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314 R. HAAS: D. Erg~inzungen zu den Referaten Ha und IIb. R. HAAS-Marburg: ErgKnzungen zum ReIerat II a. Bevor ieh mit meinen Ausfiihrungen beginne, mSchte ieh reich daffir bedanken, da6 Sie mir die ehrenvolle Aufgabe fibertragen haben, auf Ihrer diesj/~hrigen Tagung ein Referat fiber die Erreger der im Hals- Nasen-Ohrenbereieh auftretenden Viruskrankheiten zu erstatten. War es schon in dem bereits gedruekt vorliegenden Tell meines Berichtes nieht mSglieh, das Thema aueh nur ann/~hernd ersehOpfend zu behandeln, so gilt das natiirlieh in noeh vie1 st/~rkerem MaBe yon meinen mfindliehen Ausfiihrungen. Ich mul~ und will mieh darauf beschr~nken, einige der wiehtigsten Tatsaehen und Gesichtspunkte dieses Gebietes herauszu- stellen. Als Sie die Viruskrankheiten zu einem der Verhandlungsgegenst~nde dieses Kongresses maehten, geschah es vielleieht vor allem deshalb, weil diese Gruppe yon Erkrankungen im Rahmen der Infektionskrankheiten noeh die meisten ungelSsten therapeutisehen Probleme stellt. Wenn ieh reich als Mikrobiologe naeh einer Reehtfertigung umsehe, bier vor Ihnen fiber Viren zu spreehen, so glaube ieh, diese Rechtfertigung nicht allein in der Tatsaehe der therapeutisehen und prophylaktischen -- ]eider meist noch offenen Fragen -- zu linden, sondern vor allem auch in dem Umstand, dal~ die ungew6hnlich intensive experimentel]e Bearbeitung dieses Gebietes im Laboratorium ~v~thrend der letzten Jahre uns nicht nur eine Anzahl beaehtlicher MSglichkeiten fiir unser diagnostisches und vorbeugendes Handeln geliefert hat, sondern daneben auch Einsichten in grundlegende Lebensph~nomene, deren Kenntnis und Verst~ndnis ffr jeden, der an lebenden Wesen zu handeln hat, yon Bedeutung sind. Die Viren stellen fraglos die einfachsten und, was ihre r~umlichen Abmessungen anbelangt, kleinsten Manifestationen des Lebendigen dar. Jedoeh ist die Kleinheit der Gebflde, die heute fibereinkunftsgemal~ zur Gruppe der Viren zusammengefa6t werden, mit anderen Worten die ZugehSrigkeit zu einer bestimmten Gr6~enordnung, keineswegs ihr wesentliches oder gar entscheidendes Charakteristicum. Das Wesentliehe eines Virus be-. steht vielmehr darin, dal~ es nur dann die wahrnehmbaren ~u{~erungen des Beleb~seins hervorbringen kann, wenn es in geeignete, d. h. empf~tng- liehe, hSher organisierte Zellen eindringen kann und sicla in ihnen ver- mehrt. Dutch die Infektion einer geeigneten Zelle wird diese gewissermal~en aus einer Fabrik, die bis dahin ausschliel31ich Zellsubstanz produzierte, zu einem Werk, das nun aul~erdem oder fast ausschliel~lich Virusbestandteile herstellt. Hi~ufig ftihrt diese Umstellung der intraee]lularen synthetischen Vorg~nge zum Untergang der betreffenden Zelle. Ze]linfektiositat und

Ergänzungen zum Referat IIa

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Page 1: Ergänzungen zum Referat IIa

314 R. HAAS:

D. Erg~inzungen zu den Referaten Ha und IIb.

R. HAAS-Marburg: ErgKnzungen zum ReIerat II a.

Bevor ieh mit meinen Ausfiihrungen beginne, mSchte ieh reich daffir bedanken, da6 Sie mir die ehrenvolle Aufgabe fibertragen haben, auf Ihrer diesj/~hrigen Tagung ein Referat fiber die Erreger der im Hals- Nasen-Ohrenbereieh auftretenden Viruskrankheiten zu erstatten. War es schon in dem bereits gedruekt vorliegenden Tell meines Berichtes nieht mSglieh, das Thema aueh nur ann/~hernd ersehOpfend zu behandeln, so gil t das natiirlieh in noeh vie1 st/~rkerem MaBe yon meinen mfindliehen Ausfiihrungen. Ich mul~ und will mieh darauf beschr~nken, einige der wiehtigsten Tatsaehen und Gesichtspunkte dieses Gebietes herauszu- stellen.

