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EvB-Magazin «erklärung!» September 2012
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Seit Jahren betont die Erklärung von Bern die zentrale Bedeutung der Steuerthematik für Entwicklungsländer und zeigt die Schäden durch Steuerflucht auf. In der internationalen Diskussion hat das Thema enorm an Fahrt gewonnen. Endlich beim Bundesrat angekom-men, müssen auf die Einsicht Taten folgen.
TexT_AndreAs MissbAch // FoTo_PAnos PicTures
Im April dieses Jahres hat der Bundesrat einen Bericht veröffentlicht, der zum ersten Mal anerkennt, dass es aus «entwicklungspolitischer Logik» und «zum Erhalt der Reputation des Finanz
platzes Schweiz» nötig ist, den steuerlichen Informationsaustausch auch «Entwicklungsländern aller Entwicklungsstufen» zu gewähren. Im selben Bericht betont der Bundesrat, dass für ihn Doppelbesteuerungsabkommen klar den Vorrang haben vor den, für Entwicklungsländer geeigneteren, einfachen Informationsabkommen.
Doppelbesteuerungsabkommen: Teuer und exklusivDoppelbesteuerungsabkommen regeln nicht in erster Linie den Informationsaustausch im Rahmen der Amtshilfe, sondern sie sollen primär die
ForTseTzung>>
das Magazin der erklärung von bern
# 04septeMber_12
STEuErFluchT
BEhInDErT DIE
EnTwIcklung vieler länder des Südens – die Schweiz spielt dabei eine wich-tige rolle.
Starre Fronten geraten in Bewegungsteuern und entwicklung
erklärung!_04_2012
2__sTeuern und enTwicklung
>>ForTseTzung von seiTe 1
zahlen sagen Mehr als worte...
Die illegalen geldflüsse aus Entwicklungsländern in Steueroa-sen betragen laut der OEcD
850 Mia. uS-$ jährlich.
60 % dieser illegalen geld-flüsse stammen aus Steuerflucht von unternehmen und Privaten.
Die Entwicklungsländer verlieren durch Steuerflucht jedes Jahr
284 Mia. uS-$ mögliche Steuereinkünfte.
doppelte Besteuerung von Unternehmensgewinnen verhindern. Die Schweiz verfolgt in diesen Verhandlungen das Ziel, die Höhe der Quellensteuern zu senken, welche die Partnerländer erheben dürfen, wenn Schweizer Konzerne von ihren dortigen Tochtergesellschaften Lizenzgebühren, Zinszahlungen auf konzerninterne Kredite oder Dividenden erhalten. Für die Entwicklungsländer sind diese Steuern eine wichtige Einnahmequelle. Zudem bieten Quellensteuern auf Zinsen und Lizenzgebühren einen Schutz gegen die Steuervermeidung von Unternehmen. Sie mindern den Anreiz für multinationale Konzerne, ihre Gewinne über künstlich aufgeblähte interne Lizenzzahlungen und Zinsen ins steuergünstigere Ausland zu verlagern. Solche überhöhte Zahlungen sind ein gängiges Mittel für Unternehmen, die Gewinne künstlich zu vermindern, wodurch den betroffenen Entwicklungsländern Einnahmen aus den Gewinnsteuern entgehen.
Die Schweiz will zudem zuerst die bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen anpassen. Da nur eine Minderheit der Entwicklungsländer – diejenigen, an denen die Schweizer Wirtschaft ein besonderes Interesse hat – bereits über ein solches Abkommen verfügt, bleibt die grosse Mehrheit aussen vor.
Um den aktuellen OECDStandard, den «Informationsaustausch auf Anfrage» zu vereinbaren, braucht es allerdings nicht zwingend neue
oder revidierte Doppelbesteuerungsabkommen. Die Schweiz könnte auch einfache Steuerinformationsabkommen abschliessen, die ausschliesslich den Informationsaustausch in Steuerfragen regeln. Damit liesse sich der Doppelstandard zwischen den Industrieländern und der grossen Mehrheit der Entwicklungs und Schwellenländer bei der Gewährung von steuerlich relevanten Informationen aufheben.
