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Elmar Wiesendahl Mitgliederparteien am Ende?

Elmar Wiesendahl Mitgliederparteien am Ende? · Inhaltsverzeichnis Abkiirzungsverzeichnis 7 Abbildungsverzeichnis 8 Vorwort 10 1 Das Ende der Mitgliederparteien in der Diskussion

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Elmar Wiesendahl

Mitgliederparteien am Ende?

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ElmarWiesendahl

Mitglieder-parteien am Ende? Bine Kritik der Niedergangsdiskussion

VS VERLAG FUR SOZIALWISSENSCHAFTEN

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Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsclie Bibliothel< verzeichnet diese Publil<ation in der Deutsclien Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im internet uber <http://dnb.ddb.de> abrufbar.

LAuflage Januar 2006

Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag fiir Sozialwissenschaften/GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006

Lektorat: Frank Schindler

Der VS Verlag fur Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de

Das Werk einschlieBlich aller seiner Telle ist urheberrechtlich geschutzt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes Ist ohne Zustimmung des Verlags unzulassig und strafbar. Das gilt insbesondere fur Vervielfaltigungen, Obersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspei-cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden durften.

Umschlaggestaltung: KunkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: MercedesDruck, Berlin Gedruckt auf saurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany

ISBN 3-531-14350-6

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Inhaltsverzeichnis

Abkiirzungsverzeichnis 7

Abbildungsverzeichnis 8

Vorwort 10

1 Das Ende der Mitgliederparteien in der Diskussion 11

2 Kennzeichen und Eigenschaftsprofil von Mitgliederparteien 16

3 Die Mitgliederentwicklung der Parteien auf dem Priifstand 25 3.1 Der erste Mitgliederzyklus von 1945-1965 27 3.2 Der zweite Mitgliederzyklus 1965-2004 31 3.2.1 Eintrittsschwemme und Mitgliederboom 32 3.2.2 Mitgliederentwicklung in der Talfahrt 34 3.2.3 Die Mitgliederkrise in Ostdeutschland 39

4 Nahaufnahme der Mitgliederkrise der Parteien 44 4.1 Nachwuchskrise und Rekrutierungsschwache der Parteien 46 4.2 Das Jungmitgliederdefizit 49 4.3 Uberalterung und Regenerationskrise der Parteien 57

5 Hintergriinde des Mitgliederschwunds 62 5.1 Mitgliedemiedergang im europaischen Vergleich 65 5.2 Anreizschwache der Parteien 70 5.3 Individualisierung und Milieuerosion 74 5.4 Kognitive Mobilisierung, Wertewandel und

Partizipationsverlagerung 79 5.5 Politische Demobilisierung und massenmediale

Freizeitgesellschaft 85 5.6 Vertrauensschwund und Beziehungskrise zwischen Parteien

und Biirgem 93 5.7 Das Erklarungs-Puzzle des Mitgliederschwunds 96

6 Die Folgen des Mitgliederschwunds 103 6.1 Do Members matter? 106 6.2 Auswirkungen auf Wahlkampf und Wahlermobilisierung 114 6.3 Auswirkungen auf die Aufienkommunikation der Parteien 123 6.4 Auswirkungen auf die Parteienfmanzierung 13 0 6.5 Vom angepassten zum selbstbewussten Mitglied 141

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7 Die gescheiterten Reformen der Mitgliederpartei 150 7.1 Der Kampf gegen den Schwund 150 7.2 Demokratisierung und Offnung der Parteien 153 7.3 Internet und Netzwerkpartei 163

8 Schluss 172

9 Literatur 179

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Abkiirzungsverzeichnis

Abb.: Abbildung ALLBUS Allgemeine Bevolkerungsumfrage der Sozialwissenschaften AN: AUeanza Nazionale AoR: Archiv offentliches Recht APSA American Political Science Association APuZ: Aus Politik und Zeitgeschichte CDU: Christlich Demokratische Union CSU: Christlich Soziale Union DBD Demokratische Bauempartei Deutschlands DDR: Deutsche Demokratische Republik EDV: Elektronische Datenverarbeitung FDP: Freie Demokratische Partei Deutschlands JULIS: Junge Liberale JU: Junge Union JuSos Jungsozialisten LDPD: Liberaldemokratische Partei Deutschlands NSB: Neue soziale Bewegungen OVP: Osterreichische Volkspartei NDPD: Nationaldemokratische Partei Deutschlands PDS: Partei des Demokratischen Sozialismus SED: Sozialistische Einheitspartei Deutschlands SPD: Sozialdemokratische Partei Deutschlands SPO: Sozialdemokratische Partei Osterreichs ZParl: Zeitschrift fur Parlamentsfragen ZUMA Zentrum fur Umfragen, Methoden und Analysen

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Abbildungsverzeichnis

Abbildungl: Merkmalsprofil der Mitgliederpartei 22 Abbildung 2: Mitgliederentwicklung der

Bundestagsparteien 1946-2004 27 Abbildung 3: Mitgliederentwicklung der deutschen

Bundestagsparteien 1968-2004 31 Abbildung 4: Mitgliederzyklus der Bundestagsparteien 1968-2004 34 Abbildung 5: Prognose der Mitgliederentwicklung bis 2015 36 Abbildung 6: Parteimitgliederentwicklung in den

neuen Bundesldndern 1989-2004 40 Abbildung 7: Parteimitgliederentwicklung in

West- und Ostdeutschland 1990-2004 43 Abbildung 8: Die Entwicklung des Organisations grades der

