucht, geniigt ebenfalls eine Verhandlung In enghscher Sprach.e.Denn die Verbreitung englischer Sprachkenntnis in Deutschland !st seh.~ hoch..Gera~e In

den bei internationalen Wirtschaftssachen beteiligten Verkehrskrelsen. durften ~Ie mels~enpotenziell Interessierten der englischen Sprache mach~ig sein. Auch bel der ~edIe~verm.Itt­lung soIcher Prozesse diirften nur selten Sprachbarneren entstehen. D~r.Offentl~.chkeIt~­grundsatz ist daher nicht verletzt, wenn in den vom Gesetzesentwurf anVlSlerten Fallen dieVerhandlung in englischer Sprache stattfindet.88

VII. Vorziige der Offentlichkeit als VerfassungsrechtssatzDie Offentlichkeitsmaxime erfiillt auch im Zivilverfahren eine zentrale rechtsstaatliche

Funktion. Der Grundsatz der OtTentlichkeit tragt zum Vertrauen in richterliche Entschei­dungen, zu Rechtssicherheit und Rechtsfrieden bei. Dieser Befund wirft die Frage auf, o.beine verfassungsrechtliche Verankerung dieses Grundsatzes fUr Deutschland nach osterrel­chischem Vorbild wiinschenswert ware. Dabei sollte im Ausgangspunkt nicht vorschnelleine verfassungsrechtliche Festlegung gefordert werden. In der Verfassung als Grundord­nung der Rechtsgemeinschaft soli ten nur fundamentale Rechtsgrundsatze festgezurrt sein,deren Geltung fUr die Rechtsordnung konstitutive Natur entfaltet. Natiirlich kann hier dieschwierige Aufgabe eines Verfassungsvergleichs nicht abschlieBend und umfassend eror­tert werden. Gleichwohl fallt auf, dass das osterreichische (und bayerische) Verfassungs­recht das Offentlichkeitsprinzip mit Verfassungsrang ausstattet, nicht aber das deutscheGrundgesetz.

89Dies ist fUr einen im Zuge des 19. lahrhunderts politisch hart erkampften

Verfahrensgrundsatz ungewohnlich. Zudem hat sich gezeigt, dass der Offentlichkeit fUrunsere Rechtsordnung vertrauensstarkende und stabilisierende Funktion zukommt. Auchsind die in Deutschland erhobenen Bedenken90 gegen eine verfassungsrechtliche Veranke­rung etwa als Ausfluss des Rechtsstaats- und Demokratieprinzips eher schwach: Die os­terreichische Verfassung illustriert mit ihrem Gesetzesvorbehalt, dass die Verankerung alsverfassungsrechtlicher Grundsatz keineswegs bedeuten muss, dass dem Gesetzgeber Hand­lungsspielraum und Gestaltungsspielraum genommen werden. Auch der osterreichischeGesetzgeber ist durchaus frei, die Offentlichkeit durch Gesetz etwa fUr bestimmte sensib­le Verfahrensarten (beispielsweise im Bereich des Familienrechts) einzuschranken. Hierzeigt sich: Das Offentlichkeitsprinzip ist, ahnlich wie etwa das Eigentumsrecht oder auchdie Vertragsfreiheit, auf ihre Konkretisierung und Auspragung durch den Gesetzgeber an­gewiesen. Man mag sich daher fragen, was gewonnen ware, wenn man in der Offentlich­keitsmaxime einen Rechtssatz von Verfassungsrang sehen wiirde. Die Antwort ergibt sichaus einem Blick auf die verfassungsrechtlichen Grenzen anderer normativ vom Gesetzge­ber auszufiillenden Maximen oder Freiheitsrechte. Ahnlich wie bei diesen ist auch bei derOffentlichkeit denkbar, dem Gesetzgeber letzte Grenzen in Form eines Institutsschutzeszu setzen. Verfassungsrechtlich bedenklich ware daher, wenn die VerfahrensOffentlichkeiteinfachgesetzlich so ausgestaltet ware, dass der Offentlichkeit jede Substanz fehlen wiir­de. Damit ware eine vollstandige Aufhebung jedweder unmittelbaren oder mittelbaren Of­fentlichkeit - also die umfassende Wiedereinfiihrung von Geheimverfahren "in camera"- verfassungswidrig. Ebenso ware eine Offentlichkeitsgestaltung verfassungsrechtlich be-

88 Ebenso iE Ewer, NJW 2010, 1323.89 S schon oben I.

90 BV~rfGE 4, 74; BVerfGE 15, 303; SL'hilken, Gerichtsverfassungsrecht4 § 12 Rn 159; Kisse//Mayer,Genchtsverfassungsgesetz

6Art 169 GVG Rn 4 mwN auch zur Gegenauffassung.