Im gänsemarsch richtung automatischer InformationsaustauschMit der Bereitschaft zum Informationsaustausch auf Anfrage und mit den bilateralen Zugeständnissen an die USA ist die Schweiz seit 2009 von der absoluten Verweigerung der Amts und Rechtshilfe bei Steuerhinterziehung abgerückt. Aber die Anforderungen an eine Anfrage sind hoch: Um von der Schweiz Amtshilfe zu bekommen, müssen die ersuchenden Staaten Angaben machen, die sie häufig nicht haben. Die Informationen, die einen Verdacht auf Steuerhinterziehung begründen und erhärten könnten, sind zwar in der Schweiz vorhanden, können aber nicht erfragt werden. Dies gilt insbesondere für Entwicklungsländer mit begrenzten Ressourcen. Seit der RaiffeisenChef Pierin Vincenz Anfang Jahr den automatischen Informationsaustausch als Option für die Schweiz in die Diskussion ge
___«oder beschränken wir die weiss geldstrategie nur auf die deutschen und die usa? für leute aus afrka oder asien würde das dann nicht gelten? das geht nicht.» oswald grübel, früherer ceo der cs und der ubs
490 Mia. uS-$ Steuer-fluchtgelder aus Entwicklungs- und Schwellenländern liegen in der Schweiz, sie verursachen einen jährlichen Verlust von
7,35 Mia. uS-$.
pan
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pic
ture
s
erklärung!_04_2012
IMPrESSuM erklärung! 4/2012 AuFlAgE 21 600 Exemplare hErAuS gEBErIn Erklärung von Bern (EvB), Dienerstrasse 12,
Postfach, 8026 Zürich, Telefon 044 277 70 00, Fax 044 277 70 01, [email protected], www.evb.ch rE DAk TIOn Susanne Rudolf, Angela Birrer gESTAlTung Clerici Partner Design, Zürich Druck ROPRESS Genossenschaft, Zürich; gedruckt mit Bio farben auf Cyclus Print, 100% Altpapier, klimaneutraler Druck
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wem soll entwicklungszusammenarbeit dienen?
weshalb betreibt die Schweiz Entwicklungs-zusammenarbeit? Diese Diskussion ist in der Schweiz wieder neu entfacht. nach Meinung ver-schiedener PolitikerInnen der Mitte- und rechts-parteien muss Entwicklungshilfe auch dazu die-nen, die Auswanderung aus südlichen ländern in die Schweiz einzudämmen. Eine neue Studie der Denkfabrik «foraus» besagt allerdings das gegen-teil: Entwicklungshilfe begünstige die Auswande-rung aufgrund der verbesserten finanziellen lage der Bevölkerung. Soll die Entwicklungshilfe nun an gewisse Bedingungen geknüpft werden?
Entwicklungszusammenarbeit mit den Eigeninte-ressen der Schweiz zu verknüpfen, ist nach An-sicht der EvB falsch. Entwicklungshilfe dient vor allem der Armutsminderung vor Ort. Der kernge-danke – «geben», nicht auch «nehmen» – muss im Vordergrund stehen. Solidarität ist wichtiger als die hoffnung auf Vorteile der Schweiz.
Dem anzufügen ist, dass Entwicklungszusammen-arbeit für sich alleine nicht genügt, um die globale Armut – eine der vielen ursachen für Migration
– zu bekämpfen. nebst ausländischer hilfe brau-chen Entwicklungsländer dringend auch höhere eigene Einnahmen – in Form von Steuern. Durch Steuervermeidung verlieren sie nämlich jährlich 284 Milliarden uS-Dollar Einnahmen. Das ist mehr als doppelt so viel wie die weltweit geleistete Entwicklungshilfe 2011 (125 Mia. uS-$). Die feh-lenden Steuereinnahmen sind vorwiegend auf die Steuerflucht von Privatpersonen in Steueroasen und die aggressive Steuervermeidung multinati-onaler konzerne zurückzuführen – Praktiken, bei denen die Schweiz eine sehr unrühmliche, aber zentrale rolle spielt.
