5
Schwerpunktthema 110 Ptok M. Elektrostimulationstherapie bei Patienten Sprache · Stimme · Gehör 2008; 32: 110–114 Bibliograe DOI 10.1055/s-0028-1082330 Sprache · Stimme · Gehör 2008; 32: 110–114 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0342-0477 Korrespondenzadresse Prof. Dr. Dr. h.c. M. Ptok Klinik und Poliklinik für Phonia- trie und Pädaudiologie Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Str. 1 30625 Hannover [email protected] Schlüsselwörter Reizstromtherapie Rekurrensparese Stimmtherapie Key words unilateral vocal fold paralysis electrostimulation voice treatment Elektrostimulationstherapie bei Patienten mit einseitiger Rekurrensparese Electro-Stimulation Therapy in Patients with Unilateral Vocal Fold Paralysis Es scheint allgemeiner Konsens zu sein, mög- lichst bald nach dem Auftreten der Lähmung mit einer suzienten Therapie anzufangen [3–5]. Die Therapie hat zum Ziel: § die nervale Kontrolle wiederherzustellen (Re- generation), § morfologisch-funktionelle Folgeschäden wie Atrophie und Fibrillationen zu verhindern (Protektion), und § permanente Funktionseinbußen der ge- lähmten Seite durch Kompensationsbewe- gungen der gesunden Seite auszugleichen (Kompensation). Allerdings bleibt die Frage, wann und wie thera- piert werden soll. Bisher eingesetzte Therapien Bisher sind im klinischen Alltag zwei Behand- lungsmethoden, ggf. in Kombination, etabliert: Stimmübungsbehandlung Ziel der (klassischen) Stimmübungsbehandlung ist i. d. R., dass die gesunde Stimmlippe die Mit- tellinie überschreitet und allmählich die Gegen- seite erreicht, sodass ein kompensatorischer Stimmlippenschluss herbeigeführt werden kann. Damit soll eine kompensatorische Anpassung an Lernziel & Der Beitrag soll vermitteln, dass bei einer Stimmlippenlähmung/Rekurrensparese Aspek- te der Nerven-Regeneration, der Muskel-Pro- tektion und der Funktion-Kompensation be- rücksichtigt werden müssen. Die Grundzüge der Elektrostimulationstherapie werden dar- gestellt. Einleitung & Stimmlippenlähmungen treten z. B. nach einer Schilddrüsenoperation (Häugkeit nach einer Strumaresektion 1 %), durch virale Infektionen, durch Tumore oder nach Operationen im Brust- raum auf. Die Anzahl von Patienten, die jedes Jahr neu an einer einseitigen Stimmlippenläh- mung in Deutschland erkranken, wird auf ca. 9 000 geschätzt [1]. Die Stimmstörung kann zu einer gravierenden Einschränkung der Kommu- nikationsfähigkeit und damit zu erheblichen Be- einträchtigungen der psychosozialen Bendlich- keit bzw. zur Arbeitsunfähigkeit führen (Über- sicht s. [2]). Autor M. Ptok Institut Klinik und Poliklinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Medizinische Hochschule Hannover Zusammenfassung & In der konservativen Therapie der einseitigen Stimmlippenparese sind Aspekte der Regenera- tion des Nervens, der Protektion des Muskels und der Kompensation der ausgefallenen Funktion zu berücksichtigen. Dazu ist neben der Stimm- übungstherapie auch die gezielte Elektrosti- mulationstherapie vorgeschlagen worden. Hier werden Hintergründe und praktische Aspekte der Elektrostimulationstherapie, die der Patient nach entsprechender Anleitung selbst zu Hause durchführt, vorgestellt. Abstract & Background: For the treatment of unilateral vocal fold paresis, aspects of nerve regeneration, muscle protection and compensation of impaired function have to be considered. Several beha- vioural voice treatment procedures and electri- cal stimulation regimen have been suggested. Here practical considerations of electro stimu- lation procedures are discussed. In contrast to behavioural therapy, electro stimulation therapy is performed in a home based procedure.

