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Redaktion O. Weber, Bonn C. Burger, Bonn Unfallchirurg 2010 · 113:1006–1012 DOI 10.1007/s00113-010-1904-7 Online publiziert: 19. November 2010 © Springer-Verlag 2010 G. Stein 1  · O. Weber 2  · K.J. Burkhart 1  · L.P. Müller 1 1 Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Köln 2 Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Bonn Ellenbogengelenk- Totalendoprothese Zugänge Leitthema Zur Implantation einer Ellenbogen- gelenk-Totalendoprothese (EBTEP) stellt der dorsale Zugang den Stan- dardzugang in das Gelenk dar. Gemäß der von O’Driscoll [11] for- mulierten Aussage „the front door to the elbow is at the back“ wird dieser Zugang aufgrund der unproblema- tischeren Gefäß- und Nerventopogra- phie bevorzugt. Die OIekranonosteo- tomie erschwert die ulnare Zement- einbringung und Verankerung und kommt nur sehr selten zur Anwen- dung. Besondere Aufmerksamkeit beim tiefen Zugang gilt nach Siche- rung des N. ulnaris der Mobilisierung des Streck- und Bandapparats. Lagerung Im klinischen Alltag hat sich eine schräge Rückenlagerung bewährt. Da- zu werden unter die Skapula des Pati- enten Lagerungskissen so positioniert, dass das Schultergelenk nur geringgra- dig in seiner Mobilität eingeschränkt ist. Der Arm kann nun über den Oberkör- per gebeugt und somit frei bewegt wer- den (.  Abb. 1). Alternativ kommen die Bauch- oder Seitlagerung zum Ein- satz. Hier wird so gelagert, dass der Arm seitlich des Operationstischs frei bewegt werden kann. Der Nachteil dieser Lage- rungen gegenüber der Rückenlagerung ist die Einschränkung der vollen Flexion (. Abb. 2). Oberflächlicher Zugang Der dorsale Zugang zum Ellenbogen- gelenk beinhaltet den so genannten uni- versellen Hautschnitt („universal incisi- on“). Bei diesem wird die Olekranonspit- ze radial- oder ulnarseitig umfahren. Da- nach werden die für den späteren Wund- verschluss notwendigen fasziokutanen Hautlappen erzeugt, die als „full thick- ness flaps“ auf die Faszie des M. triceps präpariert werden. Besonderes Augen- merk bei der oberflächlichen Präparation gilt den dort verlaufenden Nerven. Die relevanten Strukturen sind medialseitig der direkt dem Armplexus entspringende N. cutaneus antebrachii medialis und la- teralseitig der dem N. musculocutaneus zugehörige N. cutaneus antebrachii late- ralis (. Abb. 3). Obwohl das Risiko der Durchtrennung bei dorsalem Zugang ge- ringer als bei medialem, lateralem oder ventralem Vorgehen ist, muss berück- sichtigt werden, dass aus der Läsion die- ser Nerven ein sensibler Ausfall des dorsa- len Ellenbogens bis zur Hand resultieren kann [5]. Auch die postoperative Entste- hung eines Neuroms stellt ggf. eine Kom- plikation dar. Nervus ulnaris Die Präparation des N. ulnaris erfolgt von proximal nach distal. Es empfiehlt sich, den Nerv proximal zwischen dem Caput mediale des M. triceps und dem medialen intermuskulären Septum aufzusuchen. Die Freilegung sollte auf einer Strecke von je 8 cm nach distal und proximal erfolgen, wenn eine anteriore Transposition gep- lant ist. Das proximal den Nerven über- kreuzende Septum, die Struthers-Arkade, muss zunächst aufgesucht und gespalten werden. Anschließend erfolgt die Freile- gung bis zum distal überkreuzenden Sep- tum, der Osborne-Arkade. Sie spannt sich zwischen Caput humerale und Caput ul- nare des M. flexor carpi ulnaris. E  Es muss darauf geachtet  werden, dass die den Nerven  begleitenden und versorgenden  Gefäße erhalten bleiben, um eine  Devaskularisierung zu vermeiden. Die in das Gelenk einstrahlenden Äste werden im Sinne einer Teildenervie- rung und zur Mobilisation durchtrennt (. Abb. 4). Des Weiteren muss der den M. flexor carpi ulnaris versorgende mo- torische Ast identifiziert, mobilisiert und geschont werden, wenn der N. ul- naris nach ventral transponiert werden soll. Nach Spaltung der tiefen und ober- flächlichen Faszie des M. flexor carpi ul- naris wird das mediale intermuskuläre Septum soweit präpariert, dass der N. ul- naris nach Anschlingen mit atraumati- schen (und nicht zu schmalen) Gummi- Die Autoren G. Stein und O. Weber haben den gleichen Anteil bei der Erstellung dieser Arbeit. 1006 | Der Unfallchirurg 12 · 2010