Möchten Schweizer PolitikerInnen wirklich etwas gegen die ursachen von Migration unternehmen, dann muss nicht die Entwicklungszusammenar-beit an Bedingungen geknüpft werden, sondern die Schweiz müsste konsequent gegen Steuer-flucht vorgehen.
susanne rudolf
worfen hat, ist diese EvBKernforderung salonfähig geworden. Bundesrat und Bankenlobby sind allerdings noch nicht so weit. Mit den mit Grossbritannien, Deutschland und Österreich ausgehandelten Abgeltungssteuerabkommen versucht die Schweiz, die Anonymität ausländischer Steuerhinterzieher zu wahren und durch die hiesige Besteuerung für die Herkunftsländer akzeptabel zu machen. Dass dies aber für Entwicklungsländer nicht vorgesehen ist, fiel sogar Oswald Grübel, dem früheren CEO der CS und der UBS, auf: «Oder beschränken wir die Weissgeldstrategie nur auf die Deutschen und die USA? Für Leute aus Afrika oder Asien würde das dann nicht gelten? Das geht nicht.»
Dabei wäre eine Besteuerung der in der Schweiz parkierten Gelder für Entwicklungsländer als Zwischenlösung bis zum automatischen Informationsaustausch durchaus sinnvoll. Eine «Abgeltung», wodurch diese Gelder als steuerlich «weissgewaschen» behandelt werden, sollte aber damit nicht verbunden sein.
Während früher vor allem die EU den automatischen Informationsaustausch forderte, erhält dieses Mittel gegen Steuerflucht inzwischen auch aus den Ländern des Südens Unterstützung. Indien ist die neue treibende Kraft, die innerhalb der G 20 (Gruppe der 20 grössten Industrie und Schwellenländer) den Druck auf Steueroasen für Transparenz und Informationsaus tausch verstärkt hat. In der Schlusserklärung des G 20Gipfels von Mexiko verpflichteten sich die Staatsoberhäupter im Juni 2012, mit gutem Beispiel bei der Umsetzung des automatischen Informationsaustauschs voranzugehen.
Eine ausführliche Broschüre zum Thema sowie ergänzende Factsheets finden Sie unter www.evb.ch/factsheetsteuern.
erklärung!_04_2012
ediTo__3
erbschaft
Mit einem Testament können Men-schen Organisationen und Personen berücksichtigen, die ihnen beson-ders am herzen liegen.
TexT_MArion grAber
Was würde mit ihrem Vermögen geschehen im Falle eines Flugzeugabsturzes? Das fragten sich die beiden Schwestern Erna* und Adele* vor Jahren auf einem Flug nach Afrika.
Kurz vor der Reise hatte Erna ein grösseres Vermögen von ihrem verstorbenen Ehemann geerbt, und da beide Schwestern kinderlos waren, kam diese Frage auf. Sie waren sich einig, dass Geld nur positiv ist, wenn es für einen guten Zweck verwendet wird. Wieder zu Hause, erstellte Erna deshalb umgehend ein Testament. Darin
Ihr Vermächtnis für eine gerechtere Welt
generalversaMMlung
TexT_MArion grAber
Der 23. Juni 2012 war ein historischer Tag für die EvB: Mit den an der Generalversammlung 2012 verabschiedeten Statuten gewinnt die EvB mehr Schlagkraft und einfachere Entscheidungsprozesse. Nachdem am Vormittag in BernBremgarten die drei regionalen GVs stattgefunden hatten, trafen sich die Mitglieder nach einem reichhaltigen Mittagsbuffet zur gesamtschweizerischen Generalversammlung. Die einstimmig angenommene Statutenrevision hebt die regionale zugunsten einer gesamtschweizerischen Entscheidungsstruktur auf. Zusätzlich wurden einige Anpassungen verabschiedet, um dem heutigen Sprachgebrauch und üblichen Vereinsstatuten Rechnung zu tragen. Die anwesenden Mitglieder wählten zudem alle 13 Kandidierenden in den neuen Vorstand sowie Pierrette Rohrbach als Prä sidentin.
hielt sie fest, dass ihre Schwester einen Teil des Vermögens erben sollte, um einen gesicherten Lebensabend verbringen zu können. Den anderen Teil sollte diese im eigenen Ermessen gemeinnützig verteilen.