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Zum Grundsatz der OJfentlichkeit im Zivilverfahren

denklich, die kein unmittelbares Anwesenheitsrecht im Gerichtssaal mehr kennt, sondernnur mittelbare Offentlichkeit durch Informationen durch das Gericht (insb durch die lustiz­pressestellen) zuliisst.91 Die durch das Demokratieprinzip gestellten Erfordernisse unmittel­barer Offentlichkeit und ihre stabilisierende, friedenssichernde Funktion wurden einer der­artigen Ausgestaltung nicht mehr gerecht. Sie durfte nicht in gleicher Weise Vertrauen in dieRechtspflege und Stabilisierung del' Gesellschaft herbeifiihren konnen, wie dies durch dieunmittelbare Offentlichkeit geschehen kann. Insgesamt sollte auch in Deutschland die Of­fentlichkeitsmaxime als verfassungsrechtlich geschutzter Bestandteil des Demokratie- undRechtsstaatsprinzips angesehen werden.92

VIII. Zusammenfassung und SchlussbemerkungDel' Grundsatz del' Otfentlichkeit ist ein fundamentales zivilverfahrensrechtliches Prin­

zip. Die Offentlichkeit des Zivilverfahrens ergibt sich als Spiegelbild aus del' AlIgemein­giiltigkeit und Objektivitlit des materiellen Zivilrechts. So gewinnt es seine rechtsstaatlicheBedeutung aus del' Vertrauensbildung in del' Rechtsgemeinschaft. Die Offentlichkeit desVerfahrens dient del' Legitimation und VerbindIichkeit gerichtlicher Entscheidungen. Damitwird die Offentlichkeitsmaxime zur Funktionsbedingung einer stabilen Gesellschaftsord­nung und hilft, Rechtssicherheit und Rechtsfrieden zu verwirklichen. Nur wenn del' Ein­zelne die Moglichkeit hat, in das Verfahren del' Rechtsverwirklichung einzusehen, kann erVertrauen fassen, dass Recht nach fairen Prinzipien und Ma13staben in redlicher Anstren­gung del' Richter gesprochen wird. Zugleich kommt dem Offentlichkeitsprinzip im Zivil­verfahren auch eine legitimitatssichernde Kontrollfunktion zu und befriedigt Informations­interessen del' AlIgemeinheit. Die Offentlichkeit des Zivilverfahrens ist nach dem geltendendeutschen Gerichtsverfassungsrecht zwingendes Recht und steht daher nicht zur Dispositi­on del' Parteien. Auch de lege ferenda empfiehlt sich eine Ausgestaltung del' VerfahrensOf­fentlichkeit als dispositives Recht nicht. Die von Simotta vorgeschlagene und im deutschenRecht verwirklichte Behandlung von VeI'letzungen del' Offentlichkeitsmaxime als absolu­ter Revisionsgrund ist teleologisch als Ausfluss des Praventionsgedankens im Zivilverfah­rensrechts zu erkIaren. Die in Deutschland geplante Einfiihrung von in englischer Sprachegefiihrten Gerichtsverhandlungen ist mit del' Offentlichkeit des Zivilverfahrens vereinbar,weil die zentralen Funktionen del' Verfahrensoffentlichkeit auch bei einer Verhandlung inenglischer Sprache gewahrt bleiben. Rechtsvergleichend erweist sich die Verankerung del'Offentlichkeitsmaxime als verfassungsrechtlicher Rechtssatz im osterreichischen Verfas­sungsI'echt dem deutschen Verfassungsrecht als uberlegen, weil sich damit einfachgesetz­liche verfahrensrechtliche Gestaltungen del' Offentlichkeit verhindern lassen, bei denen del'Offentlichkeitsmaxime jeder sinnvolle Gehalt entzogen wird. Insgesamt erweist sich dieOffentlichkeit des Zivilverfahrens als zentrale Einrichtung des Rechtsstaats. Del' politischeKampf, del' fiir ihre Einfiihrung im 19. lahrhundert gefiihrt wurde, beweist, dass es bei del'Offentlichkeitsmaxime letztlich auch urn politische Argumente geht. Fur die Dogmatik istdie jeweilige einfachgesetzliche Ausgestaltung del' VerfahrensOffentlichkeit ma13geblich.Keinesfalls aber darf die Offentlichkeitsmaxime als grundlegende Einrichtung des Rechts­staats aufgegeben werden.

91 So der Vorschlag K6hls, AcP 177 (1977) 250 f.92 In diese Richtung auch Staff, Offentlichkeit als Verfassungsprinzip, ZRP 1992, 384; Grabenwarterl

Pahel in MarauhnlGrote (Hrsg), EMRKlGG Konkordanzkommentar zum europaischen und deutschenGrundrechtsschutz (2006) Kap 14 Rn 109.

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