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Empirische Organisationsund Entscheidungsforschung
Prof. Dr. Rolf Bronner
Wenzel Matiaske Thomas Mellewigt Friedrich A. Stein (Hrsg.)
Empirische Organisations- und Entscheidungsforschung Ansätze, Befunde, Methoden
Festschrift zum 60. Geburtstag von Herrn Professor Dr. Rolf Bronner
Mit 67 Abbildungen und 26 Tabellen
Springer-Verlag Berlin Heidelberg GmbH
PD Dr. Wenzel Matiaske Universitiit Paderbom Lehrstuhl fUr ABWL, insbes. Personalwirtschaft D-33095 Paderbom und Werkstatt fUr Organisationsund Personalforschung, Berlin E-mail: [email protected]
Dr. Thomas Mellewigt PD Dr. Friedrich A. Stein Universitiit Mainz Fachbereich Rechts- und Wutschaftswissenschaften Jakob-Welder-Weg 9 D-55099 Mainz E-mail: [email protected] E-mail: [email protected]
ISBN 978-3-662-11665-4 ISBN 978-3-662-11664-7 (eBook) DOI 10.1007/978-3-662-11664-7
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Empirische Organisations- und Entscheidungsforschung: Ansătze, Befunde, Methoden I Hrsg.: Wenzel Matiaske ... - Heidelberg: Physica-VerI., 2000
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschiitzt Die dadurch begrlindeten Rechte, insbesondere die der Obersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfliltigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, VOfbehalten. Eine Vervielfâltigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfali nUf in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zullissig. Sie ist grundslitzlich vergiitungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes.
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2000
Ursprilnglich erschienin bei Physica-Verlag Heidelberg 2000 Softcover reprint of the hardcover 1 st edition 2000
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, daB solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung a1s frei zu betrachten wliren und daher von jedermann benutzt werden diirften.
UmschlaggestaItung: Erich Kirchner, Heidelberg
SPIN 10767484 88/2202-5 4 3 2 1 O - Gedruckt auf sl!urefreiem Papier
Geleitwort
Eberhard Witte
Obgleich Rolf Bronn er noch mitten in seiner fruchtbaren Schaffensperiode steht, kann er bereits auf eine mehr als 25jährige Erfahrung in der betriebswirtschaftliehen Forschung zurückblicken. Es begann in unserer gemeinsamen wissenschaftlichen Kinderstube, der Universität Mannheim: unter dem Einfluß von Karl Popper und Herbert Sirnon begannen wir, Entscheidungsprozesse in Unternehmen und Behörden zu analysieren. Rolf Bronner hat an der damaligen Pionierleistung besonders engagiert und erfolgreich teilgenommen. Neben der Dokumentenanalyse zur Rekonstruktion innovativer Vorgänge der Willensbildung hat er zusätzlich Entscheidungsexperimente mit Gruppen von Studenten und Führungskräften der Praxis durchgeführt. Der ihn kennzeichnende Ordnungssinn führte zu der Einsicht, daß empirische Felduntersuchungen stets unter der verwirrenden Vielzahl von Einflußvariablen leiden. Demgegenüber hat es der Experimentalforscher besser: er ist in der Lage, die von ihm untersuchten Variablen unter strengen Laborbedingungen zu kontrollieren. Zwar hatBronnerauch immer wieder das empirische Feld aufgesucht. Aber das ihm gemäße Forschungsverfahren war und blieb das Laborexperiment
Da die Experimentalforschung in der Betriebswirtschaftslehre nicht über eine gefestigte Tradition verfügte, mußten die betriebswirtschaftliehen Fragestellungen erst auf dieses wissenschaftliche Verfahren zugeschnitten, d. h. definiert und operationalisiert werden. Auch die Laboranordnung selbst gab es vor den frühen Experimenten Bronners nicht. Am Anfang stand ein handwerklich erstelltes Synergometer. Die Versuchspersonen erlebten einen Neuanfang und waren von dem wissenschaftlichen Erfolg dieser ungewohnten Vorgehensweise begeistert. Die Spielregeln wurden zunächst aus einem Planspiel abgeleitet. Später entstanden komfortablere Arbeitskabinen, die eine schriftliche und fernmündliche Kommunikation zwischen den Versuchspersonen ermöglichten, und Ende der 80er Jahre fanden die Teilnehmer schließlich vernetzte Computerarbeitsplätze vor. Der Aufbau eines Videokonferenzstudios zeigt den weit gespannten Bogen der technischen Ausreifung eines Experimentalkonzeptes.
Inhaltlich hat sich Rolf Bronner konkreten Fragestellungen der Organisationsund Entscheidungsforschung gewidmet. Dabei spielten die Informationsströme eine wesentliche Rolle. Sie wurden gemessen und systematisch ausgewertet. Eine typische Bronner-Variable war von vornherein der Streß. Er wurde als Zeitdruck in die Experimentalanordnung eingeführt, um zu prüfen, inwieweit sich das Entscheidungsverhalten ändert.
Nach zusätzlicher Berücksichtigung von Wertorientierungen gelangte Bronner zu Anforderungsprofilen an Führungskräfte. Daran schloß sich konsequent das The-menspektrum der Ausbildung und Weiterbildung an. ·
Die Teilnahme von Studenten und Praktikern an den Laborexperimenten dokumentiert in hervorragender Weise die Einheit von Forschung und Lehre. Dies wird auch in den Lehr- und Arbeitsbüchern zur Planung und Entscheidung sowie zur em-
VI Eberhard Witte
pirischen Organisations- und Personalforschung deutlich. Bronner war und ist kein weltferner Forscher, sondern ein leidenschaftlicher akademischer Lehrer, der seine Studenten an den kreativen Forschungsprojekten teilnehmen läßt. Die Schüler reagierten mit einem besonderen Engagement und mit einer ganz natürlichen Zuneigung zu ihrem akademischen Lehrer.
Den Brückenschlag zur Praxis fand Bronner in vielbeachteten Projekten zur Organisationsentwicklung. Die jüngste Publikation zum Veränderungsmanagement basiert auf einer umfassenden empirischen Studie, die sich dem geplanten organisatorischen Wandel widmet.
Bronner hat es als Forschender und als Lehrender verstanden, seine Freunde, Mitarbeiter und Kollegen mitzureißen und sie zu ermutigen, die schwierige Arbeit der realwissenschaftlichen Forschung auf sich zu nehmen. Als Frucht dieser Anregung liegt ein Gemeinschaftswerk und Geburtstagsgeschenk vor, das sich sehen lassen kann. Hier ist eine Gruppe von Wissenschaftlern am Werk, die zukunftsweisende Arbeit leistet. Dies ist die schönste Gratulation, die man einem 60jährigen Hochschullehrer entgegenbringen kann.
Inhaltsverzeichnis
Geleitwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Eberhard Witte
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Wenzel Matiaske, Thomas Mellewigt und Friedrich A. Stein
I Empirische Organisationsforschung
Empirische Konzernorganisationsforschung: State of the Art und künftiger Forschungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
Wenzel Matiaske und Thomas Mellewigt
Anspruch und Wirklichkeit virtueller Unternehmen: Eine betriebswirtschaft-liehe Analyse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
Klaus Macharzina und Holger J. Dürrfeld
Steuerungsprobleme in strategischen Netzwerken: Eine machttheoretische Pro-blematisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
Wenzel Matiaske und Susanne Gretzinger
Interne Dienstleistungsqualität am Beispiel der Kostenrechnung: Konzeptio-nelle Überlegungen und empirische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
Christian Hornburg und Martin Faßnacht
Betriebliche Weiterbildung und Arbeitsmarktsituation: Qualifizierungsmaßnahmen im Lichte organisationstheoretischer Ansätze und ernpriseher Daten-analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
Albert Martin und Herbert Düll
Corporate Governance und Hochschulmanagement. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Wolfgang Weber und Jörg Habich
Bewertung der Management-Leistung von Rundfunkanstalten: Eine empiri-sche Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
Friedrich A. Stein
VIII Inhaltsverzeichnis
II Empirische Entscheidungsforschung
Der Einfluß von Zielen und Werten auf Führungs- und Problemlöseverhalten: Ein Erfahrungsbericht zur Gestaltung von Entscheidungsprozessen . . . . . . . . . 163
Wolfgang Sehröder
Analyse von Entscheidungsprozessen in Konferenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 · Karl-Klaus Pullig
Aufgaben- und an wenderbezogene Aspekte der Videokommunikation . . . . . . . 212 Wolfgang Ph. Appel
Der Einsatz Grafischer Kettenmodelle in der empirischen Entscheidungsforschung: Am Beispiel des ,,Escalation of Commitment" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230
Volker Wiemann
Verzeichnis der Schriften Rolf Bronners 243
Verzeichnis der Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
Einleitung
Wenzel Matiaske, Thomas Mellewigt und Friedrich A. Stein
Das Programm einer "empirischen Theorie der Unternehmung" gehört zu den einflußreichsten Konzepten in der jüngeren Geschichte der Betriebswirtschaftslehre. Sicher, eine kohärente empirische Theorie der Unternehmung wurde bislang nicht erreicht. Angesichts der Vielfalt konkurrierender theoretischer Entwürfe ist vielmehr festzuhalten, daß eine solche Theorie nicht mehr auf der Agenda der Disziplin steht. Der Erfolg des Programms manifestiert sich vielmehr darin, daß ein realwissenschaftlicher Zugang zum Handeln in und von Unternehmungen Normalität geworden ist. Kein Fachgebiet der Betriebswirtschaftslehre, das der empirischen Forschung verschlossen geblieben ist. Gleichwohl ist die Intensität mit der realwissenschaftliche Forschung betrieben wird, nicht in allen Fachgebieten in gleicher Weise ausgeprägt. Im Rückblick auf die "Gründerjahre" ist es nicht verwunderlich, wenn in der Organisations- und Entscheidungsforschung empirische Forschungsmethoden zum Handwerkszeug zählen. In diesen Gebieten ist, wie insbesondere in der Marketing- und der Personalforschung, die Arbeitsweise ein gutes Stück auf dem Weg zur ,,Normalwissenschaft" vorangekommen.
Das Anliegen des hier vorgelegten Bandes ist es nicht nur, einen Forscher zu ehren und zu seinem 60sten Gehurstag zu gratulieren, der auf diesem Weg vorangeschritten ist und andere zur empirischen Arbeit ermuntert hat. Rolf Bronner versteht realwissenschaftliche Forschung als Abenteuer und fortwährendes Bemühen um Forschungsgegen:;tände, Theorien und Methoden. Weil wir ihn so verstanden haben, ziehen die Autoren dieses Bandes nicht Bilanz, sondern zeigen an aktuellen Problemen betriebswirtschaftlicher Organisations- und Entscheidungsforschung in actu Mög!ichkeiten und Schwierigkeiten eines empirischen Zugangs.
Der Titel ,,Empirische Organisations- und Entscheidungsforschung'' charakterisiert das wissenschaftliche Programm Rolf Bronners. Entsprechend ist der Band in zwei Teile gegliedert. Unter dem Stichwort der Organisation sind Beiträge gruppiert, die vor allem neuere Organisationsformen empirisch untersuchen, das Potenzial der Organisationsforschung ausloten und Steuerungsmöglichkeiten von Organisationen erurieren. Der Entscheidungsforschung überschriebene Teil versammelt Beiträge zu Determinanten betrieblicher Entscheidungen, zum Entscheidungstraining und zur Methodik der Entscheidungsforschung.
Ziel des Beitrags von Mellewigt und Matiaske ist es, den Stand der empirischen Konzernorganisationsforschung aufzuzeigen. Speziell werden Untersuchungen zu den Aspekten Konzernorganisationsformen, Konzernzentrale sowie situativen Einftußfaktoren der Konzernorganisation betrachtet. Ergebnis ihres Übersichtsreferates ist, daß die empirische Konzernorganisationsforschung theoretisch bislang unzureichend fundiert und inhaltlich durch den Vergleich verschiedener Konzernorganisationsformen, die Organisation der Konzernzentrale sowie die Analyse der strategischen Holding geprägt ist. Der künftige Forschungsbedarf richtet sich aus Sicht der Autoren daher auf den Vergleich von Einheitsunternehmen und Konzern, auf die
2 Wenzel Matiaske, Thomas Mellewigt und Friedrich A. Stein
effiziente Gestaltung des Stammhauskonzerns sowie auf den Übergang von einer Konzernform zur anderen.
Macharzina und Dürrfeld widmen sich dem hochaktuellen Thema virtueller Unternehmen. Sie identifizieren zunächst konstitutive Elemente und Grundtypen virtueller Unternehmen. Im Anschluß daran entmystifizieren die Autoren das Konzept virtueller Unternehmen, indem sie seine Grenzen und Widersprüche aufzeigen. Darauf aufbauend überprüfen sie die Ausprägungen virtueller Unternehmen anband einer Stichprobe von Unternehmen der deutschen KFZ-Zulieferindustrie. Das Ergebnis ist ernüchternd: virtuelle Strukturen sind wenig praxisrelevant Die unternehmerische Zusammenarbeit wird vielmehr in Form der klassischen Projektorganisation innerhalb bestehender Unternehmensgrenzen abgewickelt, wobei allerdings ein hoher Grad an unternehmensübergreifender Prozeßzerlegung zu konstatieren ist.
Kooperationen sind auch das Thema des Beitrages von Matiaske und Gretzinger. Sie arbeiten heraus, daß Unternehmenskooperationen oder, genauer, strategische Netzwerke mit einem komplexen Steuerungsproblem konfrontiert sind. Einerseits verlangt stabile Kooperation die Integration eines Unternehmensverbundes. Die beteiligten Einzelunternehmen sollen multipel in das Netzwerk eingebunden sein. Aus Sicht des Allianzführers erscheint unter dem Gesichtspunkt der Willensdurchsetzung andererseits ein wenig integriertes, hierarchisch aufgebautes Netzwerk zweckmäßiger. die Autoren entwickeln dieses Steuerungsparadox vor dem Hintergrund der relationalen Machttheorie und illustrieren es anband des Fallbeispiels eines Entwicklungsverbundes kleiner und mittelständischer Unternehmen.
Hornburg und Faßnacht konzentrieren ihre Untersuchung auf ein Fachgebiet, welches bislang von der empirischen betriebswirtschaftliehen Forschung vernachlässigt wurde: das interne Rechnungswesen. Sie konzeptionaliseren die Beziehung zwischen internem Rechnungswesen und General Management sowie MarketingNertrieb als unternehmensinterne Kunden-Lieferanten Beziehung. Dabei entwickeln sie zunächst ein Meßmodell für die interne Dienstleistungsqualität der Kostenrechnung mittels der Dimensionen Potential-, Prozeß- und Ergebnisqualität Ihre branchenübergreifenden empirischen Studie von Industrieunternehmen zeigt, daß alle drei Qualitätsdimensionen das Ausmaß der Nutzung von Kostenrechnungsinformationen signifikant positiv beeinflussen.
Martin und Düll diskutieren in ihrem Aufsatz Determinanten der betrieblichen Weiterbildung. Empirisch bestimmen die Autoren den Einfluß verschiedener unternehmensexterner und -interner Variablen wie Arbeitsmarktsituation, Wettbewerbsdruck, Humankapitalausstattung oder die Innvovativität des Leistungsprozesses auf die Unternehmerische Investitionsentscheidung in die Weiterbildung. Datenbasis ihrer Untersuchung ist das lAB-BetriebspaneL Die Autoren demonstrieren, wie in der Organsationsforschung bislang aus verschiedenen Gründen wenig genutzte Datensätze der volkswirtschaftlichen und soziologischen "Großforschung'' sekundäranalytisch fruchtbar gemacht werden können. Dazu bedarf es einer theoretischen Grundlegung und ihrer Operationalisierung. Die zentrale Problematik empirischer Forschung - abstrakte Ideen hinreichend genau zu operationalisieren und dabei notwendige Hilfsannahmen zu explizieren - ist das Metathema der Autoren.
Einleitung 3
Sie nehmen die mit dieser Problematik verbundene wissenschaftstheoretische Herausforderung, unterschiedliche, konkurrierende Theorien mit gleichen empirischen Sachverhalten zu konfrontieren, an. Exemplarisch verwenden sie die Transaktionskostentheorie und die intitutionelle Organisationstheorie. Sie diskutieren auf theoretischer wie empirischer Ebene Unterschiede und Gemeinsamkeiten beider Theorien und reflektieren die Schwierigkeiten, in welche die Organisationsforschung mit der einfachen Idee eines "naiven Fallibilismus" geraten kann.
Weber und Habich erläutern in ihrem Beitrag den Begriff Corporate Governance und stellen das Shareholder Value-Konzept und den Stakeholder-Ansatzals mögliche Ausgestaltungsformen von institutionellen Rahmenbedingungen zur Einflußnahme auf Entscheidungen des Managements durch die am Organisationsgeschehen Beteiligten vor. Dabei wird die Bedeutung zur Gestaltung entsprechender Anreize und der zweckmäßige Einsatz von Monitoring- und Kontrollaktivitäten zur Verringerung der Informationsasymmetrien zwischen Anteilseignern bzw. anderen Interessengruppen und der Organisationsleitung auch für das Hochschulmanagement sichtbar. Gleichzeitig liefern die Autoren erste Anregungen für die zukünftige Ausgestaltung von Governance Strukturen für Hochschulen. Dabei wird deutlich, daß organisationstheoretische Argumente die Diskussion über zweckmäßige Corporate Governance Strukturen für den bzw. im Bereich des Hochschulmanagments bereichern.
Eine empirische Untersuchung zum Medienmanagement stellt Stein vor. Es wird ein empirisch gestütztes System von Bestimmungsgrößen zur Bewertung der Management-Leistung von Rundfunkanstalten erarbeitet. Ein nach allgemeinen und speziellen Leistungsgrößen differenziertes idealtypologisches Merkmalssystem bildet die Grundlage für eine Expertenbefragung. Aus den Befragungsergebnissen werden Beurteilungsdimensionen und -merkmale gewonnen, die zu einem realtypologischen Modell der Management-Leistung von Rundfunkanstalten verdichtet werden. Die nach allgemeiner und spezieller Management-Leistung unterschiedenen Beurteilungskategorien stellen Bewertungshilfen für den Vergleich öffentlicher Rundfunkunternehmen untereinander sowie öffentlicher und privater Anbieter zur Verfügung.
Der Beitrag von Sehröder ist verschiedenen Aspekten des Entscheidungsverhaltens gewidmet. Der Autor erarbeitet die Bedeutung von Zielen und ihre Konkretisierung für gelungene Entscheidungsprozesse zum Vermeiden von Fehleinschätzungen. Diese Argumentation wird in zweierlei Hinsicht fortgeführt. Einerseits verfolgt der Autor das Thema Zielorientierte Führung, andererseits wird die Rolle von instrumentellen und terminalen Werten im Entscheidungsprozeß näher bestimmt. Die exemplarische Analyse einiger Trainingsgruppen unterstreicht die Bedeutung von Werten und Zielen für Entscheidungsprozesse.
Pullig analysiert Entscheidungsprozesse in Konferenzen. Dabei werden Konferenzen als typisches Koordinationsinstrument heutiger Organisationen angesehen. Für viele, insbesondere Großorganisationen ist kennzeichnend, daß über die hierarchisch-bürokratischen primären Koordinationsformen ein Netz von eher teamhaften Sekundärorganisationen gezogen ist. Der Autor verwendet einen eher allge-
4 Wenzel Matiaske, Thomas Mellewigt und Friedeich A. Stein
meinen Konferenzbegriff, indem er diese als Zusammenkünfte von Organisationsmitgliedern im Zusammenhang mit ihren Aufgaben in Organisationen bezeichnet. In diesem Verständnis werden Entscheidungen und Koordinationsleistungen typischerweise in Konferenzen erarbeitet. Pullig schlägt einen Rahmen zur Analyse von Konferenzen vor, der mit dem Konzept Konferenzleitungsstil einen führungstheoretischen und mit Gliederung in Konferenzphasenverläufe einen entscheidungslogischen Ansatz verbindet. Aus der exemplarischen Untersuchung einer Lehrerkonferenz unter Zugrundetegong der vorgestellten Untersuchungsansätze gewinnt der Autor wichtige Handlungsempfehlungen für konkrete Verbesserungen der Konferenzgestaltung, die letztlich die Problemlösefähigkeit von Organsationen verbessern sollen.
Aufgaben- und anwenderbezogene Aspekte der Videokommunikation stehen im Mittelpunkt des Beitrages von Appel. Als Untersuchungsrahmen wählt der Autor ein Input-Process-Output-Modell bestehend aus einer Struktur-Dimension mit den Variablen Entscheidungsproblem, -werkzeug, -person und -gruppe, und einer Ergebnis-Dimension, bestehend aus den Ergebnisvariablen ökonomische Effizienz (Aufgabenbezug) und soziale Effektivität (Personenbezug). Appel prüft die Wahrnehmung des Entscheidungswerkzeugs, den Einfluß von Merkmalen der Entscheidungsperson sowie die Wirkung des Entscheidungsproblems im Rahmen eines Laborexperimentes. Die Ergebnisse stützen die Annahme, daß die aktuell vermuteten Probleme mit einer Technologie wie etwa Videokonferenzsystemen eher auf personenbedingte Einschränkungen als auf systemimmanente Merkmale zurückzuführen sind. Weitergehende Gestaltungsempfehlungen richten sich auf die Auswahl von Kommunikationstechnologien. So sollten beispielsweise Unternehmen stärker auf die Aufgabeneignung von Technologien achten, als deren Leistungsdaten optimieren zu wollen.
Wiemann untersucht den Einsatz Grafischer Kettenmodelle in der empirischen Entscheidungsforschung. Grafische Kettenmodelle basieren wie Strukturgleichungsmodelle auf der Pfadanalyse. Grafische Kettenmodelle haben gegenüber etablierten Verfahren der Modeliierung von Strukturgleichungen gewisse Vorzüge. Der Autor zeigt am Beispiel des ,,Escalation of Commitment', einem Phänomen, welches sich mit einem (irrationalen) Festhalten an einer einmal eingeschlagenen Handlungsrichtung beschäftigt, die methodische Vorgehensweise und die Eignung des Verfahrens. Exemplarisch wird veranschaulicht, daß sich der Ansatz hervorragend zur Abbildung komplexer statistischer Zusammenhänge eignet. Außerdem hat das Verfahren gegenüber anderen den Vorzug der leichteren Interpretierbarkeit der Untersuchungsergebnisse und des geringeren methodischen Aufwands. Aufgrund dieser Vorteile und der Möglichkeit, vergleichsweise viele Variablen in ihrer Vernetztheil untersuchen zu können, empfiehlt der Autor den Einsatz des Verfahrens insbesondere in variablenreichen Studien.
Unser Dank gilt in aller erster Linie den Autoren, die dazu beigetragen haben, qiese Festschrift zu verwirklichen. Jörg Habich und Ingo Weller danken wir für ihre Hilfe bei der zeitintensiven Bewältigung technischer Probleme, die der Fortschritt in der Informations- und Kommunikationstechnologie dem Anwender zur
Einleitung 5
Bewältigung überläßt. Dr. Martina Bihn und Gabriele Keidel vom Physica Verlag gilt unser Dank für die konstruktive Zusammenarbeit und die gründliche Durchsicht bei der Drucklegung. Darüber hinaus danken wir besonders herzlich des Sponsoren - Dr. Stephan Schlingmann (BGAG Beteiligungsgesellschaft der Gewerkschaften AG, Frankfurt am Main), Dr. Wolfgang Sehröder (,,Personalsysteme- KonzeptionBeratung-Training'', Meinerzhagen), Helmut Staminski (Staminski & Partner Unternehmensberatung, Fulda), Dr. Bernhard Westrup (Stinnes AG, Mülheim an der Ruhr) und Dr. Volker Wiemann (Geschäftsführer der Flores Holding GmbH, Vlotho) - für ihre Druckkostenzuschüsse.
Teil I
Empirische Organisationsforschung
Empirische Konzernorganisationsforschung State of the Art und künftiger Forschungsbedarf
Wenzel Matiaske und Thomas Mellewigt
1 Einleitung
1.1 Problemstellung
Der Konzern ist die typische Organisationsform mittelständischer und großer Unternehmungen. Rund 75% der deutschen Aktiengesellschaften und etwa 50% der GmbHs sind Konzerne 1. Dabei sind Konzerne heute mit einer erheblich veränderten Umwelt konfrontiert. Diese Umweltveränderungen werden häufig durch die Begriffe zunehmende Wettbewerbsintensität, beschleunigende technologische Dynamik sowie steigende Globalisierung von Unternehmen und Branchen charakterisiert. Gleichzeitig ist die Komplexität vieler Konzerne durch Diversifikation, Wachstum und regionale Expansion stark gestiegen. Dieses Spannungsverhältnis von Flexibilitätserfordernis bedingt durch eine dynamischere Umwelt einerseits und zunehmende Komplexität andererseits stellt für das Konzernmanagement eine besondere Herausforderung dar. In den letzten 10 Jahren ist es daher zu zahlreichen Strategieund Strukturänderungen von deutschen Konzernen gekommen2.
Im Kontrast zur großen praktischen Relevanz setzt sich die Betriebswirtschaftslehre mit Fragen des Konzerns im allgemeinen und des Konzernmanagements im besonderen erst relativ spät, nämlich verstärkt seit Ende der 80er Jahre auseinander. Bis zu diesem Zeitpunkt liegen primär Schriften aus dem Bereich des Konzernrechts und des Konzernrechnungswesens vo~. Demgegenüber lassen sich nur wenige Arbeiten zur Konzernorganisation und noch seltener empirische Untersuchungen identifizieren4.
Aus unserer Sicht kann die Betriebswirtschaftslehre ihrer Funktion als angewandte Wissenschaft auf dem Gebiet des Konzernmanagements nur dann gerecht werden, wenn systematische, empirisch gesicherte Erkenntnisse vorliegen. Diesbezüglich stellt Theisen noch 1991 fest: ,,Der aktuelle, unverändert äußerst bescheidene Stand der betriebswirtschaftliehen Konzernorganisationsforschung läßt mangels geeigneter empirischer Untersuchungen noch nicht einmal auf der Ebene der beschreibenden Feststellung und Erfassung der faktischen Konzernlandschaft hinreichend verläßliche Aussagen zu"5.
1 Vgl. Emmerich/Sonnenschein (1997), S. 14. 2 Vgl. Theisen (1991), S. 54 f. 3 Vgl. Theisen (1986), S. 748. 4 Eine Ausnahme bildet hier bspw. die empirische Untersuchung von Holtmann zu perso
nellen Verflechtungen aufKonzemführungsebene, vgl. Holtmann (1989). 5Theisen (1991), S. 194.
10 Wenzel Matiaske und Thomas Mellewigt
Zwischenzeitlich sind jedoch eine ganze Reihe theoretischer und empirischer Untersuchungen6 erschienen, so daß die Konzernorganisation oder allgemeiner "das Konzernmanagement sich in der Betriebswirtschaftslehre mittlerweise als eigenständiges Forschungsobjekt etabliert hat''7 . Gleichzeitig wird jedoch konstatiert, daß die Konzernbetriebswirtschaftslehre gerade auf der empirischen Seite noch erhebliche Forschungsanstrengungen unternehmen muß8.
1.2 Zielsetzung und Aufbau der Untersuchung
Ziel des vorliegenden Beitrags ist, den Stand der empirischen betriebswirtschaftliehen Forschung zur Konzernorganisation aufzuzeigen. Wir fassen die Konzernorganisation als Teilaufgabe des Konzernmanagements, das "vor allem die strategischen Grundausrichtung der Konzerunternehmung und die Schaffung einer Infrastruktur aus Organisations-, Planungs- und Kontrollsystem umfaßt''9• Die hier in den Mittelpunkt gerückte Grundfunktion des Konzermanagements ist die Gestaltung der Organisationsstruktur des Gesamtkonzerns und der Konzernzentrale 10•
Vor diesem Hintergrund sollen alle empirischen betriebswirtschaftliehen Untersuchungen zur Konzernorganisation ausgewertet werden. Dabei weicht die Konzernorganisation nur in Teilbereichen von der organisatorischen Gestaltung eines Einzelunternehmens ab. Wir betrachten im folgenden ausschließlich Untersuchungen, die sich auf Konzernbesonderheiten der Organisation beziehen. Mit dieser Festlegung werden folgende Untersuchungen ausgegrenzt:
- Untersuchungen, die zwar Managementaspekte thematisieren aber nicht eindeutig auf den Konzern als Untersuchungseinheit abstellen;
- Untersuchungen zu "spin-offs" und ,,MBOs" als Spezialthemen; - Studien unter der Überschrift ,,corporate governence" werden nur dann berück-
sichtigt, wenn sie ausschließlich Konzernmanagement oder Konzernorganisation zum Gegenstand haben.
Vor diesem Hintergrund konnten insgesamt 47 empirische Studien identifiziert werden 11 , die für die weitere Analyse zur Verfügung stehen. In der weiteren Ver-
6 Vgl. z. 8. Hühner (1991), Birk (1991), Frese/von Werder/Maly (1993), Schmidt (1993b), Hoffmann (1993a), Theopold (1993), Süss (1993), Naumann (1993), Cordes (1993), Dip-pel (1993), Binder (1994), Ringistetter (1995), Mellewigt (1995); zusätzlich sind zwei ZfB-Ergänzungshefte zu den Themen Konzernstrukturen und Governance Struktures erschienen, vgl. Albach (1994) und (1996).
7 von Werder (1995), s·. 657. 8 Vgl. von Werder (1995), S. 641. 9 Vgl. von Werder (1995), S. 643. Vgl. auch Scheffler (1992), S. 38 f, der darüber hinaus die
die Besetzung von Schlüsselpositionen zu den Grundfunktionen des Konzernmanagements zählt.
10 V gl. ausführlicher Mellewigt/Matiaske (2000), die neben organisatorischen Fragen auch die Aspekte Konzernziele, -Strategien, Steuerungsinstrumente und Konzernerfolg behandeln.
11 Diese Studien beschäftigen sich mit dem Konzernmangement im Allgemeinen. Zur Auswahl der Studien vgl. Mellewigt/Matiaske (2000).
Empirische Konzernorganisationsforschung 11
dichtung des Materials aufgrund der genannten Kriterien begrenzte sich die Auswahl auf 11 Arbeiten, deren zentrale Befunde im folgenden vorgestellt werden.
Die skizzierten Fragestellungen steuern auch die weitere Vorgehensweise der Untersuchung. Im Zentrum des zweiten Kapitels steht die Inventur der empirischen Befunde zur Konzernorganisation. Darauf aufbauend nimmt das dritte Kapitel eine kritische Würdigung der Forschungsergebnisse hinsichtlich der inhaltlichen Schwerpunkte, der theoretischen Konzepte sowie der Untersuchungsmethodik vor. Abschließend fassen wir die Ergebnisse zusammen und verdeutlicht den künftigen Forschungs bedarf.
2 Stand der empirischen Konzernorganisationsforschung
Dem analytischen Fokus dieser Studie entsprechend betrachten wir die Konzernorganisation vorwiegend unter instrumentellen Gesichtspunkten. Diese Perspektive ist auch dem zugrunde liegenden Material inhärent; dezidiert organisationstheoretische Arbeiten, die Konzerne als spezifische Institutionen analysieren fehlen bislang. Die vorliegenden Studien stellen die primäre Aufgabe der empirischen Konzernforschung- die Bestandsaufnahme faktisch vorhandener Organisationsformen - in den Mittelpunkt, nicht zuletzt um dem Praktiker beispielhaft Möglichkeiten und damit Anhaltspunkte für die eigene Organisationsarbeit zu liefern. Besondere Aufmerksamkeit gilt der Organisation der Zentrale. Schließlich sind situative Einflußgrößen wie Größe oder Branche hinsichtlich der organisatorischen Gestaltungsmöglichkeiten näher zu betrachten.
Der Einbezug situativer Determinanten lenkt die Aufmerksamkeit auf einen zweiten analytischen Schwerpunkt. Neben der zeitpunktbezogenen Bestandsaufnahme sollen die empirischen Arbeiten im folgenden auch befragt werden, inwieweit sie Entwicklungslinien des Organisierens aufzeigen. Im organisationswissenschaftlichen wie im praxisorientierten Schrifttum wird mit Blick auf die Konzerngestaltung in den vergangeneu Dekaden eine deutliche Bevorzugung dezentraler Organisationsformen konstatiert, der den eingangs betonten Umwelterfordernissen durch organisatorische Flexibilität Rechnung tragen sollen 12. Sichtbar wird die Entwicklung in der Prominenz der strategischen Holding und in der Ausdünnung der Zentralbereiche. Die Stärke des Trends ist in der wissenschaftlichen Literatur nicht ohne Kritik geblieben- so mahnen Krüger und von Werder (1995, S. 6) bereits vor der neuen ,,Magersucht" in der Konzernorganisation. Im Zusammenhang der Diskussion situativer Einflußgrößen wollen wir daher zusätzlich untersuchen, welche empirisch begründeten Gestaltungsempfehlungen gegeben werden.
12 Vgl. Frese/yon Werder (1994) Drumm (1996) und Kieser (1996). Eine Übersicht gibt Matiaske (1999), S. 13 ff.
12 Wenzel Matiaske und Thomas Mellewigt
2.1 Konzernorganisationsformen
Konzerne werden hier als auf Dauer angelegte Unternehmensverbünde rechtlich selbständiger Unternehmen definiert, die unter einheitlicher Leitung stehen 13 . Konzerne gliedern sich in sogenannte Spitzeneinheiten (Konzernzentrale, Muttergesellschaften), gegebenenfalls Zwischeneinheiten und Grundeinheiten (Konzernunternehmen, Tochtergesellschaften). Die Definitionsbestandteile grenzen den Konzern von verwandten Organisationsformen ab. Das Merkmal der rechtlichen Selbständigkeit unterscheidet den Konzern von der Fusion. Die Einschränkung der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit der Konzernunternehmen aufgrund der einheitlichen Leitung grenzt den Konzern von Kartellen ab. In Verbindung mit dem Charakteristikum der Dauerhaftigkeit leistet das Merkmal der einheitlichen Leitung die Differenzierung von Konsortien und strategischen Allianzen oder Netzwerkorganisationen.
Konzernrechtliche Vorschriften, die sich vor allem im Aktiengesetz von 1965 aber auch in anderen Gesetzen (Vorschriften zur Bilanzierung, zur Besteuerung und zur Mitbestimmung) und nicht zuletzt im Richterrecht finden 14, liefern auch in der betriebswirtschaftliehen Literatur häufig verwendete Begriffe zur Unterscheidung von Konzernformen. Die rechtlichen Begriffe sind allerdings nur begrenzt geeignet, um aus organisatorischer Sicht wichtige Unterscheidungsmerkmale herauszuarbeiten, weil die genannten Rechtsvorschriften Aspekte der Organisation und der Unternehmensverfassung weitgehend ausblenden. Dies ist u. a. darauf zurückzuführen, daß die rechtlichen Normen den Schutz der "stakeholder'' (Aktionäre, Gläubiger, Mitarbeiter, Staat) fokussieren und daher auf die Möglichkeit der Feststellung eines Konzerns und weniger auf die Binnendifferenzierung der Organisationsform abstellen. Wir können uns daher mit der Skizzierung einiger zentraler Begriffe begnügen.
In der Systematik des Aktiengesetzes wird der übergeordnete Begriff des verbundenen Unternehmens (§ 15 AktG) weiter untergliedert. Grundlegend werden Unterordnungs- und Gleichordnungskonzerne unterschieden (§ 18 AktG). Kennzeichnend für Unterordnungskonzerne ist, daß ein oder mehrere rechtlich selbständige Unternehmen unter der einheitlichen Leitung eines herrschenden Unternehmens zusammengeiaßt werden. Entscheidend ist, daß der herrschende Einfluß gegenüber den abhängigen Unternehmen (§ 17 AktG) in Form der einheitlichen Leitung ausgeübt wird. Das Kriterium der einheitlichen Leitung wird sehr weit gefaßt. Es ist unwiderlegbar erfüllt, wenn eine Aktiengesellschaft in eine Obergesellschaft eingegliedert wird oder eine Unterordnung vertraglich festgeschrieben wird. Die Tochtergesellschaft bewahrt im Eingliederungskonzern nur im Außenverhältnis rechtliche Selbständigkeit. Im Innenverhältnis fungiert sie dagegen als Abteilung des herrschenden Unternehmens. Im Fall des Vertragskonzerns wird die Unterordnung beispielsweise durch Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag geregelt (§§ 291,292 AktG). In anderen Fällen, praktisch bedeutsam ist vor allem die Mehrheitsbeteiligung, vermutet die Rechtssprechung einen faktischen Unterordnungskonzern. Für den Gleichordnungskonzern ist charakteristisch, daß die einheitliche
13 Vgl. insbesondere Theisen (1991), S. 20 sowie Hoffmann (1993b), S. 8 ff. Eine Übersicht weiterer Definitionen und Definitionsbestandteile findet sich bei Mellewigt ( 1995), S. 10 ff.
14 Vgl. Hoffmann (1993b), S. 25 ff.
Empirische Konzernorganisationsforschung 13
Leitung ausgeübt wird, ohne daß ein Abhängigkeitsverhältnis der beteiligten Kon
zernunternehmen besteht. Die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten reichen über
die Einrichtung gemeinsamer Organe, vertraglicher Vereinbarungen über die ge
meinsame Leitung bis hin zu gezielten personellen Verflechtungen. Auch im Fall
des Gleichordnungskonzerns werden vertraglich vereinbarte und faktische Konzerne differenziert.
Verwendet man die rechtliche Terminologie als Referenz, läßt sich festhalten,
daß die betriebswirtschaftliche Literatur vorwiegend die Kategorie des Unterord
nungskonzerns näher unterscheidet15. Der Begriffsbildung liegen zwei Kriterien zu
grunde. Erstens wird differenziert, ob die Spitzeneinheit als selbständiges Unterneh
men am Markt auftritt oder nicht. Das Kriterium des Marktauftritts unterscheidet
den Stammhauskonzern von Holdinggesellschaften, deren Spitzeneinheiten nicht
als eigenständige Unternehmen am Markt fungieren. Das zweite Kriterium unter
scheidet danach, in welchem Ausmaß die Spitzeneinheit die einheitliche Leitung
der Konzernunternehmen ausübt. Im Fall der Holding wird entlang dieser Dimen
sion die Finanz- von der strategischen Holding 16 und (gelegentlich) von der ope
rativen Holding differenziert. Während die Finanzholding eine Beteiligungsgesellschaft ist, die ihre Leitungsfunktion ausschließlich auf die Aspekte der Beteiligungs
verwaltung, der Finanzierung, der Rechnungslegung oder der steuerlichen Fragen
begrenzt17, übernehmen die anderen Holdingtypen zusätzliche (Leitungs)aufgaben.
Im Fall der strategischen Holding betrifft dies weitergehende strategische Funktio
nen wie die Konzernpolitik, das Konzerncontrolling oder die Personalpolitik. Die
operative Holding übernimmt darüber hinaus zentrale operative Funktionen wie
Einkauf, Vertrieb oder Personalverwaltung18.
Letztere Unterscheidung wird in der Literatur nicht einheitlich behandelt. Theo
pold (1993, S. 167) identifiziert beispielsweise operative Holding und Stammhaus
konzern. Der Grund liegt in der empirischen Konfundierung der hier vorgeschla
genen analytischen Trennung in zwei Dimensionen - des binären Kriteriums des eigenständigen Marktauftritts der Spitzeneinheit und der ordinalen Unterscheidung
nach der einheitlichen Leitung unter funktionalen Gesichtspunkten. Im Fall von
Stammhauskonzernen sind die Töchter in der Regel vom Stammhaus abhängig
15 Vgl. Hoffmann (1993b), S. 20 f. 16 Die strategische Holding wird unter verschiedenen Bezeichnungen wie "Managementhol
ding", ,,Führungsholding" oder "geschäftsleitende Holding" in der Literatur verhandelt. Vgl. Bühner (1987), S. 42 ff., Keller (1990), S. 50 ff. oder Holtmann (1989), S. 16 ff. Da Management und Führung auf allen Ebenen von Konzernen ausgeübt wird, verwenden wir diese wenig trennscharfen Begriffe nicht. Die Hervorhebung der geschäftsleitenden Funktion erscheint dagegen als zu eng. Mit Hoffmann (1993b), S. 11 ff. sprechen wir von der strategischen Holding, weil diese Bezeichnung das grundlegende Führungskonzept besser zum Ausdruck bringt.
17 Von einer Finanzholding i. S. eines Konzerns kann nur die Rede sein, wenn diese das Kriterium der einheitlichen Leitung zumindest durch finanzielle Führung der Tochtergesellschaften erfüllt, also über eine reine Anlage- und Beteiligungsverwaltung hinausgeht. Vgl. Ansesini (1991), 52 f.
18 Vgl. bspw. Kraehe (1994), S. 118 ff.
14 Wenzel Matiaske und Thomas Mellewigt
und übernehmen oft nur unterstützende Funktionen im Konzern. Die Leitung des Stammhauses ist häufig mit der Konzernleitung identisch. Es ist aber durchaus denkbar und es ließen sich empirische Beispiele zitieren, daß Spitzengesellschaften mit eigenem Marktauftritt die Töchter vorwiegend durch die Übernahme finanzwirtschaftlicher Funktionen leiten und Holdingspitzengesellschaften ohne eigenen Marktauftritt auch operative Funktionen wie den zentralen Einkauf übernehmen. Diese Aspekte der Begriffsbildung sollen hier nicht weiter ausgeführt werden. Einige weitergehende Überlegungen werden wir im Kontext der empirischen Befunde zur Konzernorganisation vorstellen. Festzuhalten ist, daß die vorherrschende Begriffsbildung typologisierend verfährt und zwischen dem Stammhauskonzern, der strategischen Holding und der Finanzholding abgrenzt. Entsprechend wollen wir auch weitergehende Differenzierungen wie die ,,schlanke Holding'', die ,,Funktionsholding'', die ,,Spartenholding'' etc. unberücksichtigt lassen 19.
Ferner lassen wir im folgenden betriebswirtschaftliche Differenzierungen des Gleichordnungskonzerns unbeachtet. Die Definition Hoffmanns (1993b, S. 16), der den Gleichordnungskonzern mit einer Unternehmerischen Holding als einer ,,Zusammenfassung autonomer Unternehmen ohne rechtliche Regelungen und hierarchische Zwänge" identifiziert, ist kaum von Kategorisierungen strategischer Netzwerkorganisationen oder Kooperationen zu unterscheiden20• Wir beschränken uns also in der Berichterstattung der empirischen Literatur auf die vorhergehend erläuterte konventionelle '!Ypologisierung von Konzernen.
Im Hinblick auf die empirischen Untersuchungen sind zwei Fragestellungen von Interesse:
- Welche Konzernorganisationsformen sind empirisch vorzufinden? - Lassen die Studien einen Trend des Organisierens auf Ebene der Konzernorga-
nisation erkennen?
Bezüglich der zweiten Frage ist anzumerken, daß Hoffmann (1993b, S. 18) die herrschende Meinung wiedergibt, wenn er implizit eine Flexibilitätsvermutung äußert. In der verwendeten typologisierenden Begrifflichkeil sollten Stammhauskonzerne durch einen niedrigen Delegations- und Autonomiegrad gegenüber den Töchtern, jedoch durch einen hohen Standardisierungs- und Formalisierungsgrad gekennzeichnet sein. Finanzholdings wären entsprechend durch gegenteilige Freiheitsgrade gegenüber den Untereinheiten charakterisiert. Strategische Holdinggesellschaften nähmen eine mittlere Stellung ein. Der Argumentation folgend, sollte die Flexibilität im Fall eines Stammhauskonzerns entsprechend niedrig und im Fall einer Finanzholding dagegen hoch ausgeprägt sein. Das situative Argument der Anpassung an Umweltveränderungen ließe also einen zunehmenden Trend von Stammhaus- zu Holdingkonzernen vermuten. Tabelle 1 faßt die Ergebnisse der bisherigen Konzernorganisationsforschung zusammen.
19 Mellewigt (1994), S. 19 ff. und Kraehe (1994), S. 119 ff. geben eine Übersicht weiterer begrifflicher Differenzierungen.
20 Vgl. bspw. die Definition von Unternehmenskooperationen durch Rotering (1993), S. 6 ff.
Empirische Konzernorganisationsforschung 15
Tabelle 1: Empirische Studien zur Konzernorganisation
Autor Stichprobe Befunde
Holtmann 1989 144 börsennotierte 85% Stammhauskonzerne Konzerne (1976) 15% Holdingkonzerne
154 börsennotierte 79% Stammhauskonzerne Konzerne (1986) 21 % Holdingkonzerne
Hoffmann 1993b 75 Konzerne 57 % Stammhauskonzerne
Mellewigt 1995
35 % Strategische Holdingkonzerne 8 % Finanzholdingkonzerne
151 börsennotierte 61 % Stammhauskonzerne Konzerne ( Grundgesamtheit 68 %)
39 % Strategische Holdingkonzerne (Grundgesamtheit 32 %)
Die zusammengestellten Befunde verdeutlichen die Dominanz des Stammhauskonzerns in der Praxis- etwa 3/5 aller Konzerne wählen auch in den 90er Jahren diese Organisationsform. Die Zahlen lassen jedoch auch den vermuteten Trend zur Holdingorganisation erkennen. Der Vergleich der repräsentativen Sampies börsennotierter Konzerne von Holtmann (1989) und Mellewigt (1995) belegt eine deutliche Zunahme des Anteils der Holdingkonzerne im Zeitverlauf21 . Einschränkend ist anzumerken, daß in den Datenbasen der berichteten Studien mittelständische Konzerne unterrepräsentiert sind. Verläßlichere Angaben bedürften der Ausweitung repräsentativer Erhebungen auf mittelständische Unternehmen.
Deutlich größere Aufmerksamkeit ist u. E. darüber hinaus der Binnendifferenzierung der Konzernorganisationsformen zu widmen. Dies gilt insbesondere für den in der betriebswirtschaftliehen Literatur vernachlässigten Stammhauskonzern. Denn die pauschale Gleichsetzung von Holdingorganisation mit einem größeren adaptiven organisatorischen Potential in dynamischen Unternehmensumwelten bedarf der Differenzierung. Die von Mellewigt vorgeschlagene Realtypologie von Konzernen belegt, daß nur knapp 114 der Stammhauskonzerne dem Idealtypus des zentralisierten Konzerns entsprechen22. Der weit überwiegende Teil der Stammhauskonzerne weist typische Kennzeichen von Holdingkonzernen auf. "Internationale
21 Die Studie von Hoffmann (1993b) eignet sich als Vergleichsgrundlage nur mit Ein-schränkungen, weil die Stichprobe bewußt geschichtet wurde. Sie berücksichtigt die 100 größten deutschen Industrie- und Handelskonzerne, die jeweils größten 10 Bank- und Versicherungskonzerne sowie 30 ausgewählte mittelständische Konzerne.
22 Vgl. Mellewigt (1995) S. 237 ff. Die empirische Klassifikation berücksichtigt die Variablen Konzernstrategie, Entscheidungszentralisation, Einsatz technokratischer und personaler Steuerungsinstrumente, die Basis der Konzernführung, den Diversifikationsgrad, den Internationalisierungsgrad und die Größe. Insbesondere die beiden letztgenannten Variablen sind von Bedeutung für die Differenzierung der Konzernorganisation in Richtung Dezentralisation.
16 Wenzel Matiaske und Thomas Mellewigt
Stammhauskonzerne" (23 %) und ,,adaptive Stammhauskonzerne" ( 40 %) führen ihre Töchter weitgehend auf der Basis von Kapitalbeteiligungen, teilweise in Kombination mit Unternehmensverträgen, und verfolgen Wissenstransfer- und Portfoliostrategien bei vergleichsweise geringer Entscheidungszentralisation. Im Unterschied dazu klassifiziert diese Studie rund ein Drittel aller Holdingkonzerne als ,,stammhausaffin", weil sie u. a. durch einen überdurchschnittlichen Grad an Entscheidungszentralisation charakterisiert sind. Die grobe Unterscheidung typischer Konzernorganisationsformen ist also nicht hinreichend, um die praktische Vielfalt möglicher Gestaltungsformen abzubilden. Wichtige Aspekte der organisatorischen Differenzierung betrachten wir im folgenden näher.
2.2 Organisation der Spitzeneinheit
Dte Analyse der Organisation der Spitzeneinheit richtet die Aufmerksamkeit vor allem auf ein Kernproblem des Organisierens, die Frage des Zentralisierunt;sgrades. Die Organisationsprinzipien Zentralisation und Dezentralisation beinhalten neben der inhaltlichen, aufgabenbezogenen Komponente eine fomale, strukturbezogene Dimension. Faßt man Zentralisation und Dezentralisation als Verteilungsprinzipien von Aufgaben, stellt sich die Frage welche Funktionen oder Teilfunktionen von der Konzernzentrale respektive den Konzernunternehmen übernommen werden. Die Betonung des Strukturaspektes von Zentralisation und Dezentralisation rückt dagegen das gewählte Organisationsmodell einer (Teil-)Funktion und den vertikalen Zentralisierungsgrad der Entscheidungsbefugnisse in den Mittelpunkt.
Einen weitreichenden, empirisch begründeten Vorschlag, der diese Aspekte der Organisation von Konzernzentralen reflektiert, haben Krüger und von Werder vorgestellt23. Sie unterscheiden sechs Organisationsmodelle, die in der Reihenfolge zunehmenden Einflusses der Untereinheiten geordnet si~d. Zwischen den Extremformen des Kernbereichs- und des Autarkiemodells werden die Zwischenstufen Richtlinien-, Matrix-, Service- und Stabsmodell ausgearbeitet. Wir wollen diese Modelle kurz charakterisieren:
- Das Kernbereichsmodell sieht eine vollständige Ausgliederung aus den Untereinheiten vor, die in einer organisatorischen Einheit der Konzernzentrale verankert werden. Der Kernbereich liefert sowohl Entscheidungen als auch Realisierungsmaßnahmen, ohne daß diese von den Untereinheiten nachgefragt werden müssen.
- Im Fall des Richtlinienmodells sind die Untereinheiten für die operative Umsetzung von Grundsatzentscheidungen zuständig, die im zentralen Richtlinienbereich ausgearbeitet werden. Der Richtlinienbereich ist gegenüber den mit der
23 Vgl. insbesondere Krüger/von Werder (1995) sowie Krüger/von Werder (1993) und Frese (1998). Die Typologie der Organisationsmodelle basiert empirisch auf zwölf ausführlichen Firmenberichten deutscher Großunternehmen, die über ihre organisatorischen Lösungen berichten. Vgl. Frese/von Werder/Maly (1993). Vgl. vor allem Hungenberg (1995) für weitere Klassifikationen von Organisationsmodellen.
Empirische Konzernorganisationsforschung 17
entsprechenden Aufgabe betrauten Organisationseinheit in der Konzerngesellschaft weisungsbefugt
- Das Matrixmodell übernimmt die Aufgabenteilung zwischen Mutter und Tochter hinsichtlich der Ausarbeitung von Richtlinien und deren operativer Umsetzung, schwächt aber die Weisungsbefugnis der zentralen Organisationseinheit ab. Zentrale und operative Matrixeinheit sind nur gemeinsam entscheidungsbefugt und bilden zu diesem Zweck ein oder mehrere Entscheidungsgremien.
- Beim Servicemodell werden ebenfalls Aufgaben aus den Untereinheiten ausgegliedert. Die Untereinheiten entscheiden nun aber ob sie eine bestimmte Maßnahme benötigen und erteilen der zentralen Serviceabteilung den Auftrag zur Ausarbeitung der Maßnahme. Gegebenenfalls sind die Untereinheiten auch befugt, die Aufträge an den externen Markt zu vergeben.
- Zentrale Stäbe dienen der Entscheidungsvorbereitung, die in den Untereinheiten getroffen wird. Sie übernehmen Aufgaben der informationeilen und methodischen Unterstützung der Töchter.
- Im Fall des Autarkiemodells wird vollständig auf die Bildung von Zentralbereichen verzichtet. Die Untereinheiten sind sowohl entscheidungs- als auch durchführungsbefugt
Die Kombination dieser Organisationsmodelle mit verschiedenen Funktionen oder Teilfunktionen verdeutlicht das Spektrum möglicher Ausprägungen von Zentralisierung oder Dezentralisierung. So kann beispielsweise das Controlling nach dem Ausgliederungsprinzip als Kernbereich etabliert werden, wohingegen die Personalwirtschaft dem Autarkiemodell entsprechend organisiert wird. Im Vorgriff auf die noch vorzustellenden empirischen Befunde ist allerdings realistischer, daß Teilfunktionen unterschiedlich organisiert werden. Während die Personverwaltung oft in zentralen Kernbereichen angesiedelt wird, werden andere personalwirtschaftliche Teilfunktionen wie di~ Personalausstattung regelmäßig dezentraliert.
Hinsichtlich der empirischen Untersuchungen sind drei Fragestellungen von besonderem Interesse:
- Welche inhaltlichen Funktionen oder Teilfunktionen nehmen die Konzernzentralen wahr?
- Welches Modell wird zur Organisation dieser (Teil-)Funktionen in der Zentrale gewählt?
- Läßt sich ein Trend zur strukturbezogenen Zentralisierung oder Dezentralisierung zumindest bestimmter Funktionen beobachten?
Die Auswertung der Literatur (vgl. Tabelle 2) zeigt deutliche Überschneidungsbereiche der berichteten zentralen Funktionen24. Unabhängig von der Konzernorganisationsform können neben Finanzen, Controlling und interner Revision vor allem die Strategieentwicklung als Kernaufgaben der Zentrale betrachtet werden. Ferner wird die Öffentlichkeitsarbeit genannt, was allerdings wohl nur für strategische
24 Anzumerken ist, daß die Arbeiten von Schmidt (1993a), Theopold (1993), Naumann (1993) und Werdich (1993) alle auf den gleichen Datensatz wie Hoffmann (1993) beziehen.
18 Wenzel Matiaske und Thomas Mellewigt
TabeHe 2: Empirische Studien zur Organisation der Spitzeneinheit
Autor/Stichprobe
Schmidt 1993a, wie Hoffmann 1993b
Theopold 1993, 43 Stammhauskonzerne
Naumann 1993, 26 strategische Holdings
Werdich 1993, 6 Finanzholdings
Krüger/von Werder 1995, 12 Konzerne
Befunde
- TYpische Aufgaben der Zentrale sind Finanzen, Öffentlichkeitsarbeit, Controlling, Rechnungswesen sowie Forschung und Entwicklung.
- TYpische Aufgaben der Untereinheiten sind Beschaffung, Produktion, Absatz und Personal.
- Die personalwirtschaftlichen Aufgaben Führungskräfteentwicklung, Schulung/Weiterbildung, Entgelt-, Sozialpolitik und strategische Personalplanung sind eher zentralisiert.
- Personalbeschaffung, Personalcontrolling, Incentiveprogramme, Leistungsbeurteilung und operative Personalplanung sind eher dezentral organisiert.
- Die Zentrale übernimmt konzerweit in der Mehrzahl der Fälle die Aufgaben Kostenplanung, Finanz- und Steuerplanung, Revision/Controlling, Forschung u. Entwicklung sowie Organisation. In rund 50 % der Fälle zusätzlich das Personalwesen.
- Häufig gewählte Organisationsmodelle sind Zentralbereiche und Projekte. Stäbe und Komitees werden in geringerem Ausmaß eingesetzt.
- Die Zentrale übernimmt die konzernweiten Aufaben Revision/Controlling, Finanz- und Steuerplanung, Konzernplanung, Beteiligungsverwaltung sowie EDV /Organisation. F & E Aufgaben werden in 50 % aller Fälle von der Zentrale übernommen. Aus dem Bereich des Personalwesens übernimmt die Zentrale die Führungskräfteentwicklung zur Sicherung der Kontinuität.
- Häufig gewählte Organisationsmodelle sind Zentralbereiche und zentrale Stäbe. Seltener werden zentrale Komitees und gelegentlich Projekte eingesetzt.
- Die Obergesellschaft übernimmt die Aufgaben Revision/Controlling, Finanz- und Steuerplanung, Konzerplanung und Beteiligungsverwaltung. Die Töchter sind autonom in den Bereichen F & E, Beschaffung, Absatz, Personal und Organsation.
- TYpische Aufgaben der Zentrale sind das Controlling (Infrastruktur, Moderation), die Informationsverarbeitung (Infrastruktur, Datenmanagement, Netzwerk- und Kommunikationsmagement, Anwendungsentwicklung) und Personalwirtschaft (Personalverwaltung, -ausbildung). Wichtigste Organisationsmodelle sind das Kernbereichs- und das RichtlinienmodelL
Empirische Konzernorganisationsforschung 19
Tabelle 2: Empirische Studien zur Organisation der Spitzeneinheit (Fortsetzung)
Autor/Stichprobe
Mellewigt 1995, 151 börsennotierte Konzerne
Bühner 1996a/1996b, 45 strategische Holdings
Bassen 1998, 15 strategische Holdings
Befunde
- Typische Aufgaben der Untereinheiten sind aus dem Bereich des Controllings die Abweichungsanalyse, die Marktforschung und die Personalausstattung. Wichtigstes Organisationsmodell ist das AutarkiemodelL Rechenzentrum und Benutzerservice werden häufig nach dem Servicemodell organisiert.
- Typische Aufgaben der Spitzeneinheiten sind Finanzen, interne Revision, Beteiligungsverwaltung, Recht und Öffentlichkeitsarbeit.
- Typische Aufgaben der Untereinheiten sind Vertrieb, Produktion, Marketing und Einkauf.
- Gemeinsam oder zu Teilen übernommen werden Funktionen wie Personalwirtschaft, Datenverarbeitung sowie Forschung und Entwicklung.
- Stammhauskonzerne sind stärker zentralisiert als Holdinggesellschaften.
- Typische Aufgaben der Zentrale sind Finanzierung und Kontrolle, Öffentlichkeitsarbeit, Personal, Konzernadministration und Konzernstrategieentwicklung.
- Typische Aufgaben der Zentrale sind Controlling, Finanzen, Recht, Personalwirtschaft, Revision, Kommunikation und Unternehmens- sowie Konzernentwiclung.
- Typische Organisationsform des Controllings ist ein MatrixmodelL Ferner werden Richtlinienmodelle oder das Kernbereichsmodell gewählt.
Holdingkonzerne und Stammhauskonzerne gelten dürfte. Teilfunktionen überneh
men die Spitzengesellschaften in der Personalwirtschaft, der Datenverarbeitung und
Kommunikation sowie in der Forschung und Entwicklung. Weniger einheitlich ist
die Wahl der Organisationsmodelle. Tendenziell werden die Kernaufgaben zentra
lisiert, wobei allerdings eine große Varietät der gewählten Organisationsmodelle zu
verzeichnen ist. Bezüglich der von der Zentrale übernommenen Teilfunktionen fin
den sich reziprok eher dezentrale Organisationsmodelle.
Ein Trend in Richtung Dezentralisation, wie er in zusammenfassenden Studi
en über "literarische" und "praktische" Organisationsmodelle berichtet wird, läßt
sich auf Basis des empirischen Materials nicht ohne weiteres ausmachen. Es feh
len dezidierte Längsschnittsuntersuchungen, um die Pendelbewegung zwischen den
Polen Zentralisierung und Dezentralisierung genauer lokalisieren zu können. Die
Einschätzung wird darüber hinaus durch unterschiedliche Klassifikationen der Or
ganisationsmodelle erschwert. Insbesondere modische Bezeichnungen wie Cast
Center, Service-Center und Profit-Center lassen im Unterschied zu der durch Krüger
und von Werder vorgestellten Typologie den Grad der Entscheidungszentralisation
und der Handlungsspielräume der Untereinheiten nicht immer klar erkennen.
20 Wenzel Matiaske und Thomas Mellewigt
2.3 Einftußfaktoren der Konzernorganisation
Kennzeichnend für die empirische Konzernorganisationsforschung ist beim derzeitigen Entwicklungsstand, daß zur Erklärung von Konzernstrukturunterschieden auf bestimmte Kontextfaktoren zurückgegriffen wird. Häufig herangezogene Kontextfaktoren sind die Größe, die Branche und die Dynamik der Konzernumwelt Explizit oder implizit folgen viele Arbeiten also dem kontingenztheoretischem Ansatz, der den durch situative Determinanten ausgelösten Anpassungsdruck von Organisationen zum Ausgangspunkt der Erklärung von Strukturunterschieden macht25 • Die zentralen Probleme des situativen Ansatzes, der aus diesen Gründen in der Organisationstheorie seine dominierende Rolle eingebüßt hat, werden damit allerdings tradiert. Zum einen bleibt ungeklärt, welches theoretische Kriterium die Auswahl der Kontextfaktoren leitet. Zum anderen bleibt unklar, wie der implizite Determinismus des kontingenztheoretischen Denkens mit der gestaltenden Funktion des Managements in Einklang gebracht werden soll26 • Wir werden in der kritischen Würdigung der Arbeiten auf diese Problematik zurückkommen.
Bei der Befragung der empirischen Studien interessieren vor allem zwei Aspek-te:
- Welche Kontextfaktoren haben das Potential die Strukturunterschiede der Konzernorganisationen zu erklären?
- Wie wird die Auswahl der Kontextfaktoren theoretisch begründet?
Tabelle 3 zeigt die wichtigsten Einflußfaktoren der Konzerorganisation im Überblick. Als wichtigste Determinanten der Differenzierung von Konzernen sind neben der Größe der Diversifikations- und der Internationalisierungsgrad festzuhalten. Es sind also entgegen der gängigen Behauptung weniger Faktoren der externen als der internen Umwelt, welche die Konzernorganisation bestimmen. Theoretisch interessant ist vor allem die Unternehmensgröße, denn mit zunehmender Größe ist -unabhängig von der Konzernorgansationsform- ein abnehmender Grad der Entscheidungszentralisation zu konstatieren. Zumindest dieses Merkmal bürokratischer Organisation folgt also nicht der Größe. Vielmehr reagieren Konzerne auf die durch ihre Größe induzierte Komplexität mit funktionaler Differenzierung.
Eine weitergehende Reflexion dieser Ergebnisse auf organisationstheoretischer Basis fehlt allerdings zumeist. Dieser Sachverhalt hängt mit der Anlage vieler Studien zusammen, welche die rezipierten theoretischen Ansätze nicht zu einem Bezugsrahmen oder Modell integrieren, um die weitere empirische Arbeit in Form deduktiv abgeleiteter Hypothesen die Richtung zu weisen.
25 Zum situativen Ansatz vgl. Kiese:/Kubicek (1992) und Ebers (1992). 26 Zu diesen und weiteren kritischen Einwänden gegenüber dem situativen Ansatz vgl. neben
den zuvor genannten Autoren insbesondere Schreyögg (1978).
Empirische Konzernorganisationsforschung 21
Tabelle 3: Empirische Studien zu Determinanten der Konzernorganisation
Autor/Stichprobe
Rungenberg 1995, 15 Konzerne
Mellewigt 1995, 151 börsennotierte Konzerne
Bühner 1996a, 1996b, 45 strategische Holdings
Bassen, 1998 15 strategische Holding:;
Befunde
- Gründe für Zentralisation: Reduktion des Koordinationsaufwands (Experten auf Konzernebene ), einheitliche Konzernpolitik, Nutzung von Synergien (Experten auf Bereichsebene).
- Gründe für Dezentralisation: Vermeidung von Durchsetzungswiderständen, Motivation der Führung (Experten auf Konzernebene), Reduktion des Koordinationswands, Entscheidungsqualität (Experten auf Bereichsebene).
- Ferner Faktoren der internen Umwelt (Produktprogramm, Standortstruktur, Produktionstechnologie, Akquisitionspolitik, Diversifikation, Internalisierung) und externen Umwelt (Einflüsse von Kapitalgebem, Konkurrenzeinflüsse ).
- Wichtigste Gründe der Dezentralisation sind Diversifikationsgrad und Größe der Konzerne. Ferner sind Brancheneffekte zu verzeichnen.
- Ohne signifikanten Einfluß bleibt die Dynamik (Wettbewerbsdynamik, Innovationsdynamik).
- Die Anzahl der Mitarbeiter in der Konzernzentrale steigt unterporportional mit der Anzahl der Konzernmitarbeiter.
- Global agierende und stärker diversifizierte Unternehmen beschäftigen eine größere Anzahl von Mirtarbeitem in der Zentrale.
- Je komplexer die Umwelt, desto eher wird das Controlling dezentralisiert.
- Je dynamischer die Umwelt, des eher wird das Controlling zentralisiert.
3 Kritische Würdigung der Forschungsergebnisse und künftiger Forschungsbedarf
Inhaltlich konnten auf der Basis der vorliegenden empirischen Untersuchungen folgende Schwerpunkte und Defizite identifiziert werden:
Bisher stand in der betriebswirtschaftliehen Forschung der Vergleich verschiedener Konzernorganisationsformen im Vordergrund. Ein effizienz- bzw. erfolgsbezogener empirischer Vergleich der Organisationsform Konzern mit der Organisationsform Einzelunternehmung als konkurrierende wirtschaftliche Institutionen zur Abwicklung ökonomischer Transaktionen steht noch aus27 .
Neben dem Vergleich unterschiedlicher Konzernorganisationsformen bilden Untersuchungen zur strategischen Holding bzw. Managementholding einen
27 Vgl. zu diesem Forschungsdefizit auch Binder (1994), S. 229.
22 Wenzel Matiaske und Thomas Mellewigt
zweiten inhaltlichen Schwerpunkt. Untersuchungen zur effizienten Gestaltung des Stammhauskonzerns fehlen bislang. Solche Studien sind dringend erforderlich, weil der Stammhauskonzern - wie die empirischen Ergebnisse zeigen - nach wie vor die am weitesten verbreitete Konzernorganisationsform in der Praxis darstellt.
- Es spricht einiges dafür, daß der in der Vergangenheit zu beobachtende Trend zum Holdingkonzern auch in Zukunft anhalten wird. Wenn dies stimmt, dann sind Untersuchungen zur effizienten Gestaltung des Wandels von einer Konzernorganisationsform zur anderen, insbesondere vom Stammhauskonzern zur strategischen Holding besonders lohnenswert. Lediglich Hamprecht (1996) hat sich bislang mit der Gestaltung des "Übergangs" und den Konsequenzen für die Konzernorganisation und Konzernführung anhand von 3 Fallstudien auseinandergesetzt Hier fehlt nach wie vor eine empirische Fundierung.
- Da sich die bisherigen Studien auf größere Unternehmen konzentrieren, bleibt der mittelständische Konzern ein weitgehend unbekanntes Phänomen. Eine Ausweitung der Forschungsaktivitäten auf kleine Unternehmen ist einerseits wegen der inhaltlichen Besondernheiten, etwa der Bedeutung der Unternehmerpersönlichkeit oder der schwierigeren Finanzierung, von Interesse, andererseits aus methodischer Perspektive. Die geforderte Ausweitung der Sampies verlangt eine Erweiterung der Perspektive auf mittelständische Konzerne.
Das entscheidende Defizit der hier zugrunde gelegten empirischen Forschungsarbeit kann in der mangelnden theoretischen Fundierung gesehen werden. Genauer betrifft dieser Vorwurf die mangelnde Transformationsarbeit theoretischer Konzepte zur Anleitung der empirischen Arbeit. Einerseits bemühen sich insbesondere die Dissertationenen jüngeren Datums um theoretische Fundierung. Rezipiert werden neben dem situativen Ansatz vor allem institutionenökonomische Kozepte - wie die Transaktionskostenökonomie Willliamscher Prägung und Überlegungen der Principal-Agenten-Theorie- aber auch Konzepte der strategischen Unternehmensführung. Zu nennen sind neben dem marktorientierten Paradigma insbesondere resourcenorientierte Überlegungen. Der konstatierte Mangel besteht also nicht in der Kenntnis und Rezeption theoretischer Ansätze, sondern vielmehr in ihrer konzeptionellen Nutzung zur Entwicklung tragfähiger theorieprüfender Bezugsrahmen. Theorierezeption und Konzeptualisierung des emprischen Forschungsdesigns stehen allzuoft unvermittelt nebeneinander.
Die Problematik ist eng mit der methodischen Konzeption der vorliegenden Studien verbunden. Die Konzernorganisationsforschung wird hinsichtlich des Forschungsdesigns dominiert von unternehmensspezifischen Einzelfallstudien28. Daneben existieren eine Reihe von Querschnittsanalysen mit i. d. R. kleinen Stichproben ( < 50). Längsschnittuntersuchungen sind bisher mit Ausnahme der Untersuchung von Holtmann zu personellen Verflechtungen nicht durchgeführt worden.
28 Aufgrund ihrer mangelnden Generalisierbarkeit waren Einzelfallstudien jedoch nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung, vgl. hierzu u. a. die 12 Fallstudien bei Hoffmann (1993b) und die 7 Fallstudien bei Schulte (1992).
Empirische Konzernorganisationsforschung 23
Kleine Sampies oder Einzelfallstudien erschweren oder verunmöglichen die Entwicklung prüfender Designs. Dies bedeutet nicht, daß der theoretische Bezugsrahmen für die Auswahl und Interpretation des Materials bedeutungslos sein muß. Die Theorien liefern vielmehr Konzepte - wie Umweltkomplexität, Faktorspezifitiät oder Ressourcenabhängigkeit -, welche die Interpretation anleiten können. Möglicherweise führen allerdings die Schwierigkeiten im Umgang mit dem Bezugsrahmen bei mangelndem Datenmaterial zum Verzicht auf dessen Nutzung in explorativ angelegten Arbeiten. So wird in fast allen Studien - mit Ausnahme der Untersuchungern von Bassen (1998) und Mellewigt (1995)- auf die explizite Formulierung von Hypothesen gänzlich verzichtet. Folglich dominieren in der Datenauswertung deskriptive statistische Verfahren; vielfach werden nur Häufigkeiten dargestellt. Die wenigen empirischen Untersuchungen, die inferenzstatistische Verfahren verwenden, überprüfen in der Regel nur singuläre Zusammenhänge zwischen zwei Variablen. Die hohe Komplexität des Phänomens Konzernorganisation erfordert jedoch die Aufstellung und Überprüfung variablenreicher Modelle und die Analyse komplexer Abhängigkeitsstrukturen, etwa mit Hilfe der Kausalanalyse29 .
Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß es sich bei der empirischen betriebswirtschaftliehen Forschung zur Konzernorganisation nicht mehr generell um "terra incognita" handelt30. Der Großteil der vorliegenden empirischen Untersuchungen wurde allerdings Anfang bis Mitte der 90er Jahre durchgeführt. Ungeachtet des nach wie vor großen empirischen Forschungsbedarfs, ist es in den letzten Jahren ruhig geworden um die Konzernorganisationsforschung. Es hat den Anschein, daß die Forscherkaravane weitergezogen ist und sich momentan eher um Unternehmenskooperationen und Netzwerke bemüht.
Inhaltlich sind aus u. S. insbesondere Untersuchungen zum Vergleich von Einheitsunternehmen und Konzern, zur effizienten Gestaltung des Stammhauskonzerns sowie zum Übergang von einer Konzernform zur anderen wünschenswert. Wichtig ist dabei die Ausweitung der Studien auf mittelständische Konzerne, nicht zuletzt, um die Fallzahlen der Sampies zu erhöhen. Darüber hinaus besteht Bedarf hinsichtlich des Aufbaus eines Längsschnittdatensatzes, der hilfreich wäre, um die komplexen Beziehungen zwischen Strategie, Struktur und Umwelt von Konzernen abbilden zu können. Eine verbesserte Datenbasis ist schließlich auch Vorbedingung einer theoretisch fundierten, empirischen Forschung, die stärker als bisher in der Organisationstheorie verankert wäre.
Literatur
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Albach, H. (Hrsg.) (1996): Governance Structures, Zffi-Ergänzungsheft 3.
29 Vgl. Hornburg (1992), S. 499 ff.; sowie Hildebrandt/Homburg (1998). 30 Vgl. hierzu auch von Werder (1995), S. 657, der zu dem gleichen Ergebnis für das Kon
zernmanagement insgesamt (ohne empirischen Bezug) kommt.
24 Wenzel Matiaske und Thomas Mellewigt
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Wiesbaden.
Anspruch und Wirklichkeit virtueller Unternehmen Eine betriebswirtschaftliche Analyse
Klaus Macharzina und Holger J. Dürrfeld
1 Virtuelle Strukturen aus der Sicht der betriebswirtschaftliehen Theorie
Die zentralen Eigenschaften virtueller Unternehmen können durch eine Analogie aus der Physik treffend beschrieben werden: Moleküle sind die kleinsten Teile, in die man einen Stoff zerlegen kann und die dabei noch die chemische Identität des ursprünglichen Stoffes beinhalten. Sie verleihen festen Soffen Stabilität und Struktur, indem sie durch elektrische Kräfte zusammengehalten werden. In flüssigen Stoffen bewegen sich Moleküle dagegen mit Leichtigkeit und nehmen keine festen Formen an. Bestimmte Medien, die als Flüssigkristalle bezeichnet werden, verbinden die Eigenschaften von flüssigen und festen Stoffen. Damit lassen sie die Verbindung der Moleküle zu Clustern zu, die einerseits durch bestimmte Strukturen gekennzeichnet sind, sich aber je nach Umweltbedingungen auch verändern können (vgl. Tapscott, 1997, S. 38).
Werden die chemischen Begriffe in die betriebswirtschaftliche Terminologie übersetzt, so erhält man die idealtypische Charakterisierung der Hauptmerkmale virtueller Unternehmen: Moleküle als auf Kernkompetenzen reduzierte Unternehmen. Cluster als die aus der Verbindung dieser Unternehmen immer neu entstehenden netzwerkartigen Einheiten ohne zusätzliche Zentralbereiche und juristische Identität sowie fehlender Trennung zwischen klassischer Aufbau- und Ablauforganisation (vgl. Macharzina, 1995, S. 409). Variierende Umweltbedingungen bedeuten sich stetig ändernde Kundenanforderungen, und Flüssigkristalle sind als die diesen Prozeß ermöglichende Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) zu betrachten. Die gleichbleibende Struktur dieser Einheiten ist durch Vertrauen, Heterarchie, Selbstorganisation und eine gemeinsame Vision geprägt.
Wie fügt sich das Element der Virtualität in dieses Konzept? Gemäß Duden bedeutet virtuell zunächst nicht mehr als "dem Schein nach wirklich". Danach existieren virtuelle Unternehmen nur dem Schein nach, nicht aber in der Realität. Die Frage nach Schein oder Realität wird dabei durch die Betrachtungsperspektive beeinflußt (vgl. Olbrich, 1994, S. 35). Von "innen" betrachtet ist auch ein virtuelles Unternehmen real, da es die daran Beteiligten gestalten. Von der Außensicht des Kunden oder Lieferanten handelt es sich tatsächlich nur um ein Scheinunternehmen, da hinter einer Fassade aus Corporate Identity oder einem Auftritt im World-Wide-Web (WWW) keine im herkömmlichen Sinn faßbare Organisation steht. Wissenschaftlich formuliert hebt Virtualität auf das Fehlen bestimmter physikalischer Aspekte des Ursprungsobjekts ab, dessen konstitutive Merkmale aber mit Hilfe spezieller
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Zusatzeffekte über EDV realisiert werden und insgesamt zu einem Nutzenvorteil führen (vgl. Scholz, 1996, S. 204).
Dieses Spannungsfeld zwischen Realität und Schein, Praxisrelevanz und Vision bestimmt auch die Leitlinie dieses Beitrags. Ist aus betriebswirtschaftlicher Sicht das Wirtschaften in einer ,,scheinbaren Wirklichkeit" möglich und sinnvoll oder ist dieser Begriff ein Widerspruch in sich, begrenzt auf die Erzeugung einer künstlichen computergestützten Welt im Cyberspace? Die theoretische Diskussion der Fragestellung, inwieweit virtuelle Strukturen als eigenständige Organisationsform zu betrachten sind, wird durch Ergebnisse einer empirischen Untersuchung über die Verbreitung und Ausprägung virtueller Strukturen bei Unternehmen der Kraftfahrzeug-Zuliefer-Industrie in Deutschland ergänzt.
1.1 Auf der Suche nach neuen Strukturen
Die Entstehung neuer Formen von Unternehmensstrukturen kann durch eine Veränderung der Rahmenbedingungen des unternehmerischen Handeins ausgelöst oder beschleunigt werden. Neue Konzepte sind damit ein Indikator dafür, daß bisherige Lösungsansätze zur Bewältigung von veränderten Situationen immer weniger geeignet sind und an ihre Grenzen stoßen. Der Übergang zum Informationszeitalter stellt eine solche Veränderung der Rahmenbedingungen dar. Aber auch aufgrund veränderter Entwicklungen im Hinblick auf eine Individualisierung des Kundenverhaltens, Technologie und aktuelle Management-Trends lassen sich Tendenzen erkennen, die virtuelle Unternehmensstrukturen unterstützen.
Mit steigenden Qualitätsansprüchen erhöht sich weltweit die Produktionsqualität Dies trifft nicht nur Standardprodukte, sondern zunehmend auch komplexe Systeme und Prozesse wie Softwareentwicklung in Indien oder Produktion von Generika in Osteuropa. Auf diese wachsende neue Konkurrenz reagieren die etablierten Industrienationen mit dem Versuch zur Schaffung neuer Möglichkeiten der Produktdifferenzierung. Ansatzpunkte dazu bilden zunehmende Produktindividualisierung und Verkürzung der "time-to-market"-Perioden. Aufgrund ihrer hohen Anpassungsfähigkeit wird von virtuellen Unternehmen dabei die Erschließung neuer Potentiale erwartet.
Die zunehmende Entwicklungsgeschwindigkeit von Technologien, verbunden mit hoher Unsicherheit über deren Entwicklungsrichtung, stellt nicht nur für kleine und mittlere, sondern zunehmend auch für Großunternehmen ein kaum noch zu beherrschendes Risiko dar. Zudem steigt in vielen Produkten die Gesamtkomplexität aufgrund einer zunehmenden Anzahl von eingesetzten Technologien und deren systemischen Abhängigkeiten (vgl. Chesbrough, Teece, 1996, S. 67). Neben der Notwendigkeit zur Risikominderung bildet deshalb die Fähigkeit zur Realisation von Synergien zwischen unabhängigen Einheiten eine weitere Erwartung an virtuelle Unternehmensstrukturen.
Der stärkste Einfluß auf die Entwicklung virtueller Strukturen ist aber durch die rasante Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) begründet. Erst die neuen Möglichkeiten zur schnellen und kostengünstigen Übertragung großer Datenmengen unter Ausnutzung stark standardisierter Schnittstellen
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legen die Basis zu einer radikalen und kurzfristig variierbaren Arbeitsteilung unabhängig von Ort und Zeit. Groupware und Intranets bilden die IKT-Modelle für relativ abgeschlossene Organisationen, während das Internet als offenes System der interaktiven Kommunikation auch mit Dritten nahezu keine Grenzen setzt. Die Diskussion um virtuelle Unternehmen ist deshalb auch Ausdruck einer Unsicherheit über die Verteilung von Chancen und Risiken und den Umgang mit moderner IKT in traditionellen Unternehmensstrukturen. Während die Nutzung der neuen Technologie von Anhängern der Idee virtueller Unternehmen nicht nur befürwortet wird, sondern geradezu deren Basis bildet, liegen Chancen und Risiken bei dieser neuen Form der Leistungserstellung sehr dicht beieinander.
Die Antworten der Managementlehre auf steigende Anforderungen an unternehmefische Flexibilität, Erhöhung von Prozeßgeschwindigkeit und fortgesetzte Kostensenkung finden sich in den Ansätzen des Lean Managements. Werden nur die wichtigsten Strömungen betrachtet, die virtuelle Strukturen fördern können, so sind drei Aspekte relevant. Die Konzentration auf Kernfähigkeiten verbunden mit einem weitgehenden Outsourcing sonstiger Aktivitäten hat zu einer starken gegenseitigen Abhängigkeit von Lieferanten und Abnehmern geführt. Selbst die stärkste Ausprägung in Form des Single-Sourcings hat sich dabei als tragfähig erwiesen. Die Schaffung interner Märkte in Form von Profit-Centern und damit die Zergliederung von Unternehmen in dezentral gesteuerte Einheiten hat zwei Effekte verursacht. Einerseits hat sich für solche Einheiten erstmalig die Möglichkeit einer externen Vermarktung von Teilprodukten bei Fremdbezug von fehlenden Teilen der Wertschöpfungskette (im Falle der Produktion bspw. des Vertriebs) ergeben. Andererseits ist der Gedanke der "Co-opetition", die eine Zusammenarbeit auf bestimmten Wertschöpfungsstufen bei Wettbewerb auf anderen bezeichnet, innerhalb von Unternehmen sukzessiv entstanden und hat dadurch seinen revolutionären Charakter verloren (zu Co-opetition vgl. Venkatraman, Henderson, 1998, S. 43). Ein weiterer wichtiger Aspekt der Förderung virtueller Strukturen findet sich in der Prozeßorientierung. Die Zusammenführung von Experten unterschiedlicher Fachgebiete zu integrierten Teams unter Einsatz von Konzepten der Selbstorganisation und Steuerung über Zielvorgaben hat eine zeitliche Befristung und häufigere Änderung von Strukturen zur Normalität im Unternehmensalltag werden lassen.
Im Kern werden damit auch mit dem Konzept der virtuellen Unternehmen keine anderen Ziele verfolgt als mit herkömmlichen Ansätzen. Dennoch gehen virtuelle Unternehmen durch einen insgesamt radikaleren Ansatz über bestehende Organisationsmodelle hinaus, indem sie diese über bisherige Grenzen weiterentwickeln und dadurch eine verbesserte Zielerreichung versprechen.
1.2 Netzwerkartige Organisationsformen
Fällt die Abgrenzung virtueller Unternehmen zu Formen der vertikalen Integration über Konzernbildung schon aufgrund von Kapitalverflechtungen und des im Regelfall unbefristeten Engagements noch eindeutig aus, sind Kooperationsmodelle differenziert zu betrachten. Die seit einiger Zeit verstärkt diskutierten strategischen Allianzen sind gekennzeichnet durch die BündeJung von Stärken auf einzel-
Anspruch und Wirklichkeit virtueller Unternehmen 29
nen Geschäftsfeldern unabhängiger Unternehmen, meist in Form horizontaler Kooperationen. Wenn dadurch auch keine neue eigenständige juristische Einheit entsteht, so ist im Unterschied zu virtuellen Unternehmen doch eine Formalisierung über Kooperationsverträge gegeben; zudem ist die Zusammenarbeit meist längerfristig angelegt. Equity-Joint-Ventures grenzen sich von virtuellen Unternehmen noch deutlicher ab, da Ressourcen tatsächlich aus Unternehmen ausgelagert und in ein juristisch selbständiges Unternehmen eingebracht werden.
Branchenspezifische Kooperationsformen wie Arbeitsgemeinschaften (ARGE) in der Bauindustrie und Konsortien im Bankensektor sind nur noch in wenigen Kriterien von virtuellen Unternehmen abgrenzbar. Durch eine ARGE wird keine neue juristische Einheit begründet; Spezialisten setzen ihre jeweiligen Kernfähigkeiten zur Abwicklung eines befristeten Auftrags ein, und die Gemeinschaft löst sich nach Beendigung des Projekts wieder auf. Als Unterschied zu virtuellen Organisationsformen verbleibt ein hoher Formalisierungsgrad aufgrund von Projektverträgen sowie die Leistungserbringung der Beteiligten an einem Ort. Noch stärker verwischen die Grenzen zwischen Konsortien und virtuellen Unternehmen. Denkt man bspw. an Konsortien zur Aktienemission, so fehlt zusätzlich das Unterscheidungskriterium der Leistungserbringung an einem Ort. Abgesehen von wenigen formalen Elementen wie dem Konsortialführer als verantwortlichem Koordinator und entsprechenden Verträgen zwischen den Beteiligten, rückt diese Kooperationsform schon nahe an virtuelle Organisationen heran (vgl. zur Abgrenzung virtueller Unternehmen von ARGE und Konsortien Olbrich, 1994, S. 29-31; Mertens, Faisst, 1995, S. 64 f.).
Noch weniger deutlich abgrenzbar von virtuellen Unternehmen sind "strategische Netzwerke" (Jarillo, 1988). Diese werden beschrieben als eine Organisationsform zwischen Markt und Hierarchie mit komplexen, eher kooperativen als kompetitiven Beziehungen z~ischen rechtlich selbständigen, aber wirtschaftlich abhängigen Unternehmen. Gegenstand dieser Organisationsform (vgl. Sydow, 1991, S. 241 f.) sind bspw. die japanischen "Keiretsu", die aus den traditionellen ,,Zaibatsu"-Familien-Großbetrieben mit enger Verflechtung zu Politik und Finanzwirtschaft entstanden sind. Für "Keiretsu" typisch ist zudem die vorwiegend vertikale und auf Dauer angelegte Struktur der Wertschöpfungskette, die Weitergabe erfolgskritischer Informationen an Netzwerkpartner und interorganisatorische Informationssysteme. Wesentliche Unterschiede zur Idealform des virtuellen Unternehmens bestehen neben einer eindeutig vorhandenen strategischen Führerschaft des Gesamtgebildes auch in speziellen Organisationseinheiten zur Erleichterung der Koordination sowie engen Kapitalverflechtungen zwischen den beteiligten Unternehmen. Hervorzuhebendes Charakteristikum dieser Netzwerkorganisation sind enge, fast familienähnliche Beziehungen, die weniger auf vertraglicher Absicherung als vielmehr auf vertrauensvoller Zusammenarbeit und einem gemeinsamen Kulturverständnis beruhen.