25 Jahre nach der gemeinsamen Afrikareise starb Erna letztes Jahr. Adele, inzwischen 88jährig, verteilte die Hälfte der Erbschaft – wie im Testament festgehalten – an gemeinnützige Organisationen. Unter anderem fiel die Wahl auf die EvB, wo Adele seit vielen Jahren Mitglied ist. Während ihrer Afrikareisen hatte Adele Rohstoffminen besucht und die schlechten Arbeitsbedingungen hautnah miterlebt. Deshalb bescherte ihr die Lektüre des EvBRohstoffbuchs fast schlaflose Nächte. Mit dem Vermächtnis ihrer Schwester ermöglicht
sie der EvB, die Aktivitäten im Rohstoffbereich kurzfristig auszuweiten.
Für Adele ist klar, dass auch sie ihr Vermögen an gemeinnützige Organisationen vermacht. Um der Gesellschaft nicht allfällige Pflegekosten aufzubürden, verteilt sie ihr Geld jedoch nicht jetzt, sondern erst testamentarisch. Mit einem schalkhaften Lachen meint sie zum Älterwerden: «Alle wissen, dass sie alt werden, ausser sie sterben vorher.»
*nAMen AuF wunsch geänderT.
nAch DEM grOSSEn FOTOTErMIn mit dem Team und dem Vorstand stiessen alle freudig auf die gemeinsame Zukunft an!
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Bic
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Gemeinsam in die Zukunft
erklärung!_04_2012
4__in eigener sAche
biopiraterie
Vom 2. bis 6. Juli 2012 fand in De lhi das zweite Treffen des zwischen-staatlichen komitees für das na goya-Protokoll statt. 115 länder, darunter auch die Schweiz, waren mit Delegationen vertreten, um noch offene Punkte im Protokoll zu ver-handeln. Die EvB war als Beobachte-rin an den Verhandlungen dabei.
TexT_FlurinA doPPler
Als im Oktober 2010 das NagoyaProtokoll gegen Biopiraterie verabschiedet wurde, blieben zahlreiche Punkte unklar. Einer davon ist die im Protokoll «über den Zugang zu genetischen Ressourcen und die ausgewogene und gerechte Aufteilung der sich aus ihrer Nutzung ergebenden Vorteile» – wie das Abkommen offiziell heisst – festgeschriebene Forderung an die Vertragsstaaten, die Einhaltung des Protokolls zu fördern und in Fällen von Zuwiderhandlung einzuschreiten.
Letztes Jahr wurde vereinbart, dass zu diesem Zweck ein sogenanntes ComplianceKomitee eingesetzt wird. Wie dieses Gremium genau aussehen soll, war das umstrittenste Thema der Konferenz.
Zwar wurden sich die Delegationen rasch einig, dass das ComplianceKomitee aus je drei VertreterInnen aus jeder der fünf UnoRe
gionen bestehen soll, kein Konsens herrschte jedoch bei der Frage, ob und wie die indigenen und lokalen Gemeinschaften (ILCs) darin vertreten sein sollen.
Während die Schweiz einen Sitz im Komitee für eine ILCVertretung vorschlug, wollten andere den Indigenen nur einen Beobachterstatus gewähren oder lehnten eine spezielle Erwähnung der ILCs gar ganz ab.
Die von Malaysia kurz vor Ende der Verhandlungen eingebrachte Idee, dass das ComplianceKomitee bei allen substanziellen Fragen ein von den ILCs selbst bestimmtes Gremium konsultieren soll, wurde von verschiedenen Seiten als Kompromiss begrüsst, jedoch schliesslich auf Antrag der EU nicht in den Konferenztext aufgenommen.
NagoyaProtokoll: Umstrittene Rolle der indigenen Gemeinschaften
In der Schweiz soll das nagoya-Protokoll 2013 ratifiziert werden. Die Vernehmlas-sungsfrist für den Vorschlag des Bundes-amtes für umwelt zur änderung des Bundesgesetzes über den natur- und heimatschutz lief Anfang September ab. Die EvB hat in einer Stellungnahme den gesetzesentwurf und die Botschaft des BAFu kommentiert und Verbesse-rungsvorschläge eingebracht.