Elektrostimulationstherapie bei Patienten mit einseitiger ... vocal fold paresis.pdf · „ freigeschalt “ , etsodass der ent i Pta 3 – 4 Ü bungen pro g aT durhc- fü hren kann

  • Upload
    ngokien

  • View
    218

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Elektrostimulationstherapie bei Patienten mit einseitiger ... vocal fold paresis.pdf · „ freigeschalt “ , etsodass der ent i Pta 3 – 4 Ü bungen pro g aT durhc- fü hren kann

Schwerpunktthema110

Ptok M. Elektrostimulationstherapie bei Patienten … Sprache · Stimme · Geh ö r 2008 ; 32: 110 – 114

Bibliografi e DOI 10.1055/s-0028-1082330 Sprache · Stimme · Geh ö r 2008 ; 32: 110 – 114 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0342-0477

Korrespondenzadresse Prof. Dr. Dr. h.c. M. Ptok Klinik und Poliklinik f ü r Phonia-trie und P ä daudiologie Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Str. 1 30625 Hannover [email protected]

Schl ü sselw ö rter � � Reizstromtherapie � � Rekurrensparese � � Stimmtherapie

Key words � � unilateral vocal fold paralysis � � electrostimulation � � voice treatment

Elektrostimulationstherapie bei Patienten mit einseitiger Rekurrensparese Electro-Stimulation Therapy in Patients with Unilateral Vocal Fold Paralysis

Es scheint allgemeiner Konsens zu sein, m ö g-lichst bald nach dem Auftreten der L ä hmung mit einer suffi zienten Therapie anzufangen [3 – 5] . Die Therapie hat zum Ziel: § die nervale Kontrolle wiederherzustellen (Re-

generation), § morfologisch-funktionelle Folgesch ä den wie

Atrophie und Fibrillationen zu verhindern (Protektion), und

§ permanente Funktionseinbu ß en der ge-l ä hmten Seite durch Kompensationsbewe-gungen der gesunden Seite auszugleichen (Kompensation).

Allerdings bleibt die Frage, wann und wie thera-piert werden soll.

Bisher eingesetzte Therapien Bisher sind im klinischen Alltag zwei Behand-lungsmethoden, ggf. in Kombination, etabliert:

Stimm ü bungsbehandlung Ziel der (klassischen) Stimm ü bungsbehandlung ist i. d. R., dass die gesunde Stimmlippe die Mit-tellinie ü berschreitet und allm ä hlich die Gegen-seite erreicht, sodass ein kompensatorischer Stimmlippenschluss herbeigef ü hrt werden kann. Damit soll eine kompensatorische Anpassung an

Lernziel & Der Beitrag soll vermitteln, dass bei einer Stimmlippenl ä hmung / Rekurrensparese Aspek-te der Nerven-Regeneration, der Muskel-Pro-tektion und der Funktion-Kompensation be-r ü cksichtigt werden m ü ssen. Die Grundz ü ge der Elektrostimulationstherapie werden dar-gestellt.

Einleitung & Stimmlippenl ä hmungen treten z. B. nach einer Schilddr ü senoperation (H ä ufi gkeit nach einer Strumaresektion 1 % ), durch virale Infektionen, durch Tumore oder nach Operationen im Brust-raum auf. Die Anzahl von Patienten, die jedes Jahr neu an einer einseitigen Stimmlippenl ä h-mung in Deutschland erkranken, wird auf ca. 9 000 gesch ä tzt [1] . Die Stimmst ö rung kann zu einer gravierenden Einschr ä nkung der Kommu-nikationsf ä higkeit und damit zu erheblichen Be-eintr ä chtigungen der psychosozialen Befi ndlich-keit bzw. zur Arbeitsunf ä higkeit f ü hren ( Ü ber-sicht s. [2] ).

