13
Ethikkommission des Landes Kärnten Jahresbericht 2002 4. Arbeit der Ethikkommission 4.1 Allgemeines 4.2 Gedanken zur Arbeit der Ethikkommission Dr. Michael Kopetz, Jurist in der Kärntner ÄK 4.3 Prüfung und Weiterentwicklung der Patienteninformation für klinische Studien Dr. Erwin. Kalbhenn, Patientenanwalt des Landes Kärnten 4.4 Der Beitrag statistischer Methoden zu einem ethisch vertretbaren Informations- gewinn aus medizinischen Studien Prof. Dr. Manfred Borovcnik, Statistiker, Universität Klagenfurt 4.5 Allgemeinmedizin und Ethik bzw. Ethikkommission Dr. Heinz Ragossnig, Arzt für Allgemeinmedizin, Klagenfurt 4.6 Ständiges Beratungsgremium und Forum Österreichischer Ethikkommissionen Prim. Prof. Dr. Hans Peter Dinges Ethikkommission des Landes Kärnten Vorsitzender: Prim. Univ. Doz. Dr. med. Peter Lind Abteilung für Nuklearmedizin & Endokrinologie – PET/CT Zentrum LKH Klagenfurt, St. Veiter Str.47; A-9020 Klagenfurt Tel: 0043 463 538 29100 oder -29103; Fax 0043 463 538-23184 E-mail: [email protected]

E t h i k - K o m m i s s i o n · 2017. 5. 15. · Ethikkommission des Landes Kärnten Jahresbericht 2002 4. Arbeit der Ethikkommission 4.1 Allgemeines ... Bericht über Studienverläufe

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: E t h i k - K o m m i s s i o n · 2017. 5. 15. · Ethikkommission des Landes Kärnten Jahresbericht 2002 4. Arbeit der Ethikkommission 4.1 Allgemeines ... Bericht über Studienverläufe

Ethikkommission des Landes Kärnten

Jahresbericht 2002

4. Arbeit der Ethikkommission

4.1 Allgemeines

4.2 Gedanken zur Arbeit der EthikkommissionDr. Michael Kopetz, Jurist in der Kärntner ÄK

4.3 Prüfung und Weiterentwicklung der Patienteninformation für klinische StudienDr. Erwin. Kalbhenn, Patientenanwalt des Landes Kärnten

4.4 Der Beitrag statistischer Methoden zu einem ethisch vertretbaren Informations-gewinn aus medizinischen StudienProf. Dr. Manfred Borovcnik, Statistiker, Universität Klagenfurt

4.5 Allgemeinmedizin und Ethik bzw. EthikkommissionDr. Heinz Ragossnig, Arzt für Allgemeinmedizin, Klagenfurt

4.6 Ständiges Beratungsgremium und Forum Österreichischer EthikkommissionenPrim. Prof. Dr. Hans Peter Dinges

Ethikkommission des Landes Kärnten Vorsitzender: Prim. Univ. Doz. Dr. med. Peter Lind

Abteilung für Nuklearmedizin & Endokrinologie – PET/CT Zentrum LKH Klagenfurt, St. Veiter Str.47; A-9020 Klagenfurt

Tel: 0043 463 538 29100 oder -29103; Fax 0043 463 538-23184 E-mail: [email protected]

Page 2: E t h i k - K o m m i s s i o n · 2017. 5. 15. · Ethikkommission des Landes Kärnten Jahresbericht 2002 4. Arbeit der Ethikkommission 4.1 Allgemeines ... Bericht über Studienverläufe

7

4. Arbeit der Ethikkommission

4.1 Allgemeines

Wie in den vorausgegangenen Jahren fanden auch im Jahr 2002 sieben Sitzungen der EK statt, in ebenfalls gewohntem Semester-Rhythmus in Anlehnung an die Universitäten, d. h. keine Sitzungen in den „vorlesungsfreien” Zeiten. Der Arbeitsrhythmus der EK hat sich auch durch den neuen Vorsitzenden kau m geändert. Die Sitzungen der EK fanden bis Herbst 2002 in der Bibliothek des Institutes für Pathologie jeweils an einem Mittwoch, mit Beginn um 15 Uhr 00 statt. Ab Herbst tagte die EK im Sitzungszimmer der Zentralküche des LKH Klagenfurt, wobei hier ein ungestörter Ablauf der Sitzungen nicht in jedem Fall garantiert war, sodass Ende 2002 die Bitte an die KABEG herangetragen wurde, ein Sitzungszimmer zur Verfügung zu stellen. Mit Beginn 2003 finden die Sitzungen der EK Kärnten im Sitzungs-zimmer 1 der KABEG, St. Veiterstrasse 34 statt. Die Beteiligung an den Sitzungen war erfreu-lich hoch, sie betrug >90% der 15 ständigen Mitglieder. Damit ist auch fachlich ein breites und tiefes Eingehen auf die Studienproblematik sichergestellt. Die Behandlungsdauer für eine Studie betrug im Schnitt 20 bis 30 Minuten.

Die Ethikkommission blieb bei ihrer Gewohnheit, jede Studie durch den Prüfleiter selbst oder einen kompetenten Mitarbeiter vorstellen zu lassen. Durch die persönliche Vorstellung der Studie durch den Prüfleiter gewinnt die EK einen Eindruck über Kompetenz und Haltung des Prüfleiters, und offene Fragen und Probleme im Zusammenhang mit der Studie können durch das direkte Gespräch zumeist gelöst werden. Neben den abzuwägenden ethischen Aspekten kommt auch den „Spezialisten” in der Ethikkommission eine bedeutende Rolle in der forma-len und inhaltlichen Beurteilung zu: Versicherungsangelegenheiten und rechtliche Aspekte bedürfen der expliziten Zustimmung des Juristen in der EK; die biometrische Aufbereitung einer Studie bedarf der Zustimmung des Statistikers. Die Mitglieder in der EK lernen von den Spezialisten und letztere erhalten eine Rückkoppelung bei aktuellen Fragen.

Für die laufende Überwachung der Studien mit Bearbeitung aller einlangenden Meldungen über schwerwiegende unerwünschte Ereignisse, Ergänzungen und Änderungen des Prüf-planes, Bericht über Studienverläufe etc. wurde vor zirka zwei Jahren das verkürzte Begut-achtungsverfahren („expedited review”) eingeführt, in dem nach dem 4-Augen-Prinzip eine Vorentscheidung bzw. Gewichtung der Mitteilungen und Anfragen vorgenommen wird. Problematische Änderungswünsche oder Mitteilungen werden der EK vorgetragen und letzt-lich vom Kollegialorgan entschieden. Dies soll auch in Zukunft so gehandhabt werden. Für einzelne Studien und Fragestellungen außerhalb des eigentlichen gesetzlichen Auftrages der EK wurden Stellungnahmen und Gutachten eingeholt, sofern die Expertise der eigenen Fachleute (welche die nicht-ständigen Mitglieder der EK inkludiert) nicht ausreichte.