Ellenbogengelenk-Totalendoprothese

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Page 1: Ellenbogengelenk-Totalendoprothese

RedaktionO. Weber, Bonn C. Burger, Bonn

Unfallchirurg 2010 · 113:1006–1012DOI 10.1007/s00113-010-1904-7Online publiziert: 19. November 2010© Springer-Verlag 2010

G. Stein1 · O. Weber2 · K.J. Burkhart1 · L.P. Müller1

1 Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Köln2 Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Bonn

Ellenbogengelenk-TotalendoprotheseZugänge

Leitthema

Zur Implantation einer Ellenbogen-gelenk-Totalendoprothese (EBTEP) stellt der dorsale Zugang den Stan-dardzugang in das Gelenk dar. Gemäß der von O’Driscoll [11] for-mulierten Aussage „the front door to the elbow is at the back“ wird dieser Zugang aufgrund der unproblema-tischeren Gefäß- und Nerventopogra-phie bevorzugt. Die OIekranonosteo-tomie erschwert die ulnare Zement-einbringung und Verankerung und kommt nur sehr selten zur Anwen-dung. Besondere Aufmerksamkeit beim tiefen Zugang gilt nach Siche-rung des N. ulnaris der Mobilisierung des Streck- und Bandapparats.

Lagerung

Im klinischen Alltag hat sich eine schräge Rückenlagerung bewährt. Da-zu werden unter die Skapula des Pati-enten Lagerungskissen so positioniert, dass das Schultergelenk nur geringgra-dig in seiner Mobilität eingeschränkt ist. Der Arm kann nun über den Oberkör-per gebeugt und somit frei bewegt wer-den (. Abb. 1). Alternativ kommen die Bauch- oder Seitlagerung zum Ein-satz. Hier wird so gelagert, dass der Arm seitlich des Operationstischs frei bewegt werden kann. Der Nachteil dieser Lage-rungen gegenüber der Rückenlagerung ist die Einschränkung der vollen Flexion (. Abb. 2).

Oberflächlicher Zugang

Der dorsale Zugang zum Ellenbogen-gelenk beinhaltet den so genannten uni-versellen Hautschnitt („universal incisi-on“). Bei diesem wird die Olekranonspit-ze radial- oder ulnarseitig umfahren. Da-nach werden die für den späteren Wund-verschluss notwendigen fasziokutanen Hautlappen erzeugt, die als „full thick-ness flaps“ auf die Faszie des M. triceps präpariert werden. Besonderes Augen-merk bei der oberflächlichen Präparation gilt den dort verlaufenden Nerven. Die relevanten Strukturen sind medialseitig der direkt dem Armplexus entspringende N. cutaneus antebrachii medialis und la-teralseitig der dem N. musculocutaneus zugehörige N. cutaneus antebrachii late-ralis (. Abb. 3). Obwohl das Risiko der Durchtrennung bei dorsalem Zugang ge-ringer als bei medialem, lateralem oder ventralem Vorgehen ist, muss berück-sichtigt werden, dass aus der Läsion die-ser Nerven ein sensibler Ausfall des dorsa-len Ellenbogens bis zur Hand resultieren kann [5]. Auch die postoperative Entste-hung eines Neuroms stellt ggf. eine Kom-plikation dar.