Auch in Europa finden sich vergleichbare Strukturen, in denen kleine und eigenständig nicht überlebensfähige Unternehmen in ein zentral gesteuertes Netzwerk integriert sind. Vergleichbar zu Japan bilden gemeinsame Traditionen und räumliche Nähe das verbindende Basiselement Das Beispiel der norditalienischen Textil-
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industrie und der Firma ,,Benetton", die 95 % der Geschäftsaktivitäten durch Unterauftragnehmer ausführen läßt, illustriert diese europäische Variante von Wertschöpfungsnetzen. Das Kooperationskonzept zwischen ,,Benetton" und den Textilbetrieben basiert dabei auf einer starken Unternehmenskultur, Ausschließlichkeitsverträgen und einem Kommunikationsnetzwerk zur Koordinierung des Gesamtsystems (vgl. Szyperski, Klein, 1993, S. 193).
1.3 Virtuelle Unternehmen als interorganisatorische Projektorganisation
Die Diskussion über virtuelle Strukturen ist relativ neu und in ihren Festlegungen auf Merkmale und Ausprägungsformen noch im Fluß. Es lassen sich aber konstitutive Elemente virtueller Unternehmen feststellen, die in der Theorie unterschiedliche 'I}rpen begründen. Prinzipiell muß zwischen der intra- und der interorganisatorischen Ebene virtueller Strukturen unterschieden werden. Im vorliegenden Beitrag steht die interorganisatorische Ebene im Vordergrund, deren Realisierungschancen aber entscheidend von den intraorganisatorischen Voraussetzungen zum Arbeiten in Netzwerkstrukturen abhängen (vgl. u. a. Krystek, Redel, Reppegather, 1997a, s. 39 ff.).
Da das oben vorgestellte Modell strategischer Netzwerke virtuellen Strukturen am weitesten entspricht, bildet dies auch den Ausgangspunkt einer vertieften Diskussion der Merkmale und Formen virtueller Unternehmen. Gegenüber herkömmlichen Netzwerkstrukturen unterscheiden sich deren virtuelle Varianten vor allem durch die Organisation des Netzes und Steuerung der Teilnehmer, einen radikalen Ansatz des Kernkompetenzverständnisses sowie damit verbunden einer Delokalisierung, Entmaterialisierung und Temporalisierung der Kombination von Einsatzfaktoren.
Letzterer Aspekt zeigt sich darin, daß die Grenzen von Kooperationen immer wieder verschoben werden und sich im Extremfall von Auftrag zu Auftrag ändern (vgl. Spencer, Braun bei De Vries, 1998, S. 55 ff.). Nach Abschluß einer Aufgabe zerfallen virtuelle Unternehmen in ihre Einzelteile, um sich daraufhin zur Lösung neuer Aufgaben in beliebiger Konstellation erneut zu bilden. Dabei stellt das Netzwerk den Möglichkeitsraum dar, aus dem Partner gewählt werden können. Dieser unendlich große Bereich wird dadurch verkleinert, daß durch Wiederholungen erprobter Kooperationen die strukturelle Unbeständigkeit reduziert wird und das zur Zusammenarbeit notwendige Vertrauen entstehen kann. Inwieweit auch langfristige Zusammenarbeit in Netzwerken den Anspruch der Virtualität erfüllen kann, ist derzeit noch umstritten. Allgemein wird aber davon ausgegangen, daß eine kurzfristige Zusammenarbeit aufgrund des häufigeren Partnerwechsels als höher entwickelte Form virtueller Unternehmen anzusehen ist (vgl. Mertens, Faisst, 1995, S. 62). In Phasen der Netzstabilität macht die moderne IKT eine Delokalisierung und hohe zeitliche Synchronisation des Wertschöpfungsprozesses möglich, indem durch Datenübertragung, gemeinsame Nutzung von Datenbeständen und OnlineVerbindungen räumliche und zeitliche Restriktionen überwunden werden können.
Beispiele wie das Angebotserstellungsverfahren von VeriFone (Tochterunternehmen von Hewlett Packard) oder die Fehlerdiagnose bei BP belegen, daß bishe-
Anspruch und Wirklichkeit virtueller Unternehmen 31
rige Effizienzgrenzen aufgrund räumlicher Trennung durch die Möglichkeiten von IKT deutlich verschoben werden können: VeriFone erreicht durch Teamarbeit an einem Angebot bei Weitergabe des jeweiligen Arbeitsstandes von Europa über USA nach Fernost 24 Stunden Arbeitszeit (vgl. Zuberbühler, 1998, S. 18). BP überträgt bspw. Bilder defekter Bohrköpfe online an seine Bohrstationen weltweit, so daß direkt auf die Expertise verschiedener Fachleute zur Beurteilung des Schadens und seiner Ursachen zurückgegriffen werden kann (vgl. Venkatraman, Henderson, 1998, S. 45).
Die Beispiele veranschaulichen zudem eine weitere konstitutive Eigenschaft virtueller Unternehmen, nämlich die Entmaterialisierung von Einsatzfaktoren. Information und Wissen sowie Kommunikation und Beziehungen als Einsatzfaktoren für eine Problemlösung beschreiben den Kern und die Grenzen virtueller Unternehmen; sie sind nicht mehr materiell und damit nicht mehr eindeutig bestimmbar, dafür aber entsprechend variabel (vgl. Linde, 1997, S. 21 f.). Materielle oder bilanzierbare Vermögensgegenstände entsprechen nicht dem Konzept der Virtualität, sondern werden über das Netzwerk bezogen und verbleiben bei den Kooperationspartnern. Der in der Literatur vielfach vertretenen Meinung, die Entmaterialisierung betreffe zum Großteil auch die Leistungen virtueller Unternehmen (vgl. z. B. Kreikebaum, 1998, S. 134), steht eine ebenso große Anzahl von Beispielen für materielle Produkte virtueller Unternehmen gegenüber. Hier wird der letzteren Auffassung gefolgt, denn alleine aus der Zuordnung der materiellen Produktionsmittel zu den Partnerunternehmen ergibt sich nicht, daß virtuelle Unternehmen keine materiellen Produkte erstellen können.
Ein weiteres zentrales Element virtueller Unternehmen bildet die Konzentration auf Kernfähigkeiten. Unter extremer Weiterentwicklung der im Rahmen des LeanManagements postulierten Rückgängigmachung der vertikalen Integration stellen virtuelle Unternehmen i. S. einer "best-of-everything"-Organisation Spitzenunternehmen auf Zeit dar. Sie ermöglichen eine synergetische Verbindung von Kernfähigkeiten der Teilnehmerunternehmen und maximieren dadurch den Kundennutzen (vgl. Mertens, Faisst, 1995, S. 63). Nach dem Outsourcing von nicht zum Kerngeschäft zählenden (Produkt-)Modulen und der Fremdvergabe ganzer gleichfalls nicht als Kerngeschäft betrachteter Prozesse markieren virtuelle Unternehmen eine dritte Stufe in der Diskussion über die Leistungstiefe und -breite. Der Nachteil einer aus Einzelsicht logischen Spezialisierung auf Teilumfänge der Wertschöpfungskette liegt aus Gesamtsicht in Suboptimalitäten, die durch Brüche an den Unternehmensgrenzen entstehen (vgl. Scholz, 1996, S. 208). Virtuelle Unternehmen als ein aus realen Unternehmen zusammengesetztes künstliches Element sollen diesen Nachteil überwinden und durch Schaffung eines Handlungsrahmens eine friktionsfreie Verbindung der Einzeloptima ermöglichen. Im Idealfall besteht die Kernfähigkeit der virtuellen Unternehmen somit nur noch in der Koordination von KernfähigkeitsPortfolios und Beziehungen (vgl. Venkatraman, Henderson, 1998, S. 42). Dabei sollen einzelne Leistungsbausteine und Prozesse so zu einem Geschäftssystem zusammengesetzt werden, als wäre es eins (vgl. Magretta, 1998, S. 75). Economies of scale sowie Erfahrungskurveneffekte werden über die Netzwerkteilnehmer rea-
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lisiert, Economies of scope können durch Eintritt in mehrere Netzwerke entstehen (vgl. Krystek, Redel, Reppegather, 1997a, S. 212 ff.).
Flexibilität als Schlüssel virtueller Unternehmen zur Beherrschung von marktlieber und technologischer Dynamik sowie Komplexität wird durch einen hohen Grad an Formalisierung, Standardisierung und Zentralisierung behindert (vgl. Krystek, Redel, Reppegather, 1997a, S. 401). Auf hierarchischen S_trukturen basierende Systeme mit dem Anspruch einer Reduzierung von Komplexität durch Planung sind deshalb zur Steuerung von Teileinheiten für virtuelle Unternehmen nicht zielführend. Im Gegensatz dazu sind beterarebische Strukturen prinzipiell geeignet, auf unvorhersehbare Umweltveränderungen durch ein verändertes Systemverhalten zu reagieren und bilden damit aus systemtheoretischer Sicht das Fundament virtueller Organisationen (vgl. Scholz, 1996, S. 209 f.). Durch Anwendung des Prinzips der Heterarchie ist gewährleistet, daß die Führung je nach Situation neu ausgehandeJt, von anderen Partnern übernommen und somit höchste Flexibilität sichergestellt werden kann (vgl. Scholz, 1997, S. 331). Aufgrund des bewußten Verzichts auf eine Zentralinstanz zur Lenkung des Systems wird im Rahmen des systemtheoretischen Ansatzes zudem auf das Prinzip der Selbstorganisation in virtuellen Strukturen abgehoben (vgl. Scholz, 1997, S. 331 f.). Unter Anwendung der Merkmale des Selbstorganisationsansatzes (Weick, 1977, S. 38 f.) prägen virtuelle Strukturen vor allem die Gesichtspunkte der Strukturierung und Entkoppelung von Organisationsteilen durch deren Mitglieder, der Selbstkontrolle und der wechselseitige Prozeß der Organisation und Systemdurchführung. Dem Idealbild virtueller Strukturen entsprechend begründet eine gemeinsame Geschäftsidee oder Vision sowohl die notwendige Motivation als auch hinreichende Rahmenbedingung für die Entfaltung selbstorganisatorischer Prozesse.
Die Frage, inwieweit Selbstorganisation ohne Fremdorganisation realisierbar ist, macht aber eine differenziertere Betrachtung notwendig und wird durch Relativierung der Forderung nach einem totalen Verzicht auf zentrale Lenkung eingeschränkt (vgl. Scholz, 1997, S. 332 f.). Auf diese kann zwar weitgehend verzichtet werden, die entscheidende zentrale Aufgabe verbleibt aber in der Schaffung von Rahmenbedingungen, die das Entstehen spontaner Ordnungen ermöglichen. Der problematischen Eigenschaft rein heterarchischer Strukturen, aufgrund ständiger Neuorientierung mit jeweils anderen Partnern in der Vergangenheit, Erlerntes nicht nutzen zu können, setzt Scholz das Prinzip der beterarebischen Hierarchie entgegen. Dabei schaffen formale Hierarchien Rahmenbedingungen, in denen beterarebische Strukturen entwickelt werden können. Die in der Literatur häufig genannte Forderung nach einem völligen Verzicht auf koordinierende und richtunggebende Zentralbereiche in virtuellen Strukturen erhält somit eine deutliche Einschränkung. Unabdingbare Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit eines virtuellen Unternehmens ist das Vertrauen der Mitglieder untereinander. Denn nur bei Bestehen einer Vertrauenskultur werden die Teilnehmer bereit sein, strategische Ressourcen temporär in ein offenes System einzubringen (vgl. Krystek, Redel, Reppegather, 1997, S. 15). Dementsprechend ist davon auszugehen, daß dem Aufbau einer vertrauensfördernden Organisationskultur in virtuellen Strukturen elementare Bedeutung
Anspruch und Wirklichkeit virtueller Unternehmen 33
zukommt. Besonders erfolgversprechend dürfte dabei das Vorliegen ähnlicher Kulturmerkmale der beteiligten Unternehmen sein (vgl. Scholz, 1996, S. 210). Basis einer solchen Organisationskultur in virtuellen Unternehmen bildet ein internes Credo oder ein Kodex, der den Umgang untereinander und mit Kunden regelt (vgl. Braun, 1997, s. 239).
1.4 Zwei Grundtypen virtueller Unternehmen sind erkennbar
Stellen die bisher vorgestellten Eigenschaften virtueller Unternehmen generell gültige Merkmale dar, führt die Beschäftigung mit der Frage der Organisationsstrukturen zu einer Trennung in zwei Grundtypen. Die Diskussion über die Organisation des virtuellen Unternehmens wurde geprägt durch die von Davidow und Malone eingeführte Beschreibung eines ,,konturlosen Gebildes mit durchlässigen und ständig wechselnden Trennlinien zwischen Unternehmung, Lieferanten und Kunden" (Davidow, Malone, 1993, S. 15). Auch wenn dort unter Virtualität eher Begriffe wie Anpassungsfähigkeit und Interaktivität (vgl. Davidow, Malone, 1993, S. 13) an und mit Kunden sowie Lieferanten verstanden und Virtualität in ihrer reinsten Form als nicht erreichbar betrachtet wird, haben sich in der Literatur zwei Idealformen virtueller Unternehmen herausgebildet. Diese orientieren sich an den vagen Aussagen von Davidow und Malone, daß virtuelle Unternehmen am Ende keine eigenständigen Wirtschaftseinheiten mehr bilden (vgl. Davidow, Malone, 1993, S. 16).
In der extremsten Ausprägung besitzt ein virtuelles Unternehmen keine eigene Rechtsform, keinen gemeinsamen Unternehmenssitz und keine Institutionalisierung zentraler Managementfunktionen zur Kooperationsgestaltung und -Ienkung (vgl. Krystek, Redet, Reppegather, 1997, S. 13). Eine vertragliche Absicherung zwischen den Teilnehmern ist nicht vorgesehen (vgl. Mertens, 1994, S. 171). Nur durch den völligen Verzicht auf zeit- und kostenaufwendigen Gründungsaufwand kann bei dieser Ausprägung der höchste Flexibilitätsgrad erreicht werden. Diese im folgenden als Visionen-Typ bezeichnete Form virtueller Unternehmen entspricht damit der Idee der Diskussionsforen des lnternets mit basisdemokratischen Prinzipien (vgl. Fischer, 1997, S. 16). Wird dieses Gebilde nach innen durch die vorgestellten Prinzipien der Selbstorganisation sowie die gemeinsame Vision zusammengehalten, muß nach außen eine starke Corporate Identity sichergestellt werden. Dadurch soll der Gefahr, als "Scheinunternehmen" keine Marktakzeptanz zu erhalten, über einen entsprechend geschlossenen Auftritt gegenüber Kunden entgegengewirkt werden (vgl. Kreikebaum, 1998, S. 136). Die Verwendung von Markennamen erscheint dabei als geeignetes Mittel; virtuelle Markenorganisationen werden bereits als ,,Brand-Net Companies" bezeichnet (vgl. Wilde, 1997, S. 108). Der Visionen-Typ beschreibt damit die faszinierende, aber realitätsferne Kombination der Vorteile der güterwirtschaftlichen Koordinationsalternativen Markt und Hierarchie bei Ausschaltung der jeweiligen Nachteile. Werden gegen die Argumente der Marktkoordination wie Zeitvorteile, Kompetenzgewinn und Zuwachs an Variabilität die Nachteile aus Sicht der Transaktionskostentheorie gespiegelt, so zeigt sich, daß die Konzeption des Visionen-Typs diese Nachteile aufzuheben versucht. Durch revolutionäre IKT sinken Informationskosten drastisch, und Informationen stehen
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sehr schnell oder sogar dauerhaft im Internet auf Abruf bereit ( vgl. Tapscott, 1997, S. 38). Die durch Coase (1937, S. 390 ff.) beschriebene unvollkommene Markttransparenz erhöht sich demnach deutlich, und Argumente für eine Koordination durch Hierarchie verlieren entsprechend an Bedeutung. Für internen und externen Koordinationsaufwand gilt die genannte Kostensenkung und Aufwandsreduzierung durch IKT-Unterstützung gleichermaßen. Die komplexe Aushandlung von transaktionsbegleitenden Verträgen zwischen Anbietern und Nachfragern als weiteres Argument zugunsten der Alternative Hierarchie wird bei virtuellen Unternehmen durch Vertrauensorganisation und Netzwerk ersetzt. Die von Coase beschriebenen Anpassungskosten zwischen ausgehandeltem Vertragsinhalt und aktuellen Erfordernissen können somit erst gar nicht entstehen.
Der zweite Typ virtueller Organisationsformen unterscheidet sich vom Visionen-Typ durch das Vorhandensein einer Zentrale. Die Aufgaben der zentralen Funktionen können dabei am ehesten mit der von Brokern verglichen werden, die in das eigentliche Geschäft nicht einbezogen sind, sondern mit Informationen handeln. Durch deren Aktivitäten werden virtuelle Unternehmen faktisch begründet. Kommt diesen Brokern nur die Funktion eines eher technisch bedingten datenbezogenen Schnittstellenmanagements zwischen den Netzwerkunternehmen zu (vgl. Upton, McAfee, 1996, S. 126), so ist die Unterscheidung zum Visionen-Typ nur graduell (Informations-Broker). Werden ihnen vor allem konstitutive Aufgaben oder aufgrund zunehmender Komplexität in den Abläufen sogar zusätzlich Koordinationsund Steuerungsaufgaben überantwortet (Management-Broker), so ist das Element der Selbstorganisation virtueller Unternehmen zwar nicht mehr vollständig gegeben; aufgrund des geringen Formalisierungsgrades soll aber auch der Broker-Typ noch als Idealform virtueller Unternehmen angesehen werden. Damit rückt diese Form des virtuellen Unternehmens bereits sehr nah an die von Snow et al. (1992, S. 12) als dynamisches Netzwerk beschriebene Kooperationsform heran, bei der ein Broker gleichfalls Einzelaktivitäten selbständiger Unternehmen zusammenbringt und koordiniert. Das Unterscheidungsmerkmal zwischen virtuellen Unternehmen und dynamischen Netzwerken beschränkt sich dementsprechend nur auf den stärkeren und konstitutiven Einsatz von IKT. Die Anforderungen an die Zentrale in Form eines Management-Brokers können über Dienstleistungsprofile beschrieben werden, wie sie sich bspw. im Projekt Euregio Bodensee als nützlich herausgestellt haben (vgl. Schuh, Katzy, Eisen, 1997, S. 8 ff.). Das Beispiel von 30 Unternehmen, die sich 1995 zusammenschlossen, um als agile Produktionsbetriebe mit wechselnden Partnern neue Marktchancen zu erschließen, kann aufgrund des stabilen Teilnehmerkreises und eines hohen Grades an juristischer Absieherungen zwar nicht als Idealform des Broker-TYps gelten, trägt aber einzelne Elemente des Konzeptes in sich.
In diesem Verbund übernimmt ein Broker die Akquisition und initiiert die Gründung einzelner virtueller Unternehmen. Der Leistungsmanager konkretisiert die Einzelleistungen und konfiguriert diese zu einer Gesamtlösung für den Kunden. Das Projektmanagement erfolgt durch den Auftragsmanager, der auch für die Produktqualität verantwortlich ist. Ansprechpartner für die zentralen Koordinatoren sind In-
Anspruch und Wirklichkeit virtueller Unternehmen 35
oder Outsourcingmanager der Partnerunternehmen. Zusätzliche zentrale Funktionen bestehen in der Aufgabe des sog. Netzwerk-Coaches, der für den Aufbau und die Pflege der Vertrauenskultur im Netz zuständig ist, und in der Aufgabe des Auditors, der die Abwicklung des virtuellen Unternehmens als Revisor begleitet. Die Analyse der für einen Zentralbereich im virtuellen Unternehmen notwendigen Funktionen weicht in diesem Beispiel nicht von Funktionen einer erfolgreichen Projektabwicklung in nicht-virtuellen Strukturen ab. Damit stellt sich die Frage, inwieweit die beschriebenen virtuellen Strukturen einem Praxistest tatsächlich standhalten oder ob das Konzept nur über den Wegfall weiterer konstituierender Merkmale operationalisierbar ist, und damit die Eigenschaft des Virtuellen in den Hintergrund tritt.
1.5 Grenzen des Konzepts der virtuellen Unternehmen
Wird nur das Kriterium der juristischen Unselbständigkeit virtueller Unternehmen auf Praxistauglichkeit untersucht, muß festgestellt werden, daß kein in der Literatur beschriebenes Beispiel dieser Anforderung genügt. Die Gefahr, aufgrund fehlender Regelungen für Garantie oder Produkthaftung als "Scheinunternehmen" zu wenig oder keine Marktakzeptanz zu gewinnen, kann alleine durch Maßnahmen im Bereich der Corporate Identity nicht beseitigt werden. Die Lösung dieser Problematik kann ausschließlich über die juristische Legitimation der Unternehmenszusammenschlüsse nach außen sowie Absicherung der Partnerbeziehungen untereinander erfolgen (vgl. Scholz, 1994, Sp. 2934 ff.). Hier sind auch Fragen im Hinblick auf Haftungsbegrenzung, Lizenzrechte und Arbeitsverträge relevant. Um die Gründungsphase eines virtuellen Unternehmens trotzdem schnell und effizient gestalten zu können, sollte ein modulares und vorbereitetes Vertragskonzept zur Anwendung kommen (vgl. Schuh, Katzy, Eisen, 1997, S. 9).
In Verbindung mit der juristischen Absicherung virtueller Unternehmen ist der Umgang mit Zentralfunktionen von Bedeutung. Die in der theoretischen Diskussion dominierende Forderung nach permanent wechselnden Netzwerkkonstellationen und der damit verbundenen Neuverteilung von Aufgaben und Kompetenzen in Abhängigkeit des sich ändernden situativen Kontexts betont die Instabilität virtueller Strukturen. Ist der Visionen-Typ, den diese hohe Instabilität auszeichnet, eher als theoretisches Konstrukt zu betrachten, wird sich aber auch die Reduktion zentraler Bereiche auf die Funktion eines Brokers bei Vorliegen eines juristisch legitimierten Unternehmens nicht aufrecht halten lassen. Einerseits entstehen dabei zusätzliche typische Zentralaufgaben aufgrund der eigenen Rechtspersönlichkeit, andererseits sind die angestrebten Effizienzsteigerungen nur unvollständig erreichbar, wenn auf die Erzielung von Skaleneffekten bei repetitiven Kernfunktionen verzichtet wird. Funktionen mit einem hohen Rationalisierungs- und Routinisierungspotential, wie dies beim Finanz- und Rechnungswesen der Fall ist, sollten daher effizienter über relativ stabile organisatorische Strukturen abgebildet werden (vgl. Krystek, Redet, Reppegather, 1997a, S. 406). Diesem Gedanken entspricht das Modell einer Organisation mit einem dauerhaft existenten Kernunternehmen, das logistisch-funktionale Aufgaben wahrnimmt und die Koordination dezentraler, temporärer Einheiten vornimmt. Dieses Modell wird als bipolare Organisation beschrieben, bei der autonome
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Geschäftseinheiten des Kernunternehmens über Kooperationen mit Dritten die virtuelle Grenze des Unternehmens bilden (vgl. Krystek, Redel, Reppegather, 1997a, S. 407). Bei dieser Organisationsform liegt bereits ein Abgehen von den konstituierenden Eigenschaften idealer virtueller Unternehmen vor. Mit der Einbeziehung von Geschäftsbereichen als Akteure im operativen Geschäft werden wichtige konstitutive Merkmale virtueller Unternehmen, nämlich der Verzicht auf zentrale Koordination und juristische Legitimation, aufgegeben. Elemente des Virtrialitätskonzepts wie ein hoher Grad an Selbststeuerung innerhalb abgesteckter Grenzen, eine starke Prozeßorientierung oder Unterstützung der Koordination von Aktivitäten und Partnern durch modernste IKT und starke Konzentration auf Kernfähigkeiten bleiben davon allerdings unberührt. Dennoch muß bezweifelt werden, ob für diese Unternehmensform der Begriff virtuell noch gerechtfertigt ist.
Die extreme Reduktion unternehmerischer Aktivitäten auf Kernfähigkeiten muß auf ihre Tragfähigkeit sowohl auf der intra- als auch auf der interorganisatorischen Ebene überprüft werden. Aus intraorganisatorischer Sicht wird die Unternehmerische Überlebensfähigkeit immer dann gefährdet sein, wenn die Beherrschung der notwendigen Systemkompetenz nicht mehr gegeben ist. Die Unterscheidung in autonome und systemische Entwicklungen verdeutlicht den Ansatz (vgl. Chesbrough, Teece, 1996, S.65 ff.). Autonome Entwicklungen sind unabhängig von anderen Entwicklungen oder beruhen auf Industriestandards oder festen Designregeln. Damit ist Outsourcing von Produkten und Dienstleistungen, die auf solchen Entwicklungen beruhen, nicht kritisch zu sehen; vielmehr hat es den Vorteil, daß der Anschluß an aktuelle Erfordernisse gewahrt bleibt. Systemische Entwicklungen, die auf dem Know-how mehrerer Personen oder Einheiten aufbauen oder auf Erfahrungen und Beziehungswissen beruhen, sollten für Outsourcing-Überlegungen oder Weitergabe über Kooperationen nicht zur Diskussion stehen. Wo Markterfolg gerade auf der Zusammenführung und Koordination verschiedener Wissensgebiete beruht, ist die ganzheitliche Verfolgung von Entwicklungen und die Beherrschung verschiedener Technologien durch eine Organisation entscheidend. Auch Technologien, die noch am Anfang ihrer Entwicklung stehen, damit in ihrer Entwicklungsrichtung noch gestaltbar sind, und deren Integration in andere Systeme noch nicht absehbar ist, eignen sich nicht für virtuelle Strukturen. In diesen Fällen ist Konstanz und Nachhaltigkeit bei der Verfolgung eines Ziels, aber auch die Fähigkeit zur Marktbeeinflussung nur über stabile und langfristig orientierte Organisationsstrukturen gewährleistet. Die auf schnellen und kurzfristigen Markterfolg gerichtete Idee fluider Unternehmen ist im Gegensatz dazu eher für etablierte Technologien geeignet.
Auf der interorganisatorischen Ebene ist einerseits fraglich, ob komplexe systemische Entwicklungen ohne starke Koordination per se gelingen können. Zudem ist die Gefahr eines Know-how-Abflusses oder Opportunismus von Netzwerkteilnehmern vorhanden. Die in der Literatur verschiedentlich als Ausprägungsform virtueller Wertschöpfung beschriebene Entwicklung und Produktion des Kleinwagens Smart belegt, mit welchen Problemen eine über das gängige Maß an Outsourcing verbundene Fremdvergabe von Teilen der systemischen Entwicklungstätigkeit behaftet ist (vgl. Wütherich, 1998, S. 55). Unabhängig davon ist kritisch zu hinterfra-
Anspruch und Wirklichkeit virtueller Unternehmen 37
gen, inwieweit das Smart-Konzept bei Anwendung strenger Maßstäbe als Beispiel für virtuelle Entwicklungs- und Produktionsstrukturen tatsächlich geeignet ist. Die sehr starke zentrale Koordination spricht u. E. eher gegen das Vorliegen virtueller Strukturen. Das Beispiel verdeutlicht aber, daß Probleme bei extremer Fremdvergabe systemischer Entwicklungsumfänge von der Organisationsform unabhängig sind. Im Falle virtueller Strukturen dürften sich die Koordinationschwierigkeiten aufgrundabnehmender Zentralaktivitäten tendenziell noch verstärken.
Die Entwicklung der Marktposition von IBM bei PCs in den 90er Jahren illustriert die Gefahr von Opportunismus und Know-how-Abtluß durch Vergabe von Kernkompetenzen in Netzwerken. Der 1981 von IBM vorgestellte PC wurde aufgrund des Zukaufs der entscheidenden Komponenten Prozessor und Betriebssystem in der Rekordzeit von nur 15 Monaten entwickelt und konnte damit dem MarktführerApple schnell große Marktanteile abnehmen. Aber die für die Entwicklungsvergabe der Komponenten sowie für die Programmentwicklung notwendige Offenlegung der Systemstrukturen des PC führte aus Sicht von IBM zu einem Verlust bei der Steuerbarkeil der Entwicklungsrichtung der Komponenten und deren Vermarktung durch die Produzenten an andere Hersteller. Dadurch konnten andere PC-Hersteller IBM-kompatible Produkte herstellen, identische Programme verwenden und über dieselben Vertriebswege vermarkten. Der PC-Marktanteil von IBM in den USA sank zwischen 1985 und 1995 von über 40 % auf 7 % ( vgl. Chesbrough, Teece, 1996, S. 68 f.).
Das Konzept der Vertrauensorganisation als weiteres Merkmal virtueller Strukturen ist gekennzeichnet durch das Spannungsfeld von kurzlebigen, instabilen Strukturen und der zum Aufbau von Vertrauen notwendigen Zeit und Konstanz in den Beziehungen. Diese Situation wird treffend durch den Begriff des Vertrauensdilemmas charakterisiert (Picot, Neuburger, 1997, Sp. 4219). Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob dem Konzept virtueller Strukturen nicht ein immanenter Widerspruch zugrundeliegt Abgesehen vom zeitlichen Aspekt sind auch das Fehlen und die Einschränkung von Kontrollmöglichkeiten in virtuellen Strukturen problematisch, da Vertrauensbildung ohne Kontrolle im wirtschaftlichen Umfeld schlecht vorstellbar ist. So erwächst Vertrauen gerade erst aus der gegenseitigen Kontrolle vereinbarter Meilensteine und verbessert dadurch Zug um Zug die Basis einer künftigen Zusammenarbeit (vgl. Womack, Jones, 1994, S. 102). Die Bedenken gegen grenzenlose Fluidität virtueller Strukturen im Zusammenhang mit dem Konzept der Vertrauensorganisation werden noch verstärkt, wenn man berücksichtigt, daß der Erhalt eines bestimmten Vertrauensniveaus an die kontinuierliche Aufrechterhaltung von Beziehungen geknüpft ist, da Vertrauen dauernder Bestätigung bedarf (vgl. Krystek, Redel, Reppegather, 1997a, S. 412). In diesem Zusammenhang sind auch Lieferantenwechselkosten zu erwähnen, deren inhaltliche Zusammensetzung im Rahmen der Diskussion um virtuelle Unternehmen vielfach vereinfachend auf die sinkenden Aufwendungen für Schnittstellenmanagement im IKT-Bereich reduziert wird. Die tatsächliche Höhe von Lieferantenwechselkosten wird dabei vielfach unterschätzt (vgl. 'Yomack, Jones, 1994, S. 103).
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Die aus systemtheoretischer Sicht bereits oben diskutierte wenig sinnvolle Gestaltung selbstorganisatorischer Strukturen ohne einerseits fördernde, andererseits begrenzende fremdorganisatorische Maßnahmen stellt das Konzept der virtuellen Unternehmen auch in dieser Hinsicht in Frage. Schließlich sind die virtuellen Produktionsfaktoren Wissen und Information insbesondere aus einer ganzheitlichen Sicht des Wertschöpfungsprozesses für die Diskussion der Grenzen virtueller Unternehmen bedeutsam. Aus dieser Perspektive beruht eine ganzheitliche Prozeßsicht auf der Zusammenführung von Funktionswissen aus Fachabteilungen und prozeßumfassendem Produktwissen aus den wertschöpfungsnahen Bereichen in sog. wertschöpfenden Prozeß-Teams (Womack, Jones, 1994, S. 101 f.). Die Bildung solcher interfunktionaler Teams ist aber nur dann erfolgversprechend, wenn ein regelmäßiger und geplanter Mitarbeiteraustausch zwischen funktionen- und produktorientierten Bereichen stattfindet, um beide Sichtweisen zu verstehen und integrieren zu können. Dieses erfordert Zeit und Konstanz der am Prozeß beteiligten Einheiten. Die Bedeutung von Funktionalbereichen als ,,Schulen" für die Erarbeitung von Best-Practice-Richtlinien ist zeitaufwendig; die anschließende Umsetzung in Projektteams erfordert Konstanz in Beziehungen auch zu Dritten. Andernfalls kann der Prozeß nicht den entsprechenden Reifegrad erreichen und seine volle Wirksamkeit entfalten. Die Übertragung auf das Konzept der virtuellen Unternehmen spricht gegen einen kurzfristigen Umbau und für eine langfristige Ausrichtung von Wertschöpfungspartnerschaften zumindest bei komplexen Entwicklungs-, Produktions- und Dienstleistungsprozessen.
2 Virtuelle Strukturen in der deutschen Kfz-Zulieferindustrie?
Die Diskussion der Fragestellung nach den in der Literatur genannten Merkmalen und Ausprägungsformen virtueller Unternehmen wird um den Ansatz einer empirischen Prüfung ergänzt. Dazu wurde bei 230 in Deutschland ansässigen Unternehmen aus der Kfz-Zulieferindustrie eine schriftliche Befragung durchgeführt. Die Kfz-Branche wurde gewählt, da diese bei der Umsetzung neuer organisatorischer Konzepte sehr häufig eine führende Rolle in der Industrie einnimmt. Daher wurde vermutet, daß dies auch für die noch in einer frühen Entwicklungsphase stehenden virtuellen Strukturen gelten könne.
Die geringe Rücklaufquote von 16% (37 Unternehmen) trotzeiner vier Wochen nach Versendung der Fragebögen erfolgten Erinnerung kann sowohl als Hinweis darauf interpretiert werden, daß die Thematik in der Branche nicht von hoher Relevanz ist oder aber in Teilen bereits so stark Normalitätscharakter angenommen hat, daß sie als eigenständige Problematik nicht mehr wahrgenommen wird. Unter den genannten Rückmeldungen befanden sich allerdings 16 Unternehmen, die eine Beantwortung des Fragebogens aufgrund einer generellen Überlastung mit Befragungen ablehnten. Damit liegt die Überlegung nahe, dieses Motiv für die Nichtbeantwortung könnte auch bei den restlichen Unternehmen vorherrschend gewesen sein. Aufgrund dessen sollte sich die Wissenschaft selbstkritisch fragen, ob nicht vielleicht ganze Branchen durch empirische Untersuchungen überbelastet wurden
Anspruch und Wirklichkeit virtueller Unternehmen 39
und inwiefern das Verfahren der schriftlichen Befragung zur Erhebung empirischer Daten noch einsetzbar ist. Als Ergebnis der empirischen Erhebung lagen für die Auswertung letztlich 21 Datensätze (9 % aller verschickten Fragebögen) vor. Ein Unternehmen wurde aus der Untersuchung genommen, da es sich um einen reinen Teilehersteller handelte. Alle anderen Unternehmen bezeichnen sich als Moduloder Komponentenhersteller und bilden im Hinblick auf die Komplexität der hergestellten Produkte eine homogene Gruppe. Obwohl insgesamt nur eine kleine Stichprobe vorliegt, sollen die Befunde dennoch vorgestellt werden, da im Zusammenhang mit dem gestellten Thema einige interessante Entwicklungen zu beobachten sind. Auf tiefgehende statistische Analysen wurde aufgrund der kleinen Stichprobe aber verzichtet. Die getroffenen Aussagen sollten daher in der Tendenz eher als explorative Indikatoren für bestimmte Entwicklungstrends denn als statistisch breit abgesicherte Erkenntnisse verstanden werden. Gleichwohl kann die Datenqualität der letztlich ausgewerteten Fragebögen als sehr gut bezeichnet werden.
2.1 Studiendesign und Klassifizierung der Ergebnisse
Das Fragebogendesign verzichtete auf die Nennung des Begriffs virtuelles Unternehmen, um zu verhindern, daß sich Unternehmen von vornherein als virtuelle Organisation bezeichnen, nur weil der Begriff als Kennzeichen für Progressivität verstanden werden könnte. Vielmehr wurde versucht, über gezieltes Abfragen der im vorderen Teil diskutierten Merkmale entsprechende Unternehmensprofile nachzuzeichnen, die eine Bewertung der empirischen Ergebnisse im Hinblick auf die Ausprägung virtueller Strukturen anhand konkreter Kriterien erlaubt. Der Aufbau des Fragebogens orientierte sich deshalb am Ergebnis aus der theoretischen Diskussion. Danach werden virtuelle Strukturen durch die Kombination aus einer Zergliederung des Wertschöpfungsprozesses, ausgedrückt durch eine entsprechend geringe Fertigungs- und Prozeßtiefe aufgrund einer Konzentration auf Kernfähigkeiten, als auch durch die hier unter dem Begriff Auflösung der Organisation subsumierten organisatorischen Merkmale beschrieben. Abbildung 1 veranschaulicht diese Überlegungen für die im ersten Teil des Beitrags beschriebenen Typen virtueller Unternehmen.
Um die Erfassung dieser zwei Dimensionen zu erleichtern, wurde der Grad der Zergliederung des Wertschöpfungsprozesses durch fünf Kategorien vorgegeben. Dabei sollten die Unternehmen angeben, inwieweit sie an einer projektbezogenen Zusammenarbeit mehrerer selbständiger Unternehmen beteiligt waren, deren Ergebnis durch den gemeinschaftlichen Einsatz der jeweiligen Unternehmerischen Kernfähigkeiten zustande gekommen ist. Die Kategorien möglicher Fertigungs- und Prozeßtiefen werden in Tabelle 1 beschrieben:
Diese Kategorisierung bildet das Grundmuster bei allen Fragen der Untersuchung. Für die Auswertung wurde jeweils der im Hinblick auf mögliche virtuelle Strukturen höchste Grad der erreichten Arbeitsteilung berücksichtigt. Quer zu dieser Einteilung wurden die organisatorischen Merkmale virtueller Organisationen abgefragt. Abbildung 2 zeigt Schwerpunkte der Stichprobe im Hinblick auf die Höhe der Fertigungs- und Prozeßtiefe sowie der Umsatzgrößenklassen.
40 Klaus Macharzina und Holger J. Dürrfeld
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Abbildung 1: In der Befragung betiicksichtigte Dimensionen virtueller Strukturen
Die Stichprobe konnte in zwei Gruppen geteilt werden. In der ersten Gruppe sind diejenigen Unternehmen zusammengefaßt, die an einer projektorientierten Zusammenarbeit beteiligt waren, bei der vom Auftraggeber aufgrund seiner Konzentration auf Kernfähigkeiten bedeutende Komponenten oder Module des Endprodukts bzw. Prozeßabschnitte fremdbezogen wurden. Damit steht diese Gruppe stellvertretend für Projekte, bei denen der Auftraggeber selbst noch eine relativ hohe Fertigungs- bzw. Prozeßtiefe behalten hat und damit eine im Vergleich zu virtuellen Strukturen eher konventionelle Fertigungs- und Prozeßtiefenstrategie verfolgt. Die zweite Gruppe bilden Unternehmen, die an solchen Projekten beteiligt waren, bei denen die Fertigungstiefe des Auftraggebers so weit reduziert wurde, daß im Hinblick auf die Dimension der Zergliederung des Wertschöpfungsprozesses die Kernanforderung virtueller Unternehmen erfüllt war. In dieser Kategorie werden Projekte erfaßt, die durch Fremdvergabe vollständiger Teilprozesse sowie Fremdvergabe des Gesamtprozesses beschrieben sind. Eine weitere Unterteilung dieser Gruppe wurde aufgrund der geringen Anzahl verfügbarer Datensätze nicht vorgenommen. Aus diesem Grund wird auch auf eine weiterführende Analyse der Daten nach Unternehmensgrößen verzichtet.
Anspruch und Wirklichkeit virtueller Unternehmen 41
Tabelle 1: Kategorien der Fertigungs- und Prozeßtiefe
Kurzbeschreibung
Fremdbezug von Komponenten und/oder Modulen
Fremdbezug von Prozeßabschnitten
Fremdbezug von Teilprozessen
Fremdbezug des Gesamtprozesses, Koordination durch den Auftraggeber
Fremdbezug des Gesamtprozesses, gemeinschaftliche, gleichberechtigte Koordination durch alle Beteiligte
Detailbeschreibung
Der Auftraggeber hat sich auf wenige Kernfähigkeiten konzentriert und auch bedeutende und komplexe Komponenten/Module des Endprodukts fremdbezogen. Kernprozesse wie Steuerung der Gesamtentwicklung, Endmontage oder Vertrieb wurden aber nicht fremdvergeben.
Der Auftraggeber hat neben der Fremdvergabe bedeutender Komponenten auch begonnen, bestimmte Prozeßabschnitte innerhalb von Gesamtprozessen (z. B. Dokumentation innerhalb der Entwicklung) fremdzubeziehen, die jeweilige Gesamtprozeßsteuerung aber behalten.
Der Auftraggeber hat neben der Fremdvergabe bedeutender Komponenten nicht nur Prozeßabschnitte, sondern auch komplette Teilprozesse fremdvergeben.
Der Auftraggeber hat keinen Teilprozeß mehr selbst durchgeführt, sondern nur noch deren Koordination gesteuert.
Alle am Projekt Beteiligten haben die Koordination und Steuerung gemeinschaftlich und gleichberechtigt durchgeführt.
Bei einer Grobanalyse der Unternehmensgrößen bleibt als Ergebnis aber festzuhalten, daß für die Gruppe mit Projekterfahrung bei relativ hohen Fertigungsund Prozeßtiefen keine eindeutigen Aussagen zur vorherrschenden Größenklasse vorgenommen werden können. Die Gruppe der Unternehmen mit Projekterfahrungen bei entsprechend geringeren Fertigungstiefen ist dagegen durch große und mittelgroße Unternehmen geprägt. Auffällig ist, daß eine Teilnahme an Projekten mit Fremdvergabe von Teilprozessen nur bei Großunternehmen zu beobachten ist. Dies könnte dadurch zu erklären sein, daß Auftraggeber, die ganze Teilprozesse vergeben, dies nur tun, falls der Prozeß eine entsprechende Größenordnung erreicht und dieser Umfang wiederum nur von Lieferanten entsprechender Größe durchgeführt werden kann. Zwei Unternehmen gaben an, an Formen der Zusammenarbeit mit anderen selbständigen Unternehmen beteiligt gewesen zu sein, bei denen der Gesamtprozeß i. S. der Idealvorstellung virtueller Unternehmen durch alle Beteiligten gemeinschaftlich und gleichberechtigt koordiniert wurde. Von beiden Unternehmen wurde aber darauf hingewiesen, daß sich der Gesamtprozeß auf eine Produktentwicklung bezog. In diesem Verständnis ist die inhaltlich korrekte Abgrenzung die-
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Abbildung 2: Fertigungs-/Prozeßtiefe sowie Schwerpunkte der Umsatzgrößenklassenverteilung
ser Einschätzung von der Kategorie Teilprozesse nur schwer möglich. Da bei letzterer nicht eindeutig abgefragt wurde, wie viele Teilprozesse fremdvergeben wurden, wäre sogar eine höhere Komplexität als bei den Entwicklungsprozessen denkbar. Für die Auswertung wurde aus diesem Grunde eine Zusammenführung der Kategorien Teilprozesse und Gesamtprozesse vorgenommen. Da als differenzierendes Kriterium dieser Untergruppen aber die gemeinschaftliche Koordination als bedeutendes Kriterium virtueller Strukturen verbleibt, wird auf die Untergruppe Gesamtprozesse im Rahmen der weiteren Erörterung im Einzelfall gesondert eingegangen. Die Kategorie einer Fremdvergabe des Gesamtprozesses bei Koordination durch den Auftraggeber (Brokermodell) wurde durch keines der befragten Unternehmen besetzt.
Unabhängig vom Grad der Arbeitsteilung läßt sich bereits in dieser Phase der Analyse feststellen, daß die Konzentration auf Kernfähigkeiten und das jeweils damit verbundene Outsourcing der Nicht-Kernfertigungsumfange in der Kfz-Zulieferindustrie stark ausgeprägt sind. Lediglich 3 Unternehmen (15 %) gaben an, an den beschriebenen neuen Kooperationsformen nicht beteiligt gewesen zu sein.
Anspruch und Wirklichkeit virtueller Unternehmen 43
2.2 Gründe für das Zustandekommen neuer Formen der projektbezogenen Zusammenarbeit
Im ersten Teil der Befragung wurde nach den Motiven für das Zustandekommen neuer Formen der projektbezogenen Zusammenarbeit zwischen selbständigen Unternehmen gefragt. Gemeinsamkeiten beider Gruppen sind gering ausgeprägt. Sie
liegen einmal in der herausragenden Bedeutung des Arguments einer zunehmenden Technologievielfalt und Produktkomplexitäten, die eigenständig nicht mehr darstellbar sind und deshalb über Kooperationen realisiert werden. Zum anderen wird die Individualisierung der Nachfrage als Auslöser einer notwendigen Leistungserweiterung in der Argumentation für zunehmendes Outsourcing übereinstimmend selten genannt. Stärker als die Gemeinsamkeiten fallen die Unterschiede zwischen den betrachteten Gruppen aus. Die in der Virtualitätsdiskussion vielfach genannten Argumente der Erschließung neuer Segmente sowie einer möglichen Risikoteilung durch Fremdvergabe werden in signifikantem Umfang nur von Unternehmen genannt, die tatsächlich an Projekten mit entsprechend hoher Prozeßzergliederung beteiligt waren. Hauptargumente für die deutliche Reduzierung der Fertigungs-/Prozeßtiefe bilden aber Zeitgewinne in der Abwicklung des Gesamtprozesses und die Möglichkeit, diskontinuierliche Technologieentwicklungen und die Verkürzung der Technologiezyklen durch das Abstützen auf Spezialisten besser abfangen zu können. Auffällig
ist bei dieser Gruppe zudem, daß die Möglichkeit eines Lieferantenwechsels zur Gewinnung von Flexibilität nicht genannt wird. Dies mag als erster Hinweis darauf interpretiert werden, daß dem in der Diskussion über virtuelle Unternehmen vielfach genannten Hauptziel einer Steigerung der Flexibilität von der Praxis eine wesentlich geringere Bedeutung beigemessen wird, als die Theorie vermutet. Die
in der wissenschaftlichen Diskussion virtueller Strukturen vielfach überstrapazierte Fokussierung auf den Aspekt der Kernfähigkeiten wird als Argument für das Zustandekommen neuer Kooperationsformen zwar in mehr als der Hälfte aller Fälle genannt, erreicht damit aber nicht die ihr in der Literatur beigelegte herausragende Bedeutung. Diese Ergebnisse können somit als Beleg für die Richtigkeit der innerhalb unserer Diskussion aufgezeigten Gefahren einer zu kompromißlosen Konzentration auf Kernfähigkeiten verstanden werden.
In einer Gesamtbewertung der Gründe für das Zustandekommen neuer Formen der Zusammenarbeit zeigt sich, daß der klassische Fremdbezug auch bedeutender Komponenten oder Module von den Unternehmen nicht als Möglichkeit gesehen wird, sich in größerem Rahmen Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Vielmehr liegt
die Vermutung nahe, der entsprechende Fremdbezug von Komponenten und Modulen sei für die Unternehmen bereits zur Normalität geworden und nur zur Absicherung des bestehenden Geschäfts geeignet. Nur mit einem der Idee der virtuellen Un
ternehmen entsprechenden, deutlich Weitergehenderen Outsourcing-Ansatz verbinden die Unternehmen den Anspruch, Wettbewerbsvorteile aufbauen zu können. Bis
auf die dargestellten Themenbereiche Individualisierung der Nachfrage und Flexibilität beim Lieferantenwechsel entsprechen die Befragungsergebnisse damit weitgehend den theoretischen Erwartungen. Abbildung 3 zeigt die Ergebnisse in der Übersicht.
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Abbildung 3: Gründe für das Zustandekommen neuer Formen der projektbezogenen Zusammenarbeit in Prozent der befragten Unternehmen
2.3 Voraussetzungen neuer Formen der projektbezogenen Zusammenarbeit
Mit der Frage nach Voraussetzungen für die neuen Formen der Zusammenarbeit werden einige der in der wissenschaftlichen Diskussion häufig genannten Aspekte auf ihre praktische Relevanz überprüft. Überwiegend bestätigen die Ergebnisse dabei unsere Argumentation aus dem ersten Teil. Starkes gegenseitiges Vertrauen wird bei Projekten mit deutlicher Reduzierung der Fertigungstiefe von rund 90 % der Befragten als entscheidende Voraussetzung für die unternehmefische Zusammenarbeit genannt. Aber auch die mit 67 % immer noch hohe Bedeutung des gegenseitigen Vertrauens in der Gruppe der Komponentenbezieher belegt den Stellenwert dieses Faktors und macht deutlich, daß nicht erst extreme Formen der Unternehmerischen Zusammenarbeit gegenseitiges Vertrauen notwendig machen. Insofern ist die starke Betonung des Themas Vertrauensbildung in der Auseinandersetzung mit virtuellen Unternehmen zwar einerseits berechtigt, aber andererseits auch nicht überzubewerten, da es sich dabei nicht um entscheidend innovative und ausschließlich mit dieser Form der Unternehmerischen Kooperation in Verbindung zu bringende Zusammenhänge handelt. Als weitere zentrale Voraussetzung für das Zustandekommen neuer Formen der Kooperation sehen beide Gruppen übereinstimmend eine langjährig erprobte Zusammenarbeit zwischen Lieferant und Abnehmer. Indirekt ergibt sich aufgrund dieses Ergebnisses auch eine Antwort auf die Frage nach Formen und Möglichkeiten zur gegenseitigen Vertrauensbildung. Nach wie vor scheinen die Faktoren Zeit und Erfahrung zur Bildung von Vertrauen zu dominieren. Diese Ergebnisse werfen auch auf die in der Literatur häufig genannte Ansicht, eine
Anspruch und Wirklichkeit virtueller Unternehmen 45
gerneinsame Vision sei als Basis virtueller Unternehmen ausreichend, ein zunehmend kritisches Licht. In die gleiche Richtung zeigen unsere Ergebnisse im Hinblick auf die Bedeutung einer Kompatibilität der Unternehmenskulturen, die durch ihre verbindende Gemeinsamkeit gleichfalls die Bildung von Vertrauen fördern soll. Diese werden im Vergleich mit der Bedeutung einer erprobten Zusammenarbeit als nachrangig betrachtet. Eine mögliche Erklärung für dieses Ergebnis können die im nächsten Teil vorgestellten Formen der Zusammenarbeit bieten, die aufgrund des doch stark projektorientierten Charakters mit nur punktuellen Berührungspunkten der unterschiedlichen Organisationen kompatible Unternehmenskulturen nicht durchgängig voraussetzen. Im Hinblick auf die bei den Kooperationen zur Anwendung kommenden Steuerungskonzepten der Zusammenarbeit ist festzustellen, daß die Fähigkeit zur Selbstorganisation eine hohe Bedeutung erlangt. Diese ist in der Gruppe der Unternehmen mit Projekterfahrung bei extrem niedriger Fertigungstiefe erwartungsgemäß höher (64 %) als bei den Unternehmen der Vergleichsgruppe (50 % ). Im Umkehrschluß zeigt sich allerdings auch, daß bei einer signifikanten Anzahl von Unternehmen Selbstorganisationsfähigkeiten nicht als notwendige Voraussetzung für die Steuerung der Prozesse gesehen werden und wahrscheinlich eher traditionelle Steuerungsmechanismen dominieren. Vor dem Hintergrund der Bedeutung von EDV-Systemen auf allen Wertschöpfungsstufen und der Notwendigkeit einer Verschneidung dieser Systeme bei weitgehenden Formen der Zusammenarbeit ist die in der Einschätzung der befragten Unternehmen relativ niedrige Bedeutung der Kompatibilität von EDV-Systemen auf den ersten Blick überraschend. Die Ergebnisse lassen vermuten, daß EDV-Systeme von den Unternehmen als relativ schnell und mit überschaubarem Aufwand an veränderte Bedingungen adaptierbar angesehen werden. Auch von einer ungünstigen Ausgangsbasis ist ein gemeinsamer Standard einfach zu definieren und zu realisieren. Die in der Diskussion argumentierte Sichtweise einer- im Vergleich mit anderen Koordinationsaufgaben abnehmenden Bedeutung der EDV-Problematik wird von den Ergebnissen somit unterstützt. Ergänzend dazu wird vermutet, daß auf dem betrachteten hohen Kooperationsniveau Lösungen für die relevanten Fragen aus dem EDV-Bereich weitgehend vorliegen, da sie gleichsam die Voraussetzungen einer engen Zusammenarbeit bilden. Abbildung 4 zeigt die Befragungsergebnisse im Detail.
Insgesamt zeigt sich, daß sich die Voraussetzungen für Organisationsformen mit sehr starker Prozeßzergliederung nicht prinzipiell von denen mit eher traditioneller Arbeitsteilung unterscheiden. Die im ersteren Fall teilweise stärkere Akzentuierung bekannter Voraussetzungen entspricht unserer Einschätzung des Phänomens virtueller Strukturen als konsequente Weiterentwicklung bekannter und in der Unternehmenspraxis bereits vielfach umgesetzter Verhaltensmuster.
2.4 Ausprägungen der projektbezogenen Formen der Zusammenarbeit
Die in diesem Beitrag als Visionentyp beschriebene Form einer am Markt selbständig auftretenden, aber abgesehen von einer starken Corporate Identity weder über juristische Strukturen noch über sonstige Bindungsmerkmale verfügenden Organisation, fand sich in der Stichprobe nicht. Wie oben erwähnt, konnte gleichfalls keine
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Abbildung 4: Voraussetzungen für das Zustandekommen neuer Formen der projektbezogenen Zusammenarbeit in Prozent der befragten Unternehmen
der untersuchten Kooperationen der von uns als Brokermodell bezeichneten Zusammenarbeitsform zugeordnet werden. Vielmehr werden die beschriebenen Formen der Unternehmerischen Zusammenarbeit in der überwiegenden Zahl der Fälle über klassische Projektorganisationen innerhalb der bestehenden Unternehmensgrenzen abgewickelt. In deutlich geringerem Umfang wurde die Zusammenarbeit durch eine juristisch selbständige Einheit getragen. In den zwei Fällen, in denen befragte Unternehmen an einer Form der Zusammenarbeit bei gemeinschaftlicher Koordination aller Beteiligten mitgewirkt haben, wurde der Charakter der Zusammenarbeit als Projektorganisation im Rahmen bestehender Strukturen bezeichnet. Diese Form der Koordination kann somit als Weiterentwicklung einer eher zentral gesteuerten Projektarbeit zu einer unternehmensübergreifenden Form gemeinschaftlicher Projektkoordination charakterisiert werden. Sie stellt diesbezüglich einen progressiven Steuerungsansatz dar, ist aber mit virtuellen Unternehmen im engeren Sinne nicht gleichzusetzen. Die kritische Argumentation in bezug auf die Realitätsnähe weitgehend strukturloser Organisationsgebilde aus der Diskussion wird insofern durch die Empirie belegt.
Ein weiterer wichtiger Aspekt bei der Prüfung von Strukturen auf ihren Virtualitätsgrad liegt in der Beurteilung von Größe und Komplexität der für die Koordination der Zusammenarbeit notwendigen Zentralbereiche. Bereits vor einer weitergehenden Analyse zeigen die Ergebnisse, daß die Fremdvergabe kompletter Teilprozesse bzw. des Gesamtprozesses eine gegenüber eher herkömmlichem Fremdbezugsumfang veränderte Gestaltung zentraler Strukturen auslöst. Bei eher herkömmlichem Fremdbezugsumfang wird die Ausprägung der zentralen Projektstrukturen mit einer Häufigkeit von 60 % als für den Auftraggeber üblich beschrieben, führt
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im Schwerpunkt also nicht zu veränderten zentralen Strukturen. Eine vergleichbar eindeutige Tendenz ist für den Fall einer weitergehenden Reduzierung des Fremdbezugs nicht mehr erkennbar. Vielmehr kann man bei vorsichtiger Interpretation der Daten eine eher gleichgewichtige Verteilung zwischen reduzierten, gleichbleibenden und zunehmenden Umfängen zentraler Strukturen erkennen. Bei Betrachtung der Extrempositionen ist dementsprechend einerseits ein zunehmender und mit der Theorie der virtuellen Unternehmen nicht vereinbarer Anteil an zentraler Steuerung feststellbar, andererseits ist aber auch ein der Theorie entsprechender Abbau zentraler Strukturen zu beobachten. Bei einem der befragten Unternehmen fällt die extreme Reduzierung zentraler Strukturen zusammen mit einer starken Zergliederung des Wertschöpfungsprozesses sowie einer gemeinschaftlichen Projektsteuerung und -koordination durch alle Beteiligten. Somit kann in diesem Punkt von einer Nähe zu virtuellen Strukturen gesprochen werden, obwohl weitere Elemente der für virtuelle Unternehmen zu fordernden Merkmale wie bspw. ein auftragsbezogener Wechsel der an der Zusammenarbeit beteiligten Unternehmen nicht erfüllt waren.
Generell zeigt sich in bezug auf die Zusammensetzung der an den Projekten beteiligten Unternehmen eine hohe Konstanz, wenn auch in den Fällen stark reduzierter Fertigungstiefe ein auftragsbezogener Lieferantenwechsel in einer beachtenswerten Anzahl von Fällen genannt wurde. Der theoretisch abgeleitete Flexibilitätsvorteil durch eine deutlich reduzierte Fertigungstiefe wird somit von der Praxis, wenn auch in deutlich geringerem Ausmaß als erwartet, wahrgenommen und umgesetzt.
Zusammenfassend kann gesagt werden, daß bei den Zulieferem der deutschen Kfz-Industrie Teilelemente virtueller Strukturen in unterschiedlichen Mischungen durchaus vorhanden sind, daß aber bei keinem der betrachteten Unternehmen eine solche Kombination der Elemente festgestellt werden konnte, die eine vollständige Qualifizierung als virtuelles Unternehmen rechtfertigte. Unabhängig davon ist aber auf den hohen Grad der unternehmensübergreifenden Prozeßzerlegung hinzuweisen, als dessen gedankliche Fortsetzung das Konzept der virtuellen Unternehmen letztlich zu verstehen ist. In dieser Hinsicht und nur auf diese Dimension der Idee virtueller Strukturen reduziert, sind in der Kfz-Zulieferindustrie Tendenzen im Hinblick auf eine immer stärkere und engere unternehmensübergreifende Zusammenarbeit erkennbar.
Die Ergebnisse der Untersuchung bestätigen damit die Vermutung, daß virtuelle Strukturen als Zusammensetzung realer Einzelelemente zeitgemäßer Unternehmensführung aufgrund ihrer starken Überzeichnung und Kombination kaum miteinander vereinbarer Ansätze wenig praxisrelevant sind. Dennoch wurde bei den befragten Unternehmen ein sehr hohes Maß an innovativen Gestaltungs- und Steuerungselementen der unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit festgestellt, das in Verbindung mit dem hohen technischen Standard zum Erfolg der Branche beitragen dürfte.
48 Klaus Macharzina und Holger J. Dürrfeld
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Abbildung 5: Formen und Merkmale neuer Formen der projektbezogenen Zusammenarbeit in Prozent der befragten Unternehmen
2.5 Zukunftschancen von Netzwerkorganisationen
In einem letzten Fragekomplex sollte von den Unternehmen die heutige und künftige Bedeutung von Lieferantennetzwerken eingeschätzt werden. Dabei wurde differenziert zwischen dem Bezug von Standardteilen und -prozessen sowie komplexen, auf verschiedenen Technologien mit gegenseitigen Abhängigkeiten basierenden Komponenten/Modulen oder Prozessen. Für die Unternehmensgruppe, die über Projekterfahrung mit der Auslagerung ganzer Teilprozesse bzw. der Gesamtprozesse verfügt, ergibt sich folgende Einschätzung der künftigen Entwicklung: Generell wird erwartet, daß projektbezogene Formen der Zusammenarbeit aufgrund einer zunehmenden Konzentration auf Kernfähigkeiten signifikant zunehmen werden. Überraschend ist dabei die Tatsache, daß die befragten Unternehmen in der Einschätzung der heutigen und künftigen Situation kaum zwischen der Komplexität der bezogenen Leistungen unterscheiden. In der Beurteilung der Entwicklung
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Anspruch und Wirklichkeit virtueller Unternehmen 49
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- p-0,008
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Abbildung 6: Charakterisierung von Aspekten des bestehenden und künftigen Lieferantengeflechts der Unternehmensgruppe II (Projekte mit geringer Fertigungs-/Prozeßtiefe ). Durchschnittswerte der Stichprobe
des Lieferantengeflechts zeigt sich je nach Komplexität der bezogenen Leistung eine klare Differenzierung. Für Standardteile/-prozesse werden bereits die heutigen Lieferantenbeziehungen als netzwerkartiges Geflecht bezeichnet, das sich kaum noch weiter entwickeln wird. Im Falle des Bezugs komplexer Module bzw. Prozesse ist die heutige Situation nur zu einem geringen Teil durch Netzwerkstrukturen gekennzeichnet. In der Zukunft wird aber eine signifikante Zunahme netzwerkartiger Beziehungsgeflechte erwartet. Dabei wird die Bedeutung von Netzwerken für Standardteile/-prozesse auch in Zukunft höher eingeschätzt, als für komplexe Komponenten/-prozesse. Diese Einschätzung kann als erneuter Beleg dafür gelten, daß Netzwerkstrukturen in ihrer Bedeutung zwar zunehmen, aber vor allem auch im Hinblick auf eine mögliche Gefährdung der eigenen Kernfähigkeiten ihre Grenzen finden. Abbildung 6 zeigt die Ergebnisse im Detail.
3 Beurteilung des Konzepts der virtuellen Unternehmen
Die Faszination der Idee virtueller Unternehmen läßt bei genauer Untersuchung der konstitutiven Merkmale auf ihren Zielbeitrag und ihre Konsistenz mit dem Theoriegebäude sowie der Praxistauglichkeit stark nach. Vielmehr erscheint das in der
Literatur diskutierte Gesamtkonzept als Verdichtung einzelner aktueller Trends der Managementlehre mit aus der Unternehmenspraxis angereicherten Beispielen, die
jeweils aber nur Teilelemente des Konzepts umfassen. Auch der in diesen Beispielen
50 Klaus Macharzina und Holger J. Dürrfeld
festzustellende Realisierungsgrad einzelner Teilelemente der Virtualität ist vielfach weit vom theoretischen Konzept entfernt. Somit kann die Idee virtueller Unternehmen als Vision an sich aufgefaSt werden, die aus einer Extrapolation erkennbarer Richtungen aus Informatik, Organisation und Management resultiert. Wenn einerseits Prozeßorientierung und -optimierung als Ziel genannt wird, andererseits auf zentrale Koordination zugunsten reiner Selbststeuerung verzichtet wird, ist fraglich, wie sich dabei das Kernproblem einer Gesamtprozeßsteuerung, das ja gerade in der Koordination von Einzelprozessen liegt, gelöst werden kann. Im Gegensatz dazu sind Möglichkeiten und Chancen durch die Fortschritte in der Informationsverarbeitungstechnologie deutlich erkennbar. Die Bedeutung von Entfernungen schwindet, Arbeitsteilung ist in abnehmendem Maße von räumlichen Gesichtspunkten abhängig, intensivere Kommunikation zu Lieferanten oder Kunden wird vereinfacht und Prozeßzeiten verkürzen sich. Dadurch werden Zeitgewinne ermöglicht und die Abstimmung und Koordination von Prozessen kann erleichtert oder sogar verbessert werden. Andererseits wird Wissen noch leichter übertragbar als bisher und sollte als größtes Kapital der Unternehmen nicht leichtfertig in offene Netzwerkstrukturen getragen werden. Der Gewinn an Flexibilität ist somit eher theoretischer Natur und praktisch auf die auch schon vor der Diskussion virtueller Strukturen gängige Praxis einer Konzentration auf Kernprozesse bei Outsourcing von Standardprodukten und -prozessen beschränkt. Der Netzwerkgedanke erhält damit keine neuen und realisierbaren Impulse; allerdings kann moderne IKT zu einer Optimierung bestehender Verbindungen führen und Flexibilität insofern sichern, als Kosten für Informationsübertragungen und Koordination deutlich an Entscheidungsrelevanz verlieren. Der durch das Konzept der Virtualität angestrebte Ersatz von Know-how und Erfahrung durch Geschwindigkeit und Flexibilität wird Unternehmenspositionen wenn überhaupt nur sehr kurzfristig, auf keinen Fall aber langfristig absichern können.
Einem Verständnis von Virtualität als eigenständiger Strukturansatz im organisatorischen Sinne (wie funktionale, divisionaleoder matrixorientierte Organisationen) kann nicht gefolgt werden. Auch die Reduzierung von Virtualität auf den strategischen Ansatz einer Fokussierung auf intellektuelle Fähigkeiten und Wissen als unternehmerische Kernkompetenzen bei Frem~bezug von Produktionsmitteln über ein komplexes Netzwerk erscheint fast noch zu weit gegriffen (vgl. Venkatraman, Henderson, 1998, S. 33 ff.). Inhaltlich steckt hinter dem Konzept auf einem realitätsnahen Niveau vor allem der Gedanke einer weiteren Optimierung der Wertschöpfungstiefe, des Prozeßmanagements und der Nutzung von eigenem und fremdem Wissen unter Einsatz modernster IKT, ohne daß bisherige strategische Ansätze grundsätzlich in Frage gestellt werden. Den Hintergrund zu dieser Diskussion bilden die Unsicherheiten über das Verhältnis von Chancen und Risiken und den Umgang mit der sich explosionsartig entwickelnden IKT. Dadurch ist die Diskussion über virtuelle Strukturen insgesamt gewinnbringend, nur der Begriff Virtualität in Verbindung mit Organisation oder Unternehmen ist falsch gewählt, da er Assoziationen erweckt, die sich tatsächlich als unhaltbar herausstellen. Einzelne Elemente der Diskussion über virtuelle Strukturen sind dabei aber durchaus sehr realitätsnah, wie nicht nur die Bei-
Anspruch und Wirklichkeit virtueller Unternehmen 51
spiele aus der Literatur belegen, sondern auch unsere Befragung ergeben hat. Nur sollte der Begriff der Virtualität nicht als Schlagwort für ein nicht existentes Organisationskonzept verwendet werden, sondern entsprechend seiner tatsächlichen Bedeutung und damit aus Sicht der Betriebswirtschaft auf den Bereich des CyberSpace begrenzt sein. Die Simulation von Einkaufswelten oder vergleichbaren Umgehungen über EDV ist nämlich tatsächlich nur "dem Schein nach wirklich".
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Steuerungsprobleme in strategischen Netzwerken Eine machttheoretische Problematisierung am Beispiel eines Entwicklungsverbundes von klein- und mittelständischen Unternehmen
Wenzel Matiaske und Susanne Gretzinger
1 Problemstellung
Unternehmenskooperationen gelten als neuer Trend des Organisierens. Einige Autoren wie Picot/Reichwald/Wigand (1996) vermuten bereits eine Auflösung traditioneller Unternehmen und eine zunehmende Verlagerung der Leistungserstellung in Richtung von Unternehmensverbünden. Kooperationen sollen wettbewerbsrelevante Ressourcen effizienter nutzen als dies einem einzelnen Unternehmen möglich wäre. Daher werden insbesondere klein- und mittelständischen Unternehmen (KMU) Kooperationen empfohlen, die häufig allein durch Austausch oder gemeinsame Nutzung ihrer Ressourcen eine Position im Wettbewerb mit größeren Firmen behaupten können (Zentes/Svoboda 1999).
Das Spektrum von Unternehmenskooperation umfaßt eine Vielzahl hybrider Organisationsformen zwischen Markt und Hierarchie. Es reicht von losen, temporär begrenzten Arbeitsgemeinschaften, über strategische Netzwerke oder Allianzen bis hin zu JointVentures als prominentester Kooperationsform (Kabst 2000. Charakteristisch für Kooperationen ist, daß sie von den beteiligten Unternehmen willentlich eingegangen werden und die Zusammenarbeit einseitig kündbar ist (Rotering 1993, S. 6 ff.). Letzteres Kriterium grenzt Kooperationen von Übernahmen und Konzernunternehmen ab.
Der strategische Charakter von Kooperationen ist ein weiterer Aspekt, den es zu berücksichtigen gilt. Es geht in Unternehmenskooperationen darum, wie Prahalad und Hamel (1991, S. 67) mit Bezug auf Konzernorganisationen schreiben, Technologien und Poduktionsfertigkeiten zu Kompetenzen zu bündeln, so daß die Geschäftseinheiten stark genug sind, um auf sich bietende Chancen reagieren zu können. KMU stehen vor einer ähnlichen Aufgabe, sind jedoch zur Ausschöpfung von Rationalisierungspotentialen und Synergien häufig auf die Zusammenarbeit mit anderen angewiesen. Strategische Netzwerke bezeichnen als Sammelbegriff zwischenbetriebliche Kooperationen, in denen die Beteiligten eine gemeinsame strategische Zielsetzung verfolgen und aus diesem Grund Ressourcen austauschen oder zusammenlegen (Sydow 1992). Strategische Netzwerke müssen sich also nicht, was der Kooperationsbegriff nahelegt, aus gleichrangigen Partnern zusammensetzen, es ist durchaus möglich, daß ein oder auch mehrere Unternehmen Schlüsselpositionen im Netzwerk übernehmen. Ferner ist für strategische Netzwerke charakteristisch, daß die Art der Beziehung eng umrissen ist, d. h. die Zusammenarbeit beschränkt sich auf ein bestimmtes Funktionsfeld oder Projekt.
54 Wenzel Matiaske und Susanne Gretzinger
Strategische Netzwerkorganisationen gelten für die Entwicklung von Kernkompetenzen im Bereich weniger spezifischer und stark veränderlicher Ressourcen wie Forschungs- und Entwicklung (F & E) als besonders geeignet (Nolte 1999, S. 104). Dies liegt vor allem an dem hohen Ausmaß an Flexibilität, das man in Netzwerken erzielen kann. ,,Im Bereich der F & E steht in der Regel die Steigerung der Innovationsfähigkeit und die Beschleunigung des F & E Prozesses durch Vernetzung . . . im Vordergrund." (Sydow 1991, S. 241)
Wir beschäftigen uns im folgenden mit dem Fall eines strategischen Netzwerkes von KMU im Verständnis eines Tauschnetzwerkes. Die am Beipiel dieses Entwicklungsverbundes aufgezeigte Steuerungsproblematik ist aus unserer Sicht nicht auf den konkreten Einzelfall beschränkt. In strategischen Allianzen stellt sich die Problematik, daß das führende Unternehmen einerseits seine Vorrangstellung behaupten muß, um seine Rolle im Netzwerk zu bewahren, anderseits die Aufgabe hat, beteiligte Unternehmen in das Netzwerk zu integrieren. Die Integration des Verbundes gefährdet aber unter Umständen die Machtposition des Führungsunternehmens. Um dieses Steuerungsdilemma des Strategieführers im Netzwerk herauszuarbeiten, folgen wir einer klassischen methodologischen Regel. Im zweiten Kapitel diskutieren wir ausgehend vom ressourcenorientierten Ansatz des strategischen Managements die relationale Machttheorie, welche eine Verbindung von Austausch- und Netzwerktheorie vorschlägt. An diese abstrakten Überlegungen anschließend präsentieren wir im dritten Kapitel das konkrete Fallbeispiel und stellen empirische Befunde über den Entwicklungsverbund zusammen, die das Steuerungsdilemma veranschaulichen. Im Fazit werden Möglichkeiten skizziert, wie das Steuerungsproblem, wenn auch nicht gelöst, so doch zumindest gemildert werden kann.
2 Macht in sozialen Netzwerken
2.1 Ressourcenorientierung und Unternehmensstrategie
Die Diskussion um das strategische Management hat mit der Rezeption des ressourcenorientierten Ansatzes (recourced based view) einen neuen Akzent erhalten. Während die bekanntere marktorientierte Sicht, wie sie im Anschluß an die Industrieökonomik insbesondere durch Porter (1996) vertreten wird, die Orientierung an den Wettbewerbskräften innerhalb einer Branche in den Mittelpunkt der Strategieentwicklung stellt, betont der ressourcenorientierte Ansatz die Bedeutung der internen Ressourcen des Unternehmens (vgl. Hinterhuber/Friedrich 1999). Die Kernaussagen dieses Ansatzes wollen wir mit Blick auf die Kooperationsproblematik im folgenden kurz referieren.
Unternehmen - dies gilt für KMU in besonderer Weise - verfügen über begrenzte Ressourcen. Daher kann sich die strategische Ausrichtung nicht nur an den Möglichkeiten orientieren, die sich aufgrund der Wettbewerbskräfte bieten. Unternehmen müssen sich ebenso an den vorhandenen Ressourcen ausrichten und diese zu marktfähigen Wertaktivitäten ausbauen. Dieser Gedanke wurde in der Diskussion seit Beginn der 80er Jahre als ,,ressource based view of the firm" bezeichnet (Wernerfelt 1984, Barney 1986; Grant, 1995). Die Grundidee geht auf Penrose (1959)
Steuerungsprobleme in strategischen Netzwerken 55
zurück: Wettbewerbsvorteile ergeben sich nicht nur durch die Stellung am Produktmarkt. Die Qualität der im Unternehmen vorhandenen Ressourcen determinieren die mögliche Effektivität und Effizienz von Wettbewerbsvorteilen (Knyphausen-Aufseß 1995, S 82). "The fact that most resources can provide a variety of different services is of great importance for the productive opportunity of a firm. 1t is the heterogeneneous variety of unique services, but also the material resources of the firm can be used in different ways, which means that they can provide different kinds of services" (Penrose 1959, S. 75).
Die spezifischen Ressourcen eines Unternehmens sind nur dann von strategischer Bedeutung - dies charakterisiert die Komplementarität zur marktorientierten Sicht der Unternehmensstrategie (Wernerfelt 1984; Knyphausen-Aufseß 1993) -, wenn diese marktlieh verwertbar sind. Derartige Ressourcen werden als "Kernkompetenzen" bezeichnet (Prahalad/Hamel 1991). Kernkompetenzen können sowohl auf physischen Ressourcen wie Standort und Flexibilität von Fabrikationsanlagen oder Rohstoffreserven, finanziellen Ressourcen wie Liquiditätspotentialen oder Kreditwürdigkeit und intangiblen Ressourcen beruhen. Intangible Ressourcen, die im Hinblick auf die Wettbewerbsstrategie eine besondere Rolle spielen, umfassen sowohl rechtlich geschützte Ressourcen wie Patente, vertraglich abgesicherte Beziehungen oder Markenzeichen als auch formal ungesicherte Verfügungsrechte wie Wissen, informelle Kontakte oder Reputation. Die organisatorische Gestaltung und Kombination verwandelt diese Ressourcen zu einem strategischen Vermögen oder zu "organizational capabilities", zwei Begriffe, die von einigen Autoren weiter differenziert werden (Nolte/Bergmann 1998, S. 8 ff.). "Organizational capabilities" sind (sekundäre) Ressourcen, mit deren Hilfe andere (primäre) Ressourcen zu Kernkompetenzen zusammengeführt werden. Diese können entsprechend als integrierte und organisational zu koordinierende Gesamtheiten von Know-how, Prozessen, Human- und Sachressourcen definiert werden. Das Humankapital stellt nicht nur eine relevante Teilmenge der intangiblen Ressourcen, sondern ist im Sinne von Managementwissen auch zur Organisation des Ressourcenpools notwendig. Diese Kernkompetenzen gelten daher als gelernt und durch Wiederholung perfektioniert. Dies zeichnet sie gegenüber Konkurrenten u. a. als einmalig aus, d. h. sie sind nicht ohne weiteres imitierbar (Hinterhuber/Friedrich 1999, S. 1004).
Mit der Schwierigkeit, Kernkompetenzen zu imitieren, ist ein weiteres zentrales Argument des Ressourcenansatzes angesprochen. Kernkompetenzen sind nicht nur relativ knapp, sie sollten darüber hinaus nicht ohne weiteres auf ein anderes Unternehmen transferierbar sein. Die mangelnde Transferierbarkeit ist die notwendige Bedingung für nachhaltige Verwertbarkeit der Kernkompetenzen. Die quasimonopolistische Verfügbarkeit besonderer Ressourcenbündel, die mit verschiedenen Begriffen wie Intransparenz, Komplexität, Historizität oder Tacitness charakterisiert wird (Grant 1991, Barney 1991, Nolte/Bergmann 1999 S. 17 ff., Hinterhuber/Friedrich 1999, S. 997), kann insbesondere durch intangible Ressourcen gesichert werden.
Aus ressourcenorientierter Sicht sind zur Entwicklung einer Marktstrategie in einem ersten Schritt vorhandene und potentielle Ressoucen zu sondieren und nach-
56 Wenzel Matiaske und Susanne Gretzinger
folgend die durch externe Umweltfaktoren bestimmten Handlungschancen zu eruieren. Im Ergebnis wird deutlich, welche Strategien potentiell realisierbar sind. In einem nächsten Schritt ist zu analysieren, wie Kernkompetenzen für die avisierte Strategie ausgebaut werden können. Die Sicherung der Strategie verlangt insbesondere den Schutz der Kernkompetenzen durch den Einbau schwer imitierbarer Kernkompetenzen in das strategische RessourcenbündeL
Strategische Netzwerke lassen sich aus der vorgetragenen Sicht als organisatorische Möglichkeit interpretieren, die das Portfolio der unternehmensspezifischen Ressourcen durch Einbindung von Partnerunternehmen ergänzen, um gemeinsam eine bessere Positionierung am Markt zu erlangen. Geeignete Partner sind demzufolge Unternehmen, die das eigene Ressourcenbündel komplementär ergänzen. Komplementarität meint sowohl qualitative Ergänzung des Ressourcenpools, um bei jeweiligen Partnerunternehmen nicht oder nur ungenügend vorhandenene Ressourcen zu ergänzen (economics of scope), als auch quantitative Erweiterung, um gemeinsame Größenvorteile zu realisieren (economies of scale). Letzterer Fall ist aus der ressourcenorientierten Sicht unproblematisch, weil keinerlei Kernkompetenzen an das Partnerunternehmen übertragen werden. Die qualitative Ergänzung des eigenen Ressourcenpools verlangt dagegen unter dem Gesichtspunkt des nachhaltigen Schutzes der Kernkompetenzen weitergehende Überlegungen.
2.2 Macht und Austausch in strategischen Netzwerken
Bevor wir diese Überlegungen anband der relationalen Machttheorie entfalten, wollen wir den Gegenstand der Betrachtung- strategische Netzwerke - genauer eingrenzen. Eingangs ist en passant angesprochen worden, daß Kooperationen sowohl durch Zusammenlegung als auch durch Austausch von Ressourcen gebildet werden können. Aus sozio-ökonomischer Sicht folgen die differenzierten Formen der Kooperationen unterschiedlichen Handlungslogiken.
Das Muster der Ressourcenzusammenlegung ermöglicht Kooperation durch die Bildung eines kollektiven oder korporativen Akteurs (Coleman 1991, Vanberg 1982). Das der Kooperationsproblematik inhärente Gefangenendilemma, also die Gefahr des Nicht-Zustande-Kommens oder der Ausbeutung einer Kooperation aufgrund von "Trittbrettfahren", wird durch die Überstellung von Handlungsrechten an den kollektiven Akteur gelöst. Die Mechanismen, die rationale Egoisten veranlassen, ihre Handlungsrechte an Ressourcen in eine Korporation zu überstellen, sind hier nicht weiter zu diskutieren. Entscheidend ist, daß Korporationen durch eine Einigung auf zwei Sätze von Regeln charakterisiert sind. Einerseits einigen sich die Akteure auf Regelungen zur ,,Bewirtschaftung'' der eingestellten Ressourcen (Dispositionsregel). Andererseits müssen sich die Akteure verständigen, wie die erwirtschafteten Erträge unter den Beteiligten aufgeteilt werden sollen. Die Praxis kennt eine Vielzahl von Organisationsformen, welche die Kooperationsproblematik durch Zusammenlegung von Ressourcen regeln, beispielsweise Gemeinschaftsunternehmen, Assoziationen oder Vereine. Festzuhalten ist, daß wir im folgenden nicht von korporativen Akteuren in erläuterten Sinne sprechen. Wir fassen den Netzwerkbegriff enger und grenzen ihn auf Austauschnetzwerke ein.
Steuerungsprobleme in strategischen Netzwerken 57
In Tauschnetzwerken geben Akteure Handlungsrechte nicht aufgrund gemeinsamer Verfahrensregeln zu Gunsten einer Korporation, sondern im Austausch gegen Rechte an Ressourcen eines individuellen Akteurs auf. Tauschbeziehungen sind, wenn auch nicht notwendig, so doch in der Regel, durch Machtungleichgewichte gekennzeichnet, die wir mit Bezug auf die relationale Machttheorie näher betrachten wollen.
Die relationale Machttheorie geht auf die Arbeiten Emersons (1962, 1972) zurück und ist in der Organisationstheorie vor allem in ihrer Adaption durch Pfeffer/Salancik (1978) bekannt geworden (vgl. auch Matiaske 1998; Nienhüser 1998). Die zentrale Definition der Machtheorie beschreibt die Macht eines Akteurs a über einen Akteur b als Abhängigkeit des b von a. Die Macht des a ist in der Relation zu b umso größer, je größer die Abhängigkeit des b von a ist. Die zentralen Hypothesen der Theorie fassen den Begriff der Abhängigkeit genauer. Die Abhängigkeit des b ist in der Relation zu a umso größer, je wichtiger die durch a kontrollierten Ressourcen b sind und je schwieriger es für b ist, diese Ressourcen außerhalb der Beziehung zu a zu erlangen. Diese Aussagen gelten reziprok für den Tauschparter a. Die relationale Machttheorie betont also, daß es in Tauschbeziehungen nicht nur darauf ankommt, Ressourcen zu halten, sondern auch darauf, daß diese für andere von Interesse sind und diese Anderen die eigenen Ressourcen nicht anderswo erhalten können. Die relationale Machttheorie läßt sich als Anwendung der ökonomischen Theorie interpretieren, denn die Argumentation verfährt äquivalent zur mikroökonomischen Preisbildungstheorie.
Weitere Überlegungen der Machttheorie beschäftigen sich mit Veränderungen der Machtbalance durch Aktionen des machtabhängigen b. Dieser kann versuchen, die von ihm begehrten Ressourcen außerhalb der Beziehung a - b zu erschließen. Ferner kann b bestrebt sein, Ressourcen zu gewinnen, die für a von Interesse sind und so die Tauschrate zu seinen Gunsten verbessern. Schließlich können sich die Präferenzen des b wandeln. Verliert b das Interesse an den Ressourcen unter der Kontrolle des a, so verliert a an Einfluß über b. Aus Sicht des a ist es dagegen zweckdienlich, wenn es gelingt, dem b alternative Beschaffungswege abzuschneiden, selbst dagegen alternative Beschaffungsquellen zu erschließen und das Interesse des b an den eigenen Ressourcen wachzuhalten.
Die hier der Kürze wegen metaphorisch als ,,Beschaffungsweg'' charakterisierten Beziehungen bilden das individuelle Sozialkapital der beteiligten Akteure (Matiaske 1999). Dieses Sozialkapital ist Gegenstand der Verknüpfung von Macht- und Netzwerktheorie, wie sie von Cook/Emerson (1978) angeregt und in der Folge weiter ausgearbeitet worden ist. Betrachten wir die Beziehungen innerhalb eines Tauschnetzwerkes - unterstellen wir also wechselseitiges Interesse an den vom Partner kontrollierten Ressourcen und mithin einen Ressourcentransfer von a zu b und reziprok - als statische Verbindungslinien eines Graphen, so wird deutlich, daß die Struktur des Netzwerkes Einfluß auf die Macht der Akteure nimmt.
Abbildung 1 zeigt einige prominente Netzstrukturen, die Gegenstand experimenteller Prüfungen der relationalen Machttheorie waren (Cook et al. 1983). Die Figuration der Netzwerke ist mehr oder weniger stark hierarchisiert (Kette, Stern,
58 Wenzel Matiaske und Susanne Gretzinger
Struktur 1 Struktur2 Struktur 3
Abbildung 1: Netzstrukture:~ nach Cook und Emerson
Baum). Sie enthalten strukturell äquivalente Positionen (a,bn,Cn). Im allgemeinen wird man vermuten, daß die Position a auf Grund ihrer zentralen Stellung in den abgebildeten Tauschnetzwerken Machtvorteile besitzt. Dies gilt allerdings nur unter bestimmten Bedingungen, die Cook und Emerson (1978) als situatives Argument in die relationale Machttheorie eingeführt haben. Sie bezeichnen diese Randbedingung als Verbundenheit der Tauschbeziehung.
Als positiv verbunden werden Tauschbeziehungen bezeichnet, in denen der Konsum der ausgetauschten Ressourcen nicht konkurriert wird bzw. konkurriert werden kann. Dies gilt beispielsweise für bestimmte Arten der Kommunikation, die ihren Wert nicht durch ihre Weitergabe und Verbreitung verlieren. Wollen a oder c ein Gerücht verbreiten, wird sich die Botschaft des a in Folge der zentralen Stellung in den abgebildeten Netzwerken schneller verbreiten als die Nachricht des c. In diesen Situationen impliziert Zentralität also einen Machtvorteil, denn die Macht hängt insbesondere von der Extensität des Sozialkapitals, d. h. der Möglichkeit, möglichst viele Akteure auf direktem wie indirektem Wege zu erreichen, und weniger von der Figuration des Beziehungsgeflechtes ab. Anders verhält sich der Sachverhalt unter der Randbedingung negativer Verbundenheit. In negativ verbundenen Tauschbeziehungen beinhaltet die Weitergabe einer Ressource, daß deren Wert für den Geber verloren ist, weil die Ressource nicht anderweitig verwendet werden kann. Dies gilt im Fall materieller Ressourcen, aber auch bei bestimmten immateriellen Güter wie beispielsweise Wissen. Unter dieser Randbedigung gilt nach Cook und Emerson (1978) eine experimentell bestätigte Hypothese, daß nämlich die Extension des individuellen Sozialkapitals nicht notwendig Vorteile bringt. Mächtig ist im Fall negativer Verbundenheit derjenige, der alternative ,,Beschaffungswege" kontrolliert oder, anders ausgedrückt, Verbindungen im Netzwerk mediatisiert. Für die Netzwerke in Abbildung 1 prognostizieren Cook/Emerson bei negativer Verbundenheit daher eine Rangordnung der Macht von bn > a > Cn. Der Graph der Tauschbeziehungen ist an der Position bn besonders verletzlich und diese Verletzlichkeit bedingt die Macht der Position des b. Ohne die Vermittlung des b können keine Tausch- und mithin Machtbeziehungen zwischen a und Cn aufgebaut werden.