Autor M. Ptok

Institut Klinik und Poliklinik f ü r Phoniatrie und P ä daudiologie, Medizinische Hochschule Hannover

Zusammenfassung & In der konservativen Therapie der einseitigen Stimmlippenparese sind Aspekte der Regenera-tion des Nervens, der Protektion des Muskels und der Kompensation der ausgefallenen Funktion zu ber ü cksichtigen. Dazu ist neben der Stimm- ü bungstherapie auch die gezielte Elektrosti-mulationstherapie vorgeschlagen worden. Hier werden Hintergr ü nde und praktische Aspekte der Elektrostimulationstherapie, die der Patient nach entsprechender Anleitung selbst zu Hause durchf ü hrt, vorgestellt.

Abstract & Background: For the treatment of unilateral vocal fold paresis, aspects of nerve regeneration, muscle protection and compensation of impaired function have to be considered. Several beha-vioural voice treatment procedures and electri-cal stimulation regimen have been suggested. Here practical considerations of electro stimu-lation procedures are discussed. In contrast to behavioural therapy, electro stimulation therapy is performed in a home based procedure.

Page 2: Elektrostimulationstherapie bei Patienten mit einseitiger ... vocal fold paresis.pdf · „ freigeschalt “ , etsodass der ent i Pta 3 – 4 Ü bungen pro g aT durhc- fü hren kann

Schwerpunktthema 111

Ptok M. Elektrostimulationstherapie bei Patienten … Sprache · Stimme · Geh ö r 2008 ; 32: 110 – 114

die geminderte Stimmleistung und an den ver ä nderten Stimm-klang erzielt werden [6] , Regenerations- und Protektionsaspekte spielen dabei keine Rolle. Die Stimm ü bungsbehandlung wird typischerweise 1 – 2x / Woche bei einer Logop ä din bzw. Stimmtherapeutin durchgef ü hrt. Wie wirksam diese Therapie bei ESLP ist, ist bisher nicht sicher eva-luiert [2, 7] .

Elektrostimulationsbehandlung Die Elektrostimulationsbehandlung hat einerseits das Ziel, durch eine individuell adaptierte Reizstromst ä rke bei gleichzeitiger in-tendierter Phonation eine Funktionswiederkehr des Nervens zu bewirken. Dies kann als „ Regenerationswirkung “ bezeichnet wer-den. Man muss allerdings bedenken, dass es sich hierbei wahr-scheinlich eher um eine Beschleunigung der „ nat ü rlichen “ Rege-neration handelt. Ist z. B. der N. recurrens durch eine Operation durchtrennt worden, kann eine Elektrostimulation keine Regene-ration bewirken. Andererseits kann durch eine Elektrostimulation ein gesch ä digter Muskel vor einem Verfall (Atrophie und Fibrilla-tionen) gesch ü tzt werden. Dies ist die „ Protektionswirkung “ . Diese geschilderten Wirkungen sind keinesfalls nur auf die Kehl-kopfmuskulatur geschr ä nkt. Die Elektrostimulationstherapie bei Kehlkopfl ä hmungen basiert vielmehr auf den seit langem aus der Orthop ä die und Krankengymnastik bekannten Prin-zipien der Elektrostimulationsbehandlung bei nerval bedingten Muskell ä hmungen [8] . Der Einsatz der Elektrostimulation in der Therapie der Stimm-lippenl ä hmung wurde bereits vor Jahrzehnten als m ö gliche The-rapiemodalit ä t diskutiert [9 – 11] . Eine vergleichende Studie, al-lerdings durchgef ü hrt bei Patienten mit hypofunktioneller Dys-fonie bzw. Patienten mit der Diagnose Internusschw ä che, ergab, dass durch die Kombination von Elektrostimulation plus Stimm- ü bungen bessere Ergebnisse erzielt werden konnten als durch eine reine Stimm ü bungstherapie [12] . Nach Kruse soll die Elek-trostimulationsbehandlung in Kombination mit dem funk-tionalen Stimmtraining durchgef ü hrt werden [13] . Bei der von

Pahn vorgeschlagenen „ Neuromuskul ä ren Elektrophonato-rischen Stimulation “ – NMEPS [14] wird ebenfalls die Stimula-tion mit Stimm ü bungen kombiniert. Wird also eine Stimm- ü bungsbehandlung mit einer Elektrostimulationstherapie kom-biniert, werden alle drei Aspekte, n ä mlich Regeneration, Protek-tion und Kompensation, adressiert.