Page 3: E t h i k - K o m m i s s i o n · 2017. 5. 15. · Ethikkommission des Landes Kärnten Jahresbericht 2002 4. Arbeit der Ethikkommission 4.1 Allgemeines ... Bericht über Studienverläufe

8

4.2 Gedanken zur Arbeit der Ethikkommission

Dr. Michael Kopetz, Jurist in der Kärntner ÄK

Aufgabe der EK

Die Arbeit der EK bewegt sich in mehreren Spannungsfeldern. Steht auf der einen Seite die Aussage „Es ist unethisch, eine Therapie anzuwenden, deren Sicherheit und Wirksamkeit nicht wissenschaftlich geprüft ist” gegen den Anspruch „Es ist unethisch, die Wirksamkeit einer Therapie im Rahmen wissenschaftlicher Versuche zu prüfen” so stehen sich anderer-seits individuelles Risiko und gesellschaftlicher Nutzen von Medikamentenstudien gegenüber. Diese widersprüchlichen Interessen transparent zu machen und in einem gesellschaftlich akzeptierten Rahmen abzuhandeln, wurde die Hauptaufgabe der gesetzlich eingerichteten Ethikkommissionen im internationalen und nationalen Medizinbetrieb. Die medizinische Forschung soll damit nicht behindert werden, aber die Risken, Gefahren und Chancen allen Beteiligten offen gelegt und bewusst gemacht werden. Ein umfangreiches Regelwerk von Gesetzen und internationalen Vereinbarungen bilden die Grundlage für deren Tätigkeit. Ist es weltweit die so genannte Helsinki-Deklaration, die Regeln für die Forschung und die Einbin-dung der Patienten proklamiert hat, so sind es in Österreich detaillierte Vorschriften im Arzneimittelgesetz, dem Medizinproduktegesetz und in Kärnten die Krankenanstalten-ordnung. Zum Unterschied von anderen Bundesländern wurde für alle Bereiche und Kran-kenanstalten in Kärnten eine einheitliche landesweit agierende EK geschaffen.

Arbeitsweise der EK

Ethikkommissionen bestehen aus Fachleuten und Laien und stehen an der Schnittstelle zwischen Medizin und Patient. Die Einbindung von Laien zwingt die Experten, ihre Anliegen so zu formulieren und darzustellen, dass sie dem Patienten vermittelbar werden. Dieses Ziel ist oft schwierig zu erreichen und stellt einen immer wiederkehrenden Diskussionsgegen-stand bei den Beratungen dar. Wie macht man komplizierteste Wirkungsmechanismen neuer, noch unzureichend bekannter Medikamente einem Laien verständlich? Soll eine fundierte Entscheidung nach Abwägung individueller Risken einbezogener Patienten und wissenschaft-lichem Nutzen getroffen werden, so ist zumindest ein gewisses Grundverständnis für die vorgelegten Forschungsansätze zu verlangen. Die Hauptfunktion der EK besteht darin, den Patienten vor zu großen Risken zu schützen, die Zielsetzungen von Medikamentenstudien zu hinterfragen und die wissenschaftlich wertvollen und aussagekräftigen Studien zu fördern. Daraus ergeben sich folgende Fragen für die Ethikkommission bei der Beurteilung von Arzneimittelstudien:

Werden alle gesetzlichen Vorschriften eingehalten? Sind die angewendeten statistischen Verfahren geeignet,

objektiv gesicherte Aussagen zu treffen? Ist der wissenschaftliche Ansatz plausibel? Ist die Aufklärung des Patienten verständlich, vollständig und ehrlich? Liegt eine ausreichende Versicherung für den Patienten vor? Sind irgendwelche besonderen Patientenschutzmaßnahmen vorzusehen? Wird dem Patienten mit unzureichender Begründung

eine bewährte Therapie vorenthalten?

Page 4: E t h i k - K o m m i s s i o n · 2017. 5. 15. · Ethikkommission des Landes Kärnten Jahresbericht 2002 4. Arbeit der Ethikkommission 4.1 Allgemeines ... Bericht über Studienverläufe

9

Nach Beratung und Beurteilung der eingereichten Studien gibt die EK ein Votum ab, das Voraussetzung für die gesetzeskonforme Abwicklung einer Studie ist. Die Arbeit der EK mündet daher in einer Art von Gutachten über die Einhaltung aller zum Schutz der Patienten vorgesehener Normen.

Informed Consent

Besonderes Augenmerk wird auf die bei jeder Studie vorgeschriebene Patienteninformation gelegt. Damit wird der Patient über Art und Ziel der Studie, über die damit verbundenen Risken, den erwarteten Wissensgewinn im Interesse der Allgemeinheit und seine besonderen Rechte und Verhaltensmaßregeln aufgeklärt. Zu den Rechten des in eine Studie einbezo-genen Patienten zählen die völlige Freiwilligkeit der Teilnahme, die jederzeitige Beendi-gungsmöglichkeit der Teilnahme, ein besonderer Versicherungsschutz und die offene Infor-mation. Eine besonders heikle Situation bei der Beurteilung eines Studiendesigns entsteht, wenn ein neues Medikament gegen ein Placebo getestet werden soll. Überhaupt dann, wenn eine etablierte Therapie der jeweiligen Krankheit anerkannt ist. Aus wissenschaftlichem Interesse – Aussagekraft des Ergebnisses – ist der Einsatz eines Placebos oft die auf-schlussreichste Möglichkeit für die Gestaltung einer Studie. Ist aber der Verzicht auf den Ein-satz einer bewährten Therapie für einen Teil der Patienten von Seiten der Risikoerhöhung vertretbar um den Preis einer höheren Aussagekraft? Dass bei der Beantwortung einer sol-chen Frage letztlich auch weltanschauliche Werte in die Diskussion eingebracht werden, darf nicht verwundern, sondern macht die Diskussion spannend und vielschichtig.

Erhöhtem Schutz bei Studien unterliegen Kinder und nicht einwilligungsfähige sowie schwan-gere Personen. Schwangere Personen dürfen in Studien normalerweise überhaupt nicht ein-bezogen werden. Kinder dürfen nur einbezogen werden, wenn die Studienmedikation in jedem Einzelfall für das Kind einen höheren Nutzen erwarten lässt als die herkömmliche Therapie. Die Zustimmung ist sowohl von den Eltern wie auch vom Kind selbst zu geben. Dies ist der Hauptgrund, dass nur wenige Medikamente auf ihre Wirkung bei Kindern in Studien untersucht werden. Bei nicht einwilligungsfähigen Patienten wird die fehlende indivi-duelle Zustimmung durch das Einverständnis der EK ersetzt.