Nervus ulnaris

Die Präparation des N. ulnaris erfolgt von proximal nach distal. Es empfiehlt sich, den Nerv proximal zwischen dem Caput mediale des M. triceps und dem medialen

intermuskulären Septum aufzusuchen. Die Freilegung sollte auf einer Strecke von je 8 cm nach distal und proximal erfolgen, wenn eine anteriore Transposition gep-lant ist. Das proximal den Nerven über-kreuzende Septum, die Struthers- Arkade, muss zunächst aufgesucht und gespalten werden. Anschließend erfolgt die Freile-gung bis zum distal überkreuzenden Sep-tum, der Osborne-Arkade. Sie spannt sich zwischen Caput humerale und Caput ul-nare des M. flexor carpi ulnaris.

E Es muss darauf geachtet werden, dass die den Nerven begleitenden und versorgenden Gefäße erhalten bleiben, um eine Devaskularisierung zu vermeiden.

Die in das Gelenk einstrahlenden Äste werden im Sinne einer Teildenervie-rung und zur Mobilisation durchtrennt (. Abb. 4). Des Weiteren muss der den M. flexor carpi ulnaris versorgende mo-torische Ast identifiziert, mobilisiert und geschont werden, wenn der N. ul-naris nach ventral transponiert werden soll. Nach Spaltung der tiefen und ober-flächlichen Faszie des M. flexor carpi ul-naris wird das mediale intermuskuläre Septum soweit präpariert, dass der N. ul-naris nach Anschlingen mit atraumati-schen (und nicht zu schmalen) Gummi-

Die Autoren G. Stein und O. Weber haben den gleichen Anteil bei der Erstellung dieser Arbeit.

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zügeln spannungsfrei nach ventral verla-gert werden kann. In ventraler Lage soll-te der Nerv nun durch Fixierung des um-gebenden Subkutangewebes an die Fas-zie mit einer Naht gegen Subluxation ge-sichert werden (. Abb. 4c). Auch nach diesem Schritt wird die spannungsfreie Lage überprüft.

Eine Besonderheit stellt die Präparati-on des N. ulnaris bei Revisionseingriffen dar. Da es vorkommt, dass der Nerv pro-ximal in vernarbtem Gewebe verläuft, macht ausnahmsweise eine Darstel-lung von distal nach proximal in einigen Fällen Sinn. Dazu wird der Durchtritt des N. ulnaris zwischen beiden Köpfen des M. flexor carpi ulnaris aufgesucht und der Nerv nach Anschlingen mit atrauma-tischen Gummizügeln weiter nach proxi-mal verfolgt.

Tiefer Zugang

Bei der tiefen Präparation des Zugangs bildet die Streckmuskulatur und hier ins-besondere der M. triceps eine gegebene Hürde. Eine Vielzahl verschiedener Tech-niken zum Umgang mit dem M. triceps wurde beschrieben, von denen zur Im-plantation einer EBTEP 3 Methoden häu-figer angewendet und hier näher beschrie-ben werden:F  mediane Trizepsspaltung

(„triceps splitting“),F  Ablösung des M. triceps

(„triceps reflecting“),F  trizepserhaltender Zugamg

(„triceps preserving“).

In Bezug auf die postoperative Mobilität stellt der M. anconaeus, der nicht nur den M. triceps bei der Streckung unterstützt, sondern auch zur Spannung insbesondere der radiodorsalen Gelenkkapsel beiträgt, eine weitere Herausforderung dar.

Mediane Trizepsspaltung

Bei der von Campbell et al. [3] be-schriebenen Technik („triceps splitting“, . Abb. 5) wird der M. triceps von pro-ximal durch einen medianen Schnitt bis über den Ansatz am Olekranon hinaus ge-spalten. Oberflächlich wird eine Schnitt-führung durch die Trizepsaponeurose und das Caput mediale angestrebt. Der