Als Sie die Viruskrankheiten zu einem der Verhandlungsgegenst~nde dieses Kongresses maehten, geschah es vielleieht vor allem deshalb, weil diese Gruppe yon Erkrankungen im Rahmen der Infektionskrankheiten noeh die meisten ungelSsten therapeutisehen Probleme stellt. Wenn ieh reich als Mikrobiologe naeh einer Reehtfertigung umsehe, bier vor Ihnen fiber Viren zu spreehen, so glaube ieh, diese Rechtfertigung nicht allein in der Tatsaehe der therapeutisehen und prophylaktischen - - ]eider meist noch offenen Fragen - - zu linden, sondern vor allem auch in dem Umstand, dal~ die ungew6hnlich intensive experimentel]e Bearbeitung dieses Gebietes im Laboratorium ~v~thrend der letzten Jahre uns nicht nur eine Anzahl beaehtlicher MSglichkeiten fiir unser diagnostisches und vorbeugendes Handeln geliefert hat, sondern daneben auch Einsichten in grundlegende Lebensph~nomene, deren Kenntnis und Verst~ndnis f f r jeden, der an lebenden Wesen zu handeln hat, yon Bedeutung sind. Die Viren stellen fraglos die einfachsten und, was ihre r~umlichen Abmessungen anbelangt, kleinsten Manifestationen des Lebendigen dar. Jedoeh ist die Kleinheit der Gebflde, die heute fibereinkunftsgemal~ zur Gruppe der Viren zusammengefa6t werden, mit anderen Worten die ZugehSrigkeit zu einer bestimmten Gr6~enordnung, keineswegs ihr wesentliches oder gar entscheidendes Charakteristicum. Das Wesentliehe eines Virus be-. steht vielmehr darin, dal~ es nur dann die wahrnehmbaren ~u{~erungen des Beleb~seins hervorbringen kann, wenn es in geeignete, d. h. empf~tng- liehe, hSher organisierte Zellen eindringen kann und sicla in ihnen ver- mehrt.

Dutch die Infektion einer geeigneten Zelle wird diese gewissermal~en aus einer Fabrik, die bis dahin ausschliel31ich Zellsubstanz produzierte, zu einem Werk, das nun aul~erdem oder fast ausschliel~lich Virusbestandteile herstellt. Hi~ufig ftihrt diese Umstellung der intraee]lularen synthetischen Vorg~nge zum Untergang der betreffenden Zelle. Ze]linfektiositat und

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Erg~nzungen zum Referat I1 a. 315