Besonderheit der Kärntner EK

Neben den gesetzlichen Aufgaben, nämlich der Beurteilung von Arzneimittelstudien, Studien über den Einsatz neuer Medizinprodukte und die Anwendung neuer noch nicht anerkannter Behandlungsmethoden hat sich die Kärntner Ethikkommission durch ihre Geschäftsordnung auch die Möglichkeit eröffnet zu grundsätzlichen ethischen Fragen im Gesundheitswesen und in der Medizin Stellung zu nehmen. Von dieser Option wurde bislang sehr sparsam Gebrauch gemacht. Die Kärntner EK unterstützt mit ihren Mitteln die Ausbildung von so genannten Prüfärzten, um die Qualität des Studienmanagements zu verbessern. Sie veranstaltet öffent-liche Veranstaltungen zu ethischen Fragestellungen und sorgt für die Weiterbildung ihrer Mitglieder. Durch den engagierten Einsatz ihrer Vorsitzenden konnte sie sich österreichweit Anerkennung erarbeiten.

Page 5: E t h i k - K o m m i s s i o n · 2017. 5. 15. · Ethikkommission des Landes Kärnten Jahresbericht 2002 4. Arbeit der Ethikkommission 4.1 Allgemeines ... Bericht über Studienverläufe

10

4.3 Prüfung und Weiterentwicklung der Patienteninformation für klinische Studien

(Dr. Erwin. Kalbhenn, Patientenanwalt des Landes Kärnten)

Die Mitgliedschaft des Patientenanwaltes in der Kärntner EK ist gesetzlich verankert worden, er (sie) ist kraft Amtes als „geborenes Mitglied” in dieses Gremium zu berufen. Die Haupt-aufgabe dieses Mitgliedes ist naturgemäß, über die Einhaltung der Patientenrechte und -interessen zu wachen. Ein ganz zentraler Punkt ist hierbei die inhaltliche und förmliche Aus-gestaltung der Patienteninformation zu klinischen Prüfungen von Medikamenten, Medizin-produkten und neuen Behandlungsmethoden. Internationale Erklärungen wie GCP(Good Clinical Practice) – Richtlinien, die Deklaration von Helsinki zu ethischen Grundsätzen, der Artikel 20 der Patientencharta, die European Charta of Patient’s Rights (4), weiters Inhalte der Kärntner Krankenanstaltenordnung (§ 23, lit q) haben Grundsätze für derartige Informa-tionen abgebildet. Der Arbeitsalltag einer Ethikkommission zeigt aber, wie notwendig und sinnvoll klare, fast detailgenaue Vorgaben für die antragstellenden Prüfer sind.

So hat die Kärntner EK die Punkte, welche in der Patienteninformation zwingend enthalten sein müssen, zusammengefasst, z.T. schematisiert und ins Internet gestellt:

Hinweis auf die absolute Freiwilligkeit Aufklärung über die jederzeitige Rücknahme der Einwilligung Information über die jeweilige Haftpflichtversicherung der Prüfung

mit Adresse der Versicherung, Versicherungspolizze und Ansprechpartner Zweck der Prüfung und möglichen persönlichen Nutzen u.s.w.

Sich ändernde Rahmenbedingungen des Gesundheitswesens sowie die wachsende praktische Erfahrung der Kommission haben insbesondere im vergangenen Jahr den Bedarf einer Erweiterung der verpflichtend aufzuführenden Punkte ergeben.

1. Dem Prüfer bzw. Sponsor war aufzugeben, Probanden bei Ambulanzbesuchen, welche nur Studienzwecken dienten, von der so genannten Ambulanzgebührenregelung freizustellen und darüber entsprechend zu informieren.

2. Die so genannte „Hausarztpassage” wurde zur Routine erhoben. Sie bedeutet, dass Prüfer zur Information über Studie und Studienteilnahme des Patienten den jeweiligen Hausarzt zu informieren haben und der Proband hiervon Kenntnis hat bzw. zustimmt.

3. Die Information über eine „Kostenfreiheit” für Studienteilnehmer wurde präzisiert. Die Kom-mission besteht darauf – und informiert die Studienteilnehmer insoweit – dass entstehende Kosten, z.B. Fahrtkosten zur Ambulanz, bei rein studienbedingten Terminen zu ersetzen sind.

Zu jedem neuen Studienantrag wird geprüft, ob Aussagen im Prüfprotokoll und -design mit den Informationen an die Patienten im Einklang stehen, d.h. sachlich korrekte Beschreibun-gen und Erklärungen für „Laien” gegeben werden. Allgemein verständliche, korrekte um-fassende aber nicht überbordende Informationen sind die unverzichtbare Voraussetzung da-für, was Grundbedingung jeder Studienteilnahme ist: „Informed Consent”.

Fremdworte oder seitenlange medizinische Erklärungen, welche z.T. einen Nicht-Facharzt überfordern, sind hierzu wenig hilfreich und verfehlen den eigentlichen Zweck. Dennoch können solche Ausflüge in das „Fach-Chinesisch” bei Patienteninformationen immer wieder beobachtet werden. Unsere Bemühungen waren umfangreich, die Erfahrungen jedoch unterstreichen eine Aussage von Prof. DI Dr. Peter Rehak, Graz:

„Eine gute Patienteninformation zu verfassen ist vielleicht die schwierigste Aufgabe im Rahmen der Erstellung einer Studiendokumentation!”

Page 6: E t h i k - K o m m i s s i o n · 2017. 5. 15. · Ethikkommission des Landes Kärnten Jahresbericht 2002 4. Arbeit der Ethikkommission 4.1 Allgemeines ... Bericht über Studienverläufe

11

4.4 Der Beitrag statistischer Methoden zu einem ethisch vertretbaren Informations-gewinn aus medizinischen Studien

Prof. Dr. Manfred Borovcnik, Statistiker, Universität Klagenfurt

Medizinische Forschung ist ständig herausgefordert, neue Behandlungsmethoden und neue Medikamente zu entwickeln, damit die Chancen, Krankheiten erfolgreich behandeln zu kön-nen, verbessert werden. Weiß man schon genau, ob eine „Therapie” wirksam sein wird, so braucht man keine gezielte Studie, kein medizinisches Experiment. Das Wissen reicht aller-dings meist nur dazu aus, neue Behandlungsmethoden auszusondern, welche Erfolg verspre-chen; um sie jedoch auszutesten, bedarf es ihres gezielten, überprüfbaren Einsatzes. Was kann die Medizinische Statistik / Biometrie dazu beitragen, den Erfolg oder Misserfolg solcher Experimente zu beurteilen?