Wie wirkt die Elektrostimulation? & Die grunds ä tzliche Idee der Elektrostimulationstherapie zur Re-generation und Protektion ist, dass isoliert die gel ä hmte Musku-latur stimuliert, d. h. durch einen Stromimpuls zu einer Muskel-kontraktion „ gezwungen “ wird. Die gesunde Muskulatur soll dagegen nicht stimuliert werden. Die Stimulation erfolgt dabei generell ü ber Elektroden, die auf der Haut platziert werden, man muss also keine Nadelelektroden verwenden. Grunds ä tzlich ist es schwierig, im Kehlkopf, wo so viele Muskeln dicht beieinanderliegen und zudem die Elektrode von der Mus-kulatur nicht nur durch die Haut und das Unterhautfettgewebe sondern auch noch zus ä tzlich durch den Schildknorpel getrennt ist, isoliert nur die gel ä hmte, nicht aber die gesunde, regelrecht innervierte Muskulatur zu stimulieren. Deshalb bedient man sich einer seit Langem aus der Muskelphy-siologie bekannten Tatsache [15] : Ein Stromimpuls wird (u. a.) durch die Intensit ä t einerseits und die Impulsdauer charakterisiert: JE l ä nger die Dauer, desto weni-ger Intensit ä t wird ben ö tigt, um einen gesunden Muskel zur Kontraktion zu „ zwingen “ (Kurve 1, � � Abb. 1 ). Ein gel ä hmter Muskel ben ö tigt entweder mehr Zeit oder mehr Intensit ä t (Kurve 2, � � Abb. 1 ). Dies gilt f ü r Rechteckimpulse, d. h. Strom-pulse, bei denen die volle Intensit ä t schlagartig angestellt wird. Dagegen gilt f ü r Impulse, bei denen die Intensit ä t langsam an-steigt (Dreieckstr ö me, exponentiell ansteigende Str ö me usw.): Ein gesunder, innervierter Muskel hat die F ä higkeit, sich an ei-nen langsam in der Intensit ä t ansteigenden Stromimpuls zu

Abb. 1 Zeit-Intensit ä tsdiagramm f ü r innervierte und gel ä hmte Muskeln (nach [9] ): Rechteckimpulse: F ü r l ä ngere Stromimpulse wird eine niedrigere Intensit ä t ben ö tigt, um eine Muskelkontraktion hervorzurufen (durchgezogene Linie: innervierter Muskel, Strichpunktlinie: denervierter Muskel). Dreieckimpulse: F ü r l ä nger werdende Impulse wird zun ä chst eine geringere Intensit ä t ben ö tigt, um eine Kontraktion zu provozieren. Steigt dann die L ä nge des Impulses, wird die ansteigende Flanke des Dreieckstroms immer fl acher, die Muskeln k ö nnen sich an den

Reizstrom adaptieren (gestrichelte Linie: gesunder Muskel, gepunktete Linie: denervierter Muskel). Liegt die Stromintensit ä t respektive die Dauer gerade ü ber der Dreieckstromkurve des gel ä hmten, aber ü ber der Dreieckstromkurve des gesunden Muskels (im sogenannten therapeutischen Dreieck), kann man den gel ä hmten Muskel isoliert stimulieren. Die schraffi erte Linie zeigt das „ therapeutische Dreieck “ : Liegt die Einstellung hinsichtlich Zeit und Intensit ä t in diesem Dreieck, ist eine selektive Stimulation m ö glich.