obligate intracellul~re Vermehrung sind also jene Eigenschaf~en, welohe die Viren grunds~tzlich yon allen anderen infektiSsen Mikroben unter- scheiden. Es mul~ jedoch auch an dieser Stelle noch einmal mit allem Nachdruck darauf hingewiesen werden , dab in der Virusgruppe auBer- ordentlich verschiedenartige Gebilde zusammengefal3t sind und dab den Vorg~ngen zwischen Virus und Ze]le ganz unterschiedliche Mechanismen zugrunde liegen. So kSnnen beispielsweise die Viren der Vaccine, der Psittakose und anderer Vertreter dieser Gruppen eine Vielzahl yon Zell- arten infizieren, ohne da6 sich bisher sichere Anhaltspunkte dafiir ergeben h~tten, dal~ das Vorhandensein bestimmter korrespondierender Virus- und Zellstrukturen eine unerl~l~liche Voraussetzung fiir das Zustande- kommen einer Infektion und ihre Folgen ist. Auf der anderen Seite wissen wir, dal3 bei anderen Viren, wie den Bakteriophagen oder der Influenza-Mumpsgruppe ganz bestimmte Zellreceptoren gegeben sein miissen, um Infektion u.~d anschliel~ende Virusmultiplikation zu ge- w~hrleisten. Am Beispiel der Virusinfluenza bin ich im Hauptreferat auf diese Dinge n~her eingegangen. Wir mfissen zugeben, dab wir noch keine genaue Kenntnis der intracellul~ren Virusvermehrungsvorg/inge be- sitzen. Ledig!ioh manch e Einzeltatsachen sind uns bekannt. Es ist jedoch bedenklich, derartige bei einem bestimmten Virus und an einer bestimm- ten Art yon Wirtsze]len gewonnenen Erfahrungen auf andere Viren und Zellen zu iibertragen. Bei den in Zellen und Zellverb~nden vorliegenden Formen der be]ebten Materie geben wir uns meistens mit dem Wort ,,Zweiteitung" als Antwort auf die Frage nach der Art der Vermehrung zufrieden. Bei den Viren, die zum grSl~ten Tell nicht Cellular organisiert sind, wird das Unzul/ingliche dieser Antwort offenbar, zugleich, da6 das eigentliche Problem bei der identischen Duplikation im molekularen Bereich liegt. Wie verwickelt die Vorg~nge, die sich bei der Virusver- mehrung im Innern der Zelle abspielen, sein mSgen, zeigt der Tatbe- stand der sogenannten Eklipse, d. h. der zeitweisen Nichtnachweisbarkeit des Virus nach seinem Eindringen in die Zelle. Diese bei einer Reihe yon Viren gemachte Beobachtung deutet darauf hin, dal~ diese Vb:en nach ihrem Eindrh~gen in empf~ngliche Wirtszellen offensichtlieh zun~chst einer gewissen Zerlegung, einem partiellen Abbau unterliegen, ehe die Neubildungsvorg~nge einsetzen. Fiir die Virusneubildung spielen die Nucleins~uren eine wichtige Rolle. Da die Viren selbst aul~erordentlieh fermentarme Gebilde sind, werden die Fermente c~er Wirtszellen fiir die Virusvermehrung beansprucht. So setzt die Virusvermehrung bei der Herpesinfektion nach ACK~RMA~ eine gewisse Intakthei t der Zellmito- chondrien und des in ihnen lokalisierten Fermentapparates voraus. Es ist nahe]iegend, die Frage zu stellen, ob beim Aufbau der Viren andere Bau- steine Verwendung finden als in den Wirtszellen normalerweise ange- troffen werden. Mit anderen Worten, ob sich d ie Nueleins~uren und

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316 R. H ~ s :

Nueleoproteine der Viren nur durch eine andere Anordnung und Ver- knfipfung der Bausteine yon den normalen Zellbestandteilen unterschei- den oder dutch die Bildung virusspezifischer Bausteine im Zuge des Infektions- und Vermehrungsvorganges. Die Untersuchungen yon WYATT und CO~WN haben durch den Nachweis des 5-Oxymethylcytosins gezeigt, dab man mit dem Auftreten neuartiger Bestandteile in den Virusnueleins~uren rechnen muG. Die speziellen Bedingungen der Virus- vermehrung, die das, was als Erkrankung des Makro0rganismus kenntlieh zu werden pflegt, oft erst eine relativ spate Folge ausgedehnten Zell- befalls sein liiSt, macht es verst~ndlich, warum wir uns bei den Virus- krankheiten diagnostisch und therapeutisch in einer soviel schwierigeren Situation befinden als bei den bakteriellen und sonstigen Infektions- krankheiten. Was die MSglichkeiten einer i~tiologischen Krankheits- diagnose anbelangt, so ist festzustellen, daI~ wit hier in den letzten Jahren ein erhebliches Stfiek vorwi~rts gekommen sind.