Bundestagsparteien 1970-2003 45 Abbildung 9: Mitgliederzu- und-abgdnge von SPD und CDU

1970-2004 47 Abbildung 10: Entwicklung der Jungmitgliederzahlen in der CDU

1984 bis 2004 51 Abbildung 11: Entwicklung der Jungmitgliederzahlen in der SPD

1974 bis 2004 52 Abbildung 12: Entwicklung des Jungmitgliederanteils der

Bundestagsparteien 1980-2004 53 Abbildung 13: Mitgliederentwicklung der Parteinachwuchsorganisationen

1974-2004 55 A bbildung 14: A Iterszusammensetzung der SPD-Mitgliedschaft

1975-2004 57 Abbildung 15: Alterszusammensetzung der CDU-Mitgliedschaft

1975-2004 58 Abbildung 16: Anteil der unter 30- und uber 60jdhrigen unter den

Mitgliedern von CDU und SPD 1975-2004 59 Abbildung 17: Organisationsgradpolitischer Parteien in Westeuropa

1960-2003 66 Abbildung 18: Entwicklung der Gewerkschafts- undParteimitglieder

im Vergleich 1968-2003 77

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Abbildung 19: Entwicklung des politischen Inter esses im Vergleich zu den Neueintritten von CDU undSPD 1980-2002 87

Abbildung 20: Entwicklung der Mediennutzungpro durchschnittlichen Werktag 1964-1995 89

Abbildung 21: Entwicklung des Medienkonsums im Vergleich zur Parteimitgliederentwicklung 1979-2004 90

Abbildung 22: Entwicklung des Medienkonsums im Vergleich zur Jungmitgliederentwicklung von CDU und SPD 1987-2004 91

Abbildung 23: Vertrauens- und Neumitgliederentwicklung der Parteien im Vergleich 1979-2004 95

Abbildung 24: Mitglieder- und Stimmenentwicklung von CDU/CSU und SPD im Vergleich 1969-2002 121

Abbildung 25: Entwicklung des Beitragsaufkommens der Bundestagsparteien 1968-2002 133

Abbildung 26: Die drei Einnahmequellen der Parteien im Vergleich 1968-2002 134

Abbildung 2 7: Beitragseinnahmen- und Mitgliederentwicklung im Vergleich 1984-2002 135

Abbildung 28: Anteil der neuen Mittelschichten an der Mitgliedschaft von CDU und SPD 1968-2004 142

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Vorwort

Die Idee zu diesem Buch ist iiber einen langeren Zeitraum gereift, in dem ich mich wiederholt mit dem Zustand und den Zukunftsperspektiven der Parteien in Deutschland befasst habe. Einiges Unbehagen bereitete mir dabei das in der Parteienforschung starker werdenden Ausmafi der um sich greifenden Tendenz, den hergebrachten Tragem des modemen Parteiwesens, namlich Mitgliederpar-teien, ein baldiges Ende zu bescheinigen. Bei naherem Hinsehen drangten sich mir immer mehr Zweifel an den Gewissheiten auf, mit denen sowohl aus der Krisensicht als auch der Party-Change-Perspektive der unaufhaltsame Nieder-gang und das Verschwinden der Mitgliederparteien diagnostiziert wurde. Weil mir an der Ende-der-Mitgliederparteien-Debatte das eine und andere wenig stichhaltig und empirisch beweiskraftig erschien, ergab sich der Impuls, die Lage und Zukunftsaussichten der Mitgliederparteien genauer zu untersuchen und mit den gangigen Thesen der Ende-der-Mitgliederparteien-Debatte zu konfrontieren.

Ohne die intensiven und mitunter kontrovers gefiihrten Gesprache mit Joa-chim Raschke ware dieses Buch nie in der vorliegenden Form entstanden. Dies bezieht sich vor alien Dingen auf die begriffliche Eingrenzung und Eigenschafts-bestimmung von Mitgliederparteien. In das Buch sind zahlreiche Daten und statistische Informationen uber Parteimitglieder eingeflossen, die, soweit nicht ausdriicklich anders vermerkt, auf Auskiinften der Parteigeschaftsstellen fuBen. Von den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitem der Parteien, die mir bei der Datenbeschaffung und bei weiteren Nachforschungen behilflich waren, seien stellvertretend Hans-Jiirgen Hitzges vom SPD-Parteivorstand und Christian Roe-len von der CDU-Bundesgeschaftsstelle genannt. Ihnen gilt mein besonderer Dank fiir die schon langere Zeit wahrende Unterstiitzung. Bei der Aufbereitung und Veranschaulichung der Daten hat sich mein Mitarbeiter, Dr. Guido Poll-mann, groBe Verdienste erworben. Und wie gewohnt zuverlassig hat Frau Jo-hanna Berchtold die Reinschrift des Manuskripts iibemommen.