Das randomisierte, doppelblinde, Placebo-kontrollierte Experiment

Der Standard in der biometrischen Praxis ist das so genannte randomisierte, doppelblinde, Placebo-kontrollierte Experiment mit Versuchs- und Kontrollgruppe: Von allen Patienten wer-den – wie im Lotto – durch Zufall jene ausgewählt, welche die neue Behandlung (Opera-tionsmethode, Medikament, Therapieschema etc.) erhalten, und, welche nur ein Placebo bekommen, das ist eine neutrale Behandlung, welche sich jedoch äußerlich nicht von der eigentlichen Behandlung unterscheidet. Hinsichtlich der Zielgröße (Überlebensdauer, Dauer bis zum Wiederauftauchen eines Karzinoms, Absenken von Viren unter die Nachweisgrenze, Dauer und Stärke des Schmerzes etc.) werden nun Versuchs- und Kontrollgruppe miteinan-der verglichen. Wenn sich ein sehr großer Unterschied als Behandlungserfolg ergibt, so braucht man keinen Statistiker mehr, um dies festzustellen. Dieser Idealfall tritt selten so deutlich ein, man muss sich schon mit Teilerfolgen – kleineren Verbesserungen bei z.B. gleichzeitiger Verringerung der Nebenwirkungen – zufrieden geben. Hier kann man nur mit-tels statistischer Methoden beurteilen, ob ein festgestellter Behandlungserfolg auch als ab-gesichert gelten kann. Denn: Die Wirkung der Behandlungsmethode ist nicht immer gleich: Alter, Gesamtkonstitution, Fortschreiten der Krankheit, sonstige Begleiterscheinungen u.v.m. beeinflussen und verwischen die Unterschiede zwischen Behandlungs- und Kontrollgruppe. Man nennt solche Einflüsse Störgrößen oder Confounder.

Die entscheidende Frage ist: Kann man bei Wiederholung der Studie, kann man beim Einsatz der neuen Methode in der medizinischen Praxis mit ähnlichen, verbesserten Behandlungs-erfolgen rechnen, oder hatte man in der gegenständlichen Studie einfach nur Glück.

Kann man ethisch vertreten, dass eine Gruppe ein Placebo statt einer zielgerichteten, wirksamen Behandlung erhält?

Als drastisches Beispiel sei hier an eine Migränestudie erinnert, in der zwei neue Medika-mente Erfolgsraten von 41% und 42% erzielten. Das hocherfreuliche Ergebnis wird jedoch deutlich entwertet, wenn man weiß, dass in derselben Studie die Erfolgsrate in der Placebo-Gruppe bei 38% lag. Der Erfolg einer neutralen, als zielgerichteter Behandlung vorgege-benen Maßnahme ist als Placebo-Effekt bekannt geworden. Erst wenn der Erfolg einer Be-handlung über diesen Effekt hinausgeht, ist sie als gezielte Maßnahme zu vertreten. Ein Ex-periment ist wertlos hinsichtlich der Beurteilung des Erfolgs, wenn keine Kontrollgruppe mit Placebo geführt wird. Beantwortbar wird damit die Frage: Ist der Behandlungserfolg besser als unter Verwendung von Placebo? Mit anderen Worten: Handelt es sich um eine gezielte Behandlungsmethode?

Page 7: E t h i k - K o m m i s s i o n · 2017. 5. 15. · Ethikkommission des Landes Kärnten Jahresbericht 2002 4. Arbeit der Ethikkommission 4.1 Allgemeines ... Bericht über Studienverläufe

12

Gibt es für die Behandlung der Krankheit einen medizinischen Standard, so ist eine Placebo-Gruppe ethisch nicht zu vertreten. Die Kontrollgruppe wird dann mit diesem „golden stan-dard” behandelt. Ein Unterschied in der Zielgröße lässt dann die Frage beantworten: Ist die neue Behandlung besser als der Standard?

Abwägen von individuellen und kollektiven Risiken

Knifflige ethische Fragen tauchen auf, wenn mit dem neuen Medikament bzw. der neuen Methode sehr große Erwartungen (etwa aus Einzelanwendungen, biochemischen Zusam-menhängen, aus Tierversuchen etc.) verknüpft sind. Soll man dann noch eine „Standard” – Vergleichsgruppe als Kontrollgruppe führen? Hierzu ist festzuhalten, dass die Information aus einem Experiment ohne Kontrollgruppe wissenschaftlich nicht bewertbar ist. Ein Abwägen von individuellem und kollektivem Risiko wird unausweichlich: Einigen Personen muss man das Risiko des „veralteten” Standards, der eventuell weniger wirksam ist, zumuten, damit man hinkünftig allen Patienten wissenschaftlich abgesichert das bessere Medikament zu-kommen lassen kann. Ohne dieses Opfer wird eine solche Erkenntnis nicht möglich.

Dieser Abwägung muss man sich auch bei nur wenig mehr Erfolg versprechenden Medika-menten stellen. Man wird ja kein offensichtlich schlechteres Medikament testen, sondern nur diejenigen, die beim gegenwärtigen Stand der Kenntnisse eine Verbesserung versprechen. Der tatsächliche Erfolg (und die aufgetretenen Nebenwirkungen) aber ist weitgehend nicht bzw. noch nicht ausreichend beurteilbar.

Diese Risikoüberlegung „individuell – kollektiv” dreht sich um, wenn sich im nachhinein das neue Medikament nicht durchsetzen kann, das heißt, nicht als besser bewertet werden kann. Dann hat die Versuchsgruppe im Nachhinein eventuell einen Nachteil.

Ist es ethisch vertretbar, die Zuordnung von Patienten zu Versuchs- und Kontrollgruppe dem Zufall zu überlassen?

Muss man randomisieren? Sollte man nicht etwa den schwerer Erkrankten die neue Methode verabreichen und den „Gesünderen” den Standard? Eine solche Vorgangsweise würde den Behandlungsunterschied verwischen, das neue Medikament könnte sich bei gleicher Schwere der Krankheit als deutlich besser erweisen, hätte aber bei der Vorgangsweise vielleicht kaum Chancen, dies auch bei den schwereren Fällen deutlich genug zu zeigen. Man hätte einen klassischen Fall eines Confounders. Ziel des Designs einer Studie muss es sein, möglichst viele solcher Störgrößen zu eliminieren. Das leistet, paradoxerweise, am besten der Zufall. Nach zufälliger Aufteilung ergeben sich zwei Gruppen, die im „Durchschnitt” aller möglichen Störgrößen (der bekannten und der unbekannten) einander ziemlich ähnlich sind. Ein allfälli-ger Unterschied in der Zielgröße zwischen Versuchs- und Kontrollgruppe ist dann nicht mehr anderen Merkmalen zuzuschreiben, sondern als „reine” Folge der Behandlung deutbar.