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gesamte Muskel, die Kapsel und alle Bän-der werden sowohl medial als auch late-ral von distalem Humerus und proxima-ler Ulna getrennt. Dabei muss darauf ge-achtet werden, die Spaltung nicht zu weit proximal zu beginnen, um den N. radialis nicht zu gefährden. Auch die den M. an-conaeus innervierenden motorischen Äs-te verlaufen durch den M. triceps. Die-se gehen durch die Spaltung des Mus-kels häufig verloren. Um die gewünschte Übersicht zu erhalten, wird der M. anco-naeus subperiostal abgetragen und nach lateral verlagert und anschließend der M. flexor carpi ulnaris nach medial von der Ulna abgetragen. Eine Variante des trizepsspaltenden Zugangs wurde von Gschwend et al. [8] beschrieben. Die Au-toren empfehlen eine mediane Spaltung analog des von Campbell beschriebenen Vorgehens und darüber hinaus eine Ab-lösung der Trizepssehnenplatte mit dün-nen Knochenlamellen, jeweils radial und ulnar. Dies ermöglicht eine spätere Refi-xierung des Trizepsansatzes und der dar-an befestigten Lamellen durch transossä-re Nähte.

Ablösung des M. triceps

Der tiefe Zugang mit Trizepsablösung („triceps reflecting“, . Abb. 6) nach Bryan u. Morrey [2] beinhaltet eine sub-periostale Ablösung der Trizepssehne und Unterarmfaszie vom medialen zum lateralen Olekranon hin. Dazu wird zu-nächst die Trizepssehne proximal mobi-lisiert und zum Olekranon hin unterfah-ren. Die in die Gelenkkapsel einstrahlen-de Unterarmfaszie wird auf ca. 6 cm Län-ge durchtrennt und ebenfalls bis zum Ole-kranon verfolgt. Hier werden nun beide Strukturen bei ca. 30° gebeugtem Ellen-bogen im Verbund mit dem Periost von medial nach lateral abgetragen. Um den Einblick in das Gelenk zu erweitern, wird der M. anconaeus analog des Vorgehens bei der Trizepsspaltung subperiostal ab-getragen. Abschließend wird das media-le Kollateralband vom Humerus getrennt, um das Ellenbogengelenk vollständig zu eröffnen.

Abb. 1 9 Schräge Rückenlagerung des Patienten. Dazu wer-den unter die Skapula des Patienten Lage-rungskissen so posi- tioniert, dass das Schultergelenk nur geringgradig in sei-ner Mobilität einge-schränkt ist. Der Arm kann nun über den Oberkörper gebeugt und somit frei bewegt werden

Abb. 2 9 Bei Bauch-lagerung des Patienten durch Lagerungstisch behinderte Flexion des Ellenbogens

Hiatus basilicus

V. basilicaRamus posterior

Ramus anterior

V. cephalica

N. cutaneusantebrachii posterior

N. cutaneusantebrachii lateralis

V. cephalicaantebrachii

Fasciaantebrachii

V. medianaantebrachii

V. basilicaantebrachii

V. medianacubiti

N. cutaneusantebrachii medialis Abb. 3 9 Bei der ober-

flächlichen Präparation zu beachtende Nerven, die relevanten Struktu-ren sind medialseitig der direkt dem Armplexus entsprin-gende N. cutaneus antebrachii medialis und lateralseitig der dem N. musculocuta-neus zugehörige N. cutaneus antebrachii lateralis. (Aus [13])

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Leitthema

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Trizepserhaltender Zugang

Unter der Vorstellung einer Schonung des Streckapparats wurde der trizepserhalten-de Zugang („triceps preserving“, . Abb. 7) von Alonso-Llames [] beschrieben. Die-ser besteht darin, die distalen Anteile des M. triceps zunächst medial und lateral von den Muskelsepten, dann von den media-len Anteilen des Olekranons und anschlie-ßend lateral von der Verbindung mit dem M. anconaeus zu mobilisieren. Im nächs-ten Schritt erfolgt die Durchtrennung des medialen Kollateralbandes, um durch ma-ximale Pronation die Ulna zu exartiku-lieren und dadurch den Zugang zum Ge-lenk zu erreichen. Die eigenen Erfahrun-gen mit diesem Zugang erforderten zusätz-lich die Durchtrennung des radialen Band-apparats, um eine Prothese einzubringen. Kontraindikation für diesen Zugang ist ein zu kontraktes Gelenk. Vorteil des trizeps-erhaltenden Zugangs ist ein früher Beginn der postoperativen Mobilisation, da der M. triceps nicht geschont werden muss.