Das Buch ist den Hunderttausenden von unverdrossenen Freiwilligen und Ehrenamtlichen in den Mitgliederorganisationen der Parteien gewidmet. Sie biirgen dafiir, dass sich die von Berufspolitikem ausgeiibte Parteienherrschaft nicht vollstandig von ihrer gesellschaftlichen Verwurzelung und Legitimations-basis loslost. Miinchen und Hamburg, im Juni 2005 Elmar Wiesendahl

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1 Das Ende der Mitgliederparteien in der Diskussion

Es bedarf schon eines besonderen Begriindungsaufwands, ein Buch gerade uber Mitgliederparteien zu schreiben, denen von profunden Beobachtem ein derma-Ben beklagenswerter Zustand bescheinigt wird, dass es sich kaum noch lohne, viele Worte iiber sie zu verlieren. In der Tat scheinen die Tage der Mitgliederpar-teien gezahlt wenn nicht gar schon abgelaufen. Dies ist jedenfalls die Uberzeu-gung einer stark angewachsenen Schar von Parteien- und Wahlkampfforschem, die bereits das Sterbeglocklein fiir die Mitgliederparteien lauten horen). So ist fur Losche (2000) die Ablosung der „Mitglieder- und Funktionarspartei" durch ei-nen neuen Parteityp eine beschlossene Sache. Dies wird auch von Andreas Dor-ner so gesehen, fur den „die Zeit der groBen Mitgliederparteien, die zugleich einen wichtigen Partizipationskanal in der Institutionenlandschaft bereit stellten, vorbei scheint" (2002: 769). Thomas Meyer bringt sogar die „Mediokratie" ins Spiel, die zur „Verdrangung von Mitgliederpartei und Mitgliederdiskurs aus dem Zentrum der Politik" gefiihrt habe (2002: 13). Und Heinrich Oberreuter (1996: 13) bereichert das Untergangsszenario um einen weiteren Aspekt, indem er Par-teien einer „alteren Gesellschaft" zuordnet, die durch „Werte- und Medienwan-del" verdrangt wurde. SchlieBlich schickt Nickig (1998: 383) den angeschlage-nen Mitgliederparteien sogar noch das Verdikt hinterher, dass sie nie etwas ande-res als eine „Fiktion" gewesen waren.

Die Aussagen lieBen sich beliebig fortsetzen und noch dazu durch zahlrei-che Fundstellen aus der intemationalen Parteienliteratur erganzen. Doch ist auch Kritik an dieser Niedergangsdebatte laut geworden. So wird fiir Seyd und Whi-teley (2004 355) bei den Untergangsszenarien nach dem „free-fall-decline"-Muster verfahren. Scarrow, Webb und Farrell (2000: 129) behaupten sogar, dass sich die These vom Niedergang der eng mit der Mitgliederpartei verbundenen Massenpartei und ihrer allmahlichen Verdrangung durch die Wahlerpartei wie ein roter Faden durch die Party-Change-Nachkriegsliteratur hindurchzoge. Und zieht man den Endpunkt der von den Anhangem der Niedergangsdebatte be-schriebenen Negativentwicklung in Betracht, wird dieser nach Scarrow (2000: 79 f) mit der allgemeinen „Americanization of party life" erreicht, was mit dem complete end of locally rooted, membership-based, organizing" des Parteiwesens einhergehe.

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Bemerkenswert an der Ende-der-Mitgliederparteien-Debatte ist, dass sie von Vertretem getragen wird, die von unterschiedlichen Denkschulen aus zu weitge-hend iibereinstimmenden Schlussfolgerungen gelangen. Zu einiger Popularitat in der Parteienforschung stieg hierbei die Krisentheorie (von Alemann 2001: 178 ff) auf, deren Vertreter mit Blick auf uniibersehbare Schwachen und Nieder-gangssymptome von Mitgliederparteien deren Zukunft und Uberlebensfahigkeit bezweifeln. Ihnen alien ist ein ausgepragter alarmistischer Zungenschlag bei der Krisendiagnose zueigen. Die Krisenliteratur ist weit abgesteckt, wobei sie neben organisatorischen auch noch elektorale, kulturelle und institutionelle Aspekte des Parteienabstiegs behandelt (Montero/Gunther 2002: 4f).

In ein nicht ganz so diisteres Licht werden die Mitgliederparteien von der Party-Change-Debatte getaucht, zumal deren Vertreter von ihrer Forschungsper-spektive aus an den Anpassungsleistungen interessiert sind, durch die Parteien auf veranderte gesellschaftliche und elektorale Rahmenbedingungen reagieren. Die neue Parteienara, die sich aus diesem Blickwinkel ergibt, meint es allerdings mit dem Wohlergehen von Mitgliederparteien auch nicht gut. Denn der Epo-chenwechsel wird nach Auffassung der Party-Change-Anhanger von neuartigen Parteien gepragt, unter denen Parteimitglieder einen Bedeutungsverlust erleiden und in eine Randstellung abgedrangt wurden (Panebianco 1988: 266; Mair 1997: 24; von Beyme 2000: 12). In enger Nachbarschaft hierzu ist die jiingere medien-zentrierte Wahlkampfforschung anzusiedeln, die mit Blick auf modeme Wahl-kampftechnologien und -methoden behauptet, dass Parteimitglieder nutzlos und iiberfliissig geworden seien.

Zu den akademischen Vertretem der Ende-der-Mitgliederparteien-Debatte stoBt schlieBlich auch noch der eine oder andere prominente Vertreter der Partei-enpraxis hinzu, der in den Abgesang auf die Mitgliederparteien einstimmt. So ist nach Ansicht des ehemaligen Bundesgeschaftsfuhrers der SPD, Karlheinz Bles-sing, die „Existenzberechtigung der Mitgliederpartei" hinfallig geworden (2002: 98). Denn angesichts des Anreizverlustes Parteimitglied zu werden, sei die „Mit-gliederpartei in der heutigen Form nicht aufrecht zu erhalten" (99). Noch dezi-dierter fiir das Ende der Mitgliederparteien hat sich der ehemalige Bundesge-schaftsfiihrer der CDU, Peter Radunski (1991) ausgesprochen. Ihm schwebte vor, sie durch eine „Fraktionspartei", bestehend aus einem Kern von ambitionier-ten Berufspolitikem, zu ersetzen.