Zun~chst daf t ich noch einmal darauf hinweisen, da]~ genau wie bei den anderen Infek~ionskrankheRen die MSg]ichkeiten der Laboratoriums- diagnose in der Erregerisolierung und im Naehweis yon AntikSrper- Ver~nderungen im Serum des Patienten bestehen. W~hrend der dia- gnostische Tierversuch zur Erregerisolierung zwar eine lange Tradition aufweisen kann, jedoch in mancher Hinsicht, nicht zuletzt wegen der bei einer Anzahl yon Laboratorinmstieren vorkommenden la tenten Virus- infektionen erhebliche Nachtefle besitzt, verffigen wir in den Zfichtungs- verfahren im bebrfiteten Hfihnerei und in der Gewebekultur fiber leistungsfahige und vor allem ausbauf~hige Methoden der Virusisolierung. Ferner sind als laboratorinmsm~l~ige Nachweisverfahren der direkte mikroskoplsche Erregernachweis in gefi~rbten Ausstrichen, z . B . bei Variolavaecine, zu nennen und die histologische Diagnose. In besonderen F~llen kann man sogar eine serologische Diagnose dergestalt durchffihren, dal~ das vom Patienten s tammende Material als Antigen dient und als AntikSrper tierische Immunsera Verwendung finden. So kann beispiels- weise bei der Variola Material aus Papeln, Bl~schen- oder Pustelinhalt, ja in besonderen F~llen sogar Patientenserum, als Antigen in der Kom- plementbindung dienen. Auf die verschiedenen laboratorinmsdiagnosti- schen MSglichkeiten bin ich in meinem Hauptrefera t schon eingegangen. Hier m6chte ich nur noch einmal auf die noch nicht abzusehenden Aus- sichten hinweisen, welche die modernen Gewebezuchtmethoden dem diagnostischen Viruslaboratorium er6ffnen.

Mit diesen Verfahren ist es nicht nur leicht geworden, die Poliomyelitisviren und einige andere vorwiegend neurotrope Viren zu isolieren und zu typisieren, sondern wie ich schon im Hauptteil meines Referates andeutungsweise schildern konnte, er- 6ffnet es voraussichtlich ~hnliche MSglichkeiten bei Common-Cold-Virus, bei den Masern und Rubeolen sowie den AD- und ARD-Agentien.

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Erg~nzungen zum Referat II a. 317

Durch die Ausbildung sogenannter cytoph~togener Gewebsver~nde- rungen kann man bereits mit jedem gewShn]ichen Lichtmikroskop wesent- liche Anhaltspunkte ffir das Vorliegen einer virusbedingten Infektion gewinnen. Von grol~er Bedeutung ist es, fiir die betreffenden Viren empfgngliche Wirtszellen zu finden. Wir konnten kfirzlich zusammen mit WULrF in der Niere des Frettchens und des Schweines Wirtszellen aus- findig machen, die auf die Infektion mit Influenzavirus typische cyto- pathogene Gewebsvergnderungen ansbflden. Ich darf Ihnen das kurz an einigen Diapositiven demonstrieren.

Es ist nicht verwunderlich, dal~ die vh'usdiagnostischen Laborato- riumsmethoden noah niaht jane breite Anwendung finden wie beispiels- weise die bakteriologischen Verfahren. Das liegt unter anderem daran, dab die virusdiagnostischen Verfahren einen viel grS•eren experimentel- ]en Aufwand und eine mikrobiologisahe Spezialausbildung des Personals erfordern. Es kann ffir reich jedoch keinem Zweifel unterliegen, dal3 in einigen Jahren eine sero]ogisch und kulturell untermauerte Virus- diagnostik eine ebansolche Selbstverstgndlichkeit sein wird wie heute die bakteriologische Diagnostik. Vermutlich wird man hierbei noah auf manche bisher nicht bekannte nnd ldassifizierte Viren stol~en, wie ja schon die Beispie]e der AD- und Al~D-Viren und des Orphanviren er- kennen lassen.