Im Idealfall könnte man mit wenigen Zwillingspaaren arbeiten, einen davon der Versuchs- und den anderen der Kontrollgruppe zuordnen. Hier hätte man viele denkbare Confounder von vornherein ausgeschaltet. Die Zufallsaufteilung – randomisierte Zuteilung – sollte sich einer solchen idealen Aufteilung annähern.

Ist es ethisch zu vertreten, dass weder Arzt noch Patient wissen, welche Behandlung tatsächlich angewendet wird?

Warum sollen Studien doppelblind ausgelegt werden? Allein das Wissen des Patienten, eine bestimmte Behandlung zu erhalten, kann einen, positiven oder negativen Placebo-Effekt auslösen. So etwa kann er sich durch die Schilderung des neuen Medikaments große Hoff-nungen machen, die dann „zunichte” werden, wenn er weiß, dass er der Standard-Ver-gleichsgruppe zugeteilt ist. Auf der Seite des Arztes kann dieses Wissen begleitende Zusatz-

Page 8: E t h i k - K o m m i s s i o n · 2017. 5. 15. · Ethikkommission des Landes Kärnten Jahresbericht 2002 4. Arbeit der Ethikkommission 4.1 Allgemeines ... Bericht über Studienverläufe

13

maßnahmen auslösen sowie die Diagnose des Erfolgs beeinflussen. Deswegen gilt es, sofern man dies ohne weitere Belastungen der Patienten realisieren kann, Studien doppelblind zu gestalten.

Statistischen Methoden kommt schon in der Planungsphase eine entscheidende Rolle zu

Die Wirkung der Behandlungsmethode kann etwa von Begleitmerkmalen abhängig sein. Un-terteilt („schichtet”) man Patienten etwa nach Altersgruppen, oder Stadien der Krankheit, und erzeugt so Untergruppen, die sich hinsichtlich eines Merkmals wenig unterscheiden, so können diese Merkmale nicht mehr als Störgrößen wirksam werden. Man teilt innerhalb der Untergruppen die Patienten auf Versuchs- und Kontrollgruppe auf und rechnet die Unter-schiede in der Behandlung von den Untergruppen auf die Gesamtheit hoch. Durch eine sol-che Vorgangsweise steigen die Chancen, dass ein Erfolg versprechendes Medikament auch tatsächlich als besser erkannt wird. Es wird möglich, auch schon bei weniger Patienten in der Studie schlüssige Ergebnisse zu erhalten, man muss weniger Patienten der Abwägung von individuellem und kollektivem Risiko unterwerfen.

Auch ohne diese Schichtung in homogene Untergruppen kann man Daten von Merkmalen, die Störgrößen sein könnten, aufzeichnen und damit die Analysen verfeinern: So könnte der Fall eintreten, dass das neue Medikament bis zu einem bestimmten Stadium der Krankheit besser wirkt, für weiter fortgeschrittene ist ein solcher Erfolg aber nicht nachzuweisen. Ohne die getrennte Analyse der Ergebnisse hinsichtlich der als Kovariaten erhobenen Störgrößen wäre der Unterschied eventuell verwischt worden. Eine nachträgliche Datenerhebung und Zuordnung für solche Störgrößen ist meist nicht mehr möglich. In der systemanalytischen Planung einer Studie gilt es hier, die Zusammenarbeit zwischen Statistiker und Mediziner zu intensivieren. Damit steigen die Chancen, dass ein wirklich besseres Medikament auch tat-sächlich in der Studie als besser eingestuft wird. Solche Kovariaten-Analysen lassen auch genauere Aussagen zu, unter welchen Randbedingungen das Medikament wirksam sein wird.

Zusammenfassung: Zwei Typen von Fehlern bei medizinischen Studien

Es gibt viele Quellen von Fehlermöglichkeiten bei medizinischen Studien. Ein typischer Fehler etwa ist der, dass Erfolgsraten in einem Experiment mit den sorgfältig beachteten Rand-bedingungen, sich nicht immer auf den klinischen Alltag in gleicher Höhe übertragen lassen. Aus der Sicht der eingesetzten statistischen Methoden gibt es strukturell zwei Typen von Fehlern von Studien:

Die neue Behandlungsmethode wird irrtümlich als besser eingestuft, obwohl sie nicht besser ist. Die neue Behandlungsmethode wird irrtümlich nicht als besser erkannt, obwohl sie besser ist.

Im ersteren Fall wird vielleicht eine neue Methode in die Praxis eingeführt, mit welcher der Erfolg sogar verringert werden könnte. Dies wird sich bald in der klinischen Praxis heraus-stellen, mit all den Nachteilen bis dahin. Im letzteren Fall werden weitere Experimente mit den damit verbundenen Risiken erforderlich, oder es wird gar die Behandlungsmethode ver-worfen, man begibt sich der Chance, Patienten damit zu helfen.

Ziel medizinischer Studien ist es, beide Fehler durch sorgfältige Planung möglichst gering zu halten. Ziel ist es auch, möglichst wenige Patienten der angesprochenen Risikoüberlegung auszusetzen, und dennoch schlüssige Information zu erhalten. Unter fiktiven Bedingungen werden die Risiken, solche Fehler zu begehen, mit Risikozahlen bewertet. Diese so genann-ten alpha- und beta-Fehler (1 minus beta als so genannte „power”) sind wertvolle Indices zur Beurteilung, ob eine biometrische Studie verwertbare Information liefern kann zur Bewer-tung, ob ein Behandlungserfolg der neuen Methode besteht oder nicht. Nur so ist es ethisch gerechtfertigt, Patienten ihr individuelles Risiko in der Studie zuzumuten, damit medizinische Forschung und schließlich medizinische Praxis einen Fortschritt erzielen kann.

Page 9: E t h i k - K o m m i s s i o n · 2017. 5. 15. · Ethikkommission des Landes Kärnten Jahresbericht 2002 4. Arbeit der Ethikkommission 4.1 Allgemeines ... Bericht über Studienverläufe

14

4.5 Allgemeinmedizin und Ethik bzw. Ethikkommission

Dr. Heinz Ragossnig, Arzt für Allgemeinmedizin, Klagenfurt

Seit einigen Jahren bin ich nun ständiges Mitglied der Ethikkommission und gehöre dem Gremium als Stellvertreter der Allgemeinmedizin neben fachärztlichen, pharmazeutischen, religiösen und juristischen Vertretern an. Der Ethikkommission trat ich auf Wunsch meines geschätzten Vorgängers Dr. Mag. Rettl Udo bei, der diese Aufgabe drei Jahre erfüllte. Dem Leser wird durch diesen Jahresbericht die Leistung und Arbeit der Ethikkommission vor Augen geführt, dies erscheint mir notwendig, weil ich aus Gesprächen mit meinen Kollegen erfahren habe, dass die Tätigkeit der Kommission und auch die reichhaltige wissenschaftliche Tätigkeit der Fachkollegen in den Kärntner Spitälern nur einem geringen Kreis bewusst ist.