Allem Anschein nach hat sich unter dem Gros der Parteienforscher die fraglose und nicht mehr diskussionsbedurftige Gewissheit eingestellt, dass das Ende der Mitgliederparteien nur noch eine Frage der Zeit ist. Fur Susan Scarrow (1996: 13) gibt es unter diesen Forschem nichts mehr an der Ansicht zu riitteln, dass „Mitgliederparteien eine im wachsenden MaBe gefahrdete Spezies bilden, - ein

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weiteres Opfer der beschleunigten technologischen und gesellschaftlichen Wand-lungen des 20. Jahrhunderts". Wenn sich diese diistere Sicht der Dinge bewahr-heiten soUte, hatte sich die von Maurice Duverger (1959) noch in den fruhen 50er Jahren in Gestalt der Massenpartei als Zukunftsmodell gepriesene Mitglie-derpartei in der Tat zum Auslaufmodell, zum Fall fiir den Konkursabwickler entwickelt.

Bemerkenswerter Weise ist es aber um eine breitere Diskussion iiber diese weitreichende Auslaufthese in der gegenwartigen deutschsprachigen Parteienlite-ratur schlecht bestellt, weil Einwande gegen sie kaum laut werden. Im Gegenteil bilden bislang noch prominente Gegenstimmen, die der weit verbreiteten Nie-dergangsthese etwas entgegenzusetzen hatten, eine krasse Ausnahme. Hier ist auf einsamer Flur allein Peter Haungs zu nennen, der schon vor einigen Jahren als bekennender Anhanger der Mitgliederpartei AnstoB an der Endzeit-Debatte nahm. Seine Kritik machte sich vor alien Dingen daran fest, dass der „VerfaH" der Parteimitgliedschaft, ausgehend von einem imaginaren „goldenen Zeitalter", als „nicht reversibel" hingestellt wiirde (1994: 111). Schon gar nicht war unter diesen Umstanden bislang in der deutschsprachigen Parteienliteratur fiir den Gedanken viel Platz, dass bei alien offenkundigen Schwache- und Niedergangs-symptomen in Mitgliederparteien noch ein Revitalisierungspotenzial steckt, durch das sich die Entwicklung umkehren lieBe. Mittlerweile scheint aber ein Punkt erreicht, wo Stimmen vermehrt vemehmbar werden, die sich mit der Ab-gesangstendenz nicht mehr abfinden wollen (Biehl 2004b).

In der Tat scheint es an der Zeit, sich der zur Dogmatik tendierenden Nie-dergangsdebatte einmal kritisch anzunehmen. Dabei ist es nicht nur der wissen-schaftlich notwendigen Widerspruchsgeist allein, der zum Hinterfragen heraus-fordert. Vielmehr tun sich beim genaueren Hinsehen Zweifel auf, ob die These, Mitgliederparteien seien iiberholt und unzeitgemaB, der kritischen Diskussion und empirischen LFberpriifung standhalt. Verschiedenes ist in der Zusammen-hangsbetrachtung der Debatte ungereimt und wird auf Pramissen abgestiitzt, die schwerlich mit der Wirklichkeit iibereinstimmen. Vor alien Dingen wird von der Niedergangsdebatte das Verschwinden der Mitgliederparteien angezeigt, deren Eigenschaften und Charakteristika im Nebulosen verbleiben. Geredet wird in-haltsleer und formlos iiber ein Phanomen, von dessen genauerem Aussehen und Gestalt die Beteiligten keine rechte Vorstellung zu haben scheinen. Nicht von der Hand zu weisen ist dagegen die Tatsache des anhaltenden Mitglieder-schwunds. Welche Folgen sich allerdings aus der Schwachung und Auszehrung der Mitgliederbasis der Parteien fur deren weitere Funktionsfahigkeit und Fort-existenz ergeben, liegt nicht einfach auf der Hand, sondem bedarf einer sorgfal-tigen und ergebnisoffenen Priifung. In Mitgliederverlusten, die Parteien immer wieder erlebt haben, die fraglosen Vorboten fur das Verschwinden von Mitglie-

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derparteien zu sehen, ist jedenfalls solange kurzschliissig und voreilig gedacht, wie nicht genau die Folgewirkungen dieser Fehlentwicklung flir die betroffenen Parteien analysiert wurden. Dies gilt insbesondere auch fur die weit verbreitete These vom Funktionsverlust der Parteimitgliedschaft, die sich in ihrer empiri-schen Haltlosigkeit geradezu aufdrangt, um sie genauer an der Wirklichkeit zu uberpriifen.