Wie iah bereits in meinem Kauptreferat anl~l~lich der Besprechung der einzelnen Viruskrankheiten betonte, sind die MSglichkeiten einer virus- spezifischen Chemotherapie zur Zeit noah aul~erordentliah beschrgnkt. Der Wag vom im infizierten I-Ifihnerei oder an der Gewebekultur wirk- samen Stoff zur klinisch wirksamen Chemotherapie ist au~erordent- lich welt. Im Gegensatz zu den Verh~ltnissen bei der Laboratoriums- diagnostik ist bei der ahemotherapeutisahen Prfifung der Tierversuah unentbehrlich. Abet er hat als Modell nur beschriLnkte Anssagekraft. Lediglich gegenfiber den durch l~iakettsien wie Q-Fieber und Flecktyphns oder durch die gro~en Viren der Lymphogranuloma-inguinale-Psittakose- gruppe hervorgerufenen Infektionen besitzen wir in den Antibiotiais Chloramphenico], Aureomycin, Terramycin, Erythromycin und Magna- mycin therapeutisch wirksame Stoffe. Aber schon bei den Vertretern der Pockengruppe sind sie bereits ohne Wirkung. Der Effekt erstreckt sich also gerade auf jane Viren und verwandten Organismen, die den Uber- gang zu den Bakterien bilden und yon manchen Autoren schon nicht mehr zu den Viren im eigentlichen Sinne gerechnet werden. Aber da sie ja genan wie die ,,echten" Viren sich ira Innern hSher organisierter Zellen vermehren, kann an ihrer engen Verwandtschaft zu dan Viren wohl niaht gezweifelt werden. Wghrend die therapeutischen MSglich- keiten bei den Viruskrankheiten relativ bescheiden sind, bieten siah bei einer ganzen Reihe yon ihnen wirkungsvolle spezifische prophylaktisahe

Arch. Ohr- usw. t tei lk, u. Z. Hals- usw. ]teilk,, Bd. 167 (Kongre~bericht 1955). 21

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318 R. HAAS:

MSglichkeiten. Das bekannteste und wohl auch ~lteste Beispiel ist die Impfung mit dem Vaceinevirus gegen Pocken. Das Ziel, welches mit derartigen Impfungen erstrebt wird, besteht darin, den Impfling in den Zustand des Convaleszenten zu versetzen, selbstverst~ndlieh ohne Er- krankungsrisiko. Grunds~tzlich sind 2 Arten yon Impfverfahren zu unterseheiden, namlich solche mit nicht vermehrungsfahigen, wie man auch sagt ,,abgetSteten" Vixen und Verfahren, welche vermehrungs- f~hige, mehr oder weniger avirutente St~mme verwenden, bei denen also die Impf]inge letzten Endes infiziert werden.

Die Impfung mit nichtvermehrungsf~higen Viren vermittelt in der Regel eine sehw/~chere und kiirzere Immunit~t als die Impfung mit vermehrungsf~higen, so- genannten avirulenten Stammen, vermeidet jedoch andererseits deren Risiken. Nit den Begriffen Virulenz und Avirulenz wird zwar ein h~ufiger Umgang betrieben, ohne dab allerdings stets zutreffende Vorstellungen damit verkniipft sind. So sei dar- ~uf hingewiesen, dab Virulenz keine dutch den Erreger allein determinierte Eigen- schaft ist, sondern dag sie immer nur in bezug auf einen bestimmten. Wirt festgelegt werden kann, auf einen bestimmten Inokulationsmodus und nur unter Beriicksichti- gung der Dosierung.

Ich mug es mix versagen, auf die vielen Probleme der I m m u n i t ~ gegenfiber Viruskrankheiten breiter einzugehen, sondern m6chte reich nur noch kurz mit den Immunitis bei der Po]i0myelitis, speziell den bisherigen Immunisierungsergebnissen, befassen. Auch bei Poliomyelitis hat man versueht, sowohl mit vermehrungsf~higen, ,,lebenden", ,,avirulenten" Vixen und mit inaktivierten, nicht mehr ver- mehrungsf~higen Viren zu immunisieren. Die vor allem yon KoP~owsxI und yon SABI~ und ihren Mitarbeitern mit vermehrungsf~higen, avirulen- ten St~mmen durchgefiihrten Immunisationsversuche beschr~nker sich noch auf eine relativ kleine Zahl yon Impfungen. Es wfirde zu welt ffihren, hier fiber diese an und ffir sich ~uBerst wiehtigen Versuche zu spreehen. Dagegen mSchte ich mit einigen Worten auf die im vergangenen Jahre in den Vereinigten Staaten durchgeffihrten Massenimpfungen mit einem yon SAL]~ entwickeltem, inaktives Virus enthaltenden Impfstoff eingehen, deren Ergebnisse am 12. April im sogenannten FRANCls-Bericht be- kanntgegeben wurden. Uber diesen Bericht sind bisher meist nur un- genaue Angaben bekannt geworden. Ich habe deshalb aus dem Original- bericht eine Tabelle zusammengestellt, die ich jetzt projizieren mSchte und aus der Sie den Umfang der durchgeffihrten Impfungen und das gesul ta t hinsichtlich Morbidit/s und Letalit/~t entnehmen kSnnen.