Bis jetzt haben fünf länder das Protokoll ratifiziert, verschiedene länder sind wie die Schweiz im Vorbereitungsprozess.
DAS nAgOyA-PrO-
TOkOll gEgEn
BIOPIrATErIE soll verhindern, dass in-digene gruppen leer ausgehen, wenn andere aus ihren gEnETISchEn rES-
SOurcEn und ihrem traditionellen wis-sen Profit schlagen.
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Damit blieb die Frage, ob die ILCs in diesem internationalen Kontrollgremium vertreten sein sollen, unbeantwortet.
Aus Sicht von Organisationen wie auch von gewissen Staaten ist ein klar geregelter Einbezug der ILCs in das ComplianceKomitee für dessen Glaubwürdigkeit zentral: Sie nehmen in dem Protokoll, das ihre Rechte bezüglich Nutzung der genetischen Ressourcen stärken soll, nicht nur eine spezielle Rolle ein, sondern verfügen auch über die Expertise zu traditionellem Wissen. Wie es mit dieser Frage und weiteren offenen Punkten weitergehen wird, wird die Vertragsstaatenkonferenz der Biodiversitätskonvention im Oktober bestimmen.
erklärung!_04_2012
handelspolitik
schokolade
Offener Begleitbrief für bundesrätliche Chinareise
Nestlé weist Kinderarbeit nach
In einem prominent platzierten Schreiben an Johann Schneider- Ammann in der «nZZ am Sonntag» forderte eine ngO-koalition ver-bindliche Menschenrechtsklauseln im handelsabkommen Schweiz – china. Mit Erfolg.
TexT_oliver clAssen
Anders als etwa im angelsächsischen Sprachraum wird der «Offene Brief» hierzulande kaum als politisches Kampagneninstrument eingesetzt. Vielleicht liegt im Überraschungseffekt denn auch eine Teilerklärung für das erfreuliche Echo, welches das Anfang Juli in der «NZZ am Sonntag» und im «Le Matin» publizierte Schreiben medial und politisch fand. Absender war die von der EvB 2010 mitgegründete «ChinaPlattform», zu der unter anderem auch Alliance Sud und Solidar gehören. Die freundlich, aber bestimmt formulierte Erinnerung «an die menschenrechtlichen Pflichten der Schweiz und die häufig skandalösen Arbeitsbedingungen in China» waren der Schweizerischen Depeschenagentur zwei Meldungen wert, die wiederum diversen
nestlé hat seine lieferkette für kakaobohnen offiziell prüfen las- sen. Ergebnis davon ist, dass missbräuchliche kinderarbeit nach wie vor weit verbreitet ist.
TexT_ AndreA hüsser
Seit Ende Juni 2012 ist er öffentlich: der Aktionsplan von Nestlé für verantwortungsvolle Beschaffung von Kakao aus der Elfenbeinküste. Der Konzern hatte vorgängig die Fair Labor Association (FLA) – eine MultiStakeholder
Redaktionen als Anlass für eigene Berichte dienten.
«SchneiderAmmann ist bei seinen Treffen mit chinesischen Ministern nach eigenen Angaben der Aufforderung von Entwicklungsorganisationen gefolgt und hat auch die Menschenrechte angesprochen.»: So und ähnlich rapportierten diverse Schweizer Zeitungen aus Peking. Zur Resonanz dürften neben dem guten Timing auch die seriösen Trägermedien beigetragen haben. Öffentliche Aufmerksamkeit
Initiative – beauftragt, seine Kakaolieferkette auf Arbeitsstandards zu überprüfen. Ein Fokus lag auf der aus beuterischen Kinderarbeit auf den Kakaoplantagen, die noch immer an der Tagesordnung ist. Zum ersten Mal konnte ein direkter Bezug zwischen einem Konzern und den miserablen Arbeitsbedingungen im Kakaoanbau hergestellt werden. Nestlé ist einer der wichtigsten Abnehmer von Kakao. Er kauft allein zehn Prozent der weltweiten Kakaoernte, wovon 37 Prozent aus
der Elfenbeinküste stammen. Als Resultat der Studie formuliert die FLA elf Empfehlungen an Nestlé, die der Konzern in einem Aktionsplan festhält. Erfreulich ist, dass der Aktionsplan sowie die Studie samt Daten zum Konzern öffentlich sind. Schade, dass der Aktionsplan hauptsächlich auf nur 20 Prozent von Nestlés Lieferkette in der Elfenbeinküste fokussiert, Mindestpreise werden nicht diskutiert und längerfristige Ziele fehlen.