In der Patienteninformation von Studien gibt es einen Hausarztpassus, der der Information des behandelnden Hausarztes(in) dient, und wie folgt lautet:

„Ihr(e) Hausarzt(ärztin) wird, Ihr Einverständnis vorausgesetzt, über Ihre Teilnahme an der klinischen Studie benachrichtigt werden.”

Dies soll die Kommunikation zwischen dem behandelnden Kliniker mit dem niedergelassenen Kollegen fördern, und Fehler in der Behandlung vermeiden helfen. Häufig ist eine Co-Medi-kation bei Studien nicht erlaubt, oder man kann zu Notfällen von Patienten gerufen werden, die an einer Studie teilnehmen. Ein weiterer Punkt, der die Kommunikation zwischen Klini-kern und Hausarzt verbessern könnte, wäre die Ergebnisse von Studien an Patienten, die wir meist lebenslänglich begleiten, uns zu übermitteln. Als Allgemeinmediziner sind wir mit einer Fülle von Problemen belastet, und häufig fehlt die Möglichkeit mit Kollegen darüber in Form einer Balintgruppe Gespräche zu führen.

Um einen „State of the Art in Allgemeinmedizin” zu schaffen muss es Qualitätsbildung und Qualitätssicherung/Kontrolle geben. Dies wird zurzeit auch durch die Schaffung von Quali-tätszirkeln vorangetrieben. Ich habe das Glück seit 1991 einer Kollegenrunde von10 prakti-schen Ärzten anzugehören die sich etwa einmal im Monat trifft und zum Teil allein, zum Teil mit Experten mit speziellen medizinischen Themen, die uns in der täglichen Praxis berühren, beschäftigt. Eine Form der Kommunikation die uns allen viel gebracht hat. 75-80% aller Behandlungsaktivitäten werden von Allgemeinmedizinern begonnen und zu Ende geführt. Um den Anspruch der in Ausbildung stehenden Kollegen auf umfassende Ausbildung zu gewährleisten, wäre die Forcierung der Inanspruchnahme der Lehrpraxis zu fordern. Weil wir unser Wissen nicht nur an der Uni oder im Turnus, sondern oft erst in der Praxis erlernen mussten, besteht die Gefahr der Individualisierung der Behandlung und damit das Allge-meine in der Medizin nicht reproduzierbar, und qualifizierbar zu machen.

Der Wunsch nach einem Lehrstuhl für Allgemeinmedizin an der Universität wäre dringend zu befürworten. Dr. Gottfried Heller war in Klagenfurt ein Vorreiter dieser Bemühungen.

Berufethos ist für mich die Feststellung der Genfer Deklaration des Weltärztebundes:

„Die Gesundheit meines Patienten soll mein vornehmstes Anliegen sein.”

Page 10: E t h i k - K o m m i s s i o n · 2017. 5. 15. · Ethikkommission des Landes Kärnten Jahresbericht 2002 4. Arbeit der Ethikkommission 4.1 Allgemeines ... Bericht über Studienverläufe

15

4.6 Ständiges Beratungsgremium und Forum Österreichischer Ethikkommissionen

Prim. Prof. Dr. Hans Peter Dinges

Es folgen Berichte aus Sitzungen des ständigen Beratungsgremiums aus der österreichischen Ethikkommission.

7. Sitzung des Ständigen Beratungsgremiums Österreichischer Ethikkommissionen am 18. März 2002

Unter Vorsitz von Prof. Dr. Rehak fand im AKH Wien die 7. Sitzung des Ständigen Beratungs-gremiums statt. Ein Hauptthema der Sitzung war die durch die EU – Direktive 2001/20/EC „Gute klinische Praxis” notwendige Einführung nationaler „Leit-Ethikkommissionen” in den Mitgliedsstaaten der EU. Für Österreich wurde bzw. wird die Installierung mehrerer poten-tieller Leit-Ethikkommissionen diskutiert, wobei für solche Leit-EK Qualitätskriterien zu defi-nieren wären. Eine enge Kommunikation zwischen den betroffenen lokalen EK und der jeweiligen Leit-EK wäre wünschenswert. Bei Einführung mehrerer Leit-EK ergeben sich Probleme hinsichtlich der Antragstellung (wer stellt bei welcher Leit-EK einen Antrag zur Beurteilung einer Studie? Steuerungsmöglichkeiten seitens des Sponsors?) Es wurde letztlich beschlossen, das Thema „Leit-Ethikkommission” mit Vertretern der zuständigen Ministerien (BMfSSG, BMfJ) zu diskutieren. In diesem Zusammenhang sind auch die von der WHO beschlossenen Qualitätskriterien für das Auditing von EK von aktuellem Interesse, welche den EK des Forums als Richtlinie zur Selbstkontrolle anempfohlen wurden (Surveying and Evaluating Ethical Review Practices).

Ein weiterer Diskussionspunkt war das Zusatzprotokoll zur Biomedizin – Konvention, die aber von Österreich wegen Vorbehalten noch nicht unterzeichnet wurde.

Für die praktische Arbeit der EK wichtig sind Musterbeispiele für Patienteninformationen bestimmter Zielgruppen, wie z.B. für Kinder und genetische Studien. Muster – Patienten-informationen für Kinder wurden von den EK der Universitäten Graz und Wien ausgearbeitet und sollen in das WEB gestellt werden, Leitlinien zur Gestaltung der Patienten – Probanden-information und Einverständniserklärung bei genetischen Studien inklusive Pharmako-Genetik wurden von der EK der Universität Wien/AKH ausgearbeitet, in der Wiener Klinischen Wochenschrift publiziert und werden als Leitlinie empfohlen.

Änderungen im Datenschutzgesetz erforderten eine Adaptation des Antragsformulars des Forums. Die EK des Landes Kärntens brachte zwei Problemkreise zur Sprache:

1. Das Procedere bei Studien ohne Versicherungspflicht (für solche Studien wird von unserer EK kein formelles „Votum” sondern nur eine „Stellungnahme” ausgestellt). Hier zeigt es sich, dass eine Vereinheitlichung nicht gut möglich ist, da z.B. Universitäts-EK nach dem UOG auch für die Beurteilung angewandter medizinischer Forschung am Menschen (Anwendungsstudien nach dem AMG) zuständig sind und daher Beschlüsse (Voten) aus-stellen müssen.