Steuerungsprobleme in strategischen Netzwerken 59
c c
I I a a
/I~ /I~ bl bl b3 b1--bz--b3 ------Abbildung 2a Abbildung 2a
Abbildung 2: Zwei strategische Netzwerke
Diese recht abstrakten Überlegungen wollen wir - den theoretischen Teil dieses Problernaufrisses beschließend- auf ein strategisches Unternehmensnetzwerk übertragen. Abbildung 2 zeigt zwei Situationen eines strategischen Netzwerkes. Die Unternehmen a und bn bilden eine strategische Allianz. Strategieführer, im folgenden auch Fokalunternehmen genannt- sei das Unternehmen a. Es kontrolliert eine für das Netzwerk kritische oder, weniger technisch formuliert, überlebensnotwendige Ressource, nämlich die Beziehung zu c. Bei c kann es sich um einen einzelnen Abnehmer oder Zulieferer aber auch um einen spezifischen Markt handeln. Jedes Unternehmen in der strategischen Allianz - a wie bn - kontrolliert darüber hinaus Ressourcen n, die für die Erstellung eines gemeinsamen Produktes notwendig sind. Das bedeutet a nimmt also die Doppelrolle eines Maklers und Produzenten ein und befindet sich damit in der glücklichen Lage, die Ressourcen n der übrigen Allianzmitgliederb im Austausch gegen die monopolisierte Ressource c zu erhalten und das Produktionswissen zu bündeln. Während die b im Verlaufe der Transaktionen einen Teil ihres Produktionswissens aufgeben müssen, gewinnt a Produktionswissen hinzu. Unter dieser Randbedingung negativer Verbundenheit sollte a die Allianz nach der Regel "teile und herrsche" führen und eine strukturelle Figuration wie in Abbildung 2a aufrecht erhalten. Ohne daß a eine seiner Kernkompetenzen n bzw. c aufgeben muß, gelingt es dem Fokalunternehmen seine strategische Führungsrolle in der Allianz langfristig auszubauen.
Nehmen wir nun an, daß die Bündelung des Produktionswissens bei a nicht ausreicht, um das Produkt der Allianz zu erstellen, sondern ein Zusammenwirken der beteiligten Unternehmen notwendig ist. Es ist also nicht damit getan, daßabilaterale Beziehungen zu bn unterhält, sondern auch die Partner untereinander in Austausch treten. a sollte daher unter strategischen Gesichtspunkten Verbindungen zwischen den Partnern stiften. Dieser Fall ist in Abbildung 2b dargestellt. Das Produktionswissen n wird sich langfristig unter den Teilnehmern nivellieren. Unter sonst gleichen Bedingungen wie in 2a wird das Fokalunternehmen einen Teil seiner Macht einbüßen, in der Relation zu den Partnerunternehmen jedoch seine Führungsrolle behaupten. Dies gelingt auf Grund der monopolisierten Ressource c.
Das Machtgleichgewicht ist jedoch fragiler als in Situation 2a. Entgegen dem Ratschlag des ressourcenorientierten Ansatzes hat b nun Kernkompetenzen an die
60 Wenzel Matiaske und Susanne Gretzinger
übrigen Unternehmen weitergegeben. Sind die Anteile an strategisch relevanten Ressourcen n unter den Unternehmen a und bn nicht gleichverteilt, ist es leicht möglich, daß ein anderes Unternehmen der Allianz bn die Führungsrolle beansprucht oder sogar aus dem strategischen Netzwerk ausschert.
Die geschilderten Situationen strategischer Allianzen können wir uns als Endpunkte eines gedachten Kontinuums vorstellen. In der Praxis wird sich ein Fokalunternehmen gewissermaßen immer in beiden Szenarien aufhalten. Einerseits sind mit Blick auf die Integration des Netzwerkes, sei es zur Erzeugung vertrauensvoller Beziehungen, der erleichterten Kommunikation oder des notwendigen Austauschs von Produktions wissen, Verbindungen zwischen den Partnerunternehmen zu stiften. Andererseits muß das Fokalunternehmen, will es seine Führungsrolle nicht einbüßen, den Austausch unter den Partnern minimieren, um seine Position im Netzwerk nicht zu gefährden.
3 Steuerungsprobleme in strategischen Netzwerken
3.1 Das Fallbeispiel KMUnet
Im folgenden stellen wir das Fallbeispiel KMUnet vor - einen Verbund von sechs kleinen und mittelständischen Unternehmen, dem Heinz Nixdorf Institut und der Universität Paderborn (Gretzinger et al. 1999). Auf Seiten der beteiligten Unternehmen handelt es sich um ein typisches strategisches Netzwerk, das zur gemeinsamen Produktentwicklung aufgebaut wurde. Die Unternehmen kooperieren, um gemeinsam Kernkompetenzen im Bereich der Produktentwicklung und damit Wettbewerbsvorteile aufzubauen.
Im Unternehmensverbund werden Spezialprodukte wie Papierzuführungs- und Ablagesysteme für Bürodrucker, Geräte zur elektronischen Datenarchivierung und zur automatischen Datensicherung hergestellt. Das Fokalunternehmen (ca. 300 Mitarbeiter) ist für die Endmontage und den Vertrieb der Produkte zuständig. Die anderen klein- und mittelständischen Mitgliedsunternehmen des Netzwerkes (5-500 Mitarbeiter) fertigen spezielle Bleche und andere Einzelteile.
Die strategische Ausrichtung der am KMUnet beteiligten Unternehmen ist dadurch charakterisiert, daß deren Spezialprodukte im Sinne einer Nischenstrategie am Markt etabliert werden sollen. Der strategische Vorteil der Netzwerkunternehmen besteht darin, daß die erforderlichen Kenntnisse zur Entwicklung und Fertigung dieser Produkte von anderen Unternehmen nicht ohne erhebliche Rüstkosten imitierbar sind. Dieser strategische Vorteil ist allerdings nicht ohne weiteres am Markt umzusetzen, denn auf der Nachfrageseite stehen nur einige wenige Großkonzerne. Diese sind aufgrund ihrer Marktmacht nicht darauf angewiesen, jedes Vor- oder Endprodukt in ihr Sortiment aufzunehmen. Ausschlaggebend für die Absatzchancen sind aus Sicht der Anbieter, d. h. der im KMUnet beteiligten Unternehmen, hohe Qualitätserfordernisse, gezielte Innovationen und akzeptable Preisgestaltung der angebotenen Produkte.
Der Unternehmensverbund versucht, diesen Marktanforderungen durch Bündelung der im Netzwerk vorhandenen Ressourcen gerecht zu werden. Insbesondere
Steuerungsprobleme in strategischen Netzwerken 61
durch die Zusammenführung der Kompetenzen im Bereich der Produktentwicklung und -Verbesserung sollen Synergien erzielt und Rationalisierungen realisiert werden. Das fokale Unternehmen allein könnte nicht genügend Kapazitäten für eine marktgerichtete Produktentwicklung aufbringen. Insofern ist dieses Unternehmen auf die Kooperation im Netzwerk angewiesen. Andererseits verfügt das Fokalunternehmen über strategisch bedeutsame Kontakte zu den Abnehmern. Das Interesse der übrigen Unternehmen, Kapazitäten in das Unternehmensnetzwerk einzubringen, besteht also darin, daß sie auf diese Weise den Marktzugang des Fokalunternehmens nutzen können.
Auslöser für das Projekt waren Erfahrungen der unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit aus vergangenen Entwicklungsprojekten. Folgende Probleme, die zum Teil sicherlich spezifisch für die betrachtete Netzwerkorganisation sind, haben sich bei der Verbundnutzung der Humanressourcen im Netzwerk als problematisch herausgestellt:
- Der an den Unternehmensschnittstellen auftretende Kommunikationsaufwand führte zu "Reibungsverlusten", welche die Wirksamkeit des Verbundes reduzierten.
- Die Mitarbeiter von KMU sind oft in mehreren Projekten eingesetzt. Deshalb kann das Team nicht dauerhaft an einem Standort zusammenarbeiten.
- Die Mitarbeiter verfügen über fundierte Spezialkenntnisse, die sich auf ihr Unternehmen beziehen. Teilweise fehlen ihnen jedoch Kenntnisse der unternehmensübergreifenden Zusammenhänge.
- Die Mitarbeiter und Führungskräfte zeigten oft mangelnde Motivation, kooperative Verbünde zu tragen, die ein Aufweichen der eigenen Organisationsstrukturen bedeuten.
Zur Verbesserung des Produktentwicklungsprozesses und des Schnittstellenmanagements wurden im Projekt zwei Maßnahmenbündel konzipiert. Von produktionswirtschaftlicher Seite wurde eine Szenarioplattform entwickelt und implementiert, die es ermöglicht, alle Arbeitsschritte im Netzwerk- vom Entwurf, über die Fertigung bis hin zur Logistik - zu integrieren. Die Szenarioplattform simuliert den Produktentwicklungsprozeß im Netzwerk. Die verteilt miteinander interagierenden Entwickler können mittels der Szenarioplattform trainieren, ihr Arbeitsergebnis "Produktdefinition" näherungsweise zu optimieren. Die Unterstützung des Lernens von Interaktionen im Netzwerk bildet die gemeinsame Schnittstelle zu den personalwirtschaftlichen Maßnahmen im Projekt.
Das personalwirtschaftliche Maßnahmenbündel (Gretzinger/Matiaske 2000) umfaßte neben einer traditionellen Weiterbildungsbedarfsanalyse Konzepte zur Ermittlung des erforderlichen Metawissens, d. h. notwendiges unternehmensübergreifendes Wissen. Ferner enthielt das empirische Erhebungsdesign die Gesichtspunkte Kommunikation und Interation, um mögliche Austauschhemmnisse zu ermitteln. Zum Abbau dieser Barrieren wurden projektbegleitend Kommunikations- und lnteraktionstrainings durchgeführt. Die drei erstgenannten Aufgaben wurden im Projekt KMUnet zu einem Arbeitsschritt zusammengefaßt. In einer schriftlichen Befragung
62 Wenzel Matiaske und Susanne Gretzinger
der Entwickler des Netzwerkes- insgesamt 15 Personen- wurden der individuelle Weiterbildungsbedarf, das notwendige Metawissen und die Interaktionsstruktur erhoben. Einen zentralen Befund der empirischen Erhebung - die Interaktionsstruktur- berichten wir im folgenden. Ferner stellen wir einen wichtigen Seiteneffekt der projektbegleitenden Interaktions- und Kommunikationstrainings vor.
3.2 Interaktionsstruktur und Wissensbasis
In strategischen Allianzen ist es bedeutsam, die faktischen Kooperationsbeziehungen zu ermitteln. Die soziale Netzwerkanalyse stellt das Instrumentarium zur empirischen Erforschung von Kooperationen zur Verfügung (Matiaske 1993; Jansen 1999). In der folgenden Auswertung berichten wir nur summarisch über die Kooperationsbeziehungen zwischen den beteiligten Entwicklern.
Die Entwickler wurden befragt, mit welchen Personen in der strategischen Allianz sie innerhalb der letzten sechs Wochen Kontakt in Sachfragen aufgenommen hatten. Neben den Kontaktpartnern war die Kontaktstärke auf einer Ratingskala zu gewichten. Die Kommunikationsbeziehungen wurden sowohl aus sender- als auch aus empfängerspezifischer Sicht ermittelt. Der Vergleich beider Sichtweisen kann in der Analyse Hinweise auf Kommunikationsschwierigkeiten geben: Wenn aus Sicht des Entwicklers aus Unternehmen A häufig Informationen an die Entwicklergruppe des Unternehmens B übermittelt wurden, diese aber reziprok nicht als Kontaktpartner erwähnt werden, ist dies ein erster Hinweis auf Störungen in der Kooperation.
An dieser Stelle interessieren nicht so sehr die Details der Kooperation im KMUnet, sondern vielmehr die prinzipielle Vorgehensweise bei der Analyse. Wir berichten daher nur die Unternehmens- und nicht die individualspezifischen Kooperationsbeziehungen. Die Informationen der Entwickler eines Unternehmens wurden zu diesem Zweck zum mittleren firmenspezifischen Kommunikationsprofil verdichtet. Darüber hinaus vernachlässigen wir die Unterscheidung in sender- und empfängerspezifische Kommunikation. Die Matrix der senderspezifischen Angaben und die transponierte Matrix der empfängerspezifischen Angaben werden addiert. Abbildung 3 zeigt das Ergebnis dieser Prozedur. Die Unternehmen sind als Knoten, die Kooperationsbeziehung als Verbindungslinien dargestellt. Die Strichstärke symbolisiert die Bedeutung des Kommunikationsflusses.
In der Verdichtung zeigt sich, daß das untersuchte Netzwerk hochgradig hierarchisiert ist. Das Fokalunternehmen a steht im Mittelpunkt der strategischen Allianz und unterhält Kommunikationsbeziehungen zu allen anderen Unternehmen bn, die wiederum untereinander nicht verbunden sind. Ferner kontrolliert das Fokalunternehmen die Beziehungen zum Großabnehmer c. In netzwerkanalytischer Terminologie handelt es sich bei dem Fokalunternehmen um einen soziometrischen Star. Das Netzwerk enthält zwar keine isolierten Unternehmen, es ist aber aufgrundder fehlenden Verbindungen zwischen den peripheren Unternehmen nur von geringerer Dichte.
Inhaltlich verdeutlicht die Abbildung auch die im Netzwerk vorhandenen Kommunikationsbarrieren. Zur Überwindung dieser Hemmnisse wurde auf Initiative des Fokalunternehmens a das oben skizzierte produktions- und personalwirtschaftliche
Steuerungsprobleme in strategischen Netzwerken 63
c
a
bs
Abbildung 3: Kommunikationsbeziehungen im KMUnet
Instrumentarium eingesetzt. Die empirischen Erhebungen im Rahmen des Maßnah
menbündels sorgten für Transparenz und erbrachten Ausgangspunkte für mögliche
Verbesserungen. Die Weiterbildungsbedarfsanalyse verwies Stärken wie Defizite der Entwick
ler. Die Verknüpfung dieser Information mit den netzwerkanalytischen Befunden
erbrachte Hinweise, welche Bedarfe durch externe Schulungen zu decken waren,
weil das notwendige Wissen an keiner anderen Stelle in Netzwerk verfügbar war.
Sie zeigte aber auch Möglichkeiten des Wissenstransfers auf. In diesen Fällen war
das in einem Unternehmen fehlende Know-how in einem anderen vorhanden. Der
Transfer ließe sich beispielsweise durch die Etablierung von ,,Lernpartnerschaften"
bewältigen. Die Analyse des benötigten und vorhandenen Metawissens erfolgte in
gleicher Weise und wies auf wichtige Schwachstellen bezüglich der Kenntnisse über
die interne Organisation der Partnerunternehmen hin.
Von besonderer Bedeutung war neben der Analyse der faktischen Interaktionsstruktur die Auswertung subjektiv wahrgenommener Kommunikationsprobleme.
Die von den Entwicklern genannten Defizite - Aspekte wie "Spannungen abbauen", ,,Auf andere zugehen lernen" oder ,,Ausdrucksvermögen" - verweisen auf
typische Kommunikationsprobleme, die durch Gruppen- oder Teambildungsprozes
se überwunden werden können. Wie oben erwähnt, wurden aus diesem Grund pro
jektbegleitend Kommunikations- und Interaktionstrainings eingesetzt, die in ihrer
Wirkung von den Teilnehmern durchweg positiv beurteilt wurden. Trotz der anfäng
lichen Erfolge wurden diese Maßnahmen aufgrund zunehmenden Desinteresses des
Fokalunternehmens ausgesetzt. Die Gründe blieben solange verborgen, wie anzu
nehmen war, daß eine reibungslose Kommunikation insbesondere im Interesse des
Fokalunternehmens sein sollte.
U. E. gibt die Struktur der Interaktion Aufschluß über diesen Meinungs
umschwung. Aufgrund der Hierarchisierung der Interaktionsbeziehungen kon
trolliert das Fokalunternehmen die Kommunikation und verhindert einen Aus
tausch von Kernkompetenzen mit den übrigen Unternehmen. Machttheoretisch
betrachtet, schwächen zusätzliche Interaktionen unter den peripheren Unterneh
men die Macht des Fokalunternehmens, welches die Kommunikationsströme nicht
64 Wenzel Matiaske und Susanne Gretzinger
mehr vollständig kontrollieren kann. Aus dieser Perspektive erwiesen sich die Kommunikations- und Interaktionstrainings als paradoxe Interventionen: Der Erfolg dieser Maßnahmen war die beste Voraussetzung für ihr Scheitern.
4 Resümee
Die vorgestellten theoretischen Überlegungen und das illustrierende Fallbeispiel zeigen, daß es in strategischen Netzwerken nicht notwendig im Interesse des führenden Unternehmens ist, Kommunikations- und Interaktionsbarrieren zu beseitigen und eine Vollstruktur des Austausches herzustellen. Der durch ungehinderte Interaktion und Kommunikation im Netwerk ermöglichte Wissenstransfer widerspricht nicht nur der zentralen Aussage des ressourcenorientierten Ansatzes der strategischen Unternehmensführung-Kernkompetenzen auszubauen und zu schützen. Die machttheoretische Analyse zeigt darüber hinaus, daß eine Vollstruktur die Machtstellung des führenden Unternehmens schwächen kann. Dieses verfährt daher nach der Regel "teile und herrsche" und nimmt die durch Reibungsverluste anfallenden Transaktionskosten billigend in Kauf. Obwohl das Ergebnis dieser Strategie dem Fokalunternehmen zweckdienlich ist, bleibt der Unternehmensverbund insgesamt unterhalb seiner potentiellen Leistungsmöglichkeiten, weil mögliche Synergien unausgeschöpft bleiben.
Dieses Dilemma wird vermutlich kaum durch den modischen Verweis auf die Nützlichkeit "vertrauensvoller" Beziehungen überwunden. Aus der hier vertretenen Problemsicht sind drei Möglichkeiten zu nennen, wie die strategische Falle in der Steuerung strategischer Netzwerke umgangen werden kann.
- Eine erste Möglichkeit wurde oben skizziert. Sie besteht darin, einen korporativen Akteur, beispielsweise eine gemeinschaftliche Vertriebsgesellschaft, zu gründen. Dies verlangt von den beteiligten Einzelunternehmen eine Kalkulation ihrer Risiken und Chancen im vorhinein und eine Verständigung über die Verwendung und Aufteilung der Beiträge und Erträge.
- Verbleibt die Kooperation unterhalb dieser Schwelle, wird also die Kooperationsproblematik nicht durch Internalisierung in einer Korperation aufgehoben, besteht eine weitere Lösungsmöglichkeit darin, das Fokalunternehmen zu spezialisieren. Übernimmt dieses im Fallbeispiel die Spezialistenrolle eines Maklers, der als Ressource ausschließlich das Sozialkapital der Vermittlung von Anbietern und Abnehmern einbringt, jedoch keine Interessen am Prouktionswissen der übrigen Allianzmitglieder hat, wird der Machtkonflikt durch Entzerrung der Konkurrenz gemildert.
- Schließlich ist die Stabilität in strategischen Netzwerken auch zu erreichen, wenn das Fokalunternehmen für ein großes Machtungleichgewicht zu den Partnerunternehmen sorgt. Dies gelingt durch die Wahl schwächerer Partner oder durch die Monopolisierung netzwerkspezifischer kritischer Ressourcen. Eine solche Lösung wäre aber wohl eher als marktvermittelte Hierarchie, denn als kooperatives Austauschnetzwerk zu bezeichnen.
Steuerungsprobleme in strategischen Netzwerken 65
Welche Vor- und Nachteile mit den angedeuteten Lösungsmöglichkeiten in strategischen Netzwerken einhergehen, kann hier nicht abschließend diskutiert werden. Die Aufgabe eines Problemaufrisses besteht jedoch auch darin, auf Forschungsbedarf hinzuweisen. Hinsichtlich möglicher und wünschenswerter Managementstrategien in Allianzen oder Netzwerken ist vor dem Hintergrund der diskutierten Steureungsproblematik erheblicher Forschungsbedarf angezeigt.
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Interne Dienstleistungsqualität am Beispiel der Kostenrechnung Konzeptionelle Überlegungen und empirische Befunde
Christian Hornburg und Martin Faßnacht
1 Motivation und Vorgehensweise
In der deutschsprachigen Betriebswirtschaftslehre ist insbesondere seit Beginn der 70er Jahre eine wachsende Zahl empirischer Arbeiten zu verzeichnen. Dies verdeutlicht die Meta-Analyse von Martin (1989). Maßgebliche Impulse für diese Entwicklung gingen von der von Witte und seinen Schülern (der Jubiliar ist einer von ihnen) begründeten empirischen Theorie der Unternehmung aus (vgl. Witte 1972 sowie Bronner 1973 und Grün 1973). Diese Richtung in der Betriebswirtschaftslehre löste umfangreiche Diskussionen aus (vgl. Schanz 1973, 1975a und b, Witte 1977 sowie Witte/Grün/Bronner 1975). Trotz oder vielleicht wegen dieser Diskussionen kann man Hauschild und Grün (1993, S. IX) in ihrer Auffassung zustimmen, "daß sich das Konzept der empirischen betriebswirtschaftliehen Forschung ... schnell ausbreitete".
Das Konzept der empirischen betriebswirtschaftliehen Forschung durchzieht alle Fachgebiete, allerdings in unterschiedlicher Intensität. So hält Küpper (1993, S. 603) in seinem Überblick über empirische Untersuchungen zum internen Rechnungswesen fest: ,,Die empirische Forschung zum internen Rechnungswesen ist recht begrenzt. Trotz seiner weiten Verbreitung in der Praxis gibt es relativ wenige Untersuchungen über seine Ausgestaltung, seine Nutzung und seine Wirkungen". Hinsichtlich der Datenauswertung bemerkt Küpper (1993, S. 606) in demselben Aufsatz: ,,Die Auswertung der schriftlichen Befragungen beruht weitgehend auf einfachen Methoden der Datenanalyse. Neben der Verteilung auf die Antwortmöglichkeiten finden sich einige statistische Analysen der Korrelation mit wichtigen Einftußgrößen. Anspruchsvollere Methoden der multivariaten Analyse ... werden kaum angewandt".
Nicht nur vor diesem Hintergrund bieten sich empirische Studien für das Fachgebiet internes Rechnungswesen an. Die Kostenrechnung hat die Aufgabe, unternehmensinternen Adressaten Informationen über Wertentstehung und -verzehr der betrieblichen Aktivitäten zur Verfügung zu stellen. Wesentliche Adressaten dieser Informationen sind beispielsweise Marketing- bzw. Vertriebsleiter oder General Manager. Diese Adressaten sind also interne Kunden des Lieferanten Kostenrechnung bzw. Controlling und nehmen von diesem Informationen ab. Auch wenn vielleicht der Sprachgebrauch noch etwas gewöhnungsbedürftig ist, liegen hier un
ternehmensinterne Kunden-Lieferanten-Beziehungen vor. Auf den hohen Stellenwert der Umsetzung einer internen Kundenorientierung wird im Kontext des TotalQuality-Managements sowie in der jüngeren Diskussion zum internen Marketing
68 Christian Hornburg und Martin Faßnacht
hingewiesen (vgl. Bruhn 1995 und Hornburg et al. 2000). Eine Profliierung im Qualitätswettbewerb kann sich nicht nur auf externe Marketingprozesse beziehen, sondern muß auch unternehmensinterne Prozesse betrachten. Insbesondere in den Sekundärbereichen der Wertschöpfungskette, wie der Kostenrechnung, existiert oft ein geringes Bewußtsein für die hohe Bedeutung der internen und externen Kundenorientierung für den Unternehmenserfolg (vgl. Bruhn 1995).
Seit einigen Jahren setzten sich deutsche Unternehmen mit der Kostenrechnung intensiv auseinander. Insbesondere werden immer wieder Fragen nach der Wichtigkeit von Kostenrechnungsinformationen gestellt. Sowohl Praktiker als auch Wissenschaftler sehen einen Veränderungsbedarf von Kostenrechnungssystemen (vgl. Weber 1996 sowie WeberlAust 1998). Diese Diskussionen unterstreichen die Relevanz einer (internen) Kundenorientierung der Kostenrechnung.
Ein umfassendes Bild der internen Kundenorientierung der Kostenrechnung erhält man durch die Betrachtung der internen Dienstleistungsqualität der Kostenrechnung aus Kundensicht sowie durch das Ausmaß der Nutzung von Kostenrechnungsinformationen in Entscheidungsfeldern durch Kunden der Kostenrechnung. Vor diesem Hintergrund verfolgen wir mit diesem Aufsatz zwei Ziele. Zum einen streben wir die Entwicklung eines Meßmodells für die interne Dienstleistungsqualität der Kostenrechnung an. Dieses entwickeln wir im ersten Schritt konzeptionell (vgl. Abschnitt 2) und überprüfen es im zweiten Schritt empirisch (vgl. Abschnitt 4.2). Zum anderen wollen wir den Zusammenhang zwischen der internen Dienstleistungsqualität und dem Ausmaß der Nutzung von Kostenrechnungsinformationen in Entscheidungsfeldern untersuchen. Hypothesen zu diesem Zusammenhang formulieren wir in Abschnitt 3. Die empirische Überprüfung dieser Hypothesen erfolgt in Abschnitt 4.3. Die Datenerhebung und-grundlageder durchgeführten empirischen Studie beschrieben wir in Abschnitt 4.1. Hervorzuheben ist, daß im Rahmen dieser Studie für jedes antwortende Unternehmen mehrere Informanten vorliegen und nicht "nur" ein Informant. Ein Resümee rundet diesen Beitrag ab (vgl. Abschnitt 5).
2 Konzeptualisierung/Operationalisierung der Konstrukte
Unter Konzeptualisierung verstehen wir die Erarbeitung der relevanten Dimensionen eines Konstrukts und unter Operationalisierung die darauf aufbauende Entwicklung von Methoden zur Messung der den Dimensionen entsprechenden Eigenschaften (vgl. Hornburg 1998, S. 4). Zuerst setzen wir uns mit der Konzeptualisierung!Operationalisierung des Konstrukts Interne Dienstleistungsqualität der Kostenrechnung auseinander. In der relevanten Literatur finden sich zahlreiche Ansätze, generelle Qualitätsdimensionen von Dienstleistungen zu identifizieren (Konzeptualisierung). Am bekanntesten sind die fünf Dimensionen Annehmlichkeit des tangiblen Umfelds (tangibles), Zuverlässigkeit (reliability), Reaktionsfähigkeit (responsiveness), Leistungskompetenz (assurance) und Einfühlungsvermögen (empathy), die dem SERVQUAL-Ansatz zur Messung der Dienstleistungsqualität zugrunde liegen (vgl. Parasuraman/Zeithaml/Berry 1988). Ein häufig genannter Kritikpunkt am SERVQUAL-Ansatz bezieht sich auf die fehlende Trennbarkeil der
Interne Dienstleistungsqualität am Beispiel der Kostenrechnung 69
fünf Qualitätsdimensionen (vgl. hierzu die Übersicht von Dabholkarffhorpe/Rentz 1996). Wir orientieren uns bei der Konzeptualisierung der internen Dienstleistungsqualität an den von Donabedian (1980) entwickelten drei Dimensionen:
- Potentialqualität, - Prozeßqualität und - Ergebnisqualität
Diese drei Dimensionen orientieren sich an den drei Phasen einer Dienstleistung (vgl. Hilke 1989). Auch in anderen empirischen Studien wurde diese Konzeptualisierung der Dienstleistungsqualität gewählt (vgl. z.B. Aust 1999 und Garbe 1998). Die Potentialqualität beinhaltet alle Leistungsvoraussetzungen, die zur Erstellung einer Dienstleistung notwendig sind. Sie erfaßt also personelle und technische Ressourcen, die auf den Prozeß der Dienstleistungserstellung, also hier auf die Informationsgenerierung und -bereitstellung, hin ausgerichtet sind (z.B. die fachliche Kompetenz der Kostenrechner). Die Prozeßqualität beinhaltet alle Aktivitäten, die während der Dienstleistungserstellung zwischen Dienstleister und Kunde stattfin
den. Somit sind hier alle Aspekte relevant, die in Verbindung mit dem Bereitstellungsprozeß der Kostenrechnungsinformationen stehen (z.B. rechtzeitige und zügige Bereitstellung von Informationen). Auf die am Ende des Dienstleistungserstel
lungsprozesses vorliegenden Leistungen und auf den Grad der Erreichung der Leistungsziele bezieht sich die Ergebnisqualität Für die Kostenrechnung setzt die Evaluierung der Ergebnisqualität an den Kostenrechnungsinformationen an, die dem
Management geliefert werden und dort zur Realisierung von Managementzielen dienen sollen (vgl. auch Aust 1999, S. 91).
Auf dieser Konzeptualisierung der internen Dienstleistungsqualität baut die Operationalisierung auf. Da es sich bei allen drei Dimensionen der internen Dienstleistungsqualität um komplexe Konstrukte handelt, werden sie durch mehrere Indikatoren gemessen. Ein einzelner Indikator reicht zur Messung nicht aus (vgl. Peter 1981 und Churchill 1979). In Tabelle 1 sind die verwendeten Indikatoren zur Messung der internen Dienstleistungsqualität zusammenfassend dargestellt. Damit haben wir das erste Ziel des Aufsatzes teilweise erreicht: Wir haben konzeptionell ein Modell zur Messung der internen Dienstleistungsqualität der Kostenrechnung
entwickelt. Zur Operationalisierung der Potentialqualität verwenden wir drei Indikatoren,
die die technische und personelle Ausstattung der Kostenrechnung sowie die Fach
kompetenz der Kostenrechner beschreiben. Die Prozeßqualität wird durch fünf Indikatoren gemessen. Diese Indikatoren beziehen sich zum einen auf zeitbezogene und prozeßbeschreibende Größen wie die Rechtzeitigkeil und Schnelligkeit der
Dienstleistungserstellung. Zum anderen beschreiben sie ein individuelles Eingehen auf Kundenbedürfnisse und eine Anpassung von Berichten und Analysen aufgrund
geschäftsbereichsinterner und -externer Veränderungen. Zudem umfaßt der fünfte
Indikator Beratungen und Erläuterungen der Kostenrechnungsinformationen durch Kostenrechner. Die Ergebnisqualität umfaßt ein weites Spektrum an Inhalten, was eine hohe Anzahl an Indikatoren zur Operationalisierung dieser Qualitätsdimension
70 Christian Hornburg und Martin Faßnacht
Tabelle 1: Ein Meßmodell für die Interne Dienstleistungsqualität der Kostenrechnung
Dimension Indikator Bezeichnung des Indikators
Potentialqualität Die technische Ausstattung der Kostenrechnung ermöglicht den Kostenrechnern eine problemlose Erfüllung ihrer Aufgaben.
2 Die personelle Ausstattung der Kostenrechnung ist ausreichend.
3 Die fachliche Kompetenz der Kostenrechner erscheint mir sehr hoch.
Prozeßqualität Zugesagte Termine für Leistungen der Kostenrechnung werden in der Regel eingehalten.
Ergebnisqualität
R: Indikator gedreht
2 Aus meiner Sicht laufen die Prozesse der Erstellung von Standardberichten und Standardanalysen sehr zügig und ohne Verzögerungen ab.
3 Die Kostenrechner gehen sehr spezifisch auf meine individuellen Bedürfnisse ein.
4 Die Kostenrechner passen ihre Berichte und Analysen geschäftsbereichsinternen und -externen Veränderungen an.
5 Die Informationen der Kostenrechnung werden in ausreichendem Maße von Beratungen bzw. Erläuterungen durch die Kostenrechner begleitet.
2
3
4
5
6
7
8 9 10 11
12
13
Die Breite des Informationsangebotes der Kostenrechnung (Anzahl der Berichte und Analysen) entspricht meinen Vorstellungen. Umfang und Detaillierungsgrad der einzelnen Berichte und Analysen der Kostenrechnung erfüllen meine Informationsbedürfnisse. Die Informationen der Kostenrechnung bilden die tatsächlichen Verhältnisse wirklichkeitsgetreu ab. Die Informationen der Kostenrechnung zeichnen sich durch eine große Genauigkeit aus. Die Informationen der Kostenrechnung widersprechen einander teilweise (R). Die Informationen der Kostenrechnung basieren auf plausiblen Annahmen. Die Informationen der Kostenrechnung sind frei von subjektiven Meinungen und Einflüssen. Die Informationen der Kostenrechnung sind aktuell. Die Informationen der Kostenrechnung sind fehlerfrei. Die Kostenrechnung liefert mir häufig neue Informationen. Die bei der Erstellung der Kostenrechnungsinformationen verwendeten Methoden sind für mich leicht nachvollziehbar. Die Informationen der Kostenrechnung sind übersichtlich dargestellt. Die von der Kostenrechnung bereitgestellten Informationen sind sprachlich leicht verständlich.
Interne Dienstleistungsqualität am Beispiel der Kostenrechnung 71
zur Folge hat. Die ersten zwei Indikatoren erfassen die Angemessenheil und den Umfang der Informationen. Die nächsten Indikatoren beziehen sich auf qualitative Aspekte der Kostenrechnunginformationen, wie Realitätsnähe, Genauigkeit, Konsistenz usw. Die letzten drei Indikatoren der insgesamt 13 Indikatoren beschreiben die Art der Präsentation/Darstellung der Kostenrechnungsinformationen (vgl. auch Aust 1999, S. 108-110).
Die Messung des Konstrukts Ausmaß der Nutzung von Kostenrechnungsinformationen in Entscheidungsfeldern weist zwei prinzipielle Unterschiede zur Messung des Konstrukts interne Dienstleistungsqualität der Kostenrechnung auf. Zum einen wird dieses Konstrukt mittels formativer und nicht reftektiver Indikatoren gemessen. Ist ein Faktor als Funktion seiner Indikatoren definiert (z.B. als arithmetisches Mittel), spricht man von formativen Indikatoren. Formative Indikatoren eignen sich dann, wenn ein Faktor nur als eine Verdichtung der in den Indikatoren enthaltenen Informationen aufgefaSt wird (vgl. Bagozzi 1994 und Hornburg 1998, S. 69 f.). Dies trifft für das Konstrukt (Faktor) Ausmaß der Nutzung von Kostenrechnungsinformationen in Entscheidungsfeldern zu. Jeder Indikator erlaßt eine spezifische Komponente des Faktors und die Indikatoren müssen deshalb nicht hoch korrelieren (Howell1987). Wir bilden den Faktor als Mittelwert der einzelnen Indikatoren (vgl. Bagozzi 1994).
Der zweite Unterschied zwischen der Messung bei beiden Konstrukten hängt damit zusammen, daß wir für jedes Unternehmen in der Stichprobe mehrere Informanten haben (vgl. Abschnitt 4.1). Als Kunden der Kostenrechnung betrachten wir die Informanten General Manager und Marketing- Nertriebsleiter. Das Modell zur Messung der internen Dienstleistungsqualität der Kostenrechnung ist für beide Informanten identisch. Dagegen ist die Messung des Konstrukts Ausmaß der Nutzung von Kostenrechnungsinformationen in Entscheidungsfeldern für General Manager und Marketing-Nertriebsleiter verschieden. General Manager und MarketingNertriebsleiter müssen sich mit unterschiedlichen Entscheidungsproblemen auseinandersetzen. Für diese beiden Kundengruppen der Kostenrechnung wurde ein Katalog typischer Entscheidungsprobleme hergeleitet, der sich an Arbeiten zur Systematisierung entscheidungsorientierter Kostenrechnungssysteme und betrieblicher Entscheidungen orientiert (vgl. Reinen 1985, S. 125-153, Hornburg et al. 2000, Karlshaus 2000). Die verwendeten acht bzw. neun Indikatoren beziehen sich auf die Zustimmung der General Manager bzw. Marketing-Nertriebsleiter zu den Aussagen, daß die Informationen der Kostenrechnung substantiell zu den jeweiligen Entscheidungsfeldern beitragen. Für General Manager ergeben sich acht Entscheidungsfelder:
- Investitions- und Desinvestitionsentscheidungen, - Entscheidungen über die Technologie und das Fertigungsverfahren, - Entscheidungen über das Produktprogramm, Preise und Konditionen sowie die
Distribution, - Entscheidungen über die Wertschöpfungstiefe und Produktionstiefe (Make-Or
Buy), - Entscheidungen über organisatorische Veränderungen,
72 Christian Hornburg und Martin Faßnacht
- Entscheidungen über Vergütungen und Vergütungssysteme, - Entscheidungen über Akquisitionen und Zusammenschlüsse und - Entscheidungen über Lieferanten und Lieferantenstrukturen.
Neun Entscheidungsfelder sind bei Marketing-Nertriebsleitern zu nennen:
- Entscheidungen über die Entwicklung - und Einführung von neuen Produkten bzw. Produktvarianten, - Entscheidungen über die Eliminierung von Produkten, - Entscheidungen über die Auswahl von Zielmärkten, - Entscheidungen über zu bedienende Kundengruppen, - Entscheidungen über die Annahme von Aufträgen, - Entscheidungen über die Vertriebspolitik, - Entscheidungen über Preise und Rabatte, - Entscheidungen über die Kommunikationspolitik (z.B. Werbung) und - Entscheidungen über die Marketing-Nertriebsorganisation.
3 Hypothesen zu Auswirkungen der internen Dienstleistungsqualität der Kostenrechnung auf das Ausmaß der Nutzung von Kostenrechnungsinformationen in Entscheidungsfeldern
Generell wird der Qualität von Informationen eine hohe Bedeutung für die Nutzung von Informationen zugesprochen. Dabei liegt der Fokus häufig auf extern bereit gestellten Informationen, wie beispielsweise Informationen von einem Beratungsunternehmen (vgl. Deshpande/Zaltman 1982 und 1984 sowie Maltz/Kohli 1996, S. 47).
Wir gehen für beide Kundengruppen der Kostenrechnung davon aus, daß die drei Qualitätsdimensionen Potential-, Prozeß- und Ergebnisqualität das Ausmaß der Nutzung von Kostenrechnungsinformationen in Entscheidungsfeldern positiv beeinflussen. Insbesondere die Arbeit von Maltz/Kohli (1996) unterstützt diese Hypothese. Die beiden Wissenschaftler fanden in ihrer empirischer Studie heraus, daß mit steigender vom internen Kunden wahrgenommener Qualität der Informationen das Ausmaß der Nutzung von Informationen durch den internen Kunden steigt. Interessanterweise wurde die "umgedrehte" Hypothese, also daß das Ausmaß der Nutzung von Informationen positiv auf die Qualität der Informationen wirkt, nicht bestätigt. Auch die Arbeiten von MenonNaradarajan (1992) und O'Reilly (1982) sowie Karlshaus (2000) kommen zu ähnlichen Resultaten bzw. Annahmen wie Maltz/Kohli (1996). Es ergeben sich also die folgenden Hypothesen.
Ht8 : Mit steigender vom General Manager wahrgenommener Potentialqualität der Kostenrechnung steigt sein Ausmaß der Nutzung von Kostenrechnungsinformationen in Entscheidungsfeldern.
Interne Dienstleistungsqualität am Beispiel der Kostenrechnung 73
Hxb: Mit steigender vom Marketing-Nertriebsleiter wahrgenommener Potentialqualität der Kostenrechnung steigt sein Ausmaß der Nutzung von Kostenrechnungsinformationen in Entscheidungsfeldern.
H2a: Mit steigender vom General Manager wahrgenommener Prozeßqualität der Kostenrechnung steigt sein Ausmaß der Nutzung von Kostenrechnungsinformationen in Entscheidungsfeldern.
H2b: Mit steigender vom Marketing-Nertriebsleiter wahrgenommener Prozeßqualität der Kostenrechnung steigt sein Ausmaß der Nutzung von Kostenrechnungsinformationen in Entscheidungsfeldern.
H38 : Mit steigender vom General Manager wahrgenommener Ergebnisqualität der Kostenrechnung steigt sein Ausmaß der Nutzung von Kostenrechnungsinformationen in Entscheidungsfeldern.
H3b: Mit steigender vom Marketing-Nertriebsleiter wahrgenommener Ergebnisqualität der Kostenrechnung steigt sein Ausmaß der Nutzung von Kostenrechnungsinformationen in Entscheidungsfeldern.
4 Empirische Studie
4.1 Datenerhebung und -grundlage
Wir greifen im Rahmen dieses Aufsatzes auf die sogenannte Kohlenzer Studie zurück (vgl. Hornburg et al. 1998). Um ein umfassendes und genaues Bild der Kundenorientierung der Kostenrechnung zu erhalten, wurden in dieser Studie in jedem der an der Untersuchung beteiligten Unternehmen zwei interne Kunden der Kostenrechnung einbezogen. Zusätzlich wurde noch ein verantwortlicher Manager aus dem Bereich Kostenrechnung bzw. Controlling als ,,Lieferant" der Kostenrechnungsinformationen für jedes beteiligte Unternehmen befragt. Bei den internen Kunden der Kostenrechnung handelte es sich um eine Person mit General ManagementVerantwortung und um einen verantwortlichen Manager des Bereichs Marketing bzw. Vertrieb. Diese zwei Personengruppen sind wesentliche interne Kunden der Kostenrechnung.
Zur Überprüfung des ausformulierten Fragebogens wurde zunächst ein umfangreicher Pretest vorgenommen. Es wurden insgesamt 16 persönliche Interviews mit verantwortlichen Managern aus den drei Bereichen durchgeführt. Dies führte zu geringfügigen Änderungen des Fragebogens.
Der nächste Schritt stellte die Datenerhebung dar, die in Form einer schriftlichen, personifizierten Befragung erfolgte. Die Datenerhebung umfaßte zwei Phasen. In der ersten Phase wurden 1.163 Industrieunternehmen des Verarbeitenden Gewerbes mit mindestens 50 Beschäftigten angeschrieben und um Mitwirkung an der Studie gebeten. Diese hohe Zahl angeschriebener Unternehmen erklärt sich durch das Ziel, eine ausreichende Anzahl von Unternehmen für die Teilnahme an der Studie zu gewinnen. Innerhalb des Verarbeitenden Gewerbes wurden Unternehmen aus den fünf Branchen Chemische Industrie, Maschinenbau, Straßenfahrzeugbau, Elektrotechnik und Ernährungsgewerbe einbezogen. Diese fünf Branchen sind die im Hinblick auf Umsatz- und Mitarbeiterzahlen wichtigsten Wirtschaftszweige des
74 Christian Hornburg und Martin Faßnacht
Verarbeitenden Gewerbes. Sie erwirtschaften gemeinsam mehr als 50 Prozent des Umsatzes und beschäftigen mehr als 50 Prozent der Erwerbstätigen dieses Wirtschaftsbereichs (vgl. Statistisches Bundesamt 1996, S. 196). Von den kontaktierten Industrieunternehmen waren 143 Unternehmen bereit, an der Studie teilzunehmen. Der Anteil von 12,3 Prozent teilnehmender Unternehmen erscheint auf den ersten Blick relativ niedrig zu sein. Bedenkt man die Aufwendigkeit der Befragung von drei Personen in jedem der teilnehmenden Unternehmen, ist dieses Resultat zufriedenstellend.
In der zweiten Phase der Datenerhebung wurden 417 Fragebögen an alle Ansprechpartner versandt. Insgesamt wurden 376 Fragebögen zurückgeschickt. Folglich ergibt sich eine Rücklaufquote von 90,2 Prozent und damit ein ausgesprochen zufriedenstellendes Resultat. Unvollständig ausgefüllte Fragebögen wurden nicht in die Datenauswertung einbezogen. Die effektive Stichprobe besteht deshalb aus 360 vollständig ausgefüllten Fragebögen. Die Stichprobe setzt sich aus nahezu identischen Anteilen aus Fragebögen der drei Informanten zusammen: Es wurden 119 Fragebögen von General Managern, 116 Fragebögen von Marketing-Nertriebsleitern und 125 Fragebögen von Kostenrechnungsmanagern ausgefüllt. Vor dem Hintergrund der von uns angestrebten zwei Ziele legen wir der Datenauswertung die Fragebögen der ersten zwei Personengruppen zugrunde (General Manager und Marketing-Nertriebsleiter).
4.2 Analyse der Konzeptualisiemng!Operationalisiemng der Konstmkte
Vor der im nächsten Abschnitt dargestellten Hypothesenprüfung sind Reliabilitätsund Validitätsfragen der in Abschnitt 2 erörterten Konstrukte zu klären. In seiner Meta-Analyse der deutschen betriebswirtschaftliehen empirischen Forschung zeigt Martin (1989, S. 177-183) auf, daß diese Fragen häufig vernachlässigt werden (vgl. auch Bronner 1993). Es sind Reliabilitäts- und Validitätskriterien der ersten und zweiten Generation zu unterscheiden (vgl. Hornburg 1998, S. 72). Die Reliabilitätsund Validitätskriterien der zweiten Generation basieren auf der konfirmatorischen Faktorenanalyse. In Verbindung mit der konfirmatorischen Faktorenanalyse sind zahlreiche Gütemaße und inferenzstatistische Tests entwickelt worden, die eine detaillierte Analyse des Meßmodells bezüglich Reliabilitäts- und Validitätsfragen erlauben. In der Marketingforschung ist die Überlegenheit der konfirmatorischen Faktorenanalyse und der mit ihr zusammenhängendenMetbaden inzwischen unumstritten (vgl. Andersan/Gerhing 1993 und Homburg/Giering 1996). Zur Überprüfung der Reliabilität und Validität greifen wir deswegen in erster Linie auf Kriterien der zweiten Generation zurück. Die einzige Ausnahme stellt das oft herangezogene Kriterium Cronbachsches Alpha dar, welches zu den Kriterien der ersten Generation gehört (vgl. die Meta-Analyse von Peterson 1994).
Von den in Abschnitt 2 behandelten Konstrukten werden die drei Dimensionen der Dienstleistungsqualität - Potential-, Prozeß- und Ergebnisqualität - mittels reflektiver Indikatoren gemessen. Dagegen wird das Konstrukt Ausmaß der Nutzung von Kostenrechnungsinformationen in Entscheidungsfeldern anband formativer Indikatoren operationalisiert. Die Reliabilität und Validität solcher Konstrukte kann
Interne Dienstleistungsqualität am Beispiel der Kostenrechnung 75
nicht überprüft werden, da hierzu keine anerkannten statistischen Methoden vorliegen (vgl. Cohen et al. 1990).
Ein wichtiger Aspekt ist in diesem Kontext die interne Konsistenz zwischen den unterschiedlichen Indikatoren, die ein und dasselbe Konstrukt (Faktor) messen. Für jedes Konstrukt haben wir das Cronbachsche Alpha und die Faktorreliabilität berechnet (vgl. Homburg/Giering 1996). Die Faktorreliabilität zeigt, wie gut der Faktor durch alle ihm zugeordneten Indikatoren gemeinsam gemessen wird. Der Wertebereich für die Faktorreliabilität erstreckt sich von Null bis zum Optimalwert von Eins. Nunnally (1978) und Bagozzi/Yi (1988) fordern Mindestwerte von 0,7 für das Cronbachsche Alpha und 0,6 für die Faktorreliabilität
Tabelle 2: Informationen zur Güte der Konstruktmessung
Faktor Anzahl Mittelwert* Indikatoren (Skala von I bis 7)
Potentialqualität Prozeßqualität Ergebnisqualität Ausmaß der Nutzung von Kostenrechnungsinformationen in Entscheidungsfeldern
3 5 13 I
l= sehr niedrig; 7 =sehr hoch •• GM = General Manager
GM**
4,99 5,10 5,04 4,55
••• MN = Marketing-Nertriebsleiter
MIV***
4,70 4,77 4,61 4,09
Cronbachsches Faktor-Alpha**** reliabilität****
GM** MIV*** GM** MIV***
0,65 0,63 0,72 0,68 0,89 0,82 0,91 0,84 0,90 0,90 0,92 0,91
•••• Cronbachsches Alpha und Faktorreliabilität sind nicht berechenbar für formative Indikatoren.
Die Werte für diese zwei Maßzahlen sind für die beiden Informantengruppen - General Manager und Marketing-Nertriebsleiter- in Tabelle 2 dargestellt. Die geforderten Mindestwerte werden fast immer (deutlich) übertroffen. Auch die Werte des Cronbachschen Alphas für das Konstrukt Potentialqualität in Höhe von 0,65 (General Manager) bzw. 0,63 (Marketing-Nertriebsleiter) sind ausreichend groß. Etwas unter dem Schwellenwert von 0,7liegende Werte sind vor allem dann zu akzeptieren, wenn für das betreffende Konstrukt keine etablierte Skala vorliegt. Dies ist bei dem Konstrukt Potentialqualität der Fall. Zudem werden in der Marketingliteratur oft Werte für das Cronbachsche Alpha akzeptiert, die deutlich unter 0,7liegen (vgl. die Meta-Analyse von Peterson 1994). Daher gehen wir von einer hinreichend hohen internen Konsistenz zwischen den Indikatoren aus, die ein und dasselbe Konstrukt messen. Dies wird zusätzlich dadurch unterstützt, daß bei der konfirmatorischen Faktorenanalyse alle Faktorladungen statistisch signifikant sind. Dies ist ein weiteres Kriterium für die interne Konsistenz (vgl. Bagozzi/Yi/Phillips 1991).
Die konfirmatorische Faktorenanalyse bietet auch die Möglichkeit der Überprüfung der Diskriminanzvalidität zwischen Faktoren (Konstrukten). Diese muß nachgewiesen werden, um sicherzustellen, daß mehrere Meßmodelle nicht densel-
76 Christian Hornburg und Martin Faßnacht
ben Sachverhalt messen. Dies kann mittels des x2-Differenztests erfolgen (vgl. zur Vorgehensweise Hornburg 1998, S. 90 f.). Die Analyse ergab, daß die Diskriminanzvalidität zwischen den drei Konstrukten Potential-, Prozeß- und Ergebnisqualität im wesentlichen gegeben ist. Während bei den General Managern die x2-Differenztests klar auf ein ausreichendes Maß an Diskriminanzvalidität zwischen allen drei Konstrukten hindeuten, zeigen die x2-Differenztests bei den Marketing Managern keine klare Trennschärfe zwischen den Konstrukten Potential- und Prozeßqualität auf. Wir behalten dennoch für beide Informantengruppen die dreidimensionale Struktur der internen Dienstleistungsqualität der Kostenrechnung bei. Dies geschieht auch vor dem Hintergrund, eine Vergleichbarkeit zwischen den Ergebnissen für General Manager und für Marketing-Nertriebsleiter zu ermöglichen.
Hiermit ist das erste Ziel dieses Aufsatzes erreicht. Wir haben ein konzeptionell entwickeltes Meßmodell für die interne Dienstleistungsqualität der Kostenrechnung für zwei Kundengruppen empirisch überprüft. Die herangezogenen Reliabilitätsund Validitätskriterien deuten auf eine zumindest akzeptable Güte des Meßmodells hin.
4.3 Ergebnisse der Hypothesenprüfung
Die Überprüfung der in Abschnitt 3 formulierten Hypothesen wurde mittels bivariater Korrelationskoeffizienten durchgeführt. Diese Ergebnisse sind in Tabelle 3 dargestellt. Aufgrund starker Multikollinearitäten zwischen den drei Qualitätsdimensionen für jede Informantengruppe- General Manager und Marketing-Nertriebsleiter - empfahl sich nicht der Einsatz der multiplen linearen Regressionsanalyse. Strukturgleichungsmodelle mit latenten Variablen (Kausalanalysen) wurden nicht angewandt, da für beide Informantengruppen das Verhältnis zwischen Stichprobenumfang und der Anzahl der zu schätzenden Parameter zu gering ist (vgl. Baumgartner/Homburg 1996, S. 146).
Alle sechs Hypothesen werden auf dem 5%-Signifikanzniveau bestätigt. Für beide Personengruppen ergibt sich, wie in den Hypothesen H1a und H1b postuliert, ein positiver Zusammenhang zwischen der Potentialqualität und dem Ausmaß der Nutzung von Kostenrechnungsinformationen in Entscheidungsfeldern. Sowohl bei den Marketing-Nertriebsleitem als auch bei den General Managern wird die positive Wirkung der Prozeßqualität auf die Nutzung von Kostenrechnungsinformationen in Entscheidungsfeldern bestätigt (Hypothesen H2a und H2b). Die in den Hypothesen H3a und H3b unterstellten positiven Einflüsse der Ergebnisqualität auf das Ausmaß der Nutzung von Kostenrechnungsinformationen konnten für beide Informantengruppen nachgewiesen werden.
Hinsichtlich der Stärke des Zusammenhangs zwischen den drei Qualitätsdimensionen und dem Ausmaß der Nutzung von Kostenrechnungsinformationen in Entscheidungsfeldern gibt es Unterschiede bei den beiden Informantengruppen. Bei General Managern hat die Potentialqualität den größten Einfluß und bei den Marketing-Nertriebsleitern die Prozeßqualität auf das Ausmaß der Informationsnutzung. Mit der Beurteilung der Potentialqualität gibt der Befragte zu erkennen, in welchem
Interne Dienstleistungsqualität am Beispiel der Kostenrechnung 77
Qualitätsdimensionen
Potentialqualität
Prozeßqualität
Ergebnisqualität
Tabelle 3: Ergebnisse der Hypothesenprüfung
Ausmaß der Nutzung von Kostenrechnungsinformationen in Entscheidungsfeldern
General Manager
0,424**
n = 116 (Hta)
0,319**
n = 116 (H2a)
0,346** n= 116
(H3a)
Marketing-/Vertriebsleiter
0,285**
n=113 (Htb)
0,322** n= 114
(H2b)
0,170* n= 113
(H3b)
Dargestellt sind die bivariaten Korrelationskoeffizienten * p<0,05 **p < 0,01
Ausmaß er es dem internen Lieferanten (Kostenrechnung) zutraut, Dienstleistungen zu erstellen. Diese Qualitätsdimension ist für General Manager am wichtigsten. Dagegen sind hier für die Marketing-Nertriebsleiter die Aktivitäten, die während der Dienstleistungserstellung zwischen ihnen und dem internen Lieferanten Kostenrechnung stattfinden, am relevantesten.
5 Resümee
Das Konzept der empirischen betriebswirtschaftliehen Forschung durchzieht alle Fachgebiete der deutschsprachigen Betriebswirtschaftslehre, allerdings in unterschiedlicher Intensität. Zum Fachgebiet internes Rechnungswesen ist die empirische Forschung recht begrenzt. Das interne Rechnungswesen (Kostenrechnung) hat die Aufgabe, unternehmensinternen Adressaten Informationen über Wertentstehung und -verzehr der betrieblichen Aktivitäten zur Verfügung zu stellen. Somit liegen hier unternehmensinterne Kunden-Lieferanten- Beziehungen vor. Interner Lieferant ist hier die Kostenrechnung und wesentliche interne Kunden sind General Manager und Marketing-Nertriebsleiter. Auf den hohen Stellenwert der Umsetzung einer internen Kundenorientierung wird im Rahmen des Total-Quality-Managements sowie in der jüngeren Diskussion zum internen Marketing hingewiesen. Die sowohl von Praktikern als auch von Wissenschaftlern vertretene Ansicht, daß Kostenrechnungssysteme Veränderungsbedarf aufweisen, unterstreicht die Relevanz einer (internen)
Kundenorientierung der Kostenrechnung. Diesem Aufsatz liegt eine branchenübergreifende empirische Studie zugrunde,
bei der in jedem der an der Untersuchung beteiligten Industrieunternehmen zwei interne Kunden der Kostenrechnung einbezogen wurden. Hierbei handelte es sich um eine Person mit General Management-Verantwortung und um einen verantwortlichen Manager des Bereichs Marketing bzw. Vertrieb. Wir haben im Rahmen dieses
78 Christian Hornburg und Martin Faßnacht
Aufsatzes ein Meßmodell für die interne Dienstleistungsqualität der Kostenrechnung entwickelt, das sich empirisch bewährt hat. Dieses Meßmodell konzeptualisiert die interne Dienstleistungsqualität mittels der drei Dimensionen Potential-, Prozeß- und Ergebnisqualität Jede dieser drei Qualitätsdimensionen beeinflußt bei beiden Informantengruppen signifikant positiv das Ausmaß der Nutzung von Kostenrechnungsinformationen in Entscheidungsfeldern.
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Betriebliche Weiterbildung und Arbeitsmarktsituation Qualifizierungsmaßnahmen im Lichte organisationstheoretischer Ansätze und ernpriseher Datenanalyse
Albert Martin und Herbert Düll
Unser Aufsatz beschäftigt sich mit der Logik des Weiterbildungsverhaltens von Unternehmen. Wir kommen zu dem Ergebnis, daß das Weiterbildungsverhalten nicht ausschließlich einem ökonomischem Kalkül folgt, sondern nur erklärt werden kann, wenn man die Wirkungsweise betrieblicher Institutionen in Rechnung stellt. Wir prüfen unsere Hypothese anband von Daten des lAB-Betriebspanels und von Angaben zu regionalen Arbeitslosenquoten. Theoretiker sind nicht ohne Grund skeptisch, wenn sie mit empirischen Daten konfrontiert werden, die ihren theoretischen Überlegungen widersprechen, denn die Ableitung empirischer Prognosen aus theoretischen Ansätzen ist nicht unproblematisch. Jede empirische Hypothesenprüfung unterstellt die Gültigkeit einer Vielzahl von - oft nicht explizit herausgestellten - Hilfshypothesen. Aus diesem Grund gelingt es Theoretikern auch meist ohne große Mühe, fast jedes empirische Ergebnis zu ignorieren. Unser Aufsatz ist ein Versuch, sich diesem wenig fruchtbaren Verhalten entgegenzustellen. Natürlich müssen auch wir bei unserer Dateninterpretation ungeprüfte Hilfshypothesen in Anspruch nehmen, dennoch glauben wir, daß unsere Analyse relativ robust ist. Wir stützen diese Überzeugung vor allem auf das insgesamt konsistente Muster der empirischen Daten. Dennoch zeigen sich auch in unserer Analyse die üblichen Grenzen in der Vermittlung theoretischer und empirischer Konzepte. Unsere Schlußfolgerung ist, diesem Problem nicht aus dem Weg zu gehen. Die organisationstheoretische Analyse kann die empirische Analyse nur voran bringen.
1 Problemstellung
Die betriebliche Weiterbildung hat in den letzten Jahrzehnten erheblich an Bedeutung gewonnen. Schätzungen gehen davon aus, daß Unternehmen Mitte der neunzigerJahrein etwa gleichem Umfange in tertiäre Bildung investieren wie der Staat (Bundesanstalt für Arbeit und öffentliche Hand) (vgl. von Bardeleben/Sauter 1995; Schumacher 1997). Allerdings gibt es beträchtliche Unterschiede im Weiterbildungsengagement von Unternehmen, und es drängt sich die Frage auf, was Unternehmen eigentlich dazu bewegt, mehr oder weniger in Weiterbildung zu "investieren". Warum schicken manche Unternehmen im Durchschnittjedes ihrer Mitglieder zweimal pro Jahr zu Weiterbildungsveranstaltungen, andere dagegen kein einziges?
Zwar gibt es mittlerweile eine ganze Reihe umfassender empirischer Studien zum Weiterbildungsverhalten von Unternehmen. Die in diesen Studien gewonnenen Erkenntnisse beantworten unsere Frage aber nur sehr bedingt. Ein Hauptgrund
82 Albert Martin und Herbert Düll
für diesen Mangel liegt nicht in der Datengrundlage, sondern in der häufig ungeklärten theoretischen Basis, auf der die vorliegenden empirischen Studien beruhen. Kaum eine Studie bemüht sich um eine ausgearbeitete theoretische Fundierung der Datenerhebung. Auch die Darstellung der empirischen Ergebnisse verwendet theoretische Konzepte - wenn überhaupt - nur sehr sparsam und oft nur ad hoczur ,,nachträglichen" Erläuterung eines gefundenen Zusammenhangs (vgl. Martin/Behrends 1999).
Angesichts der Bedeutsamkeit des Weiterbildungsthemas muß die Theorieabstinenz der Empiriker erstaunen. Schließlich sollte es ihnen doch auch darum gehen, die Handlungslogik der Unternehmen zu ergründen. Und umgekehrt sollten sich Theoretiker nicht die Gelegenheit entgehen lassen, das inzwischen vorliegende reichhaltige Datenmaterial zu nutzen, um ihre Überlegungen empirisch zu fundieren.
Wir wollen im vorliegenden Aufsatz ein Beispiel für eine derartige Fundierung geben. Wir greifen hierzu auf das Theorieangebot zurück, das im besonderen die Organisationsforschung bereitstellt. Exemplarisch wollen wir einen "ökonomischen" und einen "verhaltenswissenschaftlichen" Ansatz näher betrachten. Beide Ansätze sind nicht von Natur aus ,,gegensätzlich", sie können sich also bei bestimmten Fragestellungen durchaus ergänzen. Wir haben aber bewußt eine Konfrontation der beiden Ansätze vorgenommen, weil sich bei einem derartigen Vorgehen die jeweiligen Argumentationslinien deutlicher nachzeichnen lassen. Aus den beiden Ansätzen werden also z. T. konträre Hypothesen abgeleitet, die wir in einem zweiten Schritt prüfen wollen. Wir nehmen das Ergebnis dieser Prüfung zum Anlaß, einige allgemeine Bemerkungen über die Leistungsfähigkeit der betrachteten Theorien zu machen. Insgesamt geht es uns außerdem darum, die Vorteile theoriegestützter Empirie herauszustellen.
Inhaltlich gehen wir auf einen ausgewählten Aspekt des Weiterbildungsverhaltens ein, die Frage, warum Unternehmen sich dafür entscheiden, ihre Mitarbeiter weiterzubilden oder aber auf eigene Weiterbildungsanstrengungen zu verzichten. Wir prüfen die Argumentationsweise der ausgewählten theoretischen Ansätze anband ihrer Voraussagen über das Unternehmensverhalten in einer bestimmten Situation. Konkret soll geprüft werden, ob sich das Weiterbildungsverhalten der Unternehmen in verschiedenen Arbeitsmarktsituationen unterscheidet - und ob die von uns betrachteten Theorien dies richtig voraussagen.
Zunächst wollen wir nach einem Überblick über die Relevanz von Organisationstheorien zur Analyse des betrieblichen Weiterbildungsverhaltens auf den ,,Erklärungsrahmen" von Organisationstheorien eingehen (Abschnitt 2). Die vorliegenden theoretischen Entwürfe haben in aller Regel den Charakter von theoretischen ,,Ansätzen", bestehen also im wesentlichen aus einem Inventar von grundlegenden Argumentationsmustern und sind keine im strengen Sinne systematisch und präzise formulierten "Theorien". Gleichwohl lassen sich mit ihrer Hilfe konkrete Hypothesen gewinnen. Dies soll im folgenden gezeigt werden. Allerdings kann -angesichts des offenen Charakters der theoretischen Hintergrundannahmen- keine strikte ,,Ableitung" der Hypothesen erfolgen. Dies macht jede Überprüfung von
Betriebliche Weiterbildung und Arbeitsmarktsituation 83
Organisationstheorien prekär, zumal Theoretiker fast ausnahmslos ein virtuoses Geschick darin besitzen, unpassende empirische Befunde "wegzurationalisieren", z. B. dadurch, daß sie eine falsche Anwendung ihrer Theorie reklamieren.
Dessen ungeachtet wollen wir eine kontrastierende Gegenüberstellung konkurrierender Theorien nicht scheuen. Zunächst skizzieren wir die Grundgedanken der beiden von uns näher behandelten Theorien (Abschnitt 3). Die Ableitung unserer Hypothesen aus diesen Theorien erfolgt im Abschnitt 5. Zuvor werden wir im Abschnitt 4 unsere empirische Basis vorstellen und unser methodischen Vorgehen erläutern. Nach der Darstellung der Ergebnisse unserer empirischen Analyse und deren Diskussion (Abschnitte 6 und 7), werden wir in einem Fazit (Abschnitt 8) nochmals auf den Anlaß unserer Analyse zurückkommen: die Problematik der organisationstheoretischen Fundierung der empirischer Studien des Weiterbildungsverhaltens.
2 Weiterbildung im Lichte organisationstheoretischer Ansätze
Theorien beschreiben die Gesetzmäßigkeiten der Realität, sie besitzen Informationsgehalt (oder sollten ihn besitzen) und machen es damit möglich, das Auftreten konkreter Phänomene erklären und gegebenenfalls auch vorherzusehen. Neben ihrem unmittelbar "prognostischen" Gehalt besitzen Theorien einen metaphysischen Gehalt, d. h. sie "transportieren" bestimmte, der unmittelbaren Theorieverwendung vorgelagerte Vorstellungen über Funktionsmechanismen der Realität. So geht der sogenannte Kontingenzansatz der Organisationsforschung beispielsweise davon aus, daß Kräfte wirksam sind, die auf einen ,,Fit" zwischen Organisation und Umwelt drängen. Theorien liefern gewissermaßen eine "Weltperspektive". Sie werfen einen bestimmten Blick auf die Welt und stellen empirische Vorgänge in das von ihnen ausgesandte Licht. Vermeintlich selbstredende Phänomene gewinnen daher im Blickfeld unterschiedlicher Theorien auch durchaus unterschiedliche Konturen.
Abbildung 1 spiegelt diesen Sachverhalt am Beispiel des Weiterbildungsverhaltens von Unternehmen (vgl. Martin/Behrends 1999, S. 76). Sie zeigt, daß organisationstheoretische Ansätze (zu Überblicken vgl. u. a. Perrow 1986, Kieser 1995, Pfeffer 1997) der betrieblichen Weiterbildung sehr verschiedene Aspekte abgewinnen. Die Abbildung zeigt den jeweiligen Panoramablick, den eine Organisationstheorie auf das betriebliche Weiterbildungsgeschehen wirft. Daraus bestimmen sich auch die Grenzen des Blickfeldes, denn wenn man Weiterbildungsaktivitäten beispielsweise lediglich als Tauschobjekte begreift, dann bleibt notwendigerweise die Frage nach psychologischen Weiterbildungsbarrieren ohne Sinn. Doch dies ist nicht unser eigentliches Thema. Uns geht es im folgenden um die Konfrontation von konkreten Hypothesen, die aus konkurrierenden Organisationstheorien abgeleitet werden. Im folgenden wollen wir kurz auf einige Schwierigkeiten bei der Durchführung unserer Absicht hinweisen. In Abbildung 2 sind drei Beispiele für konkrete Hypothesen angeführt, die aus unterschiedlichen Theorien ,,abgeleitet'' wurden (die in Abbildung 2 angeführten Unterteilung von Erklärungsmustern findet sich ähnlich bei Scott/Meyer 1994, S. 241 ff.). Die Hypothesen sind nur ausgewählte Exempla-
84 Albert Mactin und Herbert Düll
Organisationstheoretischer Konzipierung des Weiterbildungsverhaltens Ansatz
Ökonomische Ansätze:
Humankapitaltheorie
Tauschtheorie
Politische Ansätze:
Politische Ökonomie
Koalitionstheorie
Weiterbildung ist eine Investition, findet sich also vor allem in wissensintensiven Organisationen, sie ist jedoch auch abhängig von der Marktposition der Arbeitnehmer.
Weiterbildung ist ein Tauschobjekt, wird also z. B. eingesetzt, um Wettbewerbsvorteile am Arbeitsmarkt zu gewinnen bzw. um Nachteile auszugleichen.
"Wissen ist Macht" und wird strategisch verwendet bzw. vorenthalten. Es erfolgt eine Segmentierung in Herrschaftsund Gebrauchswissen.
Weiterbildung wird eingesetzt, soweit dies im Interesse der Mächtigen liegt, sie ist Kompensationsgeschäft, side payment und Instrument der Konfliktaustragung.
Institutionstheoretische Ansätze:
Kulturorientierte Ansätze Weiterbildung dient der Sozialisation der Mitarbeiter. Sie dient der Legimitätssicherung und der Selbstverortung der eigenen Organisation.
Strukturorientierte Ansätze Bildung ist primär mit organisationalen Abläufen verknüpft, Bildungsplanung wird z. B. zum Bestandteil der Investitionsplanung und der Karriereplanung.
Funktionalistische Ansätze:
Kontingenzansatz In welcher ökonomischen Umwelt ist Bildung effizient? Weiterbildung hat einen impliziten Bezug zu den Grundfunktionen der Unternehmung, insbesondere zur Leistung.
Populationsansatz Weiterbildung ist in bestimmten ökonomisch-ökologischen Nischen ein Bestandteil des organisationalen "Genpools" und Ergebnis von Diffusionsprozessen.
Verhaltenswissenschaftliche Ansätze:
Social Relations Ansatz Weiterbildung wird je nach Sozialbeziehung zu unterschiedlichen Zwecken eingesetzt (z. B. als Sozialleistung in patriarchalischen Unternehmen).
Problemhandhabungsan- Weiterbildung ist eine mögliche Antwort auf betriebliche satz Probleme, sie entsteht aus der organisationalen
Handlungslogik, die sich in der Entscheidungstindung manifestiert.
Abbildung 1: Betriebliche Weiterbildung im Lichte organisationstheoretischer Ansätze
Betriebliche Weiterbildung und Arbeitsmarktsituation 85
Theoretischer Ansatz Grundüberlegung
Technischer Ansatz Organisationen sind zielorientierte Systeme.
Kontrolltheoretischer Organisationen sind Ansatz Herrschaftsinstru-
Politischer Ansatz
mente.
Organisationen sind Koalitionen von Koalitionen.
Beispiele für konkrete Hypothesen
Weiterbildung wird an den operativen Kernprozessen des Unternehmens ansetzen. Die Zielgruppe der Weiterbildung besteht aus den Mitglieder der wichtigsten operativen Einheiten (z. B. Meister, Fachkräfte).
Weiterbildung dient der Sicherstellung des Verwertungszusammenhangs. Die Zielgruppe der Weiterbildung besteht aus den Trägern der legitimen Ordnung (z. B. Vorgesetzte).
Weiterbildung dient der Machtsicherung und als Ressource für mächtige Akteure. Die Zielgruppe der Weiterbildung besteht aus den Machtgruppen der Organisation (z. B. Funktionsträger, Führungskräfte ).
Abbildung 2: Organisationstheoretische Erklärungsmuster und ihre Anwendung auf eine ausgewählte Frage zum Weiterbildungsverhalten von Unternehmen
re aus der potentiell gegebenen Folgerungsmenge der angeführten Theorien, und
sie richten sich alle auf das gleiche Erklärungsobjekt (nämlich die Zielgruppe von
Arbeitnehmern, für die Weiterbildungsveranstaltungen durchgeführt werden), denn anders wäre ein Hypothesen- und Theorienvergleich gar nicht möglich.
Die Theorien widersprechen sich auf der konkreten Hypothesenebene nur bedingt. Wenn beispielsweise die operative Kerngruppe mit der Machtgruppe iden
tisch ist, dann wäre eine Bestätigung des politischen Ansatzes gleichzeitig auch eine
Bestätigung des technischen Ansatzes. Eine Entscheidung über die Vorzugswürdig
keit der organisationstheoretischen Argumentation erfordert also eine Prüfsituation, in der die Bestätigung der einen Hypothese mit der Widerlegung der anderen Hypothesen einhergeht. Für die Theorienprüfung ist die Gewährleistung be
stimmter Prüfbedingungen also von entscheidender Bedeutung. Ebenso wichtig ist
die korrekte Herleitung der Prüfhypothese aus der zugrundeliegenden organisationstheoretischen Argumentation. Wie man unseren Beispielen aus Abbildung 2 leicht ansieht, haben wir uns diese Aufgabe im gegebenen Zusammenhang leicht gemacht. Schließlich sei auf eine dritte Schwierigkeit des Hypothesentests hin
gewiesen: die Zuordnung der abstrakten Objektbeschreibung zu empirisch faßba
ren Merkmalen. Wie läßt sich feststellen, wer zur Machtgruppe eines Unterneh
mens gehört? Man liegt sicher nicht verkehrt, wenn man annimmt, daß diese Grup
pe vor allem von den Führungskräften eines Unternehmens gebildet wird. Ande
rerseits ist dies aber eine sehr pauschale Annahme, die nicht ohne weiteres gilt.
Komplizierter noch ist die Bestimmung der operativen Kerngruppe: gehören hier
zu in einem bestimmten Betrieb alle Facharbeiter oder nur die Meister und tech
nischen Spezialisten und wenn ja: welche in welcher Funktion oder Abteilung?
Jedenfalls wird man, dies sollen unsere Beispiele zeigen, ohne Vereinfachungen
nicht auskommen oder, anders ausgedrückt und zusammengefaßt: fundamentale
86 Albert Martin und Herbert Düll
organisationstheoretische Überlegungen lassen sich nicht ohne weiteres empirisch prüfen. Zu bedenken sind zahlreiche meßtheoretische, methodenkritische, stichprobentheoretische und aussagenlogischen Schwierigkeiten auf die wir hier nicht eingehen können (vgl. hierzu Martin 1989a, zur Konzipierung empirischer Studien vgl. Bronner/Appel/Wiemann 1999, zur Ausdifferenzierung von Weiterbildungskonzepten vgl. Bronner 1999). Dessen ungeachtet empfiehlt es sich, die Untersuchung des Weiterbildungsverhaltens nicht im rein Empirischen zu belassen. Viele Weiterbildungsstudien sammeln etwas haltlos beliebige und beliebig viele ,,Einflußgrößen", die sich in nachfolgenden Studien oft als wenig robust erweisen (vgl. Martin/Behrends 1999). In der empirischen Organisations- und Personalforschung berufen sich Studien überwiegend auf den ,,situativen Ansatt', ohne die Relevanz der verwendeten Einflußgrößen wirklich zu klären (vgl. auch Pawlowsky/Bäumer 1995, Bäumer 1999, S.100 ff.). In ähnlich additiver Weise ziehen ökonometrische Studien zum betrieblichen Weiterbildungsverhalten (vgl. etwa für den angelsächsischen Raum Lynch/Black 1998 und Green/Machin/Wilkinson 1999; in Deutschland Gerlach/Jirjahn 1998a und Düll/Bellmann 1998) eine Vielzahl deutungsoffenerempirische Meßgrößen heran. Dabei gibt erst die theoretische Analyse einer empirischen Studie ihre eigene ,,Facon". Nur eine theoretisch veranlaßte Analyse erlaubt es, die Verhaltensmuster zu erkennen, die für das wechselnde Weiterbildungsengagement der Unternehmen verantwortlich sind.
3 Ökonomisches Handeln und Institutionslogik
Wir wollen einander im folgenden zwei theoretische Ansätze gegenüberstellen und untersuchen, wie sie sich im Lichte empirischer Befunde bewähren. Zunächst betrachten wir als einen Vertreter der ökonomischen Theorie den sogenannten Transaktionskostenansatz. Ökonomische Ansätze beschäftigen sich normalerweise mit dem Entscheidungshandeln von Wirtschaftsakteuren, ohne das organisationale Fundament zu berücksichtigen, das die Entscheidungstindung überhaupt erst ermöglicht. Eine Ausnahme machen die sogenannten institutionsökonomischen Ansätze, zu denen auch der Transaktionskostenansatz gehört. Sie rekurrieren explizit auch auf organisationale Handlungsbedingungen - weshalb man sie zurecht auch als organisationstheoretische Ansätze bezeichnen kann. Allerdings bleibt der Bezug der ökonomischen Ansätze zur organisationalen Lebenswirklichkeit merkwürdig "flach" und "aufgesetzt'', denn letztlich erwachsen - so die Argumentation des Transaktionskostenansatzes- institutionelle Arrangements immer aus einer der jeweils gegebenen Situation angepaßten ökonomischen Logik. Aus diesem Grund stellen wir dem Transaktionskostenansatz eine originär organisationstheoretische Sichtweise entgegen, die die Eigenlogik von Institutionen herausstellt.
3.1 Der Transaktionskostenansatz
Der Transaktionskostenansatz problematisiert was in der ökonomischen Theorie sonst unbeachtet bleibt: den Tauschakt Er geht von der Einsicht aus, daß sich Transaktionen nicht in ,,Einigung und Übergabe" erschöpfen. Tauschhandlungen sind von
Betriebliche Weiterbildung und Arbeitsmarktsituation 87
Natur aus "prekär", ihr Erfolg ist in vielfacher Weise gefährdet, und es sind daher nicht selten erhebliche Vorkehrungen zu treffen, um den anvisierten Tauschakt zum Erfolg zu führen. Die potentiellen Tauschpartner sammeln Informationen über die Güte der versprochenen Leistung und über die Kreditwürdigkeit des Tauschpartners, sie bedienen sich eines Maklers, schließen bedingte Verträge, vereinbaren Konventionalstrafen, führen Leistungskontrollen durch und bestellen Gutachten. Anders ausgedrückt: sie bemühen sich um Informationen, kümmern sich um die Durchführung der vertraglich vorgesehenen Handlungen und um die Kontrolle der Leistungserbringung. Alle diese Tätigkeiten verursachen Kosten: Transaktionskosten, die aufgewendet werden müssen, um eine möglichst effiziente Vertragserfüllung zu gewährleisten. Zum Teil werden die Aufgaben, die mit der Tauschabwicklung verbunden sind, von der Gesellschaft bzw. von staatlichen Einrichtungen übernommen (man denke nur an Arbeit von Gerichten, Katasterämtern, Prüfstellen), oft stellen aber auch private Dritte (Verbände, Berater usw.) ihre Dienste als Tauschmittler zur Verfügung, es entstehen Informationssammelstellen und es werden Verwaltungsvorgänge etabliert, d. h. es entstehen Institutionen.
Nicht nur im Außenverhältnis (auf den Gütermärkten) sondern auch im Innenverhältnis (bei der Erstellung der Unternehmensleistungen durch die Mitarbeiter) geht es um Tausch. Die Mitarbeiter eines Unternehmen tauschen ihren Arbeitseinsatz gegen Entgeltleistungen und sonstige Anreize. Auch dieses Tauschverhältnis funktioniert nicht von selbst und muß daher institutionelle Arrangements abgesichert werden.
Tatsächlich stellt sich die Absicherung von Tausch- und Vertragsverhältnissen nicht immer in der gleichen Schärfe. Beim Kauf von Briefmarken im Postamt entstehen nur sehr geringe Transaktionskosten, bei einem Auftrag zur Erstellung einer Fabrikationsanlage können die Transaktionskosten die Höhe der Produktionskosten übersteigen. Wovon aber hängt die Höhe der Transaktionskosten ab? Von der Qualität der jeweiligen Transaktion. Und diese ist letztlich auch dafür verantwortlich, in welcher Weise institutionelle Arrangements notwendig und hilfreich sind, um die Sicherheit der Tauschhandlungen zu gewährleisten. Welche Merkmale einer Transaktion sind für das Entstehen von Transaktionskosten verantwortlich? Die Transaktionskostentheorie von Williamson ( 1985) stellt auf vier Faktoren ab:
- die Unsicherheit der Akteure über den Ablauf und die Gewährleistung der Transaktion,
- die spezifischen Investitionen, die notwendig sind, um den Tauschakt anzubahnen, durchzuführen und zu kontrollieren und
- die Häufigkeit der Transaktionen (gewissermaßen als Indikator für die geronnenen Tauscherfahrungen),
- die Komplexität der Tauschbeziehung, die den einzelnen Akt des Tausches in ein umfassenderes System von Tauschhandlungen stellt.
Letztlich sind es jedenfalls immer Transaktionskosten, die Institutionen ihr Lebensrecht und ihre Lebenswirklichkeit geben. Es werden nur solche Institutionen entstehen und sich halten können, die in der Lage sind, die unvermeidlichen Trans
aktionskosten "im Zaum zu halten".
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Diese Betrachtungsweise ist allerdings nur bedingt zufriedenstellend, denn sie gibt auf die Frage nach dem Zustandekommen eines institutionellen Arrangements nur eine sehr pauschale Antwort. Häufig wird außerdem die Auffassung vertreten, die Entstehung von Institutionen gleiche einem Wahlproblem. Andere Autoren gebrauchen dagegen evolutionstheoretische Argumente: "Implicit in transaction cost economics is a notion that market forces work to bring about an 'efficient' sort between transactions and governance structures, so that exchange relationships observed in practice can be explained in terms of transaction cost economizing. The existence of this selection mechanism is usually assumed rather than explained ... " (Shelanski/Klein 1995, S. 338). Doch wie immer man dieses Problem angehen will, bislang ist die Frage danach, wie sich historische Entwicklungen mit Hilfe des ökonomischen Instrumentariums rekonstruieren lassen nur unbefriedend beantwortet. Insbesondere bleibt offen, welche Bedeutung ökonomische Faktoren und welche Bedeutung soziale Traditionen, Ressourcen- und Machtfragen besitzen.
3.2 Transaktionskosten und Weiterbildungsentscheidungen
Welches Interesse können Unternehmen überhaupt daran haben, ihre Arbeitnehmer weiterzubilden? Mit dieser Frage haben sich die ökonomischen Erklärungsansätze unter Rückgriff auf die Grundannahmen der Humankapitaltheorie (vgl. Becker 1964) beschäftigt. Der Ausgangspunkt der ökonomischen Argumentation lautet stets: Die Unternehmen werden vor allem dann Weiterbildungsmaßnahmen ergreifen, wenn sich diese Investition auch auszahlt. Sie wird sich dann auszahlen, wenn die aus der Weiterbildung resultierenden Produktivitätsgewinne höher sind als die Weiterbildungskosten. Dieses Argument macht verständlich, warum Unternehmen in bestimmten Branchen so gut wie keine, andere dagegen große Weiterbildungsanstrengungen unternehmen: Offenbar sind die durch Weiterbildung erreichbaren Produktivitätsgewinne eben sehr verschieden. Weiterhin ist nicht sichergestellt, daß die Generierung bestimmter Qualifikation durch eigene Weiterbildung günstiger ist als die Beschaffung des entsprechenden ,,Humankapitals" am externen Arbeitsmarkt. Nicht zuletzt können die erforderlichen Qualifikationen in der benötigten Form nur unzureichend am externen Markt zu beschaffen sein (vgl. Gerlach/Jirjahn 1998, S. 312).
Daneben ist in Rechnung zu stellen, daß die Arbeitnehmer mit manchen erworbenen Qualifikationen bei günstiger Arbeitsmarktsituation eher dazu neigen könnten, ihr Unternehmen zu verlassen. Unternehmen sehen sich jedenfalls ganz generell der Gefahr gegenüber, daß ihre Humankapitalinvestitionen zwar ihren Arbeitnehmern Nutzen bringen, d. h. diese erhöhen durch die Weiterbildung ihr Humankapital und verbessern damit ihre Arbeitsmarktchancen, dem Unternehmen selbst werden diese Investitionen aber verloren gehen. Aus diesem Grund empfiehlt sich für Unternehmen eigentlich nur die Vermittlung betriebsspezifischen Wissens, das die Arbeitnehmer nicht "mitnehmen" können, ökonomisch sinnvoll sind danach also lediglich Investitionen in das sogenannte "spezifische Humankapital".
Daraus resultieren aber wiederum verschiedene ,,Anreizprobleme": Was sollte die Arbeitnehmer bei hoher (Firmen-)Spezifität der Qualifikationsvermittlung ei-
Betriebliche Weiterbildung und Arbeitsmarktsituation 89
gentlieh veranlassen, sich der Mühe von Weiterbildungsveranstaltungen zu unterziehen? Je größer die Humankapitalspezifität ist, um so eher wird der Arbeitgeber die Kosten für die (Weiterbildung-) Bildung alleine tragen - dies führt aber dann zum Problem der Absicherung der Erträge aus dieser Humankapitalinvestition, Ebenso bleibt bei dieser Argumentation ungeklärt, weshalb die Unternehmen ganz offensichtlich in einem erheblichen Umfange in eine generell verwertbare Weiterbildung (,,allgemeines Humankapital") investieren (vgl. Aleweil 1998). In neueren Beiträgen wird sogar darauf abgestellt, daß gerade allgemeine Humankapitalinvestitionen zur Absicherung der spezifischen dienen können (vgl. Alewell/Hackert 1998, S. 41 ff.). Es gibt also eine ganze Reihe weiterer Komplikationen, die in verschiedenen Varianten der Humankapitaltheorie und weiteren Theorien, die sich kritisch mit ihr auseinandersetzen, näher behandelt werden, worauf wir an dieser Stelle aber nicht eingehen wollen (vgl. z. B. Alewell1997, Rodehuth 1999). Jedenfalls bezieht sich auch der Transaktionskostenansatz vor allem auf das Argument der Humankapitalspezifität, wenn verschiedene Typen einer effizienten Arbeitsvertragsgestaltung begründet und letzlieh die Herausbildung unterschiedlicher betrieblicher Teilarbeitsmärkte erklärt wird (vgl. Williamson/Wachter/Harris 1975).
Welchen Beitrag leistet nun die Transaktionskostentheorie zur Erklärung des Weiterbildungsverhaltens von Unternehmen?