Den MaBstab hierfiir bildet die bundesdeutsche, und wo angebracht, auch intemationale Parteienwirklichkeit, die sich in vielschichtiger und mitunter sogar widerspruchlicher Erscheinungsvielfalt darbietet. Diese Gesamtansicht will in ihrem Facettenreichtum von Licht und Schatten erst einmal voUstandig ausge-leuchtet sein, ehe es wirklich angebracht ist, ein Requiem auf etwas langst Tot-gesagtes abzuhalten. Neben den von den Parteien selbst bereitgestellten Zahlen und Strukturdaten zur Mitgliederentwicklung wird zudem auf die stattlich ange-wachsene Zahl von Mitgliederstudien in der Parteienforschung zurUckgegriffen, um Licht auf die gegenwartigen Lage der Mitgliederparteien werfen zu konnen. Bei der Darstellung der Befragungsergebnisse wird den Verfassem und Verfas-serinnen solcher Mitgliederstudien ein besonderes Gewicht eingeraumt, die von sowohl nutzentheoretischer als auch demokratietheoretischer Warte aus in Par-teimitgliedem unverzichtbare Garanten fflr einen lebendigen Parteienwettbewerb und flir die Ausrichtung parteiendemokratischer Willensbildung sehen. Gerade um der Frage nach der Obsoleszenz von Mitgliederparteien nicht auszuweichen, wird der Rolle von Parteimitgliedem im Wahlkampf, der direkten Parteienkom-munikation und bei der Parteienfmanzierung genauer nachgegangen. Herausge-fiinden werden soil, ob sich Mitglieder durch Medienwahlkampfe und alternative Finanzierungsquellen tatsachlich substituieren lassen. Um sich aber iiberhaupt in eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Ende-der-Mitgliederparteien-Debatte begeben zu konnen, muss auf jeden Fall zunachst geklart werden, was Mitgliederparteien charakterisiert und anhand welcher operablen Kriterien sich iiberpriifen lasst, inwieweit ihre Weiterexistenz auf dem Spiel steht. Dann wird die Mitgliederkrise in ihrem ganzen Ausmafi aufgezeigt und eine Antwort darauf gegeben, ob der Aderlass den Fortbestand der Mitgliederparteien gefahrdet. Ohne sich dann den Grunden ausbleibender Mitglieder zuzuwenden, wird es allerdings schwerlich moglich sein, die absehbaren Folgen der Mitgliedertalfahrt genauer unter die Lupe zu nehmen. Hier wird vor allem die Frage diskutiert, inwieweit die Erosion der Mitgliederbasis heutiger Parteien deshalb hinnehmbar ist, well sich Mitglieder als nutzlos erwiesen haben. Vor der abschlieBenden Bilanz wird noch ein Blick auf die organisatorischen Reformanstrengungen der Parteien getan, die daruber Aufschluss geben sollen, ob es darum ging, die Mit-gliederpartei zu erhalten und wieder zu beleben. Gewachsene Parteiverhaltnisse verschwinden nicht einfach so, was in der Zusammenflihrung der Untersu-

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chungsergebnisse klarungsbediirftig macht, wie sich heutige Parteien mit ausge-diinnten aber immer noch in die Hunderttausende gehenden Mitgliederbestanden arrangieren.

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2 Kennzeichen und Eigenschaftsprofil von Mitgliederparteien

Das modeme Parteiwesen des massendemokratischen Zeitalters ist ohne den Aufstieg und die allgemeine Verbreitung von Mitgliederparteien nicht denkbar. Inwieweit das heutige Parteiwesen auch ohne Mitgliederparteien vorstellbar und fortbestandsfahig sein konnte, soil im weiteren Verlauf genauer untersucht wer-den. Zunachst einmal ist hierfur aber zu klaren, was Mitgliederparteien auszeich-net und unverwechselbar macht.

Die Mitgliederpartei zahlt zwar zum festen Bestandteil des alltaglichen poli-tischen Jargons, und auch in der Parteienliteratur wird von ihr haufig Gebrauch gemacht. Doch was die Eigenschaftsbestimmung dieser Spezies angeht, handelt es sich um ein zweifellos irgendwie existentes, aber im Merkmalsprofil nicht genauer eingegrenztes und defmiertes Wesen. Hieraus resultiert die allemal ver-wirrende und nicht haltbare Situation, dass jeder womoglich unter Mitgliederpar-teien etwas anderes versteht, und sich Parteien jeglicher Couleur mehr oder min-der stark als Mitgliederparteien bezeichnen lassen. Der Begriff der Mitglieder-partei ist immer noch ein unscharfer und weitgehend unbestimmter Begriff der Parteienforschung. Ein Hinweis dafiir liefert die Tatsache, dass er durch den Rost der gangigen Parteientypologien gefallen ist. Entweder wurde die Mitgliederpar-tei als Klassifikationsobjekt schlicht ignoriert, oder sie wurde im Rahmen von verbreiteten Entwicklungstypologien, aus nicht klar ersichtlichen Griinden, aus-geklammert und ubersprungen.

Diese typologische Unscharfe und Heimatlosigkeit der Mitgliederpartei wird speziell dann zum Problem, wenn, wie es nicht selten tiblich ist, sie mit der historischen Erscheinungsform der Massenpartei gleichgesetzt wird. Zweifellos ist, vom Entstehungshintergrund, die Mitgliederpartei mit der Massenpartei ver-wandt. Aber sie ist nicht mit ihr identisch. Eine Auseinandersetzung mit dem zeitgeschichtlich zu erschlieBenden Entstehungs- und Beziehungszusammenhang von Mitglieder- und Massenparteien hat allerdings noch nicht begonnen. Gingen Mitglieder- typologisch in Massenparteien auf, wiirde dies zwangslaufig darauf hinauslaufen, dass die Mitgliederparteien mit dem Epochenende der Massenpar-teien gleichzeitig verschwunden sein mussten. Hiergegen spricht zumindest die erst in jiingerer Zeit aufgeflammte Diskussion um den Niedergang und die Auf-

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losung der Mitgliederparteien, wahrend Massenparteien einer Entwicklungspha-se des modemen Parteiwesens zugerechnet werden, die spatestens mit dem Auf-stieg von Volksparteien in der Zeit nach dem Ende des zweiten Weltkriegs ihren Abschluss fand. Riickblickend ist deshalb von einem Verwandtschaftsverhaltnis zwischen Massen- und Mitgliederparteien auszugehen. Doch verkorpem heutige Mitgliederparteien eine eigenstandige Erscheinungsform, die sich vom iiberhol-ten Epochenzusammenhang der Massenparteien losgelost hat.