Page 3: Elektrostimulationstherapie bei Patienten mit einseitiger ... vocal fold paresis.pdf · „ freigeschalt “ , etsodass der ent i Pta 3 – 4 Ü bungen pro g aT durhc- fü hren kann

Schwerpunktthema112

Ptok M. Elektrostimulationstherapie bei Patienten … Sprache · Stimme · Geh ö r 2008 ; 32: 110 – 114

adaptieren, d. h. er „ zuckt “ wesentlich sp ä ter bzw. bei deutlich l ä ngerer Stimulationsdauer. Ü bersteigt die Stimulationsdauer eine gewisse Zeit, wird sogar wieder mehr Intensit ä t ben ö tigt, da die ansteigende Flanke „ fl acher “ wird und der Muskel besser adaptieren kann (Kurve 3, � � Abb. 1 ). Ein gel ä hmter Muskel hat die gleichen Eigenschaften, aber wesentlich „ schlechter “ (Kurve 4, � � Abb. 1 ). Man muss also f ü r einen Dreieckimpuls Impulszeit und Intensit ä t so w ä hlen, dass man gerade im sogenannten thera peutischen Dreieck ist. Dann n ä mlich ist die Zeitdauer gro ß genug, dass der gesunde Muskel adaptiert und nicht „ zuckt “ , aber die Impulsst ä rke so hoch, dass der denervierte Muskel nicht adaptieren kann und mit einer Muskelzuckung reagiert. F ü r die Impulsdauer und Stromst ä rke gibt es zwar Erfahrungs-werte, aber f ü r HNO- Ä rzte und Phoniater ist es ein Leichtes, die-se Parameter durch eine lupenlaryngoskopische Untersuchung exakt zu bestimmen: W ä hrend der kontinuierlichen Ä nderung von Stromst ä rke und Impulsdauer wird darauf geachtet, wann isoliert nur die gel ä hmte Kehlkopfseite stimuliert wird, d. h. „ zuckt “ . Der Patient f ü hlt typischerweise die Stimulation, ein Schmerz sollte jedoch nicht entstehen. Ein speziell f ü r Stimmlippenl ä hmungen entwickeltes Ger ä t (Vo-caStim, Physiomed; „ Masterger ä t “ f ü r die ä rztliche Praxis) sieht die M ö glichkeit vor, hierf ü r den sogenannten Akkomodations-quotienten im „ Ein-Mann-Betrieb “ zu bestimmen.

Therapieplan & Bei der Erstellung des Therapieplans muss zun ä chst bedacht werden, dass seit Langem in der Literatur Einigkeit dar ü ber herrscht, dass die Elektrostimulation nur dann ihre regenerative und protektive Wirkung entfalten kann, wenn eine Stimulation sobald wie m ö glich nach dem sch ä digenden Ereignis beginnt und mindestens zwei- bis dreimal pro Tag erfolgt [16] . Nach Festlegung der Reizstromparameter mit dem „ Masterge-r ä t “ der Praxis werden diese auf einer Chipkarte gespeichert. Au ß erdem wird die h ä usliche Ü bungsfrequenz festgelegt, typi-scherweise (mindestens) zweimal / Tag. Soll der Patient z. B. in 14 Tagen wieder zur Kontrolle erscheinen, werden 60 Ü bungen „ freigeschaltet “ , sodass der Patient 3 – 4 Ü bungen pro Tag durch-f ü hren kann und noch Ü bungen m ö glich sind, falls der Kontroll-termin abgesagt oder verschoben werden muss. Der Patient wird zun ä chst in der Handhabung seines Therapie-ger ä tes unterwiesen, z. B. durch eine geschulte Arzthelferin. Hierbei wird ihm erkl ä rt, wie er die Elektroden zu platzieren und die Stimm ü bungen durchzuf ü hren hat: Dies ist recht ein-fach, da Stimm ü bungen auf CD aufgezeichnet sind, die der Pa-tient „ imitieren “ bzw. wiederholen muss. Wichtig ist, dass er lernt, die Ausl ö sung des Stimulationsstroms ü ber einen Handtas-ter mit der Phonation zu synchronisieren. Die programmierte Chipkarte f ü hrt der Patient dann in sein Ü bungsger ä t ein, sie ü bertr ä gt die Reizstromparameter. Gleich-zeitig sorgt die Einstellung des Ü bungsger ä tes mit der Chipkarte daf ü r, dass nicht versehentlich zu hohe Intensit ä ten gew ä hlt werden k ö nnen. Der Patient h ö rt die auf CDs aufgezeichneten Stimm ü bungen und wiederholt diese. Gleichzeitig mit der Pho-nation muss er ü ber den Handtaster die Freigabe des Stromim-pulses ausl ö sen ( „ Intentionales Training “ ). Jede Ü bung wird auf der Chipkarte protokolliert. Dadurch kann der Arzt bei der n ä chsten Wiedervorstellung kontrollieren, wie oft der Patient tats ä chlich ge ü bt hat. Gerade diese Kontrollm ö g-lichkeit hat sich bei einigen Patienten, die sich unzufrieden ü ber