Zunächst kann festgehalten werden, daß die Transaktionskostentheorie eine sehr allgemeine Theorie ist. Es ist daher möglich, mit ihrer Hilfe einerseits die Argumentation der Humankapitaltheorie aufzunehmen und weiterzuführen, und sie liefert andererseits auch die Mittel, um mit den Schwierigkeiten der Humankapitaltheorie besser umgehen zu können. Als ökonomische Theorie folgt der Transaktionskostenansatz der von uns bereits skizzierten nutzenorientierten Argumentation. Danach werden Unternehmer vor allem diejenigen Arbeitnehmer weiterbilden, auf deren Produktivität es in besonderem Maße ankommt. Außerdem werden vor allem wissensintensive Unternehmen weiterbilden, also Unternehmen, in denen zur Leistungserbringung hohe und aktuelle Qualifikationen gefragt sind. Es werden daher eher Facharbeiter als Ungelernte weitergebildet und Unternehmen mit innovativen Produkten werden eher zur Weiterbildung gezwungen sein, als Unternehmen mit Standardprodukten.
Der Transaktionskostenansatz befaßt sich insbesondere mit dem Charakter der Tauschverhältnisse zwischen den Arbeitsmarktpartnern. Neben der Spezifität der Arbeitsbeziehungen stellt er insbesondere auch auf die Kontrolle der Arbeitsleistung ab. Die jeweils effizienten institutionellen Arrangements verändern sich sich naturgemäß mit den Arbeitsmarktbedingungen. Bei hoher Arbeitslosigkeit dürfte es den Arbeitgebern beispielsweise leichter fallen, die Kosten der (notwendigen) Weiterbildung auf die Arbeitnehmer abzuwälzen. Ganz zentral stellt die Transaktionskostentheorie darauf ab, daß Arbeitsbeziehungen "offene" Vertragsverhältnisse sind, in denen sich die konkrete Erbringung der Arbeitsleistung vollständig spezifizieren und kontrollieren läßt. Weiterbildung ist aus dieser Sicht daher auch ein Mittel, um die gewünschte Arbeitsleistung sicherzustellen. Weiterbildung kann - soweit beide Seiten davon profitieren - dazu beitragen, das Vertrauensverhältnis zwischen
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Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu verbessern. Weiterbildung vermittelt Prozeßwissen und damit Verhaltenssicherheit, transportiert betriebliche Normen und stärkt die Identifikationsbereitschaft (vgl. zu einer ausführlichen Darstellung Rodehuth 1999, Alewell1997). Auch aus dieser Sicht sind nicht alle Unternehmen gleichermaßen an Weiterbildungsmaßnahmen interessiert. In Unternehmen mit einer einfachen Technologie und mit standardisierten Produkten beispielsweise ist die Leistungssicherung nicht auf indirekte Maßnahmen wie die Weiterbildung angewiesen, sondern kann durch unmittelbare Leistungskontrollen gewährleistet werden. Auch wird man kostenintensive Weiterbildungsmaßnahmen - getreu dem ökonomischen Kalkül - vor allem auf die Leistungsträger konzentrieren, also z. B. eher Facharbeiter als Ungelernte weiterbilden.
3.3 Die Logik von Institutionen
Ökonomische Ansätze sind letztlich entscheidungstheoretische Ansätze. Soziales Geschehen ist demnach die beabsichtigte oder unbeabsichtige Folge zielorientierten individuellen Handelns. Was immer geschieht hat seinen letzten Grund in den Handlungsintentionen einzelner Willensträger. Demgegenüber setzen institutionalistische Ansätze auf die Eigenlogik des Sozialen. Einmal etabliert lassen sich soziale Regelsysteme (,,Institutionen") nicht mehr ohne weiteres außer Kraft setzen. Sie behaupten sich auch gegenüber der besseren Einsicht, gegenüber unerwünschten Folgen und gegenüber neuen Herausforderungen. Sie sind dem Handeln in vielerlei Hinsicht "vorgelagert", denn sie bestimmen darüber was wir als wertvoll empfinden, darüber was wir für richtig halten und darüber, welche Verhaltensweisen wir wählen. Sie legen also gerade das fest was der ökonomischen Theorie als Grundlage erscheint: Ziele, Erwartungen und Ressourcen. Dies wird beispielhaft an einem allen vertrauten Beispiel deutlich, der Institution der bürgerlichen Ehe. Sie ist nicht nur ein Rechtsinstitut, sie entfaltet ihre eigentliche Kraft vielmehr erst jenseits von formalen Rechten und Pflichten. So bietet die Institution Ehe bietet nicht nur ganz allgemeine Orientierungsmuster für ein ,,geordnetes" Leben, sie liefert auch Anschauungsweisen des Erstrebenswerten, legitimiert bzw. sanktioniert bestimmte Verhaltensweisen, und sie reguliert das menschliche Zusammenleben ganz maßgeblich auch jenseits des engeren Familienbezugs. Ein Beispiel aus dem Wirtschaftsleben ist die Institution des ,,Berufs", die bekanntlich in unterschiedlichen Ländern auch eine spezifische Gestalt hat und die demjeweiligen Arbeitsmarktgeschehen ihren Stempel aufdrückt. Im übrigen zeigen die beiden Beispiel sehr schön, daß sich Institutionen verändern, wobei allerdings zu bedenken ist, daß sie sich nicht einfach deswegen ändern, weil sie plötzlich als "unzweckmäßig" erscheinen. Im Gegenteil, gerade der Wandel einer Institutionen läßt erleben, welche stabilisierende Wirkung sie besitzt, eine Wirkung, die oft erst dann spürbar wird, wenn sie wegfällt. Außerdem zeigt der Institutionenwandel, daß Institutionen nicht einfach eliminiert oder ausgetauscht werden können, sondern daß sie eng mit vielen anderen Elementen des Sozialgefüges verwachsen sind.
Dieser Gedanke wird auch in der Übersicht von Scott deutlich, die wir in Abbildung 3 wiedergegeben haben. Danach besitzen Institutionen gleichermaßen kogni-
Betriebliche Weiterbildung und Arbeitsmarktsituation 91
tive, normative und regulative Funktionen, die ,,materiell" in der Kultur, der Sozialstruktur und den gesellschaftlich sanktionierten Verhaltensmustern verankert sind. Die kognitive Säule einer Institution wird beispielsweise getragen von kulturellen Bedeutungen und von den Denkkategorien, die eine Kultur zur Verfügung stellt. So ist ,,Beruflichkeit" beispielsweise ist semantisch stark aufgeladen mit Bedeutungen wie Kompetenz, Flexibilität und Prestige. Der sozialstruktureile Aspekt der Beruflichkeit- um einen anderen Aspekt herauszustellen- richtet sich dagegen in seiner regulativen Dimension z. B. auf Zertifizierung und Zugangsbeschränkungen.
Träger Regulative Säule Normative Säule Kognitive Säule
Kultur Regeln Werte Kategorien Sozialstruktur Herrschaftsstruk- Autoritätssysteme Identität
turen Verhaltensmuster Standardprozeduren Pflichten Skripte
Abbildung 3: Träger und Säulen von Institutionen 1
Wie erklärt die Institutionstheorie den institutionellen Wandels? Diese Frage ist dewegen nicht leicht zu beantworten, weil es eine große Fülle institutionstheoretischer Ansätze gibt. Institutionstheoretische Auffassungen findet man bei so unterschiedlichen Sozialtheoretikern wie Emile Durkheim, Max Weber, Robert Merton, Phillip Selznick, Peter Berger und Thomas Luckmann. Aber auch Vertreter der ökonomischen Theorie (z. B. Oliver Williamson als Protagonist des Transaktionskostenansatzes) erheben den Anspruch, Institutionen zu erklären und sie sind insofern ebenfalls Institutionstheoretiker. Mit der Etablierung von Institutionen befassen sich fast alle sozialwissenschaftliehen Disziplinen, verhaltenswissenschaftlich orientierte Organisationsforscher (vgl. March 1988), Historiker (vgl. North 1992, Greif 1996), Sozialpsychologen (vgl. Mead 1934), Kulturanthropologen (vgl. Vivelo 1988) und auch Philosophen (z. B. Gehlen 1962). Der Begriff ,,Institutionentheorie" ist daher äußerst mißverständlich (zu einem Überblick über die institutionalistische Organisationsforschung vgl. Walgenbach 1998). Er kennzeichnet keine geschlossene und einheitliche Theorie, er dient vielmehr als Abkürzung für eine Klasse ähnlicher Fragestellungen, die aber im einzelnen sehr unterschiedlich angegangen werden. So unterscheiden sich die Ansätze beispielsweise schon darin, was sie genau unter einer Institution verstehen, welche Merkmale sie ihnen zuschreiben und welche sozialtheoretischen Bezüge sie herstellen. Nicht zuletzt unterscheiden sie sich daher auch darin, welche Bedingungen sie für das Entstehen und die Stabilität von Institutionen herausstellen. So thematisiert beispielsweise der institutionstheoretische Ansatz von Powell (1991) vor allem Aspekte der wechselseitigen Abstimmung (Machtbezüge, Professionalisierung, Interdependenzbeziehungen) und deren Bedeutung für die Funktionsfähigkeit und den Bestand von Insti~tionen. Im Konzept von March (1988) bewähren sich vor allem diejenigen Institutionen, die in der Lage sind, Lernbarrieren der Organisation aufzubrechen. North (1992) macht u. a.
1 Mit leichten Modifikationen nach Scott 1995, S. 52.
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die (relativen) Preise für die Artikulation und Durchsetzung von Präferenzen für das Entstehen und die Veränderung von Institutionen verantwortlich. Institutionen erleichtern oder erschweren die Willensdurchsetzung, sie geben Verhaltenssicherheit und beschränken die Versuchung zum Betrug. Im wesentlichen sind es also Effizienzgesichtspunkte, die nach North für Stabilität und Wandel von Institutionen verantwortlich sind - was im übrigen - so auch North - nicht bedeutet, daß Institutionen immer effizient sind.
3.4 Die institutionelle Verankerung von Weiterbildung
Die Institutionentheorie behauptet, daß sich Strukturen, Einrichtungen, Praktiken, Verfahren, Instrumente nicht deshalb herausbilden, weil sie "technisch" optimal oder ökonomisch vorteilhaft sind, sondern weil Organisationen darauf angewiesen sind, den Anforderungen und Erwartungen der Umwelt (der Klienten, der Kunden, der Gesetze, der öffentlichen Meinung) zu entsprechen (vgl. hierzu und zum folgenden vor allem Scott/Meyer 1994). Rationalitätsmythen sind daher oft bedeutsamer als die nachgewiesene Effizienz. Dementsprechend wichtig sind Faktoren wie das Ausmaß der Verbreitung der Praktiken, die herrschende professionelle Ideologie und die Doktrin des ,,guten Managements". Beispielsweise ist das AssessmentCenter-Verfahren nicht etwa deswegen weit verbreitet, weil seine besondere Eignung für die Personalauswahl nachgewiesen ist, sondern weil es als Ausweis guter Personalarbeit gilt. Mechanismen der Ausbreitung von Praktiken sind Zwang (durch kulturelle Einflüsse, staatliche Vorschriften, Konzernregelungen), Nachahmung (Einfluß von Unternehmensberatungen und Wirtschaftsverbände) und normativer Druck insbesondere durch Professionalisierung (vermittelt über Ausbildungsinstitutionen, Fachkongresse, Berufsverbände). Zu beachten ist allerdings, daß oft mehr die Fassade als die tatsächliche Praxis zählt.
Institutionelle Agenten sorgen für die Etablierung symbolischer Bezugsrahmen (kognitive und normative Überzeugungssysteme: Regeln, Normen, Standards, Vorbilder). Beispiele für die staatliche Wirksamkeit im Weiterbildungsbereich sind Gesetze (z. B. zur Gewährleistung der Arbeitssicherheit), Anreize für/Subventionierung von Weiterbildungsmaßnahmen und Steuervergünstigungen. Neben dem Staat wirken die Verbände von ,,Professionen" auf die Einhaltung professioneller Standards (z. B. zur Bedienung von Maschinen und Anlagen, als Zugangsvoraussetzung für bestimmte Tätigkeiten). Wichtige Einflußgruppen sind außerdem Personalentwicklungs-Mitarbeiter, Trainer und Beratungsfirmen.
Aus institutionalistischer Sicht ist zu erwarten, daß Unternehmen sich an den Standards ihrer Branchen orientieren und daher dann, wenn dort Weiterbildung ein wichtiges Thema ist, ebenfalls ein überdurchschnittliches Weiterbildungsengagement betreiben. Gleiches gilt für Unternehmen, die ,,Professionelle" mit Bildungserfahrungen und Bildungsaufträgen beschäftigen. Tatsächlich zeigen empirische Studien, daß die Intensität, in der Unternehmen Weiterbildung betreiben, nicht zuletzt davon abhängig ist, in welchem Umfang die Personalarbeit in Unternehmen etabliert ist (vgl. Weber 1985, Martin/Behrends 1999, Düll1999). Dieser Zusammenhang gilt
Betriebliche Weiterbildung und Arbeitsmarktsituation 93
im übrigen nicht nur für das Aktionsfeld Weiterbildung, sondern kann ganz generell auf die Institutionalisierung der Personalarbeit übertragen werden (vgl. Martin 1989b, 1993).
Institutionelle Wirksamkeit entfalten insbesondere zwei Verhaltensprozesse: die "Konstruktion der Wirklichkeit" in der Interaktion von Personen und die Verselbständigung der Mittel zu Zwecken an sich. Angewandt auf die betriebliche Weiterbildung läßt sich daher festhalten: Je mehr sich Trainings-Programme verbreiten, desto mehr werden sie selbstverständlich und als wertvoll eingeschätzt (vgl. Scott/Meyer 1994, S. 250).
3.5 Gegenüberstellung
Gibt es überhaupt einen Gegensatz zwischen der ökonomischen (transaktionskostentheoretischen) und der institutionentheoretischen Argumentation? Schließlich ist der Transaktionskostenansatz ja nicht nur ein ökonomischer, sondern gleichzeitig auch ein institutionsökonomischer Ansatz. Nun, es gibt Unterschiede sowohl im Grundsätzlichen als auch im Speziellen. Im Grundsätzlichen unterscheiden sich die beiden Ansätze durch das Handlungsmodell, das sie ihrer Argumentation zugrunde legen, in der Handlungslogik, die sie unterstellen und in den Kausalmechanismen, die sie herausstellen. Es bestehen also ganz gravierende Unterschiede. Insofern stoßen auch Versuche, die beiden theoretischen Ansatzpunkte miteinander zu verknüpfen (vgl. zu einem derartigen letztlich entscheidungstheoretisch inspirierten Versuch Roberts/Greenwood 1997), an Grenzen. Dies wird Empiriker, die mehr Interesse an konkreten Modellen als an theoretischen Überlegungen haben, wenig stören, zumal die theoretischen Unterschiede bei der Anwendung des jeweiligen Ansatzes auf eine spezielle Frage nicht immer deutlich hervortritt. Außerdem ist es nicht ungewöhnlich, daß in die Konstruktion von Modellen gleichzeitig Überlegungen von "eigentlich" miteinander unverträglichen Theorien einfließen. Dies mag aus forschungspragmatischen Gründen im einen oder anderen Fall sogar sinnvoll sein, löst aber nicht die grundsätzliche Frage nach dem Verhältnis dieser Theorien. Wir wollen im folgendenjedenfalls zeigen, daß die beiden von uns betrachteten Theorien zu unterschiedlichen Voraussagen über das Weiterbildungsverhalten von Unternehmen kommen.
3.6 Unterschiedliche Handlungslogik
Die Transaktionskostentheorie fußt letztlich auf der Entscheidungstheorie. Es sind die Interessen der Akteure, die als bewegende Kraft dem Handeln eine Richtung geben. Wie diese Interessen zustandekommen, interessiert die ökonomische Theorie allenfalls am Rande. Ebensowenig wird die Frage untersucht, welche mentalen Bilder der Akteur von der ihn umgebenden Welt entwickelt und wie diese seine Handlungen bestimmen. Diese kognitive Seite interessiert aber nun vor allem die institutionstheoretischen Ansätze (s.o.). Während sich das Modell der Transaktionskostentheorie als Aktionsmodell kennzeichnen läßt, entspricht die Institutionentheorie eher einem Orientierungsmode II. Der Transaktionskostenansatz schenkt wie je-
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de Entscheidungstheorie primär den Konsequenzen des Handeins Aufmerksamkeit, die Institutionstheorie interessieren dagegen die sozialen Handlungsmuster, die dem Handeln Halt und Orientierung geben.
In Abbildung 4 sind wesentliche Unterschiede in der Handlungslogik von Transaktionskostentheorie und Institutionentheorie, soweit sie sich auf Organisationales Handeln beziehen, gegenübergestellt (zu einer systematischen Gegenüberstellung arbeitsökonomischer Ansätze der Organisationstheorie vgl. Martin 1996). Danach dienen Institutionen unterschiedlichen Funktionen. Nach der Transaktionskostentheorie sorgen sie für ein reibungsloses Ineinandergreifen von Tauschhandlungen. Sie folgen dabei der vom jeweiligen System gesetzten Logik. In Erwerbsorganisationen geht es danach um Gewinnmaximierung, allgemeiner um die optimale Zielerreichung. Die Institutionentheorie stellt dagegen auf die soziale Bestimmungsleistung ab. Soziales Handeln ist prinzipiell unbestimmt, Institutionen schließen die Orientierungslücke, sie geben dem individuellen Handeln Richtung und Sinn. Entsprechend unterschiedlich sind die Mechanismen der Handlungsvermittlung. Diese Mechanismen richten sich auf die Art und Weise, in der die individuellen Handlungen aufeinander bezogen werden, so daß eine wie immer geartete Verhaltensabstimmung überhaupt gelingen kann. Die Transaktionskostentheorie stellt auf ein System von Anordnungsbefugnissen und Kontrollstrukturen ab. Die Institutionstheorie rückt demgegenüber die soziale Vermittlung von Verhaltensstandards durch Interaktion und Sozialisation in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen.
Handlungslogik
Handlungsgrundlage Handlungsrichtung Handlungsvermittlung
Transaktionskostentheorie Institutionentheorie
Organisationsziele Sinnstrukturen Ökonomisierung Orientierungsleistung "Governance Structure" Interaktion, Sozialisation
Abbildung 4: Die Handlungslogik unterschiedlicher organisationstheoretischer Ansätze
Entsprechend ihrer unterschiedlichen Orientierung werden Organisationale Zusammenhänge von den beiden theoretischen Ansätzen z. T. sehr unterschiedlich interpretiert. Auch das ,,Personalwesen" hat in den beiden Ansätzen einen unterschiedlichen Stellenwert. Die Transaktionskostentheorie postuliert beispielsweise ein Ableitungsverhältnis zwischen Unternehmens- und Personalpolitik (die Personalpolitik ist Mittel der Unternehmenspolitik und fügt sich daher der Unternehmensrationalität), die Institutionentheorie betont dagegen die Eigenlogik ausdifferenzierter Systeme - also auch der Institutionen des Personalwesens. Darin kommt ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Ansätzen zum Ausdruck. Ökonomische Theorien betonen als Entscheidungstheorien die Handlungsrationalität der jeweils betrachteten Akteure. In diesen Theorien fungieren soziale Normierungen lediglich als Rahmen- oder Nebenbedingungen des zielorientierten Handelns. Für Institutionstheorien stehen soziale Normierungen dagegen im Zentrum der Analyse, sie "tragen" das soziale Geschehen, sie sind gewissermaßen der Kristallisationspunkt der Systemrationalität
Betriebliche Weiterbildung und Arbeitsmarktsituation 95
3. 7 Unterschiedliche Erklärungsmuster
Inwieweit sich Transaktionskostentheorie und Institutionentheorie im strengen Sinne widersprechen, wird wohl immer strittig bleiben. Zwar berufen sich die Verfechter der beider theoretischen Ausrichtung gleichermaßen auf die Empirie- sie folgen also (normalerweise) dem "objektivistischen" Paradigma in der Sozialforschung - gleichwohl ist damit noch kein ,,harter'' Prüfstein definiert, weil ein und demselben Phänomen im Lichte der beiden Theorien nicht notwendigerweise dieselbe Bedeutung zukommt. Leider ist die Situation sogar noch vertrackter: keinem der gängigen organisationstheoretischen Ansätze wird es mißlingen, auch mit vorderhand widersprüchlichen empirischen Daten umzugehen. Dies liegt nicht ausschließlich an den methodischen Problemen einer strikten empirischen Prüfung, sondern ist fast unlöslich mit der Natur der Grundannahmen der Theorien verknüpft, denn sie sind - trotzaller Formalismen, die teilweise angeboten werden- nur unvollständig expliziert und vage formuliert, und sie sind daher auch für unterschiedliche Anschlußund Präzisierungsargumente offen. Aus diesem Grund sind die vorgeblichen ,,Erklärungsleistungen", die eine Theorie erbringt in Wahrheit oft nur ,,Deutungen", die mit Hilfe spezieller oft ad hoc eingeführter Annahmen erbracht werden. Wir gehen hierauf weiter unten noch näher ein.
Im folgenden wollen wirtrotz derapriorigegebenen methodologischen Probleme Theorie und Empirie miteinander konfrontieren. Wir tun dies in der Hoffnung, eine präzisere Vorstellung über die Argumentationsweise der beiden Theorien zu gewinnen. Daneben wollen wir aber auch einen inhaltlichen Beitrag über das in Frage stehende Thema leisten, also etwas über die kausale Verursachung des Weiterbildungsverhaltens von Unternehmen lernen.
Um dieses Ziel zu erreichen, wollen wir uns um eine möglichst klare Argumentationslinie bemühen. Wir betrachten hierzu eine spezifische Situation, die für die theoretische Analyse besonders interessant ist und in der die Unterschiede in der Argumentation deutlich hervortreten. Welche Situation könnte das sein? Da wir mit der Transaktionskostentheorie einen ökonomischen Ansatz betrachten, empfiehlt sich die Variation der wirtschaftlichen Situation. Da sich das Weiterbildungsverhalten auf die Veränderung des ,,Humankapitals" richtet, interessieren erstens Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt. Zweitens interessiert das Leistungsprogramm des Unternehmens (d. h. die Transformation von Vorleistungen in Marktleistungen), weil dieses die notwendige Ausstattung an Humankapital determiniert und drittens ist der jeweilige Wettbewerbsdruck von Bedeutung, weil immer dann, wenn ein Unternehmen wirtschaftlichem Druck ausgesetzt ist, der Zwang zur Ökonomisierung stärker wird.
Entspannt sich (aus Sicht des Arbeitgebers) der Arbeitsmarkt, d. h. steigt die Arbeitslosigkeit, dann verschieben sich die Austauschbedingungen zwischen Kapital und Arbeit, d. h. der Arbeitgeber kann bessere Tauschkonditionen durchsetzen. Dies ist eine wohl kaum bestreitbare ökonomische Grundargumentation, und sie findet auch in der Transaktionskostentheorie Verwendung: bei unterschiedlichen Arbeitsmarktbedingungen verändern sich nicht nur die unmittelbaren Preise für den Faktor Arbeit- die Löhne und damit die Produktions- oder Transformationskosten- son-
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dem auch die Vertragsbedingungen zur Sicherstellung der Arbeitskraftverwertung und damit die Transaktionskosten. Auf unsere Fragestellung angewandt: Weiterbildung als Anpassung an wechselnde Arbeitsanforderungen wird zunehmend weniger als Aufgabe der Unternehmen als vielmehr als Aufgabe der Arbeitnehmer definiert, die entstehenden Lasten sind also vermehrt von den Arbeitnehmern selbst zu tragen. Daraus folgt unter anderem, daß die Unternehmen in Zeiten (bzw. Regionen) mit hoher Arbeitslosigkeit weniger betriebliche Weiterbildungsmaßnahmen ergreifen werden und zwar zum einen, weil die Arbeitnehmer aufgrund der wechselseitigen Konkurrenz in stärkerem Maße darauf angewiesen sind, sich in Eigeninitiative die notwendigen Qualifikationen zu verschaffen und zum anderen einfach deswegen, weil die Chance wächst, daß auf dem Arbeitsmarkt mehr Personen mit den passenden Qualifikationen zur Verfügung stehen.
Gilt dies immer? Was ist, wenn Unternehmen nicht beliebige Qualifikationen nutzen können, sondern sehr stark auf spezifisches Humankapital angewiesen sind? Dieser Fall tritt vor allem dann ein, wenn der Prozeß der Leistungserstellung besondere Anforderungen stellt und nur durch speziell eingearbeitete Arbeitnehmer aufrechterhalten werden kann. Wir werden in unserer empirischen Analyse eine Variable benutzen, die diesen Aspekt zumindest teilweise abbildet: wir wollen "innovative" Unternehmen weniger innovativen Unternehmen gegenüberstellen. Die dahinter stehende Überlegung ist, daß innovative Unternehmen in besonderem Maße vom investierten Humankapital zehren müssen und aus diesem Grunde weniger elastisch auf veränderte Tauschbedingungen auf dem Arbeitsmarkt reagieren können. Bei komplexen Leistungsprozessen, aber auch bei Leistungsprozessen, die auf ein hohes Innovationspotential setzen, nützt einem Unternehmen ein "entspannter" Arbeitsmarkt nur bedingt etwas, und zwar einfach deswegen, weil auch in dieser Situation das von ihm benötigte Humankapital nur beschränkt fungibel ist. Die Transaktionskostentheorie spricht von der Spezifität von Transaktionsbeziehungen und stellt diese Variable auch in der Anwendung auf personalpolitische Fragen zurecht heraus. Insoweit kommt diese Theorie auch zu differenzierenden Aussagen für Unternehmen mit hohem bzw. geringen Bedarf an spezifischem Humankapital: Wenn kein spezifisches Humankapital gebraucht wird, wird sich die ökonomische Vorteilsstellung für die Arbeitgeber fast uneingeschränkt in einer Reduzierung der Weiterbildung niederschlagen. Bei hoher Humankapitalspezifität verringert sich dagegen der Arbeitsmarkteffekt Er verschwindet allerdings nicht völlig. Generell gilt, wie oben ausgeführt, daß Arbeitslosigkeit- ceteris paribus- die Transaktionskosten für die Unternehmen senkt. Dies gilt auch dann, wenn die Mitarbeiter spezielle Fähigkeiten erwerben müssen, um voll einsatzfähig zu sein. Zwar kann man auch bei großem Arbeitsangebot auf Investitionen in spezifisches Humankapital nicht verzichten, die größere Abhängigkeit der Arbeitnehmer vom Unternehmen (die sich aus dem gestiegenen Risiko ergibt, beim Verlust des Arbeitsplatzes, längere Zeit arbeitslos zu bleiben), erlaubt es dem Arbeitgeber aber, die Kosten von Humankapitalinvestitionen abzuwälzen. Außerdem steigt mit größerer Verfügbarkeil von Arbeitnehmern auf dem Arbeitsmarkt der Anteil der Arbeitnehmer, die relativ rasch - also ohne größeren formellen Weiterbildungsaufwand-eingearbeitet werden können. Unter
Betriebliche Weiterbildung und Arbeitsmarktsituation 97
hohem Wettbewerbsdruck wird die Tendenz zur Ökonomisierung (d. h. zur Reduktion von Weiterbildung bzw. einer Lastenverschiebung auf die Arbeitnehmer) noch verstärkt. Diese Argumentation muß im übrigen noch weiter ausdifferenziert werden, wenn die betriebliche Weiterbildung für unterschiedliche Gruppen von Arbeitnehmern betrachtet wird. Hierauf gehen wir bei der Ableitung unserer empirischer Hypothesen noch näher ein.
Zusammengefaßt: Aus Sicht des Transaktionskostenansatzes sollte steigende Arbeitslosigkeit mit einer Verminderung der Weiterbildungsanstrengungen der Unternehmen einhergehen. Die Komplexität der Leistungsprozesse dagegen hat einen eher moderierenden Einfluß.
Welches Bild ergibt sich aus dem Blickwinkel der Institutionentheorie? Aus Sicht der Institutionentheorie stellt sich die Situation anders dar. Innovative Unternehmen verzichten nicht deswegen auf Weiterbildung, nur weil es die ökonomische Situation zuläßt. Warum nicht? Weil Unternehmen, die von ihrer Innovationskraft leben, Institutionen ausbilden (Weiterbildungsbeauftragte, interne Karrierepfade, die mit Qualifizierungsmaßnahmen verknüpft sind, Verfahren der Organisationsentwicklung usw.), die - um eines im übrigen nur schwer abschätzbaren ökonomischen Vorteilswillen- nicht ohne weiteres wieder abgeschafft werden. Innovative Unternehmen leben von ihren ,,knowledge workers", und sie bauen in ihre alltäglichen Verrichtungen Verfahren zur Aufrechterhaltung und die Weiterentwicklung der Humanressourcen ein. Dahinter steckt aber nur bedingt Kalkül, wichtiger als die ökonomische Rationalität ist die normative Kraft der den Unternehmerischen Entscheidungsprozessen von den Institutionen eingeschriebenen Handlungsmuster. Man kann sogar so weit gehen und behaupten, daß gerade diejenigen innovativen Unternehmen, die unter wirtschaftlichen Druck geraten, alles andere tun, als an Weiterbildung zu ,,sparen", sie werden eher noch zusätzlich in Weiterbildung investieren. Und auch dies nicht deswegen, weil sich die Unternehmensführer aus dieser Investition eine besondere Rendite versprechen, sondern vor allem deswegen, weil in innovativen Unternehmen Weiterbildung "institutionalisiert" ist, also in Krisensituationen ein quasi-natürlicher Reflex nach "mehr desselben" ausgelöst wird.
Transaktionskostentheorie: Tendenz zum Bildungsverzicht
Arbeitslosigkeit Wettbewerbsdruck Innovativität
Institutionentheorie: Tendenz zur Fortsetzung der Bildungsstrategie
Abbildung 5: Arbeitslosigkeit und betriebliches Weiterbildungsverhalten. im Lichte unterschiedlicher Theorien
Unsere Überlegungen zeigen im übrigen, daß empirische Variable im Lichte unterschiedlicher Theorien sehr unterschiedliche Deutungen erfahren können. Innerhalb unserer transaktionstheoretischen Argumentation ist die "Innovativität" Ausdruck von Humankapitalspezifität, innerhalb unserer institutionentheoretischen Argumentation dagegen Ausdruck einer spezifischen Tradition. Doch damit sind wir
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schon beim nächsten Schritt, der empirischen Analyse, auf die wir in den nächsten Abschnitten eingehen wollen. In Abbildung 5 ist die theoretische Argumentation nochmals schematisch dargestellt. Eine weitere Ausdifferenzierung dieser Überlegungen wollen wir ebenfalls im empirischen Teil vornehmen.
4 Empirische Basis und Methodik
Für die Überprüfung der bisherigen Überlegungen benötigen wir eine empirische Quelle, welche die zentralen Variablen unserer Argumentation angemessen abbilden kann. Eine derartige empirische Grundlage bietet das Betriebspanel des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (/AB), eine jährlich durchgeführte repräsentative Arbeitgeberbefragung zu verschiedenen Themen der betrieblichen Beschäftigungs- und Personalpolitik. Fragen der Verbreitung, Nutzungsintensität der betrieblichen Weiterbildung sowie zu verwendeten Lernformen und nicht zuletzt zu Gründen für fehlende betriebliche Weiterbildung sind in verschiedenen Jahren (1993-95, 1997, 1999) Themen gewesen. Wir verwenden im folgenden insbesondere die Angaben aus dem Fragebogen 1997, der die betriebliche Weiterbildung als thematischen Schwerpunkt enthalten hat. Herangezogen werden zudem Variablen aus den Befragungsjahren 1996 und 1998, welche die betriebliche Innovativität und den Instrumenteneinsatz in der Personalarbeit beschreiben können.
Im lAB-Betriebspanel werden seit 1993 in Westdeutschland jeweils über 4.000 Betriebe, in den neuen Bundesländern seit 1996 jeweils fast 5.000 Betriebe mittels standardisierter mündlicher Interviews befragt. Als Grundgesamtheit für die annähernd beschäftigtenproportional geschichtete Zufallsstichprobe wird die Beschäftigtenstatistik der Bundesanstalt für Arbeit verwendet, d. h. alle Betriebe werden einbezogen, die zu einem bestimmten Stichtag zumindest eine bzw. einen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte bzw. Beschäftigten melden. Der Antwortrücklauf ist mit jeweils über 70 % in den einzelnen Befragungsjahren, die Wiederholungsrate von einem Jahr auf das andere ist mit rund 80 % ebenso äußerst zufriedenstellend. Anband der Angaben aus dem Betriebspanel kann somit das Verhalten des ,,Kerns" der Betriebe mit sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung beobachtet werden. Das IAB-Betriebspanel bietet zudem gerade als Mehrthemenerhebung den Vorteil, daß die bei Weiterbildungserhebungen häufig vorhandene "Selbstselektivität' der Stichprobe zugunsten besonders engagierter Unternehmen nicht vorhanden ist.
Anband der Beschäftigtenstatistik können die Stichprobenangaben auf die ,,Betriebslandschaft' aller Wirtschaftszweige hochgerechnet werden. Entsprechende Angaben zum betrieblichen Weiterbildungsangebot, d. h. dem Anteil weiterbildungsaktiver Betriebe in einzelnen Branchen, und zur Nutzungsintensität der betrieblichen Qualifizierung, die anband der jeweils einbezogenen Beschäftigtenanteile ausgedrückt werden kann, enthalten z. B. die Aufsätze von Düll und Bellmann (1998, 1999). Demnach haben etwa etwa vier von zehn Betrieben mit sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung im ersten Halbjahr 1997 eigene Bildungsmaßnahmen angeboten oder die Teilnahme von Mitarbeitern finanziell bzw. durch Ar-
Betriebliche Weiterbildung und Arbeitsmarktsituation 99
beitsfreistellung unterstützt. Dieses Angebot ist neben Branchenunterschieden deutlich von der Betriebsgröße abhängig. Betrachten wir ausschließlich den Kreis der Weiterbildungsbetriebe, so streut die Teilnahme für die einzelnen Qualifikationsund Statusgruppen im Betrieb im starkem Maße. Während bei den qualifizierten Angestellten durchschnittlich zwei von fünf zumindest einmal im betrachteten Zeitraum an einer Bildungsmaßnahme teilgenommen haben, liegt die entsprechende Teilnahmequote bei Facharbeitern bei ca. 25 %. Ganz deutlich fällt dagegen die Weiterbildungsteilnahme von einfachen Angestellten und insbesondere von un- oder angelernten gewerblichen Arbeitskräften gegenüber den betrieblichen Bildungschancen der qualifizierten Mitarbeiter ab. Die Unterschiede zwischen den Qualifikationsund Statusgruppen bleiben auch dann erhalten, wenn Drittvariablen wie z. B. die Betriebsgröße oder der Wirtschaftszweig kontrolliert werden. Somit wird auch anband der Daten aus dem lAB-Betriebspanel die aus der empirischen Bildungsforschung seit langem bekannte "Segmentation in und durch Weiterbildung" (Baethge u. a. 1990) bestätigt.
Diese hochgerechneten Angaben auf der Nachfrageseite des Arbeitsmarktes können die Informationslage über die "immateriellen Investitionen" in Deutschland verbessern. Sie ergänzen das auf Individualbefragungen beruhende ,,Berichtssystem Weiterbildung" (vgl. z. B. Kuwan 1999). Eine solche Datenbeschreibung, die auf Vollständigkeit und Repräsentativität angelegt ist, ist in diesem Aufsatz jedoch nicht unsere Intention. Mit Blick auf die "Kontrastierung" von theoretischen Erklärungsansätzen betrachten wir zudem nicht das betriebliche Weiterbildungsverhalten als ganzes, sondern fragen danach, ob der jeweilige Betrieb
(a) Weiterbildung für Facharbeiter bzw. (b) Weiterbildung für un-/angelernte Arbeiter
anbietet. Keine Berücksichtigung findet also ausdrücklich die Weiterbildung für (hoch- oder fachhochschul-) qualifizierte Angestellte, die sowohl von den Teilnahmequoten her als auch auf das Stundenvolumen bezogen das Gros der betrieblichen Weiterbildungsaufwendungen ausmachen. Zur Verdeutlichung der theoretisch interessanten Entscheidung von Humankapitalinvestitionen betrachten wir ausschließlich die Bildungsmaßnahmen im gewerblichen Bereich. Hier treten einmal die Einflüsse der betrieblichen Produktionstechnologie und der arbeitsorganisatorischen Gestaltung deutlicher zu Tage (vgl. auch Gerlach/Jirjahn 1998b ), zum anderen müßten bei diesen Mitarbeitergruppen den theoretischen Überlegungen zufolge die Effekte unterschiedlicher betrieblicher Umweltsituationen deutlicher ausfallen.
Das vorrangige Interesse am Weiterbildungsangebot für Facharbeiter bzw. für Un-I Angelernte als abhängige Variablen in der folgenden Datenanalyse heißt nicht, daß Unterschiede in der Weiterbildungsintensität der Betriebe theoretisch und empirisch nicht auch von Belang sein könnten. Da es uns aber vorliegend auf die grundlegende Weiterbildungsentscheidung in unterschiedlichen Umweltkonstellationen ankommt, haben wir auf eine entsprechende Spezifikation der abhängigen Variablen in Form der jeweiligen Teilnahmequoten verzichtet. Dies erscheint uns auch aus dem Grund der anschaulichen Datenpräsentation angemessen.
I 00 Albert Martin und Herbert Düll
Die abhängigen Variablen legen weitere Einschränkungen in der verwendeten Teilstichprobe nahe: Berücksichtigt werden allein Betriebe mit mehr als 100 Beschäftigten zur Jahresmitte 1997, sofern zur Belegschaftjeweils mehr als zwanzig Facharbeiter( -innen) bzw. un- oder angelernte Arbeiter( -innen) zählen. Damit ist sichergestellt, daß nur Betriebe mit einem vergleichbaren Stamm an gewerblichen Mitarbeitern einbezogen werden. Weiterhin haben wir uns auf Betriebe mit Sitz in Westdeutschland beschränkt, um mögliche Einflüsse auf die betriebliche Weiterbildung durch die öffentliche Ko-Finanzierung (z. B. Mittel des Europäischen Sozialfonds, der Bundesanstalt für Arbeit sowie Förderprogramme der Bundesländer) weitgehend auszuschließen. Zudem liegen die regionalen Arbeitslosenquoten in den neuen Bundesländern stets relativ hoch, ein möglicher Effekt der regionalen Arbeitsmarktsituation auf das Weiterbildungsangebot kann daher nicht ausgeprägt sein.
Damit kommen wir zur Beschreibung der zentralen unabhängigen Variablen, die sich auf die "äußere" und "innere" Umwelt der Unternehmen beziehen:
Arbeitslosigkeit
Durchschnittliche regionale
Arbeitslosenquote
Wettbewerbsdruck
Selbsteinschätzung der Arbeitgeber
zum Wettbewerbsdruck
Weiterbildung
Gewinn- und Ertragssitutation
Selbsteinschätzung der Ertragslage im
Vorjahr
Abbildung 6: Bestimmungsgrößen der betrieblichen Weiterbildung- unternehmensexterne Determinanten
An erster Stelle steht die Umweltvariable ,,Arbeitslosigkeit", die im Datensatz des lAB-Betriebspanels selbst gar nicht enthalten ist. Deshalb ziehen wir die jahresdurchschnittliche regionale Arbeitslosenquote im Jahr 1997 für den jeweiligen Standort des befragten Betriebs heran, die der amtlichen Arbeitslosenstatistik entnommen worden ist. Wir unterstellen dabei, daß diese regionale Durchschnittsquote die Lage auf den relevanten Teilarbeitsmärkten für die befragten Arbeitgeber hinreichend abbildet. Insofern kann eine der für die ökonomische Argumentation zentralen Hypothesen durch die Verknüpfung des Betriebsdatensatzes mit der Arbeitslosenstatistik überprüft werden. Bei höherer regionaler Arbeitslosigkeit ist die Verfügbarkeil sowohl von Facharbeitern als auch von un- oder angelernten Arbeitskräften tendenziell höher. Der ökonomischen Argumentation folgend würde in dieser Arbeitsmarktlage der Anreiz für eigene interne oder für betrieblich unterstützte Bildungsmaßnahmen tendenziell sinken. Die durchschnittlichen Arbeitslosenquoten werden selbst wiederum verschiedenen Klassen zugeordnet: Einmal kommt eine
Betriebliche Weiterbildung und Arbeitsmarktsituation 101
Aufteilung in sechs Klassen zur Anwendung (s. u.), zum anderen wird anhand des Medians der regionalen Arbeitslosenquoten (bei 9,8 %) die Stichprobe in die eine Hälfte mit "geringer Arbeitslosigkeit" und die mit einer ,,hohen Arbeitslosigkeit'' geteilt.
Als weiteren Indikator für die ökonomische Umweltsituation verwenden wir den vom Arbeitgeber selbst eingeschätzten ,,Konkurrenz- und Wettbewerbsdruck". Diese Variable aus dem Paneldatensatz 1998 ist ursprünglich ordinal skaliert; die Antworten streuen aber nur gering, denn die meisten der Betriebe mit mehr als 100 Beschäftigten machen einen ,,hohen Wettbewerbsdruck'' für sich geltend. Die geringe Streuung der Variablen verweist auf eine nur geringe Meßgenauigkeit, weshalb wir im weiteren auch auf eine weitere Auswertung verzichtet haben.
Zur Beschreibung der ökonomischen Situation wird als ebenfalls eher "weiche" Variable die Einschätzung der ,,Ertragslage" verwendet, die der befragte Arbeitgeber im Vorjahr abgegeben hatte. Angenommen wird hier, daß die in der Vergangenheit realisierten Erträge den aktuellen Spielraum für eigene Qualifizierung verändern.
Eher zum "inneren" Kontext für das Weiterbildungsangebot zählen die folgenden Faktoren:
Humankapitalausstattung
Qualifikationsniveau
Leistungsprozeß
Innovativität/ Produktinnovationen
Weiterbildung
Personalarbeit
Instrumenteneinsatz
Abbildung 7: Bestimmungsgrößen der betrieblichen Weiterbildung- unternehmensinterne Determinanten
Allen vorliegenden empirischen Untersuchungen zufolge ist das vorhandene betriebliche Qualifikationsniveau eine wesentliche Einftußgröße. So erhöht insbesondere der Anteil der qualifizierten Arbeitskräfte, d. h. der Anteil an Facharbeitern und qualifizierten Angestellten, sowohl die Wahrscheinlichkeit des Weiterbildungsangebots als auch deren Nutzungsintensität Mit anderen Worten: Die im Personalbestand gleichsam zur Struktur geronnene Personalentwicklung bestimmt auch den weiteren Entwicklungsbedarf und Qualifizierungsprozeß im Betrieb. Zur Operationalisierung des betrieblichen Qualifikationsniveaus haben wir daher den Anteil der qualifizierten Arbeitskräfte im Personalbestand zur Vorjahresmitte ausgewählt. Zur Gegenüberstellung der betrieblichen Konstellation verwenden wir wiederum eine dichotome Variable, die entlang des Medians für den Qualifiziertenanteil von 62,6 % geteilt worden ist.
102 Albert Martin und Herbert Düll
Wesentlich schwieriger abzubilden ist die- für unsere Argumentation zentrale -betriebliche Innovativitlit. Im Befragungsschwerpunkt ,,Innovationen im Betrieb" (1998) ist retrospektiv u. a. nach der Einführung von Produktinnovationen innerhalb der letzten zwei Jahre gefragt worden. Nur wenige der befragten Betriebe haben völlig neue Leistungen oder Produkte ,,auf den Markt gebracht", überwiegend liegen Produktinnovationen in Form von Verbesserungen oder Imitationen vor. Ergebnissen der Innovationsforschung zufolge werden Produktinnovationen in der Tat als ,,Push-Faktoren" für eine proaktive betriebliche Weiterbildung angesehen, während Prozeßinnovationen stärker mit reaktiver Anpassung verbunden werden. Auch wenn diese Operationalisierung von Innovativität angesichts komplexer Zusammenhänge etwas simplifizierend erscheint, verwenden wir sie wegen ihres einzelbetrieblichen Bezugs.
Für eine Überprüfung der institutionentheoretischen Argumentation liegen in den Datensätzen des lAB-Betriebspanels leider nur wenige Indikatoren vor. Direkte Angaben über die lnstitutionalisierung der Personalarbeit fehlen völlig, deshalb schlagen wir vor, das Ausmaß einer organisierten Personalarbeit als Annäherung daran zu bemessen, ob und wie viele der folgenden personalwirtschaftlichen Instrumente im Betrieb eingesetzt werden:
- schriftlich fixierte Pläne für den Personalbedarf
- Formale Stellenbeschreibungen für die Mehrheit der Arbeitsplätze
- schriftliche Beurteilungen der Arbeitsleistung von Mitarbeitern.
Anband entsprechender Angaben aus dem IAB-Betriebspanel1998 wird ein einfacher Index gebildet. Da alle der genannten Instrumente der personalwirtschaftlichen Funktionserfüllung der Anreizgestaltung bzw. Kontrolle zuordenbar sind, gehen wir davon aus, daß eine institutionalisierte Personalarbeit um so wahrscheinlicher ist, je mehr dieser Instrumente im Betrieb eingesetzt werden.
Eine methodische Anmerkung sei noch zur "Signifikant' der im folgenden berichteten Ergebnisse gemacht. Bei der zugrundeliegenden Fallzahl sind bereits Korrelationen von r = 0, 06 ,,statistisch signifikant''. Durch die Gruppierung entstehen zwar kleinere Fallzahlen, aber auch bei einer Fallzahl von n = 350 (einseitige Fragestellung) ist selbst eine Korrelation von r = 0, 085 signifikant. Aus diesem Grund scheint uns die Durchführung von Signifikanztests nicht sonderlich ergiebig. Hinzu kommt, daß Signifikanztests sehr voraussetzungsvoll sind und die übliche Vorgehensweise auch. nur einen äußerst geringen Informationsgewinn erbringen. (vgl. Martin 1989a). Für unsere Zwecke- nämlich die theoriegeleitete Prüfung von prognostizierten Zusammenhängen- reicht jedenfalls die Betrachtung der Effektstärke. Sie läßt sich aus u. a. aus den Veränderungen der Anteilswerte erkennen. Aus unserer Sicht ist es ein durchaus beachtlicher Effekt, wenn sich der relative Anteil von Unternehmen, der Weiterbildungsmaßnahmen durchführt, beispielsweis.e von 34 % auf 20 % reduziert. Im übrigen wurde zur Kontrolle geprüft, ob eine weitere Ausdifferenzierung der (meist dichotomen) Merkmalsausprägungen zu wesentlichen anderen Ergebnissen führt.
Betriebliche Weiterbildung und Arbeitsmarktsituation 103
5 Empirische Hypothesen
Vor der Präsentation wesentlicher Ergebnisse geben wir in diesem Abschnitt einen
kurzen Überblick über die Hypothesen. Dabei unterscheiden wir zunächst Hypothesen zu den ,,Haupteffekten" der ausgewählten Einftußgrößen, anschließend wird der verstärkende oder abschwächende Effekt bei der Verwendung von Moderatorvaria
blen diskutiert. Auf diese Moderationseffekte kommt es an, wenn die unterschied
lichen Prognosen des transaktionskostenökonomischen und des institutionstheoreti
schen Ansatzes einander gegenübergestellt werden.
5.1 Haupteffekte
Bei der Zusammenführung der theoretischen Überlegungen mit den konkret erfaß
ten Variablen ergibt sich zuerst das in der folgenden Abbildung wiedergegebene Bild.
Unabhängige Variable Theorie Weiterbildung Weiterbildung Un-Facharbeiter und Angelernte
Hohe Arbeitslosigkeit Transaktionskosten Negativ Negativ Institutionen
Hoher Wettbewerbsdruck Transaktionskosten Positiv Institutionen
Negative Einschätzung Transaktionskosten Negativ Negativ der Ertragslage Institutionen
Hohes Qualifikationsniveau Transaktionskosten Positiv Negativ Institutionen Positiv Positiv
Hohe Innovativität Transaktionskosten Positiv Institutionen Positiv Positiv
Viele ·personalwirt- Transaktionskosten schaftliehe Instrumente Institutionen Positiv Positiv
Abbildung 8: Hypothesen zur Korrelation situativer Bedingungen mit dem Weiterbildungsengagement von Unternehmen
Was die Haupteffekte angeht, so unterscheiden sich beide Theorien in dreifacher
Hinsicht: Generelllassen sich in bezugauf die "externen Umweltvariablen" aus dem Insti
tutionenansatz keine Hypothesen ableiten, während aus dem Rationalitätskalkül des
Transaktionskostenansatzes gerade die Effekte von Arbeitslosigkeit und der öko
nomischen Situation bedeutsam sein müßten. Umgekehrt besitzt der personalwirt
schaftliche Instrumenteneinsatz aus institutionentheoretischer Sicht möglicherweise
Bedeutung, während die Transaktionskostentheorie hier indifferent ist.
Der ökonomische Ansatz stellt auf die unterschiedlichen Vorteile der Weiter
bildung für Facharbeiter oder Un- und Angelernten ab. Hingegen ist in der Institu
tionenperspektive eine unterschiedliche Behandlung dieser Mitarbeitergruppen eher
104 Albert Martin und Herbert Düll
nicht zu begründen. Transaktionskostentheoretisch sollten Unternehmen vor allem die ,,Leistungsträger'' weiterbilden, weil sich nur diese Investition auch ,,rechnet'. In Betrieben mit vielen qualifizierten Arbeitskräften sollten also vor allem auch die Facharbeiter von der Weiterbildung profitieren. Die Un- und Angelernten gewinnen dagegen in Betrieben mit einem generell geringen Qualifikationsniveau strategische Bedeutung und sollten in diesen Betrieben daher auch relativ (d. h. im Vergleich mit den Betrieben mit einem hohen Qualifikationsniveau) intensiver weitergebildet werden. Nach der Institutionentheorie ist der gegenteilige Effekt zu erwarten. Unternehmen mit einem hohen Qualifikationsniveau sind ganz allgemein stark um Weiterbildung bemüht. Im Zuge eines Spillover-Effekts profitieren davon alle Mitarbeitergruppen. Steigt das Qualifikationsniveau, dann dürften von der steigenden Weiterbildungsaktivitäten also auch die Un- und Angelernten profitieren.
Ganz analog ist die Argumentation der Institutionentheorie im Hinblick auf die Innovativität. Die Transaktionskostentheorie sagt voraus, daß innovative Unternehmen - wegen der in diesen Unternehmen gegebenen technologischen Voraussetzungen und der dadurch bedingten Notwendigkeit der ständigen Qualifizierung - auch große Weiterbildungsinvestitionen in ihre Facharbeiter tätigen werden. Bezüglich der Beeinflussung der Weiterbildung für Un- und Angelernte durch die Innovativität lassen sich aus der Transaktionskostentheorie dagegen keine klaren Aussagen gewinnen.
5.2 Moderationseffekte
Der Kern unserer Argumentation richtet sich jedoch nicht auf die beschriebenen Haupteffekte. Primär geht es uns um die Beziehung zwischen der Arbeitslosigkeit und dem Weiterbildungsverhalten von Unternehmen sowie um die Bedeutsamkeil der angeführten Variablen in der Vermittlung dieses Zusammenhangs. In den Begriffen der Mehrvariablenanalyse ausgedrückt: Wir wollen untersuchen, inwieweit das Qualifikationsniveau, die Innovativität und die Personalarbeit die Beziehung zwischen Arbeitslosigkeit und Weiterbildung ,,spezifizieren". Die "Spezifikation" beschreibt eine bestimmte logische Anordnung in einer Mehrvariablenbeziehung (vgl. Lazarsfeld 1976, Martin 1994, S. 248 ff.). Eine Spezifikation ist gegeben, wenn eine Beziehung (in unserem Fall die Beziehung zwischen Arbeitslosigkeit und Weiterbildung) in unterschiedlichen Situationen unterschiedlich stark ist. Wir behaupten also beispielsweise, daß die Beziehung zwischen der Arbeitslosigkeit und Weiterbildung durch die Innovativität moderiert wird. In der Gruppe der innovativen Unternehmen wird man - so unsere Hypothese - keine Korrelation zwischen der Arbeitslosigkeit und der Weiterbildung der Facharbeiter finden. Das heißt, wir gehen von der Hypothese aus, daß sich innovative Unternehmen in ihrer Weiterbildungspolitik von der Arbeitslosigkeit nicht beeindrucken lassen. Sie werden ihre Facharbeiter ganz unabhängig von der Arbeitsmarktsituation betreiben. Wie man sieht, schließen wir uns mit dieser Hypothese der Argumentation der Institutionentheorie an. Dies gilt auch bezüglich der übrigen Korrelationen, soweit Institutionentheorie und Transaktionstheorie zu widersprüchlichen Voraussagen kommen.
Betriebliche Weiterbildung und Arbeitsmarktsituation 105
Bedingungen Niedrig
Qualifikationsniveau Negativ Innovativität Negativ Instrumenteneinsatz
Hoch Niedrig
Negativ Negativ
Null
Hoch
Null Null Null
Ertragslage Arbeitnehmergruppe
Negativ Negativ Negativ Negativ Un- und Angelernte Facharbeiter
Abbildung 9: Hypothesen über den Zusammenhang zwischen der Arbeitslosigkeit und der Weiterbildung in unterschiedlichen Situationen (freie Felder: keine Hypothesen)
5.3 Ergebnisse
Im folgenden präsentieren wir zunächst einige allgemeine Ergebnisse zum Weiterbildungsverhalten der Betriebe, die auch Aufschluß über die uns verwendete Stichprobe geben. Nach dieser Datenbeschreibung gehen wir auf die von uns postulierten Haupteffekte ein, das heißt auf die einfachen Beziehungen zwischen den "unabhängigen" und den ,,abhängigen" Variablen. Anschließend nehmen wir gemäß unserer Hypothesen eine weitergehende Differenzierung vor und zeigen exemplarisch anband des Zusammenhangs von regionaler Arbeitslosigkeit und des spezifischen Weiterbildungsangebots für Facharbeiter bzw. un-/angelernten Arbeitern, in welcher Weise die Hypothesen von den empirischen Daten bestätigt werden.
5.4 Deskription des Weiterbildungsverhaltens
Ausgangspunkt unserer empirischen Analyse ist die einfache Beobachtung, daß auch in den Zeiten einer aufkommenden "Wissensgesellschaft" beileibe nicht alle Betriebe tatsächlich auch eigene Weiterbildung anbieten oder die Weiterbildungsteilnahme ihrer Mitarbeiter aktiv unterstützen. In einem Aufsatz haben Düll und Bellmann (1998) auf der Basis des vorliegend ebenfalls verwendeten großzahligen Datensatzes, dem IAB-Betriebspanel1997, ausführlich Niveau und Strukturen des betrieblichen Weiterbildungsangebots untersucht.
Die nachfolgende Abbildung 10 zeigt in der ersten Spalte die Ergebnisse zunächst für alle Betriebe mit sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung in Westdeutschland. (Die Unternehmen und Betriebe in den neuen Bundesländern sollen wegen der in Abschnitt 4 genannten Besonderheiten außer Betracht bleiben.) Bei der Ermittlung dieser Zahlen wurden die Stichprobenangaben von rund 4.000 befragten Betrieben hochgerechnet auf die Grundgesamtheit von ca. 1,6 Mio westdeutschen Betrieben zu diesem Zeitpunkt. Wie der Tabelle entnommen werden kann, haben in der ersten Jahreshälfte 1997 rund 37 % aller Betriebe irgendeine Form von betrieblicher Weiterbildung, ganz unabhängig von der davon begünstigten Mitarbeitergruppe, angeboten oder unterstützt. Über die verschiedenen Wirtschaftsbereiche gesehen ergibt sich hierbei bereits ein differenziertes Bild, worauf wir im folgenden aber nicht weiter eingehen können.
Angesichts des ausgeprägten Größeneffekts bei der Verbreitung betrieblicher Weiterbildungsangebote (siehe auch Abschnitt 4) überrascht es nicht, daß in der
I 06 Albert Martin und Herbert Düll
Weiterbildungs- Weiterbildungs-an gebot angebot
insgesamt Fach- Un-/ arbeiter angelernte
Arbeiter betriebspoportional Ungewichtete
Wirtschaftsbereiche hochgerechnete Stichproben-Angaben in% angaben in%
Bergbau/Energie/Wasser 88 100 100 86 33 Verarbeitendes Gewerbe 37 86 94 87 52 Baugewerbe 30 58 74 47 5 Handel 36 85 87 48 22 andere private
39 83 96 57 29 Dienstleistungen Organ. Ohne Erwerbs-
50 98 97 65 27 zweck/öffentl. Dienst Durchschnitt 37 85 94 77 43 Fallzahl der jeweili- ca.4000 770 770 678 680 gen Stichprobe
Abbildung 10: Betriebe mit Weiterbildungsangebot insgesamt, für Facharbeiter und un- oder angelernte Arbeiter nach ausgewählten Wirtschaftsbereichen -Gegenüberstellung von hochgerechneten Angaben und Stichprobendaten
Größenordnung der Betriebe mit mehr als 100 Beschäftigten bereits 85 % davon ,.weiterbildungsaktiv" sind. Diese ebenfalls betriebsproportional hochgerechnete Quote des Weiterbildungsangebots beruht auf 770 Fällen in der !AB-Stichprobe 1997. Im folgenden verwenden wir jedoch ausschließlich die ungewichteten Stichprobendaten, wie siez. B. für einzelne Wirtschaftsbereiche in den letzten drei Datenspalten der Tabelle ausgewiesen werden. Für unseren Analysezweck kommt es nämlich nicht darauf an, daß zum Ausgleich einer nach der Betriebsgröße disproportional gezogenen Stichprobe die Angaben gewichtet werden.
Innerhalb der von uns abgegrenzten Stichprobe (d. h. Betriebe mit mehr als 100 Mitarbeitern und einem hinreichend großen Stamm an gewerblichen Arbeitnehmern) engagieren sich über neun von zehn Betrieben mit eigenen Weiterbildungsmaßnahmen - im Spektrum von ,,klassischen" Lehrveranstaltungen bis hin zu arbeitsplatzbezogenen Qualifizierungsformen (zur ausführlichen Beschreibung vgl. Düll/Bellmann 1998). Für die Analyse bezüglich der vorliegend betrachteten unabhängigen Variablen ist dies aber unschädlich, den~ für das ,.Weiterbildungsangebot für Facharbeiter' bzw. das ,.Weiterbildungsangebot für on-/angelernte Arbeitet' fallen die empirischen Verteilungen ganz anders aus. Insgesamt bieten ca. 77 % der Betriebe unserer Stichprobe Bildungsmaßnahmen für Facharbeiter an, aber nur 43 % auch für Un-/Angelernte- ein deutlicher Hinweis für die unterschiedlichen Bildungschancen dieser Gruppen im Betrieb (vgl. auch Düll/Bellmann 1999).
Die Varianz in der Frage zum Weiterbildungsangebot ist groß genug, auch in der gewählten Stichprobenabgrenzung bleibt die Frage interessant, welche Faktoren
Betriebliche Weiterbildung und Arbeitsmarktsituation 107
zu einem betrieblichen Angebot für Facharbeiter bzw. für un-/angelernte Arbeiter führen. Den theoretischen Annahmen zufolge untersuchen wir nun als nächstes die Haupteffekte der externen und internen Umweltvariablen.
5.5 Haupteffekte
Die ökonomischen Umweltbedingungen entfalten nicht alle deutliche Effekte. Wie aber der transaktionskostentheoretischen Argumentation nach zu erwarten war, zeigt sich eine deutliche Wirkung der Arbeitslosigkeit auf das Weiterbildungsengagement der Betriebe und Unternehmen. Während in den Regionen mit wenigen Arbeitslosen ( Arbeitslosenquote von weniger als 7,4 %) immerhin 86 % der Betriebe WeiterbildungsmaGnahmen für Facharbeiter anbieten, sind es in den Regionen mit relativ vielen Arbeitslosen (Arbeitslosenquote von mehr als 13,5 %) nur noch 67 %. Eine deutlich negative Korrelation zwischen dem Niveau der regionalen Arbeitslosigkeit und dem Weiterbildungsangebot zeigt sich auch dann, wenn die betrachteten Betriebe anhand der Arbeitslosenquoten in zwei Gruppen geteilt werden. Der gleiche Effekt der regionalen Arbeitslosigkeit tritt auch in bezug auf die Weiterbildung unoder angelernter Arbeitnehmer ein, wenngleich auf einem unterschiedlichen Niveau (vgl. Abbildung A2 im Anhang).
Der vom Arbeitgeber selbst so empfundene Konkurrenz- und Wettbewerbsdruck besitzt die erwartete positive (wenngleich geringe) Wirkung auf das Weiterbildungsangebot, und zwar sowohl für Facharbeiter als dem "Kern" des betrieblichen Humankapitals als auch für die Gruppe der formal niedriger Qualifizierten. Insbesondere bei dem Aspekt der ökonomischen Situation, für den ökonomische Erklärungsansätze am ehesten einen eindeutigen Effekt postulieren würden, ergibt sich kein entsprechendes Ergebnis. Die Einschätzung der Ertragslage hat weder für die Facharbeiter noch die andere Gruppe einen Einfluß auf das Weiterbildungsengagement (vgl. Abbildung A3 im Anhang). Dies muß nun nicht bedeuten, daß Unternehmen nicht sensibel auf die Ertragslage reagieren würden, was ihre Weiterbildung angeht. Es bedeutet nur, daß das grundsätzliche Engagement, die Entscheidung für oder gegen Weiterbildung, offenbar nicht von den (eher kurzfristigen) Ertragseinschätzungen beeinflußt wird.
Mit Blick auf die von uns ausgewählten Umweltvariablen halten wir an dieser Stelle fest, daß die Arbeitslosigkeit ganz eindeutig auf die grundlegenden Weiterbildungsentscheidungen wirkt, während die beiden anderen- sicherlich auch nicht fehlerfrei ,,gemessenen" - Faktoren eher zu vernachlässigen sind.
Aber nicht nur die Umweltvariable ,,Arbeitslosigkeit", auch die "internen" Variablen, die auf die Art der Produktionstechnologie und des Arbeitsprozesses verweisen, sind eng mit dem Weiterbildungsverhalten verknüpft. So liegt der Anteil der Betriebe mit Produktinnovationen, die zugleich Weiterbildung für Facharbeiter anbieten, bei 85 %. Bei der- kleineren- Gruppe von "nicht-innovativen" Betrieben fällt der entsprechende Anteil deutlich niedriger aus, er liegt nur bei 61 %. Ähnliche Unterschiede zwischen innovativen und nicht-innovativen Betrieben ergeben sich für die Weiterbildung derun-oder angelernten Arbeiter (vgl. Abbildung A4 im Anhang). Ein solch deutlicher Effekt ist bei einer rein ökonomischen Perspektive
I 08 Albert Martin und Herbert Düll
nicht zu erwarten. Wir werten dieses Ergebnis als Hinweis darauf, daß Institutionen eine Ausstrahlungskraft auch auf die Arbeitnehmergruppen haben, die nur bedingt als die eigentlichen Träger des Leistungsprozesses gelten können.
Neben der "Technologie" des Leistungsprozesses, sollte -jedenfalls nach der Institutionentheorie - auch die Personalarbeit einen Unterschied machen: Unternehmen, in denen die Personalarbeit einen hohen Stellenwert haben, engagieren sich auch stärker in der Weiterbildung ihrer Mitarbeiter (vgl. Martin 1989b). Dies ist aus institutionentheoretischer Sicht hoch plausibel. Je stärker sich eine Institution wie die Personalarbeit etabliert hat, desto größeres Gewicht erhalten auch die Tätigkeitsfelder, die dieser Institution üblicherweise zugewiesen werden. Bei unserer Auswertung betrachten wir - wie oben beschrieben - inwieweit die Betriebe verschiedene Maßnahmen des kontrollierenden Human Resource Management einsetzen (siehe Abschnitt 4). Dabei zeigt sich- wie erwartet- eine deutlicher Zusammenhang mit der Weiterbildung. Diese Abhängigkeit bleibt im übrigen auch bestehen, wenn man den Einfluß der Betriebsgröße kontrolliert.
Das Qualifikationsniveau der Belegschaft bringt ein anderes Weiterbildungsmuster hervor. Aus Sicht beider hier betrachteter Theorien war zu erwarten, daß Unternehmen mit einem unterdurchschnittlichen Qualifikationsniveau nur wenige Weiterbildungsanstrengungen unternehmen. Dies trifft tatsächlich aber für die Facharbeiterweiterbildung nicht zu, d. h. diese Betriebe betreiben nicht seltener Weiterbildung als Betriebe mit einem überdurchschnittlichen Qualifikationsniveau. In Verbindung mit der Weiterbildung der Ungelernten macht dieses Ergebnis Sinn, denn dort gibt es einen ebenfalls nur auf den ersten Blick ,,gegensinnigen" Effekt. Man sollte erwarten, daß Unternehmen mit einem hohen Qualifikationsniveau sowohl die Fachkräfte als auch die Ungelernten intensiv weiterbilden, weil Unternehmen mit einer hochqualifizierten Belegschaft besonderes Interesse am Erhalt und der Weiterentwicklung der verfügbaren Qualifikationen haben und entsprechend Weiterbildungskapazitäten aufbauen, um den Weiterbildungsbedarf ihrer Mitarbeiter zu bedienen. Zwar richten sich derartige Maßnahmen primär an die hochqualifizierten Arbeitnehmer, aber auch die weniger Qualifizierten dürften hiervon durch Mitnahme- oder Spillover-Effekte profitieren. Tatsächlich zeigt sich auf der von uns gewählten Analyseebene (es geht nicht um die "Weiterbildungsintensität'' innerhalb der einzelnen Betriebe, sondern darum, ob sich der Betrieb überhaupt um Weiterbildung bemüht) das Gegenteil: Von den Unternehmen mit einem geringen Qualifikationsniveau bietetjedes zweite auch Weiterbildungsveranstaltungenfür Ungelernte an, von den Unternehmen mit einem hohen Qualifikationsniveau ist es dagegen nur jedes dritte (vgl. Abbildung A4 im Anhang). Offenbar orientiert sich die angebotene Weiterbildung eben auch am Bedarf, d. h. an den Trägern des Produktionsprozesses. In Hochqualifikationsbetrieben sind dies primär die Facharbeiter, in Niedrigqualifikationsbetrieben eben auch die Ungelernten. Folgerichtig steigt die Wahrscheinlichkeit, daß in Hochqualifikationsbetrieben primär die Facharbeiter, in Niedrigqualifikationsbetrieben Facharbeiter und Ungelernte gleichermaßen weitergebildet werden.
Abbildung 11 gibt die Haupteffekte zusammenfassend wieder. Besonders eindrucksvoll sind die Wirkungen der regionalen Arbeitslosigkeit und der Produk-
Betriebliche Weiterbildung und Arbeitsmarktsituation 109
Unabhängige Variable Zusammenhang mit Zusammenhang mit der Weiterbildung von der Weiterbildung von
Facharbeitern Ungelernten
Arbeitslosigkeit Wettbewerbsdruck Ertragslage Innovativität Qualifikationsniveau Instrumenteneinsatz
Negativ Positiv Neutral Positiv Neutral Positiv
negativ Positiv Neutral Positiv Negativ Positiv
Abbildung 11: Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse: Haupteffekte
tinnovationen auf die grundlegende Entscheidung der Betriebe, Weiterbildung für
die beiden Gruppen der gewerblichen Arbeitnehmer anzubieten. Auf diese Aspekte
konzentrieren wir uns daher im folgenden.
5.6 Moderator-Hypothesen
Wie bewähren sich nun unsere Moderator-Hypothesen? Die Unterschiede der bei
den betrachteten organisationstheoretischen Ansätze kristallisieren sich an der The
se, wonach institutionelle Größen den Zusammenhang zwischen ökonomischer Si
tuation und Personalpolitik (hier: zwischen Arbeitslosigkeit und Weiterbildungsen
gagement) "vermitteln" sollen. Diese These wird im wesentlichen von den vorlie
genden Daten bestätigt.
Exemplarisch kommt dies bei der Berücksichtigung der Variable "Innovativität"
zum Ausdruck. Abbildung 12 zeigt, daß sich der Zusammenhang zwischen Arbeits
losigkeit und Weiterbildungsengagement "auflöst' (d. h. die Korrelationen gehen gegen Null), wenn man sich auf innovative Unternehmen konzentriert. Dies gilt für
die Gruppe der Facharbeiter ebenso wie für die Gruppe der An- und Ungelernten.
Arbeitslosigkeit
Geringe regionale Arbeitslosigkeit
Hohe regionale Arbeitslosigkeit
Korrelation Arbeits-losigkeit-Weiterbildung
Weiterbildung für Facharbeiter
Nicht- Innovative innovative Unternehmen
Unternehmen
69% (62) 87% (218)
54% (80) 83% (196)
r= -0,16 r= -0,06
Weiterbildung für An-/Ungelernte
Nicht- Innovative innovative Unternehmen
Unternehmen
34% (62) 52% (220)
21% (80) 46% (196)
r= -0,14 r= -0,04
Abbildung 12: Anteil der Betriebe mit Weiterbildungsangebot in unterschiedlichen Konstellationen von Arbeitslosigkeit und Innovativität
110 Albert Mactin und Herbeet Düll
Aus Sicht der Institutionentheorie war dieses Ergebnis zu erwarten. In innovativen Unternehmen sind der Aufbau und die Pflege des Humankapitals Kernelemente des organisationalen Selbstverständnisses. Daran ändert auch die steigende externe Verfügbarkeil von qualifizierten Arbeitnehmern auf den relevanten Teilarbeitsmärkten nichts, wenn die Arbeitslosigkeit höher ist.
Aus Sicht der Transaktionskostentheorie vermittelt das empirische Ergebnis einen zwiespältigen Eindruck. In bezug auf die an- und ungelernten Arbeiter ist eigentlich zu erwarten, daß die höhere Verfügbarkeil dieser Arbeitnehmergruppen auf dem Arbeitsmarkt für die Unternehmer Anlaß ist, die Humankapitalinvestitionen für diese Arbeitnehmergruppen zu senken- und zwar unabhängig vom Grad der Innovativität des Unternehmens. Auch bezüglich der Facharbeiter treffen die Voraussagen der Transaktionskostentheorie nur bedingt ein. Wie oben ausgeführt wurde, war zu erwarten, daß die steigende Verfügbarkeil auf dem Arbeitsmarkt die Weiterbildungsanstrengungen für alle Arbeitnehmergruppen reduzieren würde - sicherlich zwar für die An- und Ungelernten in stärkerem Maße, aber eben auch für die Facharbeiter. Tatsächlich verschwindet der Arbeitsmarkteffekt aber fast völlig auch für diese zweite Gruppe der qualifizierten Arbeitnehmer.
Der Einfluß des betrieblichen Qualifikationsniveaus auf die Beziehung zwischen regionaler Arbeitslosigkeit und dem generellen Weiterbildungsangebot entspricht unseren Erwartungen, zumindest was die Facharbeiter angeht (vgl. Abbildung A5 im Anhang). Hohe Qualifikationen der Organisationsmitglieder lösen ebenso wie Innovativität der Organisation Beharrungstendenzen in der verfolgten Personalpolitik aus. Ein Unternehmen, dessen Charakter nicht zuletzt von Investitionen in Humankapital geprägt ist, verläßt dieses Verhaltensmuster nicht ohne weiteres, sondern verzichtet im Zweifelsfall auf die ökonomische Opportunität. Dies würde sich im übrigen auch bei der Gegenüberstellung der Moderatoreffekte bei den Alternativen "Weiterbildung von Facharbeitern" (,,make") vs. ,,Einstellung von Facharbeitern" ("buy'') bestätigen, die wir im vorliegenden Beitrag aber nicht ausführen (vgl. hierzu Martin/Düll1999).
Ein solcher moderierender Effekt des betrieblichen Qualifikatonsniveaus tritt bei der Weiterbildung der un- und angelernten Arbeiter nicht auf. Hier bleiben die -i. d. R. negativen- Korrelationen auch dann erhalten, wenn eine differenzierte Betrachtung (nach Betrieben mit verschiedenen Anteilen qualifizierter Arbeitskräfte) vorgenommen wird (vgl. Abbildung A6 im Anhang).
Betrachten wir als letztes den moderierenden Einfluß der Personalarbeit In bezug auf die Facharbeiter ist auch bei unterschiedlich ,)ntensiver'' Verwendung von personalwirtschaftlichen Kontrollinstrumenten der Zusammenhang von Weiterbildungsangebot mit regionaler Arbeitslosigkeit stets negativ (vgl. Abbildung A7 im Anhang). Bei den un- und angelernten Arbeitnehmern tritt allerdings ein Institutioneneffekt auf, der dem der Innovativität genau entgegengesetzt ist. Je mehr die ausgewählten personalwirtschaftliche Kontrollinstrumente eingesetzt werden, desto enger wird der negative Zusammenhang zwischen regionaler Arbeitslosigkeit und dem Weiterbildungsangebot für diese Teilgruppe (vgl. Abbildung A8 im Anhang).
Betriebliche Weiterbildung und Arbeitsmarktsituation 111
In der nachfolgenden Abbildung 13 sind die Ergebnisse zu Innovativität und Personalarbeit noch einmal schematisch gegenübergestellt. Sie zeigen, daß Institutionen nicht notwendigerweise immer einen "bewahrenden" Effekt besitzen, nicht selten dienen sie dazu, den einem Wirtschaftsunternehmen ohnehin innewohnenden Impuls zur Ökonomisierung noch zu verstärken. In manchen ökonomischen Lehrbüchern wird diese Aufgabe der Personalarbeit nicht zufällig besonders herausgestellt.
Leistungsprozeß: Innovation
Abschwächende Wirkung (bei Facharbeitern sowie
Un- und Angelernten)
Zusammenhang Arbeitslosigkeit -
Weiterbildungsangebot - Personalarbeit Instrumenteneinsatz
Verstärkende Wirkung (bei Un- und Angelernten)
Abbildung 13: Beharrungs- und Ökonomisierungstendenzen bei der Weiterbildung im Kontext von Arbeitslosigkeit
Allerdings gilt dieser Zusammenhang nur für die Gruppe der un- und angelernten Arbeitnehmer. Bezüglich der Weiterbildung der Facharbeiter hat die Personalarbeit keinen ,,moderierenden" Effekt.
Generell ohne Auswirkungen ist die Einschätzung zur Ertragssituation, d. h. unabhängig davon, ob die Ertragssituation als eher positiv oder eher negativ beurteilt wurde, verändert sich dadurch der - negative - Zusammenhang zwischen regionaler Arbeitslosigkeit und dem Weiterbildungsangebot für die betrachteten Mitarbeitergruppen nicht.
5. 7 Zusammenfassung
In Abbildung 14 sind ausgewählte Ergebnisse im Überblick dargestellt. Im wesentlichen liefern die empirischen Daten eine Bestätigung unserer Hypothesen.
Bedingungen Niedrig Hoch niedrig hoch
Innovativität r= -0,14 r= -0,04 r=-0,16 r= -0,06
Personalwirtschaftlicher r= +0,03 r= -0,12 r = -0,11 r= -0,08
Instrumenteneinsatz
Qualifikationsniveau r= +0,09 r= -0,15 r = -0,11 r= 0,00
Ertragslage r= -0,09 r= -0,08 r=-0,16 r= -0,10
Arbeitnehmergruppe Un- und Angelernte Facharbeiter
Abbildung 14: Korrelationen zwischen der Arbeitslosigkeit und der Weiterbildung in unter
schiedlichen Situationen
Es gibt allerdings eine Ausnahme. Unter der Bedingung eines geringen Qualifikationsniveaus wurde von beiden Theorien ein negativer Zusammenhang zwischen
112 Albert Martin und Herbert Düll
Arbeitslosigkeit und Weiterbildung vorausgesagt, weil anzunehmen ist, daß Unternehmen, die keine mächtige Humankapitalausstattung besitzen und damit auch kaum weiterbildungsförderliche Institutionen ausbilden, den ökonomischen Vorteil nutzen, den hohe Arbeitslosenzahlen bieten. Tatsächlich ergibt sich aber ein positiver Zusammenhang. Warum sollten Betriebe mit hohen Quoten an Ungelernten in Zeiten der Arbeitslosigkeit aber mehr Ungelernte weiterbilden als in Zeiten geringer Arbeitslosigkeit? Eine Erklärung könnte in der - auch in Westdeutschland - bei hoher Arbeitslosigkeit verstärkt einsetzenden öffentlichen Förderung von Arbeitsbeschaffungs- und Fortbildungsmaßnahmen liegen. Leider können wir diesen Effekt nicht isolieren, da die Daten eine entsprechende Differenzierung nicht erlauben. Aus diesem Grund bleibt diese Erklärung etwas spekulativ.
6 Diskussion der emprischen Ergebnisse
Insgesamt kann jedoch festgehalten werden, daß sich die berichteten Ergebnisse zu einem stimmigen Muster fügen. Die grundsätzliche Weiterbildungsentscheidung von Unternehmen wird gleichermaßen von ökonomischen als auch institutionellen Größen beeinflußt, ohne daß dem ein oder anderen Erklärungsansatzangesichts der hier präsentierten Empirie ein eindeutiger Vorzug zu geben wäre. Was folgt daraus? Welches Licht werfen die empirischen Erkenntnisse auf die angestellten organisationstheoretischen Überlegungen und umgekehrt, welche Rolle können Organisationstheorien bei der Analyse empirisch ermittelter Zusammenhänge spielen?
6.1 Beurteilung der Theorie
Widerlegt unsere Analyse eine der beiden referierten organisationstheoretischen Ansätze? Wohl kaum, denn die Natur dieser Ansätze entzieht sich jedem Versuch einer direkten Widerlegung. Wir sind zwar wie üblich vorgegangen, wir haben aus den theoretischen Prämissen einige Schlußfolgerungen gezogen, diese in ein empirisches Konzept umgesetzt und letzteres mit den Daten des Betriebspanel des lAB konfrontiert. Dabei stellte sich heraus, daß die empirischen Daten nicht mit allen theoretischen Überlegungen verträglich sind. Methodologisch ist dieses Vorgehen nur folgerichtig. Dennoch ergeben sich logische Probleme und zwar aus möglichen Bruchstellen in der ,,Ableitung'' unserer Voraussagen. Damit sind die Grenzen unserer Untersuchung angesprochen. Ein großes Problem stellt sich bereits bei der Zuordnung der theoretischen Konstrukte zu den empirischen Variablen. So mag strittig sein, ob die Variable ,,Produktinnovation" wirklich geeignet ist die ,,lnnovativität" eines Unternehmens abzubilden und ob der gewählte empirische Indikator "Qualifikationsniveau" in hinreichender Weise auf die Spezifität der ArbeitgeberArbeitnehmer-Beziehung (Transaktionskostentheorie) bzw. auf die Bildungstradition (lnstitutionentheorie) verweist. Problematisch ist auch die Gleichsetzung der Arbeitslosigkeit in der Region mit der Arbeitsmarktsituation der einzelnen in der Region tätigen Unternehmen. Außerdem sagen die uns zur Verfügung stehenden pauschalen Arbeitslosenzahlen nichts genaues über die Verfügbarkeit der von uns
Betriebliche Weiterbildung und Arbeitsmarktsituation 113
speziell betrachteten Arbeitnehmergruppen. Und schließlich ist die Betrachtung der regionalen Arbeitslosigkeit nur ein Ersatz für die eigentlich interessierende Zeitraumbetrachtung.
Die genannten methodischen Probleme machen deutlich, daß unsere Analyse es nicht erlaubt, von einer Widerlegung z. B. des Transaktionskostenansatzes zu sprechen, nur weil die aus dieser Theorie abgeleiteten Voraussagen mit unseren Daten häufig nicht konform gehen. Unsere empirischen Ergebnisse können nur Anlaß für ,,Fragen" sein, die an die theoretische Argumentation zu stellen sind.
Die zentrale Frage, die zu beantworten wäre und auf die wir uns hier konzentrieren wollen, lautet, weshalb sich bestimmte Unternehmen dem ökonomischen Kalkül widersetzen und ihre Mitarbeiter auch dann weiterbilden, wenn die Arbeitsmarktbedingungen einen Verzicht auf Weiterbildung zulassen. Hierzu liefert die Institutionentheorie allerdings eine geradlinige und einleuchtende Erklärung. Die Transaktionskostentheorie steht dagegen vor erheblichem Erklärungsbedarf. Dieser läßt sich ignorieren und durch den Verweis auf die von uns angesprochenenUnschärfen in der Ableitung empirischer Aussagen zur Seite schieben.
Eine derartige Vorgehensweise ist aber wenig konstruktiv. Angemessener erscheint uns eine theoretische Entgegnung. So kann insbesondere auf das Problem der ungenügenden Spezifikation hingewiesen werden. Dieses Problem entsteht aufgrund der von uns vorgenommenen ceteris paribus Argumentation. Bei der Ableitung unserer Hypothesen haben wir nicht sämtliche Größen berücksichtigt, die in der Transaktionskostentheorie eine Rolle spielen. Abgestellt haben wir lediglich auf die Humankapitalspezifität und damit stillschweigend unterstellt, daß die anderen Variablen (z. B. die Unsicherheit) mit unserer Moderatorvariablen, insbesondere der Innovativität, in keinem systematischen Zusammenhang stehen. Es ist aber zu vermuten, daß innovative Leistungsprozesse fast naturnotwendig mit höherer Unsicherheit verknüpft sind. Innovation wird wesentlich getragen vom Engagement der Arbeitnehmer und läßt sich nur bedingt durch Planungs- und Kontrollmechanismen hervorbringen. Damit steht der Arbeitgeber vor einem besonderen Kontrollproblem, denn er hat keine Sicherheit dafür, daß seine Arbeitnehmer das notwendige Engagement auch tatsächlich aufbringen. Eine vielversprechende Möglichkeit, dieses Kontrollproblem zu lösen, besteht in der Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen und zwar deswegen, weil Weiterbildung externe Steuerung durch interne Steuerung ersetzen kann. Weiterbildung vermittelt Verhaltensstandards, sie induziert die Übernahme von Regeln professionellen Handeins und fördert die Entstehung von Kompetenzgefühlen und Produzentenstolz und damit "instrinsisch motiviertes" Arbeitsverhalten. Dieses hat gegenüber "extrinsisch anreizorientiertem" Arbeitsverhalten für den Arbeitgeber viele Vorteile. Investition in Weiterbildung liefert demnach neben der unmittelbaren Fähigkeitserweiterung einen nicht unbedeutenden motivationalen Nebenertrag. Der Abbau von Weiterbildung aus kurzfristig opportunistischem Interesse dürfte diesen Ertragsquelle zum Versiegen bringen.
Aus ökonomischer Rationalität kann also eine Entkopplung der betrieblichen Maßnahmen von unmittelbaren Verwertungsvorteilen (also der Verzicht auf Abschiebung der Bildungslasten auf die Arbeitnehmer) durchaus "ökonomisch" sein.
114 Albert Martin und Herbert Düll
Damit wäre auch aus Sicht der Transaktionskostentheorie unser vorderhand widersprüchliches Resultat "erklärt". Fraglich bleibt allenfalls, ob der gemeinsame Effekt der beiden von der Transaktionskostentheorie herausgestellten Variablen (Spezifität und Unsicherheit) hinreicht, um das "vollständige" Verschwinden des Zusammenhangs zwischen Weiterbildung und Arbeitslosigkeit zu erklären. Jedenfalls kann festgehalten werden, daß sich bei Berücksichtigung weiterer theoretische Argumente die Voraussagen der Transaktionskostentheorie und die der Institutionentheorie einander annähern.
6.2 Beurteilung der Empirie
Ein zentrales Problem in der Vermittlung zwischen theoretischen und empirischen Aussagen liegt in der Zuordnung der empirischen Variablen zu den theoretischen Konstrukten. Hier gibt es eine letztlich me vollständig einzulösende Bringschuld der empirischen Forschung. Diese konzentriert sich verständlicherweise auf leicht operationalisierbare und unmittelbar zugängliche Größen. Damit steht sie aber in der Gefahr, inhaltslose Datenmengen zu produzieren, denen man nur vermittels nachträglichlicher Interpretationskunst Sinn abzutrotzen in der Lage ist.
Nur- das Problem benennen, heißt nicht, es auch zu lösen. Läßt sich ein theoretisches Konstrukt wie beispielsweise die Transaktionsspezifität überhaupt in befriedigender Weise empirisch abbilden? Der Erfassung mit standardisierten Fragen ist schwer vorstellbar, da sich die "Spezifität" je nach Branche und Arbeitnehmergruppe, je nach Tätigkeitsgruppe und Arbeitsposition, ja, je nach Arbeitsprozeß und Lebenssituation der einzelnen Arbeitnehmer unterschiedlich darstellt. Ein Urteil über die Transaktionsspezifität auf der Ebene des Unternehmens wird immer ein pauschales Urteil sein und ist deswegen auch immer erheblichen Meßproblemen ausgesetzt. Alle nur denkbaren Indikatoren können immer nur auf das eigentlich Gemeinte "verweisen", aber nicht sicher treffen.
Die Sozialforschung wählt angesichts dieser Problemlage häufig den Weg der Indexbildung. In unserem Fall könnte man beispielsweise die ,Jnnovativität" und das "Qualifikationsniveau" zu einer gemeinsamen Indexvariable zusammenführen. Tatsächlich treten die von uns berichteten Effekte schärfer hervor, wenn wir diese beiden von uns betrachteten ,,Moderatorvariablen" zu einem Index verbinden. Unter betrieblich ungünstigen Konstellationen vermindert sich der Anteil der Betriebe, die Weiterbildung für Facharbeiter betreiben, geradezu dramatisch, wenn die Arbeitslosigkeit steigt (von 86 % in Regionen mit unterdurchschnittlicher auf 49 % in Regionen mit überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit (r = -0, 39) ). Zieht man als dritte Moderatorvariable die Unterteilung in "wissensintensive" und Low-KnowledgeBranchen hinzu (vgl. zu einer solchen Klassifikation von Wirtschaftszweigen ZEW u. a. 1999), dann wird dieser Effekt noch größer. Unter sehr ungünstigen Voraussetzungen (Low-Knowledge-Bereich, geringes Qualifikationsniveau, keine Innovationen), vermindert die Arbeitslosigkeit das Weiterbildungsengagement der Betriebe für ihre Facharbeiter von 83 % (geringe Arbeitslosigkeit) auf 35 % (hohe Arbeitslosigkeit). Dies entspricht einer Korrelation von r = -0, 50, die sich erwartungsgemäß verliert, wenn sich die ungünstigen Ausgangsbedingungen verändern, d. h. wenn
Betriebliche Weiterbildung und Arbeitsmarktsituation 115
sich die Qualifikation, die Innovativität oder die Produktintelligenz der betrachteten Unternehmen verbessern.