> Kontraindikation für den trizepserhaltenden Zugang ist ein zu kontraktes Gelenk

Musculus anconaeus

Der M. anconaeus ist neben dem M. tri-ceps ein Strecker des Ellenbogengelenks.

Eine wichtige Rolle spielt dieser Muskel auch bei der Stabilisierung des Gelenks und bei der Ulnarabduktion während der Pronation []. Beim operativen Zugang dient er der Orientierung, er zieht von der lateralen Epikondyle zur Ulnahinter-kante. Eine besondere Rolle spielt die In-nervation des M. anconaeus. Da er von motorischen Fasern des N. radialis inner-viert wird, die durch den M. triceps zum M. anconaeus ziehen, folgt auf eine Spal-tung des Trizepsmuskels häufig eine De-nervierung des M. anconaeus. Da dieser Muskel jedoch nicht nur für die Stabilität des Gelenks, sondern auch als autologes Ersatzmaterial bei Trizepsinsuffizienz ge-nutzt werden kann (. Abb. 8), stellt dies einen Nachteil des trizepsspaltenden Zu-gangs dar [].

Bänder

Liegt eine primäre degenerative Verände-rung des Ellenbogengelenks vor, ist ten-denziell eine nicht gekoppelte Versorgung anzustreben. Dafür müssen die Seiten-bänder intakt bleiben bzw. am Ende der Operation rekonstruiert werden.

Um eine Ellenbogengelenkprothe-se einzubringen, werden zumindest Teile der Kollateralbänder unmittelbar unter-halb der Kondylen durchtrennt werden. Zuvor sollten sie markiert werden, um eine spätere Readaption zu ermöglichen. Beim Bryan-Morrey-Zugang mit Mobili-

sierung des Trizepsmuskels inklusive des Übergangs zur Unterarmfaszie von medi-al wird das mediale Kollateralband durch-trennt. Durch maximale Pronation ist dann das Ellenbogengelenk in den meis-ten Fällen ausreichend darstellbar, um die Prothesenkomponenten einzubringen. Bei vorbestehenden Kontrakturen bzw. besonderen anatomischen Verhältnis-sen muss allerdings zusätzlich das radiale Kollateralband, das ebenfalls in die Kap-sel eingelassen ist, teilweise oder komplett durchtrennt werden. Führt man einen tri-zepserhaltenden Zugang durch, müssen beide Kollateralbänder durchtrennt wer-den, da sonst die Sicht und die Exposition der Gelenkstrukturen nicht ausreicht, um die Komponenten einer Totalendoprothe-se des Ellenbogengelenks einzubringen. Für den trizepsspaltenden Zugang müs-sen die Bänder ebenfalls zumindest teil-weise durchtrennt werden, um eine aus-reichende Exposition zu erzielen.

Prinzipiell ist es für die Readaption der Bänder nach Durchtrennung empfehlens-wert, diese vorher zu markieren, damit man zum Ende der Operation die Struk-turen an richtiger Stelle und auf richtige Spannung wieder zusammennäht.

Die Abtrennung erfolgt unmittelbar am Bandansatz unterhalb der Epikondy-len entweder mit einem kleinen Knochen-chip oder einer Lefze für die spätere direkte Naht bzw. Transfixation. Eine Transfixa-tion ist über Bohrkanäle oder über einen

Abb. 4 8 a Die in das Gelenk einziehenden Äste des N. ulnaris werden im Sinne einer Teildenervierung unter Schonung des den M. flexor carpi ulnaris versorgenden motorischen Asts durchtrennt. b Nach entsprechendem Vorgehen wird der Nerv nach ventral verlagert. c In ventraler Lage wird der N. ulnaris durch Fixierung des umgebenden Subkutangewebes an die Faszie mit einer Naht für die Operationszeit gegen Subluxation gesichert

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Abb. 5 8 Der Zugang mit „triceps splitting“ beinhaltet die mediane Spaltung des M. triceps bis zum Ansatz

Abb. 6 8 Der Zugang mit Trizepsablösung nach Bryan u. Morrey [2] beinhaltet eine subperiostale Ablösung der Trizepssehne und Unterarmfaszie vom medialen zum lateralen Olekranon hin