kAMPAgne__6
veranstaltung
Freihandel und Zwangsarbeit.chinesische Menschenrechtsprobleme und Schweizer wirtschafts interessen im widerspruch.
referat und Diskussion mit dem chinesischen Dissidenten harry wu (wird simultan übersetzt).
Mittwoch, 12. September 2012, 19.30 uhr im Volkshaus Zürich (Blauer Saal), freier Eintritt
Sehr geehrter Herr Bundesrat Schneider-Ammann
Sie reisen heute nach Peking, um den Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen
mit China neuen Schwung zu verleihen. Wir möchten Sie in diesem Zusammenhang
an die menschenrechtlichen Pflichten der Schweiz und die skandalösen Arbeitsbedin-
gungen in China erinnern.
Von der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrates haben Sie den Auftrag er-
halten, ein Nachhaltigkeitskapitel in die Verhandlungen zu integrieren, das arbeits-
rechtliche Mindeststandards in Form der ILO-Kernarbeitsnormen beinhaltet. Ein
besonders stossendes Beispiel für deren Verletzung sind die in China weit verbreiteten
Zwangsarbeitslager. Schätzungen zufolge schuften drei bis fünf Millionen (meist poli-
tische) Häftlinge in solchen Lagern. Es darf nicht sein, dass mit Zwangsarbeit herge-
stellte Produkte vom Freihandelsabkommen profitieren und auf dem heimischen Markt
Schweizer Erzeugnisse konkurrenzieren.
Deshalb bitten wir Sie, geschätzter Herr Bundesrat, die aktuelle Menschenrechtssitua-
tion bei Ihrem Besuch ernsthaft und nachdrücklich mit an den Verhandlungstisch zu
bringen. Sorgen Sie dafür, dass im Freihandelsabkommen mit der Schweiz griffige und
verbindliche Bestimmungen zum Schutz der Menschenrechte in China festgeschrie-
ben werden.
Für die Umsetzung dieses Anliegens vieler Schweizerinnen und Schweizer wünschen
wir Ihnen allen erdenklichen Erfolg auf Ihrer Handelsmission.
Mit hoffnungsfrohen Grüssen
Bundesrat Johann Schneider-Ammann Vorsteher des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements (EVD) Bundeshaus Ost 3003 Bern
Zürich und Bern, 8. Juli 2012Offener Brief
China – Freihandelsabkommen und Zwangsarbeit
Menschenrechte ?
Arbeitsrechte?
Minderheitenrechte?
Handelsrechte?
Erklärung von Bern
Thomas Braunschweig
Alliance Sud
Isolda Agazzi
Solidar Suisse
Zoltan Doka
Gesellschaft für bedrohte Völker
Christoph Wiedmer
Gesellschaft Schweizerisch-Tibetische Freundschaft
Migmar Raith
EvB_Ins_Offener-Brief_D_6-12_def.indd 1 05.07.12 13:52
verschafften die zwei kommerziellen Inserate zudem der von der SPDelegiertenversammlung jüngst verabschiedeten Referendumsdrohung sowie der spezifisch chinesischen Verbindung von «Freihandel und Zwangsarbeit». Dies war übrigens nicht nur der Titel des offenen Briefes, sondern ist auch Leitmotiv des Schweizbesuchs des ehemaligen Zwangsarbeiters und heutigen Menschenrechtsaktivisten Harry Wu (Porträt S. 8).
erklärung!_04_2012
Der «kassensturz»-Bericht über die Schweizer Armee, die in Mazedonien uniformen zu hungerlöhnen produzieren lässt, hat das The-ma der letzten EvB-kampagne aufgegriffen und die Öffentlichkeit aufgerüttelt.