den Heilungsverlauf ä u ß erten, aber nur wenig ge ü bt hatten, au- ß erordentlich bew ä hrt. Neben der Reizstromtherapie sollte u. E. betroff enen Patienten auch geraten werden, parallel eine „ klassische “ Stimm ü bungs-therapie durchf ü hren zu lassen. Grund hierf ü r ist, dass die oben skizzierte Elektrostimulationstherapie die Regeneration f ö rdern und eine protektive Wirkung entfalten soll. Wichtig ist aber auch der Aspekt der Kompensation, z. B. durch Vermittlung entspre-chender Atemtechniken, Verbesserung der Artikulation, Opti-mierung der Kommunikationsstrategien usw.

Wirksamkeit der Elektrostimulationstherapie & Die beiden Therapieformen § „ Elektrostimulationstherapie zu Hause, 3 – 5x / Tag, kontrolliert

durch den Arzt “ und § die „ konventionelle Stimmtherapie 1 – 2x / Woche bei einer Lo-

gop ä din “ stehen sich hinsichtlich der zugrundeliegenden Therapiephilo-sophien scheinbar diametral gegen ü ber und haben schon eini-gen Z ü ndstoff f ü r Diskussionen geliefert. Diese Diskussionen haben aber bisher nicht in ausreichendem Ma ß e ber ü cksichtigt, dass beide Therapieformen unterschiedliche Therapieziele, n ä mlich: § Kompensation durch klassische Stimm ü bungsbehandlung

und § Regeneration und Protektion durch Elektrostimulation verfolgen. Au ß erdem muss ber ü cksichtigt werden, dass belastbare wissen-schaftliche Belege f ü r die Wirksamkeit von Therapien von ein-seitigen Rekurrensparesen generell sehr sp ä rlich sind. Die bisher einzige prospektive, randomisierte Therapiestudie zur Frage der Wirksamkeit zeigt allerdings einen signifi kanten Vorteil der (al-leinigen!) Elektrostimulationsbehandlung gegen ü ber der (allei-nigen) klassischen Stimmtherapie (ISRCTN17141238; http://www.controlled-trials.com/isrctn/trial/|/0/17141238.html ; 17).

Aus der Praxis

Ein damals 19-j ä hriger Patient wurde im Oktober 2003 in unserer Sprechstunde vorgestellt. Nach einer Schilddr ü sen-operation bei gutartiger Vergr ö ß erung der Dr ü se war seine Stimme untermittelbar postoperativ sehr heiser und nicht belastungsf ä hig. Die lupenlaryngoskopische und strobosko-pische Untersuchung zeigte eine komplette Stimmlippen-l ä hmung rechts in Lateralposition. Die mittlere Tonhalte-dauer betrug lediglich 4,5 s, der Irregulatit ä tsindex, ermit-telt beim Lesen eines standardisierten Textes (Nordwind und Sonne) waren 90 % . In der grafi schen Darstellung des Irregularit ä tsindex erkannte man dar ü ber hinaus auch eine Diplofonie ( � � Abb. 2 ). Es wurde f ü r drei Monate eine Elektrostimulationstherapie nach den o. g. Prinzipien durchgef ü hrt. Bei der Abschlussun-tersuchung gab der Patient an, dass seine Stimme wieder „ normal “ sei, nur unter starker Stimmbelastung (Trainer beim Fu ß ball) werde er noch heiser. Jetzt war bei der Endoskopie die Stimmlippe rechts ann ä -hernd normal beweglich. Der Irregularit ä tsindex betrug nur noch 6 % ( � � Abb. 3 ), die Tonhaltedauer war auf 19 s gestie-gen.