Indexbildung ist aber nur bedingt ein Ausweg aus der Zuordnungsproblematik von theoretischem Konstrukt und empirischer Meßgröße. Zumal dann, wenn die Indexvariablen auf so unterschiedliche Phänomene verweisen, wie in unserem Fall, denn dann besteht die Gefahr, daß die Indexbildung mehr verdeckt als klärt. Möglicherweise existieren aber doch einigermaßen brauchbare empirische Konzepte, die den theoretischen Größen "Spezifität", ,Jnstitutionelle Verankerung" usw. näher sind als die von uns verwendeten Variablen. Es lohnt sich jedenfalls, nach derartigen Variablen Ausschau zu halten, auch wenn die konkrete Messung stets den Charakter von Kompromissen behalten wird.
Dies gilt um so mehr, wenn man nicht - wie in unserem Aufsatz - Theorien betrachtetet, die von vornherein mit Makrogrößen arbeiten, sondern sich mit Mikroprozessen beschäftigen. Zu denken ist insbesondere an Theorien der organisationalen Entscheidungsfindung. Die Beschäftigung mit diesen Theorien ist jedenfalls dann anzuraten, wenn man zugesteht, daß sich die Erklärung unternehmerischer Verhaltensweisen (wie beispielsweise das Angebot von bzw. der Verzicht auf Bildungsmaß nahmen) nur partiell durch den Verweis auf strukturelle Rahmenbedingungen erledigt. Tatsächlich dürfte sich die erklärte Varianz erheblich größer sein, wenn es gelänge, Variablen der Entscheidungstindung in die Analyse mit einzubeziehen. Die methodische Alternative, in Fallstudien die in Frage stehenden Mikroprozesse zu untersuchen (vgl. Weber u. a. 1994), hat ihre Verdienste, läßt aber das Problem ungelöst, wie man derartige Prozesse auf der Makroebene abbildet.
7 Fazit und Ausblick
Unsere Ergebnisse resümierend, profitiert nun die empirische Analyse des Weiterbildungsverhaltens von einer organisationstheoretischen Betrachtung? Trotz der Probleme, die sich im Zuge unserer Analyse gezeigt haben, wollen wir diese Frage vorbehaltlos bejahen. Die theoretische Analyse ist schon deswegen sinnvoll, weil sie überhaupt erst die Voraussetzungen dafür schafft, daß weiterreichende Fragen gestellt werden können. Wenn sich beispielsweise herausstellt, daß Großunternehmen im Durchschnitt nicht mehr Weiterbildung betreiben als mittlere Unternehmen (oder, ein anderes Beispiel: daß Banken besonders intensiv Weiterbildungsmaßnahmen anbieten, wenig Weiterbildung dagegen in der Textilindustrie zu finden ist), dann mag man diese Ergebnisse mehr oder weniger "interessant" finden. Von einem Verständnis davon, was Unternehmen dazu veranlaßt große Summen in Weiterbildung zu investieren, ist man damit aber immer noch so weit wie möglich entfernt.
Theorien beschreiben Verhaltensmechanismen, die erklären, weshalb bestimmte empirische Phänomene miteinander korrelieren. Um diese grundlegenden Zusammenhänge geht es der Wissenschaft. Wissenschaftliche Analyse ist daher notwendigerweise theoretische Analyse. Ein Verzicht auf theoretische Analyse verbaut sich von vornherein die Hauptwege zu vertiefter Einsicht. Ein Beispiel: eine gängige Vorstellung läuft darauf hinaus, Weiterbildung als "technisches" Problem zu
116 Albert Martin und Herbert Düll
begreifen. Danach werden Unternehmen dann in Weiterbildung investieren, wenn die Leistungserstellung in einem Unternehmen "wissensintensiv'', also auf ständige Neuausrichtung des Wissens angewiesen ist. Interessanterweise wird oft auch der Transaktionskostentheorie eine derartige Sichtweise unterstellt. Wenig ist weniger richtig. Die Transaktionskostentheorie macht darauf aufmerksam, daß nicht dort in Weiterbildung investiert wird, wo sie "technisch" notwendig ist, sondern dort, wo Weiterbildung "ökonomisch" die bessere Alternative ist. Wenn Weiterbildungsanstrengungen in wissensintensiven Betrieben sehr hohe Transaktionskosten verursachen, dann werden die betroffenen Betriebe zu Alternativen, also etwa zum Zukauf von Wissen übergehen. Dies ist manchmal sehr einfach, nämlich beispielsweise dann, wenn auf dem Markt spezialisierte Anbieter auftreten, denen es erstens (z. B. aufgrundvon Spezialisierungsvorteilen) leicht fällt, ständig auf der Höhe des technischen Wissens zu sein und die zweitens über die Fähigkeit verfügen, ihr Wissen ohne große Umstände in den Prozeß der Leistungserstellung "einzuspeisen" (z. B. durch ,,Modularisierung" ihrer Wissensleistungen). Beratungsunternehmen sind hauptsächlich damit beschäftigt, eben dies zu leisten, nämlich organisationsextern verfügbare Wissenspotentiale anschlußfähig zu halten. Und es läßt sich daher auch in Weiterführung transaktionskostentheoretischer Überlegungen voraussagen, daß dort, wo dies bislang nur unzureichend gelingt, das ökonomische Kalkül die notwendige ,,Phantasie" entwickeln wird, um diese Situation zu ändern. Bestimmte Rahmenbedingungen vorausgesetzt, wird es - so die Argumentation - "dem Markt" gelingen, entsprechende Angebote zu schaffen. Aktuelle Beispiele liefern die Bemühungen von Großunternehmen, den Prozeß der originären Leistungserstellung an flexibel einsetzbare Subunternehmen auszulagern. Es ist gewissermaßen ein Verdient der Transaktionskostentheorie, daß sie den Forscher aufruft, den manchmal nicht offen zutage liegenden ökonomischen Bewegungskräften nachzuspüren.
Andere Theorien haben andere Verdienste. Die Institutionentheorie beispielsweise stellt - wie oben beschrieben - Fragen nach der Legitimation von betrieblichen Prozessen, nach der Vernetzung einzelner Institutionen (z. B. einer mit Bildungsmaßnahmen verkoppelten Karriereplanung) mit anderen Institutionen (z. B. der Hierarchiestruktur) und nach den Stabilitätsbedingungen des Institutionengefüges. Wir wollen hierauf nicht näher eingehen, sondern nur darauf hinweisen, daß diesbezüglich viele Fragen erst noch aufzuarbeiten wären. Andere Theorien stellen ähnliche aber auch andere Fragen und geben partiell auch andere Antworten bei der Beschreibung der Weiterbildungslogik von Unternehmen. Es ist jedenfalls in höchstem Maße wünschenswert, daß die Weiterbildungsforschung sich des Potentials der vorhandenen organisationstheoretischen Ansätze bedient. Umgekehrt ließen sich dann an der Behandlung der Weiterbildungsfrage exemplarisch auch die Stärken und Schwächen der Ergebnisse der organisationstheoretischen Forschung festmachen.
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120 Albert Martin und Herbert Düll
Anhang
Re!. Anteil Fallzahl
Arbeitslosenquote (klassiert) ( 1997) 100% 769 -bis 7,4% 15% 116 -7,4% bis 8,6% 17% 132 - 8,6 %bis 9,8 % 18% 137 -9,8% bis 11,5% 16% 124 - 11,5 bis 13,5% 16% 122 -mehr als 13,5% 18% 138
Arbeitslosenquote (Medianteilung) ( 1997) 100% 769 -hohe (über 9,8 %) 50% 384
Wettbewerbsdruck ( 1998) 100% 525 - hoher 79% 414
Ertragslage im Vorjahr ( 1996) 100% 598 - befriedigend 22% 130 -neutral 32% 191 - unbefriedigend 46% 277
Qualifikationsniveau des Vorjahres 100% 734 (Medianteilung) ( 1996) -hoch 50% 367
1nnovativität ( 1998) 100% 621 - hoch (mit Produktinnovationen innerhalb 25% 153 der letzten zwei Jahre)
Zugehörigkeit zu "wissensintensiven" 100% 771 Wirtschaftszweig ( 1997) - wissensintensive Branche 47% 362
Personalarbeit/Einsatz von personal- 100% 620 wirtschaftlichen Instrumenten ( 1998) - keines oder nur eines von drei 32% 201
Kontrollinstrumenten - zwei von drei Kontrollinstrumenten 32% 200 - drei Kontrollinstrumente 35% 219
Abbildung A 1: Liste der unabhängigen Variablen (in Klammem Befragungsjahr des lABBetriebspanels)
Betriebliche Weiterbildung und Arbeitsmarktsituation 121
Regionale Arbeitslosigkeit
Arbeitslosenquote (klassiert) -bis 7,4% - 7,4 % bis 8,6 % - 8,6 %bis 9,8 % - 9,8% bis 11,5% - ll,;i bis 13,5% - mehr als 13,5 %
Arbeitslosenquote ( Medianteilung) -hoch -niedrig
Weiterbildungs- Weiterbildungs- Fallzahl angebot für Fach- angebot für un-I
arbeiter angelernte Arbeiter
86% 76% 82% 73% 74% 67%
73% 82%
54% 44% 45% 32% 38% 40%
37% 48%
101 127 123 111 102 125
334 342
Abbildung A 2: Anteil an Weiterbildungsbetrieben bei unterschiedlichen regionalen Arbeitslosenquoten
Ökonomische Weiterbildungs- Weiterbildungs- Fallzahl Situation angebot für Fach- angebot für un-/
arbeiter angelernte Arbeiter
Wettbewerbsdruck - hoher 83% 49% 370 - keiner bis mittlerer 77% 41% 342
Ertragslage im Vorjahr - befriedigend 80% 44% 116 -neutral 79% 45% 163 - unbefriedigend 82% 48% 252
Abbildung A 3: Anteil an Weiterbildungsbetrieben in unterschiedlicher ökonomischer Situation
122 Albert Martin und Herbert Düll
Betriebstyp Weiterbildungs- Weiterbildungs- Fallzahl angebot für Fach- angebot für un-/
arbeiter angelernte Arbeiter
Qualifikationsniveau -hoch 74% 32% 326 -gering 80% 51% 321
(Produkt-) lnnovativität -hoch 85% 49% 410 -gering 61% 27% 140
Einsatz von personal-wirtschaftlichen Instrumenten - keines oder eines 70% 37% 180 -zwei 86% 44% 172 -drei 83% 51% 197
Abbildung A 4: Anteil an Weiterbildungsbetrieben bei unterschiedlichen internen Kontextfaktoren
Geringe regionale Arbeitslosigkeit
Hohe regionale Arbeitslosigkeit
Korrelation Arbeitslosigkeit- Weiterbildungsangebot für
Facharbeiter
Geringer Anteil Mittlerer Anteil Hoher Anteil an Qualifizierten an Qualifizierten an Qualifizierten
im Betrieb im Betrieb im Betrieb
83% (117) 87% (122) 70% (95)
74% (107) 75% (98) 70% (115)
r= -0, II r= -0,09 r= 0,00
Abbildung A 5: Anteil der Betriebe mit Weiterbildungsangebot für Facharbeiter in unterschiedlichen Konstellationen von regionaler Arbeitslosigkeit und betrieblichem Qualifikationsniveau
Betriebliche Weiterbildung und Arbeitsmarktsituation 123
Geringe regionale Arbeitslosigkeit
Hohe regionale Arbeitslosigkeit
Geringer Anteil Mittlerer Anteil Hoher Anteil an Qualifizierten an Qualifizierten an Qualifizierten
im Betrieb im Betrieb im Betrieb
49%(119) 53% (122) 34% (95)
58% (107) 36% (98) 20% (115)
Korrelation Arbeitslosigkeit-r= +0,09 r=-0,18 r=-0,15
Weiterbildungsangebot für Un-lAbgelernte
Abbildung A 6: Anteil der Betriebe mit Weiterbildungsangebot für un- und angelernte Ar
beiter in unterschiedlichen Konstellationen von regionaler Arbeitslosigkeit und betrieblichem Qualifikationsniveau
Verwendung keines Verwendung von Verwendung von oder eines "Kontroll- zwei "Kontroll- drei "Kontroll-
instrumentes" in instrumenten" in instrumenten" in der Personalarbeit der Personalarbeit der Personalarbeit
Geringe regionale Arbeitslosigkeit 75% (91) 89% (89) 86% (99)
Hohe regionale Arbeitslosigkeit 65% (93) 83% (83) 80% (99)
Korrelation Arbeitslosigkeit-Weiterbildungsangebot für r= -0,11 r = -0,08 r = -0,08 Facharbeiter
Abbildung A 7: Anteil der Betriebe mit Weiterbildungsangebot für Facharbeiter in unterschiedlichen Konstellationen von regionaler Arbeitslosigkeit und des Ausmaßes des personalwirtschaftlichen Instrumenteneinsatzes
Geringe regionale Arbeitslosigkeit
Hohe regionale Arbeitslosigkeit
Korrelation Arbeitslosigkeit-Weiterbildungsangebot für U n-/ Abgelernter
Verwendung keines Verwendung von Verwendung von oder eines "Kontroll- zwei ,,Kontroll- drei "Kontroll-
instrumentes" in instrumenten" in instrumenten" in der Personalarbeit der Personalarbeit der Personalarbeit
36% (92) 50% (90) 57% (99)
39% (93) 37% (83) 44% (99)
r = +0,03 r = -0,13 r= -0,12
Abbildung A 8: Anteil der Betriebe mit Weiterbildungsangebot für un- und angelernte Arbei
ter in unterschiedlichen Konstellationen von regionaler Arbeitslosigkeit und des Ausmaßes
des personalwirtschaftlichen Instrumenteneinsatzes
Corporate Govemance und Hochschulmanagement
Wolfgang Weber und Jörg Habich
1 Einleitung
Die Effizienz des Hochschulmanagements ist in der politischen Diskussion in den letzten Jahren zu einem wichtigen Thema geworden. Neben dem Aufbrechen bestehender, oft als verknöchert bezeichneter Strukturen, starren Besoldungs- und Haushaltsvorschriftenund Fremdbestimmung werden in der aktuellen Diskussion Selbstverantwortung, Hochschulautonomie bzw. dezentralisierte Entscheidungs- und Managementstrukturen als erfolgversprechende Ansatzpunkte gefordert, die sich an der Privatwirtschaft orientieren.
Dabei bieten die Novellen der Hochschulgesetze in einzelnen Bundesländern wie beispielsweise in Bayern, Nordrhein-Westfalen und Hessen die Möglichkeiten zu mehr Autonomie durch leistungsgesteuerte Hochschulfinanzierung, eigene Ressourcenbewirtschaftung und effizient arbeitende Gremien. Um diese Ziele zu erreichen, weisen die Gesetzesnovellen den bisherigen Akteuren an Hochschulen neue Aufgaben und Rollen zu. So ist der Rektor bzw. Dekan an bayrischen Hochschulen für die Zukunft mit entsprechenden Aufsichts- und Weisungsrechten ausgestattet, um Sorge dafür zu tragen, daß Professoren und die sonstigen zur Lehre verpflichteten Personen ihre Lehr- und Prüfungsverpflichtungen ordnungsgemäß erfüllen (BayHSchG, § 24(4); 39(1)).
Die Gesetze streben an, Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine effiziente Führung und Kontrolle der Hochschulen sicherstellen. Da in der politischen Diskussion häufig auf die Effizienz privatwirtschaftlicher Managementstrukturen abgehoben wird, die Auseinandersetzung mit der betriebswirtschaftliehen Managementdiskussion aber in den gesetzlichen Regelungen kaum oder nur in Ansätzen zu erkennen ist, liegt die Gegenüberstellung und Auseinandersetzung mit diesen betriebswirtschaftlichen Beiträgen nahe.
Die Diskussion über die Steuerungsproblematik wird schwerpunktmäßig unter der Überschrift Corporate Governance geführt. Dieser Beitrag knüpft an dieser Diskussion an. Zunächst wird der Begriff Corporate Governance erläutert. Anschließend werden mögliche Ausgestaltungsformen von Governance Strukturen dargelegt. Auf dieser Grundlage werden Parallelen zum Hochschulbereich hergestellt. Es wird insbesondere geprüft, inwieweit die Corporate Governance Diskussion verwertbare Anregungen für die Gestaltung eines effizienten Hochschulmanagements liefert und dadurch Erkenntnisse für die Entwicklung von institutionellen Rahmenbedingungen bietet.
Corporate Governance und Hochschulmanagement 125
2 Corporate Governance
Die Diskussion über effiziente Führung und Kontrolle bzw. über Corporate Gover
nance Strukturen gewinnt auf hochschulpolitischer Ebene und der Notwendigkeit
zur Steuerung von Universitäten und Fachhochschulen oder deren Kontrolle zuneh
mend an Bedeutung, wobei sich jedoch die Corporate Governance Forschung zum
jetzigen Zeitpunkt noch in der Anfangsphase befindet (vgl. Prigge 1999, S. 149).
Dieses Forschungsgebiet ist dadurch charakteristisiert, daß Governance als Syn
onym zur Ausübung von " ... authority, direction, and control" (Zingales 1998, S.
497) gesehen wird. Entsprechend bezeichnet Corporate Governance laut Schmidt
(1997, S. 2) "the totality ofthe institutional and organizational mechanisms, and the
corresponding decision-making, intervention and control rights, which serve to re
solve conflicts of interest between the various groups which have a stakes in a firm
and which, either in isolation or in their interaction, determine how important deci
sions are taken in a firm, and ultimately also determine which decisions are taken."
Corporate Governance umfaßt also die Ausgestaltung der institutionellen Rahmen
bedingungen und die wechselseitigen Entscheidungs- und Kontrollrechte und damit
das Machtgefüge von Kapitalgebern, Management, Kunden etc. innerhalb einer Or
ganisation. Der Argumentation Williamsons (1990) folgend, liegen den Beziehun
gen zwischen diesen Beteiligten ex ante mehr oder weniger explizit geschlossene
Verträge zu Grunde, die aber in der spezifischen Ausgestaltung unvollständig blei
ben müssen und somit Raum z. B. für Ermessensmißbrauch Jassen.
Der Hauptgrund für die Gestaltung von Corporate Governance Strukturen ergibt
sich damit aus der Trennung von Eigentum und Kontrolle und den daraus resultie
renden Agenturkosten (John/Senbet 1998, S. 372).
Die Durchsetzbarkeit der Interessen und die entstehenden Transaktionskosten
(Speckbacher 1998, S. 95) oder anders ausgedrückt die Verteilung der Weisungs
und Kontrollrechte und die Möglichkeiten der Einflußnahme (Grieger 1999, S. 24)
werden als entscheidendes Corporate Governance Problem gesehen. Dieses Pro
blem ergibt sich i. d. R. jedoch weniger stark ausgeprägt für Alleineigentümer, die
Führungskräfte jederzeit entlassen können, sondern kennzeichnet eher die Situa
tion von Minderheitsaktionären (Scott 1999, S. 4 f.). Diese Corporate Governance
Strukturen sind nicht unabhängig von ihrem situativen Kontext zu sehen, da die Ein
flußmöglichkeiten von unterschiedlichen wechselseitig wirkenden Umweltfaktoren
determiniert werden. Dabei zählen die Gesetzgebung, die Struktur des Finanzsek
tors eines Landes, Marktfaktoren und die Verteilung von Informationen, Fähigkeiten
und anderen Ressourcen zu den Hauptumweltfaktoren (Schmidt 1997, S. 2 f.).
Ziel einer sinnvollen Corporate Governance Struktur muß es daher sein, den
Mißbrauch durch die Kernorgane der Organisation zu verhindern, ohne gleichzeitig
den reibungslosen Ablauf der Organisation zu gefährden (vgl. Fey 1995, S. 1320).
Im folgenden werden die Interessengruppen dargestellt, die in der Corporate
Governance Diskussion vielfach angesprochen werden.
126 Wolfgang Weber und Jörg Habich
2.1 Interessengroppen
Die unterschiedlichen Interessengruppen umfassen allgemein alle Beteiligten, " ... die von der Leistung und vom Erfolg eines Unternehmens [oder allgemeiner einer Organisation] profitieren oder [bei] dessen Mißerfolg Verluste erleiden" (Langenbucher/Blaum 1994, S. 2197).
Die Diskussion über die Ausgestaltung von Corporate Governance Strukturen fokussiert in der angelsächsischen Tradition oftmals die reinen Beziehungen von Eigenkapitalgebern und Unternehmensführung in Form des Shareholder ValueKonzeptes. Dabei steht die Steigerung des Unternehmenswertes im Mittelpunkt. Dieser Ansatz umfaßt Methoden, Maßnahmen, Instrumente zur Messung, Analyse, Prognose und Maximierung des Eigenkapitals (Lorson 1999, S. 1329). Die Eigentümer beziehen schwankende und unsichere Rückflüsse aus ihren Investitionen. Entsprechend ihres Risikos gegenüber sicheren Anlagealternativen fordern sie dabei höhere Renditen. Werden diese dauerhaft nicht erzielt, wenden sich die Eigenkapitalgeber alternativen Anlageformen zu. Die wirkenden Kräfte der "unsichtbaren Hand" führen zur besten Interessenverfolgung der Anspruchsgruppen (vgl. Bühnerffuschke 1997, S. 502). Die Eigenkapitalgeber werden ihre Forderungen bzw. Interessen gegenüber den Kernorganen einer Organisation durchsetzen, um so die bestmögliche Rendite zu erzielen. Rappaport (1999, S. 3) führt dazu aus ,je härter die negativen Konsequenzen, mit denen eine Führungskraft, die das Vermögen der Eigentümer reduziert, rechnen muß, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, daß diese Führungskraft auch tatsächlich gegen die Interessen der Anteilseigner handelt."
Dieser Sichtweise steht als anderes Extrem die Berücksichtigung der Ansprüche unterschiedlicher Gruppen, das Stakeholder Value-Konzept gegenüber (vgl. Bühner/ Tuschke 1997, S. 500-502). Hierbei werden nicht nur die Ansprüche der Eigentümer sondern auch die Interessen von weiteren Anspruchsgruppen, sogenannten Stakeholdern berücksichtigt. Der Ansatz geht davon aus, daß die Ansprüche dieser Gruppen nur zu einem Teil vertraglich festgelegt, zu einem wesentlichen Anteil jedoch nur implizit vereinbart worden sind. ,,Da diese Auswirkungen der Nichterfüllung impliziter Ansprüche häufig erst auf sehr lange Sicht erkennbar werden, besteht die Gefahr von Fehlentscheidungen, wenn das Ziel die Maximierung des Unternehmenswertes aus Sicht der Eigentümer ist, ohne dabei implizite Ansprüche zu berücksichtigen" (Speckbacher 1997, S. 634). Das Hauptziel des Stakeholder Value-Konzeptes besteht also in der Berücksichtung der Interessen von verschiedenen Anspruchsgruppen.
Mögliche Anspruchs- bzw. Interessengruppen zeigt Graphik 1 (vgl. Gaugier 1997, s. 170).
In beiden Sichtweisen sind aber die Beteiligten davon abhängig, daß sich die Leitung der Organisation in ihrem Sinne verhält. Es kann also zumindest ein partielles Interesse der verschiedenen Beteiligten an einer effizienten Führung abgeleitet werden (vgl. Kräkel1999, S. 280). Schmidt (1997, S. 3) bezeichneteine Governance Struktur daher auch als effizient, wenn sie zum einen die maximal erreichbaren Interessen der aktuellen Shareholder, das ausgewogene Interesse von "different con-
Corporate Govemance und Hochschulmanagement 127
Abbildung 1: Anspruchsgruppen nach dem Stakeholder Value-Konzept
stituencies" und das Überleben bzw. Wachstum der Organisation sicherstellt. Vor diesem Hintergrund erscheint es zweckmäßiger, nicht mögliche Interessengruppen zu fokussieren, sondern die mögliche Ausgestaltung von diesem Governance Strukturen näher zu betrachten.
2.2 Ausgestaltung von Governance Strukturen
Eine wirkungsvolle Kontrolle der Handlungsorgane einer Organisation liegt - wie erwähnt - primär im Interesse der Anteilseigner, schließt aber die Berücksichtigung von weiteren Interessengruppen nicht aus, denn "ein ineffizientes Verhalten des Topmanagements könnte die vertraglichen Ansprüche der Akteure an die Unternehmung gefährden" (Kräkel 1999, S. 280). Entsprechend läßt sich die Frage nach der effizienten Ausgestaltung von Governance Strukturen aus agenturtheoretischer Sicht auf ein grundsätzliches Problem und entsprechende Lösungsalternativen zurückführen. Die Schwierigkeit ergibt sich daraus, daß das Verhalten der Kernorgane nicht immer beobachtbar bzw. nicht beurteilbar ist (Moral Hazard). Die Agenturtheorie (vgl. hierzu, S. Picot/Dietl/Franck 1997, S. 87 ff.) empfiehlt in dieser Situation eine Interessensangleichung durch Anreize und/oder Sanktionen bzw. eine Verringerung der Informationsasymmetrie zwischen den Beteiligten durch entsprechende Monitoring- oder Kontrollaktivitäten, die im folgenden kurz skizziert werden.
128 Wolfgang Weber und Jörg Habich
2.2.1 Anreizgestaltung
Die Bereitstellung von Anreizen soll Interessenskongruenz zwischen den unterschiedlichen Vertragspartner erzeugen (vgl. Müller 1999, S. 121 f.) Entsprechend sind Governance Strukturen zu schaffen, die eine Übereinstimmung der Interessen zwischen den am Unternehmensgeschehen Beteiligten und den Kernorganen erzielen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß durch das Governance System für die Aktivitäten Anreize geschaffen werden, die beispielsweise nicht indirekt über die Marktwirkung vergütet werden. Das bedeutet, daß vom den Interessengruppen gewünschtes Verhalten der Kernorgane entsprechend belohnt werden soll. Gleichzeitig muß beachtet werden, daß die Kernorgane Ressourcen in ineffiziente Aktivitäten investieren könnten, um ihre Verhandlungssituation ex post zu verbessern (vgl. Zingales 1998, s. 499).
2.2.2 Monitoring- und Kontrollaktivitäten
Grieger (1999, S. 24 f.) unterscheidet Monitoring- und Kontrollaktivitäten in interne Mechanismen direkter Einflußnahme der Interessengruppen, d. h. die Nutzung von Institutionen der Organisation und externen Mechanismen der Märkte für Kontrolle und Übernahmen, bei denen die disziplinierende Wirkung auf die Leitung der Organisation im Vordergrund steht. Diese Mechanismen werden im folgenden kurz erläutert.
2.2.2.1 Interne Mechanismen der Organisationskontrolle
Die internen Mechanismen (vgl. zum folgenden, S. Kräkel 1999, S. 284 ff.) sind durch die Einrichtung eines Kontrollorgans als Überwacher oder Supervisor gekennzeichnet, welches die Interessen der am Unternehmensgeschehen Beteiligten sicherstellen soll. Die Effizienz ist hierbei von der Unabhängigkeit, Größe und Zusammensetzung des Kontrollorganes abhängig (John/Senbet 1998, S. 373 ff.). Zusätzlich muß die Gefahr berücksichtigt werden, daß das Kontrollorgan seinen Überwachungspflichten nicht nachkommt oder eine Koalition mit der Unternehmensleitung zu Lasten der Auftraggeber eingeht. Die Probleme dieser mehrstufigen Prinzipal-Agenten-Beziehung können durch eine Beteiligung des Kontrollorgans am Residualvermögen verringert werden.
Daneben kann auch die Hauptversammlung bei Aktiengesellschaften oder weitere interne Einrichtungen wie z. B. der Betriebsrat disziplinierend auf das Management wirken. Es ist aber zu berücksichtigen, daß es auf Hauptversammlungen für den einzelnen Aktionär in der Regel nicht rational erscheint, seine Kontrollrechte wahrzunehmen.
2.2.2.2 Externe Mechanismen der Organisationskontrolle
Die Einflußnahme kann aber auch durch externe Mechanismen oder Disziplinierungsmaßnahmen erfolgen.
Corporate Govemance und Hochschulmanagement 129
Die oben angedeuteten Wirkungen der unsichtbaren Hand sind wesentliche Faktoren, die opportunistisches Verhalten verhindern- zumindest aber verringern können. Dabei sorgen die Wirkungen auf den Beschaffungs- und Absatzmärkten für eine Disziplinierung der Unternehmensleitung. Ineffiziente Managemententscheidungen senken Absatz, Gewinn, Marktanteile etc. und bedrohen damit die Existenz der Organisation. Eine solches Management wäre von dem Verlust des eigenen Arbeitsplatzes bedroht (Kräkel 1999, S. 298), so daß es hierbei zu einer Angleichung der Interessen zwischen den am Unternehmensgeschehen Beteiligten und dem Management kommt.
Darüber hinaus besteht für das Management jederzeit das Risiko, durch Fehlentscheidungen die eigene Reputation zu verringern. So werden beispielsweise die Chancen des Managements auf Neueinstellung bei einem anderen Arbeitgeber nach einem Konkurs rapide sinken. Holmström (1999) zeigt, daß möglicher Reputationsverlust von Managern auf dem Arbeitsmarkt in vielen Situationen diszipliniert. Natürlich wirkt eine Reputation nur dann als Disziplinierungsmechanismus, wenn eine große Zahl von Personen beobachten kann, daß sich das Management opportunistisch verhält (vgl. Richter/Furubotn 1996, S. 256).
Williamson (1990, S. 84) empfiehlt außerdem die Hilfe von Dritten in Form von Schiedsverfahren, um Leistungen zu beurteilen. Entsprechend ist eine Kontrolle bzw. Prüfung des Kernorgans der Organisation durch beauftragte externe Dritte denkbar. Eine solche Stellung besitzt im deutschen Recht beispielsweise der Wirtschaftsprüfer, der die Prüfung des Jahresabschlusses einer Aktiengesellschaft durchführen muß. Entscheidend ist hierbei die tatsächliche Unabhängigkeit einer solchen Person oder eines Gremiums (vgl. Kräkel 1999, S. 300 f.) Auch in diesem Zusammenhang müssen die multiplen Agenturbeziehungen Berücksichtigung finden.
Daneben wirkt die Gefahr des ,,hostile Takeover'' als Mechanismus der Organisationskontrolle. So werden aufgrund eines ineffizienten Managements unzufriedene Anteilseigner eher zum Verkauf ihrer Anteile bereit sein. Die hieraus resultierenden Kursverluste können zu feindlichen Übernahmen führen, die i. d. R. zu einem Austausch des ineffizienten Managements führen (vgl. Picot/Dietl/Franck 1997, S.197).
Die bisher genannten externen Mechanismen werden durch Schmidt (1997, S. 4) ergänzt, wonach "Peer Pressures", also die soziale Kontrolle unter Kollegen, aber auch Pflichten und Loyalität des Managements ebenfalls disziplinierend auf die Organisationsleitung einwirken. So stellt Fama (1980, S. 293) zur Kontrolle von Managern untereinander fest, daß " ... each manager has a stake in the performance of the managers above and below him and, as a consequence, undertakes some amount of monitaring in both directions." Im Extremfall können solche Kontrollen auch Nachfolgediskussionen auslösen. Diese Sanktionswirkung auf die Kernorgane ist um so realistischer, je besser der interne und externe Stellenmarkt funktioniert ( vgl. Picot/Dietl/Franck (1997, S. 197).
Zwischen den internen und externen Mechanismen zur Disziplinierung bestehen wechselseitige Beziehungen, so daß es teilweise zu einem Substitutionseffekt kommen kann. Dem gegenüber stehen jedoch die positiven Effekte, die sich durch
130 Wolfgang Weber und Jörg Habich
die Kontrolle der Kontrolleure ergeben. So dient die disziplinierende Wirkung durch die Gefahr der feindlichen Übernahmen nicht nur zur externe Kontrolle " ... over the CEO but also the board, and hence monitaring the monitor." (John/Sebert 1998, S. 394).
2.3 Erkenntnisse aus der Governance Diskussion
Die Corporate Governance Diskussion wird in zwei Hauptvarianten geführt. Der erste Ansatz wird mit dem Shareholder-Konzept in Verbindung gebracht und hebt stark auf die Beziehungen zwischen Eigenkapitalgebern und Unternehmensführung ab. Im Zentrum der Steuerungsdiskussion stehen hier Fragen der Eigenkapitalrendite bzw. finanzwirtschaftliche Aspekte.
Der zweite Ansatz wird mit dem Stakeholder-Konzeptverbunden und hebt auf die oft zahlreichen Interessengruppen und die Wahrnehmung deren Interessen bei den Führungsentscheidungen ab. Hier schält sich z. B. als gemeinsames Ziel bzw. als gemeinsamer Nenner der verschiedenen Interessen das Überleben bzw. das Wachstum der Organisation heraus. Lösungsansätze, die auf die Loyalitätssicherung abheben, zielen z. B. auf die Einrichtung eines Kontrollorgans, das die Interessen der am Organisationsgeschehen Beteiligten sichern soll. Wenn auf interne Mechanismen der Organisationskontrolle abgehoben wird, droht allerdings die Gefahr der Koalitionsbildung zwischen Kontrollinstanz und Management.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß aus ökonomischer Sicht Anreizstrukturen und Organisationale Kontrollmechanismen zu schaffen sind, die dazu führen, daß die Interessen der an der Organisation Beteiligten bestmöglich realisiert werden.
3 Anwendung auf Probleme des Hochschulmanagements
Die oben skizzierten Themenfelder bilden zentrale Probleme des Hochschulmanagements ab. Dem Thema Governance wird die Ausübung von Autorität, das Thema der Steuerung, Lenkung und Kontrolle zugeordnet. Es umfaßt die wechselseitigen Entscheidungs- und Kontrollrechte. Kernproblem ist der verbleibende Raum für Ermessensspielräume, die im Sinne unterschiedlicher Interessen genutzt werden können.
Daraus resultiert die Frage nach der Verteilung der Weisungs- und Kontrollrechte sowie nach den Möglichkeiten der Einflußnahme. Insofern deckt die Corporate Governance Diskussion Sachverhalte ab, die im Hochschulkontext von Bedeutung sind.
Eine solche Perspektive kann also grundsätzlich auch auf die Steuerung des umfassenden und komplexen Hochschulsystems eines Bundeslandes angewandt werden. Hier haben sich die überkommenen Ansätze einer stark reglementierenden Detailsteuerung durch Landesministerien als äußerst ineffizient erwiesen; die Länder trennen sich deshalb praktisch durchgängig von diesem Ansatz. Sie stellen die Finanzen für das Hochschulsystem bereit. Deshalb liegen Konzepte einer indirekten,
Corporate Governance und Hochschulmanagement 131
an finanzwirtschaftliehen Kriterien orientierten Steuerung nahe, ohne daß die Parallelen -etwa über angestrebte Renditen- überzogen werden dürfen.
Parallelen zwischen Landesregierungen, die finanzielle Mittel in verschiedenen Hochschulen in der Erwartung bestimmter Ergebnisse einsetzen und Holdings großer Kapitalgesellschaften erscheinen dennoch durchaus angemessen. Im Bereich des Hochschulmanagements müssen auftretende Agenturprobleme durch eine entsprechende Governance Struktur aufgefangen werden.
Dabei wird der Hochschulkontext von einer Vielzahl von Agenturbeziehungen im Bereich des Hochschulmanagements determiniert, welche die Komplexität bei der Diskussion von effizienten Governance Strukturen erhöht. Auf eine detaillierte Darstellung solcher möglichen Agenturbeziehungen soll an dieser Stelle verzichtet werden. Statt dessen wird im folgenden exemplarisch die Beziehung zwischen Landesregierungen vertreten durch die Ministerien bzw. der Ebene der Exekutiven auf der einen Seite und der Hochschule als Ganzes auf der anderen Seite erörtert.
Grundsätzlich ist für diesen Bereich zu berücksichtigen, daß die vollständige Schaffung von Finanzautonomie und Selbständigkeit für die Hochschulen die Moral-Hazard-Problematik gegenüber der Exekutiven erhöhen würde. Entsprechend müssen Governance Strukturen für Universitäten und Fachhochschulen notwendigerweise Anreizgestaltungen, Kontroll- oder Überwachungsmechanismen schaffen, die ein Handeln der Hochschulen im Sinne der Ziele für das Bildungssystem fördern, welche von der jeweiligen Landesregierung artikuliert und verfolgt werden.
Eine Anreizgestaltung für Universitäten und Fachhochschulen muß von der Exekutive befürwortetes Handeln für die Hochschule belohnen und unterstützen. Dabei sind die durch das Hochschulgesetz von Hessen (§ 92) vorgegebenen Rechenschaftspftichten und die an Leistungen und angestrebter Entwicklung der Hochschule gekoppelten Zuweisungen mögliche Ansätze zur Lösung dieser Problematik. Zur Schaffung effizienter Governance Strukturen ist es darüber hinaus möglich, Zielvereinbarungen zwischen Hochschulen und Ministerium zu treffen und monetäre Anreize hieran zu koppeln. Einen Ansatz bietet die Novelle des Hochschulgesetzes NRW (§ 9), wonach solche Zielvereinbarungen zwischen Hochschulen und Exekutive geschlossen werden können. Laut Müller-Böling (1995, S. 4) ist gerade dieses Instrumentarium besonders geeignet zur Koordination in und für Hochschulen, da es die Selbständigkeit der dezentralen Einheiten, Rechenschaftspflicht und Kontrolle über erbrachte Leistungen berücksichtigt.
In diesem Kontext ist auch die Idee der Einrichtung eines Hochschulrates als Lenkungs- und Kontrollgremium einzuordnen wie es im Bayrischen Hochschulgesetz realisiert ist. Die Novelle des Hochschulgesetzes NRW (§ 24) sieht ebenfalls einen Hochschulrat vor, der allerdings als Beratungsgremium konzipiert ist. Der Hochschulrat soll danach u. a.
- das Rektorat und den Senat beraten - bei Bedarf Empfehlungen zu Berichten von Organen, Gremien und Funktions-
tragenden aussprechen
132 Wolfgang Weber und Jörg Habich
Eine effiziente Ausgestaltung der Governance Strukturen sollte dafür Sorge tragen, daß dieses Gremium seinen Kontroll- und Überwachungsaufgaben nachkommt. Es muß mehrstufige Prinzipal-Agenten-Beziehungen berücksichtigen. Die Forderung, daß dem Hochschulrat insbesondere Persönlichkeiten aus der Berufspraxis und dem öffentlichen Leben angehören sollten, wäre dann zweckmäßigerweise um eine Beteiligung am - wie auch immer von der Landesregierung definierten -Residualgewinn der Hochschulen zu ergänzen. Denkbar wäre eine Besetzung dieses Gremiums auch mit prominenten Vertretern von Firmen der Region, die von der Reputation der Hochschule profitieren und in diesem Sinne ihre Kontrollfunktion wahrnehmen würden.
Auch externe Mechanismen können auf Universitäten und Fachhochschulen einwirken, um Handeln im Sinne von Zielen für das Bildungssystem zu fördern, sofern entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen worden sind. Eine disziplinierende Wirkung der unsichtbaren Hand auf das Hochschulmanagement wird einsetzen, sobald Hochschulen auf unterschiedlichen Märkten konkurrierend tätig werden. Zu erwähnen ist beispielsweise der Wettbewerb der einzelnen Hochschulen um herausragende Wissenschaftler, Sponsoren, Landesmittel, Unternehmenskontakte oder Studierende. Studierende werden sich in der Regel für die Hochschule entscheiden und einschreiben, bei der sie die bestmögliche Ausbildung erwarten. Diese ist an die Ausstattung der Hochschule mit finanziellen Mitteln und damit der Möglichkeit zur Gewinnung exzellenter Wissenschaftler gekoppelt. Neben einer freien Wahl des Studienplatzes und der damit verbundenen Auflösung der Zentralen Vergabestelle für Studienplätze sind im Rahmen eines solchen Szenarios beispielsweise verstärkte Investitionen in Werbung von Seiten der Universitäten und Fachhochschulen notwendig. Selbstverständlicher Bestandteil des hier skizzierten Steuerungskonzeptes ist, daß die Lehr- und Forschungseinrichtungen, autonome Entscheidungen über Studienangebote, Forschungsschwerpunkte und Weiterbildungsangebote etc. treffen. Die Strukturen und die damit verbundenen Anreizsysteme sorgen allerdings dafür, daß diese Entscheidungen im Sinne der bildungs- und wissenschaftspolitischen Ziele des Landes erfolgen.
Mit dieser - sehr vereinfachend - skizzierten Wirkungskette hängt die Wirkung der Reputation einer Hochschule zusammen. So werden " .. die beruflichen Chancen und mit ihnen die Gehaltsperspektiven von Berufseinsteigern mit dem Abschluß einer Hochschulausbildung und der Reputation der Einrichtung steigen, an der ein solcher Abschluß erworben wurde ... " (Franck/Opitz 1999, S. 11). Dieser Argumentation folgend werden Studierende Hochschulen mit guter Reputation durch z. B. gute Wissenschaftler und Ausstattung präferieren. Auch die Position in den Leitungsgremien Rektorat oder Präsidium müssen attraktiv ausgestaltet sein. Denkbar ist dabei die Schaffung von Karrieren als Rektor oder Präsident, die den Wechsel zu anderen Hochschulen ermöglicht (Müller-Böling 1995, S. 12). Gleichzeitig ist die Möglichkeit einer Abwahl des Leitungsgremiums sinnvoll, damit opportunistisches Verhalten sanktioniert werden kann.
Eine wichtige Kontrollwirkung kann über die Studierenden verankert werden. Studierende verfügen hinsichtlich der Qualität der Lehre an ihrer Hochschule als
Corporate Governance und Hochschulmanagement 133
Betroffene über eine besonders gute Informationsausstattung und können daher in besonderem Maße kontrollierend wirken. Ihre Kontrollrechte werden sie effizient ausüben, wenn z. B. durch die Zahlung von Studiengebühren die persönlichen Interessen nachhaltig berührt werden.
Weiterhin ist auf die Möglichkeiten externer Mechanismen der Organisationskontrolle auf die Inanspruchnahme von Dritten hinzuweisen, die in vielfältiger Weise in der aktuellen Hochschuldiskussion bereits angesprochen werden. Es ist z. B. eine Übertragung der Erkenntnisse aus Neuseeland denkbar. Das Academic Audit, eine fünf- bis sechsköpfige externe Gutachtergruppe aus anerkannten Akademikern, Wirtschaftsvertretern und eines Maori-Vertreters führt intensive Gespräche in erheblichem Umfang- oft 200 bis 300 Gespräche- mit Entscheidungsträgern auf allen Ebenen an neuseeländischen Hochschulen. Ergebnisse und Empfehlungen werden der Hochschule zur Verfügung gestellt (Küchler/Müller-Böling/Ziegele 1998, S. 9 f.). Dem entsprechend wäre also auch eine Gutachter- oder Expertengruppe für deutsche Hochschulen denkbar. Neben einer solchen Expertenkommission ist auch die Prüfung der Hochschulfinanzen durch Wirtschaftsprüfer eine weitere mögliche Form der externen Organisationskontrolle, die sich an den Ansatz der Landesrechnungshöfe zwar anlehnt, von dem engen fiskalischen Ansatz jedoch löst.
Mit dem oben skizzierten Konzept sind aber auch Gefahren verbunden: Eine vollständige Wirkung des Marktes könnte zu einer auftragsgeleiteten Lehre oder Forschung führen, da Hochschulen möglicherweise primär in Bereichen tätig würden, die ausschließlich kurzfristigen Erfolg generieren. Um beispielsweise Forschung in nicht kurzfristig erfolggenerierenden Disziplinen sicherzustellen, muß der Staat gegebenenfalls als Nachfrager in diesen Bereichen auftreten. Dadurch werden Social Benefits, die den zukünftigen Generationen zufließen, durch den Staat kompensiert (Poensgen 1981, S. 4 ).
Diese kurzen Ausführungen verdeutlichen bereits verschiedene Möglichkeiten von Anreizgestaltung und internen und externen Monitoring- und Kontrollaktivitäten einer neuen Ausgestaltung von Governance Strukturen für Hochschulen. Gleichzeitig müssen dabei die Wirkungen der neu geschaffenen Rahmenbedingungen berücksichtigt werden.
4 Schlußfolgerungen
Die Corporate Governance Diskussion liefert ohne Zweifel Hinweise und Anregungen für die Gestaltung des Hochschulmanagements. Es zeigt sich daß die Corporate Governance Diskussion an Aussage- und Gestaltungskraft gewinnt, wenn organisationstheoretische Zusammenhänge in die Überlegungen einbezogen werden. Für die Diskussion über die Ausgestaltung der institutionellen Rahmenbedingungen für Hochschulen können die hier skizzierten ökonomischen Gedanken nur eine Grundlage oder Anregung für die systematische wissenschaftliche Aufarbeitung und für gestaltungsbezogene Schlußfolgerungen in diesem Bereich bieten.
Es liegt nahe, die Strukturen und Anreizsysteme innerhalb der Hochschulen in gleicher Weise zu gestalten, wie es für das Verhältnis Land-Hochschule diskutiert
134 Wolfgang Weber und Jörg Habich
wurde. Die Ergebnisse und Ansätze der Corporate Governance Diskussion liefern auch hier Einsichten, die zu einer Verbesserung der Management-Strukturen führen.
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Bewertung der Management-Leistung von Rundfunkanstalten Eine empirische Untersuchung
Friedrich A. Stein
1 Ausgangslage und Problemskizze
Kaum ein anderer Bereich der deutschen Wirtschaft erfuhr in den letzten Jahren eine so rasch voranschreitende und innovative Entwicklung wie der Mediensektor. 1 Auf der internationalen Ebene trat mit der Einführung des Internets eine Globalisierung der Information ein, die bis zu dem Zeitpunkt noch nicht gekannte Möglichkeiten des Informationszugriffs und der Informationsverbreitung eröffnet. 2 In der Nutzung und im Hinblick auf die Auswirkungen dieses neuen Mediums auf die traditionelle Informationsstruktur stehen wir erst am Anfang. Internet und die Möglichkeiten der digitalen Technik3 werden künftig erheblichen Einfluß auch auf die Entwicklung des Rundfunkmarktes haben.
Die universitäre Betriebswirtschaftslehre nimmt den zentralen Zukunftsbereich Medien erst in jüngster Zeit verstärkt auf.4 Dabei spielt die Übertragung der Erkenntnisse aus dem Bereich des Managements eine besondere Rolle.5
Die vorliegende empirische Untersuchung versteht sich als Beitrag zu einer betriebswirtschaftliehen Vertiefungsrichtung Medienmanagement Dabei betrachtet Medienmanagement den Gestaltungsrahmen des dispositiven Faktors in Medienunternehmen aus einzelwirtschaftlicher Perspektive.
1.1 Private und ötTentlich-rechtliche Rundfunkanbieter
Das weite Spektrum des Managements von Medienunternehmen erstreckt sich über eine breite Palette von gegenstandsverschiedenen und unterschiedlich organisierten betriebswirtschaftliehen Einheiten. So verfolgen die Betriebe aus dem Bereich
1 V gl. Medienbericht (1998). Bericht der Bundesregierung über die Lage der Medien in der Bundesrepublik Deutschland. Dazu auch: ARD (1999), Zweites Deutsches Fernsehen (1999a).
2 Vgl. Pospischil (1999), S. 267-285. 3 Vgl. ClemenUBecker (1999), S. 1169-1190; Kleinsteuber (1996), S. 97 ff. 4 V gl. Schusser ( 1998), S. 591-602; vgl. dazu die Anmerkungen von Hess/Schumann ( 1999),
S. 845 f. sowie Becker/Geisler (1999), S. 846-849; Witte (1997), S. 419-436. Bronner (1996) legt eine empirische Studie über die Leistungsfähigkeit moderner Kommunikationstechnik zur Bewältigung komplexer Management-Aufgaben vor.
5 Vgl. Middelhoff (1997), S. 411-422. Zum Management von Rundfunkunternehmen vgl. insbesondere Sieben/Schwertzel (1997). Variablen und Variablenstruktur eines empirischen Forschungsprogramms öffentlicher (Medien-)Unternehmen stellt Stein (1999) vor.
Bewertung der Management-Leistung von Rundfunkanstalten 137
der Printmedien6 in erster Linie privatwirtschaftliche Ziele, wohingegen der Rundfunksektor7 in den Ausprägungen Hörfunk und Fernsehen sowohl private als auch öffentliche Unternehmen mit entsprechend unterschiedlichen Zielsetzungen umfaßt.
Solange der Rundfunk in der Bundesrepublik Deutschland rein öffentlich organisiert war, standen wirtschaftliche Aspekte eher weniger im Zentrum der medienpolitischen Diskussion. Nach der Einführung des dualen Rundfunksystems in den Achtziger Jahren und mit der Zulassung privater Rundfunkunternehmen nahm das Interesse am Wirtschaftsgut Rundfunk zu.8 In Anbetracht des steigenden Wettbewerbsdrucks gewinnen moderne betriebswirtschaftliche Managementinstrumente wie Marketing oder Controlling für die Gesamtheit der Rundfunkanbieter an Bedeutung.9
Im Rahmen der dualen Rundfunkordnung überantwortet die Gesetzgebung den öffentlichen Anstalten die Grundversorgung der Bevölkerung mit rundfunkspezifischen Leistungen. So heißt es im Gesetz ,,Rundfunkanstalten haben die Grundlast zu tragen, indem sie für die Gesamtheit der Bevölkerung auf Dauer ein Informations-, Bildungs- und Unterhaltungsprogramm anbieten, das freie Meinungsbildung über lokale, regionale, nationale und internationale Ereignisse sicherstellt, allgemein bildet und allgemein akzeptiert wird." 10 Insofern ergeben sich für die Bewertung der Management-Leistung öffentlicher Rundfunkanbieter besondere Rahmenbedingungen.II
Zu der Anhindung öffentlicher RundfunkanbieteT an einen öffentlichen Auftrag kommen noch weitere Unterscheidungsmerkmale zu privaten Rundfunkunternehmen hinzu. Diese beziehen sich z. B. auf die Finanzierungsweise. Während sich die privaten (bis auf pay-tv und pay-radio) über Werbeeinnahmen finanzieren 12 , erzielen die öffentlichen Anbieter ihre Einkünfte weit überwiegend aus dem Rundfunkgebührenaufkommen.
1.2 Bewertungsprobleme der Management-Leistung
Will man nun den Erfolg der Managementbemühungen von Rundfunkanbietern bewerten, bedarf es bestimmter Kriterien, die insbesondere auch einen sachgerechten Vergleich von privaten und öffentlichen Veranstaltern ermöglichen sollen. 13 Für den privaten Bereich läßt sich dies aufgrund der erwerbswirtschaftlichen Ausrichtung
6 Vgl. Heinrich (1994). 7 Vgl. Seidel/Libertus (1993) 8 Vgl. Seidel/Libertus (1993), S. 1-15. 9 Zu Nutzung moderner Managementmethoden im Rundfunkbereich aus Sicht der Praxis
vgl. Voß (1998). Zum Controlling von Rundfunkanstalten vgl. Kayser (1993). 10 Eichhorn (1992), S. 595. 11 V gl. dazu auch Stein (2000a). 12 Zu den Zielsetzungen privater Rundfunkanbieter vgl. Groth (1996). 13 Zu den wirtschaftlichen, verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen
des Wettbewerbs zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunkanbietern vgl. Giehl (1993).
138 Friedrich A. Stein
der Betriebe anband von Kennzahlen wie Gewinn und/oder Rentabilität vergleichsweise exakt durchführen. Für öffentliche Rundfunkunternehmen stellt sich infolge der dargelegten Besonderheiten die Aufgabe der Entwicklung eines speziellen Systems von Beurteilungsgrößen.14
Bevor ein solches System von Bewertungsgrößen zunächst idealtypisch erarbeitet werden kann, ist der Begriff der Management-Leistung inhaltlich zu bestimmen.
Als Management soll hier die zielorientierte Steuerung von Institutionen verstanden werden. Der Begriff umfaßt drei Bedeutungsvarianten:
- die Beschreibung der Prozesse und Funktionen in arbeitsteiligen Organisationen, bezeichnet als Management im funktionellen Sinn,
- die Beschreibung der Stellen, die Managementaufgaben wahrnehmen, mit Management im institutionellen Sinn benannt sowie
- die Beschreibung der Inhaber von Managementpositionen bezeichnet als Management im personellen Sinn.
Leistung wird in dem Zusammenhang als eine Handlungsweise, welche zu einem als Ziel beabsichtigten Ergebnis führt, betrachtet.
Im Hinblick auf die Bewertung der Management-Leistung öffentlicher Rundfunkanbieter bedarf es also eines Systems von Bestimmungsgrößen, welches neben den üblichen erwerbswirtschaftlichen auch weitere, den Grundversorgungsauftrag kennzeichnende Indikatoren umfaßt.
2 Bewertungskriterien zur Management-Leistung von Rundfunkanstalten
Im folgenden soll über die Ergebnisse einer eigenen empirischen Untersuchung zur Bewertung der Management-Leistung von Rundfunkanstalten berichtet werden. 15
Dazu mußte zunächst das empirische Feld der Rundfunkanstalten mit Hilfe eines Systems von Leistungsgrößen öffentlicher Unternehmen strukturiert werden.
Um geeignete Leistungsindikatoren generieren zu können, sind die Rahmenbedingungen öffentlicher Unternehmen zu beachten, die sich in der konkreten Ausgestaltung bei den Rundfunkanstalten aus Abbildung 1 ergeben:
Es handelt sich allgemein um das Zielkontextmodell öffentlicher Unternehmen16, welches ich im folgenden kurz skizzieren möchte:
Im Falle öffentlicher Unternehmen formuliert die Trägerkörperschaft unter Beachtung öffentlicher Interessen, öffentlicher Ziele und öffentlicher Aufgaben durch
14 Bei der Bestimmung der Management-Leistung eines Rundfunkunternehmens spielt der Programmerfolg eine wichtige Rolle. Die unterschiedliche Betrachtungsweise von Programmerfolg im kommerziellen Fernsehen und Programmerfolg im öffentlich-rechtlichen Fernsehen problematisiert Stolte (1992), S. 200 ff.
15 Die Forschungsresultate sind Bestandteil einer Realtypologie der Management-Leistung öffentlicher Unternehmen, vgl. Stein (1998).
16 Vgl. Eichhorn (1985), S. 177-179 sowie Stein (1998), S. 55 ff.
Bewertung der Management-Leistung von Rundfunkanstalten 139
Öffentliche Interessen Demokratie, Sozialstaatsziele, Meinungsbildung, Kulturziele
I Öffentliche Ziele Bildung, Infonnation,
Unterhaltung
I Öffentliche Aufgaben
Reichweiten, technische Versorgung
I Öffentlicher Auftrag
Quantitative Prograrrunleistung
I Unternehmensziele
·> LeistungsersteJlung -> Leistungsabgabe -> Beschaffung
Abbildung 1: Zielkontext öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten
den öffentlichen Auftrag die Rahmenbedingungen für die Unternehmensziele. Dieser Gesamtzusammenhang bildet den Zielkontext öffentlicher Unternehmen. Die inhaltliche Bestimmung der Unternehmensziele erfolgt dann durch das Management.
In Bezug auf den Zielkontext von Rundfunkanstalten ergibt sich das gezeigte Bild: Zu den Grundfesten des demokratischen Gemeinwesens zählen die freie Meinungsbildung, das Sozialstaatsprinzip und die kulturellen Werte. Aus diesen öffentlichen Interessen resultieren mit Bildung, Information und Unterhaltung öffentliche Ziele, die mit den Mitteln des Rundfunks erreicht werden sollen und den eigentlichen Programmauftrag darstellen. Die öffentliche Aufgabe besteht nun darin, im Rahmen verschiedener Sende-Reichweiten und unter Nutzung unterschiedlicher technischer Verteileinrichtungen möglichst viele Bürger zu erreichen. Der öffentliche Auftrag umfaßt dann die quantitative Programmleistung, durch die ein konkretes Programmangebot entsteht. Letztlich kommen in den Unternehmenszielen die
betrieblichen Bereiche Beschaffung, Leistungserstellung und Leistungsabgabe zum
Ausdruck.
Um eine wirksame Unternehmenssteuerung vornehmen zu können, bedarf es
geeigneter Zielmaßstäbe. Daher ist es wichtig, die Besonderheiten der Zielstrukur öffentlicher Unternehmen zu kennen, um geeignete Merkmale zur Abbildung der
Zielinhalte finden zu können. Diese bilden die Basis zur Kontrolle der Zielerreichung.
140 Friedrich A. Stein
Privarwirtscllll[tlicllt! Unternehmen
Dominanz der Erwerbsorientienang
F.ft'izienz als Handlungsslralegie
Offentliehe Unlemehmcn
Dominanz der lledarl'sorieatieruq
Elfekllrität als Handluqsstrategie
Aufgabenorfüllu"'Sprozess
Zielumsetzung
Management-Leistung
Handlungsergebnis
Abbildung 2: Effizienz und Effektivität als Handlungsstrategien der Management-Leistung
Würdigt man die Gesamtheit der Bestandteile des Zielkontextes, so kann konstatiert werden, daß diese Zielkonstellation zu einer komplexen Entscheidungssituation für das Management der öffentlichen RundfunkanbieteT führt. In der Managementpraxis hat dies nicht selten zur Folge, daß die aus den öffentlichen Interessen abgeleiteten qualitativen Elemente nicht immer gleich stark unter den Gesichtspunkten der Wirtschaftlichkeit quantifizierbar sind. Die dadurch entstehende Schwierigkeit der Erfolgsmessung kompliziert insbesondere den Vergleich mit privatwirtschaftlich organisierten Anbietern. Außerdem kann nicht immer eindeutig geklärt werden, ob mögliche Defizite öffentlicher Rundfunkunternehmen als angemessener Preis für die öffentliche Zweckwidmung oder - zumindest teilweise - als Ergebnis von Mißerfolgen des Managements anzusehen ist.
2.1 Handlungsstrategien der Management-Leistung
Im Hinblick auf eine realitätsnahe Bestimmung der Management-Leistung öffentlicher Rundfunkunternehmen bedarf es daher einer differenzierten Betrachtung des Aufgabenerfüllungsprozesses.
Privatwirtschaftliche und öffentliche Unternehmen verbindet das gemeinsame Bemühen um die Bedürfnisbefriedigung der Wirtschaftssubjekte. Um diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu erfüllen, sieht das marktwirtschaftliche System unterschiedliche Anreize vor. Idealtypisch betrachtet wird den privaten Unternehmen der Anreiz Gewinnmaximierung gegeben. Öffentliche Unternehmen wie Rundfunkanstalten dienen dagegen in erster Linie der Deckung solcher Bedarfe, die, insbesondere mangels Gewinnperspektive, privatwirtschaftlich ungedeckt bleiben würden. In diesem Sinne könnten solche Bedarfe als Residualbedarfe bezeichnet werden,
Bewertung der Management-Leistung von Rundfunkanstalten 141
die den privaten Unternehmen von den öffentlichen Unternehmen ,,abgenommen" werden. Auf diese Weise schaffen oder erhalten öffentliche Unternehmen marktwirtschaftliche Handlungsfelder.
Generelles Bestreben des Managements privater und öffentlicher Unternehmen ist die wirtschaftliche Gestaltung des Aufgabenerfüllungsprozesses. Die Intensität realisierbarer Wirtschaftlichkeit hängt maßgeblich vom Grad der Erwerbsorientierung ab. Bei öffentlichen Rundfunkunternehmen wird der Handlungsrahmenfür die
erwerbswirtschaftliche Betätigung durch die Bedarfs- bzw. Sachzielorientierung be
grenzt.11 Somit reicht Effizienz im Sinne von Wirtschaftlichkeit als alleiniger Beurteilungsmaßstab für die Management-Leistung nicht aus.
Die Erfassung der organisationalen Leistung ist unabhängig davon, ob es sich um eine private oder öffentliche Organisation handelt. Allgemein zeigt sich der Erfolg der Organisation im Zielerreichungsgrad und am zieladäquaten Mitteleinsatz. In der betriebswirtschaftliehen Literatur ist der Gebrauch der Termini Effizienz18
und Effektivität19 recht uneinheitlich. Während der BegriffEffizienz überwiegt und oft im Sinne von Leistungsfähigkeit, Wirtschaftlichkeit und Produktivität verwen-
17 So treffen Witte/Hauschildt (1966), S. 81-ll2 in Bezug auf die Zielkomponenten öffentlicher Unternehmen die Unterscheidung zwischen Sachzielen (Leistungskonzeption) und
Formalzielen (Gewinnkonzeption). Dabei besteht die Leistungskonzeption aus Leistungs
merkmalen wie Leistungsqualität und Leistungspreis sowie aus dem Leistungsprozeß, der die Kombination der Produktionsfaktoren sowie Verfahren zur Faktorbeschaffung und -
bereitstellung umfaßt. In Bezug auf die Gewinnkonzeption unterscheiden die Autoren zwi
schen Gewinnerzielung mit den Merkmalen Gewinnhöhe, Gewinnperiode, Gewinnrelation
und Gewinnbereich sowie Gewinnverwendung mit den Bestimmungsgrößen Gewinnthe
saurierung und Gewinnausschüttung. Die Differenzierung von erwerbswirtschaftlicher und
bedarfswirtschaftlicher Handlungsorientierung öffentlicher Unternehmen geht auf Thie
meyer (1975), S. 30-32 zurück. 18 Ausgewählte Nominaldefinitionen von Effizienz: Effizienz "als eine relative Größe, die ein
Ergebnis zu dem Aufwand, der zur Hervorbringung des Ergebnisses getätigt wurde, in Beziehung setzt." Joost (1975), S. 10. "Unter Effizienz wird allgemein der Grad an Zielerreichung verstanden." Gzuk (1977), S. 40. ,,Effizienz dient zur Erfassung von Input-OutputRelationen und kann beispielsweise mit Hilfe rein ökonomischer Kennziffern wie Pro
duktivität oder Wirtschaftlichkeit gemessen werden. Effizienz bezieht sich nur auf einen bestimmten Aspekt der Effektivität." Budäus/Dobler (1977), S. 62. "Effizienz [ist] ein umfassendes, durch ein relationales Moment gekennzeichnetes Prädikat, mit dem in organisa
torischer Hinsicht Gestaltungsprozesse oder deren Ergebnisse in abstufbaren Merkmalen
qualifiziert werden können." Welge/Fessmann (1980), Sp. 577. 19 Ausgewählte Nominaldefinitionen von Effektivität: Effektivität "als die Erreichung eines
Ergebnisses per se, welches der Erfüllung eines Ziels dient. Ist das Ziel so formuliert,
daß nur die vollständige Erfüllung als Ergebnis anerkannt werden kann (z. B. Sicherung
der Liquidität einer Unternehmung), so gibt es nur zwei Ausprägungen der Effektivität:
vorhanden oder nicht vorhanden. Wennjedoch ein Mehr von Ergebnis einem Weniger vor
zuziehen ist, unabhängig davon, ob das postulierte Ziel erreicht wurde, dann stellt sich
die Effektivität als eine kontinuierliche absolute Größe dar." Joost (1975), S. 10. Effek
tivität dient "zur Kennzeichnung der Erreichung langfristiger Ziele einer Organisation."
Budäus/Dobler (1977), S. 62. Unter Effektivität wird " ... ein Maß für die Zielerreichung
142 Friedrich A. Stein
det wird, steht Effektivität gemeinhin für das Ausmaß der Zielerreichung. Bisweilen wird der Bezeichnungsunterschied auf die griffige Formel gebracht: Effizienz bedeutet "doing things right'' und Effektivität "doing the right things" .20
Im Hinblick auf die Bewertung der Management-Leistung von Rundfunkanstalten erweist sich eine Zweiteilung als sinnvoll:
- Effizienz (efficiency) als Maßgröße für Wirtschaftlichkeit (Output/InputRelation) und
- Effektivität (effectiveness) als Bestimmungsgröße für Zielerreichung (Output).
Effizienz als Handlungsstrategie der Erwerbsorientierung spielt bei öffentlichen Rundfunkunternehmen eine wichtige Rolle, wenn auch effizientes Handeln im Vergleich zur privaten Wirtschaft nicht immer gleich stark umsetzbar ist.21 Ein Grund hierfür kann die bereits aufgezeigte Sachzielorientierung sein. Gleichwohl deutet die oftmals vom Gesetzgeber etwa in den Rundfunkgesetzen der Länder ausdrücklich geforderte "wirtschaftliche Erfüllung des öffentlichen Auftrages" auf den gewollt hohen Stellenwert effizienter Aufgabenerfüllung hin.22 Effizientes Handeln des Managements öffentlicher Rundfunkunternehmen fließt als wesentlicher Bestandteil in die Management-Leistung ein.
Weiterer unabdingbarer Bestandteil einer realitätsnahen Leistungsbeschreibung ist die Effektivität als Handlungsstrategie der Bedarfsorientierung.
Effektivität von Rundfunkanstalten besteht in der Fähigkeit, öffentliche Aufträge und Anforderungen vielfältiger externer und interner Interessenten ausgewogen zu erfüllen. Folglich ist Effektivität die umfassende Handlungsstrategie zur Leistungserzielung, welche die Rahmenbedingungen für effizientes Handeln determiniert.23
Nachdem mit Effzienz und Effektivität die zwei grundlegenden Handlungsstrategien dargelegt wurden, läßt sich im Hinblick auf die Generierung geeigneter Leistungsgrößen zur Bewertung der Management-Leistung öffentlicher Rundfunkanbieter folgendes feststellen:
Zielerreichung ist die dominierende Größe. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, relevante Managementziele zu identifizieren, die im Rahmen einer erwerbs-
ohne Berücksichtigung der Kosten des Mitteleinsatzes zur Verwirklichung dieser Zielsetzung verstanden." Henke (1978), S. 601.
20 Vgl. Scholz (1992), Sp. 533. 21 Vgl. in dem Zusammenhang beispielsweise die "Maßnahmen zur Effektivitätssteigerung
und Aufwandsminderung im ZDF', Zweites Deutsches Fernsehen (1993) und (1994). 22 Vgl. Diederich (1989), Sp. 1862-1865. 23 So sieht die Ausgestaltung des Funktionsauftrages des Zweiten Deutschen Fernsehens im
einzelnen mit Informationsauftrag, Orientierungsfunktion und Forumsfunktion den Auftrag zur freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung vor, der Integrationsauftrag beinhaltet die föderale, europäische und internationale sowie gesellschaftliche Integration. Überdies wird noch die Leitbild/unktion, der Kulturauftrag und der Produktionsauftrag sowie die Innovationsfunktion zur Ausgestaltung des Funktionsauftrages gerechnet. Vgl. hierzu: Zweites Deutsches Fernsehen (1999b), insbesondere S. 36-44.
Bewertung der Management-Leistung von Rundfunkanstalten 143
wirtschaftlichen und/oder einer bedarfswirtschaftlichen Betätigung Bedeutung haben.
Die aufgezeigten Besonderheiten des Erkenntnisgegenstandes machen eine Differenzierung der Zielkriterien nach allgemein und speziell notwendig. Auf der speziellen Betrachtungsebene treten bedarfswirtschaftliche Aspekte in den Vordergrund. Somit sind spezifische Merkmale nach deren Effektivität zu beurteilen, während die allgemeinen Einflußgrößen je nach Ausprägung effiziente oder effektive Zielerreichung zulassen.
Die Management-Leistung kennt eine personelle und eine prozessuale Ebene. Leistungswirksam sind sowohl bestimmte personengebundene Einflußgrößen als auch von der Person unabhängige Merkmale der Aufgabenerfüllung (Prozeßindikatoren).
2.2 Idealtypologie der Management-Leistung
Auf dem Wege zur Messung der Management-Leistung öffentlicher Rundfunkunternehmen bedarf es zunächst eines idealtypischen Strukturkonzeptes als Basis für die externe Validierung. Diese empirisch wahrnehmbaren Einzelsachverhalte werden als Leistungsindikatoren bezeichnet.24 Zusammenfassend läßt sich die Entwicklung eines mehrdimensionalen Modells von Leistungsindikatoren als Überführung eines begrifflichen Konstruktes in dessen empirische Meßbarkeit darstellen.
Eine Zusammenstellung von a-priori-Merkmalen zu einem analytischen Zusammenhang bezeichnet man dabei als ldealtypologie. Wird dieses idealtypische Strukturkonzept einer Einschätzung im empirischen Feld unterzogen -wie hier durch eine Expertenbefragung geschehen- spricht man im Anschluß daran von einer Realtypologie.25
Mit den nachfolgend zu besprechenden allgemeinen und speziellen Leistungsindikatoren werden empirisch meßbare Bestimmungsgrößen generiert.
Die Eigenart des Untersuchungsgegenstandes öffentliche Rundfunkunternehmen besteht wie bereits ausgeführt in der Anhindung an einen öffentlichen Auftrag. Um die Management-Leistung vergleichbar mit anderen, z. B. privaten Anbietern einschätzen zu können, sollen die relevanten Beschreibungsmerkmale einen mittleren bis hohen Abstraktionsgrad aufweisen. Darüber hinaus sind spezielle Merkmale, die sich im besonderen auf die Operationalisierung des öffentlichen Auftrages beziehen, entsprechend zu berücksichtigen. Daher werden zwei Gruppen von Leistungsindikatoren unterschieden:
- allgemeine Leistungsindikatoren, von denen vermutet wird, daß sie für private und öffentliche Betriebe Gültigkeit beanspruchen können sowie
- spezielle Leistungsindikatoren, die im wesentlichen die spezifischen Ausprägungen der Bedarfsorientierung öffentlicher Rundfunkveranstalter widerspiegeln sollen.
24 Zur Eignung von Indikatoren zur Leistungsmessung vgl. Bronner (1994). 2S Vgl. dazu auch Stein (1999), S. 123 f.
144 Friedrich A. Stein
2.3 Idealtypologie der allgemeinen Leistungsindikatoren
Zunächst sind die allgemeinen Indikatoren zu generieren. Zur Strukturierung des Merkmalsraums erfolgt eine idealtypische Konstrukt-Dimensionierung in generelle, ökonomische, prozessuale und personelle Indikatoren. Der Merkmalsraum besteht aus Kenngrößen, von denen literaturgestützt angenommen werden kann, daß sie der zielorientierten Steuerung von Institutionen dienen. Während die generellen Bestimmungsgrößen die Stellung öffentlicher Unternehmen in der Marktwirtschaft beschreiben sollen, stellen die ökonomischen Indikatoren auf allgemein anerkannte metrische Erfolgsgrößen ab. Mit den prozessualen Indikatoren stehen Aspekte der qualitativen Zielsteuerung auf institutioneller Ebene und mit personellen Kenngrößen Aspekte der qualitativen Zielsteuerung auf individueller Ebene im Mittelpunkt des Interesses. Damit beschreiben die beiden letztgenannten Dimensionen gemeinsam die interne Systemleistung. Es handelt sich um einen multivariablen Merkmalszusammenhang, in dem als Kriterien nicht nur Endzustände und Ergebnisse definiert werden, sondern auch Kritierien, die sich auf die Dynamik, das Verhalten und die Offenheit von Organisationen beziehen.
Im folgenden sollen die analytischen Dimensionen der allgemeinen Leistungsindikatoren kurz vorgestellt werden.26
Mit den generellen Indikatoren soll die grundsätzliche Bedeutung staatlicher Unternehmenstätigkeit in der Marktwirtschaft zum Ausdruck kommen. Eine solche Funktionsbeschreibung umgrenzt alle internen und externen Transaktionen öffentlicher Unternehmen und zwar unabhängig vom jeweiligen Betriebstyp.
Bei den ökonomischen Indikatoren handelt es sich um allgemein anerkannte monetäre Erfolgsgrößen, die unmittelbar oder zumindest ohne größere Schwierigkeiten metrisch erfaßbar sind und sich daher besonders für Vergleichszwecke eignen. Außerdem verbinden Manager privatwirtschaftlicher und öffentlicher Unternehmen gemeinhin die Maximierung ökonomischer Größen mit persönlichen Karrierezielen. Bevorzugt werden Leitbilder, die auf vermeintlich problemlose quantitative, insbesondere monetäre, Erfolgsmaßstäbe hinauslaufen. So wird Erfolg abgelesen vom Gewinn und vom persönlichen Einkommen oder von der Wertschöpfung des Unternehmens.
Mit den prozessualen Indikatoren wird auf die interne Systemleistung abgehoben. Das Management steuert das System Unternehmung mit Hilfe eines Sets qualitativer Prozeßvariablen. Charakteristika derartiger Variablen sind neben der institutionellen Ausrichtung der relevanten Sachverhalte, ihre Wirksamkeit im Zeitablauf und ihre aufgrund qualitativer Ausprägung prinzipiell nur indirekte Meßbarkeit. Hierzu wurden nach verschiedenen Ordnungsgesichtspunkten noch Subkategorien gebildet.
Als personelle Indikatoren firmieren allgemeine Leistungsmerkmale, die den einzelnen Organisationsteilnehmer betreffen.27 Auch hier wurden Subkategorien gebildet.
26 Die ausführliche Begründung und Operationalisierung der Einzelmerkmale findet sich bei Stein (1998), S. 98-121.
27 Vgl. Bronner/Matiaske/Stein (1991).
Bewertung der Management-Leistung von Rundfunkanstalten 145
Generelle Indikatoren
- Infrastruktur
Ökonomische Indikatoren
-Umsatz - Umweltverhältnisse - Gewinn - Wohlfahrtsbeitrag - Produktivität
- Wirtschaftlichkeit - Kostendeckung
Prozessuale Indikatoren
Personelle Indikatoren
Zielakzeptanz Führungs-Verhalten - Zielklarheit - Führungsstil - Zielkonsens - Zusammengehörig-- Organisationsziele gefühl -Marktorientierung -Kommunikation - Neue Ideen - Kooperation - Modernität - Flexibilität - Kundenpflege Mitarbeiterbezug - Produktqualität - Arbeitszufriedenheit - Tradition - Leistungsmotivation Führungs-Aufgabe - Zuverlässigkeit - Aufgabenerfüllung - Initiative - Personalführung - Kündigungen - Personalbeschaffung - Dienstabwesenheit - Personaleinsatz - Loyalität - Personalentwicklung - Partizipation - Personalausstattung Führungs-Situation - Anforderungen - Unabhängigkeit - Dezentralisation - Zuständigkeiten - Sicherheit - Anreizsystem
Abbildung 3: Kurzbezeichnungen der allgemeinen Indikatoren der Management-Leistung
Zusammenfassend läßt sich aus Abbildung 3 die a-priori-Dimensionierung des Konstruktes ,,Mangement-Leistung" in Bezug auf allgemeine, mit dem privatwirtschaftlichen Bereich vergleichbare Sachverhalte entnehmen. Für die a-prioriDimensionierungen gilt zunächst die Vermutung der Überlappungsfreiheit der Dimensionen, Untergliederungen und Indikatoren. Ob damit ein reales Abbild des Gegenstandbereiches vorliegt, war durch eine Einschätzung der Indikatoren im empirischen Feld zu klären.
2.4 Idealtypologie der speziellen Leistungsindikatoren
Über die Schwierigkeit der Generierung spezieller Indikatoren zur Beurteilung der Mangernent-Leistung von Rundfunkanstalten gibt es in der einschlägigen Literatur eine breite Diskussion.28 Da es offensichtlich bisher kaum Konsens über die Art und den Abstraktionsgrad derartiger Leistungsindikatoren gibt, wurden für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung die im wesentlichen aus den Rundfunkgesetzen der
28 Vgl. beispielsweise Stolte (1992), S. 200 ff., Weinstock (1991), S. 106 ff., Bea/Kötz-le/Barth (1985), S. 146-154.
146 Friedrich A. Stein
Länder ersichtlichen Sachziele als spezielle Indikatoren der Management-Leistung übernommen. Es sind dies:29
1. Gemeinwohlorientierung des Rundfunks. 2. Meinungsfreiheit. 3. Pressefreiheit. 4. Freiheit der Berichterstattung. 5. Gestaltung und Verbreitung von Nachrichten bildender, unterrichtender und un-
terhaltender Art. 6. Liquidität 7. Kapital- und Substanzerhaltung. 8. Sendegrundsätze: Unparteilichkeit, Sittlichkeit, Friedenswahrung, Förderung
der Ideale von Wahrheit, Toleranz, Gerechtigkeit, Freiheit und Achtung vor den Persönlichkeitsrechten, die Wahrung der freiheitlich demokratischen Grundordnung sowie die Berücksichtigung kultureller, regionaler und Iandsmannschaftlicher Besonderheiten.
9. Haushaltsausgleich. 10. Zugang zu neuen technischen Übertragungs11J,öglichkeiten. 11. Wirtschaftlichkeit. 12. Sparsamkeit. 13. Erhaltung des Unternehmens zur Erfüllung einer bedarfsgerechten Rundfunk
versorgung. 14. Qualität, lnformativität und Aktualität programmlicher, publizistischer und re-
daktioneller Leistungen. 15. Qualität der produktionstechnischen Ausstattung. 16. Vorrat an Filmen, Lizenzen und Senderechten. 17. Marktstellung im Bereich lokaler bzw. regionaler Programme. 18. Betriebsgrößen und Erfahrungsvorteile in den einzelnen Ftinktionsbereichen. 19. Machtstellung auf dem Beschaffungs- und Werbemarkt. 20. Angebot an Sendeminuten. 21. Erreichung einer möglichst hohen zielgruppenspezifischen Zuschauerzahl.
Die vorstehenden rundfunkbezogenen Bestimmungsgrößen sind damit gleichfalls Bestandteil der Idealtypologie der Management-Leistung von Rundfunkanstalten.
Die hier entwickelte Idealtypologie stellt somit die Programmatik für die empirische Untersuchung dar. Damit sollte der Realitätsgehalt des vorliegenden Merkmalskonzeptesfestgestellt werden. Erkenntnisziel ist dabei die Erarbeitung realitätsgestützter Bewertungskriterien der Management-Leistung öffentlicher Rundfunkunternehmen.
29 Die hier generierten speziellen Leistungsindikatoren von Rundfunkanstalten finden sich auch bei Weinstock (1991), Brand (1989), Kemmer (1986) sowie Bea!Kötzle/Barth (1985).
Bewertung der Management-Leistung von Rundfunkanstalten 147
3 Untersuchungskonzeption
Zur Konfrontation des idealtypologischen Modells mit der Realität wurde eine schriftliche Expertenbefragung durchgeführt.
Die Expertenbefragung richtete sich in Bezug auf die allgemeinen Leistungsindikatoren an Spitzenführungskräfte und Mitglieder von Aufsichtsgremien sowie Verbandsspitzen verschiedener öffentlicher Betriebstypen, deren gemeinsames Merkmal die Anhindung an einen öffentlichen Auftrag ist. Zu den speziellen Leistungsindikatoren wurde eine Population von Spitzenführungskräften und Mitgliedern von Aufsichtsgremien öffentlicher-rechtlicher Rundfunkunternehmen befragt. Dabei handelte es sich um Intendanten, Hörfunk- und Fernsehdirektoren, Verwaltungsdirektoren sowie Vorsitzende der Rundfunk- und Verwaltungeräte. Als zusätzliche Maßnahme zur Kontrolle der Realistik der gewonnenen schriftlichen Befragungsergebnisse wurden teilstrukturierte Interviews mit Experten geführt. Dabei ergab sich für den Rundfunkbereich eine hohe Übereinstimmung zwischen den Einschätzungen der interviewten Fachleute und den diesen vorgelegten schriftlichen Befragungsresultaten.30 Die Rücklaufquote der Fragebögen zu den speziellen Leistungsindikatoren von Rundfunkanstalten lag bei rd. 50%.
Den Experten wurde ein Fragebogen vorgelegt, der die in der Idealtypologie erarbeiteten Merkmale in ltemform, d. h. mit entsprechenden Operationalisierungen versehen, umfaßte und zwar nach allgemeinen und speziellen Leistungsindikatoren sortiert. Die Fachleute-Gruppen wurden gebeten, eine Beurteilung des jeweiligen Items auf einem Achter-Rating vorzunehmen. Diese Beurteilung erstreckte sich auf die grundsätzliche Eignung des jeweiligen Indikators als Leistungsgröße. Außerdem bestand für die Experten die Möglichkeit, den Merkmalskatalog um weitere Indikatoren zu ergänzen. 31
Über die wichtigsten empirischen Ergebnisse soll nun berichtet werden:
4 Empirische Ergebnisse
4.1 Allgemeine Management-Leistung von Rundfunkanstalten
Die als geeignet beurteilten allgemeinen Leistungsindikatoren der Idealtypologie bilden nach deren externer Validierung die Bewertungskriterien der allgemeinen Management-Leistung öffentlicher Rundfunkunternehmen.
Nach einer entsprechenden Zusammenfassung der Merkmale zu Faktoren durch eine Hauptkomponentenanalyse32, zeigt Abbildung 4 die visualisierte Darstellung der Faktoren durch das Verfahren der Multidimensionalen Skalierung. 33
Die aus Abbildung 4 ersichtliche zweidimensionale Lösung liefert eine deutlich erkennbare räumliche Verteilung der Variablen, die das faktorenanalytisch ermittelte Ergebnis stützt. Das Gütemaß Stress (1) liefert mit einem Wert von 0,276 eine
30 Vgl. Stein (1998), S. 270. 31 Einzelheiten zur methodischen Vorgehensweise und eine ausführliche Diskussion der stati
stischen Auswertungsverfahren finden sich bei Stein (1998), S. 165-174 sowie S. 181-192.
148 Friedrich A. Stein
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IJ:illtula4.· Stress (J) jUr die t.Weidlmenslonale LIJsUIIg: 0,276
Abbildung 4: MDS der Indikatoren der allgemeinen Management-Leistung von Rundfunkanstalten
noch ausreichende Anpassung dieser Lösung. Für das vierfaktorielle Ergebnis der Hauptkomponentenanalyse spricht außerdem die Tatsache, daß der Stress (1)-Wert bei einer vierdimensionalen Lösung der MDS mit 0,136 den Punkt erreicht, an dem mit einer zusätzlichen Hinzufügung von Dimensionen eine nur mehr geringfügige Verbesserung dieses Gütemaßes erzielbar wäre. Da aber eine vierdimensionale Lösung darstellungstechnisch nicht mehr handhabbar ist, soll das zweidimensionale Resultat erläutert werden.
Die Ordinate trennt in der zweidimensionalen Lösung mit Erfolgsorientierung und Marktorientierung exogene Realtypen der allgemeinen Management-Leistung von endogenen, die im wesentlichen aus den Variablen der Cluster Personalorientierung und Führungsorientierung bestehen. Der Zusammenhang der endogenen Realtypen der allgemeinen Management-Leistung wird im übrigen durch eine Faktorkor-
Im Hinblick auf die von den Experten genannten zusätzlichen allgemeinen und speziellen Leistungsindikatoren vgl. Anlage I.
32 Vgl. Stein (1998), S. 226 f. 33 In Bezug auf das gewählte Rotationsverfahren der Faktoren der Hauptkomponentenanaly
se wurde die überwiegend übliche Annahme der Orthogonalität der zu rotierenden Faktoren aufgegeben und eine schiefwinkelige Rotation durchgeführt. Bedingt durch die damit verbundene Aufgabe der Nichtkorrelationseigenschaft der extrahierten Faktoren und aus Gründen der besseren Visualisierung der zusammenhängenden allgemeinen Leistungsindikatoren wurde eine Multidimensionale Skalierung (MDS) durchgeführt. Vgl. zu den methodischen Einzelheiten Matiaske (1990), S. 108 ff. sowie Brosius (1989), S. 165. Eine der Faktorbildung durch Hauptkomponentenanalyse und MDS nachgeschaltete Trennschärfeberechnung bestätigte die Faktorzusammensetzung.
Bewertung der Management-Leistung von Rundfunkanstalten 149
relation zwischen Personalorientierung und Führungsorientierung von rbp = 0, 632 gestützt. Im linken oberen Quadranten befinden sich die ökonomischen Indikatoren der Erfolgsorientierung, der linke untere Quadrant verzeichnet im Kern die prozessualen Indikatoren der Marktorientierung. Gegenstand des rechten oberen Quadranten sind die Merkmale der Personalorientierung, während der untere Quadrant auf der gleichen Seite bis auf zwei Merkmale die Bestimmungsgrößen der Führungsorientierung beinhaltet. Die Konfiguration entspricht damit in Grundzügen den idealtypisch vorgeschlagenen Kategorisierungen.
Diese empirischen Dimensionen der allgemeinen Management-Leistung werden als gültig für öffentliche und privatwirtschaftliche Unternehmen angesehen und bilden somit in ihrer indikatorspezifischen graduellen Ausprägung Vergleichsmaßstäbe zur Bewertung der allgemeinen Management-Leistung von öffentlichen (Rundfunk-) Unternehmen und privatwirtschaftliehen (Rundfunk-) Unternehmen. 34
In Bezug auf die Idealtypologie der speziellen Leistungsindikatoren von Rundfunkanstalten erbrachte die Expertenbefragung die nachfolgenden Ergebnisse.
4.2 Spezielle Management-Leistung von Rundfunkanstalten
Als spezielle Management-Leistung von Rundfunkanstalten werden die Indikatoren oder Bündel von Indikatoren bezeichnet, die Ausdruck der Sachziel- oder Bedarfsorientierung sind.