M. anconaeusRupturierterM. triceps 

Abb. 8 8 Der M. anconaeus kann bei Trizeps-ruptur oder -insuffizienz als autologes Ersatzma-terial genutzt werden

Abb. 7 8 Trizepserhaltender Zugang, Ansicht von dorsal vor (a) und nach (b) Exartikulation der Ulna durch Pronation

a b

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Leitthema

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Mitek-Anker durchzuführen. Neuere Pro-thesen haben einen kanülierten Trochlea-anteil, über den die Readaption der Bän-der bei fehlenden Kondylen für die pri-märe Stabilität durchgeführt werden kann (. Abb. 9). Die Bänder wachsen am Me-tall der Prothese nicht stabil an; wenn Pri-märstabilität nach Einbringen einer unge-koppelten Prothese durch diese Maßnah-me erreicht werden kann, ist von einer se-kundären Narbenbildung auszugehen, die dann die ungekoppelte Prothese im Lang-zeitverlauf stabilisiert.

In der Traumasituation bei osteoporo-tisch eingebrochenen Epikondylen emp-fiehlt sich die knöcherne Rekonstruktion und damit auch Restabilisierung der Sei-tenbandstrukturen. Wenn osteosynthe-

sefähige Fragmente vorliegen, kann z. B. mit 3,5-mm-Schrauben (. Abb. 10a–g) oder alternativ auch mit winkelstabilen Platten (da meist nur eine stabile Kortika-lis vorliegt) eine Rekonstruktion durchge-führt werden. Dies ist allerdings sehr zeit-aufwendig und in den meisten Fällen, in denen die Indikation zu einer protheti-schen Versorgung in der Fraktursituation gestellt wird, technisch nicht stabil mög-lich, sodass eine gekoppelte Prothese be-vorzugt werden sollte.

E Bei chronischen Luxationszuständen mit arthrotisch veränderten Gelenkflächen ist ebenfalls die gekoppelte EBTEP zu bevorzugen.

Eine gesonderte Stellung nimmt die hemiendoprothetische Versorgung des distalen Humerus ein. Diese ist, da keine ulnare Komponente eingebracht wird, im-mer ungekoppelt, und nur möglich, wenn eine ausreichende radiale und ulnare Sei-tenbandstabilität vorhanden ist.

Trizepsrefixation

Nach erfolgreicher Implantation der Endo-prothese erfolgt die Refixation des M. tri-ceps und der Kollateralbänder. Dazu kom-men nichtresorbierbare Fäden der Stärke 5 mit gerader Nadel zum Einsatz. Zunächst werden 3 Bohrlöcher im Olekranon ange-legt, von denen 2 von der Olekranonspitze jeweils von radial und ulnar aufeinander

Abb. 9 7 Kanülierte Prothesenkomponente (Trochlea). Eine Readaption der Bänder bei fehlenden Kondylen kann

hiermit für die primäre Stabilität vorgenommen werden

Abb. 10 8 a–g Fallbeispiel einer mit einer Hemiendoprothese versorgten C3-Fraktur des distalen Humerus. a, b Konventionelle Röntgenaufnahmen, c–e CT-Bilder des Ellenbogens. f, g Implantierte Hemiendopro-these. Die Kollateralbänder wurden in diesem Fall zusammen mit dem medialen Epicondylus mit 3,5-mm-Schrauben rekonstruiert, um die ligamentäre Stabilität zu gewährleisten

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zulaufen und sich kreuzen und ein wei-teres distal davon quer verläuft. Nach Re-position der Trizepssehne wird eine Naht von distal ulnar nach proximal radial ge-führt, anschließend wird in überwend-licher, fortlaufender Naht der radiale Rand der Trizepssehne proximal nach ulnar ge-führt. Von hier wird in der gleichen Tech-nik eine Rücknaht nach distal begonnen und das Konstrukt durch den Bohrkanal ausgeleitet. Danach wird die Nadel durch das quere Bohrloch geführt und gelangt so nach ulnar, wo beide Enden in 90° Fle-xion verknotet werden. Der Knoten wird anschließend in der Tiefe versenkt.