TexT_chrisTA luginbühl
Chantal Galladé, Präsidentin der sicherheitspolitischen Kommission (SiKN), sagte gegenüber dem Schweizer Fernsehen: «Wenn man einen Auftrag ins Ausland vergibt, so sollte man darauf achten, dass existenzsichernde Löhne bezahlt werden. Das ist eine Selbstverständlichkeit.» Und selbst Thomas Hurter, der SVPVizepräsident der SiKN gab, mit den Missständen in Mazedonien konfrontiert, zu: «So eine Situation ist relativ heikel, auch politisch heikel als Zeichen.» Die EvBForderung nach Existenzlöhnen und sozialverträglicher Beschaffung ist in Bundesbern angekommen.
Während das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport in den letzten Wochen Interviews verweigerte, schritt die Schweizerische Post mit gutem Beispiel voran: Am 13. Juni wurde sie Mitglied der Fair Wear Foundation, übernahm deren Verhaltenskodex und verpflichtet sich, den ArbeiterInnen einen Existenzlohn zu bezahlen. Auch Albiro, eine der grössten Berufsbekleidungsfirmen in der Schweiz, wurde gleichentags FWFMitglied.
Die EvBForderung nach gerecht hergestellten Uniformen und verbindlichen gesetzlichen Regelungen, damit Bund, Kantone und Gemeinden ihre Berufsbekleidung nachhaltig und sozialverträglich produzieren lassen, fand in der Öffentlichkeit breite Unterstützung. In nur elf Wochen haben über 15 500 Menschen unsern Aufruf unterschrieben. Die EvB übergab zu Beginn der Herbstsession die Unterschriften und einen offenen Brief an das Parlament. Jetzt gilt es, gemeinsam mit anderen Organisationen im anstehenden Revisionsprozess des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen dafür zu lobbyieren, dass Nachhaltigkeits und Sozialkriterien fest im Gesetz verankert werden.
ccc
Berufsbekleidung: Keine Ausbeutung mit Steuergeldern!
andrea hüsserkoluMne
Bei den Babykleidern funktioniert es recht gut. Sä-ckeweise machen gebrauchte kleider und Spielsa-chen die runde unter jungen Familien. Sobald die kleidchen nicht mehr passen, werden sie an die nächsten neugeborenen weitergegeben. So wird der nutzungsbedarf der kleider von einer ganzen Personengruppe bedient. Die gemeinsame nutzung reduziert Produktionsströme und somit den unnö-tigen Verbrauch von ressourcen samt negativen Folgen auf Mensch und umwelt in den Produkti-onsländern. Die sofort spürbaren nebeneffekte im Portemonnaie, im keller und auf der sozialen Ebene sind ebenfalls durchaus willkommen.
gelegenheiten, die nutzung von Produkten zu teilen, gibt es vielerlei. Das bekannteste Modell ist wohl das durch Mobility massentauglich ge-wordene car-Sharing-Prinzip. Das gleiche gibt es für Segelschiffe auf Schweizer Seen. Ferner geniessen die von Anbaugemeinschaften genutz- ten Ackerflächen, um gemeinsam Bio-gemüse und -Früchte anzupflanzen, grosse Beliebtheit. Bürogemeinschaf ten, genossenschaftlich organi-sierte Produzentengruppen oder wohnformen, Mitfahrgelegenhei ten oder gratis-Veloverleih-stationen sind weitere praktizierte Formen von Produkte-Sharing.