Im Zielkontextmodell (vgl. Abbildung 1) kommt zum Ausdruck, daß unter Beachtung öffentlicher Interessen, öffentlicher Ziele und öffentlicher Aufgaben durch den öffentlichen Auftrag die Rahmenbedingungen für die Unternehmensziele der Rundfunkanstalten formuliert werden. Die Zieloperationalisierung erfolgt dann durch der Management. Die in der Idealtypologie der speziellen ManagementLeistung (vgl. die 21 speziellen Leistungsindikatoren) generierten Merkmale sollen die Besonderheiten dieser rundfunkbezogenen Zielstrukturen abbilden. Überdies sind Merkmale vorgegeben, dit! auf aktuelle Entwicklungen hinweisen sowie die Spezifika der Entscheidungssituation des Managements zum Ausdruck bringen. Die nachstehend extern validierten Dimensionen werden in einzelnen interpretiert. Dabei ist zu beachten, daß nicht jede Stufe des Zielkontextmodells empirisch deutlich genug ermittelbar war. Dies hat dazu geführt, daß die sich als empirisch wenig trennscharf erwiesene Dimension öffentliche Aufgaben in die Kategorie öffentlicher Auftrag integriert wurde. Im Hinblick auf die Bewertung der speziellen Management-Leistung von Rundfunkanstalten wird die Wahrnehmung des öffentlichen Auftrages für besonders wichtig gehalten, da er die Grundlage für die Planung und Realisierung der Unternehmensziele darstellt.
34 Bei einer Untersuchung von sechs Branchen öffentlicher Unternehmen (Sparkassen, Versorgung, Krankenhäuser, Rundfunk, Verkehr, Bahn und Post) erwiesen sich die Dimensionen der allgemeinen Manangement-Leistung Erfolgsorientierung, Marktorientierung, Führungsorientierung und Personalorientierung als trennscharf. Differenziert nach Rangplätzen der allgemeinen Management-Leistung lagen die Rundfunkanstalten in sämtlichen Dimensionen auf Rang 4. In allen Bereichen auf Platz 1 befanden sich die Sparkassen, während die Bahn jeweils das Schlußlicht bildete. V gl. hierzu: Stein (1998), S. 279.
150 Friedrich A. Stein
4.2.1 Resultate der Dimensionalitäts- und Reliabilitätsprüfung
Nachdem von den ursprünglich 21 generierten speziellen Leistungsindikatoren der Rundfunkanstalten noch 14 den geforderten Eignungswert35 erreichten, sind diese Bestimmungsgrößen einer Dimensionalitäts- und Reliabilitätsprüfung zu unterziehen.
Dendrogram using Ward Method
Rescaled Distance Cluster Cambine
C A S E 0 5 10 15 20 25 Label Num +---------+---------+---------+---------+---------+ RRl l RR11 9 RR21 14 RR6 6 RR7 7 RR10 8 RR14 11 RR5 5 RR15 12 RR20 13 RR13 10 RR2 2 RR4 4 RR3 3 rei-Cluster-Lösung
Abbildung 5: Resultat der Clusteranalyse der speziellen Leistungsindikatoren
Das Ergebnis der Clusteranalyse36 dargestellt durch ein Dendeogramm in Abbildung 5 gibt einen Überblick über die Fusionierungsstruktur des Variablensatzes. Als Label fungiert die Variablenkennung der statistischen Datenanalyse. In der anschließenden Reliabilitätsüberprüfung der Cluster sind die Kurzbezeichnungen den Variablenkennungen hinzugefügt. In der Spalte ,,Num" steht die durch die Clusteranalyse zugewiesene Variablennummer, in dem Falle 1-14. Die im Rahmen des WardVerfahrens errechnete Fehlerquadratsumme, die im Laufe eines Fusionierungsprozesses auftritt, wird auf einer Skala von 0 bis 25 normiert (Rescaled Distance Cluster Combine). Die Clusteranalyse hat in der vorliegenden Untersuchung eine explorative Funktion. Sie dient der Aufdeckung inhaltlich geeigneter Variablensets, deren Trennschärfe durch die Reliabilitätsprüfung zu ermitteln sind. In Abbildung 5 ist eine Drei-Cluster-Lösung deutlich erkennbar. Danach gilt für die Auswahl von drei
35 Im Rahmen der schriftlichen Expertenbefragung wurde insgesamt eine Vielzahl von potentiellen Leistungsindikatoren vorgelegt. Diese sollten auf achtstufigen Ratingskalen für die weitere Analyse dann als geeignet angesehen werden, wenn sie eine Bewertung von ~ 6,0 erreichten. Damit gelang es, die Anzahl und Vielfalt möglicher Leistungsgrößen auf die wesentlichsten zu verdichten.
36 Zur Typologisierung wurde eine hierarchische Clusteranalyse gerechnet. Als Proximitätsmaß fungierte die quadrierte Euklidische-Distanz, als Cluster-Algorithmus das WardVerfahren. Vgl. dazu: Bortz (1993), S. 522-540.
Bewertung der Management-Leistung von Rundfunkanstalten !51
Item- Cronbachs- Cronbachs-Gesamtwert- Alpha Alpha bei Korrelation hypothetischer
Item-Elimination
Cluster 1: Öffentliche Interessen 0,7562 RR2: Meinungsfreiheit 0,6369 0,5983 RR4: Freiheit der Berichterstattung 0,6681 0,5483 RR3: Pressefreiheit 0,5409 0,7295
Cluster 2: Öffentlicher Auftrag 0,8281 RR I: Gemeinwohlorientierung 0,7911 0,7405 RR 11: Wirtschaftlichkeit 0,6183 0,7855 RR21: Zielgruppenspezifische Zuschauerzahl 0,4547 0,8334* RR6: Sendegrundsätze 0,6543 0,7754 RR7: Haushaltsausgleich 0,5971 0,7913
Cluster 3: Unternehmensziele 0,7879 RR10: Neue Übertragungsmöglichkeiten 0,5962 0,7277 RR14: Qualität der Leistung 0,7540 0,6937 RR5: Bildungsauftrag 0,4830 0,7573
RR15: Qualität der Ausstattung 0,4704 0,7637
RR20: Angebot an Sendeminuten 0,4336 0,7705
RR13: Bedarfsgerechte Rundfunkversorgung 0,4881 0,7590
*=Neuer Alpha-Wert nach Item-Elimination.
Abbildung 6: Resultat der Reliabilitätsprüfung der speziellen Leistungsindikatoren
Clustern die Annahme von in sich homogenen Kategorien. Auf der Basis dieser Einteilung wird die anschließende Reliabilitätsprüfung37 durchgeführt.
Cluster 1 weist mit einem Reliabilitätskoeffizienten-Alpha von 0,76 eine Kennzahl auf, die nach der Konvention (Alpha 2: 0,7) auf eine voll befriedigende innere Konsistenz schließen läßt. Ferner überschreiten sämtliche Item-GesamtwertKorrelationen den geforderten Mindestwert von 0,40 erheblich. Eine Verbesserung des Alpha-Wertes durch Herausnahme eines ltems ist nicht angezeigt. Das kursiv gedruckte Item ,,zielgruppenspezifische Zuschauerzahl" in Cluster 2 scheidet, obwohl die ltem-Gesamtwert-Korrelation den Mindestwert überschreitet, aus Gründen der Verbesserung des Alpha-Wertes von 0,8281 auf 0,8334 und aus inhaltlichen Überlegungen aus. Von der sachlichen Bedeutung her paßt die vorgenannte Größe nicht zu den Merkmalen des öffentlichen Auftrags, da sie eine konkrete Richtgröße zur innersystemischen Steuerung darstellt und somit einen eher geringeren
37 Eine bloße Dimensionierung der Leistungsindikatoren sagt noch nichts über deren Re
liabilität aus. Vielmehr gilt es den Grad der Genauigkeit zu bestimmen, mit dem die
den Dimensionen zugrundeliegenden Sachverhalte gemessen werden. Dazu wird zur Re
liabilitätsprüfung das Verfahren der Item-Gesamtwert-Korrelation verwendet. Außerdem
ermöglicht der Reliabilitätskoeffizient-Alpha von Cronbach eine Aussage zur Güte der in
ternen Konsistenz eines Faktors. Vgl. dazu: Bauer (1986), S. 235-245 sowie Lienert (1969),
S. 15 f.
152 Friedrich A. Stein
Abstraktionsgrad in der Abbildung der Sachverhalte aufweist als die restlichen Variablen. Nach Entfernung dieses ltems erzielt Cluster 2 mit Cronbachs-Alpha = 0,83 einen hervorragenden Wert für die innere Konsistenz. Auch die Item-GesamtwertKorrelationen liegen sämtlich weit über dem Orientierungspunkt. Für Cluster 3 wird mit einem Alpha-Wert von 0, 79 ebenfalls eine ansehnliche innere Konsistenz angezeigt; die Item-Gesamtwert-Korrelationen überschreiten vollständig den geforderten Mindestwert. Eine Verbesserung des Reliabilitätskoeffizienten in Cluster 3 durch Herausnahme eines Items ist nicht angezeigt.
Das Prüfergebnis zeigt eine stabile Drei-Cluster-Lösung. Damit liegen drei hinreichend reliable und eigenständige Kategorien der speziellen ManagementLeistung von Rundfunkanstalten vor.
4.2.2 Extern validierte Stufen des Zielkontextmodells
Von den Stufen des Zielkontextmodells (vgl. Abbildung 1) waren die öffentlichen Interessen, der öffentliche Auftrag und die Unternehmensziele empirisch ermittelbar.
4.2.2.1 Öffentliche Interessen
Folgt man der Auffassung Eichhorns, daß das öffentliche Interesse an Unternehmen aus dem Umfang und der Intensität der von Unternehmen ausgehenden Wirkungen auf die Öffentlichkeit geprägt wird38, so kann es nicht verwundern, daß diese Kategorie im Falle der Rundfunkanstalten empirisch feststellbar war. Die Wirkung der Medien auf die Meinungsbildung im demokratischen Staat und damit auch auf die Wahlchancen der Parteien läßt die Rundfunkanstalten zu hochsensiblen öffentlichen Unternehmen werden, die sich nicht selten den verschiedensten nicht nur politischen Versuchen der Einflußnahme ausgesetzt sehen. Daher wird die Leistungsfähigkeit des Managements von Rundfunkanstalten nicht zuletzt an der Einhaltung grundsätzlicher demokratischer Spielregeln zu messen sein, die da sind: ,,Meinungsfreiheit", ,,Freiheit der Berichterstattung'' und ,,Pressefreiheit". Diese Facetten des öffentlichen Interesses können ohne jeden Zweifel nicht effizient, sondern nur effektiv erfüllt werden.
4.2.2.2 Öffentlicher Auftrag
Nach dem Verständnis der Experten setzt sich der öffentliche Auftrag der Rundfunkanstalten aus den Merkmalen "Gemeinwohlorientierung'', "Wirtschaftlichkeit'', "Sendegrundsätze" und ,,Haushaltsausgleich" zusammen. Diese Bestimmungsgrößen sind weniger Ausdruck der quantitativen Programmleistung, wie im Zielkontextmodell von Rundfunkanstalten idealtypisch vorgestellt (vgl. Schaubild 1),
38 Vgl. Eichhorn (1983), S. 73-77.
Bewertung der Management-Leistung von Rundfunkanstalten 153
als vielmehr Kennzeichen der Handlungsrahmenbedingungen, unter denen Programm stattzufinden hat. Dabei ist hier der öffentliche Auftrag in seinem institutionell aufgegebenen Sinn gemeint, während er mit der Umsetzung in eine quantitative Programmleistung das subjektiv gemeinte Auftragsverständnis reftektiert.39
Die Variablen der empirischen Kategorie öffentlicher Auftrag lassen sich mit Gemeinwohlorientierung und Sendegrundsätze in eine programmatische und mit Wirtschaftlichkeit und Haushaltsausgleich in eine ökonomische Dimension aufteilen. Die programmatische Dimension beinhaltet die qualitativen Vorgaben der Sendegrundsätze wie Unparteilichkeit, Friedenswahrung, Förderung der Ideale von Wahrheit, Toleranz, Gerechtigkeit, Freiheit und Achtung vor den Persönlichkeitsrechten sowie neben der Wahrung der freiheitlich demokratischen Grundordnung die Berücksichtigung kultureller, regionaler und landsmannschaftlicher Besonderheiten. Unter einem wirtschaftlichen Verhalten einer Rundfunkanstalt soll eine optimale Kosten-Leistungs-Relation zwischen Programmauftrag und Programmerledigung verstanden werden. Dabei stehen die Sachziele ganz im Gegensatz zu den privaten Rundfunkanbietern im Vordergrund, während Formalziele wie Aufwandsdeckung und Ertragserzielung unentbehrliche Nebenbedingungen darstellen. Die hier empirisch unterlegten Einschätzungen der Experten spiegeln die bisherige Entwicklung auf dem Rundfunkmarkt treffend wider. Allerdings ist seit geraumer Zeit ein zunehmender Druck infolge einer im allgemeinen wenig befriedigenden Kostensituation der Funkhäuser auszumachen. Hiermit sind etwa Bestrebungen gemeint, durch Zusammenlegung oder Schließung bestimmter Länderanstalten kostengünstiger zu arbeiten.40 Von den Kritikern dieser Maßnahmen wird eine Gefahr für den Meinungspluralismus im öffentlichen Rundfunkbereich gesehen. Es stellt sich in diesem bedarfswirtschaftlich geprägten Bereich die Frage, wieviel Kultur und Meinungsvielfalt sich ein Gemeinwesen leisten will und leisten kann. Zweifelsohne, so die überwiegende Meinung der Experten, sollte die Mindestbedingung dafür ein ausgeglichener Haushalt sein.
4.2.2.3 Unternehmensziele
Die Kriterien der extern validierten Dimension Unternehmensziele decken ein recht breites Bedeutungsspektrum ab. Es handelt sich um die Kenngrößen ,,neue Übertragungsmöglichkeiten", "Qualität der Leistung", ,,Bildungsauftrag", Qualität der Ausstattung", ,,Angebot an Sendeminuten" und "bedarfsgerechte Rundfunkversorgung". Die hier empirisch ermittelten Unternehmensziele der Rundfunkanstalten setzen sich aus eher grundsätzlichen, qualitativen und quantitativen Inhalten
39 Vgl. zur Unterscheidung zwischen dem öffentlichen Auftrag in seinem institutionell aufgegebenen Sinn und dem öffentlichen Auftrag in seinem subjektiv gemeinten Sinn Knoll(l983), S. 176-181. In der erstgenannten Ausprägung erfolgt die Zuweisung des öffentlichen Auftrages etwa durch Rechtsnormen institutionell, während der subjektiv ge
meinte Auftrag dagegen die Wahrnehmung des Unternehmensauftrages durch das Mana
gement widerspiegelt. 40 So geschehen bei der Zusammenlegung des Süddeutschen Rundfunks und des Südwest
funks zum Südwestrundfunk (SWR) im Jahre 1998. Vgl. dazu Stein (2000b).
154 Friedrich A. Stein
zusammen. Die Zielsetzungen von grundsätzlicher Bedeutung bilden die Erhaltung des Unternehmens zur Erfüllung einer bedarfsgerechten Rundfunkversorgung und die als Bildungsauftrag bezeichnete Gestaltung und Verbreitung von Nachrichten bildender, unterrichtender und unterhaltender Art. Mit dem ersten Merkmal wird die grundlegende Ausrichtung von Maßnahmen zum Unternehmenserhalt an Effektivitätsüberlegungen gefordert, der Bildungsauftrag ist originäre Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanbieter. Qualitative Unternehmensziele sind Gewährleistung der Qualität, Informativität und Aktualität programmlicher, publizistischer und redaktioneller Leistungen, die Qualität der produktionstechnischen Ausstattung und in die gleiche Richtung gehend die Nutzung und der Zugang zu neuen Übertragungsmöglichkeiten. Eine quantifizierbare Leistungsgröße besteht im konkreten Angebot von Sendeminuten. Vergegenwärtigt man sich, daß bei der Eignungsprüfung Zielgrößen wie ,,Liquidität' und ,,Sparsamkeit' ausschieden, so wird erkennbar, daß bei den Rundfunkanstalten auch auf der letzten Stufe des Zielkontextmodells, den Unternehmenszielen, die Bedarfs- oder Sachzielorientierung klar dominiert.
Die Gesamtheit der speziellen Leistungsindikatoren in den empirisch validierten Clustern öffentliche Interessen, öffentlicher Auftrag und Unternehmensziele soll nunmehr zusammenfassend mit der Faktorbezeichnung Bedarfsorientierung versehen werden.
5 Realtypologisches Modell der Management-Leistung von Rundfunkanstalten
Die eingangs angestellten Überlegungen zu Effizienz und Effektivität als Handlungsstrategien der Management-Leistung machen es zweckmäßig, mehrere Ergebniskategorien zu unterscheiden. In der ersten Ergebnisdimension erfolgt die Einschätzung des Handlungsresultates unter Zugrundelegung von Effizienzmaßstäben und wird folglich als Effizienz bezeichnet. Beurteilt wird der Erfolg im engeren Sinne. Dabei handelt es sich um die Kontrolle der Zielerreichung unter Berücksichtigung des Mitteleinsatzes. Diese Dimension der Management-Leistung läßt in erster Linie die Bewertung des angestrebten kaufmännischen Erfolgs oder mit anderen Worten der Gewinnkonzeption zu. Eine weitere Handlungsstrategie ist die Effektivität, die als Maßgröße für die Erreichung bestimmter Ziele angesehen wird. Die Besonderheiten des Zielkontextes öffentlicher Rundfunkunternehmen lassen es notwendig erscheinen, zwei Ergebnisdimensionen zur Beurteilung des effektiven Handeins vorzusehen und zwar Effektivität! und Effektivität2 als Erfolgsgrößen im weiteren Sinne.41 Effektivität! umfaßt die Indikatoren der allgemeinen Management-Leistung mit qualitativer Ausprägung und einer Gültigkeit für alle öffentlichen und nicht öffentlichen Betriebstypen. Effektivität2 gilt als Gradmesser der mit jeder bestimmten öffentlichen Branche originär verbundenen speziellen Leistungsindikatoren, diese Kategorie bezeichnet die spezielle Management-Leistung von Rundfunkanstalten.
41 Vgl. Stein (1999), S. 126.
Effizienz
Erfolgsorientierung
Bewertung der Management-Leistung von Rundfunkanstalten 155
Effektivität 2
ed~ .1. B ar sonentJ.erung - öffentliche Interessen
- öffentlicher Auftrag - Unternehmensziele
Exogene Systemsteuerung
l Markt
orientierung
Effektivität 1
Führungsorientierung
l Personal
orientierung
Endogene Systemsteuerung
Abbildung 7: Realtypologisches Modell der Management-Leistung von Rundfunkanstalten
Legt man die oben entwickelte Terminologie der verschiedenen Ergebnisdimensionen den hier vorgestellten empirischen Forschungsresultaten zugrunde, dann läßt sich ein extern validiertes Modell der Management-Leistung von Rundfunkanstalten wie folgt aufstellen.
Die Management-Leistung öffentlicher Rundfunkanbieter differenziert sich demnach in die drei Ergebnisdimensionen Effizienz, Effektivität, und Effektivität2. Effektivität2 ist die für öffentliche Rundfunkanbieter dominante Leistungsdimensi
on und findet ihren Ausdruck in der als spezielle Management-Leistung bezeichneten Bedarfsorientierung, die im wesentlichen die Besonderheiten des Zielkontextes umfaßt. Innerhalb dieses Handlungsrahmens ist eine Leistungsbeurteilung nach Kriterien der Effizienz und der Effektivität, möglich. Effizienz oder Erfolg im engeren Sinne äußert sich in der Erfolgsorientierung. Damit ist die primär mit relationalen Maßgrößen zu bestimmende Ressourcennutzung unter expliziter Berücksichtigung des Mitteleinsatzes zu verstehen. Effektivität, oder Erfolg im weiteren Sinne besteht aus qualitativen Leistungsdimensionen der Zielerreichung. Effektivität, umfaßt mit Marktorientierung zum einen die exogene Systemsteuerung und zum anderen mit
Führungsorientierung und Personalorientierung die endogene Systemsteuerung.
6 Resümee
Alles in allem liegt mit der hier entwickelten Realtypologie ein empirisch gestütz
tes System von Kenngrößen zur Bewertung der Management-Leistung öffentli
cher Rundfunkveranstalter vor, welches mit Erfolgsorientierung, Marktorientierung, Führungsorientierung und Personalorientierung Dimensionen der allgemeinen
156 Friedrich A. Stein
Management-Leistung zum Vergleich öffentlicher und privatwirtschaftlicher Anbieter zur Verfügung stellt. Die in der Bedarfsorientierung zum Ausdruck kommende spezielle Management-Leistung von Rundfunkanstalten hat die Ausprägungen öffentliche Interessen, öffentlicher Auftrag und Unternehmensziele. So wären bei einer Bewertung der Management-Leistung verschiedener öffentlicher Anbieter untereinander die allgemeine und spezielle Management-Leistung zu berücksichtigen, während ein Vergleich öffentlicher und privater Anbieter sich primär auf die allgemeine Management-Leistung beziehen würde. Im letztgenannten Falle wäre die spezielle Management-Leistung gesondert zu bewerten.
Künftiger Forschungsbedarf besteht in der weiteren Verfeinerung der hier generierten und validierten Merkmale und Merkmalsbündel mittleren Abstraktionsgrades, der Validierung der von den Experten genannten weiteren Leistungsindikatoren sowie der Prüfung der Übertragbarkeit des Instrumentariums auf die Bewertung der Management-Leistung für den Bereich der Printmedien.
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Bewertung der Management-Leistung von Rundfunkanstalten 159
Anhang
Expertennennungen zusätzlicher Leistungsindikatoren von Rundfunkanstalten
Allgemeine Leistungsindikatoren 1. Integration ausländischer Bürgerinnen und Bürger 2. Bekämpfung von Radikalismus in der Gesellschaft 3. Verbesserung des allgemeinen Bildungsstandes 4. Schulbildung fördern 5. Förderung von Kultur/Mäzenatentum 6. Integration eines Landes (Bevölkerung) 7. Unabhängigkeit 8. Föderale Struktur 9. Ausgewogenheit
10. Grundversorgung 11. Kulturträger 12. Informationsfunktion 13. Staatsfeme 14. Mobilität (intern und zwischen den Systemen) 15. Transparenz (Produktion mit Publikum, Öffentlichkeitsarbeit) 16. Kontinuität, Beständigkeit der Leistung
Spezielle Leistungsindikatoren
1. Programminformation 2. Programmkennung 3. Werbemaßnahmen 4. Einflußnahme auf Gewalt, Pornographie, Kriminalität 5. Erreichung Zielgruppe Kinder 6. Erreichung Zielgruppe Jugendliche 7. Erreichung Zielgruppe Erwachsene und Rentner 8. Medienforschung 9. Kulturelle Angebote im Sendegebiet
10. Internationale Kooperation 11. Kooperation mit wissenschaftlichen/kulturellen Institutionen 12. Publizistische Eigenleistung 13. Flexibilität der Personalstruktur 14. Internationale Kooperation 15. Beitrag zum Kulturleben 16. Verbundenheit mit der Region 17. Förderung von Autoren 18. Anregung für das gesellschaftliche Leben 19. Anregung der öffentlichen Diskussion über wichtige Thesen
160 Friedrich A. Stein
20. Förderung des gesellschaftlichen Konsens in wichtigen Fragen 21. Zuschauerbeteiligung/Einschaltungen 22. Beurteilung durch Kritiker 23. (Meinungs-)vie1falt 24. Kosten pro Minute 25. Kombinierte Kennziffern 26. Unternehmerische Erfahrungen bei Aufsichtsgremien (Rundfunkrat und
Verwaltungsrat) 27. Rundfunkanstalten als Kulturfaktor: Zahl der freien Mitarbeiter, Honorare an freie
Mitarbeiter
Teil II
Empirische Entscheidungsforschung
Der Einfluß von Zielen und Werten auf Führungsund Problemlöseverhalten Ein Erfahrungsbericht zur Gestaltung von Entscheidungsprozessen
Wolfgang Sehröder
1 Hintergrund
1.1 Zielorientiertes Handeln als Herausforderung
Die Bedeutung von Zielen und Werten wächst in Unternehmen und in der Gesellschaft:
- Ökonomische Zielgrößen wie ROI (Return on Investment), EVA (Economic Value Added), RONA (Return on Net Assets) etc. stellen nicht nur in Konzernen und international tätigen Unternehmen Entscheidungsgrundlagen z. B. für Investitionen oder Desinvestitionen dar. Sie werden auch zunehmend als Grundlage zur Gehaltstindung oberer Führungskräfte herangezogen.
- Die Shareholder Value-Diskussion betrifft ebenfalls diese ökonomischen Zielgrößen. Sie hat in Unternehmen aber auch die Frage aufgeworfen, wie die finanziellen Interessen der Mitarbeiter in betriebswirtschaftliehen Entscheidungsprozessen Berücksichtigung finden.
- Die Arbeitsinhalte der Mitarbeiter verändern sich dramatisch. Voll definierte und deshalb programmierbare Tätigkeiten werden von Computern übernommen. Im Mittelpunkt menschlicher Arbeit stehen daher immer mehr Problemlösungen mit Handlungsspielräumen. Wie gut, wie schnell oder wie kostengünstig gearbeitet wird, kann mit REFA- oder MTM-Methoden kaum gesteuert werden. Nicht nur das Können und das Dürfen ist wesentliche Grundlage für gute Arbeitsergebnisse, sondern auch das Wollen. So hängt eine gute Kundenorientierung - also der Versuch, die Ziele und Werte der Kunden zu treffen - wesentlich vom individuellen Verhalten der Mitarbeiter ab und damit von Persönlichkeitsfaktoren wie Werten, Zielen oder Überzeugungen, um einige kognitive Aspekte hervorzuheben.
- Auch im gesellschaftlichen Feld rücken Ziele und Werte in den Mittelpunkt. Mit dem Begriff der sozialen Gerechtigkeit werden politische Wahlen gewonnen aber auch verloren. Ökologische und ökonomische Zielkonflikte beschäftigen uns ebenso wie Fragen zur Akzeptanz der Gentechnik, zur Schwangerschaftskonfliktberatung oder zum interkulturellen Zusammenleben. Alle Antworten
sind wesentlich geprägt von Wertediskussionen.
Es kann Albert Einstein gefolgt werden, der schon vor Jahrzehnten feststellte:
Wir leben in einer Zeit vollkommener Mittel und verworrener Ziele.
164 Wolfgang Sehröder
Die Beschäftigung mit Werten und Zielen stellt deshalb eine Herausforderung dar.
1.2 Die Intentionen des Beitrags
In diesem Beitrag sollen Erfahrungen komprimiert dargestellt werden, die in den letzten Jahren bei der Arbeit mit Zielen und Werten gesammelt worden sind. Es sollen die Wertschöpfungen skizziert werden, die mit Hilfe einer stärkeren Berücksichtigung von Zielen und Werten erreicht werden können.
Abschließend sollen, auch auf der Basis dieser Erfahrungen, generelle Vorschläge und Gestaltungshinweise abgeleitet werden, die Führung und Management verbessern.
2 Erfahrungen auf dem Feld der Ziele
Nach einer knappen Darstellung von Erfahrungen, die bei der Einführung von Konzepten zielorientierter Führung gemacht worden sind, werden Einzelaspekte zur Arbeit mit Zielen im Bereich von Führung und Problemlösungsverhalten beschrieben. Unter Zielen sollen Ergebnisse verstanden werden, die in der Zukunft erreicht werden sollen. Darüber hinaus sind insbesondere die motivationalen Komponenten von Zielen zu berücksichtigen.
2.1 Ziele und Performance Management
Seit Anfang der 90er Jahre erleben Konzepte der zielorientierten Führung eine Renaissance. Die Rückbesinnung auf ,,Management by Objectives"-Ideen hat mindestens zwei Ursachen: =
- Zielorientierte Konzepte der Unternehmensführung spielen eine zunehmend wichtiger werdende Rolle. Insbesondere durch die Shareholder ValoeDiskussion ist die Zielgröße "Verzinsung des Eigenkapitals" zur Meßlatte für unternehmerisches Handeln geworden. Nur konsequent war die Forderung, diese und andere Zielgrößen als Meßlatte für Führungserfolg zu nutzen, im Unternehmen ,,herunterzubrechen", d. h. zu operationalisieren und als Führungsgrößen zu nutzen.
- In den letzten Jahren hat sich ein rasch wachsender Arbeitsschwerpunkt gebildet, der unter dem Begriff Performance Management zusammenwächst und sich schwerpunktmäßig mit Ergebniserreichungs- und Veränderungsprozessen beschäftigt, die über die Faktoren Führung, Management und Personal optimiert werden sollen. Knapp dargestellt, geht es um die Erarbeitung und Umsetzung von Strategien, Prozesse und Methoden/Instrumente, mit denen in Institutionen Leistungspotentiale aus- und Leistungshindernisse abgebaut werden auf den drei Ebenen Rahmenbedingungen der Organisation, Team und Personen (Schröder, 1999). Eine niedrige ,,Performance" von Organisationen soll zu rund
Der Einfluß von Zielen und Werten 165
80 % auf die Rahmenbedingungen für Arbeit, also auf schlecht funktionierende Systeme und Prozesse zurückzuführen sein. 20 % betreffen direkt die Ressource
Mensch. Ein wesentliches Kennzeichen der Ansätze des Performance Managements ist die intensive Nutzung von Konzepten zur Zielfindung, -formulierung und -Vereinbarung. Eines der bekanntesten Konzepte ist die Balanced Scorecard (Kaplan/Norton, 1996). Es werden konkrete, strategische und operative Ziele
auf den Schlüsselerfolgsfeldern des Unternehmens unter besonderer Berück
sichtigung von ,,Meß"-größen erarbeitet. Alle Ziele sollen quantitativ meßbar
beschrieben werden. Das Denken in Zielen ist dabei die Grundlage für die Ge
staltung von Veränderungsprozessen.
Diese Konzepte sind allerdings keine Neuauftage von ,,Management by Objec
tives"-Aktivitäten, die nach der ersten Beschreibung durch P. Drucker (1954) und
dem Standardwerk von G. S. Odiorne (1965) bis in die späten 70er Jahre in vielen
Unternehmen eingeführt wurden und in der Regel nicht, bzw. nicht unternehmens
weit funktioniert haben. Es handelte sich hierbei in erster Linie um ein allgemein
formuliertes Führungsprinzip, das keine konzeptionelle Gesamtsicht und wenig me
thodische Hilfestellung bot, sowie von wenig praktikablen Grundvorstellungen aus
ging. Neue Konzepte zur zielorientierten Führung müssen deshalb mindestens drei
Anforderungen erfüllen (vgl. Schröder, 1999):
- Es sollen Kategorien von Zielen unterschieden und grundsätzliche Formulie
rungsvorschriften berücksichtigt werden.
Unternehmensziele + funktionale Ziele für den Verantwortungsbereich - Formalziele (Gewinn, Kosten, DB, ... ) - Sachziele (Produkte, Dienstleistungen, ... ) - Werschöpfungsbeiträge zur Erreichung von Formal- und Sachzielen
Entwicklungsziele für den Verantwortungsbereich - Effizienzsteigerung durch Entwicklung von Strukturen, Prozessen, Methoden - Effizienzsteigerung durch Verhaltensänderung aller Beteiligten
Entwicklungsziele für einzelne Personen - Defizitabbau - Potentialaufbau
Abbildung 1: Kategorien von Zielen
Ziele sollten immer S.M.A.R.T. formuliert werden, d. h. S-pecific, M-easurable,
A-ttainable, R-elevant, T-imed. Auf die Anforderung der Meßbarkeit soll weiter
unten detaillierter eingegangen werden. - Zielorientierte Führung ist in ein Prozeßmodell einzubinden.
Grundlage dieses Modells ist das Geschäftsjahr des Unternehmens. Ausgangs
punkt ist immer die Unternehmensplanung und damit der Geschäftsplan bzw.
166 Wolfgang Sehröder
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Abbildung 2: Prozeßmodell Zielorientierte Führung
die strategische Planung. Funktionale Ziele und Entwicklungsziele für den Verantwortungshereich werden am Jahresanfang ermittelt, konkretisiert, formuliert und vereinbart. Individuelle Entwicklungsziele werden z. B. in der Jahresmitte in Form eines Mitarbeitergesprächs unter vier Augen bearbeitet. Zielorientierte Führung umfaßt deshalb zwei wesentliche Schwerpunktaktivitäten: Zieltindung und Zielrealisation durch Projektmanagement (= Meilensteintermine).
- Funktionale Ziele und Entwicklungsziele für den Bereich werden grundsätzlich im Team ermittelt, konkretisiert, formuliert und auf Funktionsträger verteilt. Diese Forderung beschreibt die wesentliche Veränderung zu den älteren Modellen des ,,Management by Objectives". Die Bearbeitung der Ziele im Team, d. h. vom Vorgesetzten und seinen direkt unterstellten Führungskräftenl Mitarbeitern schafft einerseits recht prägnante operative Vorteile. Dazu gehören
• gemeinsame Situationsanalysen, • gemeinsame Ableitung von Zielen aus übergeordneten Zielsetzungen , • Querinformationen über die Ziele anderer Personen/Einheiten, • Steuerung und methodische Qualitätssicherung durch einen Moderator.
Andererseits wird durch diese Vorgehensweise das wirkliche Potential, das im Instrument Zielorientierte Führung steckt, ausgeschöpft (vgl. Abb. 3) Für eine "problembehaftete" Gegenwart wird unter Berücksichtigung zukünftiger Entwicklungen gemeinsam ein Zukunftsszenario entwickelt, in dem die Probleme überwunden und zukünftige Herausforderungen berücksichtigt worden sind. Dieses Zukunftsszenario wird über strategische und operative Ziele definiert, aus denen letztendlich die Maßnahmen abgeleitet werden, die den Weg in die Zukunft bestimmen sollen. Mit Hilfe der meßbaren Formulierung der Ziele können die Erfolge der Aktivitäten überprüft werden. In die Vorhabensplanung werden also die strategischen und operativen Pläne des Unternehmens, die kurz- oder längerfristigen Vorstellungen des Vorgesetzten und der
Der Einfluß von Zielen und Werten 167
Situationsanalyse -Probleme+ Ursac hen - Veränderungsbedarf -Herausforderung en
l Maßnahmenplanung
r I Operative Ziele
r I Strategische Ziele
i I Visionen
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~ Aktionen
L I
I I
I
Abbildung 3: Denkmodell Zielorientierte Führung
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Mitarbeiter, sowie das gesamte Know-how und das kritische bzw. kreative Potential der Beteiligten integriert. Das Modell der Schlüsselerfolgsfelder eines Unternehmens (Abb. 4) hilft bei der Strukturierung des Handlungsbedarfs und der Suche nach Handlungsoptionen.
Auf weitere Anforderungen hinsichtlich Gehaltsanbindung, Verknüpfung mit Personalentwicklung etc. soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden, weil die Funktion von Zielen im Mittelpunkt der Betrachtung steht.
Abbildung 4: Modell Schlüsselerfolgsfelder
168 Wolfgang Sehröder
Welche Ergebnisse können mit diesem Ansatz erreicht werden?
- Das wohl wichtigste Ergebnis ist, daß im Gegensatz zu den Zielvereinbarungsgesprächen "unter vier Augen" der "Teamansatz zur Zielfindung, -formulierung und -Vereinbarung" flächendeckend funktioniert, nach zwei Jahren zum Selbstläufer wird und von Mitarbeitern und Führungskräften als nützliche und unverzichtbare Maßnahme angesehen wird.
- Über die Schlüsselerfolgsfelder (vgl. Abb. 4) lassen sich Aussagen zu Stärken und Schwächen des Unternehmens oder des Bereiches clustern. Abb. 5 zeigt Ergebnisse aus zwei Unternehmen. In beiden Fällen sollten Mitarbeiter und Führungskräfte Zielvorstellungen formulieren, mit denen der Unternehmenserfolg gesteigert werden kann.
Zahl potentieller Ziele in % Schlüsselerfolgsfelder eines Unternehmens Unternehmen 1 Unternehmen 2 Märkte und Kunden 6,7 19,5 Kapitalgeber, Finanzen Produkte, Dienstleistungen Leistungsprozesse -Prozesse - Crossfunktionale Zusammenarbeit Leistungsträger - Mitarbeiter/Führungskräfte - Verhalten der MAIFK - Lieferanten Das System Unternehmen - Führungs-, Managementsysteme - Arbeitsumgebung Unternehmensphilosophie, Strategien - Mission, Strategien - Werte, Kultur
4,1
1 '1
12,1
20,2
43,9
11,9
Abbildung 5: Handlungsbedarf in zwei Unternehmen
4,4
1,8
9,7
19,5
23,0
22,1
Die Ergebnisse stützen die Annahmen zum Performance Management, daß 80 % aller effektivitätshemmenden Faktoren in einem Unternehmen die Rahmenbedingungen für Arbeit betreffen. Die Aussage, daß letztendlich alle Probleme vom Faktor Mensch im Unternehmen verursacht werden, ist richtig, führt aber nicht zu konkreten Ansatzpunkten für Verbesserungsmaßnahmen. Aufgrund der Komplexität von Unternehmen mit ihren Beziehungen zur Umwelt und andauernden Veränderungs- oder Entwicklungsprozessen ist es unmöglich, alle Beurteilungskriterien auf allen Schlüsselerfolgsfeldern zu berücksichtigen. Selbst die Schlüsselerfolgsfelder stellen nur ein Modell der hochkomplexen Realität dar. Es müssen Prioritäten gesetzt werden. Die Auswahl der Felder und Beurteilungskriterien ist ein kreativer Akt und eine Unternehmerische Entscheidung.
Der Einfluß von Zielen und Werten 169
- Veränderungsprozesse, welche die Effektivität von Mitarbeitern bzw. Führungskräften steigern sollen, betreffen zu erheblichen Teilen die Veränderung der Rahmenbedingungen für den Verantwortungsbereich der Mitarbeiter/Führungskräfte. Damit ist das Finden, Formulieren und Vereinbaren von Zielen bezüglich der Entwicklungen des eigenen Bereichs im Team der Start von effizienter Organisations- und Teamentwicklung. Das Meilensteinkonzept sichert die Umsetzung.
Zielorientierte Führung hat sich demnach aus den "Kinderschuhen" des ,,Management by Objectives" zu praktikablen Konzepten entwickelt. Weitere wichtige, erfolgsbegründende Gestaltungshinweise sollen an dieser Stelle nicht vertieft werden (vgl. dazu Sehröder 1999).
2.2 Ziele und Führung
Wie kann eine Führungskraft Leistung beurteilen bzw. anerkennen, wenn es für die Leistung keinen Beurteilungsmaßstab gibt? Im Rahmen einer Mitarbeiterbefragung mit über 450 Mitarbeitern hat sich der in Abb. 6 dargestellte hochsignifikante Zusammenhang ergeben.
Ziel-/ Aufgabenvereinbarung
Mein Vorgesetzter vereinbart mit mir Aufgaben/Ziele. Ich kenne meinen Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich
Ziel-/ Aufgabenvereinbarung
Mein Vorgesetzter vereinbart mit mir Aufgaben/Ziele. Ich kenne meinen Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich
1 +++ 2++ 3+ 4-5--6---
1 +++ 2++ 3+ 4-5--6---
h
347
118
Ergebniskontrolle Mein Vorgesetzter bespricht mit mir
regelmäßig die Ergebnisse meiner Arbeit
2 3 4 5 6 +++ ++ +
205 142
5 113
Ergebniskontrolle Mein Vorgesetzter bespricht mit mir
regelmäßig die Ergebnisse meiner Arbeit
h1 2 3 4 56 +++ ++ +
226 158 68
65 64
Abbildung 6: Ergebnisse einer Mitarbeiterbefragung
170 Wolfgang Sehröder
Insbesondere das zweite Ergebnis, das nur extreme Aussagen der Mitarbeiter berücksichtigt, verdeutlicht die Rolle, die Ziel- bzw. Aufgabenvereinbarungen im Rahmen von Führung spielen. Ohne Vereinbarungen werden Ergebnisse nicht besprochen. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Analysen zwischen den Aussagen zu Ziel- und Aufgabenvereinbarungen und der Anerkennung von Leistung. Ziel- und Aufgabenvereinbarungen sind das Schlüsselinstrument zur Führung.
Ein weiteres Ergebnis, das den Nutzen von Zielformulierungen im Rahmen von Führung verdeutlicht, betrifft Bildungsbedarfsanalysen. Führungskräfte sollten die Personalentwickler ihrer Mitarbeiter sein, denn sie können deren Stärken und Schwächenaufgrund des permanenten Kontaktesam Besten erfassen. Die Umsetzung der Analyseergebnisse in Entwicklungsmaßnahmen bereitet ihnen in der Regel Schwierigkeiten, weil sie selten über ausreichendes ,,Bildungs"-Know-how verfügen. Abfragen zu notwendigen oder wünschenswerten Bildungs- und Entwicklungsmaßnahmen führen regelmäßig zu den gleichen Ergebnissen. Es werden ,,Seminare" auf den Feldern EDV, Sprachen, Fachwissen, Kommunikationstechniken und Zeitmanagement verlangt.
Eine intensivere Berücksichtigung der Bildungs- und Entwicklungsziele führt zu anderen Ergebnissen: In einem Seminar mit 12 Führungskräften wurden die Führungskräfte aufgefordert, für jeweils einen konkreten Mitarbeiter ein Entwicklungsziel zum Abbau einer Schwäche bzw. zum Ausbau einer Stärke S.M.A.R.T. zu formulieren und drei Maßnahmen abzuleiten, mit denen dieses Ziel erreicht werden kann. Von den insgesamt 36 Maßnahmen betrafen nur sechs Maßnahmen Seminare und Schulungen. Der Schwerpunkt lag auf learning on the job, Gesprächen, Begleitung durch die Führungskraft und Unterstützungsleistungen durch Kollegen. Durch die Zielformulierung war den Führungskräften klar geworden, daß durch eine Veränderung des Wissensstandes kaum Verhaltensänderungen am Arbeitsplatz erreicht werden können. Seminare und Lehrveranstaltungen sind begleitende Maßnahmen. Der Veränderungsprozeß wird am Arbeitsplatz realisiert. Das Ergebnis ist in mehreren Seminaren in ähnlicher Form eingetreten. Nur Führungskräfte aus dem Personalwesen haben dabei manchmal Schwierigkeiten. In ihren ,,mentalen Modellen" zu individuellen Entwicklungsprozessen dominiert das Seminar als alleinige Ursache für individuelle Entwicklung.
2.3 Ziele und Problemlöseverhalten
Wenn der Einfluß von Zielen nicht nur auf Führung sondern allgemeiner auf Problemlöseverhalten untersucht wird, dann ergeben sich Erkenntnisse, die mit der Quantifizierung von Zielen und mit dem Denken in Zielen als besonderer Denkprozeß zusammenhängen.
Eine Forderung von Performance Management betrifft die Meßbarkeit von Zielen: Ziele werden nur dann als richtig formuliert angesehen, wenn sie measurable, also quantitativ beurteilbar sind. Diese Forderung schafft die größten Widerstände und Schwierigkeiten (siehe dazu Sehröder 1999, S. 45), führtjedoch auch zu einem Quantensprung hinsichtlich der Effektivität von Problemlösungen. Die Effektivität
Der Einfluß von Zielen und Werten 171
wird, knapp dargestellt, durch folgende Konsequenzen der Quantifizierung von Zielen gesteigert:
- Nur wer ein Problem komplett begriffen hat und über genügend Informationen verfügt, ist in der Lage, Ziele quantitativ zu formulieren. Die quantitative Beschreibung zwingt zur intensiveren Beschäftigung mit den Ergebnissen, die erreicht werden sollen. Das Produktive an der quantitativen Formulierung ist deshalb der Formulierungsprozeß.
- Klare Ziele haben eine höhere ,,Zugkraft" als nebulöse, allgemein formulierte Vorstellungen.
- Eine ,,Leistungs"-Beurteilung ( = Beurteilung über Aktivitäten in der Vergangenheit) ist mit quantifizierten Zielen leichter möglich.
In den Jahren, in denen sich der Verfasser intensiv mit diesem Konzept beschäftigt hat, ist es in jedem Fall gelungen, Ziele quantitativ, also,,meßbar'' zu formulieren. Wer allerdings jedes Ergebnis mit einer "deutschen MaschinenbauMentalität" bis zur 5. Stelle hinter dem Komma "messen" will, der überfordert die Konzepte. Die quantitative Formulierung von Ergebnissen kann auch mit Hilfe einer Skala, Prozent-Werten oder über eine klare Ja-Nein-Entscheidung (z. B. Konzept liegt vor, liegt nicht vor) erreicht werden.
Der Zwang, Ziele meßbar zu formulieren, bringt eine weitere, interessante Erkenntnis: Die meisten Mitarbeiter und viele Führungskräfte denken in erster Linie in Aufgaben und nicht in Ergebnissen. So kommt es oft dazu, daß jeder seine Aufgaben nach bestem Wissen und Gewissen erfüllt, in der Summe jedoch die Aufgaben nicht zu dem erwünschten Ergebnis führen. Jeder ist dabei überzeugt, richtig gearbeitet zu haben, was in der Regel sogar zutrifft. Die Quantifizierung hilft deshalb beim Übergang von der Effizienz zur Effektivität. Etwas richtig zu tun (Effizienz) reicht als Maßstab für Arbeit in einer arbeitsteilig organisierten Institution heute nicht aus. Das Richtige richtig tun (Effektivität) wird zum Maß für den Arbeitserfolg. Durch die Meßbarkeit von Zielen steht die Frage nach dem, was eigentlich erreicht werden soll, permanent im Mittelpunkt. Wenn dann aus letztendlichen Ergebnissen Zwischenergebnisse und daraus Maßnahmen/Aktionen oder Aufgaben abgeleitet werden, mit denen die Ergebnisse erreicht werden sollen, dann kann der versammelte Sachverstand überprüfen, wie groß die Chance ist, die letztendlichen Ziele zu erreichen oder ob wesentliche Einflußfaktoren falsch eingeschätzt oder sogar vergessen worden sind. Eine gemeinsame Bearbeitung der Ziele im Team stellt außerdem sicher, daß auch an den Schnittstellen von Verantwortungsbereichen Aktivitäten zugeordnet werden.
Eine weitere Erkenntnis ist, daß das Denken in Zielen ein in Deutschland nicht weitverbreiteter Denkprozeß ist. Es gibt eine Vielzahl von Problemlösungstechniken (vgl. z. B. Bronner 1980). Ein seit langer Zeit bekanntes Modell stammt von Kepnerffregoe (vgl. z. B. Holtgrewe 1972), welche die Auffassung vertreten, daß auf der Basis einer intensiven Situationsanalyse jedes Problem durch einen von vier Denkprozessen lösbar ist:
172 Wolfgang Sehröder
- Ursachenanalyse (Analysen kausaler Zusammenhänge) - Alternativensuche (= Kreativitätstechniken) - Entscheidungstindung (= z. B. Entscheidungsmatrix, Entscheidungstabelle, ... ) - Ablaufplanung (= Projektrnanagement)
Erfahrungen aus Workshops zeigen, daß Ursachenanalysen im Mittelpunkt von Problemlösungsprozessen stehen. In der Regel beschreiben Gruppen zuerst das Problem. Danach suchen Sie nach den Ursachen für das Problem, um daraus Maßnahmen zur Problemlösung abzuleiten. Ein vergleichbarer Weg über die Formulierung von Zielen hat folgende Struktur: Zuerst wird die Ausgangssituation und das Problem beschrieben. Dann wird eine optimale Situation über Ziele beschrieben, in der das Problem nicht auftritt. Danach werden aus dieser optimalen Situation die Maßnahmen abgeleitet.
Wenn Arbeitsgruppen beide Strukturen als Arbeitshilfe für die Gruppenarbeit angeboten wird, wählen neun von zehn Arbeitsgruppen den Weg über die Ursachenanalyse. Kaum eine Gruppe kombiniert die Wege, indem zuerst die Ursachen präzisiert, danach die Ziele geklärt werden, um dann zu Maßnahmenvorschlägen zu kommen. Wenn man den Verlauf und das Ergebnis von Problemlösungsworkshops zwischen Gruppen vergleicht, die Ursachenanalysen durchführen und Gruppen, die über eine intensive Zieldiskussion Probleme lösen, dann ergeben sich interessante Unterschiede. Ein praktisches Beispiel soll die Unterschiede verdeutlichen:
In einem Seminar zum Zeitmanagement ging es um die Frage, was die Teilnehmer hindert bzw. fördert, die eigene Arbeitszeit effektiv zu nutzen. Es wurde zu dieser Frage eine Gruppenarbeit in zwei Gruppen mit fünf bzw. sechs Teilnehmern durchgeführt.
Arbeitsanweisung Gruppe A: Ohne Berücksichtigung des eigenen (Fach-) Know-hows und ohne Berücksichtigung der indirekten Rahmenbedingungen. Berücksichtigen Sie die Erfahrungen, die Sie in der Vergangenheit gesammelt haben. Was hindert mich persönlich daran, aus meiner Arbeitszeit das optimale Arbeitsergebnis herauszuholen?
Arbeitsanweisung Gruppe B: Ohne Berücksichtigung des eigenen (Fach-) Know-hows und ohne Berücksichtigung der indirekten Rahmenbedingungen. Stellen Sie sich vor, daß Sie aus Ihrer Arbeitszeit das optimale Ergebnis herausholen. Was trägt dazu bei und was fördert Sie, daß dieses geschieht?
Die Gruppenzusammensetzung wurde durch Abzählen vorgenommen. Um gruppendynamische Einflüsse auf das Ergebnis möglichst auszuschließen, wurden folgende Arbeitsregeln vorgegeben:
1. Schritt: Brainstorming in Einzelarbeit: Jeder schreibt jeden Behinderer/Förderer, der einfällt, auf eine Karte
2. Schritt: Alle Behinderer/Förderer (ohne Doppelnennungen) auf eine Pinwand
Gruppe A: Ursachenorientierung
Eigene Person - Nicht Nein-Sagen Können (3 x) -Drang zu 100%-Lösungen - fehlende Konzentration -Ziel, Zweck nicht immer vor Augen (6x) -Ungeduld (2x) - zu frühe Selbstzufriedenheit - zu wenig überzeugt von der eigenen Leistung - zu wenig fragen, da man meint, alles zu können - man setzt sich selbst unter Zeitdruck, man blockiert
sich selbst (3 x) - zu geringer Einsatz von Arbeitsmethoden (3 x)
Büroumfeld - Problerne mit Technik (Computer, Netzzugang, ... ) - Keine Zeit zum Nachdenken, operative Unruhe (3 x) - Arbeitslautstärke im Büro (4x) - ständiges Telefongeklingel (2 x) - fehlende Nachschlagwerke
Kommunikation, Interaktion - Informationsdefizit - Fehlende Kontakte
Führung - Wissen darüber, Blindleistung zu produzieren
(Motivation) (4x) - fehlende Zieldefinition (5 x) - Schwierigkeit, Prioritäten zu setzen - politische Auswirkungen verhindern eigene Ideen
Team - Gruppenzwang - Unterstützungsleistung anderer (3 x) - Telefondienste für andere - mangelnde Unterstützung durch Arbeitskollegen (3 x) - Feedback aktiv einfordern
Der Einfluß von Zielen und Werten 173
Gruppe B: Zielorientierung
Eigene Person -Motivation (2x) durch Erreichbarkeit, Konstruktivität,
Verbindlichkeit - Motivation, Interesse für die Aufgabe, tolles Ergebnis,
Selbstdisziplin - Konsequentes Vorgehen (Gesamtzusammenhänge,
Etappenziele) - Die Aufgaben werden bereits nach Prioritäten,
Wichtigkeit aufgeteilt) - freie Zeiteinteilung - Zeit für Nachdenken und Auswertung -Ideen, Know-how finden (2x)
Büroumfeld - Konzentration - keine Störungen, sich wohl fühlen - Störungsreduktion - Ausschalten von Ablenkungen (Lärm, Internet, Telefon,
... )
Kommunikation, Interaktion -Information, Kommunikation (6x) - Offene Kommunikation - alle relevanten Info liegen vor, bzw. kann ich an meinem
Arbeitsplatz bekommen - persönliche Kontaktaufnahme mit Fachleuten
Führung - Entscheidungsbefugnis, Abgrenzung der eigenen
Verantwortung (2 x) - Belohnung (wie auch immer) -Realistische Planung, Zeitrahmen (2x) - Aufbau einheitlicher Meßpunkte (Pünktlichkeit,
Schnelligkeit, Produktivität, Leistungsfahigkeit) - Feedback geleistete Arbeit geben, nehmen - Zeit für Kontrolle geleistete Arbeit - klare Zieldefinition - Zielsetzung, deutlich + meßbar - klare Zielvorgabe, gut definiert + strukturiert - klare Aufgabenstellung - Aufgabenstellung muß verständlich sein - Aufgaben richtig verstanden und akzeptiert
Team - Möglichkeit des Austausches (Team) - gute Stimmung (Betriebsklima, Kollegen, ... ) - Kommunikation mit Mitarbeitern, Chef - Diskussion über die Aufaben - Teamarbeit für schnellere Ergebnisse, Akzeptanz,
Implementierung, Feedback)
Abbildung 7: Ergebnisse aus 2 Gruppenarbeiten
174 Wolfgang Sehröder
3. Schritt: Behinderer/Förderer mit Hilfe von Oberbegriffen zusammenfassen
Das Ergebnis gibt Abb. 7 wieder. Die Oberbegriffe wurden nach der Gruppenarbeit vereinheitlicht, um den Vergleich zu erleichtern.
Die Ergebnisunterschiede sind eklatant. Während in der Gruppe A negative Aussagen im Mittelpunkt stehen - eben die negativen Ursachen für das Problem -, stehen in Gruppe B positive Aussagen und Vorschläge im Vordergrund. Die Ergebnisse der Gruppe, die im Mittelpunkt ihres Denkens die Zielerreichung hatte, sind differenzierter, beschreiben mehr Ansatzpunkte zur Problemlösung und berücksichtigen auch grundlegendere Einflußfaktoren.
Ähnliche Erfahrungen konnten bei allen Gruppenarbeiten gemacht werden, in denen es um die Lösung konkreter Probleme ging.
Verallgemeinernd kann über folgende Erfahrungen berichtet werden: Bei technischen Problemstellungen wird in den meisten Fällen der Weg über
intensive Ursachenanalysen zu recht gewählt und führt zu guten Ergebnissen. Über Ursachenanalysen kann geklärt werden, ob eine Abweichung zum geplanten Ergebnis schon immer vorgelegen hat oder ob, wann, wo und wie eine Abweichung eingetreten ist. Daraus ergeben sich die Ansatzpunkte, um Abweichungen in den Griff zu bekommen.
Handelt es sich jedoch um komplexe Problemsituationen, in denen z. B. auch psychologische oder gesellschaftliche Faktoren eine Rolle spielen, viele Einflußfaktoren nicht selbst beeinflußt werden können oder um Situationen, in denen UrsacheWirkungs-Verhältnisse nicht eindeutig sind oder sich durch Rückkopplungsprozesse verändern, dann führt der Weg über ausgeprägte Zieldiskussionen zu besseren Ergebnissen. Die Maßnahmenvorschläge sind:
- differenzierter, d. h. sie betreffen mehrere und unterschiedliche Problemaspekte - kreativer, d. h. gehen über ein enges Problemverständnis hinaus und berücksich-
tigen wesentlich mehr Aspekte, die einen indirekten Einfluß auf das Problem haben
- beinhalten sehr oft Vorbeugemaßnahmen, damit Probleme erst gar nicht auftreten.
Die Arbeitsprozesse in den Arbeitsgruppen, die eine intensive Ursachenanalyse insbesondere für Probleme durchführen, welche die Arbeitsgruppe selbst betreffen, zeichnen sich in der Regel dadurch aus, daß
- nach recht kurzer Zeit die Suche nach den Schuldigen beginnt - sehr oft Verteidigungen und Rechtfertigungen viel wichtiger werden als die Er-
mittlung der Ursachen - sehr schnell in beeinflußbare und nicht beeinflußbare Faktoren unterschieden
wird, wobei die Arbeitsgruppe - vermutlich aus Selbstschutzgründen - die wesentlichen Faktoren meistens als nicht beeinflußbar durch die Gruppe definiert. Probleme werden also auf andere Gruppen oder gruppenexterne Einflußfaktoren verschoben.
Der Einfluß von Zielen und Werten 175
Der wesentlichste Unterschied liegt gerade in der Grundstimmung, die sich in der Arbeitsgruppe entwickelt:
- Arbeitsgruppen mit dem Fokus Ursachenanalyse beschäftigen sich mit der Vergangenheit. Im Vordergrund stehen Probleme, Defizite, negative Auswirkungen, Versäumnisse, Fehler, Gefahren und Unzulänglichkeiten. Sehr oft hört man den Satz: ,,Hätten wir doch damals, ... ".
- Arbeitsgruppen mit dem Fokus Ziele beschäftigen sich mit der Zukunft. Im Vordergrund stehen Herausforderungen, erstrebenswerte Ergebnissen, Chancen und Risiken, potentielle Möglichkeiten. Sehr oft hört man den Satz: "Was wäre, wenn wir. .. ".
In den zuerst genannten Gruppen ergibt sich ein Klima der Enge, des Unbehagens, des "möglichst-schnell-fertig-werden-Wollens".
In zielorientiert arbeitenden Gruppen erlebt man ein offenes Klima, daß sich auch in der kreativeren Darstellung der Ergebnisse zeigt.
Der Unterschied zwischen den beiden Denkansätzen ist so groß wie der Unterschied im Verhalten von zwei Fußballmannschaften, von denen eine nicht wieder verlieren will, während die andere gewinnen will.
Nicht verlieren zu wollen, also in die Vergangenheit zu schauen
- begrenzt den zukünftigen Handlungsraum auf die Bearbeitung vergangeuer Themen
- läßt das Finden innovativer Wege und Handlungsfelder kaum zu - stellt psychologisch gesehen in erster Linie die Bearbeitung von Schwächen
dar, die wenig Spaß macht.
Gewinnen zu wollen, bedeutet
- sich ein präzises Bild zu machen von dem Zustand, der erreicht werden will - möglicherweise alte Ideen und Wege loszulassen und neue zu denken - aus diesem Zielzustand Schritten abzuleiten, mit denen dieser Zustand erreicht
werden soll.
Die Wirkungen einer intensiven Zielorientierung auf die Form der Arbeitsprozesse und die Qualität der Arbeitsergebnisse, konnte hier an nur wenigen Beispielen dargestellt werden. Sie hat sich allerdings als wesentlich herausgestellt. Zielorientiertes Denken ist ein eigener Denkprozeß zur Problemlösung und zur Vorbeugung von Problemen.
3 Erfahrungen auf dem Feld der Werte
3.1 Grundlagen
Mit dem theoretischen Hintergrund von Werten hat sich der Verfasser in den 80er Jahren am Lehrstuhl von Prof. Dr. Rolf Bronner im Rahmen empirischer Entscheidungsforschung beschäftigt. Nach einer vielzitierten Definition von Kluckhohn sind
176 Wolfgang Sehröder
Werte eine explizite oder implizite, für ein Individuum oder eine Gruppe charakteristische Konzeption des Wünschenswerten ( desirable ), welche die Auswahl unter verfügbaren Handlungs-Arten, -Mitteln und -Zielen beeinftußt (Kluckhohn, 1951).
Werte unterstützen bei der Beschreibung, der Bewertung, der Planung und beim Schlußfolgern. Sie sind wesentliches Element des Selbst-Wertgefühls, der SelbstAchtung und des Selbst-Bewußtseins. Faktoren also, die, wenn man Dörner (1989) folgt, wichtige Merkmale guter Botscheider darstellen. Wenn Ziele durch Werte beeinfloßt werden, ist es nützlich, Erfahrungen zur Erfassung und zur Wirkung von Werten zu sammeln.
Ein Instrument zur Erfassung von Werten ist der Fragebogen von Rokeach (1973). Rokeach unterscheidet terminale Werte (letzendliche Lebensziele) und instrumentale Werte (wüschenswerte Verhaltensweisen). Für beide Wertekategorien hat Rokeach Listen mit jeweils 18 Wert-Begriffen entwickelt (Abb. 8), die nach Wichtigkeit als Rangreihe in ein Rasterblatt geordnet werden.
EIN ANGENEHMES GLEICHHEIT EHRGEIZIG LEBEVOLL LEBEN - - -... _
glek:M dwlce fQr ... - --EIN AIJFREGENJES Gl.OCKucHSEJN EHIILICH LOGISCH
LEBEN - - -... _ - ---EllE WELT DES IHNEIE HAIIIIOfiE FAIIG MUTIG
SCHONEN lrelvonn.enlcOnllklen - ... __ _ .. - -,_..,....,..
EINEWELT IN NA"IICINALE FANTASIEVOLL ~ER
FfiEDEN SICHERHEIT - ....... om.krlegundkclnfllcl
_..,_ - -EilLOsuNG REFE FRÖHLICH SELBS111EHEIIRSCHI" --- UEBESBEZEHUNG - --_ ... ...... ----
FREIHEIT SELBSrAafiUNG GEHORSAM TOLERANT -- rapekt vor *" lllllblll - -- -GEFOtl., ETWAS SICtERHEII" HLFREICH UNA8HANGIG
GELEISJEI" ZU HABEN F0R DIE FAMI.E llehiOrduwahl ---... __ llchumdekllrniMm. -- ---........ -
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GENUSS WAHRE HÖFl.JQI VERANTWOR11JNGS ·~lnm&61, FREUNDSCHAFT - BEWUSST
... __ --- - --OESELLSCHAFIUCt WEISHEIT INTELLEimJELL YERSÖHNJQf
ANERKENNUNG ... -- ..... - ---- ... _ -.. -Abbildung 8: Die Werte-Begriffe des Rokeach-Werte-Fragebogens
Der Einfluß von Zielen und Werten 177
Die sich so ergebenden Wertestrukturen sollen einen Einfluß auf individuelles Verhalten und damit auch auf Entscheidungsverhalten haben. Im Rahmen von Laborexperimenten konnte der Einfluß von Leistungs-Werten in Problemlöseprozessen belegt werden (Schröder, 1985, 1987). So unterscheiden sich Versuchspersonen, die mit Hilfe des Rokeach-Werte-Fragebogens entsprechend ihrer hohen bzw. niedrigen Leistungswertorientierung unterschieden worden waren, signifikant u. a. hinsichtlich
- ihres Informationssuchverhaltens in Entscheidungsprozessen - ihres Entscheidungsverhaltens in Wahlsituationen - der empfundenen Leistungsfähigkeit und Ermüdung vor und nach Entschei-
dungssituationen.
Ebenfalls bemerkenswert ist die hohe Konfliktintensität zwischen Vertretern beider Gruppen. Die Verhaltenswirksamkeit von Werten konnte also im experimentellen Feld nachgewiesen werden. Welchen Einfluß haben Werte in der betrieblichen Praxis?
3.2 Individuelle Werte und Führung
Führungsverhalten wird beeinflußt von den Rahmenbedingungen für Führung, der Führungssituation, und von verhaltenssteuernden Persönlichkeitsfaktoren. In Führungstrainings sollen deshalb Führungskräfte oder Führungsnachwuchskräfte nicht nur moderne Systeme, Instrumente und Techniken zur Mitarbeiterführung kennenlernen, sondern auch über ihre individuellen Verhaltensgrundlagen zur Führung reflektieren. Die Beschäftigung mit den eigenen Verhaltensgrundlagen bringt allerdings mehr als einen Erkenntnisgewinn. Wenn neues Wissen zwar intellektuell verstanden, aber nicht ins eigene Verhaltensrepertoir übernommen wird, sinkt die Wahrscheinlichkeit, daß neu erlerntes Wissen nach dem Seminar auch umgesetzt wird. Eine Mindestvoraussetzung, um Verhaltensänderungen oder -anpassungen bei Teilnehmern anzustoßen, besteht darin, Betroffenheit zu erzeugen. Was eine Person nicht betrifft, ist auch nicht wichtig. Betroffenheit kann bei erwachsenen Menschen u. a. über Feedback-Informationen zum eigenen Verhalten erzeugt werden. So ist z. B. die Videoaufzeichnung des eigenen Kommunikationsverhaltens in Verhandlungssituationen der Auslöser von Verhaltensänderungen, wenn das eigene Verhalten beobachtet werden kann und als verbesserungswürdig empfunden wird. Glaubt man einer alten Volksweisheit, dann ist Selbsterkenntnis der erste Schritt zur Besserung.
Da Werte, wie im Laborexperiment nachgewiesen, verhaltenswirksam sind, lohnt es sich mit Hilfe des Rokeach-Fragebogens, den Seminarteilnehmern Feedbackinformationen über ihre persönliche Wertestruktur und die Konsequenzen für persönliches Führungsverhalten zu geben. Die Seminarteilnehmer bearbeiten deshalb den Fragebogen, der anonymisiert eingesammelt und zu einer Rangreihe mit Hilfe von Medianberechnungen zusammengefaSt wird. Einige Zeit später erhalten sie ein zweites Exemplar des Bogens. Nun sollen sie sich in einen ihrer Mitarbeiter
178 Wolfgang Sehröder
30 Führungs- Signifikanz Einschätzung Terminale Werte kräfte Mitarbeiter
Median Median
Sicherheit für die Familie 2 4 Selbstachtung 3,5 0,0007 7 Freiheit 5 0,0008 11 Innere Harmonie 5 0,0017 8 Gefühl etwas geleistet ... 5 0,0701 7 Glücklichsein 5,5 5 Reife Liebesbeziehung 9 10,5 Gesellschaft!. Anerkennung 9 0,0201 4,5 Wahre Freundschaft 9,5 8 Weisheit 10 0,0008 16 Welt in Frieden 11 9,5 Nationale Sicherheit 11,5 11,5 Aufregendes Leben 12 9,5 Angenehmes Leben 12,5 0,0019 4 Ge nuß 14 0,0044 10 Gleichheit 14 13,5 Welt des Schönen 14,5 15 Erlösung 18 18
30 Führungs- Signifikanz Einschätzung Instrumentale Werte kräfte Mitarbeiter
Median Median
Ehrlich 3 3 Verantwortungsbewußt 3 4 Fähig 6 0,0177 4 Tolerant 7,5 9 Mutig 8 11 Fantasievoll 8 0,0201 13 Logisch 8,5 9,5 Unabhängig 9 10,5 Ehrgeizig 9,5 0,0707 5,5 Intellektuell 9,5 0,0199 14 Fröhlich 10 11,5 Selbstbeherrscht 10,5 9,5 Liebevoll 11 12,5 Versöhnlich 12 13,5 Hilfreich 13 8 Höflich 14 0,0201 9,5 Sauber 14 11,5 Gehorsam 16,5 0,0388 8
Abbildung 9: Ergebnisse Werteabfragen in Seminaren
Der Einfluß von Zielen und Werten 179
hineinversetzen und den Bogen so bearbeiten, wie sie glauben, daß der Mitarbeiter ihn bearbeiten würde. Diese Fremdeinschätzung der Mitarbeiter wird ebenfalls zu einer gemeinsamen Rangreihe verdichtet. Abb. 9 zeigt die Ergebnisse von drei Seminaren mit Führungskräften, die zusammengefaßt wurden.
Die Schlüsselfrage lautet: Warum ergeben sich bei bestimmten Werten Unterschiede in der Selbst- und Fremdeinschätzung? Zu den meisten Werten können sinnvolle Erklärungen erarbeitet werden. Abb. 10 zeigt drei Werte, die praktisch in jedem Seminar, in dem der Fragebogen eingesetzt wurde, eklatante, meist sogar signifikante Unterschiede aufweisen.
Werte-Vergleich Führungkräfte Mitarbeiter Mitarbeiter Führungskräfte
IST Sig. Vermutung IST Sig. Vermutung
12,5 0,002 4 Angenehmes Leben 13 0,003 8
Gesellschaftliche 9,0 0.020 4,5
Anerkennung 12 0,000 4
9,5 0,071 5,5 Ehrgeizig 10 0.001 3
Abbildung 10: Wertedifferenzen Selbst-Fremd-Einschätzung
Besonders interessant ist, daß auch in Seminaren mit Nachwuchskräften, die eine Fremdeinschätzung zu ihren Vorgesetzten durchgeführt haben, diese Werte ebenfalls sehr starke Abweichungen aufweisen. Schon durch oberflächliche Analyse kann der Zusammenhang zwischen Werten, Selbst-Fremd-Einschätzung und Führungssituation erklärt werden. Dem jeweils anderen Beteiligten wird unterstellt, daß er
- größeres Gewicht auf ein angenehmes Leben legt (sich also bei der Arbeit möglicherweise auf Kosten des Anderen schont)
- gesellschaftliche Anerkennung höher gewichtet (also möglicherweise Lob für gemeinsam erreichte Ergebnisse für sich in Anspruch nimmt)
- ehrgeiziger ist (also eigenes Fortkommen für wichtiger hält)
Außerdem ist bemerkenswert, daß zwischen den Selbsteinschätzungen von Führungskräften und Mitarbeitern keine signifikanten Unterschiede bei den drei Werten bestehen. Es handelt sich hierbei also um ein klassisches Vorurteil oder mentales Modell, das die hochkomplexe und schwierige Führungssituation noch weiter kompliziert.
Weil die Teilnehmer diese Ergebnisse an den eigenen Unterlagen nachvollziehen können, werden mit Hilfe dieses Datenfeedbacks wichtige Führungsgrundlagen transparent und es werden Fragen provoziert:
- Welchen Einfluß haben meine Überzeugungen auf mein Führungsverhalten? - Sind diese Überzeugungen produktiv? - Was sollte ich tun, damit diese Fremdeinschätzungen die Zusammenarbeit und
Führung nicht belasten?
180 Wolfgang Sehröder
- Welche Überzeugungen beeinflussen ebenfalls Führung und Zusammenarbeit?
Mit Hilfe der Erfassung und Interpretation individueller Werte können Verhaltensursachen transparent gemacht und mindestens Nachdenklichkeit, wenn nicht sogar Betroffenheit erzeugt werden. Insbesondere die Fremdeinschätzung eröffnet auch die Möglichkeit, unternehmensspezifische Vorurteilsstrukturen- ob als fördernd oder als hemmend interpretiert- diskussionsfähig zu machen.
3.3 Individuelle Werte und Persönlichkeitsentwicklung
Der gleiche Ansatz ist auch in einigen Seminaren zum Selbstmanagement gewählt worden. Das Seminar ,,Zukünfte entwickeln" richtet sich an Mitarbeiter oder Führungskräfte im Alter von 4~5 Jahren, also an Personen, die mitten im Berufsleben stehen. Gerade in diesem Alter soll sich ja eine der Midlife-Krisen abspielen. Mit Hilfe der Wertebetrachtung soll angeregt werden, über Entwicklungsprozesse nachzudenken. Es werden die Ist-Werte-Strukturen der Teilnehmer mit den Wertestrukturen verglichen, welche die Teilnehmer glauben, im Alter von 20 bis 25 Jahren gehabt zu haben. Abb. 11 zeigt Ergebnisse aus drei zusammengefaSten Seminaren.
Abgesehen von der individuellen Auswertung, die gerade bei dieser Fragestellung von besonderem Wert ist, können generelle Unterschiede in der Seminargruppe zur Value Clarification und zur Erklärung von offenen Fragen herangezogen werden. Interessant ist, daß die Teilnehmer mehr Veränderungen bei den letztendlichen Lebenszielen als bei den Verhaltensweisen produzieren. Die Diskussion des hochsignifikanten Unterschiedes zum Wert ,,Aufregendes Leben" ist sehr erkenntnisreich. Wer, wie die Teilnehmer ,Jn der Mitte des Lebens" steht und sich im Seminar darüber beklagt, daß die gegenwärtige Lebenssituation gekennzeichnet sei von Routine, eingefahrenen Gleisen oder sogar Langeweile, der wird sicherlich über den eigenen Beitrag zu dieser Situation nachdenken, wenn er den Bedeutungsverlust des Wertes ,,Aufregendes Leben" analysiert und eine Ursachenanalyse durchführt.
Mit den ausgewählten Beispielen sollen einerseits Einsatzmöglichkeiten von Wertekonzepten skizziert werden. Andererseits zeigt insbesondere das Beispiel zur Führung, daß es wirksame mentale Modelle gibt, die auf diesem Weg nachweisbar sind, die Führungssituation betreffen und Führungserfolg nicht unbedingt steigern.
4 Konsequenzen und Ausblick
Im Mittelpunkt unternehmerischer Herausforderungen steht am Anfang des 21. Jahrhunderts die erfolgreiche Reaktion auf unternehmensexterne Veränderungen. Einige Beispiele sollen Schwerpunkte andeuten:
- Kundenerwartungen werden wichtiger. Ein Unternehmen wie Wal-Mart handelt extrem kundenorientiert und wächst deshalb dreimal so schnell wie vergleichbare Unternehmen bei einem doppelt so hohen ROCE (Return on Capital Employed).
Der Einfluß von Zielen und Werten 181
30 Teil- Signifikanz Einschätzung Terminale Werte nehmer Werte vor 20 J.
Median Median
Selbstachtung 1 0,0472 6 Sicherheit für die Familie 4 0,0169 13 Freiheit 5 2 Glücklichsein 5 7 Innere Harmonie 6 0,0472 10 Reife Liebesbeziehung 6 7 Gefühl etwas geleistet ... 7 0,0169 12 Gesellschaft!. Anerkennung 9 14 Wahre Freundschaft 9 5 Weisheit 9 14 Aufregendes Leben 11 0,0012 3 Welt des Schönen 11 11 Angenehmes Leben 12 7 Welt in Frieden 12 8 Genuß 14 9 Nationale Sicherheit 14 15 Gleichheit 15 0,0048 9 Erlösung 18 18
30 Führungs- Signifikanz Einschätzung Instrumentale Werte kräfte Mitarbeiter
Median Median
Verantwortungsbewußt 2 0,0000 10
Ehrlich 3 4 Tolerant 4 9 Unabhängig 6 8 Fähig 7 8 Mutig 7 6
Fantasievoll 8 7 Intellektuell 8 7 Liebevoll 9 11 Hilfreich 10 7 Logisch 10 10 Fröhlich 11 6
Höflich 11 12
Versöhnlich 12 14
Ehrgeizig 13 9
Selbstbeherrscht 15 15
Gehorsam 17 17
Sauber 17 17
Abbildung 11: Wertevergleich Ist-Situation- Vermutung Werte vor 20 Jahren
182 Wolfgang Sehröder
- Die gesellschaftliche Einflußnahme auf unternehmerisches Handeln nimmt zu. Peanuts, Elch-Tests, die Verarbeitung gentechnisch veränderter Grundstoffe in Müsliriegeln oder ein gestrandeter Öltanker finden sich wochenlang in der Presse wieder und haben einen langfristigen Imageschaden zur Folge.
- Der Wettbewerb wird intensiver. Internet und Intranet eröffnen völlig neue Kunden-Lieferanten-Beziehungen, zerstören Informationsmonopole und bieten Wege, das intellektuelle Potential von Unternehmen besser auszuschöpfen. Erfindungen oder Entwicklungen, die sich auf Kosten und Leistungen auswirken, drängen mit einer immer größeren Geschwindigkeit auf die Märkte. Globalisierungstendenzen führen dazu, daß der Konkurrent nicht mehr aus der nächsten Stadt, sondern aus einem anderen Erdteil kommt.
Dieser Veränderungsdruck muß in Unternehmen aufgenommen und umgesetzt werden. Der Veränderungsdruck wird allerdings durch unternehmensinterne Veränderungsprozesse weiter erhöht, z. B.
- durch Konsequenzen von Unternehmensübernahmen, -Zusammenschlüssen, die immer auf den Aufbau, Abbau oder Umbau von Strukturen, Bereichen und Stellen hinauslaufen und zwangsläufig langjährig gewachsene Unternehmenskulturen und -identitäten in Frage stellen.
- durch EDV-Systeme wie denen von SAP oder Qualitätssicherungssysteme wie ISO 9000, die mühelos komplette Belegschaftsteile mit Arbeit auslasten und ebenfalls Strukturen und Prozesse verändern.
- durch im Durchschnitt höher qualifizierte Mitarbeiter und Führungskräfte, die wesentlich höhere und oft sehr divergierende Erwartungen ( d. h. auch Ziele und Werte) hinsichtlich Arbeitsinhalte, Arbeitsbedingungen und persönliche Entwicklungsmöglichkeiten haben.
Im Mittelpunkt Unternehmerischen Handeins am Anfang des 21. Jahrhunderts steht deshalb die Erhaltung und die Steigerung der Veränderungsfähigkeit und der Veränderungsbereitschaft in Unternehmen.
Der effektive Umgang mit Veränderungsprozessen wird sich zur Schlüsselkompetenz für die Überlebensfahigkeit von Unternehmen entwickeln.
Peter Senge ( 1996) hat einen guten Überblick zu den Faktoren gegeben, die eine lernende Organisation ausmachen (Abb.12).
Die fünf Disziplinen einer lernenden Organisation -Visionen - Systemdenken - Mentale Modelle - Teamlernen - Personal Mastery
Abbildung 12: Fünf Disziplinen einer lernenden Organisation
Der Einfluß von Zielen und Werten 183
Letztendlich betreffen alle Disziplinen aber drei grundlegende Fragen:
- Wohin soll sich das Unternehmen verändern? - Wie können die Veränderungswiderstände überwunden werden? - Mit welchen Strategien und Methoden können Veränderungen erfolgreich rea-
lisiert werden?
4.1 Das Denken in Zielen und der Einftuß auf Veränderungsprozesse
Wenn es um Veränderungsprozesse geht, ist Lernen nicht Selbstzweck. Im Mittelpunkt steht die Realisation der Veränderung. Das Denken in Zielen ist eine wesentliche Voraussetzung zur erfolgreichen Gestaltung von Veränderungsprozessen. Die Wirkung von Zielen in Führungs- und Problemlöseprozessen ist in Kapitel 2 mit Hilfe von Beispielen dargestellt worden. Die Visualisierung von zukünftigen Entwicklungen, die Konkretisierung von erstrebenswerten Zielen (Meßbarkeit) und die Ableitung von Aktivitäten, die sehr wahrscheinlich zu diesen Zielen führen werden, sind ein konstruktiver Weg, Veränderungsnotwendigkeiten zu ermitteln und Veränderungsmaßnahmen einzuleiten. Im Grunde wird ein Benchmarking durchgeführt. Allerdings nicht mit anderen Unternehmen, deren Wege man nur "kapieren aber nie kopieren" kann, sondern mit dem eigenen Unternehmen auf der Basis von Wünschen und mehr oder weniger begründeten Annahmen über zukünftige Entwicklungen.
Wenn Senge feststellt (1996, S.22), daß die meisten amerikanischen Manager auf die Überzeugung hin konditioniert sind: "Wir werden unsere Vision verwirklichen", kann das für deutsche Manager als nicht unbedingt zutreffend übernommen werden. Vielleicht liegt es in unserer Natur, lieber tiefgründige Ursachenanalysen durchzuführen. Wir sind damit allerdings in der Lage, ,,Made in Germany" zu einem weltweit geschätzten Qualitätsbegriff für technische Problemlösungen zu machen. Für komplexe Probleme, z. B. einer Verbesserung der Kundenorientierung, reicht Ursachenanalyse nicht aus und muß ergänzt und sogar durch eine intensive Beschäftigung mit zukünftigen Entwicklungen und Zielen überlagert werden.
Die schönste Beschreibung der Wirkung von Zielen in Veränderungsprozessen hat Saint-Exupery geliefert: "Wenn Du ein Schiff bauen willst, so trommle nicht Männer zusammen, die Holz beschaffen, Werkzeuge vorbereiten, Holz bearbeiten und zusammenfügen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach der Weite des Meeres."
Wenn Ziele akzeptiert, in Aktivitäten umgesetzt werden und die Zielerreichung überprüft wird, dann werden Energien gebündelt und es ergibt sich eine gemeinsame Orientierung. Ziele haben also eine Lenkungsfunktion.
Außerdem entstehen bei den Beteiligten Gefühle der
- Betroffenheit hinsichtlich des notwendigen Veränderungsbedarfes - Verantwortung für eigenes, aktives Handeln - Beachtung der eigenen Bedeutung durch die Einbeziehung in die Prozesse zur
Zielerreichung
184 Wolfgang Sehröder
Es stehen in der Regel nicht die notwendigen individuellen, das persönliche Verhalten betreffenden Veränderungsprozesse im Mittelpunkt. Ansatzpunkt ist die Veränderungen der Rahmenbedingungen, die individuelles Verhalten mindestens genauso intensiv, wenn nicht sogar stärker beeinflussen als Persönlichkeitsmerkmale.
Wenn individuelle Verhaltensänderungen im Mittelpunkt stehen, überwiegen bei den Betroffenen sehr oft Gefühle des Versagens, der Kritik am bisherigen Verhalten und der Unterordnung unter denjenigen, der den Veränderungsbedarf ermittelt und scheinbar schon vollzogen hat. Das kann ein unterstützender oder sogar letzter Schritt sein, um Verhaltensänderungen zu fördern und zu fordern, um Probleme abzustellen oder Ziele zu erreichen. Wenn letztendliche Ziele der Institution im Mittelpunkt stehen, öffnen sich Horizonte.
4.2 Zielorientierte Fühmng
In Kapitel 2.1 ist ein Konzept zur Umsetzung zielorientierter Führung skizziert worden. Dieses Konzept muß für Unternehmen maßgeschneidert sein. Außerdem handelt es sich um ein wachsendes Konzept, das seine volle Leistungsfähigkeit frühestens nach zwei bis drei Jahren erreicht. Der wesentliche Einführungswiderstand ist die Abneigung vieler Führungskräfte gegenüber produktiven Umweghandlungen (vgl. Abb. 13)
Problem
j Problemlösung
Produktive Umweghandlung
Abbildung 13: Produktive Umweghandlungen
Direkte und schnelle Lösungen stehen oft im Mittelpunkt. Der Ausspruch ,,Beschreiben Sie mir nicht Ihre Probleme, sondern Ihre Lösungen" bringt diese verbreitete Denkhaltung "taffer'' Manager umgangssprachlich auf den Punkt. Natürlich ist bei dringenden Problemen dieser Ansatz richtig. Bei wichtigen Problemen sollte man sich frühzeitig und im Vorfeld viel Zeit nehmen, damit wichtige Probleme nicht dringend werden. Jeder gute Landwirt weiß, daß eine reiche Ernte von vielen Faktoren abhängt, die er nur wenig beeinflussen kann, wie z. B. Sonne, Regen, Temperatur oder SchädlingsbefalL Was kann er beeinflussen? Er kann zur richtigen Zeit aussäen, so daß die Saat weder erfriert, noch zu wenig Zeit zur Reife hat. Er
Der Einfluß von Zielen und Werten 185
kann aber im Vorfeld des Säens entscheidend eingreifen, indem er das für ihn beste Saatgut aussucht, denn aus schlechtem, ungeeignetem Saatgut ist noch nie eine gute Ernte erwachsen. Außerdem kann er vor dem Säen den Boden intensiv bearbeiten, denn nur aus einem guten, nährstoffreichen, lockeren Boden wächst eine reiche Ernte.
Wesentliche Einflußfaktoren für den Erfolg von Arbeit liegen also im Vorfeld der eigentlichen Arbeit. Wenn also komplexe Problemstellungen mit größerem Erfolg und in kürzerer Zeit gelöst werden sollen, dann sollte man produktive Umwege gehen und sich an der richtigen Stelle, nämlich am Anfang, viel Zeit lassen. Der zeitliche Aufwand für die Zielfindung, -auswahl und -formulierung im Team, einschließlich der Vereinbarung von Zielen, ist bei konsequenter Zielverfolgung eine hervorragende Investition.
Ein praktisches Beispiel soll diese Argumentation unterstützen: In Seminaren mit Mitarbeitern mache ich immer den "Kügelchen-Test". Jeder Teilnehmer bekommt 10 Kügelchen, die jeweils 10 % der Arbeitszeit repräsentieren. Verdeckt, also anonym, sammle ich die Zeit-Kügelchen ein, von denen die Teilnehmer behaupten, sie repräsentieren die Zeit, die unproduktiv, unsinnig, ziellos und sinnlos eingesetzt wird. Im Durchschnitt bekomme ich pro Teilnehmer 4 Kügelchen. Mitarbeiter sagen also selbst, daß 40 % ihrer Arbeitszeit nicht zu produktiven Ergebnissen führt.
Es ist schon interessant, daß in einer Zeit wachsender Herausforderungen und zunehmenden Kostendrucks kreative Potentiale und ,,Arbeitsenergien" nicht genutzt, aber bezahlt werden.
4.3 Veränderungsstrategien
Zuerst soll auf konkrete Veränderungsstrategien in Unternehmen eingegangen werden, um dann den Beitrag mit einer Darstellung der strategischen Bedeutung von Werten für Veränderungsprozesse zu beenden.
Der wohl größte Veränderungsbedarf wird sich bei den Konzepten und Methoden zur Gestaltung von Veränderungsprozessen ergeben. Wendet man das Knowhow Zielorientierter Führung auf Bildungs- und Entwicklungsmaßnahmen an, dann wird die Beurteilung der Effektivität von Maßnahmen (das Richtige richtig tun) wichtiger werden, als die Beurteilung der Effizienz von Maßnahmen (etwas richtig tun). Konkret bedeutet das, daß nicht mehr die interne Qualität einer Maßnahme aus dem ,,Lernfeld" als Beurteilungmaßstab benutzt wird, sondern die Konsequenzen der Maßnahme im ,,Arbeitsfeld" als Beurteilungsmaßstab herangezogen werden müssen (Bronner, Schröder, 1983). Das hat Auswirkungen auf die Auswahl der Veränderungsmethodik, die Verfahren der Beurteilungsmethodik und die fachliche Beherrschung von Veränderungsstrategien.