Wie eine Durchsicht der Literatur deutlich macht, ist die Parteienforschung bei der Bestimmung und Abgrenzung des Eigenschaftsprofils von Mitgliederpar-teien noch nicht besonders weit vorangeschritten. Ein Weg wurde in die Rich-tung eingeschlagen, die Mitglieder selbst in den Mittelpunkt der Begriffsbe-stimmung zu stellen. Von diesem Betrachtungswinkel aus grenzt sich eine Mit-gliederpartei von anderen Parteiformen dadurch ab, dass sie eine „Partei mit Mitgliedem" (Haungs 1994: 115) ist, eine „membership-based organization" (Scarrow 2000: 80). Hinzuftigen lieBe sich noch, dass Mitgliederparteien uber einen festen und dauerhaft organisierten Mitgliederstamm verfugen (Wiesendahl 1985: 575; 1998b: 14). Auch wenn die hier vorgenommene zaghafte und be-scheidene Begriffsbestimmung insgesamt noch stark nach Neoplasmus riecht, ist jedenfalls klar, dass es ohne das Minimalkriterium der organisierten Mitglieder notwendigerweise nicht geht, wenn man sich ein Bild von Mitgliederparteien machen will. Hinreichend ist es aber als Abgrenzungskriterium nicht. Bliebe es bei diesem singularen Kriterium, waren namlich heutzutage nahezu alle Parteien, weil sie allesamt iiber eine mehr oder minder breite Mitgliederbasis verfligen (Wolinetz 2002: 141), als Mitgliederparteien zu bezeichnen.

Auch nicht viel mehr Klarheit resultiert bislang aus dem Versuch, die Mit-gliederpartei als „Partei der Mitglieder" (Abendroth 1965: 84) gegeniiber ge-brauchlichen Gegentypen wie Wahlerparteien (von Beyme 2000: 105), Honora-tioren-, Funktionars- oder Berufspolitikerparteien abzugrenzen. Einmal tendiert dieser Ansatz zur empirisch fragwiirdigen Uberzeichnung des Mitgliederge-wichts, wie umgekehrt nicht weniger fragwiirdig anderen Teilgruppen (Honora-tiorenparteien etc.) ein alles bestimmender Einfluss iiber eine Partei unterstellt wird. Ob es eine Partei der Wahler oder selbst eine Partei fiir Wahler gibt, ist darliber hinaus noch gesondert diskussionsbediirftig.

Ein weiterer gelaufiger Bestimmungsansatz geht von dem schieren Zahlen-kriterium aus. Dies hat seinen Charme, zumal bereits die Klassiker der Parteien-forschung der Macht der Zahl schon wegen der damit verbundenen Massenhaf-tigkeit etwas mythisches beimaBen. Mitgliederzahlen stehen seit geraumer Zeit auch deshalb wieder hoch im Kurs, weil starke Mitgliederverluste den Anlass dafur gaben, um die Niedergangsdebatte um die Mitgliederparteien anzufachen und fortzusetzen. Wenn man sich jedoch alien Emstes daran versucht, Mitglie-

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derparteien iiber die Quantifizierung ihres Mitgliederumfangs zu bestimmen, verheddert man sich zwangslaufig in schlechterdings unlosbare Probleme: Wie viele Mitglieder benotigt eine Partei, um zur Mitgliederpartei zu werden: Zehn-tausende, Hunderttausende oder eine Million und mehr? Es liegt auf der Hand, dass es an einem stichhaltigen Bezugskriterium fehlt, um hierauf eine tiberzeu-gende Antwort zu geben. Selbst wenn man das Zahlenkriterium in ein Kontinium mit den Polen Mitgliederarmut und Mitgliederreichtum iibertragt, lasst der klas-sifikatorische Nutzen deutlich zu wiinschen iibrig. So hat sich diese Vorgehens-weise Wolinetz (2002: 144) fiir die Unterscheidung von (mitgliederarmen) mo-demen Rahmenparteien und (mitgliederreichen) alteren Massenparteien zu eigen gemacht. Dies fuhrt allerdings dazu, dass auf der einen Seite die schwedische Arbeiterpartei und die italienischen Kommunisten den mitgliederstarken Mas-senparteien zugeschlagen werden. Auf der anderen Seite finden sich dagegen die SPD und die CDU, die franzosischen Sozialisten und die hollandischen Christ-demokraten sowie die Arbeiterpartei allesamt bei den mitgliederarmen Rahmen-parteien wieder.

Offenkundig wird an dieser Zuordnung nicht nur das ungeloste Problem, was denn nun mitgliederarm und mitgliederstark besagt. Im Hinblick auf die Niedergangsdebatte ist auch noch etwas anderes problematisch. Aus einem dy-namischen Betrachtungswinkel heraus fragt sich namlich, ab welcher numeri-schen GroBenordnung durch Mitgliederverluste eine kritische Schwelle unter-schritten wird, die berechtigt Anlass gibt, am Fortbestand der Mitgliederparteien zu zweifeln. Dies harrt noch einer Antwort, weil, solange nicht weitere Bewer-tungsmaBstabe herangezogen werden, die Festlegung einer kritischen Mindest-groBenzahl oder -masse an Operationalisierungsschwierigkeiten scheitert.