Mit innovativen konzepten zu gemeinsamen nut-zungsformen könnte aber auch die Effizienz von Produkten, die traditionell nur ein einziger haus-halt nutzt, intensiviert werden. Denn gummiboote, Zelte, wintersportausrüstungen, Schlafsäcke, gar-tengeräte, raclette-Öfen, Teigknetmaschinen, Fo-lienschweissgeräte, nähmaschinen, lötkolben, Bohrmaschinen und Velopumpen liegen heute zu-hauf kaum benutzt in den vielen Schweizer haus- halten. Die Babykleider-Dynamik könnte als Initial-zündung dienen, das Produkte-Sharing auszubau-en, um so ungezwungen unnötigem konsum vor-zubeugen, ohne gänzlich auf ein Produkt verzichten zu müssen.
produktesharing als nachhaltige
lebensform
Shar ngi
erklärung!_04_2012
konsuM__7
8__kAMPAgnen8__PorTräT
Er hat den chinesischen gulag überlebt und ist heute einer der einflussreichsten Dissiden ten: Seit 20 Jahren kämpft harry wu gegen das Arbeitslagersystem im reich der Mitte und fordert nun den Einbezug der Menschenrechte in die handelspolitik – auch von der Schweiz.
TexT_oliver clAssen
«Laogai» bedeutet «Reform durch Arbeit». Gemeint sind damit die weit über 1000 Zwangsarbeitscamps, in denen heute mehrere Millionen Menschen (oft politische Häftlinge) schuften. Diese Schätzungen stammen von Harry Wu, dem wohl besten Kenner und schärfsten Kritiker dieser menschenverachtenden Maschinerie. 1960 verschwand der damalige Student «wegen konterrevolutionärer Agitation» für 19 lange Jahre im Laogai und durchlief zwölf verschiedene Lager, wo er sich bei «mittelalterlichen Arbeits und Lebensbedingungen» in Kohleminen, Chemiefabriken und beim Strassenbau durchschlug. 1985 gelang ihm schliesslich die Ausreise in die USA. Daraufhin bemühte er sich in Kalifornien um ein normales Leben als GeologieProfessor, gründete 1992 aber «aus innerer Notwendigkeit» in Washington die heute weltbekannte Laogai Research Foundation.
«Unsere Informationen über Art, Anzahl und Aktivitäten der Lager beziehen wir hauptsächlich von Augenzeugen, die das gleiche Schicksal hatten wie ich», sagt Wu. «Immer wieder erleichtern aber auch ehemalige Staatsdiener ihr Gewissen bei unseren Verbindungsleuten in China.» In den 90erJahren unternahm der Menschenrechtsaktivist zunächst noch eigene Forschungsreisen ins Reich der Mitte und verschaffte sich – verkleidet als USGeschäftsmann auf der Suche nach Billigangeboten – selbst Zugang zu diversen Lagern.
1995 wurde er bei einem Einreiseversuch verhaftet und für seine kühne Provokation der Regierung in einem Schauprozess wegen «Diebstahls von Staatsgeheimnissen» zu 15 Jahren Haft verurteilt. Dank internationalem Druck kam er kurz darauf wieder frei. Seitdem kämpft der heute 75Jährige zwar aus der Distanz, dafür noch hartnäckiger gegen das Unrechtssystem der Laogai.
Für «unwissend bis naiv» bezüglich der aktuellen Zwangsarbeitsverhältnisse in China hält Wu viele jener westlichen DiplomatInnen und PolitikerInnen, die derzeit mit Peking für ihr Land hochrelevante Handelsverträge abzuschliessen versuchen. «Wenn diese Leute wüssten, in wie vielen chinesischen Produkten heute der Schweiss und die Tränen von systematisch entrechteten und misshandelten Menschen stecken, würden sie dieses Thema mit auf den Verhandlungstisch bringen», ist Wu überzeugt.
Um diese Informationslücke zu schliessen, bereist Wu Mitte September (auf Einladung der EvB und ihrer Partnerorganisationen der ChinaPlattform) die Schweiz, um ParlamentarierInnen über den «chinesischen Wirtschaftsfaktor Zwangsarbeit» aufzuklären und für «mehr handelspolitische Zivilcourage» zu werben.
harry wu
Vom Zwangsarbeiter zum Menschenrechtler
zvg
___«wenn diese leute wüssten, in wie vielen chinesischen produkten heute der schweiss und die tränen von systematisch entrechteten und misshandelten Menschen stecken, würden sie dieses thema mit auf den verhandlungstisch bringen.»
harry wu spricht bei seinem Besuch mit Schweizer Parla-mentarierInnen über die MEnSchEn-
rEchTSSITuATIOn In
chInA.
erklärung!_04_2012