Im Vordergrund der Methoden zur Initiierung und Realisation von Veränderungsprozessen stehen heute Informationen in Form von Broschüren, Analysen oder Bekanntmachungen über die Veränderung (Veränderungsbedarf, Ursachen, Vorschläge) und die individuelle Weiterbildung in Form von Kursen oder Seminaren. Immer dann, wenn die Erreichung des Veränderungszieles eine Verhaltensänderung
186 Wolfgang Sehröder
bei den betroffenen Personen voraussetzt, stoßen diese Methoden an ihre Grenzen. Konkretes, individuelles Verhalten entwickelt sich, wie schon ausgeführt, nur im Zusammenspiel von individuellen Persönlichkeitsfaktoren und den Einflüssen der Situation, d. h. den Rahmenbedingungen für Verhalten. Weil durch effiziente Kurse persönliche Verhaltensgrundlagen (möglicherweise) verändert werden können, die konkrete Situation aber nicht verändert wird, wird sich ein konkretes, anderes Verhalten in der Situation nicht oder nur marginal einstellen. Deshalb sind viele Bildungsmaßnahmen in Form von Seminaren und Kursen möglicherweise sehr effizient unter dem Gesichtspunkt der Informationsvermittlung, aber gleichzeitig nicht effektiv hinsichtlich der konkreten Verhaltensänderung am Arbeitsplatz. Dieser Unterschied wird, wie auch mit einem Beispiel dargestellt, sofort deutlich, wenn zielorientiert gedacht wird. Wenn es darüber hinaus stimmt, daß über 80% der Ursachen für unproduktives Verhalten in den Rahmenbedingungen und nicht in den Akteuren des Systems liegen, dann müssen Unternehmen intensiv über ihren "Strategiekasten" nachdenken und eine möglicherweise zu starke Ausrichtung auf Bildungsveranstaltungen korrigieren. Dieses Umdenken erfolgt zur Zeit, denn die generelle Effektivität z. B. von verhaltensorientierten Seminaren und Bildungsveranstaltungen ist schon länger, insbesondere in den Unternehmensleitungen, in der Diskussion. Der "Strategiekasten" der Veränderungsexperten muß mit Methoden der Teamentwicklung, der Organisationsentwicklung und der Systementwicklung (Schröder, 1999) aufgefüllt werden, damit zwischen den Veränderungsstrategien ergebnisorientiert ausgewählt werden kann (Abb. 14).
Ansatzpunkt: Individuum
Aus- und Weiterbildung
Ansatzpunkt: Rahmenbedingungen
Systementwicklung
i Verändc-
rungs-prozesse
durch
Ansatzpunkt: Teams, Bereiche
Team-, Organisationsentwicklung
Abbildung 14: Veränderungsstrategien
Wenn es um die Gestaltung von übergreifenden Veränderungsprozessen geht, spielt die Veränderung der Rahmenbedingungen eine Schlüsselrolle. Im Mittelpunkt stehen nicht nur die Unternehmensprozesse sondern auch die Systeme im Unternehmen. Systeme sind ganzheitliche Konzepte, die möglichst alle Elemente und Beziehungen berücksichtigen, die zwischen den Elementen, zu den Rahmenbedingungen
Der Einfluß von Zielen und Werten 187
oder zu anderen Systemen bestehen. Management-Systeme benötigen in der Regel folgendes Systemwissen:
- Know-how zum Systemkern (Systemziele, Hintergrundinformationen und Erfahrungen zur Gestaltung, Einführung und zum ,,Betrieb" von Systemen).
- Know-how zur Prozeßgestaltung (Gesamt- und Teilprozesse, Einbindung in Rahmenbedingungen und andere Prozesse).
- Know-how zu Methoden und Instrumenten, die verwendet werden sollen.
Viele Management- und Führungsaktivitäten sind in der Vergangenheit unter Systemgesichtspunkten unvollständig durchdacht worden. Beispielsweise ist in vielen Institutionen eine Unterlage zum Mitarbeitergespräch (= Instrument) bis ins De
tail ausformuliert worden. Die Verknüpfung mit den Bereichs- /Unternehmenszielen oder die Gestaltung der Prozesse, die vor und nach dem Mitarbeitergespräch ablaufen müssen, damit es effektiv wird, waren nicht Teil des Systems. Außerdem wird oft nicht berücksichtigt, daß durch die Gestaltung der Inhalte zusätzliche Ergebnisse produziert werden. So hat z. B. die "interne Veröffentlichung von Zielen" Auswirkungen auf die Genauigkeit der Zielformulierung und die Nachhaltigkeit der Zielerreichungsaktivitäten.
Die Herausforderung bei der Gestaltung von Systemen besteht darin, daß trotz
der analytischen Trennung, Systeme ganzheitlich gedacht und konstruiert werden müssen, damit sie letztendlich funktionieren. Systemziele und -Strukturen, Prozeßgestaltung, Methoden/Instrumente und Hintergrundwissen sind eng miteinander verbunden, beeinflussen sich gegenseitig und besitzen komplexe UrsacheWirkungsverhältnisse.
Produktive Umwegprozesse betreffen nicht nur Zielorientierte Führung sondern auch die Beschäftigung mit Wertestrukturen in Unternehmen. Über die mit Hilfe von Beispielen dargestellten konkreten Auswirkungen von Werten hinaus sollte untersucht werden, ob es in Unternehmen stabile, um nicht zu sagen, verkrustete Überzeugungen, überkommene mentale Modelle gibt, die erfolgreiche Veränderungsprozesse verhindern. Das ist natürlich eine Umweghandlung, die ihre Produktivität nicht sofort unter Beweis stellt, weil sie langfristig wirkt, dafür aber um so grundlegender. Folgende Fragen zu Überzeugungen könnten interessant sein:
- Welchen Wert hat die Organisationsstruktur im Unternehmen? Gemäß der bayrischen Weisheit ,,My home is my Kasterl", definieren sich viele Führungskräfte über Rang und Titel. Insbesondere Unternehmenszusammenschlüsse laufen bis zu dem Zeitpunkt zügig ab, wo es daran geht, die vorhandenen Köpfe auf die sinnvollerweise weniger werdenden Kästchen zu verteilen. Von da ab gibt es Streit, weil Gewinner und Verlierer produziert werden. Müßte es in einer Zeit überlappender (crossfunctional) Teams, virtueller Unternehmen und kundenorientierter Handlungszwänge nicht andere Formen der Anerkennung geben, z. B. die Unterscheidung von (stabileren) Führungskreisen und (sich schnell
verändernden) Berichtsstrukturen? - Welchen Wert sollte ergebnisorientierte Bezahlung haben? - Welchen Wert hat Führung?
188 Wolfgang Sehröder
- Welche gesellschaftspolitische Verantwortung können und sollen Unternehmen übernehmen?
- Welchen Wert hat der Kunde im Unternehmen? - Welchen Einfluß haben interkulturelle (Wert-) Unterschiede aufkonkretes Han-
deln?
Es können mühelos weitere Fragen aufgelistet werden, die an "Grundfesten" unternehmerischer Gestaltung rütteln können. Wenn Unternehmen wie Nokia Topmanager für ein Jahr in Klausur senden, um strategische Fragen kompetent zu beantworten, dann zeigt sich hier die Bedeutung langfristigen Denkens und produktiver Umweghandlungen in einer Zeit, die immer schneller zu Veränderungsprozessen zwingt. Um schneller zu werden und um erfolgreich zu bleiben, müssen Unternehmen bei Grundsatz- und Planungsthemen intensiver und deshalb langsamer werden. Wenn Untersuchungen zum Imitationsschutz unterschiedlicher Formen von Knowhow (vgl. Sattelberger, 1989) berücksichtigt werden, benötigt der Aufbau komplexer Formen von Know-how mehr als vier bis fünf Jahre (Abb. 15).
Artdes Know-hows
Verhaltensorientierte Fähigkeiten
Konzep-tionelle Fähigkeiten
Technische Fähigkeiten
Werte, Untemebmenskultur, intensiver Einsatz aller individueller Leis tenziale
I Marketing-Konzeption Personalentwicklungs-Konzeption
I Aufbau- und Ablauforganisation
I Fertigungsverfahren
2 3 4 5 6 7 inJahren
Abbildung 15: Imitationsschutz von Know-how
Eine Ursache für diesen langen Zeitraum liegt in der unumgänglichen Notwendigkeit, individuelles Verhalten zu verändern. Eine weitere Ursache liegt allerdings auch in der Nutzung von Veränderungsstrategien, die beim Individuum ansetzen (Weiterbildung, Information). Es wird versucht, individuelles Verhalten im Einzelfall und direkt zu verändern. Das braucht seine Zeit und ist kaum in allen Fällen erfolgreich. In diesem Beitrag sind mit Hilfe von Beispielen indirekt wirkende Maßnahmen/Strategien beschrieben worden, die an den Rahmenbedingungen von Verhalten ansetzen. Wenn das geeignete Know-how in Form durchdachter Systeme eingesetzt wird, dann sind Veränderungsziele nicht nur erreichbar, sondern auch in einer viel kürzeren Zeit zu erreichen. Die Grundvoraussetzung zum (flächendeckenden) Erfolg in Institutionen besteht allerdings darin, daß die Leitung der Institution
Der Einfluß von Zielen und Werten 189
z. B. ein System Zielorientierter Führung als verbindlich erklärt, trägt und die Einhaltung sicherstellt. Das wird sie nur dann, wenn sie vom Nutzen überzeugt ist und bei ihren Zielsetzungen berücksichtigt, womit wir wieder am Anfang des Beitrags wären.
Literatur
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1999.
Analyse von Entscheidungsprozessen in Konferenzen
Karl-Klaus Pullig
1 Konferenzen als typisches Koordinationsinstrument heutiger Organisationen
In der organisationswissenschaftlichen Literatur werden typische Koordinationsformen unterschieden. Nach dem Grad der Entscheidungszentralisation bzw. Dezentralisation ordnet z. B. Schulte-Zurhausen (1999, 210) wie folgt (vgl. Abb. 1).
Entscheidungszentralisation
Persönliche Weisungen
Standardisierung von Arbeitsprozessen
Standardisierung von Arbeitsergebnissen
Standardisierung von Rollen
Selbstabstimmung
Entscheidungsdezentralisation
Abbildung 1: Koordinationsinstrumente nach dem Grad der Entscheidungszentralisation
Diese Koordinationsformen lassen sich m. E. in drei Koordinationstypen zusammenfassen: (1) Hierarchie, (2) Bürokratie und (3) Teams.
Die Hierarchie betont abgestufte persönliche Weisungs- und Entscheidungskompetenzen, die Bürokratie betont die Standardisierung von Arbeitsprozessen, Arbeitsergebnissen und Rollen, während Teams durch das Prinzip der Selbstabstimmung gekennzeichnet sind (vgl. Abb. 2).
Kennzeichnend für viele insbesondere Großorganisationen scheint es zu sein, daß über die hierarchisch-bürokratischen primären Koordinationsformen ein Netz von eher teamhaften Sekundärorganisationseinheiten gezogen ist (Schulte-Zurhausen, 1999, 273 f.). Entscheidungen und Koordinationsleistungen werden deshalb heute typischerweise in Konferenzen erarbeitet.
Analyse von Entscheidungsprozessen in Konferenzen 191
Koordinationsinstrument nach Mintzberg (1993)
Persönliche Weisungen Standardisierung - von Arbeitsprozessen - von Arbeitsergebnissen -von Rollen Selbstabstimmung
Koordinationstyp
Hierarchie
Bürokratie
Team
Abbildung 2: Koordinationstypen und Koordinationsinstrumente
2 Konferenztypen
Ich verwende hier einen sehr weiten Konferenzbegriff, abgeleitet von der lateinischen Wortherkunft conferre ( = zusammentragen). Ich meine mit Konferenz zunächst ganz allgemein Zusammenkünfte von Organisationsmitgliedern im Zusammenhang mit ihren Aufgaben in der Organisation. Selbstverständlich lassen sich vielfältige Ausprägungsformen von Konferenzen beobachten und viele Typisierungen und Kategorisierungen denken (vgl. Pullig, 1999). Hier seien nur drei mögliche Ordnungskategorien beispielhaft angeführt:
1. die Ziel- und Interessenkonvergenz bzw. -divergenz der Konferenzteilnehmer, die eine Systematisierung in Teamkonferenz, Verhandlungskonferenz und Konfliktkonferenz nahelegen;
2. die Einflußverteilung innerhalb der Teilnehmer, insbesondere zwischen Konferenzleitung (ich benutze den knapperen Begriff Konferenzleitung anstelle der umständlicheren Bezeichnungen der Konferenzleiter, die Konferenzleiterin, das Konferenzleitungsteam) und den anderen Teilnehmern, die unterschiedliche Konferenzleitungsstile erwarten lassen;
3. die rechtliche Gebundenheit der Konferenz mit den Extrempolen: gesetzlich detailliert vorgeschriebene Geschäftsordnungen (z. B. bezüglich Teilnehmerproporz und Entscheidungsverfahren) einerseits und völlig ungebundener Konferenzgestaltung andererseits.
Bei der anschließend analysierten Konferenz handelt es sich übrigens um eine durch die Rahmengeschäftsordnung für die im Schulmitwirkungsgesetz vorgesehenen Organe (RGOzSchMG) rechtlich gebundene Lehrerkonferenz mit leicht asymmetrischer Einflußverteilung wegen der Positionsmacht des Schulleiters als Konferenzleitung bei grundsätzlicher Zielkonvergenz.
3 Der Analyserahmen
Als Rahmen bzw. Konzept für die Analyse und die sich daran anschließenden Empfehlungen wähle ich einen führungstheoretischen und einen entscheidungslogischen Ansatz.
192 Karl-Klaus Pullig
3.1 Konferenzleitungsstile
Konferenzen leiten ist eine wichtige Führungsaufgabe. Ich schlage vor, in Analogie zu Führungsstilen zwischen Konferenzleitungsstilen zu unterscheiden. Es ist naheliegend, die Erkenntnis aus der empirischen Führungsforschung aufzugreifen, daß es den empfehlenswerten bzw. erfolgversprechenden Führungsstil nicht gibt, sondern daß Führungsverhalten den jeweiligen Situationen angemessen sein sollte. Beispielsweise empfiehlt das vielzitierte Modell von Vroom/Jago (1990) unterschiedliche Partizipationsgrade des/der Vorgesetzten, von der autoritären Alleinentscheidung über beratende Vorgehensweisen bis hin zu Gruppenkonsensentscheidungen, in Abhängigkeit von der jeweiligen Führungssituation.
Auf der Grundlage eigener Erfahrungen als Teilnehmer, Leiter und Supervisor von Konferenzen halte ich eine einfache Kategorisierung von Konferenzleitungssituationen nach zwei Kriterien für sinnvoll und nützlich:
1. Welche Positionsmacht hat die Konferenzleitung? 2. Welchen inhaltlichen Ergebnisspielraum hat die Konferenzleitung?
Mit Positionsmacht sind die Entscheidungskompetenzen und Durchsetzungsmöglichkeiten gemeint, die - unabhängig von der persönlichen Autorität - mit einer bestimmten Stelle bzw. formalen Position verbunden sind. Eine Konferenzleitung besitzt z. B. dann eine stark ausgeprägte Positionsmacht in einer Konferenz mit hierarchisch unterstellten Mitarbeitern, wenn sie als Vorgesetzte (Vorgesetzter) Einfluß auf die Karriere, die Einkommensentwicklung etc. ihrer Mitarbeiter nehmen kann und sie bei den anstehenden Konferenzthemen letztlich entscheiden darf. Die Positionsmacht ist in jeder Konferenzsituation jeweils neu zu bestimmen und sie kann sich sogar grundsätzlich innerhalb derselben Konferenz von einem Tagesordnungspunkt zum anderen ändern, etwa wenn zwar beim TOP X die Konferenzleitung das Letztentscheidungsrecht besitzt, nicht aber bei TOP Y. Dieselbe/derselbe Vorgesetzte/r hätte geringe oder keine Positionsmacht, wenn sie/er - beispielsweise als Projektmitarbeitertin die Konferenz der Projektgruppe zu leiten hat, in der hierarchisch gleich- oder höherrangige Teilnehmer mitarbeiten.
Das Kriterium inhaltlicher Ergebnisspielraum gibt an, inwieweit die Konferenzleitung aufgrund äußerer Rahmenbedingungen oder eigener autonomer Entscheidung bezüglich des angestrebten Konferenzergebnisses bei dem jeweiligen Tagesordnungspunkt inhaltlich festgelegt oder inhaltlich neutral ist bzw. sein will. Zum Beispiel ist die Konferenzleitung bei einem TOP inhaltlich festgelegt, wenn sie von ihrer übergeordneten Stelle verpflichtet wurde, den Mitarbeitern in einer Konferenz ein bestimmtes Ergebnis zu "verkünden" und um Verständnis und Akzeptanz bei den Mitarbeitern zu werben. Die Konferenzleitung kann andererseits inhaltlich neutral bleiben, wenn sie bereit ist, jedes Ergebnis eines - nach bestimmten Qualitätskriterien verlaufenden- Konferenzprozesses zu akzeptieren.
Wählt man zur vereinfachenden Orientierung jeweils nur zwei polare Ausprägungen, dann ergeben sich vier typische Konferenzleitungsstile (vgl. Abb. 3). ,,Ergebnislenkung'' und ,,Prozeßlenkung'' sind also Bezeichnungen für zwei mögliche
Weisungsbefugnis (Positionsmacht) der Leitung
Analyse von Entscheidungsprozessen in Konferenzen 193
stark
Ziel-/Ergebnisoffenheit der Leitung
festgelegUeng offen/weit
Ergebnislenkung,
"Hierarchie", "Vorgesetzter'
Prozesslenkung
schwach "Verkaufen" Moderation
Prozessbegleitung
Abbildung 3: Konferenzleitstile
Konferenzleitungsstile für Konferenzleitungen mit Positionsmacht Während die Ergebnislenkung bezüglich des anstehenden Tagesordnungspunktes inhaltlich festgelegt ist bzw. sich selbst inhaltlich festlegen will und entsprechende Konferenzinterventionen vornimmt, konzentriert sich die Prozeßlenkung auf die inhaltlich neutrale Steuerung des Konferenzprozesses. Auf die beiden anderen Konferenzleitungsstile bei Konferenzleitungen ohne Positionsmacht soll hier aus Platzgründen nicht näher eingegangen werden. Im Regelfall sind Konferenzleitungen mit Positionsmacht ausgestattet.
Meine Empfehlung an die Konferenzleitung lautet, sich über die Konferenzsituation, die durch Positionsmacht und Ergebnisoffenheit bestimmt wird, klar zu werden und dann den Konferenzleitungsstil zu realisieren, der dieser Situation entspricht.
Die Ergebnislenkung versucht, die Konferenzteilnehmer in Richtung auf ihr eigenes inhaltliches Ziel hin zu beeinflussen. Dafür steht natürlich eine Fülle unterschiedlicher Interventionsmöglichkeiten zur Verfügung. Hier sind nur einige kurze beispielhafte Hinweise möglich: Die Ergebnislenkung versucht beispielsweise über entsprechende positive Bildbeschreibungen und Ausmalungen, Vorteilsaufzählungen etc. die Konferenzteilnehmer für ihren Lösungsvorschlag zu begeistern oder zumindest den Widerstand dagegen aufzulösen. Sie kann auch auf die negativen Folgen bei Nichtzustimmung hinweisen und Druck ausüben. Der ergebnislenkende Konferenzleitungsstil ist regelmäßig mit dem Problem konfrontiert, die Rollen- und Aufgabenverteilung zwischen der Konferenzleitung und den Konferenzteilnehmern in der Konferenz zu klären. Hierbei könnte z. B. helfen, wenn die Konferenzleitung den Grad der Partizipation im Sinne des oben genannten Modells von Vroom/Jago, den sie den Konferenzteilnehmern zugedacht hat, offenlegt, um unklaren Erwartungen und damit wiederum verbundenen Irritationen vorzubeugen.
Die Prozeßlenkung konzentriert sich darauf, den Konferenzprozeß als solchen nach den Regeln der Entscheidungsforschung und der sozialpsychologischen Forschung so zu gestalten, daß die Wahrscheinlichkeit "guter" und akzeptierter Entscheidungen hoch ist. Das setzt voraus, daß die Prozeßlenkung über Kenntnisse aus den genannten Forschungsgebieten verfügt und geeignete Interventionsmethoden
194 Karl-Klaus Pullig
und hilfreiche Regeln anwenden kann. Eine wichtige Grundlage ist dabei die Orientierung an typischen Problemlösungsphasen.
3.2 Konferenzsituationen und Konferenzleitungsmethoden
Die in der Fachliteratur genannten allgemeinen Problemlösungsphasen (vgl. z. B. Brauchlin, 1977; Bundesakademie für öffentliche Verwaltung, 1981) finden sich in Konferenzen wieder, d. h. sie entsprechen typischen Konferenzsituationen oder Konferenzphasen. Meine These ist, daß die Identifikation solcher Problemlösungsphasen bzw. Konferenzsituationen und die gezielte Anwendung von entsprechenden Konferenzinterventionen das Konferenzergebnis verbessern. Man kann z. B. die in der Abbildung 4 dargestellten Konferenzphasen und die diesen entsprechenden typischen Interventionsfragen oder Prozeßfragen und Methoden unterscheiden:
Meine These lautet übrigens nicht, daß jede Konferenz alle Phasen in der Reihenfolge dieses Schemas durchlaufen sollte, sondern lediglich, daß es nützlich ist,
- bewußt zwischen verschiedenen Problemlösungsphasen bzw. Konferenzsituationen zu unterscheiden und
- zu wissen, in welcher Phase eines Entscheidungsprozesses sich die Konferenz befindet oder in welche Phase die Konferenz sinnvollerweise hineingeführt werden sollte.
Selbstverständlich lassen sich Konferenzen auch nach ganz anderen Gesichtspunkten analysieren, die hier nicht weiter betrachtet werden. Zum Beispiel kommen Untersuchungen der Kommunikationsmuster, der Konfliktmechanismen, individualpsychologische Verhaltensinterpretationen und gruppendynamische Prozeßanalysen in Frage.
4 Analysebeispiel einer Lehrerkonferenz
Anband der folgenden Transkription der Tonbandaufnahme einer Lehrerkonferenz soll beispielhaft dargestellt werden, wie sich auf der Grundlage der geschilderten Analysekriterien (1) Konferenzleitungsstil und (2) Konferenzphasen Gesichtspunkte für konkrete Verbesserungen der Konferenzgestaltung gewinnen lassen.
4.1 Zur Entstehung des analysierten Materials
Als Beispielanalyse habe ich eine Konferenz von erfahrenen Schulleitern/Schulleiterinnen verschiedener Schultypen aus Nordrhein-Westfalen ausgewählt, die im Rahmen eines zweitägigen Fortbildungsseminars zum Thema ,,Konferenzleitung in Schulen" unter Anwendung der oben beschriebenen Analysekriterien die Qualität ihrer Konferenzarbeit verbessern wollten. Ich habe diese Konferenzsimulation u. a. ausgewählt, weil (1) die Thematik bei einem großen Leserkreis von Interesse sein dürfte und (2) weil die Konferenzleitung in diesem Falle den in der Regel problematischeren ergebnislenkenden Konferenzleitungsstil ausprobieren wollte und (3) die
Phasen
I. Verfahrensfragen, Regularien, Festlegung der Tagesordnung
2. Situationsbeschreibung
3. Eingrenzung und Zielpräzisierung
4. Bildgestaltung (Suchphase)
Analyse von Entscheidungsprozessen in Konferenzen 195
Prozessfragen
Haben alle das Protokoll erhalten? Wurde fristgemäß eingeladen? Ist die Beschlußfähigkeit gegeben? Wer führt Protokoll? Genehmigung des Protokolls der vorangegangenen Konferenz Befugnisse, Aufgaben dieses Gremiums? Gibt es Ergänzungen zur Tagesordnung? In welcher Reihenfolge und mit welchem geschätzten Zeitbedarf sollen die Tagesordnungspunkte behandelt werden? Wie wichtig und/oder wie dringlich sind die Themen/Punkte? Bei dem TOP geht es um folgendes: .. . Der TOP hat folgenden Hintergrund .. . Der Punkt ist deshalb auf die TO gekommen, weil. .. Der TOP ... ist in folgendem Zusammenhang zu sehen .. . Wer hat noch Hintergrundinformationen zu diesem TOP? Worum geht es uns heute bei diesem TOP genau? (z. B. nur gegenseitige Information, Beschluß, Ursachenanalyse etc. ?) Was wollen wir in der heute uns zur Verfügung stehenden Zeit erreichen? Was ist mit dieser Konferenz beabsichtigt? Wie lautet unsere genaue Fragestellung für diese Sitzung/ Konferenz? Gibt es (weitere) Vorschläge, Ideen für die Lösung unseres Problems? Kann Frau/Herr X ihr/sein Konzept einmal schildern?
Methoden/ Hilfsmittel
Satzung; Geschäftsordnung; Gesetzestexte; "Checklisten"
Situationsanalyse; (Kepner/Tregoe, 1967); Problemlandkarte (Gomez, 1985)
Problemneudefinition; (Schlicksupp, 1976) Formulierung des TOPs in einem Fragesatz
BildgestaltungsTechniken (Schlicksupp, 1976; Bronner, 1989) - Brainstorming - 635 und andere
Verfahren des "Brainwriting"
- Morphologie
Abbildung 4: Typische Konferenzphasen und entsprechende Prozeßfragen und Interventi
onsmethoden
196 Karl-Klaus Pullig
Phasen
Sa. Bewertung/ Kritik/Urteil Abwägung
Sb. Entscheidung/ Beschluss
6. Umsetzung - Aktionsplan - Sicherungsplan
Prozessfragen
Welche Beurteilungsmaßstäbe (Kriterien) legen wir an? Wie gnUschlecht erfüllen die Konzepte und Vorschläge unsere Ziele? Welche Vor- und Nachteile sind zu berücksichtigen?
Methoden/ Hilfsmittel
Zielfindungstechnik; (Schmidt, 1994) Entscheidungsmatrix; Nutzwerttabelle (Schmidt, 1994; Bronner, 1989) Prioritätenverteilung durch Klebepunkte; Nominal-GruppenTechnik (Brandstätter, 1976)
Unsere Entscheidung heißt also.. . Mehrheitsbeschluß; Folgende Anträge/Varianten etc. stehen nun Konsensbeschluß zur Abstimmung an ... Gibt es Zustimmungleine Mehrheit für folgende Lösung! Entscheidung? Wer machUveranlaßt was? Bis wann? Was geschieht bei Abweichungen von unserem Beschluß? Wie wahrscheinlich ist es, daß bestimmte Störereignisse unsere Entscheidung gefährden? Was können wir jetzt schon dagegen tun?
Aktionsplan: wer macht was- bis wann? Analyse potentieller Probleme (Kepnerffregoe, 1967)
Abbildung 4: TYpische Konferenzphasen und entsprechende Prozeßfragen und Interventionsmethoden (Fortsetzung)
Identifikation verschiedener Konferenzphasen hier deutlich werden kann. Die Teilnehmer hatten das Thema selbst gewählt, da es in ihrer realen Schulsituation anstand und teilweise schon in realen Konferenzen behandelt worden war. Der Konferenzleiter war u. a. deshalb bereit, diese Aufgabe zu übernehmen, weil er das Thema in Kürze mit seinem Lehrerkollegium behandeln wollte und er dazu auch eine feste Meinung hatte, die er durchzusetzen gedachte.
Insgesamt nahmen 16 Personen an der 40-minütigen Konferenzsimulation mit dem Thema: ,,Einbeziehung der Eltern in die Gestaltung des Schulprogramms" teil. Folgende Rollen wurden festgelegt:
1 Schulleiter (Lenk)
1 Konrektorin (Konri), die auch Protokoll führte
14 Kolleginnen und Kollegen, von denen drei vom Konferenzleiter gewünschte und von ihm kurz charakterisierte Verhaltenstendenzen zu realisieren versuchten.
Die übrigen 11 Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten keine Rollenvorgaben.
Analyse von Entscheidungsprozessen in Konferenzen 197
4.2 Kommentierende Analyse einer Lehrerkonferenzsimulation zum Thema: ,,Einbeziehung der Eltern in die Gestaltung des Schulprogramms''
Schulleiter Lenk: Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich freue mich, daß alle da sind bis auf Frau Knappig. Wie Sie wissen, stehen wir in der Pflicht, ein Schulprogramm vorzulegen bis zu dem Jahre 2000. Sie erinnern sich an unsere letzte Konferenz, da haben wir einen Rückblick gehalten auf unsere bisherige Arbeit, da ging es um eine Stichwortsammlung, in der wir unsere Ideen gesammelt haben und somit unserer Pflicht genüge getan haben der Schulaufsicht gegenüber zum Stichwort Schulprogramm. Man hat uns auch jahrelang in Ruhe gelassen. Das kam durch die Revisionssituation einer Konrektorin I Rektorin. Wir haben die Sammlung strukturiert, mit mehreren Feldern, mit noch mehr Stichwörtern. Sie haben das auch alle in ihren Unterlagen. Wir haben Ihnen das vervielfältigt. Und jetzt haben wir 1998, auf den Tag zwei Jahre nach der Konferenz. Es geht um einen Schulprogrammbereich, der geeignet ist, uns ein Schulprofil zu geben: interkulturelle Begegnung. Wir wissen, daß über all diese Bereiche unterschiedliche Ansichten existieren. Wir stehen nun vor der schwierigen Aufgabe, diese Ideenvielfalt in ein Schulprogramm zu kleiden, auszuwählen, Verbindlichkeiten festzustellen und die ganz große Hürde kommt ja noch (schreibt auf Flipchart). Mit manchen Punkten haben wir es ganz leicht, da sie durch Erlaß eine entsprechende Absicherung haben. Z. B. haben wir hier die Integrationsbemühungen der ausländischen Kinder als Bestandteil. Offensiv, Sie werden sich erinnern. Von einigen wurde ja angezweifelt, ob es sinnvoll war, bezahlte Lehrerstunden in wenige ausländische Kinder zu stecken, aber das ist so ein Beispiel für Punkte, die so zu unserer Schullandschaft gehören, weil sie durch Erlaß vorgegeben werden. Manche Punkte haben es leicht, aber ich habe sie nicht gezählt, es sind um die zweihundert mittlerweile, von der Schulkonferenz abgesegnet zu werden und im Schulprogramm zu landen. Bei anderen fragt man sich: sind sie nicht längst überaltert? Diese Aufgabe kommt auf uns zu. Und zwar haben Frau Konri (Konrektorin) und ich gewissermaßen in einer Mini-Steuergruppeuns über die zukünftige Arbeit unterhalten und haben überlegt: wie kann man denn diese Aufgabe am besten angehen? Und wir sind der Meinung, daß wir nicht nur eine Schulkonferenz einbeziehen nach getaner Arbeit, in der dann Eltern nicken und sagen: na gut zum pädagogischen Programm, sondern daß man die Eltern schon in den Entwicklungsprozeß mit einbezieht. Das ist unsere Vorstellung.
Hinweise zur Analyse Konferenz-Phase: Situationsbeschreibung Kritisch: Die Einführung durch den Schulleiter ist ziemlich lang und etwas unübersichtlich: den Konferenzteilnehmern bleibt lange unklar, was genau der Konferenzleiter mit diesem TOP beabsichtigt. Tendenziell: - sollten die Teilnehmer möglichst früh aktiv einbezogen werden, - könnte sich der Konferenzleiter entlasten, indem Frau Konri oder jemand anderes die Ausgangslage schildert
198 Karl-Klaus Pullig
Wir sind uns aber auch darüber im klaren, daß es nur einen Sinn hat, diese gemeinsame Arbeit mit den Eltern, die ich gewissermaßen als Experiment ansehe, daß es nur einen Sinn hat diese Arbeit zu wagen, wenn hier eine Mehrheit dafür ist. Es hat keinen Sinn, wenn nur zwei Leute dafür sind und 15 sind der Meinung, so etwas wollen wir nicht. Ich möchte ein wenig versuchen, Sie davon zu begeistern. Ich denke, Eltern sind nicht mehr wie 1973 bei Beginn des SchMitG. Die Eltern haben sich ja längst weiterentwickelt zur Mitgestaltung, helfen mit in allen möglichen Bereichen wie z. B. Backen von Plätzchen in der Weihnachtszeit. Ich möchte, daß die Eltern diese Identifikation mit Schule noch stärker erleben können. Daß sie schon bei der Ausgestaltung des Schulprogramms dabei sind, daß sie Transparenz erfahren, daß sie nicht überrascht werden durch plötzliche Aktivitäten. Wir haben uns einige Punkte aufgeschrieben. Aber damit ich nicht alleine rede, wäre es vielleicht ganz schön, wenn Sie, Frau Konri, diese Argumente einmal vorstellen.
Konrektorin Konri: Wir haben uns gedacht, daß, wenn wir die Eltern schon frühzeitig bei der Gestaltung des Schulprogrammes mitwirken lassen, sie sich stärker mit unserer Arbeit identifizieren und damit auch unsere Arbeit unterstützen. Wir haben schon in unserem Schulalltag festgestellt, daß unter den Eltern viele Experten zu finden sind, die bestimmt auch bei der Gestaltung unseres Schulprogramms uns behilftich sein können und auch eine richtige Gewichtung unseres Schulprogramms mittragen können. Wenn Eltern gemeinsam dieses Schulprogramm erarbeitet hätten und am Ende diese Verabschiedung auch befürwortet hätten, würde das Schulprogramm von ihnen auch stärker nach außen hin vertreten. Wir hätten also dann nicht die Situation, daß wir starken Angriffen von außen ausgesetzt wären, durch Eltern aus der Schule oder durch andere Personen, weil eben das Schulprogramm schon durch eine große Gruppe erarbeitet worden ist und auch durch diese Gruppe getragen wird. Wir glauben auch, daß es für uns ein Vorteil gegenüber der Schulaufsicht ist, wenn wir als eine große starke Gruppe dieses Programm vertreten werden, dann haben wir einfach eine günstigere Position. Ja, das war, was uns für wichtig erschien.
Der Konferenzleiter macht jetzt - ganz im Sinne des Ergebnislenkers - seine Absicht, die inhaltliche Richtung deutlich.
Die Konrektorin ergänzt die Situationsbeschreibung und unterstützt argumentativ die inhaltliche Festlegung des Schulleiters. Kritisch: Den Konferenzteilnehmern dürfte noch immer undeutlich sein, welche Aufgabe sie in dieser Konferenz haben! Die Phase 2 Zielpräzisierung steht noch aus!
Analyse von Entscheidungsprozessen in Konferenzen 199
Schulleiter Lenk: Wir werden noch Gelegenheit haben, uns zu äußern in der Diskussion. Was unsere Zielsetzung jetzt ist, ist eine Mehrheit zu finden für die Sichtweise, Elternarbeit mit einzubeziehen. Wenn wir das geschafft haben sollten, daß wir dann darüber nachdenken, wann und wie ist das möglich. Also, wie stehen Sie zu der Frage: Elternmitarbeit bei der Erstellung des Schulprogramms, ja oder nein? Frau Konri führt die Rednerliste.
Frau Lustig: Ja, ich weiß zwar auch noch nicht genau wie, aber ich fand das eigentlich schon immer alles gut, daß die Eltern mit einbezogen worden wären, das wäre schon längst an der Zeit gewesen. Find' ich ganz gut.
Herr Schiller: Aber ich habe doch einige Bedenken und zwar schlichtweg bezüglich der Kompetenz der Eltern. Wie weit ist die Kompetenz, wo fangt sie an, wo hört sie auf? In welchen Gremien sollen die Eltern mitarbeiten? Fachkonferenzen, Lehrpläne mitaufstellen, was sollen die Eltern machen und welche Eltern sind geeignet, dabei mitzumachen? Und wieviel Eltern kommen dann dazu? Also Elternarbeit ja, aber nur wenn wir sie im Kollegium auch noch kontrollieren können. Also ich habe ein bißeben Angst, daß aus der Mitbestimmung eine ElternBestimmung wird. Und zwar im Endeffekt noch eine zeitliche Übernahme des Schulbetriebs.
Schulleiter Lenk: Wenn ich mir jetzt Ihre Meinung hier in Kurzform klarmachen soll: ja, aber. Korrekt?
Herr Schiller: Ja, korrekt.
Herr Anders: Da kann ich nur zustimmen, der Meinung bin ich auch: Die reden uns dann nur in unsere Arbeit rein.
Frau Rose: Also, ich finde die Idee, die Eltern mit einzubeziehen ganz prima. Und ich hatte es auch in meiner Klasse schon auf Elternabenden und so, daß einige Eltern gesagt haben: Ja, an anderen Schulen wird auch so ein Schulprogramm erstellt, das weiß ich von meinem Kind. Das ist in der Klasse an der Schule auch so und ich als Elternteil habe ja auch ein Recht zu wissen, wie sieht das Schulumfeld von meinem Kind aus.
Phase 2: Zielpräzisierung Kritisch: - Ist wirklich allen Teilnehmern klar, was jetzt in dieser Konferenz verhandelt werden soll? - Für den TOP standen insgesamt 45 min zur Verfügung.
Es müßte noch präziser vereinbart werden, was in der verbleibenden Zeit von ca. 30 min noch zu leisten ist.
- Die vom Konferenzleiter vorgeschlagene Methode: Rednerliste ist nicht erfolgversprechend: die völlige Offenheit der Redebeiträge kann die diffuse Situation noch unübersichtlicher und zielloser machen.
Die vereinfachte ja-nein Fragestellung: "Einbezug der Eltern in die Schulprogrammarbeit" wird differenzierter betrachtet. Hier hätte sich die Möglicheit einer Überleitung in die Phase 3 Bildgestaltung geboten, etwa mit der Formulierung: "In welcher Weise können wir uns eine Mitwirkung der Eltern an der Schulprogrammarbeit vorstellen?' Dabei wären dann die me
thodischen Regeln einer Bildgestaltungsphase vom Konferenzleiter anzuwenden: z. B. keine Bewertung, kein Einigungszwang, Ideen generieren, Bilder schaffen statt beurteilen etc.
200 Karl-Klaus Pullig
Diese Meinung von Eltern habe ich auf Elternkonferenz und Elternabenden gehört. Und ich denke, in meiner Klasse sind sicherlich einige Eltern dabei, die wirklich engagiert sind, obwohl einige, die würden sich natürlich zurücklehnen, denen ist ja sowieso immer alles egal. Aber ich denke mir, aus meiner Klasse, da könnten einige Eltern durchaus dabei sein. Ich denke immer, auf den ersten Blick gesehen wird doch keiner von uns sagen, wir möchten die Eltern nicht beteiligen. Darüber brauchen wir doch gar nicht zu diskutieren, das kommt doch wirklich darauf an, in welcher Form sie sich beteiligen, und, Herr Lenk, Sie hatten eben schon gesagt, Ihr Ziel ist es, heute eine Mehrheit dafür zu finden, Sie haben das Ganze mit Frau Konri besprochen. Ich frage mich, inwiefern werden wir jetzt überhaupt noch an diesem Prozeß der Meinungsbildung beteiligt, haben Sie vielleicht auch schon vorher beschlossen, in welchen Bereichen die Eltern sich mit beteiligen und welche der Eltern wir dazu bitten? Also wenn ich mich erinnern kann, wir hatten bei der Schulkonferenz schon große Diskussionen, ob es in die eine oder andere Richtung geht. Die Schulleitung fühlt sich von manchen Eltern mehr verstanden als von anderen, wie soll da die Auswahl getroffen werden? Wie ist da bereits der Entscheidungsprozeß gegeben?
Schulleiter Lenk: Darf ich direkt etwas dazu sagen. Ich könnte Sie umarmen. Daß es in ihren Augen besser ist, wenn noch keine weiteren Vorgaben vorhanden sind, das freut mich, wir haben nämlich keine weiteren. Wir sind wirklich voll auf die Suche und Mitsuche des Kollegiums angewiesen. Wir müssen das gemeinsam schaffen, aus dieser Vielzahl Punkte herauszufinden, bei denen wir Eltern als Hilfe benötigen.
Frau Rose: Ich kann also dann klar dem entnehmen, daß Sie nicht versuchen, auf diese Weise die "verläßliche Schule" durchzusetzen, gegen den erklärten Wunsch des Kollegiums? Schulleiter Lenk: Sie können sogar sicher sein, daß solch eine einseitige Steuerung durch die Steuergruppe, die wir jetzt mal darstellen mögen, wegen der Konferenzvorbereitung zumindest, daß die ja gerade ausgeschlossen ist, wenn Eltern einbezogen werden. Wenn Sie Eltern drin haben, gibt es hier nicht mehr die Möglichkeit, daß irgendeine Gruppe etwas ausbremst Die Eltern ...
Frau Rose unterbricht: Es kommt auf die Auswahl der Eltern an, wie eben der Kollege schon deutlich mitteilte: Das ist das Entscheidende. Wer wählt da aus?
ZuPhase2: Vorschlage Zielpräzisierung
Typisches Problem bei der ergebnislenkenden Konferenzleitung: Unsicherheit und Mißtrauen bei den Teilnehmern bezüglich ihrer Mitwirkungsmöglichkeiten.
Wiederum eine Zielpräzisierungsvariante. Kritisch: Notwendig wäre, sich klar und deutlich auf ein genaues Ziel für diese (und evtl. weitere) Konferenz(en) zu einigen!
Dies ist ein Beitrag zur Bildgestaltung
Analyse von Entscheidungsprozessen in Konferenzen 201
Schulleiter Lenk: Das ist eine gute Frage.
Frau Konri: Herr Fröhlich, dann Herr Rahne und dann Herr Krause:
Herr Fröhlich: Also ich bin ja entschieden dagegen, daß wir die Eltern am Schulprogramm beteiligen. Elternbeteiligung ja, wenn die beim Adventsbacken mithelfen, aber bei inhaltlichen Sachen des Schulprogramms möchte ich das lieber unter uns geregelt wissen. Zum Schulprogramm gehört ja auch Evaluation, d. h. irgendwann wird die Schulaufsicht kommen und gucken: Habt ihr das, was ihr da aufgeschrieben habt, auch fein umgesetzt? Und wenn nicht, dann müssen wir das schleunigst tun. Meine Sorge ist jetzt, daß dann die Eltern, wenn ich da an die Familie Müller-Thurgau denke, die mit ihren hohen Ansprüchen, ewig reden die mir in den Unterricht rein, ja, wenn die in so einer Vorbereitungsgruppe sind, die schreiben da weiß Gott was rein ins Schulprogramm, und wir stehen dann später da und müssen das umsetzen und dann kommt der Schulrat und schimpft mit uns. Ne, also dann lieber ohne Eltern. Das zweite ist, wenn Sie, Herr Lenk, eine Mehrheit finden wollen, ist das auch nicht so ganz gemeinsam. Bisher sind wir immer von Konsens ausgegangen im Schulprogramm. Warum jetzt auf einmal Mehrheiten und Minderheiten? Das muß doch nicht sein. Wenn, dann sollten wir doch auch in diesem Punkte versuchen, einen Konsens herzustellen, wie es früher auch eine gute Tradition an unserer Schule war. Also ganz klares nein.
Herr Rahne: Ja, Herr Kollege Fröhlich hat jetzt schon einiges vorweggenommen. Überlegen wir doch mal, was für Eltern wir hier an unserer Schule vorfinden. Hoher Ausländeranteil! Wie wollen Sie die Eltern mit der geringen Sprachkompetenz, die sie ja haben, in bestimmte Gruppen hineinbringen, wo ja fachlich auch etwas erarbeitet werden soll und auch als Ergebnis hineingetragen werden muß ins Schulprogramm. Ich weiß nicht, wie das gehen soll. Und zweitens, wenn die Evaluation kommt und die Eltern sind gar nicht mehr an unserer Schule, wer übernimmt dann überhaupt die Verantwortung? Wir alleine? Wo sind die Eltern dann? Und dann möchte ich ja noch mal wissen: Auf welchem Gebiet sollen die Eltern und in welcher Zahl sollen sie teilnehmen? Wird dann abgestimmt? Und geraten wir dann in die Minderheit? Verlieren wir hier die Abstimmung? Ich bin mir da nicht ganz über die Strukturen im klaren!
Es stehen mehrere Wortmeldungen an, ohne daß das Ziel der Konferenz hinreichend präzisiert wurde: das gleicht einem ziellosen Treiben in unbestimmte Gewässer.
Auch dieser Beitrag einhält Aspekt einer Bildgestaltung. Diese hätten allerdings von der Konferenzleitung methodisch besser unterstützt werden können, z. B. indem weniger herausgearbeitet wird, was der Teilnehmer nicht will, und mehr worin er Möglichkeiten der Elternmitarbeit sieht.
Verfahrens-IM echodenfragen Wenn immer es möglich ist, sollte die Konferenzleitung zu Beginn der Konferenz vereinbaren, daß im Zweifel sie selbst über die Methode bzw. das Verfahren bestimmen darf; dies ist eine wesentliche Voraussetzung professioneller
Konferenzleitung! Das schließt nicht aus, daß die Konferenzleitung die Teilnehmer um Verfahrensvorschläge bitten kann, diese aufgreift oder zurückweist, je nachdem ob sie der Konferenzleitung brauchbar erscheinen (vgl. auch S. 210!). Vgl. Kommentar zum Beitrag Fröhlich s. o.! Hier werden - trotz des vorwurfsvollen Tones Fragen gestellt, die zur Bildgestaltung beitragen können.
202 Karl-Klaus Pullig
Herr Krause: Ich glaube, wir verkennen da ein bißeben die Zeichen der Zeit. Gerade im Primarstufenbereich wird es ja in den nächsten Jahren deutliche Veränderungen geben, was Schülerzahlen angeht. Und da ist es bestimmt gut, ein Schulprofil zu haben und Eltern hinter sich stehen zu haben. Ich meine, wir sind schon viel zu spät dran. 96 wäre es Zeit gewesen, die Eltern ganz klar mit in das Boot zu nehmen. Das ist ihre Schule und nicht nur eine Schule der ausländischen Kinder, das kann man nicht so stehen lassen. Ihre Schule mitbasteln zu lassen. Sie können das sowieso machen, ohne uns zu fragen. Sie haben eine Elternpftegschaft. Die Eltern können sich zusammensetzen und können sicherlich aus ihrer Sicht die Themen einbringen und können es auf den Tisch bringen und wir hätten keine Chance zu sagen: Nein. Ich bin dafür, daß wir das Ganze ein bißeben steuern, die Eltern ganz klar einladen, um mit uns an dieser Sache zu arbeiten. Je eher, desto besser. Teilweise parallel. Und da wird es auch irgendwie eine vernünftige Steuergruppe geben. Nicht nur zwei, das finde ich ein bißeben mickrig. Damit kann man das nicht machen. Vielleicht eine gemischte Steuergruppe, in der dann auch wirklich, glaube ich, vernünftig ge-arbeitet wird. Also für mich ganz klar, je eher desto besser. Vorschlag zur Methode
Frau Lieb: Also ich kann das, was der Kollege Krause gesagt hat nur unterstützen. Die Eltern müssen sich mit Schule identifizieren. Das ist ihre Schule und ich glaube auch nicht, daß alle Eltern überhaupt Lust und Laune haben. Die Ausländer, glaube ich, werden sich nicht ganz so einbringen, aber sie sollen die Möglichkeit haben.
Also ich denke mir, wir sollten die Eltern einbeziehen mit den Lehrern zusammen, daß nicht die Eltern, wie sie befürchten, ihr eigenes Süppchen und hinterher noch gegen Schule arbeiten, sondern daß wir das ja von Lehrerseite ein bißeben steuern.
Herr Krause: Ich will doch eine Angebotsschule sein und dann müssen wir das darstellen.
Herr Schiller: Ich wollte mal einen Schritt zurück. Ich wollte noch mal einmal sagen, daß ich große Bedenken habe, die Eltern in die Schule zu holen. Herr Rahne hat in seiner Klasse einen hohen AusländeranteiL
Analyse von Entscheidungsprozessen in Konferenzen 203
Also bei mir in der Klasse sitzen 8 Kollegenkinder und Sie wissen ja schon aus unseren Pausengesprächen, daß ich mit meinen Eltern des öfteren in großen Diskussionen festsitze, per Telefon oder auch in Elterngesprächen in der Schule und im Elternhaus und ich gebe zu bedenken, daß diese Eltern aus meiner Klasse einen sehr gewichtigen und großen Anteil einnehmen können in dem Bereich dieser Schulprogrammentwicklung. Ich möchte nur noch einmal darauf hinweisen, daß diese Entwicklung nicht entstehen darf. Von daher möchte ich also mit Bedenken an diese Elternarbeit herangehen.
Konrektorin Konri: Ich möchte einmal noch eine Anregung geben! Es wäre ja ganz gut möglich, diese Schulprogrammarbeit mit den Eltern in der Schulpflegschaft stattfinden zu lassen. Dann wäre ja die Gewichtung wieder eine gleichmäßigere. Dann wären also Vertreter aus der Klasse von Herrn Rahne genauso gleichmäßig vertreten wie Vertreter aus der Klasse von Herrn Müller-Lüdenscheidt. Frau Lustig, dann Herr Krause.
Frau Lustig: Den Vorschlag wollte ich auch machen. Eigentlich haben wir ja ein Gremium, in dem die richtige Stelle wäre, so eine Arbeit anzufangen. Das ist das eine. Und das andere ist. Ich finde es gar nicht gut, daß einige Kollegen, bloß weil sie mit ihren Eltern vielleicht nicht solche tollen Erfahrungen gemacht haben jetzt sagen: das klappt alles nicht mit den Eltern. Es könnte ja sein, daß gerade in diesem Zusammenhang auch die ausländischen Eltern, aber die, die beiseite stehen sollen, daß sie gerade in einem bestimmten Punkt besonders interessiert und engagiert werden können. Und daß sie dann eben nicht mehr so außen vor sind. Und dann können ja unsere ausländischen Kollegen mithelfen. Wenn sie nicht so gut Deutsch sprechen, können sie sich doch in einer Arbeitsgruppe trotzdem beteiligen.
Herr Rahne: Die Sprachkompetenz grenzt die Eltern ab, die versteh'n mich doch gar nicht, wenn ich mit denen spreche. Müssen wir jedesmal übersetzen. Wie lange soll das denn dauern?
Frau Lustig: Sie können aber vorbereitend arbeiten. Dann kann ja unser ausländischer Kollege auch da mithelfen. Und er kann auch dann die Ergebnisse z. B. in so einer Besprechung mit einbringen. Ich finde, das ist eine gute Chance, auch die ausländischen Eltern mit zu beteiligen.
Trennung von Bildgestaltung (Phase 3) und Bewertung (Phase 4)
204 Karl-Klaus Pullig
Herr Krause: Wir reden hier doch über etwas Unsinniges. Wir müssen die Eltern beteiligen. Wenn wir sie auf der Schulkonferenz, auf dieser einen Sitzung damit konfrontieren, was wir uns da ausgedacht haben, da kann es uns passieren, daß sie sich quersteilen und daß sie uns möglicherweise vorwerfen, daß wir nicht hinreichend Vorarbeit geleistet haben. Es kann doch nur um das Wie gehen! Und nicht, ob überhaupt! Die Frage stellt sich überhaupt nicht. Wie, das kann nur heißen: vorher auch. Damit wir auch diesen Vorwurf auf jeden Fall außen vorlassen können, wir hätten sie einfach übertölpelt und hätten ihnen vielleicht ein Konzept vorgesetzt, was sie vielleicht gar nicht wollen.
Frau Rose: Ich hab das noch einmal überschlagen. Ihr Vorschlag hörte sich ja jetzt ganz gut an. Aus jeder Klasse eine Partei, da haben wir ja kein Schwergewicht. Da sind aber just in den Pftegschaften die Eltern drin, die schon immer die verläßliche Schule gefordert haben. Die engagieren sich ja in diesem Bereich auch besonders. Nicht diejenigen, die dann auch mittags Zeit für ihre Kinder haben. Denn ich muß jetzt schon sagen, sollte das dazu führen, daß wir eine verläßliche Schule kriegen, stelle ich einen Versetzungsantrag. Das schaffe ich nicht.
Frau Lustig: Also ich finde ja, wir sollten jetzt nicht zwei Probleme miteinander vermengen. Die verläßliche Schule hat damit ja jetzt erst einmal gar nichts zu tun. Und wenn Sie dagegen sind, dann ist das vielleicht Ihr Problem, aber erst einmal ist unsere Sache jetzt erst einmal das Thema Schulprogramm. Und wenn diese Eltern sich doch aktiv beteiligen wollen an der Arbeit des Schulprogramms, dann ist es auch ihr Recht, aktiv an einer anderen Stelle für die "verläßliche Schule" zu kämpfen. Aber erst einmal geht es um das Schulprogramm. Und da finde ich es auch richtig, daß wir den Eltern da nichts Fertiges vorlegen, sondern die Akzeptanz ist sicherlich größer, wenn sie sich auch daran beteiligen.
TYpisches Problem "normaler'' Diskussionen: Vorschläge zur Lösung zum Konzept, eben zur Bildgestaltung werden unmittelbar kritisiert und bewertet, statt die Grundregel einzhalten: bei der Bildgestaltung müssen wir uns nocht nicht einigen, die Bewertung/Beurteilung wir aufgeschoben, kommt später. Die sofortige Kritik verschlechtert das Gesprächsklima und verhindert das Entstehen brauchbarer Konzepte und ,,Bilder''! Die gleiche Zielpräzisierung wie im Beitrag von Frau Rose (S. 199) wird hier angemahnt. Wiederholte Hinweise: "das ist nicht unser The-ma ... ", "es geht hier doch um ... " und ähnliches sind typisch für Konferenzphasen ohne ausreichende Zielpräzisierung.
Analyse von Entscheidungsprozessen in Konferenzen 205
Frau Rose: Wir haben doch gerade im Bereich der verläßlichen Schule hier so viele Diskussionen geführt. Und auf die verschiedensten Weisen wollte die Schulleitung zu diesem Punkt kommen. Und ich sehe auch das jetzt wieder einfach als eine Möglichkeit, in diese Richtung zu steuern.
Schulleiter Lenk: Also da muß ich mal direkt etwas dazu sagen! Zur verläßlichen Schule gibt es landesweite Initiativen und Vorgaben und sie ist nie ein persönlicher Ehrgeiz der Schulleitung gewesen. Ich habe auch nie einen privaten Vorstoß beim Schulträger gemacht, bevor es Pflicht wurde, um unserer Schule ein Profil zu geben. Das ist Quatsch! Das Ganze, was hier läuft, müssen Sie mal bitte unter dem Aspekt sehen, daß ich das nicht tue Vgl. S. 204: Beitrag Krause! für mich oder für ein Image, sondern als Hilfe für unsere - ich sag's mal ganz offen - bescheuerte Pflicht jetzt plötzlich ein Schulprogramm vorzulegen. Ich möchte da nur mal den Aspekt der Hilfe hier äußern. Wenn Eltern uns unterstützten, haben wir nur gute Karten.
Herr Fröhlich: Wir versuchen jetzt mit Hilfe der Eltern, eine Sache auf die Reihe zu bringen, die wir offensichtlich alleine nicht schaffen. Wir sind beauftragt worden, ein Schulprogramm zu machen, nicht die Eltern und Lehrer. Wollen wir doch mal gucken, was unsere oberste Dienstherrin dazu gesagt hat! Die hat uns angewiesen, das zu machen. Und jetzt die Eltern mit in das Boot zu nehmen, das heißt, wir kommen alleine nicht klar und jetzt nehmen wir die mal mit da rein und vielleicht haben die ja mal eine gut Idee.
Schulleiter Lenk: Herr Fröhlich, Sie sind ja noch gar nicht so lange an unserer Schule! Das stimmt ja so gar nicht, die Arbeit ist ja geleistet. Wir haben doch schon 3 Arbeitsblöcke hinter uns. Wir haben einen Schulprogrammstatus, wie ihn andere Schulen hier in der Gegend nicht haben. Nur, wir müssen mallangsam auswählen. Und diese Auswahl, meine ich, kann erfolgen mit Elternbeteiligung.
Herr Fröhlich: Ne, eben nicht! Neue Zielpräzisierungsvariante!
206 Karl-Klaus Pullig
Schulleiter Lenk: Herr Fröhlich, es darf nicht passieren, daß ein Kollege durch eine lapidare Bemerkung eine Schulpartnerschaft sterben läßt, oder daß eine unterschwellige Meinungsbildung im Lehrerkollegium eine Schulpartnerschaft sterben läßt. Wenn Eltern darüber erstaunt sind und sagen: Wir hätten das aber ganz anders gemacht!. Wir brauchen Transparenz! Das sind die Kinder der Eltern! Die Eltern müssen mit beteiligt sein! Es geht nicht, daß wir hier unseren Kuchen backen oder unser Süppchen kochen, wir brauchen die Öffnung von Schule für Eltern!
Einwurf: Die Eltern beteiligen wir, aber wir haben nachher die Arbeit!
Schulleiter Lenk : Das ist doch gerade, was ich will: Ich will doch die Arbeit reduzieren, wenn wir die Eltern mit einbinden!
Einwurf: Das hat die Behler auch gesagt.
Gelächter, Stimmengewirr.
Schulleiter Lenk: Ich verspreche Ihnen, daß ich dann nichts mehr sage vor der Abstimmung. Nur das hier: Mein Hauptziel ist, die Arbeit zu reduzieren. -Gelächter - Moment, ich will das kurz präzisieren.
Gelächter, Zurufe ("leere Versprechen" etc.)
Schulleiter Lenk: Wenn die Eltern mit uns den Mut haben, ein dreiseitiges Schulprogramm zu verabschieden, dann soll uns mal Schulrat Ergeizus kommen und sagen: Das ist aber nicht genug! Wenn die Eltern uns grünes Licht geben uns sagen, ja das ist in Ordnung. Den Bereich Leistungsmessung, den lassen sie ja auch mal nur so angedeutet! Das muß gar nicht alles so im Schulprogramm stehen. Dann soll mal jemand kommen und sagen, wieso steht das nicht im Schulprogramm. Unser Schulprogramm ist dann gewachsen aus der Gemeinschaft von Eltern und Lehrern. Und es ist ein Schutz, es ist Arbeitserleichterung, es ist Hilfe und es ist meiner Meinung nach zukunftsweisend. Schule ist eine Begegnungsstätte und ist nicht mehr eine Institution, in der die Lehrer die Tür hinter sich zumachen können. Wir müssen alle dasselbe wollen und an derselben Sache arbeiten.
Kritisch: Entscheidung (Phase 5) Worüber soll abgestimmt werden? 'fYpisch für Konferenzen ohne ausreichende Bildgestaltung: da die Konfliktmethodik nicht zu kreativen Lösungen bzw. Konzepten bzw. ,,Bildern" geführt hat, erreicht man mit ,,Abstimmungen" und anderen Entscheidungsverfahren kaum befriedigende Ergebnisse.
Analyse von Entscheidungsprozessen in Konferenzen 207
Herr Krause: Herr Lenk, Sie haben gerade am Schluß Gott sei Dank noch einmal die Kurve bekommen und gesagt, das Schulprogramm ist eine Arbeitserleichterung und eine Hilfe usw. Und so habe ich es immer auch gesehen. Aber wenn Sie zwischendurch immer so Äußerungen machen: "also diese verdammte Aufgabe das Schulprogramm zu machen", das klang mir so negativ, dann ist für mich die Sache natürlich auch gelaufen. Ich stand bisher hinter dem Schulprogramm, aber wenn Sie das jetzt in Frage stellen, dann möchte ich mein Äußerung von eben auch zurücknehmen. Würden Sie noch mal ganz klar sagen: Stehen Sie hinter dem Schulprogramm? Ich kann ja meine Eltern davon nur begeistern, wenn ich weiß, also die Schulleitung und eine Mehrzahl der Kollegen will das auch. Nur, es muß richtig gemacht werden, darüber sind wir uns ja klar. Stehen Sie dahinter?
Schulleiter Lenk: Ich stehe hinter einem reichhaltigen Schulleben, das können Sie sehen.
Herr Krause unterbricht: Ich meine, ein Schulprogramm, an dem auch Eltern zu beteiligen sind.
Schulleiter Lenk: Jetzt lassen Sie mich mal ausreden. Ich differenziere aber zwischen einem Schulleben, das getan wird, das gelebt wird, und der Pflicht, so ein Buch rauszubringen, was keiner liest.
Herr Krause: Sie sprechen von drei Seiten ...
Schulleiter Lenk: Die redaktionelle Arbeit am Schulprogramm ist doch das, was uns drückt. Und der Mut, die pragmatisch anzugehen, wird größer, wenn wir Eltern dabei haben.
Herr Krause: Das war mir jetzt ein wenig unklar, wie Sie das gesagt haben. Das war jetzt Schulleben, jetzt fangen Sie wieder mit dem Schulprogramm an.
Stimmengewirr.
Frau Müller: Jetzt will ich aber auch mal was sagen. Ich habe mich hier schon eine halbe Stunde zu Wort gemeldet und jetzt muß ich mal sehen, daß ich auch dazwischen komme. Also ich finde, das ist unsere Schule und wir als Lehrer müssen sie gestalten. Die Eltern, nach vier Jahren sind die weg, die haben uns dann vorgeschrieben, was wir zu tun haben, also das sehe ich gar nicht ein!
Glaubwürdigkeit der Konferenzleitung wird angezweifelt.
Hinweis auf die Notwendigkeit, über andere Methoden als Wortreihenfolge nachzudenken!
208 Karl-Klaus Pullig
Einwurfvon Herrn Krause: Ich habe die Eltern schon an dieser Schule gehabt. Also so lange bin ich jetzt schon hier, das ist deren Schule. Und sie können nicht sagen, in vier Jahren sind die weg, die kommen in der nächsten Generation wieder. - Gelächter! -so ist das. Wenn sie mal so lange hier gewesen wären wie ich, dann wüßten Sie das.
Herr Rahne: Also mir geht es doch jetzt hier zu kunterbunt zu, denn ich denke, wir vermischen jetzt langsam hier Theorie und Praxis. Ich hätte gerne jetzt auch mal was über die Inhalte gewußt, hier wird immer nur über Organisation gesprochen. Wenn ich Eltern beteilige, möchte ich auch wissen, in welchem Rahmen ich sie beteilige, in welchen Fächern ich sie beteilige, wo denn die Kompetenz der Eltern liegt und worin sie nicht liegt. Aber anders kann ich hier meine Zustimmung nicht geben. Da sagen Sie, die Eltern werden beteiligt an einem Schulprogramm, das keiner lesen will. Dann frage ich mich, warum beteiligen wir die Eltern dann? Dann können wir das ja sein lassen, dann schreiben wir was auf und geben das ab. Aber wenn wir das machen, dann möchte ich auch gerne etwas über die Inhalte wissen.
Frau Lustig: Ich finde es ist jetzt schon wieder dermaßen spät, und ehe wir noch wer weiß wie lange darüber reden, möchte ich mal vorschlagen, vielleicht ist es ja für die nächste Konferenz möglich, daß sich da so eine klei-
Wieder Frage nach der Zielpräzisierung.
nere Gruppe mit der Liste, die wir da haben, beschäftigt Phase 6 Aktionsplan und mal einen Vorschlag macht, welche Bereiche davon gut mit den Eltern abzuarbeiten sind. Und dann können die das ja beim nächsten mal vorstellen und begründen. Und dann können wir uns ja mal vielleicht doch mal et-was mehr dieser Idee öffnen, daß Eltern daran mitarbeiten und uns vielleicht die Arbeit auch erleichtern, denn da sind nämlich auch ein paar kompetente Leute bei, die können auch super schreiben und da ist auch noch der Herr X, der druckt uns das auch noch nachher, dann haben wir das auch schon erledigt.
Herr Schiller: Also die kompetenten Leute werden sicherlich bei den Elternvertretern die Kollegen sein, die ihre Kinder auch bei uns auf der Schule haben. Ich will dann auch noch mal Frau Müller unterstützen mit ihrem Argument der 4 Jahre. Das ist hier ein bißeben untergebügelt worden, das finde ich nicht richtig.
Analyse von Entscheidungsprozessen in Konferenzen 209
Es gibt sicherlich Großeltern und Eltern und Kinder und Enkel, die hier auch auf der Schule waren, aber daß die jetzt unser Schulleben hier perpetuieren, das kann ja wohl auch nicht der Sinn der Sache sein. Die Großeltern können ja schon vollkommen unmögliche Typen gewesen sein. Und wenn sich die Eltern hier jetzt weiter in dieser Form äußern, dann kann das auch negativ sein. Ich will aber ganz kurz noch was ganz anderes sagen, was in dieselbe Richtung strebt! Die Eltern haben natürlich hier ein Interesse an der Schule, aber für uns ist das Beruf, d. h. für uns ist das Berufsfeld. Nach 4 Jahren sind wir immer noch hier, wir sind auch wahrscheinlich die nächsten 10-15 Jahre auch noch hier bis zu unserer Pensionierung. Und die Eltern sagen nachher mit ihren Kindern nach 4 Jahren hier ade, dann kommen neue Eltern mit neuen Vorstellungen. Wer sagt denn, daß diese neuen Eltern dann dieselben Vorstellungen haben, wie jetzt die alten Eltern? Die Rolle der Lehrer ist eine ganz andere bezogen auf die Interessenlage als die Rolle der Eltern.
Tumult um Wortmeldungen
Frau Rose: Sie haben eben zugesagt, daß sie das Ganze abschließend behandeln würden und wollen uns noch die Möglichkeit geben, uns noch zu äußern. Wir sind doch hier nicht im Kasperletheater.
Schulleiter Lenk: Gestatten Sie trotzdem noch mal! Es geht hier um unsere Aufgabe, das Schulprogramm bis zum Jahre 2000 zu schaffen und nicht um das Kasperletheater. Das Schulprogramm wird auch in Schulleiterrunden häufig diskutiert unter der Frage: An wen wendet es sich denn? Ja, muß ich eigentlich zwei Schulprogramme schreiben? Eins für uns und eins für die Eltern?
Menge: Und eins für die Kinder, die Schüler! Gelächter, Stimmengewirr. Schulleiter Lenk: Die Frage, wieviel müssen wir eigentlich schreiben, die will ich umgehen, indem ich sage: Wir schreiben eins, der Adressatenbezug ist für alle. Und wenn wir Eltern dabei einbeziehen, können sie auch dafür sorgen, daß die Lesemotivation groß ist und daß Dinge drin stehen, die für Eltern eine Frage sind. Das sehen wir ja manchmal gar nicht, was die wissen wollen. Also für mich gibt es wirklich nach wie vor - das was Sie auch schon sagten, Frau Lustig, - gar nicht die Frage, ob wir Eltern einbeziehen oder nicht, sondern wo ist es sinnvoll. Wir solltenjetzt zur Abstimmung kommen und dann sehen wir ja, ob wir das so machen oder. ..
Wiederholte Frage nach einer Zielpräzisierung, immer noch ohne gemeinsame Einigung darauf!
210 Karl-Klaus Pullig
Einwurf: Ich bin gegen eine Abstimmung. Abstimmungen sind immer mit Mehrheiten und Minderheiten. Und wenn die Mehrheit dummes Zeug beschließt und die Minderheit hat recht, dann haben wir eben nachher eben Unsinn gemacht. Also ich bin gegen eine Abstimmung, außerdem ist das noch viel zu früh. Da müssen wir noch ein paar Konferenzen machen. -Stimmengewirr-
Herr Leutberger: Ich muß aufgrund der Einwände, die hier gemacht wurden, ein bißeben klein beigeben. An sich sind meine Eltern ja auch gar nicht so schlimm. Aber ich wollte dann noch mal den Vorschlag von Frau Lustig unterstützen. Die hat ja vorgeschlagen, daß wir in einer zweiten oder dritten Gruppe einige - oder sagen Sie doch mal selber, wie Sie sich das vorgestellt hatten! - einige Punkte herausarbeiten, an denen die Eltern mitarbeiten können und Punkte, an denen sie nicht mitarbeiten können. Oder habe ich Sie da vielleicht falsch verstanden?
Frau Lustig: Eine Gruppe, die von diesen Punkten vielleicht erst einmal die herausarbeitet, bei denen sie sich am ehesten vorstellen kann, daß die Eltern mitarbeiten, die können sie uns dann beim nächsten mal ja mal vorschlagen und vielleicht finden wir da ja.
Herr Leutberger: Also so einen Vorschlag will ich dann auch unterstützen.
Frau Rose: Ich glaube, daß Eltern sich nicht zuweisen lassen, bei dem Punkt dürft ihr was sagen und bei dem nicht. Und soll dann abgestimmt werden, zwischen Eltern und Lehrern, wenn es zu unterschiedlichen Ansichten kommt? Also ich denke, das ist doch das Wesentliche, das wir erst einmal vorab klären müssen. Und es sind so viele Kollegen, die da Vorbehalte haben. Ich denke, das müßte erst einmal auch rechtlich abgeklärt werden, ob Herr Lenk überhaupt die Möglichkeit dazu hat, so etwas überhaupt durchzusetzen, wenn nur ein einzelner dagegen ist. .....
Die verbleibende Zeit werden Vorschläge zur weiteren Vorgehensweise und Methodik diskutiert. Vgl. S. 201. Hier könnte der Konferenzleiter zu einer sachlich-zielgerichteten Konferenzarbeit beitragen, indem er nochmals ein klares Ziel der verbleibenden wenigen Minuten formuliert, z. B. ,,Anregungen, Vorschläge für weiteres Vorgehen in dieser Sache" (das hätte evtl. schon am Anfang der Konferenz als Ziel formuliert werden können).
Vorgehensvorschlag!Aktionsplan
Vorgehensdiskussion Vgl. Hinweis aufS. 201
Die restlichen 8 Minuten bis zum Ende der Konferenz ringen die Teilnehmer und Teilnehmerinnen, teilweise sehr lebhaft und tumultartig, um die weitere Vorgehensweise, ohne zu einem konkreten Ergebnis bzw. Aktionsplan zu kommen.
4.3 Zusammenfassende Analyse der Lehrerkonferenzsimulation
Der Konferenzleiter hat Verhaltensbeispiele ergebnisorientierter Konferenzleitung gegeben: er kämpft, wirbt für seine Sache; er möchte Eltern an der Schulprogramm-
Analyse von Entscheidungsprozessen in Konferenzen 211
arbeit beteiligen und die Kollegen von der Notwendigkeit überzeugen. Die Konferenzsimulation zeigt auch das typische Problem ergebnislenkender Konferenzleitung: Navigationshilfen in schwierigen Konferenzsituationen geben zu können setzt Überblick der Konferenzleitung und das Vertrauen der Teilnehmer voraus, daß die Konferenzleitung in Richtung des gemeinsamen Zieles steuern hilft.
Die Kommunikation ist bisweilen etwas gereizt, vorwurfsvoll, rechtfertigend. Dies ist u. a. auch eine Folge mangelnder Zielklarheit Zielpräzisierungen wären hilfreich gewesen. Auch die für ,normale' Konferenzen leider typische Vermischung von Bildgestaltungen und Bewertungen sowie die ausschließliche Methode nach Wortreihenfolgen vorzugehen sind Problemfelder in dieser Konferenz.
Diese Simulation wirft auch die Grundsatzfrage auf, inwieweit Diskussionen über die Vorgehensweise bzw. über Konferenzmethoden zulässig und erfolgversprechend sind. In Konferenzen, die durch die Rahmen-GO geregelt sind, taucht das Problem in Form von Anträgen zur GO auf.
5 Ausblick: Konferenzanalyse und ,,Lernende Organisation"
In letzter Zeit ist viel die Rede von der ,,Lernenden Organisation". Wenn man Stäbler (1999, 75-76) folgen will, kann man darunter allgemein Lernprozesse zur Verbesserung der Lernfähigkeit von Organisationen verstehen mit dem Ziel, einen organisatorischen Kontext zu schaffen, der Kritik und Veränderung eingefahrener Verhaltensweisen zuläßt. Entscheidungen fallen heute typischerweise in Konferenzarrangements. Systematische Analysen des Konferenzgeschehens können im Sinne der lernenden Organisation die Problemlösekapazität von Organisationen erhöhen.
Literatur
Brandstätter, H. (1976): Entscheidungsprozesse in Gruppen, Bern. Brauchlin, E. (1977): Brevier der betriebswirtschaftliehen Entscheidungslehre,
Bern/Stuttgart. Bronner, R. (1989): Planung und Entscheidung, München/Wien, 2. Auft. Bundesakademie für öffentliche Verwaltung im Bundesministerium des Innern (Hrsg.)
( 1981 ): Planungsmethoden in Verwaltung und Wirtschaft, Regensburg. Kepner, Ch.ffregoe, B. B. (1967): Management-Entscheidungen vorbereiten und richtig tref
fen, München. Pullig, K.-K. (1999): Lernort Konferenz, in: Martin, A./Mayrhofer, W./Nienhüser, W. (Hrsg.):
Die Bildungsgesellschaft im Unternehmen? Festschrift für Wolfgang Weber, München
und Mering, S. 203-217. Schlicksupp, H. (1976): Kreative Ideentindung in der Unternehmung, Berlin/New York.
Schmidt, G. (1994): Methode und Techniken der Organisation, Gießen, 10. Auft. Schulte-Zurhausen, M. (1999): Organisation, München, 2. Auft. Stäbler, S. (1999): Die Personalentwicklung der "lernenden Organisation", Berlin. Vroom, V.H./Jago, A.G.: Flexible Führungsentscheidungen, Stuttgart 1990.
Aufgaben- und anwenderbezogene Aspekte der Videokommunikation
Wolfgang Ph. Appel
1 Eine technologische Innovation als soziale Herausforderung
Die Idee der Unterstützung von Entscheidungsprozessen mittels des Einsatzes von Bewegtbild-Übertragungist keineswegs eine originäre Erfindung des PC-Zeitalters. Vielmehr bot bereits im Jahr 1936 die Deutsche Reichspost einen ,,Bildfernsprechdienst" zwischen Berlin und Leipzig an, ohne allerdings auf breite Resonanz zu stoßen.1 Kein rechter Erfolg war auch dem Versuch beschieden, in den 60er und 70er Jahren in Deutschland wie in Großbritannien ,,Bildfernsprechkonferent'Systeme zu etablieren. Erst zu Beginn der 90er waren endlich die notwendigen infrastrukturellen Voraussetzungen, wie leistungsfähige Übertragungsnetzwerke und Aufnahme- und Wiedergabetechnologien gegeben. Es bedurfte jedoch eines einschneidenden politischen Ereignisses, um der Videokonferenz-Technologie zu breiter Beachtung zu verhelfen. Der zweite Golfkrieg 1991 hielt viele Geschäftsreisende aus Angst vor terroristischen Anschlägen davon ab, Flugzeuge zu benutzen. Erstmals waren die von der Bundespost angebotenen Videokonferenz-Mietstudios ausgebucht und auch nach Kriegsende war ein gesteigertes Interesse festzustellen.2
Ein weiterer wichtiger Meilenstein war die Festlegung einheitlicher Standards der Bewegtbild- und Tonkommunikation durch die International Telecommunication Union im Jahr 1995.3
Der technische Aufbau von Videokonferenz-Systemen ist meist gleich: Kameras und Mikrophone nehmen Daten auf, die über Hardware- bzw. Software-Komponenten in digitale Daten umgewandelt werden. Deren Übertragung kann über verschiedene Netzwerke wie LAN oder ISDN erfolgen. Bei der Empfangsstelle werden die eingehenden Datenströme entschlüsselt und zur Datenwiedergabe Bildschirm und Lautsprechern zugeführt.4 Bei PC-gestützten Systemen ist zusätzlich eine gemeinsame Benutzeroberfläche verfügbar- auch als Whiteboard bezeichnet - mit der die Kommunikations-Partner gleichzeitig gemeinsam Texte und Grafiken erstellen oder Dokumente editieren können.
Anwendungsfelder für Telekommunikations-Systeme bestehen im Vertrieb, in der Weiterbildung und Beratung sowie im betrieblichen Informationsaustausch.5
Zwar sind Videokonferenz-Systeme noch weit davon entfernt dem Telefon seine
1 Vgl. Quadt, H.-P., 1993, S. 19; Schmitt-Egenolf, A., 1990, S. 19. 2 Vgl. Lautz, A., 1995a, S. 27. 3 Vgl. Schepp, T., 1995, S. 58 f. 4 Vgl. Bialetzki, J., 1993, S. 36. 5 Vgl. Rachor, U., 1994, S. 35-38; Rinderknecht, H.-R., 1996, S. 87.
Aufgaben- und anwenderbezogene Aspekte der Videokommunikation 213
Bedeutung streitig zu machen, dennoch kann man davon ausgehen, daß weitestgehend alle Großunternehmen die Technologie bereits einsetzen oder zumindest deren Einsatz planen.
Schwerpunkte der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Videokommunikation lagen bei ökologischen wie volkswirtschaftlichen Aspekten, sprich die Verringerung von Abgas-Emissionen durch eine Mobilitäts-Substitution,6 oder die Förderung strukturschwacher Gebiete durch Telearbeit.? Daneben wurde aus betriebswirtschaftlicher Sicht vor allem untersucht, ob sich durch den Einsatz von Videokonferenz-Systemen Reisekosten senken lassen.8 Entgegen der gängigen Erwartung des Rückgangs des Reiseaufwands formulierten so Reichwald et al. das "Telekommunikations-Paradoxon". Abgeleitet aus der Beobachtung des Kommunikationsverhaltens von Top-Führungskräftenerkannten sie, daß mit der intensiven Nutzung von Telekommunikations-Systemen der Reiseaufwand nicht ab-, sondern im Gegenteil sogar zunahm.9
Daneben finden sich nur wenige Untersuchungen zur Wirkung von Videokonferenz-Systemen auf das Verhalten von einzelnen Anwendern oder von AnwenderGruppen. Auch wurden in der Forschung bislang die Anforderungen unterschiedlicher Aufgabenarten an ein Entscheidungs-Werkzeug vernachlässigt. Nach Bronner stellt die Aufgabenart jedoch den wichtigsten Kontextfaktor zur Erklärung der Effekte der Videokommunikation auf die kooperative Arbeit dar. 10 Die nachfolgend dargestellte empirische Untersuchung greift die genannten Forschungslücken auf.
2 Forschungsrahmen
Ein Forschungsrahmen dient der begründeten Auswahl und Anordnung von untersuchenswerten Variablen in einem Input-Process-Output-Modell. Bei den Inputfaktoren wird auf die sogenannte Leavitt-Raute zurückgegriffen. Nach Leavitt läßt sich mittels der Variablen Aufgabe, Struktur, Technologie und Person jede organisatorische Einheit hinreichend beschreiben. 11 Bezogen auf das Untersuchungsobjekt wurden die Begriffe in die Faktoren ,,Entscheidungsproblem", ,,EntscheidungsWerkzeug", ,,Entscheidungsperson" und ,,Entscheidungsgruppe" überführt (siehe Abb. 1). Neben der Struktur-Dimension des Entscheidungsverhaltens unter Medieneinsatz steht die Prozeß-Dimension. Wegen der schwierigen empirischen Erschließung des Entscheidungsprozesses wird diese Variable als ,,Black Box" betrachtet, deren Innenleben als fixe Größe angesehen und nicht überprüft wird. Einzig die Ergebnisse des Entscheidungsprozesses sind von Relevanz. Als abschließendes
6 Vgl. Lautz, A., 1995, S. 151-156; Grate, G., 1996, S. 112. 7 Vgl. ebd., S. 112. 8 Vgl. Schulte, R., 1993, S. 64-70. 9 Vgl. Pribilla, P. et al., 1996, S. 236-238; empirisch bestätigt von Ollmann, R., Krieger, T.,
1989, s. 71. 10 Vgl. Bronner, R., Appel, W., 1996, S. 21. 11 Vgl. Leavitt, H. 1965, S. 1145.
214 Wolfgang Ph. Appel
Struktur-Dimension Prozeß-Dimensioo Ergebnis-Dimension
Abbildung 1: Forschungsrahmen des Entscheidungsverhaltens unter Medieneinsatz
Element des Bezugsrahmens wird die Ergebnis-Dimension in eine aufgabenbezogene "ökonomische Effizient' sowie eine personenbezogene "soziale Effektivität" unterteilt.
2.1 Wahrnehmung des Entscheidungswerkzeugs
Die als Desktop-Systeme bezeichneten PC-gestützten Videokonferenz-Systeme verfügen über Werkzeuge zur Unterstützung der auditiven, visuellen und zeichenorientierten Kommunikation. Verschiedene empirische Studien zeigten die herausragende Bedeutung der auditiven Kommunikation zur Steuerung der Zusammenarbeit von Gruppen.12 Entscheidungspersonen sind durch den intensiven Umgang mit dem Telefon darin geübt, allein durch die Modulation der Stimme ein Gespräch zu strukturieren. Jedoch besitzt der Audiokanal für sich allein wohl nur eine begrenzte Effektivität. Insbesondere bei zunehmender Aufgabenkomplexität fallt die Leistung der Audiokommunikation gegenüber der direkten Kommunikation ab.13 Im Zusammenwirken mit anderen Kommunikationskanälen dominiert jedoch anscheinend die Audiokommunikation. 14 Für die Anwender von Videokommunikations-Systemen scheint darum die technisch vermittelte visuelle Information anders als bei der direkten Kommunikation nur einen nicht-essentiellen Zusatznutzen zu dem Basiskanal der auditiven Information zu bieten. Es sollen darum folgende Hypothesen geprüft werden:
12 Vgl. Pye, R., Williams, E., 1977, S. 240; O'Connaill, B. , Whittaker, S. et al , 1993, S. 420-422.
13 Vgl. Champness, B. G., 1973, S. 437-448. 14 Vgl. Pye, R., Williams, E., 1977, S.240.
Aufgaben- und anwenderbezogene Aspekte der Videokommunikation 215
Ht: Für die Anwender eines Videokommunikations-Systems besitzt die Kommunikation über den Audiokanal eine höhere Bedeutung als die Kommunikation über den VideokanaL
Empirische Untersuchungen zeigten, daß der alleinige Einsatz einer gemeinsamen Benutzeroberfläche kein effektives Werkzeug darstellt. Im Zusammenspiel mit einem weiteren Kommunikationskanal ist ein Whiteboard jedoch durchaus sehr leistungsfähig.15 Experimente zeigten, daß ein Audiokanal bereits eine effektive Nutzung der gemeinsamen Benutzeroberfläche erlaubt, während ein zusätzlicher Videokanal kaum die Effektivität verbessert. 16 Weitergehend kann sogar davon ausgegangen werden, daß die Anwender nicht nur den Audiokanal, sondern selbst das Whiteboard für wichtiger erachten als den VideokanaL
H2: Für die Anwender eines Videokommunikations-Systems besitzt die Kommunikation über die gemeinsame Benutzeroberfläche eine höhere Bedeutung als die Kommunikation über den VideokanaL
2.2 Merkmale der Entscheidungsperson
Für Pye/Williams war neben technischen Merkmalen der Übertragungs- und Wiedergabetechnikdie Einstellung der potentiellen Anwender zur Technologie ein entscheidender Erfolgsfaktor für die Nutzung von Telekonferenz- Systemen. 17 Gale verweist auf die Ergebnisse der Londoner "Communications Studies Group", die in
den frühen 70er Jahren zahlreiche, in der Persönlichkeit der Anwender begründete Leistungseinschränkungen von Videokommunikations-Systemen ermittelten. 18
Neuere Befunde einer von Mayer durchgeführten Befragung von Anwendern von
Videokommunikations-Systemen deuten darauf hin, daß eine positive Einstellung zu dem Medium mit einer positiven Gesamtbewertung der Nutzung korreliert. 19 Es soll darum folgender Zusammenhang überprüft werden:
H3: Je positiver die Einstellung zu Computertechnologie ist, desto positiver wird das Medium bewertet.
Neben der Einstellung soll hier die Leistungsmotivation untersucht werden.20
Bei Bronner finden sich laborexperimentelle Befunde zum Verhältnis von Leistungsmotivation, Aufgabenart und Mediennutzung. Es zeigte sich, daß hoch Leistungsmotivierte kaum einen Belastungsunterschied zwischen schriftlicher Kommunikation und Videokonferenz empfinden, während niedrig Leistungsmotivierte
15 Vgl. Tang, J. C., Isaacs, E., 1993, S. 182 f. 16 Vgl. Scrivener, S., Clark, S. et al., 1993, S. 149-156. 17 Vgl. Pye, R., Williams, E., 1977, S. 231; ebenso Contractor, N. S., Eisenberg, E. M., 1990,
s. 153 f. 18 Vgl. Gale, S., 1992, S. 522. 19 Vgl. Mayer, T., 1991, S. 52-56,83 f. 20 Zum Konzept der Leistungsmotivation vgl. Heckhausen, H., 1965, S. 604.
216 Wolfgang Ph. Appel
bei der schriftlichen Kommunikation eine deutlich höhere Belastung als bei der Lösung der Aufgaben über Videokonferenz wahrnehmen. 21
Diese Befunde könnten sich damit erklären lassen, daß die technisch bedingten Restriktionen unterschiedlicher Kommunikationsmedien, wie etwa der höhere Aufwand des Schreibens gegenüber dem Sprechen im vorgenannten Beispiel, von Personen mit hoher Leistungsmotivation leichter überwunden werden als von Personen mit geringer Leistungsmotivation. Es soll darum folgende Hypothese überprüft werden:
H4: Hoch leistungsmotivierte Anwenderbeurteilen ein Entscheidungs-Werkzeug positiver als gering leistungsmotivierte Anwender.