Das Jonglieren mit Zahlenangaben ist auch noch aus einem weiteren Grund ziemlich irrrelevant, weil sich iiber die optimale GroBe einer Partei weder im Hinblick auf ihre elektorale Leistungskraft noch im Hinblick auf ihre demokrati-sche Legitimitat je ein zweifelfreies Einvemehmen erzielen lassen wird. Dies ist genau das Problem, wenn iiber eine ziemlich haufig eingeschlagene Vorgehens-weise zur Begriffsbestimmung der Mitgliederpartei die Mitgliederzahl in Bezie-hung zu den Wahlerzahlen gesetzt wird. So macht Manfred G. Schmidt (1995: 617) den Unterschied der Mitgliederpartei zur Wahlerpartei daran fest, dass sie „einen relativ zu ihrer Wahlerschaft groBen Mitgliederanteil besitzt...". Hilfreich ist dieses unbestimmte numerische VerhaltnismaB in Wirklichkeit nicht. Gehen aber Parteienforscher daran, die MaBzahl genauer zu markieren, bleibt es nicht aus, dass sie in Erklarungsnot geraten, warum sie sich auf genau diese und keine andere exakte Zahlenangabe festlegen. So grenzt Jun (2004: 97) eine Mitglieder-partei dadurch ein, dass sie „quantitativ einen nicht geringen Teil der wahlbe-rechtigten Bevolkerung umfasst, also iiber eine Massenbasis verfligt. Man konnte

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dafiir etwa die Zahl 0,5 Prozent der Wahlberechtigten ansetzen". Legt man diese Verhaltniszahl, durch die der so genannte Organisationsgrad errechnet wird, an die bundesdeutschen Parteien an, waren SPD, CDU und CSU als Mitgliederpar-teien zu bezeichnen. PDS, FDP und Griine blieben dagegen drauBen. Hiervon setzt sich in rigoroserer Form Heino Kaack (1971: 489) mit dem vor Jahren ge-troffenen Urteil ab, dass keine der (damaligen) Parteien die Voraussetzung erfiil-len wurden, um als Mitgliederpartei bezeichnet werden zu konnen. Der MaBstab fur sein Urteil war, „wenn eine Partei den entscheidenden Einfluss auf die Wah-ler iiber die Mitglieder, das heiBt ihre organisatorische Prasenz ausiibt". Dies lasse sich daran iiberpriifen, inwieweit Parteien in alien Gemeinden einen Orts-verein aufweisen wurden. Bemerkenswert ist immerhin, dass sein Bestimmungs-kriterium der organisatorischen Prasenz sich von der bloBen Mitgliederzahl los-lost.

Handelt es sich jedoch bei Kaack noch um ein Kriterium elektoraler Effi-zienz, dient die gesellschaftliche Prasenz Nickig (1998: 383) dazu, die Legitima-tionsbediirftigkeit von Mitgliederparteien einzufordem. Fur sie miisse gelten, dass ihr „politischer Gestaltungsauflrag sich durch eine moglichst breite Veran-kerung in der Bevolkerung und durch eine groBe Zahl partizipierender Parteimit-glieder legitimiert". Peter Haungs (1994: 115) misst der demokratischen Legiti-mation von Mitgliederparteien ebenfalls eine hohe Bedeutung bei. Die Mitglie-der „(sollten) moglichst so zahlreich und qualifiziert sein, dass sie der Partei die Wahmehmung ihrer Funktionen in einer Weise erlauben, die demokratischen Kriterien gerecht wird". Womit wir auch hier wieder bei der Frage waren, was genauer darunter zu verstehen ist und welche GroBenvorstellungen und Quali-tatsstandards geeignet sind, um die „demokratische Messlatte" zu iiberspringen.

Die bisherigen Anstrengungen zur Begriffsexplikation der Mitgliederpartei-en drehen sich offenbar deshalb im Kreis, well auf miteinander korrelierende BestimmungsgroBen zuriickgegriffen wird, die sich nicht operabel fassen lassen. Auch haben sie auf die Frage, was ftir die organisatorische Erscheinungsform und Funktionsweise von Mitgliederparteien in Abgrenzung zu Nichtmitglieder-parteien charakteristisch ist, nur Verschwommenes und Bruchstuckhaftes als Antwort zu liefem. Angesichts dieses nach wie vor unbefriedigenden Zustands ist die von Peter Haungs vor mehr als 10 Jahren geauBerte Klage (1994: 111) auch heute noch aktuell, dass namlich „keineswegs feststeht, was genau eine Mitgliederpartei ausmacht: Eine bestimmte Relation von Wahlem und (individu-ellen) Mitgliedem? Bestimmte innerparteiliche Strukturen? Bestimmte Entschei-dungskompetenzen von Parteitagen?" Befriedigende Antworten darauf gibt es nicht. Es ist vielmehr zurtickzufragen, welcher der bisherigen Bestimmungsan-satze dies zu beantworten fahig ware. Nuchtem betrachtet steht jedenfalls soviel

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fest, dass alle mit absoluten und Verhaltniszahlen operierenden Bestimmungsan-satze nicht weitergefuhrt haben, sondem in einer Sackgasse endeten.

Was aber dann, wenn immer noch klarungsbediirftig ist, was Mitgliederpar-teien in ihrem spezifischen Merkmalsprofil auszeichnet. Um sich von den bishe-rigen nicht weiter fuhrenden Bestimmungsansatzen ganzlich loszulosen, bietet es sich an, zu dem organisatorischen Ausgangsproblem zuriickzukehren, das jede Partei in ihrem politischen Machtstreben zu losen hat:

Mit Hilfe welcher Ressourcen und Strategien lasst sich eine moglichst groBe Zahl von Unterstiitzem und Wahlem mobilisieren, um durch die erfolgreiche Teilnahme an kompetetiven Wahlen die KontroUe iiber Schliisselstellungen par-lamentarischer und gouvemementaler Entscheidungsmacht zu erlangen?