Page 4: Elektrostimulationstherapie bei Patienten mit einseitiger ... vocal fold paresis.pdf · „ freigeschalt “ , etsodass der ent i Pta 3 – 4 Ü bungen pro g aT durhc- fü hren kann

Schwerpunktthema 113

Ptok M. Elektrostimulationstherapie bei Patienten … Sprache · Stimme · Geh ö r 2008 ; 32: 110 – 114

Die Elektrostimulationstherapie bietet sich als alleinige Thera-pieform dann an, wenn § der Patient z. B. aufgrund langer Anfahrtswege nicht zur logo-

p ä dischen Praxis fahren will, oder § die logop ä dische Praxis unzumutbare Wartezeiten hat. Gera-

de dies kommt im Alltag nach unseren Erfahrungen h ä ufi g vor.

Grunds ä tzlich aber sollte Betroff enen eine kombinierte Thera-pie, d. h. eine Stimm ü bungstherapie und eine Elektrostimula-tionstherapie, angeboten werden.

Fragen zur Selbstkontrolle & 6. Bei der Therapie einer Rekurrensparese m ü ssen grund-

s ä tzlich folgende Aspekte beachtet werden: 1. Regeneration des Nerven 2. Protektion des Muskels 3. Kompensation der ausgefallenen Funktion 4. Metabolismus der endolaryngealen Schleimhaut

a) nur 1 ist richtig b) nur 2 ist richtig c) nur 1 und 3 sind richtig d) nur 1, 2 und 3 sind richtig e) alle sind richtig

C:LxData_14596\20031023\nws.spe

Abb. 2 Grafi sche Darstellung des Irregularit ä tsindex bei einem Patienten mit einseitiger Rekurrensparese vor Therapie.

C:LxData_14596\20031222\nws.spe

Abb. 3 Grafi sche Darstellung des Irregularit ä tsindex bei einem Patienten mit einseitiger Rekurrensparese nach dreimonatiger Elektrostimulationstherapie.

Page 5: Elektrostimulationstherapie bei Patienten mit einseitiger ... vocal fold paresis.pdf · „ freigeschalt “ , etsodass der ent i Pta 3 – 4 Ü bungen pro g aT durhc- fü hren kann

Schwerpunktthema114

Ptok M. Elektrostimulationstherapie bei Patienten … Sprache · Stimme · Geh ö r 2008 ; 32: 110 – 114

7. Eine Rekurrensparese kann nicht auftreten 1. nach einer Strumaoperation 2. nach einer viralen Entz ü ndung 3. durch Tumore 4. nach Infektionen des Brustraumes

a) nur 1, 2 und 3 sind richtig b) nur 1 ist richtig c) nur 1,3 und 4 sind richtig d) alle sind richtig e) alle sind falsch

8. Welche Aussage ist richtig?

a) Die Elektrostimulation bei Rekurrensparesen beruht auf Prinzipien, die sich in der Orthop ä die und Rehabilita-tionsmedizin bew ä hrt haben.

b) Die Intensit ä t des Stimulationsstroms kann der Patient nach Gutd ü nken einstellen.

c) F ü r die selektive Stimulation ist es egal, ob die gel ä hmte Nerv-Muskel Einheit mit Dreieckstr ö men oder Recht-eckstr ö men stimuliert wird.

d) Nach Eintritt des sch ä digenden Ereignisses sollte zu-n ä chst drei Monate zugewartet werden.

e) Es darf entweder nur eine Stimmtherapie oder nur eine Elektrostimulationstherapie durchgef ü hrt werden.