2. machte unsere EK auf das Problem der Verrechnung von Ambulanzgebühren bei Studien-bedingten Ambulanzbesuchen aufmerksam. Hier wurde zunächst die Meinung vertreten, dass kein entsprechender Zusatz in die Patienteninformation aufgenommen werden sollte (hiezu siehe jedoch den anders lautenden Beschluss der folgenden Forumssitzung). Hofrat Dr. Grüner von der EK des Landes Salzburg machte auf die Verpflichtung zur Publikation negativer Forschungsergebnisse aufmerksam – ein ethisches Problem bzw. eine ethische Verpflichtung, der kaum nachgekommen wird. Prof. Dr. Rehak brachte als möglichen Lösungsvorschlag die Überlegung vor, ein Register mit der Erfassung der

Page 11: E t h i k - K o m m i s s i o n · 2017. 5. 15. · Ethikkommission des Landes Kärnten Jahresbericht 2002 4. Arbeit der Ethikkommission 4.1 Allgemeines ... Bericht über Studienverläufe

16

Eckdaten aller Studien inklusive der Abschlussberichte zu erstellen und dieses Register (zugänglich nur für Mitglieder des Forums) ins WEB zu stellen. Weitere Punkte der Tagesordnung betrafen ausschließlich administrative Notwendigkeiten.

8. Tagung des Forums Österreichischer Ethikkommissionen am 17. Mai 2002 – Oberwart

Die 8. Tagung des Forums Österreichischer Ethikkommissionen fand über Einladung der burgenländischen KRAGES am 17. 5. 2002 unter dem Vorsitz von Herrn Hofrat Dr. Ernst Gschiel in Oberwart statt. Den Festvortrag hielt der Vorstand der burgenländischen KRAGES, Herr Hofrat Mag. Peter Soswinski zum Thema „Ethik und Ökonomie”. Es folgte der Bericht des Vorsitzenden des ständigen Beratungsgremiums, Univ. Prof. DI Dr. Peter Rehak, der auch die Zusammenfassung der Ergebnisse der Erhebungen zu den Tätigkeiten und Aktivi-täten der im Forum vertretenen EK vortrug („Tätigkeitsbericht 2000”).

Der nächste TOP betraf die EU – Direktive 2001/20/EC „Gute klinische Praxis”. Diese Direk-tive sieht vor, dass bei in mehreren Staaten der EU stattfindenden medizinischen Studien am Menschen (gemäß AMG, MPG und KAO) pro EU-Staat nur eine Stellungnahme an die Zen-trale in Brüssel abgegeben werden kann. Diese Vorgabe bedingte die Einrichtung so genannter „Leit-EK” in den einzelnen EU-Staaten. Die Anforderungen an solche Leit-EK wurden diskutiert, wobei aus Erfahrungen aus den Niederlanden zurückgegriffen wurden. Danach ist es wichtig, dass die Zusammensetzung einer solchen Leit-EK den ethischen und gesetzlichen Ansprüchen (GCP – Richtlinien, nationale Gesetze und internationale Richtlinien) entspricht, eine Geschäftsordnung die Behandlung der Studien und den Ablauf der Sitzungen reguliert, ein Minimum an Erfahrung bei der Behandlung von Studien existiert (mindestens 20 Studien/Jahr), entsprechende Kontrollen (Auditing) durchgeführt werden und die Tätigkeit der EK offen gelegt wird (z.B. in Form von Jahresberichten). Wesentlich ist auch, dass eine Leit-EK über eine ausreichende Expertise verfügt (innerhalb der EK und durch Beiziehung externer Gutachter).

Weitere TOPs betrafen die vom Ständigen Beratungsgremium bereits vorbereiteten Empfeh-lungen für Muster-Patienteninformationen, für Studien an Kinder und bei genetischen Unter-suchungen. Die entsprechenden Vorlagen wurden als Empfehlung akzeptiert. Im Antrags-formblatt des Forums erfolgt aufgrund neuer Bestimmungen im Datenschutzgesetz eine notwendig gewordene Ergänzung. Zum Problem einer allfälligen Verrechnung von Ambu-lanzgebühren bei Studien bedingten Ambulanzbesuchen wurde beschlossen, dass Prof. Dr. Dinges, Prof. Dr. Rehak und Dr. Schröder (von der Wiener GKK) einen Textvorschlag erstel-len, der in die Muster-Patienteninformation des Forums aufgenommen werden soll. Unter Einbeziehung von Dr. Kopetz von der Kärntner Ärztekammer konnte im Juli 2003 ein abge-stimmter gemeinsamer Vorschlag mit folgendem Wortlaut in das WEB gestellt werden:

Behandlungsbeitrag – Ambulanz („Ambulanzgebühr”): Für Ambulanzbesuche, die ausschließ-lich im Zusammenhang mit Ihrer Teilnahme an dieser Studie erfolgten, ist kein Behand-lungsbeitrag – Ambulanzbeitrag zu entrichten. Sie werden daher ersucht, bei jedem derarti-gen Besuch auf den Zusammenhang mit Ihrer Teilnahme an der Studie hinzuweisen. Sollte es in einem solchen Fall dennoch zur Vorschreibung des Behandlungsbeitrages – Ambulanz kommen, wenden Sie sich bitte an Ihren Prüfarzt. Er wird die weitere Abwicklung für Sie übernehmen.

In einem weiteren TOP erfolgte unter der Diskussionsleitung von Prim. Dr. Volz die Neu- Festsetzung des Bearbeitungsbeitrages für gesponserte Studien und für Gutacherhonorare. Die Empfehlung des Forums lautet demnach:

Bearbeitungsgebühr für gesponserte Studien: € 1500 (früher: ATS 20.000) Gutachter-honorar.

Page 12: E t h i k - K o m m i s s i o n · 2017. 5. 15. · Ethikkommission des Landes Kärnten Jahresbericht 2002 4. Arbeit der Ethikkommission 4.1 Allgemeines ... Bericht über Studienverläufe

17

8. Sitzung des Ständigen Beratungsgremiums Österreichischer Ethikkommissionen am 5. Dezember 2002

Die 8. Sitzung des Ständigen Beratungsgremiums fand am 5. 12. 2002 unter Vorsitz von Prof. Dr. Rehak im Wiener AKH statt. Erster wesentlicher TOP betraf die EU – Direktive 2001/20/EG mit der aus ihr ableitbarer Notwendigkeit zur Installierung von so genannten „Leit-EK”. Prof. Dr. Rehak und Prof. Dr. Singer (AKH Wien) berichteten über eine Sitzung zu diesem Thema im BMfSSG.