Fazit für die Praxis

Eine Vielzahl von Zugängen und Zugangs variationen zum Ellenbogen-gelenk wurde beschrieben. Die von uns aufgezählten Methoden finden zur Implantation  einer EBTEP häufig Ver-wendung. Dabei hat jede einzelne Va-riante für sie charakteristische Probleme. Insbesondere die Streckung im Ellenbo-gen kann durch Manipulation des M. tri-ceps beeinträchtigt werden. So wurde bei der Trizepsspaltung in einer Studie von Ewald et al. [6] bei 20% der Patien-ten eine Trizepsschwäche nachgewiesen. Bei der Methode nach Morrey u. Bryan [10] gibt es diesbezüglich verschiede-ne Ergebnisse, bei 0–29% der Patienten wurde hier eine  Schwäche beschrieben [14]. Selbst bei Trizepserhaltung kommt es bei einem Teil der Patienten zu einer Schwäche, Pierce u. Herndon [12] berich-ten von 10% Fällen. In einer biomechani-schen Untersuchung von Guerroudj et al. [9] wurde gezeigt, dass der Zugang nach Bryan u. Morrey („triceps reflecting“ [2]) im Vergleich mit V-Y-Splitting und  medianem Splitting signifikant höhere Primärstabilität lieferte.Kommt es zu einer postoperativen Rup-tur des M. triceps, ist dieser häufig nicht mehr einsetzbar und muss bei relevanten funktionellen Defiziten ersetzt werden. Der sich anbietende M. anconaeus kann dazu zwar verwendet werden, bei einem vorhergehenden trizepsspaltenden Vor-gehen ist jedoch häufig die Innervation dieses Muskels nicht mehr intakt, was einen entsprechenden Einsatz erschwert. Eine „salvage procedure“ für solche Situa-

tionen ist das Verwenden eines Allograft der Achillessehe im Verbund mit einem Knochenchip des Kalkaneus.

KorrespondenzadresseDr. G. SteinKlinik und Poliklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinikum KölnKerpener Str. 62, 50937 Kö[email protected]

Danksagung. Der Dank der Autoren gilt Herrn J. Rib-bers, Zentrum Anatomie der Medizinischen Fakultät der Universität Köln, für seine Zeichnungen.

Interessenkonflikt. Die Autoren weisen auf folgen-den Interessenkonflikt hin: Referenten- und Beratertä-tigkeit Firma Tornier (K.J. Burkhart und L.P. Müller).

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Zusammenfassung · Abstract

Unfallchirurg 2010 · 113:1006–1012DOI 10.1007/s00113-010-1904-7© Springer-Verlag 2010

G. Stein · O. Weber · K.J. Burkhart · L.P. Müller

Ellenbogengelenk-Totalendo-prothese. Zugänge

ZusammenfassungZur Implantation einer Ellenbogengelenk- Totalendoprothese (EBTEP) wird der dorsale Gelenkzugang verwendet. Der oberflächliche Zugang, der die Hautinzision und die Durch-trennung des subkutanen Gewebes beinhal-tet, geht dem tiefen Zugangsweg voraus. Letzterer bezieht sich auf die Präparation des N. ulnaris, die Ablösung der Streckmuskulatur und die in die Gelenkkapsel eingelassenen Bänder. Bei der Präparation der Streckmus-kulatur werden die mediane Trizepsspaltung, die Ablösung des M. triceps vom Humerus inklusive der proximalen Unterarmfaszie und der den M. triceps erhaltende Zugang mit kompletter Durchtrennung der Ligamente unterschieden.

SchlüsselwörterEllenbogengelenk · Totalendoprothese · N. ulnaris · Trizepsspaltender Zugang · Trizepserhaltender Zugang

Total elbow joint arthroplasty. Surgical approaches

AbstractThe dorsal approach to the elbow joint is commonly used for arthroplasty of the joint and consists of different steps. The superficial approach including the incision of the skin and the preparation of subcutaneous tissue precedes the deep approach. The latter con-tains preparation and transposition of the ulnar nerve, relief of extensors and ligaments radiating into the articular capsule. Concern-ing the preparation of the extensors three important techniques are differentiated, triceps splitting, triceps reflecting and triceps preserving.

KeywordsElbow joint · Arthroplasty · Ulnar nerve · Triceps splitting approach · Triceps preserving approach

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