18
Ass.-Prof. Dr. Andreas Geroldinger , Linz Die Zurechnung Dritter nach § 875 ABGB Zugleich ein Beitrag zum U ¨ bermittlungsfehler des Erkla ¨ rungsboten (2. Teil) (Fortsetzung aus JBl 2012, Heft 1) C. Zurechnung von Erkla ¨ rungsboten und § 875 So alt wie die Willenserkla ¨ rung unter Abwesen- den ist ein ihr immanentes Problem: die Mo ¨ glich- keit von Fehlern bei der U ¨ bermittlung. Die Ursa- che dafu ¨r kann ebenso ein Zufall wie ein Versehen oder die Bo ¨swilligkeit der u ¨ bermittelnden Person sein. Speziell bei der vorsa ¨ tzlichen Entstellung einer Erkla ¨ rung durch den Boten fragt sich, ob sie dem Erkla ¨ renden noch zugerechnet werden kann. Unser zivilrechtliches Kerngesetz regelt zwar die Botenschaft nicht na ¨ her 164 ); ein durch die III. TN eingefu ¨ gter Einschub in § 871 (Abs 1) ist aber – ausweislich der Materialen 165 ) – als Referenz an U ¨ bermittlungsfehler gedacht: „War ein Teil u ¨ ber den Inhalt der von ihm abgegebenen oder dem anderen zugegangenen Erkla ¨rung in einem Irr- tum befangen, ...‘‘ Die Wendung „oder dem anderen zugegange- nen‘‘ soll klarstellen, dass das Risiko der Entstel- lung einer Erkla ¨ rung grundsa ¨ tzlich derjenige tra ¨gt, der das „Zwischenorgan‘‘ 166 ) einsetzt. Gibt der Erkla ¨ rungsbote 167 ) die zu u ¨ bermittelnde Nach- richt falsch wieder, so bleibt dem Gescha ¨ ftsherrn nur die Berufung auf einen Erkla ¨ rungsirrtum 168 ). Die (freilich vagen 169 )) verba legalia unterscheiden dabei nicht nach der Ursache fu ¨r den U ¨ bermitt- lungsfehler. Damit tra ¨ gt der Anerkla ¨ rte, der die Boteneigenschaft seines unmittelbaren Gegen- u ¨ bers nicht na ¨ her nachpru ¨ ft und keinen Grund zum Misstrauen hat, nur das Risiko, ob der als Bote Auftretende u ¨ berhaupt als solcher eingesetzt wurde. Das Risiko der Falschu ¨ bermittlung liegt hingegen – anders als etwa im Rahmen von Art 27 UN-Kaufrecht 170 ) – beim Erkla ¨ renden. Eine – heute fu ¨r O ¨ sterreich meist als „herr- schend‘‘ bezeichnete 171 ) Stro ¨ mung der Lehre lehnt die Zurechnung der Erkla ¨ rung zum Ge- scha ¨ ftsherrn allerdings generell dann ab, wenn sie der Bote vorsa ¨ tzlich 172 ) verfa ¨ lscht hat. Gegen- stand der nachstehenden Ausfu ¨ hrungen soll die Rechtfertigung dieser Einschra ¨ nkung beim Erkla ¨- rungsboten de lege lata sein. I. Der U ¨ bermittlungsfehler als Irrtum 1. Der Telegrafen-Fall, § 120 BGB und die III. Teil- novelle Ein Problembewusstsein fu ¨r U ¨ bermittlungsfeh- ler von Boten la ¨ sst sich schon in fru ¨hen o ¨ sterr Quellen belegen. Sowohl der Codex Theresia- nus 173 ) als auch der Entwurf Horten 174 ) enthielten spezielle Bestimmungen u ¨ ber die (mu ¨ ndliche) # Springer-Verlag 2012 164 ) Zur Botenschaft in der