Die Selektionskriterien für Leit-EK wurden erstellt und diskutiert und als Anhang dem Proto-koll der Sitzung beigelegt. Folgende wesentliche Kriterien sollten für Leit-EK gelten: Ausrei-chende Erfahrung (Bearbeitung von ca. 150 Arzneimittelstudien in den letzten 5 Jahren), ständiges und öffentlich zugängliches Sekretariat (Geschäftsstelle), im Voraus festgelegte und öffentlich bekannt gegebene Sitzungstermine, ausreichende Beurteilungskompetenz der wissenschaftlichen und biometrischen Aspekte. Eine Leit-EK muss über eine Geschäfts-ordnung verfügen und sollte nicht in der Geschäftsordnung festgelegte Verfahrensweisen in SOPs(Standard Operation Procedures) festgehalten haben. Dokumente zur Konstituierung der EK, des Status der einzelnen Mitglieder, zur Antragsstellung, zum Begutachtungs-verfahren und zur Tätigkeit der EK (Jahresbericht) müssen vorhanden sein.

Die EK des Landes Kärnten entspricht weitgehend diesem Anforderungsprofil und hat daher (neben den Fakultätskommissionen und den Landes-EK von Niederösterreich, Oberösterreich und Salzburg) ausdrücklich ihr Interesse bekundet, als Leit-EK tätig zu sein. In Ergänzung zur existierenden Geschäftsordnung müssten für unsere EK allenfalls noch einzelne nicht in der Geschäftsordnung festgelegte Verfahrensschritte in einer SOP dezidiert festgehalten werden (z.B. das in unserer EK etablierte „verkürzte Begutachtungsverfahren” zur Bearbei-tung diverser Dokumente wie SAEs, Amendments, Zwischenberichte etc.).

In Österreich werden wahrscheinlich mehrere Leit-EK in Funktion treten und die Kriterien der Antragstellung bzw. der Auswahl möglicher Wunsch-EK durch den Sponsor wurde diskutiert. Da Leit-EK die Möglichkeit eingeräumt werden soll, Anträge an eine andere Leit-EK zu dele-gieren, sollte dieser Nachteil zumindest minimiert werden. Lokalen EK ohne Leit-EK-Funktion kommt in diesem Zusammenhang nur mehr die Aufgabe zu, die lokalen Verhältnisse vor Ort (Eignung des/der Prüfer, Ressourcen-Beurteilung) zur prüfen, eine inhaltliche Stellungnahme zur Studie wäre dann nicht mehr möglich. Es ist vorauszusehen, dass diese Differenzierung des Aufgabenspektrums zur Schaffung von EK höherer Ordnung (Leit-EK) und nachrangigen EK (lokale EK ohne Leitfunktion) führen wird. Das Bestreben des ehemaligen Vorsitzenden der EK des Landes Kärntens, Prim. Prof. Dr. Dinges, und des derzeitigen Vorsitzenden der EK, Prim. Doz. Dr. Lind, ist es, die EK des Landes Kärntens als Leit-EK zu positionieren, sofern eine solche Funktion einer EK außerhalb von medizinischen Fakultäten zukommen kann und sollte.

Im Vergleich zur existentiellen Problematik der Einrichtung von Leit-EK waren alle anderen TOPs von geringerer Bedeutung, wenn auch wichtig für die Patientensicherheit und die Durchführung von Studien. Das Problem „versteckt” gesponserter Studien mit unklarer Abgrenzung zwischen industriell gesponsertem und/oder akademischem Projekt (ohne Bearbeitungsgebühr) ist vielen EK geläufig. Einem Vorschlag von Prof. Dr. Rehak ent-sprechend könnte der Umgang mit den Rohdaten einer Studie die Zuordnung erleichtern. Wenn die Rohdaten beim (akademischen) Sponsor verbleiben, könnte man das Projekt – auch bei finanzieller Unterstützung durch die Industrie – als akademisches Projekt behandeln und auf eine Bearbeitungsgebühr verzichten. Als nächstes wurde eine Änderung der Muster-Patienteninformation betreffend die positive Beurteilung einer Studie durch eine EK be-handelt. Diese Passage lautet ab sofort folgendermaßen: „Zu dieser klinischen Prüfung sowie

Page 13: E t h i k - K o m m i s s i o n · 2017. 5. 15. · Ethikkommission des Landes Kärnten Jahresbericht 2002 4. Arbeit der Ethikkommission 4.1 Allgemeines ... Bericht über Studienverläufe

18

zur Patienteninformationen und Einverständniserklärung wurde von der zuständen EK eine befürwortende der Stellungnahme abgegeben.”

Ein weiteres Problem, das alle EK angeht, betrifft die ständig steigende Zahl an SAE-Meldun-gen (Severe Adverse Event – schweres unerwünschtes Ereignis). Die derzeitigen Richtlinien sehen vor, dass jede SAE gemeldet werden muss, die in irgendeinem Zentrum im In- oder Ausland aufgetreten ist – unabhängig von einer allfälligen Kausalität. Die Meldepflicht an die für das Zentrum zuständige EK soll wie bisher (entsprechend AMG und MPG) bestehen bleiben. In anderen Zentren auftretende SAEs sollen aber nur mehr dann, wenn sie in einem kausalen Zusammenhang mit dem Studiengegenstand stehen, gemeldet werden. Ein solches Vorgehen stünde auch im Einklang mit der EU-Direktive 2001/20/EG. Diese Richtlinien zum Umgang mit SAE-Meldungen wurden auch schriftlich festgehalten und werden in das WEB gestellt. Ein weiterer Diskussionspunkt war die Durchsetzung von Versicherungsansprüchen von Studienpatienten/innen. In den meisten Bundesländern bietet die Patientenanwaltschaft Unterstützung an. Daher wurde beschlossen, einen entsprechenden Hinweis in die Patien-teninformation aufzunehmen.

Ein schon lange bekanntes Problem, nämlich der Umgang mit Studien mit geringem wissen-schaftlichem Wert, wurde neu andiskutiert. Es wurde darauf verwiesen, dass im Einzelfall entschieden werden muss, wie man mit derartigen Anträgen umgeht. Wesentlich ist, dass die EK bei solchen Studien besonderes Augenmerk auf das Risiko der Versuchspersonen legt. Zu beachten ist außerdem, dass Studien mit „wissenschaftlich geringem Wert” sehr wohl einen hohen sonstigen Wert besitzen können wie z.B. bei Bioäquivalenzstudien für Zulassung neuer Präparate oder Präparatkombinationen, neuer galenischer Zubereitungen etc.

Im administrativen Teil der Sitzung wurde festgehalten, dass ab Beginn des Jahres 2003 Herr Prim. Univ. Doz. Dr. Peter Lind, seinen Vorgänger, Herrn Prim. Univ. Prof. Dr. Hans-Peter Dinges, als Mitglied des Ständigen Beratungsgremiums ablöst.