2.3 Wirkung des Entscheidungsproblems
Dem Gehalt und der Gestaltung einer Aufgabe kommt in der sozialwissenschaftliehen Theorie ebenso wie in der Forschungsmethodik eine zentrale Bedeutung zu, die dem Gewicht dieser Komponente in der Unternehmenspraxis entspricht. Zur Systematisierung des Universums möglicher Aufgabenstellungen wurde in dieser Untersuchung auf das sogenannte Circumplex-Modell von McGrath zurückgegriffen. Das Modell ist in vier Quadranten eingeteilt, die nach den wichtigsten Tätigkeiten, die von Gruppen im Arbeitsprozeß vorrangig auszuführen sind, benannt sind. Es handelt sich um Aufgaben der Erzeugung von Ideen, des Auswählens einer Entscheidungsalternative, des Verhandeins und der Ausführung (siehe Abb. 2).22
Die Aufgabentypologie von McGrath soll zur Erklärung der aufgabenbedingten Effekte von Kommunikationstechnologie mit der Media-Richness-Theorie von DaftJLengel verknüpft werden. Diese Theorie geht davon, daß Unternehmen Informationen benötigen, um mit der Mehrdeutigkeit und der Unsicherheit von Umweltsituationen umgehen zu können. Der Informationsbedarf kann unter anderem durch den Einsatz von Kommunikationsmedien gedeckt werden. Diese Medien lassen sich auf einem Kontinuum als weniger ,,reiche" und persönliche Medien sowie als ,,reiche", persönliche Medien darstellen. 23 "Media that facilitate the immediate exchange of a wide range of communication cues are often regarded as rieb media, while those that allow the exchange of a restricted range of such cues over a Ionger period are considered lean media."24 Beurteilt wird der Medienreichtum anband von vier Kriterien: Feedback-Kapazität, Anzahl der Kommunikationskanäle, Qualität der persönlichen Ansprache des Adressaten und Ausdruckskraft der verwendeten Zeichen.25
Für eine effiziente Kommunikation muß eine Optimierung der Medienwahl für unterschiedliche Aufgabenarten erfolgen. Wird unnötigerweise ein zu reiches Sy-
21 Vgl. Bronner, R., 1996, S. S. 71, 72, 75, 76. 22 Vgl. McGrath, J. E., 1984, S. 60 f. 23 Vgl. Daft, R. L., Lengel, R. H., 1986, S. 554-558. 24 Chidambaram, L., Jones, B., 1993, S. 467. 25 Vgl. Daft, R. L., Lengel, R. H., 1986, S. 563 f.
Aufgaben- und anwenderbezogene Aspekte der Videokommunikation 217
Verhandeln
Intellekt Verhalten
Abbildung 2: Aufgabentypologie von McGrath
stem eingesetzt, kann es zu einer Verschwendung von Ressourcen, im umgekehrten Fall zu einer unbefriedigenden Aufgabenerfüllung kommen. 26 Innerhalb des Task-Circumplex-Modells kann die Realisierung einer Mehrzahl der Merkmale von Führungsentscheidungen eher in Aufgaben der Sektoren "Verhandeln" und ,,Erzeugen" als in Aufgaben der Sektoren ,,Auswählen" oder ,,Ausführen" gesehen werden. Folgerichtig wird in der Literatur darauf hingewiesen, daß Spitzenmanager zur Lösung ihrer Verhandlungsaufgaben Medien mit einer hohen ,,Media Richness" bevorzugen. 27
In dieser Untersuchung sollen Video- und Computerkonferenz-Systeme einander gegenübergestellt werden. Unter einem Computerkonferenz-System ist ein E-Mail-System in gleichzeitiger Nutzung zu verstehen. Beides sind Kommunikationssysteme die in der Media-Richness-Theorie als sehr konträr eingestuft werden. Hinsichtlich der Kommunikationsmerkmale kommt die Videokommunikation der Direktkommunikation am nächsten. Sie ermöglicht zwar analoge und digitale Kommunikation, gegenüber der face-to-face-Kommunikation sei jedoch die Übertragungskapazität einiger Kanäle eingeschränkt, erklären Huber/Daft.28 Entsprechend der konträren Einordnung von E-Mail- und Videokonferenz-Systemen auf dem Media-Richness-Kontinuum und dem dargestellten Zusammenhang zwi-
26 Vgl. Kydd, C. T., Ferry, D. L., 1994, S. 370 f. 27 Vgl. Fulk, J., Boyd, B., 1991, S. 410. 28 Vgl. Huber, G. P., Daft, R. L., 1987, S. 153.
218 Wolfgang Ph. Appel
sehen Medium und Aufgabenart ist von unterschiedlichen Wirkungen verschiedener Aufgabentypen auszugehen.
Hs: Bei Verhandlungsaufgaben wird das Videokommunikations-System positiver beurteilt als das Computerkonferenz-System.
H6: Bei Verhandlungsaufgaben wird in der Videokonferenz eine höhere Ergebnisqualität erreicht als in der Kommunikation über ein ComputerkonferenzSystem.
In empirischen Untersuchungen wird darauf hingewiesen, daß Gruppen, die über ein E-Mail-System kommunizieren, mehr Zeit benötigen als bei einer Kommunikation über ,,reichere" Kommunikationsmedien wie etwa Videokonferenz.29 Die Bearbeitung von Verhandlungsaufgaben ist sehr argumentationsintensiv, d. h., es müssen mehr Nachrichten ausgetauscht werden als bei anderen Aufgabentypen. Da das Schreiben und Lesen von Nachrichten sehr viel mehr Zeit in Anspruch nimmt als das Sprechen und Hören, ist davon auszugehen, daß schriftgestützte Kommunikationsformen in diesen Fällen zeitaufwendiger sind. 30 Ergänzend soll darum folgende Hypothese überprüft werden:
H,: Bei Verhandlungsaufgaben wird bei Kommunikation über ein Videokommunikations-System weniger Zeit benötigt als bei der Kommunikation über ein Computerkonferenz-System.
Den Verhandlungsaufgaben sollen Entscheidungsprobleme aus dem McGrathschen Sektor ,,Auswählen" gegenübergestellt werden. Für diese Art von Problemen sind im Vergleich zu den Verhandlungsaufgaben sehr viel geringere Medieneffekte im Hinblick auf die Qualität der Lösung bzw. die dazu benötigte Zeit zu erwarten. 31
Jedoch ist zu erwarten, daß bei der vordergründigen Nutzung des Werkzeugs die positive Bewertung des Werkzeugs erhalten bleibt.
Hs: Bei Auswahlaufgaben wird das Videokommunikations-System positiver beurteilt als das Computerkonferenz-System.
Das spezifische Problem der Auswahlaufgaben besteht in der Ermittlung der objektiv richtigen Lösung aus einer Palette möglicher Alternativen. Die Gruppendiskussionen zur Lösung dieser Probleme werden darum weniger personenorientiert als vielmehr auf die Aufgabe selbst ausgerichtet sein. Es ist weiter nicht zu erkennen, daß das Vorhandensein des visuellen Kanals bei der Videokommunikation gegenüber der textgestützten Kommunikation des Computerkonferenz-Systems zu einer besseren Lösung führen sollte. Es ist darum zu erwarten, daß hinsichtlich der Wahrnehmung der Kommunikationssituation und der erreichten Lösungsqualität bei dieser Aufgabenart keine signifikanten Unterschiede eintreten werden. Ebenso ist
29 Vgl. Kiesler, S., Sproull, L., 1992, S. 108. 30 Vgl. Bronner, R., 1996, S. 112. 31 Vgl. McGrath, J. E., 1984, S. 77.
Aufgaben- und anwenderbezogene Aspekte der Videokommunikation 219
zu erwarten, daß nun auch hinsichtlich der Lösungszeit, die noch bei der Auswahlaufgabe zu erwartenden Vorteile des Videokommunikations-Systems entfallen werden. Es ist bei diesem Aufgabentyp bei weitem nicht mit demselben argumentativen Interaktionsaufwand wie bei Aufgaben des Verhandlungstyps zu rechnen, so daß der Geschwindigkeitsvorteil des Redens und Hörens bei VideokommunikationsSystemen gegenüber dem Schreiben und Lesen bei Computerkonferenz-Systemen an Bedeutung verliert.
H9: Bei Auswahlaufgaben erreichen Gruppen in Abhängigkeit von dem benutzten Kommunikationssystem keine unterschiedliche Ergebnisqualität
Hto: Bei Auswahlaufgaben werden über die Kommunikationssysteme keine unterschiedlichen Lösungszeiten erreicht.
3 Operationalisierung und Durchführung der Untersuchung
Als Forschungsform kam das Laborexperiment zum Einsatz, wobei zur Datengewinnung die Versuchspersonen befragt wurden bzw. Leistungsmerkmale wie Qualität der Lösung und benötigte Zeit gemessen wurden. Der Forschungsplan sah ein 2 x 2-Untersuchungsdesign vor mit den experimentell variierten Variablen ,,Aufgabenart'' und "Kommunikationsumgebung". Merkmal einer Auswahlaufgabe ist nach McGrath die Existenz einer nachvollziehbaren Problemlösung, die bei Einhaltung sachgerechter Entscheidungsmethoden von den Versuchspersonen ausgewählt werden muß. 32 Im Experiment wurde als Auswahlaufgabe die Fallsimulation ,,Ausschreibung" von Bronner eingesetzt.33 Bei der ,,Ausschreibung" handelt es sich um die fiktive Entscheidung eines Staates über die Beschaffung von PKWs.
Bei einer Verhandlungsaufgabe müssen die Versuchspersonen eine Lösung ihres Problems vor dem Hintergrund unterschiedlicher persönlicher Präferenzen und Informationsgrade "aushandeln", ohne daß eine exakte Problemlösung vorhanden ist. Über die individuellen Verhandlungsmotive der Personen hinaus eint sie jedoch eine gemeinsame Zielvorstellung. Ein Beispiel für eine Verhandlungsaufgabe ist die Entscheidung des Vorstands eines Großunternehmens, bei dem alle Ressortchefs aus dem speziellen Blickwinkel ihrer Fachdisziplin agieren.34 Als Verhandlungsaufgabe wurde eine Planungsentscheidung eigens für dieses Experiment entwickelt. Der Vertreter eines Ministeriums verhandelt mit einem Vertreter einer Hochschule über den Neubau eines Institutsgebäudes. Es steht nur ein begrenzter Geldbetrag zur Verfügung, den das Ministerium unbedingt einhalten will. Demgegenüber steht der Hochschulangehörige unter dem Druck seiner Kollegen einen optimalen Raumplan durchzusetzen. Im Ergebnis müssen sich beide Akteure auf eine Verteilung der Ressourcen einigen und diese auf einem Gebäudegrundriß eintragen. 35
32 Vgl. McGrath, J. E., 1984, S. 63 f. 33 Vgl. Bronner, R., 1999, S. 93-97 sowie 109-113. 34 Vgl. McGrath, J. E., 1984, S. 88. 35 Vgl. Appel, W., 1999, S. 228-232.
220 Wolfgang Ph. Appel
Um die Aufgaben herum wurde eine Aufgabenumgebung konstruiert. So wurde die Größe der Versuchsgruppen auf zwei Personen festgelegt, da die dyadische Kommunikation nicht nur als Regelfall der betrieblichen Interaktion anzusehen ist, sondern sie nutzt auch am stärksten die Vorteile der PC-gestützten Videokommunikation, nämlich die individuelle Steuerbarkeit des Kommunikationswerkzeugs und die Intimität der Kommunikationssituation. Zur Gestaltung des Computerkonferenz-Systems wurde auf die Mail-Komponente von Lotus Notes zurückgegriffen, die Videokommunikation wurde über das PC-gestützte System ProShare von Intel abgewickelt.
Zur Messung der Effektivität der untersuchten Entscheidungsprozesse wurde auf bereits vorliegende, bewährte Erhebungsinstrumentarien zurückgegriffen. Dies war zum einen der von Bronner und Stein entwickelte ,,Abschlußfragebogen" ASF,36 daneben der von einer schottisch-niederländischen Forschergruppe erarbeitete ,,Multimedia Communications Questionnaire", der für diese Untersuchung übersetzt und umfangreich angepaßt wurde. Die Daten wurden zu Beginn der Jahres 1998 erhoben. An den Laborexperimenten nahmen 70 Studenten der Universität Mainz in 35 Gruppen teil.
4 Untersuchungsergebnisse
4.1 Befunde zum Entscheidungs-Werkzeug
Zur Prüfung der Hypothesen H1 und H2 wurden die Versuchspersonen befragt, für wie hilfreich sie das Vorhandensein eines der Kommunikationskanäle für die Lösung des Problems erachteten.
Tabelle 1: Befund zur Beurteilung des Beitrags von Audio- und Videokanal zur Problemlösung
N Mittelwert Standard- Sig. Beurteilung abweichung (1-seitig)
Audioverbindung 36 4,83 0,45 Videobild 36 3,25 1,44 0,000
Das Ergebnis zeigt mit hochsignifikantem Befund, daß die Audioverbindung für die Interaktion eine sehr viel größere Bedeutung als das Videobild besitzt.
36 Vgl. Stein, F. A., 1990, S. 255-260.
Aufgaben- und anwenderbezogene Aspekte der Videokommunikation 221
Tabelle 2: Befund zur Beurteilung des Beitrags von elektronischem Notizblock und Videokanal zur Problemlösung
N Mittelwert Standard- Sig. Beurteilung abweichung (1-seitig)
Notizblock 36 3,92 1,40 Videobild 36 3,25 1,44 0,028
Für die Versuchspersonen war die Anwendung des Notizblocks signifikant wichtiger als die Darstellung des Partnerbildes über den Monitor. Damit bestätigten sich die Erwartungen des theoretischen Teils: das Videobild wird als eine Zusatzinformation zu der essentiellen akustischen und textgestützten Kommunikation angesehen.
4.2 Befunde zu den Merkmalen der Entscheidungsperson
Zur Prüfung der Hypothese H3 wurde eine Regression eingesetzt.
Tabelle 3: Wirkung der Kommunikationsform auf die Bewertung des EntscheidungsWerkzeugs
I. Schritt b
Kommunikation"sform 0,588
,-2
0,346
Signifikanz
0,000
Tabelle 4: Wirkung der Einstellung als intervenierende Variable auf die Bewertung des Entscheidungs-Werkzeugs
I. Schritt b
Einstellung 0,069 0,005
Signifikanz
0,573
Es konnte kein hypothesenkonformer Zusammenhang ermittelt werden. Die Einstellung besitzt keinen signifikanten Einfluß auf die Bewertung des
Entscheidungs-Werkzeugs.
In der Hypothese H4 wurde eine unterschiedliche Bedeutung der Leistungsmotivation für die Beurteilung eines Entscheidungswerkzeugs angenommen. In die Beurteilungsvariable flossen der Beitrag des Werkzeugs zur Zufriedenheit beziehungsweise Unzufriedenheit mit dem Sitzungsergebnis, der Wunsch nach einer Wiederholung der Mediennutzung sowie die Wahrnehmung einer Veränderung der Interak
tionssituation ein.
222 Wolfgang Ph. Appel
TabeHe 5: Befund zur Beurteilung der Entscheidungs-Werkzeuge durch unterschiedlich leistungsmotivierte Personen
Leistungsmotivation N Mittelwert Standard- Sig. Beurteilung abweichung (1-seitig)
Niedrig 21 3,02 0,90 Hoch 42 3,15 0,85 0,296
Zwar ergibt sich ein geringfügiger Mittelwertunterschied dergestalt, daß niedrig leistungsmotivierte Personen die Nutzung der Kommunikationsmedien negativer beurteilen als hoch leistungsmotivierte. Dieser Unterschied ist allerdings nicht signifikant.
4.3 Befunde zum Entscheidungsproblem
Zur Prüfung der Hypothese Hs wurden die Versuchspersonen um eine Beurteilung des Entscheidungs-Werkzeugs gebeten.
TabeHe 6: Befund zur Wahrnehmung der Entscheidungs-Werkzeuge bei Verhandlungsaufgaben
Leistungsmotivation N Mittelwert Standard- Sig. Beurteilung abweichung (1-seitig)
Videokonferenz 18 3,46 0,6545 Computerkonferenz 18 2,31 0,7354 0,000
Das Ergebnis zeigt eine höchst signifikante Bestätigung der Hypothese. Die Videokonferenz wird gegenüber der Computerkonferenz deutlich geeigneter zur Lösung von Verhandlungsaufgaben angesehen. Bei Hypothese Hs wurde die Qualität der erarbeiteten Lösungen verglichen.
Tabelle 7: Befund zur Lösungsqualität bei Verhandlungsaufgaben in Abhängigkeit vom Entscheidungs-Werkzeug
Kommunikationsform N Mittelwert Standard- Sig. Lösungsqualität abweichung (1-seitig)
Videokonferenz 18 16,10 2,43 Computerkonferenz 18 11,39 3,63 0,000
Auf der zur Beurteilung der Lösungsqualität zugrunde gelegten Skala von 1 ( = "sehr schlechte Bearbeitung") bis 20 (=,,sehr gute Bearbeitung'') Punkten erreichten die Gruppen, die das Videokonferenz-System benutzt hatten, eine signifikant bessere Lösungsqualität als die Gruppen, die mittels des Computerkonferenz-Systems kommuniziert hatten. Ebenso waren die Anwender des Videokonferenz-Systems mit der erzielten Lösung signifikant zufriedener (siehe Tabelle 8).
Aufgaben- und anwenderbezogene Aspekte der Videokommunikation 223
Tabelle 8: Befund zur Zufriedenheit mit dem Ergebnis bei Verhandlungsaufgaben in Abhängigkeit vom Entscheidungs-Werkzeug
Kommunikationsform N Mittelwert Standard- Sig. Ergebnis- abweichung (1-seitig)
Zufriedenheit
Videokonferenz 18 3,95 0,6978 Computerkonferenz 18 2,63 1,0657 0,000
Die Prüfung der Hypothese H7 ergab, daß die Anwender des Videokommunikations-Systems signifikant weniger Zeit zur Lösung der Aufgabe benötigten als die Anwender des Computerkonferenz-Systems (siehe Tab. 9).
Tabelle 9: Befund zur Lösungszeit in Minuten bei Verhandlungsaufgaben in Abhängigkeit vom Kommunikations-Werkzeug
Kommunikationsform N Mittelwert Standard- Sig. Lösungszeit abweichung (1-seitig)
Videokonferenz 18 192,72 22,60 Computerkonferenz 18 237,17 22,91 0,000
Den Ausführungen zu den Verhandlungsaufgaben folgt nun die Prüfung der Auswahlaufgaben. In Hypothese Hs wurde angenommen, daß auch bei Auswahlaufgaben die positive Bewertung des Videokonferenz-Systems bestehen bleibt.
Tabelle 10: Befund zur Beurteilung der Entscheidungs-Werkzeuge bei Auswahlaufgaben
Kommunikationsform N Mittelwert Standard- Sig. Beurteilung abweichung (2-seitig)
Videokonferenz 17 3,74 0,6217 Computerkonferenz 16 2,81 0,8292 0,001
Diese Annahme wurde durch die erhobenen Daten mit hochsignifikantem Ergebnis bestätigt (siehe Tab. 10). Allein durch die Variation des Problemgehalts einer Aufgabe scheint die Wahrnehmung der Eigenschaften eines Kommunikationsmediums nicht beeinflußt zu werden. Der Effekt von Entscheidungs-Werkzeug und -problem soll mittels einer zweifaktoriellen Varianzanalyse überprüft werden.
224 Wolfgang Ph. Appel
Tabelle 11: Wirkung der Kommunikationsform und der Aufgabenart auf die Beurteilung der Entscheidungs-Werkzeuge
Beurteilung Quadrat- df F Sig.
summe
Haupteffekte Kommunikationsform 18,751 36,966 0,000 Aufgabenart 2,620 5,165 0,026
2-Weg- Kommunikationsform x 0,228 0,449 0,505
Wechselwirkung Aufgabenart
Die Varianzanalyse bestätigt eine signifikante Wirkung der beiden Haupteffekte. Sie kann jedoch keine signifikante Interaktion zwischen der Kommunikationsform und der Aufgabenart nachweisen, d. h., die Mittelwertunterschiede zwischen den Entscheidungs-Werkzeugen bleiben bei einem Wechsel der Aufgabe nahezu gleich.
Tabelle 12: Befund zur Lösungsqualität bei Auswahlaufgaben in Abhängigkeit vom Entscheidungs-Werkzeug
Kommunikationsform N Mittelwert Standard- Sig. Lösungsqualität abweichung (2-seitig)
Videokonferenz 18 3,94 0,64 Computerkonferenz 16 4,25 0,68 0,187
Die vorstehenden Befunde bestätigen die Annahme der Hypothese H9, daß sich bei Auswahlaufgaben keine signifikant unterschiedlichen Lösungsqualitäten zwischen den Kommunikationssystemen ergeben. Die im Vergleich zu den Verhandlungsaufgaben unterschiedliche Ergebniswirksamkeit der Technologie deutet auf einen möglichen Interaktionseffekt zwischen Aufgabenart und EntscheidungsWerkzeug hin, der mittels einer zweifaktarieBen Varianzanalyse überprüft werden sol1.37
Tabelle 13: Wirkung von Kommunikationsform und Aufgabenart auf die Lösungsqualität
Haupteffekte Kommunikationsform Aufgabenart
2-Weg- Kommunikationsform x Wechselwirkung Aufgabenart
Lösungsqualität (standardisiert)
Quadrat- df F Sig. summe
3,144 5,687 0,020 7,912 14,310 0,000
8,758 15,839 0,000
37 Da jedoch zur Beurteilung der Lösungsqualität zwei verschiedene Maßstäbe eingesetzt wurden, wurden diese zunächst standardisiert.
Aufgaben- und anwenderbezogene Aspekte der Videokommunikation 225
Das Ergebnis der Varianzanalyse bestätigt in eindrucksvoller Weise die vorstehenden Befunde zur Lösungsqualität. Es existieren nicht nur hoch signifikante Haupteffekte, sondern auch die Wechselwirkung zwischen Kommunikationsform und Aufgabenart ist höchst signifikant.
Tabelle 14: Befund zur Ergebniszufriedenheit bei Auswahlaufgaben in Abhängigkeit vom Kommunikations-Werkzeug
Kommunikationsform N Mittelwert Standard- Sig. Ergebnis- abweichung (2-seitig)
zufriedenheit
Videokonferenz 18 4,31 0,7092 Computerkonferenz 16 4,25 0,6498 0,784
Auch hinsichtlich der Messung der Ergebnis-Zufriedenheit konnte die Hypothese H9 bestätigt werden. In der Betrachtung beider Kommunikationsumgehungen waren die Teilnehmer insgesamt mit dem von ihnen erarbeiteten Ergebnis gleichermaßen sehr zufrieden. Die sehr geringen Mittelwertunterschiede können als zufällig angesehen werden.
Abschließend wurde in der Hypothese H10 auf den Zusammenhang zwischen Kommunikations-Werkzeug und Lösungszeit bei der Auswahlaufgabe abgehoben.
Tabelle 15: Befund zur Lösungszeit in Minuten bei Auswahlaufgaben in Abhängigkeit vom Kommunikations-Werkzeug
Kommunikationsform N Mittelwert Standard- Sig. Lösungszeit abweichung (2-seitig)
Videokonferenz 16 50,50 16,35 Computerkonferenz 16 66,19 28,73 0,070
Zwar zeigte sich ein deutlicher Mittelwertunterschied, aufgrundder recht hohen Varianzen ist das Ergebnis jedoch nicht signifikant. Als Tendenzaussage ist festzuhalten, daß auch bei Auswahlaufgaben über ein Videokommunikations-System schneller ein Ergebnis erreicht wird als über ein Computerkonferenz-System. Jedoch ist der Zeitvorteil nicht mehr so dominant wie bei den Verhandlungsaufgaben. Auch die Lösungszeit soll auf einen Interaktionseffekt zwischen Kommunikationsform und Entscheidungsproblem mittels einer zweifaktoriellen Varianzanalyse untersucht werden.
226 Wolfgang Ph. Appel
Tabelle 16: Wirkung von Kommunikationsform und Aufgabenart auf die Lösungszeit
Lösungszeit Quadrat- df F Sig.
summe
Haupteffekte Aufgabenart 424520,704 1011,178 0,000 Kommunikationsform 11671,734 27,801 0,000
2-Weg- Aufgabenart x 6303,529 15,015 0,000 Wechselwirkung Kommunikationsform
Die Hypothese Hw ist uneingeschränkt zu bestätigen. Die festgestellten Mittelwertunterschiede sind zufälliger Natur. Das Ergebnis der zweifaktoriellen Varianzanalyse zeigt eine hochsignifikante Wechselwirkung zwischen EntscheidungsWerkzeug und Aufgabenart, d. h. bei einem Wechsel der Aufgabenart müssen die Bearbeiter mit zusätzlichen Zeiteffekten infolge des gewählten Kommunikationsmediums rechnen.
5 Diskussion der Ergebnisse
Die Hypothesen zur Wirkung der einzelnen Elemente des VideokommunikationsSystems wurden mit höchst signifikantem Befund bestätigt. Dabei zeigte sich wie erwartet, daß bei Videokommunikations-Systemen die Audiokomponente die anderen Kommunikationskanäle dominiert. Die Videoverbindung wurde von den Versuchspersonen anscheinend als visuelle Zusatzinformation wahrgenommen, die zwar als hilfreich, aber ohne essentielle Bedeutung für die Interaktion beurteilt wurde. Das Werkzeug der gemeinsamen Benutzeroberfläche war zwar der Mehrzahl der Versuchspersonen zu Beginn des Experiments nicht bekannt, es wurde jedoch als unterstützendes Kommunikations-Werkzeug sehr positiv angenommen
Die Hypothesen zur Entscheidungsperson konnten dagegen nicht bestätigt werden. Weder der Grad der Leistungsmotivation noch die Einstellung zur Computertechnologie hatten eine signifikante Wirkung auf die Wahrnehmung und Beurteilung der Entscheidungs-Werkzeuge. Die Frage nach der Geeignetheit der ausgewählten Variablen ,,Einstellung" und ,,Leistungsmotivation" für die Erklärung der Wahrnehmung eines Kommunikationsmediums außer acht lassend, kann dies als Hinweis auf den pragmatischen Nutzungsstil moderner Technologien durch die Generation der als Versuchspersonen eingesetzten 20 bis 29-jährigen Studenten dienen. Viele der aktuell vermuteten Probleme im Umgang mit einer Technologie wie etwa Videokonferenz-Systemen sind vielleicht eher auf personenbedingte Einschränkungen als auf System-immanente Merkmale zurückzuführen.
Die Prüfung der Hypothesen des Abschnitts Entscheidungsproblem förderte die große Bedeutung der Aufgabenart für die Erklärung der Effekte der EntscheidungsWerkzeuge zutage. Bei der Verhandlungsaufgabe zeigte sich eine klare Überlegenheit des Videokommunikations-Systems. Die Versuchspersonen benötigten in dieser Kommunikationsumgebung weniger Zeit zur Lösung der Aufgabe, außer-
Aufgaben- und anwenderbezogene Aspekte der Videokommunikation 227
dem erreichten die Teilnehmer eine signifikant höhere Lösungsqualität und sie waren zufriedener mit dem Ergebnis. Hatten die Versuchspersonen dagegen die Auswahlaufgabe zu lösen, gingen fast alle Vorteile des Videokommunikations-Systems verloren. Hier ergab sich kein signifikanter Mittelwertunterschied hinsichtlich der Lösungsqualität, der Zufriedenheit mit dem Ergebnis sowie der Lösungszeit. Durch eine zweifaktorielle Varianzanalyse konnte eine hochsignifikante Interaktion zwischen Aufgabenart und Kommunikationsumgebung in Bezug auf Lösungsqualität und Bearbeitungszeit nachgewiesen werden. D. h., daß es bei einem Wechsel der Aufgabenart von der Verhandlungs- zur Auswahlaufgabe zu einem Verlust der Effizienzvorteile des Videokommunikations-Systems gegenüber dem Computerkonferenz-System kommt.
Die Daten weisen auf einen interessanten Widerspruch zwischen wahrgenommener und tatsächlich erzielter Leistung hin. Während bei der Auswahlaufgabe hinsichtlich Lösungszeit und -qualität sowie der Zufriedenheit mit dem Ergebnis in Abhängigkeit von der Kommunikationsumgebung kein signifikanter Unterschied festzustellen war, schätzten die Versuchspersonen bei Nutzung des Videokommunikations-Systems ihre Leistung höher ein als die Anwender des ComputerkonferenzSystems. Die Versuchspersonen glaubten also bei Nutzung eines reichen Kommunikations-Werkzeugs effektiver zu sein, als sie tatsächlich waren.
Als Fazit kann festgehalten werden, daß bei konflikthaltigen, komplexen Problemen vom Typ Verhandlungsaufgabe durch den Einsatz eines höherwertigen, ,,reichen" Mediums wie eines Videokommunikations-Systems eine höhere Leistung sowohl bei der objektiv feststellbaren Lösungszeit- undqualitätals auch bei den subjektiv gemessenen Wahrnehmungsdaten der sozialen Effektivität und der ökonomischen Effizienz erreicht werden kann, als mittels eines weniger reichen Entscheidungs-Werkzeugs. Dagegen kann ein solches Entscheidungs-Werkzeug wie etwa ein Computerkonferenz-System bei gering komplexen, kooperativen Problemen vom Typ Auswahlaufgabe einem Videokommunikations-System zumindest ebenbürtige Leistungsdaten erzielen, wenn auch von den Anwendern nur eine geringe Effektivität wahrgenommen wird. Die Befunde bestätigen somit die vorstehend erläuterte Media-Richness-Theorie.
Für Unternehmen kann aus den vorliegenden Daten der Hinweis abgeleitet werden, stärker auf die Aufgabeneignung von Technologie zu achten als deren Leistungsdaten optimieren zu wollen, also es muß nicht immer Videokonferenz in Farbe ohne Sprachverzögerung sein. Oftmals reicht E-Mail oder Sprache mit einer gemeinsamen Benutzeroberfläche aus. Weniger ist manchmal mehr - das gilt auch und gerade für die Kommunikation.
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Der Einsatz Grafischer Kettenmodelle in der empirischen Entscheidungsforschung Am Beispiel des ,,Escalation of Commitment''
Volker Wiemann
Die empirische Entscheidungsforschung will tatsächlich auftretendes intuitives Entscheidungsverhalten beschreiben und erklären. 1 Das tatsächliche Entscheidungsverhalten eines Individuums oder einer Gruppe von Individuen steht im Mittelpunkt der Betrachtung. Eine Beurteilung der Qualität deskriptiver Entscheidungstheorien erfolgt vor allem anband ihrer Fähigkeit zur Prognose von Entscheidungsverhalten, der Validität und Gewinnung von Einsichten in das Entscheidungsverhalten sowie der Verbesserung des Verständnisses kognitiver Prozesse. 2
Betrachtet man die Forschungsobjekte der empirischen Entscheidungsforschung, so kann man diese näher durch ihre Attribute und Elemente kennzeichnen. Kupsch unterscheidet im Rahmen der Entscheidungsperson motivationale und kognitive Prozesse des Entscheidungsverhaltens.3 Bronnerunterscheidet den Entscheidungsprozeß nach Barrieren, Verlaufsmuster und dessen Lenkung. 4 Weiter unterteilt er das Entscheidungsproblem nach der Bedeutung, der Komplexität und der Dringlichkeit.
Die Untersuchung komplexer Entscheidungsmodelle- seien es Struktur- oder Prozeßmodelle - erfolgt meist getrennt für deren Teilkomponenten, d. h. die im Modellzusammenhang aufgestellten Hypothesen werden getrennt betrachtet und getestet. Diese getrennte Betrachtung bedeutet aus statistischer Sicht, daß es sich um voneinander unabhängige Zusammenhänge handelt. 5 Diese Trennung ist jedoch oft nicht sinnvoll oder gar unmöglich, wenn komplexe Zusammenhänge zwischen Variablen beschrieben werden sollen. Die isolierte Analyse einer abhängigen Variablen würde bedeuten, daß alle übrigen Variablen, die mit der abhängigen in Verbindung stehen, sich in gleicher Weise auf diese auswirken. Gegenläufige Wirkungsmechanismen würden sich bei einer isolierten Betrachtung nivellieren bzw. die erklärte Varianz würde abnehmen. Deshalb ist es sinnvoll, bei komplexen Variablenzusammenhängen Verfahren zu wählen, die eine adäquate gleichzeitige Betrachtung der Einflußgrößen erlauben und die Einbeziehung "vermittelnder' Variablen ermöglichen. Es gibt zwei Verfahren, die eine solche Betrachtung erlauben. Zum einen ist dies der ,,Linear-Structural-Relationships"-Ansatz (LISREL) von Jöreskog & Sörbom6 und zum anderen der Ansatz Grafischer Kettenmodelle, wie er von Cox
1 Vgl. Bronner, R. (1989), S. 42., Eisenführ, F.; Weber, M. (1993), S. 2. 2 V gl. Keller, R. (1989), S. 259 f. 3 Vgl. Kupsch, P. U. (1973), S. 166 f. 4 Vgl. Bronner, R. (1993), S. 716. 5 Vg1. Homburg, C. (1992), S. 499. 6 Vgl. Jöreskog, K. 0.; Sörbom, D. (1989).
Grafische Kettenmodelle 231
& Wermuthund Lauritzen & Wermuth entwickelt wurde.7 Beide Ansätze basieren auf der Pfadanalyse, die in ihren Grundzügen von Wright bereits 1921 entwickelt wurde.8 Der LISREL-Ansatz hat nicht zuletzt wegen der Verfügbarkeitentsprechender, gleichnamiger Software weite Verbreitung innerhalb der betriebswirtschaftliehen Forschung gefunden.9 Besonders im Marketing wurde dieser Ansatz frühzeitig aufgegriffen. 10 Da es den Ansatz Grafischer Kettenmodelle erst seit ungefähr zehn Jahren gibt und folglich nur wenige Publikationen hierzu vorliegen, hat er bisher nicht die Bedeutung des LISREL-Ansatzes erlangt. Trotzdem soll der Ansatz im folgenden gewählt werden, da er gegenüber dem LISREL-Ansatz gewisse Vorzüge aufweist. Zum einen ist der LISREL-Ansatz methodisch besonders aufwendig, was gleichzeitig die Gefahr einer Verletzung der Anwendungsvoraussetzungen in sich birgt, womit die gewonnenen Ergebnisse quasi wertlos wären. 11 Zum anderen führt der LISREL-Ansatz häufig zu nicht oder nur schwer interpretierbaren Modellösungen.12 Da der Ansatz Grafischer Kettenmodelle beide Nachteile nicht aufweist, soll er im folgenden am Beispiel einer Untersuchung aus der Forschung zum ,,Escalation of Commitment" dargestellt werden.
1 Escalation of Commitment als Betrachtungsgegenstand betriebswirtschaftticher Entscheidungsforschung
Unter ,,Escalation of Commitment" versteht man ein Festhalten an einer einmal eingeschlagenen, verlustreichen Handlungsrichtung, obwohl der Abbruch unter rationalen Gesichtspunkten zwingend wäre. Diese Forschungsrichtung beschäftigt sich vereinfacht ausgedrückt mit der Frage, warum Entscheidungspersonen "gutes Geld schlechtem hinterherwerfen." Initierte wurde die Forschung zum ,,Escalation of commitment" von Staw (1976). Die Verlust-Eskalation, mit der man den Begriff übersetzen könnte, wird durch die Verantwortung für die Entscheidung erzeugt. Die Entscheider, die über ein sich negativ entwickelndes Investitionsprojekt zu entscheiden haben, konzentrieren sich auf die Entwicklung der Vergangenheit und versuchen durch zusätzliche Investitionen in das vom Scheitern bedrohte Projekt, es doch noch in die Gewinnzone zu steuern.
Damit es zu einem (irrationalen) Festhalten an einer eingeschlagenen Handlungsrichtung kommt müssen folgende Bedingungen vorliegen: 13
- Es werden Investitionen von Ressourcen (Zeit, Geld, mentaler Aufwand) in eine bestimmte Entscheidungsalternative getätigt.
7 Vgl. Cox, D. R.; Wermuth, N. (1993); Lauritzen, S. L.; Wermuth, N. (1989).
8 Vgl. Wright, S. (1921). 9 Vgl. Homburg, C.; Sütterlin, S. (1990), S. 181.
10 Vgl. Förster, F. et al. (1984), S. 347.
II Vgl. Homburg, C. (1992), S. 507. 12 Vgl. Bortz, J. (1993), S. 444 f. l3 Vgl. Brockner, J. (1992), S. 40; Pott, P. (1992), S. 149; Brockner, J.; Rubin, J. Z. (1985),
S.4.
232 Volker Wiemann
- Die gewählte Alternative zeigt bisher nicht den gewünschten Erfolg. - Es werden weitere Ressourcen benötigt, um die Alternative realisieren zu kön-
nen. - Die Erfolgsaussichten der zusätzlichen Investition sind ungewiß. - Der Botscheider muß eine echte Wahlmöglichkeit haben.
Liegen diese Bedingungen vor, so ist die Wahrscheinlichkeit hoch, daß mehr Geld investiert wird, obwohl es vom ökonomischen Standpunkt aus sinnvoll wäre, keine weiteren Mittel zu investieren.
Eine vom Autor durchgeführte empirische Untersuchung14 untersuchte in einem Experiment ein muHtkausales Modell der Verlust-Eskalation. Da die Ableitung des Modells den Rahmen sprengen würde und auch ,,nur'' Mittel zum Zweck in diesem Zusammenhang darstellt, soll an dieser Stelle das experimentelle Design vorgestellt werden.
Im Rahmen der Untersuchung wurden zum einen Variablen der Entscheidungsperson zum anderen Variablen des Entscheidungskontext untersucht, da wesentliche Merkmale des Entscheidungsproblems bereits durch Voraussetzungen für ein ,,Escalation of Commitment" determiniert sind. In bezug auf die Entscheidungsperson wurden die folgenden Variablen betrachtet:
- Die Verantwortung für die eine Entscheidung, da diese eine Weiterführung maßgeblich beeinflußt.
- Die Berufserfahrung, da fast alle analysierten empirischen Untersuchungen mit Studenten durchgeführt wurden. 15
- Das spezifische Selbstwertgefühl der Entscheidungsperson. - Die Risikowahrnehmung, da vermutet wurde das die Verlust-Eskalation eine
inverse Funktion des wahrgenommenen Risikos ist. 16
- Der Entscheidungsstil Entscheidungsperson, der wiederum die Risikowahrnehmung beeinflußt.
- Die Risikoeinstellung - Die Leistungsmotivation, da davon ausgegangen werden kann, daß hoch lei-
stungsmotivierte Entscheidungspersonen eine positivere Einstellung zum Risiko haben. 17
In bezug auf den Entscheidungskontext wurden der Grad der Zielerreichung sowie der Einfluß von Leistungsanreizen untersucht.
Im Rahmen einer Fallsimulation wurden folgende unabhängige Variablen operationalisiert: die Verantwortung für eine (Investitions-) Entscheidung, die Zielerreichung im Rahmen der Fallsimulation sowie die mit der Zielerreichung verbunden Leistungsanreize. Innerhalb der Fallsimulation mußten die Teilnehmer über die
14 Wiemann, V. (1998), S. 109. 15 Wiemann analysiert 27 empirische Untersuchungen, die im Zeitraum von 1976 bis 1996
durchgeführt wurde. Vgl. Wiemann, V. (1998) S. 27 ff. 16 Vg1. Horvarth, P.; Zuckerman, M. (1993), S. 50. 17 Vgl. Kupsch, P.U. (1973), S. 187; Heckhausen, H. (1980), S.396.
Grafische Kettenmodelle 233
Fortführung eines Kreditengagements mehrfach entscheiden. Darüber hinaus wurde die Berufserfahrung durch die Auswahl der Teilnehmer (Hochschule vs. Bank) varriiert.
Folgende unabhängige Variablen mußten mit Hilfe der Fallsimulation operationalisiert und variiert werden: die Verantwortung, die Zielerreichung sowie die Leistungsanreize. Die Berufserfahrung wurde durch die Auswahl der Teilnehmer
variiert. Wie die folgende Abbildung 1 zeigt, ergibt sich aus der Kombination der unabhängigen Variablen folgendes experimentelles Design:
kein Bonus Bonus
Budget Budget Budget Budget erreicht nicht erreicht nicht
erreicht erreicht
5 !
Gl 02 Gl 02 I ~ ! .a .E~ G3 04 G3 G4 Cll .2 0 s:;;.
! .... ~ 05 G6 05 G6
~ ! ... ~ -5~ 07 G8 G7 G8
·a ~
Abbildung 1: Design der experimentellen Untersuchung
2 Grundlagen Grafischer Kettenmodelle
Grafische Kettenmodelle wurden von Lauritzen und Wermuth (1989) vorgeschlagen um komplexe Assoziationsstrukturen von qualitativen und/oder quantitativen Variablen abbilden zu können. Der Begriff der Assoziation wurde von ihnen bewußt geählt um sowohl symmetrische ungerichtete Zusammenhänge, als auch direkte Zusammenhänge, die auf eine Reaktion auf eine erklärende Variable zurückgehen, zu
umfassen. Wie bereits erwähnt, gehen Grafische Kettenmodelle auf pfadanalytische
Ansätze zurück. Die Pfadanalyse stellt die Zusammenhänge zwischen ausschließlich quantitativen Variablen entweder durch Linien, wenn es sich um symmetrische,
ungerichtete Zusammenhänge handelt, oder durch Pfeile, wenn es sich um gerichtete Zusammenhänge handelt, dar. Grafische Kettenmodelle erweitern diesen Ansatz, sie erlauben die Betrachtung mehrerer abhängiger Variablen, 18 die quantitativ wie
18 In der Terminologie Grafischer Kettenmodelle wird nicht von abhängigen oder unabhängi-gen Variablen gesprochen, sondern von Einflußgrößen und Zielgrößen, da eine Zielgröße auf einer vorgelagerten Ebene Einflußgröße für eine Variable auf einer nachgelagerten Ebe-
234 Volker Wiemann
auch qualitativ sein können. Ebenso können die unabhängigen Variablen quantitativ wie auch qualitativ sein. Darüber hinaus können auch vermittelnde Variablen einbezogen werden, die abhängig oder unabhängig sind. Die gleichzeitige Einbeziehung mehrerer Variablen ist neben der grafischen Darstellung das zentrale Charakteristikum dieses Ansatzes.
Nachdem die Grundgedanken Grafischer Kettenmodelle vorgestellt wurden, soll nachfolgend auf die Darstellungsprinzipien und Konstruktionsschritte eingegangen werden. Den Darstellungsprinzipien liegt der Gedanke zugrunde, daß zum einen die verschiedenen Variablentypen, also unabhängige, vermittelnde und abhängige Variablen, voneinander abgegrenzt werden können. Zum anderen soll durch die Darstellung das Skalenniveau und die Art der Beziehungen untereinander charakterisiert werden. 19 Die Variablen werden, je nachdem ob sie beeinflussende Größen oder beeinflußte Größen sind, in sog. "Kettengliedern" zusammengefaßt. Die Kettenglieder werden durch Rechtecke dargestellt. Dabei befinden sich innerhalb eines Rechtecks nur gleichartige Variablen, die inhaltslogisch oder chronologisch auf derselben Stufe stehen. " A chain grahp drawn with boxes is viewed as a substantive research hypothesis (Wermuth and Lauritzen, 1990) about direct and only indirect relations among variables and not only as a statistical moder'. 20 Per Konvention ist festgelegt, daß die im Mittelpunkt stehenden abhängigen Variablen am weitesten links in der grafischen Darstellung stehen, während die reinen Einflußgrößen ganz rechts stehen.
0 AVl
ÜAV2
evvt
ÜVV2
Ouvt
ÜUV2
euv3
Abbildung 2: Beispiel für die Anordnung von Kettengliedern in Grafischen Kettenmodellen
Die Anordnung sollte, wie bereits erwähnt, in inhaltslogischer als auch chronologischer Form erfolgen, wobei die inhaltslogische Anordnung nur aus theoretischen Überlegungen abgeleitet wird. Die sich aus der Anordnung der Kettenglieder ergebende Abhängigkeitskette beinhaltet auch die Abhängigkeitsstrukturen. Wenn Zusammenhänge zwischen verschiedenen Variablen eines Kettengliedes nicht betrachtet werden sollen, dann wird dies durch einen Doppelrahmen gekennzeichnet. Da der Kettengraph auch das Skalenniveau der Variablen kennzeichnen soll, müssen diese auch entsprechend gekennzeichnet werden. Quantitative Variablen
ne sein kann. Um jedoch konsistent zur bisherigen Terminologie zu bleiben, soll weiterhin von unabhängigen und abhängigen Variablen gesprochen werden.
19 Vgl. Streit, R. (1994), S. 18. 20 Wermuth, N. (1991), S. 3.
Grafische Kettenmodelle 235
werden als Knoten (AVl), qualitative kontinuierliche Variablen werden als Kreise (VV2) und diskrete Variablen werden als Punkte (UV3) dargestellt.21 Zur Darstellung von Beziehungen werden die Variablen miteinander verbunden. Eine Verbindungslinie bedeutet, daß ein statistisch bedeutsamer Zusammenhang zwischen den Variablen besteht. Damit gerichtete und ungerichtete Beziehungen unterschieden werden können, werden gerichtete Beziehungen durch eine Linie mit Pfeil gekennzeichnet und ungerichtete Beziehungen durch eine einfache Linie.
AVl
AV3
UVl
UV2
Abbildung 3: Grafisches Kettenmodell mit drei unabhängigen und drei abhängigen Variablen
Die Wirkungszusammenhänge können auch als Graphen aufgefaßt werden. Der in Abbildung 3 beschriebene Wirkungsgraph stellt einen sog. Blockregressionsgraphen dar, d. h. neben den direkten Einflüssen der unabhängigen Variablen werden auch die gleichgerichteten Beziehungen unter den Variablen berücksichtigt. Bei
Blockregressionen wird ein System von univariaten Regressionen berechnet, die jeweils eine der abhängigen Variablen als aktuell abhängige Variable genutzt wird und die anderen Variablen wechselseitig als unabhängige Variablen betrachtet werden. 22
Im Anschluß daran werden die Ergebnisse dann zusammengeführt. Nachdem die Darstellungsprinzipien für Grafische Kettenmodelle besprochen
wurden, soll an dieser Stelle kurz das Vorgehen für deren Konstruktion erläutert werden. Zur Konstruktion eines Grafischen Kettenmodells beginnt man mit der Regression der wichtigsten abhängigen Variable auf alle übrigen, d. h. man beginnt mit den in der Darstellung weiter rechts stehenden Variablen.23 Diese Vorgehensweise wird auf alle restlichen Kettenglieder angewendet, so daß zum Schluß ein System von Regressionsgleichungen entsteht, mit dem das Grafische Kettenmodell abgebildet wird. Die Konstruktion von Grafischen Kettenmodellen wird in der jüngsten Veröffentlichung von Cox & Wermuth näher beschrieben und läßt sich im wesentlichen in folgende Phasen aufteilen:24
- Überprüfung der Daten auf Konsistenz und Ausreißer, Ermittlung von nichtlinearen Variablen und Bestimmung von Interaktionen.
- Ordnen der Variablen nach Zielgrößen, Einflußgrößen und vermittelnden Varia
blen.
21 Vgl. Cox, D. R.; Wermuth, N. (1996), S. 26.
22 Vgl. Wermuth, N. (1988), S. 3. 23 Vgl. Streit, R. (1994), S. 34. 24 Vgl. Cox, D. R.; Wermuth, N. (1996), S. 172 f.
236 Volker Wiemann
- Test der relevanten Regressionen. Hierbei kann eine Kombination der Vorwärtsund Rückwärtsselektion gewählt werden, falls eine große Anzahl an Variablen vorliegt. Die akzeptierten Regressionen werden im Modell integriert und grafisch repräsentiert.
- Wiederholung bestimmter Phasen, falls während des Prozesses neue Zusammenhänge aufgedeckt werden.
3 Entwicklung des Grafischen Kettenmodells zur Verlust-Eskalation
Nachdem die Grundlagen für die Erstellung Grafischer Kettenmodelle vorgestellt wurden, soll nun dieses Verfahren auf die vorliegende Problemstellung angewandt werden. Im ersten Schritt soll die sich aus den Hypothesen und der zeitlichen Abfolge der Entscheidungen ergebende Abhängigkeitskette grafisch dargestellt werden.
VB RW RE
0 0 0
SF • NT •
ZE
• VPN • VA
•
LM • sw • BB 0
NF • ST •
Abbildung 4: Vermutete Abhängigkeitskette der Verlust-Eskalation25
Die aufgestellte Abhängigkeitskette beinhaltet, aufgrund des Ausstrahlungseffektes der ersten auf die zweite Entscheidung, nur Variablen der ersten Entscheidung. Der Grad der Verlust-Eskalation (VE) wird, ausgedrückt durch die Höhe der
25 Die Bezeichnung der Variablen ist wie folgt abgekürzt worden: Höhe des zusätzlichen Kredits (VE), Risikowahrnehmung (RW), Risikoeinstellung (RE), Zielerreichungsgrad (ZE), Teilnehmer (VPN), Verantwortung (VA), Leistungsmotivation (LM), Selbstweftgefühl (SW); Berufserfahrung (BE), Entscheidungsstil (SF, ST, NF, NT).
Grafische Kettenmodelle 237
weiteren Investitionen, direkt durch die Risikowahrnehmung (RW), die Verantwortung (VA), die Berufserfahrung (VPN =Student vs. Praktiker), den Grad der Ziel
erreichungsgrad (ZE) beeinftußt. Diese stellt wiederum eine vermittelnde Variable dar, die von der Risikoeinstellung (RE) bzw. den übrigen, weiter rechts stehenden
Variablen beeinftußt wird. Die Risikoeinstellung wird ihrerseits von der Leistungsmotivation (LM) beeinftußt. Damit liegen zwei Arten von Einflüssen auf die Verlust
Eskalation vor, direkte und indirekte. Im Rahmen dieser vorgegebenen Kette werden
gerichtete und ungerichtete Zusammenhänge mittels geeigneter statistischer Tests
untersucht. Hierzu werden im Sinne Grafischer Kettenmodelle folgende Beziehungen untersucht:
- Die Abhängigkeit der Verlust-Eskalation von den übrigen, in der Abbildung weiter rechts stehenden Variablen.
- Die Abhängigkeit der Risikowahrnehmung von den übrigen Variablen.
- Die Abhängigkeit der Risikoeinstellung von den restlichen Variablen.
Zum Test dieser Zusammenhänge müssen drei getrennte Regressionsmodelle
aufgestellt werden. Die Selektion der in der Gleichung verbleibenden Variablen er
folgt schrittweise anhand der t-Werte der Regressionskoeffizienten. Dieser sollte
über 1,96 liegen, damit ein Signifikanzniveau von 5 % erreicht wird.26 Entspre
chend dem skizzierten Vorgehen wurde die erste Regressionsanalyse durchgeführt,
bei der die Höhe des zusätzlichen Kredits die abhängige Variable darstellt. Auf der
Grundlage dieses Entscheidungskriteriums wurden sukzessive alle Variablen ent
fernt, deren t-Wert unterhalb der Grenze von 1,96lag.
Tabelle 1: Standardisierte Regressionskoeffizienten und t-Werte für das Haupteffektmodell
Risikowahrnehmung (RW) Risikoeinstellung (RE) Teilnehmer (VPN) Verantwortung (VA) Zielerreichung (ZE) Entscheidungsstil SF Entscheidungsstil ST Entscheidungsstil NF Entscheidungsstil NT Selbstwertgefühl (SW) Leistungsmotivation (LM) Berufserfahrung (BE)
1. Schritt
ß* -0,553 0,002
-0,051 0,508
-0,158 0,212 0,181 0,343 0,041 0,105 0,065 0,008
-7,133 0,032
-0,325 3,506
-1,061 0,972 1' 117 1,417 0,511 1,474 0,920 0,069
10. Schritt
ß* -0,546 -9,572
0,369 -0,117
6,468 -2,104
• Damit die Regressionskoeffizienten untereinander vergleichbar sind wurde nicht b, sondern der standardisierte Koeffizient ß angegeben.
26 Vgl. Streit, R. (1994), S. 41.
238 Volker Wiemann
Insgesamt wurden 10 Regressions-Schritte durchlaufen, bis ein hinreichendes Haupteffektmodell gefunden wurde. Es konnten Haupteffekte für die Risikowahrnehmung, die Verantwortung und den Grad der Zielerreichung ermittelt werden, und somit werden die Ergebnisse aus der vorangegangenen Analyse bestätigt. Der Determinationskoeffizient liegt mit r2 = 0, 37 deutlich über der isolierten Betrachtung der Wirkung der Risikowahrnehmung.
Die Einbeziehung quantitativer Daten macht es auch notwendig, zusätzlich zu überprüfen, ob von diesen Variablen quadratische Effekte ausgehen. Hierzu werden die quadratischen Mittelwertabweichungen der Variablen gebildet und mit in die Gleichung aufgenommen. Es konnte weder für die Risikowahrnehmung (b = -0,051; t = -0,687) noch für die Risikoeinstellung (b = 0,062; t = 0,840) ein bedeutender Beitrag für die Erklärung der abhängigen Variable festgestellt werden, so daß nicht-lineare Effekte auszuschließen sind.
Zusätzlich wurde untersucht, ob das Haupteffektmodell allein für die Erklärung der abhängigen Variable ausreicht oder ob Interaktionseffekte zweiter und dritter Ordnung relevant sind. Hierzu wurden alle zweifachen Interaktionen zwischen den Variablen Verantwortung, Zielerreichung und Versuchsperson gebildet sowie die dreifache Interaktion. Weder die zweifachen Interaktionen (VA x ZE t = 0,033; ZE x VPN t = 0,629; VA x VPN t = 1, 743) noch die dreifache Interaktion (VA x ZE x VPN t = -0,671) lieferten ausreichender-Werte, so daß die Reduktion auf das Haupteffektmodell gerechtfertigt ist.
Das Ergebnis der ersten Stufe des Grafischen Kettenmodells soll in der nachfolgenden Abbildung dargestellt werden.
ZE
LM • sw • BE 0
SF NF
• • NT ST
• •
Abbildung 5: Erste Stufe des Grafischen Kettenmodells
Grafische Kettenmodelle 239
Im nächsten Schritt wird die Beziehung zwischen der Risikowahrnehmung und den übrigen Variablen untersucht. Hierzu wird analog zum vorherigen Schritt eine Regressionsanalyse durchgeführt, bei der alle weiter rechts angeordneten Variablen in die Analyse eingehen.
Tabelle 2: Standardisierte Regressionskoeffizienten und t-Werte für die Risikowahrnehmung
Risikoeinstellung (RE) Teilnehmer (VPN) Verantwortung (VA) Grad der Zielerreichung (ZE) Entscheidungsstil SF Entscheidungsstil ST Entscheidungsstil NF Entscheidungsstil NT Selbstwertgefühl (SW) Leistungsmotivation (LM) Berufserfahrung in Jahren (BE)
1. Schritt ß*
-0,403 -0,042 0,073
-0,220 -0,167 -0,146 0,048
-0,174 -0,098 0,184
-0,350
-5,163 -0,240 0,456
-1,337 -1,967 -0,819 0,180
-0,694 -1,258 2,396
-2,728
9. Schritt ß*
-0,382 -5,222
-0,121 1,996
-0,213 -2,409
*Damit die Regressionskoeffizienten untereinander vergleichbar sind wurde nicht b, sondern der standardisierte Koeffizient ß angegeben.
Der sukzessive Ausschluß der Variablen führte zu dem in Tabelle 2 dargestellten Ergebnis. Die Ergebnisse bestätigen im wesentlichen die zuvor gewonnenen Ergebnisse. Interessant ist jedoch der negative Zusammenhang zwischen der Risikowahrnehmung und der Berufserfahrung. Ebenfalls erwatungsgemäß ist das Ergebnis bzgl. der Wirkung des Entscheidungsstils und der Risikoeinstellung auf die Risikowahrnehmung. Auch auf dieser Stufe wurden keine Interaktionseffekte festgestellt, weder die zweifache (VA x ZE t = 1,665; ZE x VPN t = 0,557; VA x VPN t = 1, 283) noch die dreifache Interaktion (VA x ZE x VPN t = -1, 148) war signifikant, so daß das Haupteffektmodell als angemessen erscheint. Analog zur ersten Stufe soll an dieser Stelle der Zusammenhang im Rahmen des Kettenmodells abgebildet werden.
Im letzten Schritt soll die Wirkung der Persönlichkeitsvariablen auf die Risikoeinstellung untersucht werden. Die Einbeziehung der experimentell variierten Variablen macht aus inhaltlicher Sicht keinen Sinn, so daß diese auch nicht weiter betrachtet werden sollen. Entsprechend der bisherigen Vorgehensweise sollen diejenigen Variablen aus der Regressionsgleichung entfernt werden, deren t-Wert unterhalb von 1,96 liegt. Wie die nachfolgende Tabelle verdeutlicht, verbleibt nach sieben Schritten lediglich die Leistungsmotivation als Variable in der Regressionsgleichung.
Da der Koeffizient der Leistungsmotivation ein positives Vorzeichen hat, kann hierin eine Bestätigung der bisherigen Ergebnisse gesehen werden. Zum Abschluß soll auch diese Wirkungsbeziehung in das Kettenmodell aufgenommen werden.
240 Volker Wiemann
ZB
NP • NT ST • •
Abbildung 6: Zweite Stufe des Grafischen Kettenmodells
Es konnte festgestellt werden, daß die Berufserfahrung (in Jahren) auf die Risikowahrnehmung einwirkt. Aus methodischer Sicht hat dieses Verfahren neben der gleichzeitigen Betrachtung mehrerer Variablen den Vorteil, daß die direkte grafische Darstellung eine bessere Veranschaulichung der Zusammenhänge und der Ergebnisse liefert. Kritisch muß jedoch angemerkt werden, daß sich die Reihenfolge, in der die Variablen in die Regressionen eingehen, auf die Resultate auswirken kann. Neben diesem methodischen Aspekt erscheint das wichtigste Ergebnis, daß die zuvor isoliert ermittelten Beziehungen auch im Zusammenhang bestätigt werden können.
Wie die Ergebnisse des Grafische Kettenmodells zeigen, kann durch diesen Ansatz eine adäquate gleichzeitige Betrachtung einer Vielzahl von Variablen erfolgen.
Tabelle 3: Standardisierte Regressionskoeffizienten und t-Werte für die Risikoeinstellung
Entscheidungsstil SF Entscheidungsstil ST Entscheidungsstil NF Entscheidungsstil NT Selbstwertgefühl (SW) Leistungsmotivation (LM) Berufserfahrung in Jahren (BE)
1. Schritt
~· -0,193 -0,194 -0,115 0,135 -0,83 0,152
-0,111
-0,792 -1,012 -0,415 0,511
-1,055 1,977
-1,428
7. Schritt
~·
0,161 2,229
*Damit die Regressionskoeffizienten untereinander vergleichbar sind wurde nicht b, sondern der standardisierte Koeffizient ~ angegeben.
Grafische Kettenmodelle 241
ZB
NF
• Nf ST • •
Abbildung 7: Letzte Stufe des Grafischen Kettenmodells
Der Ansatz eignet sich hervorragend zur Abbildung statistischer Zusammenhangsstrukturen sowie zur Komplexitätsreduktion. Der Ansatz hat gegenüber anderen Verfahren den Vorzug, daß er immer zu interpretierbaren Lösungen führt und methodisch weniger aufwendig ist als andere Ansätze. Gerade diese Vorteile und die Möglichkeit vergleichsweise viele Variablen in ihren Zusammenhangsstrukturen zu untersuchen legen den Einsatz des Verfahren in variablenreichen Untersuchungen nahe. Da es den Ansatz erst seit etwa zehn Jahren gibt und nur wenige Veröffentlichung hierzu vorliegen, wurde er bisher in der betriebswirtschaftliehen Forschung wenig beachtet.27 Da der Ansatz jedoch von anderen in neuesten Publikationen aufgegriffen wurde,28 dürfte die weitere Verbreitung nur eine Frage Zeit sein, da Vorteile eindeutig für das Verfahren sprechen.
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242 Volker Wiemann
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Verzeichnis der Schriften Rolf Bronners
1 Bücher
Entscheidung unter Zeitdruck - Eine Experimentaluntersuchung zur empirischen Theorie der Unternehmung, Tübingen 1973.
Die Leitenden Angestellten, Band 1, Eine empirische Untersuchung, München 1974, (zusammen mit Eberhard Witte).
Die Leitenden Angestellten, Band 2, Eine empirische Untersuchung in Banken und Versicherungen, München 1975, (zusammen mit Eberhard Witte).
Grundlagen der Entscheidungsfindung, München 1980.
Decision Making under Time Pressure - An Experimental Study on Stress Behavior in Business Management, Lexington, Mass., Toronto 1982.
Weiterbildungserfolg-Modelle und Beispiele systematischer Erfolgssteuerung, München
1983, (zusammen mit Wolfgang Schröder). Planung und Entscheidung - Grundlagen - Methoden - Fallstudien, 2. Auflage,
München 1989. Entscheidungs-Prozesse in Video-Konferenzen - Eine empirische Untersuchung der
Leistungsfähigkeit moderner Kommunikationstechnik zur Bewältigung komplexer
Management-Aufgaben, Frankfurt/Main u. a. 1996. Planung und Entscheidung - Grundlagen - Methoden - Fallstudien, 3. Auflage,
München 1999. Empirische Personal- und Organisationsforschung-Grundlagen -Methoden- Beispie
le, München 1999, (zusammen mit Wolfgang Appel und Volker Wiemann).
Evolution steuern - Revolution planen - Über die Beherrschbarkeit von Veränderungs
prozessen, Bonn u.a. 1999, (hrsg. von Rolf Bronnerund Helmut Staminski).
2 Beiträge in Sammelwerken
Betriebswirtschaftliche Experimente zum Informations-Verhalten in Entscheidungs-Prozessen, in: Das Informationsverhalten in Entscheidungsprozessen, hrsg. von Eberhard Witte, Tübingen 1972, S. 165-203, (zusammen mit Eberhard Witte und Peter Rütger Wos
sidlo). Entscheidungstraining Notwendigkeit- Konzeption- Eignung, in: Praxisbezug im wirt
schaftswissenschaftlichen Studium Band 2, hrsg. von A. Hron, H. Kompe, K.-P. Otto, H.
Wächter, Frankfurt 1979, S. 214-225. Lernprozesse in Organisationen, in: Handwörterbuch der Organisation, 2. Auflage, hrsg.
von Erwin Grochla, Stuttgart 1980, Sp. 1216-1224.
Entscheidungstheorie, in: Wirtschaft. Handwörterbuch zur Arbeits- und Wirtschaftslehre
hrsg. von Franz-JosefKaiserund Hans Kaminski, Bad Heilbrunn 1981, S. 109-112.
Erfolgsermittlung der Weiterbildung, in: Betriebliche Aus- und Weiterbildung. Ergebnisse
der betriebswirtschaftliehen Bildungsforschung, hrsg. von Wolfgang Weber, Paderborn
1983, S. 191-205.
244 Verzeichnis der SchriftenRolfBronners
Die Ausschreibung - Fallbeispiel zur Entscheidung unter Unsicherheit, in: Die Fallstudie. Theorie und Praxis der Fallstudiendidak.tik, hrsg. von Franz-Josef Kaiser, Bad Heilbrunn 1983, S.151-156, (zusammen mit Stephan Schlingmann).
Entscheidungsprozeß, in: Management-Lexikon hrsg. von Fritz Neske und Markus Wiener, ernsbach 1985, S. 343 ff.
Organisationsforschung, in: Management-Lexikon hrsg. von Fritz Neske und Markus Wiener, Gernsbach 1985, S. 974 ff.
Weiterbildung als Investitionsprozeß, in: Personalentwicklung - Ansätze - Konzepte -Perspektiven hrsg. von Günter Berndt, Köln, Berlin, Bonn, München 1985, S. 227-240.
Perception of Complexity in Decision-Mak.ing Processes - Findings of Experimental Investigations, in: Empirical Research on Organizational Decision Making edited by Eberhard Witte and Hans-Jürgen Zimmermann, Amsterdam 1986, S. 45-64.
StreBbewältigung als Führungseigenschaft - Folgerungen für Personalentwicklungsmaßnahmen, in: StreB im Unternehmen hrsg. von K.-K. Pullig, U. Schäkel, J. Scholz, Institut für Management-Entwicklung (IME) Harnburg 1986, S. 132-147, sowie in: Schriftenreihe der Polizei-Führungsakademie Heft 2/3 1988, S. 52-65.
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Grenzen der Planung und Planungszwänge, in: Handwörterbuch der Planung hrsg. von Norbert Szyperski, Stuttgart 1988, Sp. 590-598.
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Experimente zum Umgang mit Komplexität in Entscheidungsprozessen, in: Vom Umgang mit Komplexität in Organisationen hrsg. von Rudolf Fisch und Margarete Boos, Konstanz 1990, S. 215-234.
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Zur Entwicklung eines Evaluations-Instrumentariums, in: Weiterbildungscontrolling- Erfolgssteuerung betrieblicher Bildungsarbeit, hrsg. von Georg v. Landsberg und Reinhold Weiß, Köln 1992, S. 51-61, sowie in: Bildungs-Controlling, hrsg. von Georg v. Landsberg und Reinhold Weiß,. Auflage, Köln 1995, S. 47-55, (zusammen mit Volker Hische)
Entscheidungsverhalten, in: Ergebnisse empirischer betriebswirtschaftlicher Forschung -zu einer Realtheorie der Unternehmung. Festschrift für Eberhard Witte. hrsg. von Jürgen Hauschildt und Oskar Grün, Stuttgart 1993, S. 713-754.
Zukunfts-Anforderungen an das Management-Lernen, in: Management-Lernen und Strategie hrsg. von Hermann Sirnon und Karlheinz Schwuchow, Stuttgart 1994, S. 99-109.
Lerntransfer in der Weiterbildung, in: Personalmanagement Zukunftsorientierte Personalarbeit, hrsg. von Jürgen Berthel und Horst Groenewald, Landsberg/Lech 1990, 18. Nachlieferung 511995, S. 1-19.
Verzeichnis der Schriften Rolf Bronners 245
Komplexitäts-Wahrnehmung und Entscheidungs-Verhalten- eine experimentelle kausalanalytische Untersuchung, in: Die Kausalanalyse. Ein Instrument der empirischen betriebswirtschaftlichen Forschung hrsg. von Lutz Hildebrandt und Christian Hornburg Stuttgart I998, S. I69-I82.
Weiterbildungskonzepte, in: Die Bildungsgesellschaft im Unternehmen? Festschrift für Wolfgang Weber, München, Mering I999, S. I65-I80.
Gestalt und Gestaltung organisationaler Veränderungsprozesse, in: Evolution steuern -Revolution planen - Über die Beherrschbarkeit von Veränderungsprozessen hrsg. von RolfBronner und Helmut Staminski Bonn u. a. 1999, S. 13-42, (zusammen mit Carsten Schwaab).
Organisation: Grundlagen - Gestaltungsansätze - Effizienz, in: Dienstleistungsmanagement in kleinen und mittleren Unternehmen hrsg. von ZIRP Zukunftsinitiative Rheinland-Pfalz Mainz 1999, S. 149-I59.
Entscheidungsorientierte Organisationslehre, in: Personalführung und Organisation hrsg. von W. Schmeisser, A. Clermont, D. Krimphove München 2000, S. 209-2I8.
3 Beiträge in Zeitschriften
Zur Abgrenzung der Leitenden Angestellten Ergebnisse einer Felduntersuchung, in: Der Betrieb, Jg. I974, Heft 25/26, S. I233-I237, (zusammen mit Eberhard Witte).
Motive der Abgrenzung Leitender Angestellter Empirische Befunde zur Anwendungspraxis des§ 5 Abs. 3 BetrVG, in: Der Betrieb, Jg. I974, Heft 39, S. 1863-1866, (zusammen mit Eberhard Witte).
Die Realität der Leitenden Angestellten - Ein Untersuchungsbericht, in: Recht der Arbeit, 27. Jg. 1974, Heft 4, S. 242-243.
Streß und Leistung - Ergebnisse experimenteller Entscheidungsforschung, in: Zeitschrift für Organisation, 43. Jg. 1974; Heft 7, S. 363-368.
StreBbewältigung durch Koordination, in: Zeitschrift für Organisation, 43. Jg. I974, Heft 8, s. 450-455.
Die Leitenden Angestellten als Dispositiver Faktor, in: Journal für Betriebswirtschaft, 25. Jg. I975, S. 17-28, (zusammen mit Eberhard Witte).
Zeitdruck in Entscheidungsprozessen- Experimentalergebnisse zum Verhalten unter Stress, in: Management International Review, 15. Jg. I975, Heft 2/3, S. 8I-93.
Pluralismus in der betriebswirtschaftliehen Forschung, in: Zeitschrift für betriebswirtschaftliehe Forschung, 27. Jg. I975, Heft I2, S. 796-800, (zusammen mit Eberhard Witte und Oskar Grün).
Das Unternehmensspiel als Forschungsinstrument, in: Der graduierte Betriebswirt, 9. Jg. 1976, Heft 4, S. 185-192.
Lernprozesse in Organisationen, in: Hochschule und Praxis -Zeitschrift des Paderborner Hochschulkreises, 2. Jg. I979, Heft I, S. 9 ff., 2. Jg. 1980, Heft 1, S. 7-11.
Methodengestütztes Fallstudienprogramm an der Universität-GH-Paderborn, in: Betriebswirtschaftliche Hochschulausbildung. Neuere Formen - Experimente - Praxisbezug Ergänzungsheft I der Zeitschrift für Betriebswirtschaft I982, S. 13-21.
Das optimale Angebot- Eine Fallstudie zur Entscheidung unter unvollkommener Information, in: Das Wirtschaftsstudium 13. Jg. 1984, Heft 7, S. 327-328 und Heft 8/9, S. 399, (zusammen mit Stephan Schlingmann).
Stress- Belastung- Beanspruchung- Ein Themenkreis im Schnittfeld von Grundlagenforschung, Gestaltungsbedarf und Ideologie zugleich Sammelbesprechung der Schriften
246 Verzeichnis der Schriften Rolf Bronners
von Michael Frese, Diether Gebert und Jürgen R. Nitsch (Hrsg.), in: Zeitschrift Führung und Organisation, 53. Jg. 1984, Heft 3, S. 202-205 und Heft4, S. 269-272.
Der Gewinn der Unternehmung: Fiktionen und Realitäten, in: Das Wirtschaftsstudium, 13. Jg. 1984, Heft 12, S. 185-188, (zusammen mit Helmut Greinke).
Gewinn: Begriffs-, Verursachungs- und Verwertungsprobleme, in: Das Wirtschaftsstudium, 14. Jg. 1985, Heft 2, S. 71-75, (zusammen mit Helmut Greinke).
Beanspruchungs-Messung in Problemlöse-Prozessen- Modifikation eines Tests zur Erfassung psychischer Beanspruchung, in: Psychologie und Praxis.
Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, 29. Jg. 1985 (N.F.3) Heft 4, S. 173-184, (zusammen mit Joachim Karger).
Personelle Konflikt-Ursachen und Konflikt-Wirkungen in arbeitsteiligen Entscheidungsprozessen, in: Zeitschrift für Personalforschung, 1. Jg. 1987, Heft 1, S. 61-90.
Planspiel-Einsatz zum Studienbeginn, in: Kooperation in der Lehre hrsg. von Rolf Bronner und Rüdiger Jordan Paderborn 1987.
Anwendungsbezug in der Betriebswirtschaftsbhre - Methodische Ansätze der Studienreform, in: Der Hochschullehrer, Nr. 1 Februar 1989, S. 18-19.
Wertwandel im Management, in: ULA-Nachrichten Nr. 6, 1989, S. 3 und Nr. 7/8, 1989, S. 3, sowie in: Stahl und Eisen Heft 20, 1989, S. 77-78, (zusammen mit Wenzel Matiaske).
Planung eines neuen Fahrzeug-Modelles -Anwendungs-Beispiel der Netzplantechnik, in: Das Wirtschaftsstudium, 19. Jg. 1990 Teil I, Heft 5, S. 305-307, Teil II, Heft 6, S. 370-371, (zusammen mit Sirnone Bürger).
Anforderungen an Spitzen-Führungskräfte - Ergebnisse einer Delphi-Studie, in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft 61. Jg. 1991, Heft 11, S. 1227-1241, (zusammen mit Wenzel Matiaske und Friedrich A. Stein).
Neue Anforderungen an Führungskräfte, in: Computerwoche, Jg. 1992 Nr. 40, S. 55 ff. sowie Nr. 41, S. 43-45, Nr. 42, S. 93-95.
Das Fach Organisation an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, in: Zeitschrift Führung und Organisation, 61. Jg. 1992, Heft 6, S. 385-389.
Decision-making in Complex Situations - Results of German Empirical Studies, in: Management International Review Vol. 33, 111993, S. 7-25.
Anwendung der Korrespondenzanalyse in der Imageforschung - Dargestellt am Beispiel eines Segmentes des Automobilmarktes, in: Marketing. Zeitschrift für Forschung und Praxis 16. Jg. 1994, Heft 1, S. 42-54, (zusammen mit Wenzel Matiaske und lgor Dobrov).
Telekommunikation- So nah und doch so fern, in: Personalwirtschaft, Heft 9, 1996, S. 20-23, (zusammen mit Wolfgang Ph. Appel).
Eine Realtypologie betriebswirtschaftlicher Konzern-Organisationsformen - Ergebnisse einer empirischen Untersuchung, in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft, Ergänzungsheft 311996, S. 145-166, (zusammen mit Thomas Mellewigt).
Kommunikations-Bedingungen und Entscheidungs-Effizienz - Ergebnisse einer experimentellen Untersuchung, in: Zeitschrift Führung und Organisation 66. Jg. 1997, Heft 2, s. 82-88.
Lernen mit Computerhilfe - Wie virtuelle Experten das Buch unterm Kopfkissen ersetzen, in: Forschungsmagazin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Sonderausgabe März/ April1997, S. 3-7, (zusammen mit Andreas Knapp und Jürgen Perl).
Computergestützte Lernsysteme in der kaufmännischen Berufsausbildung, in: Wirtschaft und Berufserziehung 49. Jg. 1997, Heft 7, S. 248-254, (zusammen mit Martina Kollmannsperger).
Planspieleinsatz an deutschen Hochschulen, in: Zeitschrift für Planung 1997, Band 8, Heft 4, S. 407-419, (zusammen mit Martina Kollmannsperger).
Verzeichnis der Schriften Rolf Bronners 247
Planspielbasierte Lernsysteme in der betriebswirtschaftliehen Hochschulausbildung - Erfahrungen mit dem System SimConsult, in: Psychologie in Erziehung und Unterricht 45. Jg. 1998, Heft 1, S. 67-72, (zusammen mit Martina Kollmannsperger).
Experimentelle Personalforschung, in: Zeitschrift für Personalforschung 12. Jg. 1998, Heft 1, s. 5-21.
Vermittlung von Medienkompetenz, in: Forschungsmagazin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Sonderausgabe, März/Aprill998, S. 3-11, (zusammen mit Wolfgang Ph. Appel und Sandra Schaefer).
Planspiele als hochschuldidaktische Lehrmethode, in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium- Zeitschrift für Ausbildung und Hochschulkontakt 27. Jg. 1998, Heft 4, S. 218-220, (zusammen mit Martina Kollmannsperger).
Personal-Performance für die Zukunft, in: Personalwirtschaft 1999, Heft 7, S. 46-50, (zusammen mit Carsten Schwaab).
Management-Konzepte -Marathon oder Sprint?, in: Absatzwirtschaft 1999, Heft 6, S. 92-98, (zusammen mit Roland Röder).
Vom Potential zur Performance, in: REFA-Nachrichten 52. Jg. 1999, Heft 4, S. 26-30, (zusammen mit Helmut Staminski).
4 Beiträge in Arbeitspapieren
Time-Pressure, Performance and Efficiency in Desision Making Processes -Experimental Results about Behavior under Stress in: Schriftenreihe des Instituts für Entscheidungsund Organisationsforschung der Universität München, 1975.
Empirische Forschung zwischen Pluralität und Dogmatik, in: Schriftenreihe des Instituts für Entscheidungs-und Organisationsforschung der Universität München, 1975.
Bedingungen und Formen dispositiver Leistung- Ein Forschungsbericht, in: Schriftenreihe des Instituts für Entscheidungs-und Organisationsforschung der Universität München, 1976.
Experimentalforschung mit Unternehmensspielen - Anforderungen und Gestaltung, in: Arbeitspapiere des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaft der Gesamthochschule Paderborn, 1977.
Dispositive Leistung: Grundlagen einer empirischen Theorie der dispositiven Arbeit -Abschlußbericht zu einer Felduntersuchung, in: Arbeitspapiere des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaft der Gesamthochschule Paderborn, 1979.
Bildungsprozesse als Organisationsproblem, in: Schriften aus dem Arbeitskreis Betriebswirtschaftliche Verhaltensforschung, Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Universität Paderborn, 1982.
Wahrnehmung von Komplexität in Entscheidungsprozessen - Ergebnisse experimenteller Untersuchungen, in: Schriften aus dem Arbeitskreis Betriebswirtschaftliche Verhaltensforschung, Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Universität Paderborn, 1982.
Belastungsfaktoren in Entscheidungsprozessen - Forschungsbericht zu einer Experimentaluntersuchung, in: Schriften aus dem Arbeitskreis Betriebswirtschaftliche Verhaltensforschung, Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Universität Paderborn, 1983.
Determinanten der Komplexität von Entscheidungsprozessen, in: Schriften aus dem Arbeitskreis Betriebswirtschaftliche Verhaltensforschung, Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Universität Paderborn, 1983, sowie in: Die Betriebswirtschaft, 44. Jg. 1984, DBW-Depot, S. 308.
248 Verzeichnis der Schriften Rolf Bronners
Belastung und Beanspruchung- Modifikation eines Belastungs-Verlaufs-Tests für psychisch beanspruchende Tätigkeiten, in: Schriften aus dem Arbeitskreis Betriebswirtschaftliche Verhaltensforschung, Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Universität Paderborn, 1984, (zusammen mit Joachim Karger).
Konfliktverhalten in Entscheidungsprozessen, in: Schriften aus dem Arbeitskreis Betriebswirtschaftliche Verhaltensforschung, Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Universität Paderborn, 1984 sowie in: Die Betriebswirtschaft, 45. Jg. 1985, Heft 3, DBWDepot, S. 347 f.
Studienstart mit Planspielen - Notwendigkeit und Chancen computergestützter Studienreform, in: Schriften aus dem Arbeitskreis Betriebswirtschaftliche Verhaltensforschung, Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Universität Paderborn, 1987, (zusammen mit Monica Roters).
Techniken der Problemlösung - Einführung und Beispiele, in: Schriften aus dem Arbeitskreis Betriebswirtschaftliche Verhaltensforschung, Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Universität Paderborn, 1987.
Anforderungen an Spitzen-Führungskräfte-Methode und Ergebnisse einer Delphi-Studie, in: Schriften aus dem Arbeitskreis Betriebswirtschaftliche Verhaltensforschung, Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Universität Paderborn, 1990, (zusammen mit Wenzel Matiaske und Friedrich A. Stein).
Anwendung der Korrespondenzanalyse in der Imageforschung - Am Beispiel eines Segmentes des Automobilmarktes, in: Schriften aus dem Arbeitskreis Betriebswirtschaftliehe Verhaltensforschung, Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Universität Paderborn, 1991, (zusammen mit Igor Dobrov und Wenzel Matiaske).
Entscheidungsverhalten, in: Arbeitspapiere zur empirischen Organisationsforschung Nr. la, Mainz, Januar 1993, Organisation der Beschaffung.
Eine empirische Untersuchung mit gutachtedieher Stellungnahme, in: Arbeitspapiere zur empirischen Organisationsforschung Nr. 1b, Mainz, Juli 1993.
Social Loafing and Achievement Motivation, in: Arbeitspapiere zur empirischen Organisationsforschung Nr. 2, Mainz, Dezember 1993, (gemeinsam mit Thomas Mellewigt).
Zukunfts-Anforderungen an das Management-Lernen, in: Arbeitspapiere zur empirischen Organisationsforschung Nr. 3, Mainz, Januar 1994.
Zur Effizienz von Universitäten, in: Arbeitspapiere zur empirischen Organisationsforschung Nr. 4, Mainz, April 1994.
Experimentelle Personalforschung, in: Arbeitspapiere zur empirischen Organisationsforschung Nr. 6, Mainz, Oktober 1996.
Komplexitäts-Wahrnehmung und Entscheidungs-Verhalten in: Arbeitspapiere zur empirischen Organisationsforschung Nr. 8, Mainz, Januar 1997.
Kosten und Nutzen von Videokonferenzen - Ansätze zur Beurteilung, in: Arbeitspapiere zur empirischen Organisationsforschung Nr. 9, Mainz, Juli 1997, (gemeinsam mit Sabine Reinhardt und Wolfgang P. Appel).
Planspieleinsatz in Unternehmen, in: Arbeitspapiere zur empirischen Organisationsforschung Nr. 10, Mainz, Dezember 1997, (gemeinsam mit Martina Kollmannsperger).
Deutschsprachige und amerikanische Organisationsforschung - Ziele, Themen und Methoden im empirischen Vergleich, in: Arbeitspapiere zur empirischen Organisationsforschung Nr. 11, Mainz, Februar 1998, (gemeinsam mit Wolfgang Appel und Torsten Wult).
Entstehen und Scheitern von Strategischen Allianzen in der Telekommunikationsbranche - Eine inhaltsanalytische Untersuchung, in: Arbeitspapiere zur empirischen Organisationsforschung Nr. 12, Mainz, Dezember 1998, (gemeinsam mit Thomas Mellewigt und Günther Scheppler).
Verzeichnis der Schriften Rolf Bronners 249
Planung innovativer Infrastruktur - Dargestellt am Beispiel der Magnetschwebebahn Transrapid Harnburg - Berlin, in: Arbeitspapiere zur empirischen Organisationsforschung Nr. 13, Mainz, Dezember 1998, (gemeinsam mit Wolfgang Appel, Jens Boettiger und Roland Röder).
5 Sonstige Beiträge
Stichwort-Kurzbeiträge in: Management-Lexikon hrsg. von Fritz Neske und Markus Wiener, Gernsbach 1985 (Aktionsforschung, Alternativen, Belastungsfaktoren, Entscheidungseffizienz, Entscheidungskriterien, Entscheidungsorganisation, Entscheidungsprozeß, Entscheidungsspielraum, Entscheidungsverlauf, Informationsverhalten, Initiative, Konsensfindung, Organisationsforschung, Promotoren, Zeitdruck, Zielbildung).
Entscheidungsverhalten von Führungskräften, in: Absatzwirtschaft 911997, S. 84--86, (zusammen mit Volker Wiemann).
SimConsult- Ein betriebswirtschaftliches Lernsystem auf Planspielbasis, in: Planspiele in der beruflichen Bildung 1997, (zusammen mit Martina Kollmannsperger).
Planspieleinsatz in Unternehmen, in: Personalwirtschaft 611998, S. 47-49, (zusammen mit Martina Kollmannsperger und Marco Lenz).
Videokonferenzen- Chancen- Erfordernisse- Grenzen in: CHEManager 7. Jg. 1998, Heft 7, S. 28.
Verzeichnis der Autoren
Dr. Wolfgang Ph. Appel, Referent im Bereich Personalwesen der BASF Ludwigshafen.
Dipl. Kfm. Herbert Düll, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (lAB) der Bundesanstalt für Arbeit, z. Zt. freigestellt für Tätigkeit als Referent für Arbeitsmarktpolitik bei der Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen.
Dipl.-Kfm. Holger J. Dürrfeld, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Unternehmensführung, Organisation und Personalwesen der Universität Hohenheim.
Dr. Martin Faßnacht, Habilitand am Lehrstuhl für ABWL und Marketing I an der Universität Mannheim.
Dipl.-Kffr. Susanne Gretzinger, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für ABWL, insb. Personalwirtschaft an der Universität Paderborn.
Dipl.-Kfm. Jörg Habich, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für ABWL, insb. Personalwirtschaft an der Universität Paderborn.
Prof. Dr. Christian Homburg, Lehrstuhl für ABWL und Marketing I an der Universität Mannheim.
Prof. Dr. Klaus Macharzina, Präsident der Universität Hohenheim und Lehrstuhl für Unternehmensführung, Organisation und Personalwesen an der Universität Hohenheim.
Prof. Dr. Albert Martin, Leiter des Instituts für Mittelstandsforschung an der Universität Lüneburg.
PD Dr. Wenzel Matiaske, Vertretung des Lehrstuhls für ABWL, insb. Personalwirtschaft an der Universität Paderborn und "Werkstatt für Organisations- und Personalforschung'' Berlin.
Dr. Thomas Mellewigt, Habilitand am Lehrstuhl für ABWL und Organisation an der J ohannes-Gutenberg-Universität Mainz.
Prof. Dr. Karl-Klaus Pullig, Lehrstuhl für Personal- und Organisationsentwicklung an der Universität Paderborn.
Dr. Wolfgang Schröder, Unternehmensberater ,,Personalsysteme- Konzeption-Beratung-Training'', Meinerzhagen.
PD Dr. Friedrich A. Stein, Hochschuldozent, Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz.
Prof. Dr. Dres. h.c. Wolfgang Weber, Rektor der Universität Paderborn und Lehrstuhl für ABWL, insb. Personalwirtschaft an der Universität Paderborn.
Dr. Volker Wiemann, Geschäftsführer der Flores Holding GmbH Vlotho. Prof. Dr. Dres. h.c. Eberhard Witte, Institut für Organisation an der Universität
München.
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