9. Welche Aussage ist richtig? a) Gerade im Kehlkopf ist eine selektive Elektrostimulation

einfach, da viele Muskeln dicht unterhalb der Haut lie-gen.

b) Ein gesunder, innervierter Muskel hat die F ä higkeit, sich an einen langsam in der Intensit ä t ansteigenden Stromim-puls zu adaptieren.

c) F ü r Dreieckstr ö me gilt: Ein gesunder, innervierter Mus-kel „ zuckt “ wesentlich fr ü her bzw. bei deutlich k ü rzerer Stimulationsdauer als ein gel ä hmter Muskel.

d) Um die Regeneration des Nervens zu beschleunigen, ist es ausreichend, wenn die Elektrostimulation 2-mal pro Woche stattfi ndet.

e) Grundprinzip der neuromuskul ä ren Elektro- Phona-tions-Stimulation NMEPS ist, dass w ä hrend der Stimula-tion keine willk ü rlichen Kehlkopfaktivit ä ten stattfi nden sollen.

Literatur 1 Ptok M , Strack D . Klassische Stimmtherapie versus Elektrostimulations-

therapie bei einseitiger Rekurrensparese . HNO 2005 ; 53 : 1092 – 1097 2 Ramig LO , Verdolini K . Treatment effi cacy: voice disorders . J Speech

Lang Hear Res 1998 ; 41 : 101 – 116 3 Aronson AE . Clinical Voice Disorders . New York: Thieme ; 1985 4 Blitzer A , Brin MF , Sasaki CT et al . Neurologic disorders of the larynx .

New York: Thieme ; 1992 5 Rubin JS , Sataloff RT , Korovin GS et al . Diagnosis and treatment of voice

disorders . New York: Igaku-Shoun ; 1995 6 Wendler J , Seidner W , Kittel G et al . Lehrbuch der Phoniatrie und P ä -

daudiologie, 3. Aufl . Stuttgart: Thieme ; 1996 7 Verdolini K , Ramig L , Jacobson B . Outcome measurement in voice dis-

order. In: Frattali CM ed. Measuring outcomes in speech-language pathology . New York: Thieme ; 1998

8 Low J , Reed A . Electrotherapy explained, 3. edn. Oxford: Butterworth/Heinemann ; 2002

9 Boehme G . Die Eff ektivit ä t der Elektrotherapie bei laryngealen Erkran-kungen im strobsokopischen Bild . Z Laryngol Rhinol Otol 1965 ; 44 : 481 – 488

10 Kraus WM , Sanders I , Aviv JE et al . Laryngeal electrode platform: an indwelling device for mobilizing the vocal cords . Ann Otol Rhinol La-ryngol 1987 ; 96 : 674 – 679

11 Sanders I , Aviv J , Kraus WM et al . Transcutaneous electrical stimula tion of the recurrent laryngeal nerve in monkeys . Ann Otol Rhinol Laryn-gol 1987 ; 96 : 38 – 42

12 Schleier E , Streubel HG . Behandlungsergebnisse nach einer kombi-nierten Stimm-Reizstromtherapie mit asynchronem Exponential-strom bei hypofunktionellen Dysphonien und Internusschw ä chen . Folia Phoniatr (Basel) 1980 ; 32 : 70 – 77

13 Kruse E . Systematik der konservativen Stimmtherapie aus phonia-trischer Sicht . In: B ö hme G, Hrsg. Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckst ö rungen . 2. Aufl ., Bd. 2: Therapie. Stuttgart: Fischer ; 1998

14 Pahn J , Pahn E . Die Nasalierungsmethode . Rostock: Oehmke ; 2000 15 Ptok M . Elektrostimulationstherapie bei Patienten mit einseitiger Re-

kurrensparese . Laryngorhinootologie 2005 ; 84 : 563 – 566 16 Hnik P . Rate of denervation muscle atrophy. In: Gutman E, ed. The

denervated nuscle . Prague: Publishing House of Czechoslovakia ; 1962

17 Ptok M , Strack D . Electrical stimulation supported voice exercises are superior to voice exercises alone in patients with unilateral recurrent laryngeal nerve paresis – results from a prospective randomized trial . Muscle Nerve 2008 ; 38 : 1005 – 1008