Judikatur des OGH s nur RIS-Justiz RS0014035 (Aufhebung der Vinkulierung von Versicherungsanspru ¨ chen mittels Boten); RS0062531 (Ma ¨ ngelru ¨ ge qua Boten); RS0074503 (Mel- dung eines Unfalls mit Personenschaden qua Boten); zur Verteilung des Risikos bei U ¨ bermittlungsfehlern s etwa RIS-Justiz RS0013946; RS0014068; RS0019611; zur Einsetzung als Bote s RIS-Justiz RS0019465; zu Auf- treten und Ta ¨ tigkeit des Boten s RIS-Justiz RS0019600; RS0019608. 165 ) HHB 135; den Wortlaut s unten bei FN 192. 166 ) ErlRV 2 BlgHH 21. Session 126. 167 ) Beim Empfangsboten (zur Abgrenzung s nur Rum- mel in Rummel, ABGB I 3 § 862a Rz 4; Wiebe in Kletec ˇka/ Schauer , ABGB-ON 1.00 § 862a Rz 10) folgt die Risiko- verteilung schon aus dem durch die U ¨ bermittlung an ihn bewirkten Zugang; s nur Wiebe aaO (mit verfehlter Zitierung von Rummel als „aA‘‘); RIS-Justiz RS0013946; RS0014068; aA Wilhelm, Entscheidungsan- merkung zu OGH 1 Ob 547/86, JBl 1986, 784 (786). Zum BGB s Armbru ¨ ster in Mu ¨ nchKommBGB I/1 6 (2012) § 120 Rz 7. Zu den schwierigen Abgrenzungsfra- gen der Empfangsbotenstellung kraft Verkehrsan- schauung s (zum deutschen Recht) Sandmann, Emp- fangsbotenstellung und Verkehrsanschauung, AcP 199 (1999) 455 (passim); BGH 12.12.2001, X ZR 192/00 NJW 2001, 1565. 168 ) Anstelle vieler Rummel in Rummel, ABGB I 3 § 871 Rz 5; OGH 19.5.1982, 1 Ob 538/82 SZ 55/75 = JBl 1984, 37. In Deutschland findet sich vielfach der Begriff „U ¨ ber- mittlungsirrtum‘‘; s nur OLG Frankfurt 20.11.2002, 9 U 94/02 BeckRS 2002, 30294511; OLG Hamm 12.1.2004, 13 U 165/03 NJW 2004, 2601. 169 ) S schon die Kritik von Wellspacher , GZ 59 (1908) 72. 170 ) Danach nimmt „ein Irrtum bei der U ¨ bermittlung der Mitteilung‘‘ der erkla ¨ renden Partei nicht das Recht, sich auf die Mitteilung zu berufen; ein Ru ¨ ckgriff auf na- tionale Anfechtungsregeln (§§ 871 ff ABGB, § 120 BGB) kommt nicht in Betracht, da Art 27 UN-Kaufrecht die Sachfrage exklusiv regelt; s nur U. P. Gruber in Mu ¨ nch- KommBGB III 5 (2008) Art 27 CISG Rz 15 mwN; Schlecht- riem/Schroeter in Schlechtriem/Schwenzer , Kommentar zum einheitlichen UN-Kaufrecht 5 (2008) Art 27 Rz 12. 171 ) S dazu C.II.2. 172 ) Im o ¨sterr wie im deutschen (s dazu FN 239 f) Schrifttum ist regelma ¨ßig von „absichtlicher‘‘ Entstel- lung die Rede; dies du ¨ rfte aber in aller Regel nicht als Qualifikation des Vorsatzes (im Sinne von Absichtlich- keit, dolus specialis) gemeint sein. 173 ) Abgedruckt in Harrasowsky , Der Codex Theresia- nus und seine Umarbeitungen III (1884). 174 ) Abgedruckt in Harrasowsky , Der Codex Theresia- nus und seine Umarbeitungen IV (1886). Juristische Bla ¨ tter 134, 94–111 (2012) DOI 10.1007/s00503-011-0112-z Printed in Austria