Die amerikanische Grol~impfung gliederte sich in zwei Untergrulopen. In der einen Untergruppe wurde den mit Impfstoff gespritzten Kindern ein Vergleiehs- kollektiv gegeniibergestellt, das eine P]acebosubstanz injiziert erhielt. Bei der zwei- ten Untergruppe stand dem Kollektiv geimpfter Kinder ein unbeh~ndeltes Vergleichs- ko]lektiv gegeniiber.

Von den einzelnen Ergebnissen, die der erwahnte Berieht liefert, m6chte ich besonders jenen Umstand hervorheben, dab die Morbidit/it

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Erg/inzungen zum Referat I I a . 3 1 9

der Poliomyeli t is zwar entscheidend, jedoeh keineswegs auf Null ge-

senkt wurde. Auch bei den geimpften Personen sind Li~hmungsformen der Poliomyeli t is aufgetreten. Am geringsten is~ der Immunisa t ionsef fek t gegeniiber Typ 1 gewesen. Allerdings karm n u r ein Utopis t ein 100~oiges Ergebnis erwarten. Ich kenne kein Impfverfahren , das einen 100~oigen Erfolg gew~hrleistet. Fi i r unseren eigenen Impfstoff, der sieh vom

Tabelle 1. ~)bersicht i~ber die Erkrankungen an Poliomyelitis im Rahmen des amerikanischen GrolXversuchs 1954.

(tt~ufigkeiSen per 100000.)

Zahl d. Vers.- Pets.

Gesamtzahl . . . . . .

Placebovers. Gesamt . .

Vaceiniert . . . . . . . 200745

Placebo . . . . . . . . 201229

nich~ geimpft . . . . . 338778

Ii~komplette Impfungen . 8 484

Beob~chtungsversueh 1080680 Gesamt . . . . . . .

Vacciniert . . . . . . . 221998

Unbehandelge Kontrollen 725173

2. Schuljahrnichtgeimpft 123605

Inkomplette Impfungen . 9 904

Poliomyelitisfiille berichtete paralytische nich~ pa-

F/ille Gesamt i ]?~Ile ralytischeFalle

~/iu- ]~/tu- E/~u- ] ]~/iu- Zahl !figkeit I Zahl figkei$ Zahl figkeit Zahl figkeit

1829916 1013

749236 428

82

162

182

2

55

57

41

81

54

24

54

34

61

53

40

863 47 685

358 48 270

57 28 33

142 71 115

157 46 121

2 24 1

505 47 415

56 25 38

391 54 330

54 44 43

4 40 4

37

36

16

57

585

76

439

66

4

178

88

24

27

36 36

12 1

38 90

17 18

46 6!