Die Geschichte des Parteiwesens zeigt, dass Parteien grundsatzHch alle Res-sourcenquellen angezapft haben, soweit sie sich erschlieBen und ihrem Einfluss unterwerfen lieBen. Dies beginnt bei unmittelbaren Geldzuwendungen und Spen-den, dem Einsatz von selbst rekrutierten Helfem und Unterstiitzem, aber auch von befreundeten Organisationen, der Inanspruchnahme von Dienstleistungen extemer Einrichtungen, dem Einsatz von Medienmacht und von Massenpropa-gandainstrumenten bis hin zum Zugriff auf staatliche Finanz- und Personalres-sourcen.

Die Mitgliederpartei grenzt sich von anderen Parteiformen dadurch ab, dass sie sich freiwilliger Mitglieder und der von ihnen bereit gestellten Ressourcen bedient, um den Parteibetrieb zu unterhalten und um ihre Kemaufgaben zu erfiil-len. Wenn Parteimitglieder auch nicht die alleinige Ressourcenquelle stellen, investieren Mitgliederparteien zur Deckung ihres Ressourcenbedarfs gezielt in Mitglieder, ohne die sie ihre Machterwerbsziele nicht hinreichend realisieren konnten.

Von diesem Betrachtungswinkel aus eignen sich weder die Mitgliederzahl noch eine spezielle Organisationsstruktur, um Mitgliederparteien von anderen Parteitypen abgrenzen zu konnen. Mitgliederparteien zeichnen sich vielmehr dadurch aus, dass sie Mitglieder als strategische Organisationsressource behan-deln. Wie es Susan Scarrow aus der Parteielitenperspektive formuliert, werden in „true membership parties" Mitglieder deshalb angeworben und in einem Netz-werk von dauerhaften Organisationsaktivitaten eingebunden, weil „leaders view members as potentially valuable electoral assets" (1996: 20). Dies und im Kern nichts anderes ist der Grund, warum Parteien sich ein Fundament aus einge-schriebenen beitragspflichtigen Mitgliedem zulegen, wobei es nicht, wie Duver-ger bereits betonte (1959: 91), viel Aufhebens macht, ob der Beitritt eher locker Oder strikt gehandhabt wird.

Die organisationsstrategische Entscheidung, bei der Ressourcenmobilisie-rung auf freiwillige Mitglieder zu setzen, hat allerdings ffir die innere Struktur

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und strategische Flexibilitat von Mitgliederparteien bedeutende Konsequenzen. Um Freiwillige an die Partei zu binden und zur unbezahlten Abgabe von Res-sourcen zu bewegen, zahlen die Mitgliederparteien einen Preis, indem sie im Gegenzug ihren Mitgliedem in Form von nichtmateriellen organisatorischen Anreizen weitreichende Beteiligungsrechte an der Elitenauslese und an der Kursbestimmung der Partei einraumen. Diese fur Mitgliederparteien charakteris-tische Organisationslogik von wechselseitigem Mitgliedereinsatz und Mitglie-dergratifikation lasst sich auf folgende, empirisch iiberpriifbare Bestimmungs-merkmale hin prazisieren: 1. Parteien dieser Spielart defmieren sich ihrem offiziellen Selbstverstandnis

und offentlichen AuBerungen nach eindeutig als Mitgliederparteien. 2. Die Parteispitzen betreiben gezielt Mitgliederwerbung und versuchen, mog-

lichst viele Mitglieder zu rekrutieren. Die Mitglieder werden von einem breiten Netz von lokalen Basisorganisationen erfasst und mit kontinuierli-chen Organisationsleistungen versorgt.

3. Von eingeschriebenen Mitgliedem versprechen sich Mitgliederparteien die Bereitstellung folgender Ressourcen: a. Sie kommen fiir Beitragsleistungen auf, die ihrem Umfang nach fur

die Aufrechterhaltung des Parteibetriebs unentbehrlich sind. b. Sie leisten auf lokaler Ebene Wahlkampfarbeit, die sich nicht durch

andere Formen und Kanale der Kampagnenfuhrung ersetzen lassen. c. Sie nehmen bei der AuBenkommunikation der Partei eine unverzicht-

bare gesellschaftliche Multiplikator- und Botschafterrolle ein. 4. Mitgliederparteien statten ihre eingeschriebenen Mitglieder mit Privilegien

aus, die sich auf folgende Bereiche erstrecken: a. Parteimitglieder iiben ein Exklusivrecht bei der Fiihrungsauslese von

Amts- und Mandatstragem aus. b. Sie verfugen iiber exklusive weit reichende Einflussmoglichkeiten bei

der Regelung von Satzungsfragen sowie der Programmformulierung und politischen Kursbestimmung der Partei.

c. Mitgliedem werden individuelle politische Karrierechancen einge-raumt, die Nichtmitgliedem verwehrt sind.

d. Die auf die Parteilinie verpflichteten Amts- und Mandatstrager sind in ihrem Handeln gegeniiber den Mitgliedem verantwortlich. Sie haben sich in regelmaBigen Abstanden der Wiederwahl durch die Mitglieder zu stellen.

5. Neben dem Einsatz partizipatorischer Anreize greifen Mitgliederparteien auch auf ideologische Anreize zuriick, um Mitglieder einzubinden und mit der Partei zu identifizieren:

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