3 5 11 t

4 o ! -

10

12

12

13

11

12

8

8

8

9

amer ikanisehen nach S ~ K durch einen Zusatz yon A l umi n i umhydr oxyd unterscheidet , m5ehte ieh I h n e n die Ergebnisse der Ant ik6rperbes t im- m u n g bei einer ge ihe yon Impf l ingen gegeniiber den 3 Poliomyelitis- v i rus typen demonstr ieren. Die bis je tz t vorl iegenden I~esultate, welehe wir stEndig ausbauen und erweitern, lassen erkennen, dab aueh unser eigener Impfstoff die Bi ldung yon neutra l i s ierenden Ant ik6rpern zu s t imul ieren vermag. I m Pr inzip s t immen unsere Ergebnisse mi t den amer ikanisehen insofern fiberein, Ms aueh bei uns gegeniiber Typ 1 der Effekt bis je tz t re la t iv am sehwEchsten zu sehl scheint. Diese Beobachtun- gen lehren gleichzeitig, worauf bei der weiteren En twick lung das Schwer- gewicht zu legen ist. ]3esonders hervorzuheben ist meines Erachtens die Tatsache, dab die Impfung eine aul]erordentl ieh gute VertrEglichkeit besitzt. Nati i r l ich were es uns inn ig und unwissenschafglieh zu sagen, dab mi t dem bisher Erziel ten die endgfiltige Fo rm des Impfstoffes und der

21"

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320 A. BEO~nR:

Impfung erreicht ist. D~s ist j~ auch bei allen ~nderen Impfmethoden speziell auch der Poekenimpfung, nicht der Fall, gesehweige dean bei einem neuen Verfahren wie der aktiven Impfung gegen Poliomyelitis. Eine grebe Zahl yon Fragen barren noeh der Antwort, so naeh der Dauer des Impfeffektes and damit naeh den Terminen der notwendigen Wieder- holungsimpfungen. Darauf und auf manehe andere Frage kann im Augenblick noch keine befriedigende Antwort gegeben werden. Im Moment kann noeh niemand sagen, wohin die Entwieklung ffihren wird. Wir wissen lediglich, dab sich die Impfung in Hunderttausenden yon Fgllen als unseh~dlich erwies und was damit erzielt werden konnte. Es gibt zur Zeit naeh meiner Auffassung niehts Unbedenk]ieheres und zu- gleich Wirksameres, was prophylaktisch gegen Poliomyelitis unter- nommen werden kSnnte.

Eine Frage jedoch seheint mh' - - und darauf mSchto ich zum Schlul~ hinweisen - - in diesem Zusammenhang besonders wichtig und vor allem mit unseren heutigen Methoden auch durehaus lSsbar, n~mlich die genaue Untersuchung des Immunit~tszustandes der BevSlkerung beziigtieh der 3 Poliomyelitisvirustypen. Das wtirde auch vielleieht ffir Sie als Otologen im Hinbliek auf die Zusammenhgnge zwisehen Tonsfllektomie und Folio- myelitis yon erheblicher Bedeutung sein insofern, als diese Untersuchun- gen aufzeigen wfirden, in welchen F~llen dieser Eingriff ohne jedes Risiko ist und in welehen nieht.

A. Bl~CK~lt-Marburg/Lahn (z. Zt. Frankfurt/M.): Erg~inzungen zum Referat IIb.

Den Zweek des mir fibertragenen Referatesi das Ihnen vorliegt, habe ieh darin gesehen, eine Zusammenstellung und Beschreibung der Er- krankungen zu geben, yon denen wir mit Sieherheit oder doeh zumindest mit gro•er Wahrseheinlichkeit wissen, da~ sie virusbedingt sind. Ieh habe reich dabei auf die Krankheitsbflder besehr~nkt, die ffir den Hals-BTasen- Ohrenarzt infolge ihrer besonderen Lokalisation und damit ihrer Sym- ptome yon fibergeordneter Bedeutung sind.

Wie sehr die Viruserkrankungen in den Vordergrund des Interesses gerfickt sind, ist Ihnen bekannt. Mal~gebliche Refer~te und Vortr~ge auf dem vorj~hrigen PathologenkongreI~ und auf der diesj~hrigen Inter- nistent~gung haben Virusthemea zum Gegenstand gehabt, die auch auf der bevorstehenden P~diatertagung abgehandelt werden so]lea. Wie die Ausfiihrungen yon R. HAAS eben gezeigt haben, geht die Bedeutung aktuellster l%agea, in diesem Falle die MSglichkeit einer Sehutzimpfung gegen die Poliomyelitis aueh wegen ihrer sozialen Auswirkung welt fiber d~s rein i~rzt]iehe hinaus.