Die Zurechnung Dritter nach § 875 ABGB

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Die Zurechnung Dritter nach § 875 ABGB

Ass.-Prof. Dr. Andreas Geroldinger, Linz

Die Zurechnung Dritter nach § 875 ABGBZugleich ein Beitrag zum UÈ bermittlungsfehler des ErklaÈrungsboten

(2. Teil) (Fortsetzung aus JBl 2012, Heft 1)

C. Zurechnung von ErklaÈrungsboten und § 875

So alt wie die WillenserklaÈrung unter Abwesen-den ist ein ihr immanentes Problem: die MoÈglich-keit von Fehlern bei der UÈ bermittlung. Die Ursa-che dafuÈ r kann ebenso ein Zufall wie ein Versehenoder die BoÈswilligkeit der uÈ bermittelnden Personsein. Speziell bei der vorsaÈ tzlichen Entstellungeiner ErklaÈrung durch den Boten fragt sich, obsie dem ErklaÈrenden noch zugerechnet werdenkann.

Unser zivilrechtliches Kerngesetz regelt zwardie Botenschaft nicht naÈher164); ein durch die III.TN eingefuÈ gter Einschub in § 871 (Abs 1) ist aber± ausweislich der Materialen165) ± als Referenz anUÈ bermittlungsfehler gedacht:

¹War ein Teil uÈ ber den Inhalt der von ihm abgegebenenoder dem anderen zugegangenen ErklaÈrung in einem Irr-tum befangen, ...`̀

Die Wendung ¹oder dem anderen zugegange-nen`̀ soll klarstellen, dass das Risiko der Entstel-lung einer ErklaÈrung grundsaÈtzlich derjenigetraÈgt, der das ¹Zwischenorgan`̀ 166) einsetzt. Gibtder ErklaÈrungsbote167) die zu uÈ bermittelnde Nach-richt falsch wieder, so bleibt dem GeschaÈftsherrnnur die Berufung auf einen ErklaÈrungsirrtum168).

Die (freilich vagen169)) verba legalia unterscheidendabei nicht nach der Ursache fuÈ r den UÈ bermitt-lungsfehler. Damit traÈgt der AnerklaÈrte, der dieBoteneigenschaft seines unmittelbaren Gegen-uÈ bers nicht naÈher nachpruÈ ft und keinen Grundzum Misstrauen hat, nur das Risiko, ob der alsBote Auftretende uÈ berhaupt als solcher eingesetztwurde. Das Risiko der FalschuÈ bermittlung liegthingegen ± anders als etwa im Rahmen von Art 27UN-Kaufrecht170) ± beim ErklaÈrenden.

Eine ± heute fuÈ r OÈ sterreich meist als ¹herr-schend`̀ bezeichnete171) ± StroÈmung der Lehrelehnt die Zurechnung der ErklaÈrung zum Ge-schaÈftsherrn allerdings generell dann ab, wennsie der Bote vorsaÈ tzlich172) verfaÈ lscht hat. Gegen-stand der nachstehenden AusfuÈ hrungen soll dieRechtfertigung dieser EinschraÈnkung beim ErklaÈ-rungsboten de lege lata sein.

I. Der UÈ bermittlungsfehler als Irrtum

1. Der Telegrafen-Fall, § 120 BGB und die III. Teil-novelle

Ein Problembewusstsein fuÈ r UÈ bermittlungsfeh-ler von Boten laÈsst sich schon in fruÈ hen oÈsterrQuellen belegen. Sowohl der Codex Theresia-nus173) als auch der Entwurf Horten174) enthieltenspezielle Bestimmungen uÈ ber die (muÈ ndliche)

# Springer-Verlag 2012

164) Zur Botenschaft in der Judikatur des OGH s nurRIS-Justiz RS0014035 (Aufhebung der Vinkulierungvon VersicherungsanspruÈ chen mittels Boten);RS0062531 (MaÈngelruÈ ge qua Boten); RS0074503 (Mel-dung eines Unfalls mit Personenschaden qua Boten);zur Verteilung des Risikos bei UÈ bermittlungsfehlern setwa RIS-Justiz RS0013946; RS0014068; RS0019611;zur Einsetzung als Bote s RIS-Justiz RS0019465; zu Auf-treten und TaÈtigkeit des Boten s RIS-Justiz RS0019600;RS0019608.

165) HHB 135; den Wortlaut s unten bei FN 192.166) ErlRV 2 BlgHH 21. Session 126.167) Beim Empfangsboten (zur Abgrenzung s nur Rum-

mel in Rummel, ABGB I3 § 862a Rz 4; Wiebe in KletecÏka/Schauer, ABGB-ON 1.00 § 862a Rz 10) folgt die Risiko-verteilung schon aus dem durch die UÈ bermittlung anihn bewirkten Zugang; s nur Wiebe aaO (mit verfehlterZitierung von Rummel als ¹aA`̀ ); RIS-JustizRS0013946; RS0014068; aA Wilhelm, Entscheidungsan-merkung zu OGH 1 Ob 547/86, JBl 1986, 784 (786).Zum BGB s ArmbruÈ ster in MuÈnchKommBGB I/16

(2012) § 120 Rz 7. Zu den schwierigen Abgrenzungsfra-gen der Empfangsbotenstellung kraft Verkehrsan-schauung s (zum deutschen Recht) Sandmann, Emp-fangsbotenstellung und Verkehrsanschauung, AcP 199(1999) 455 (passim); BGH 12.12.2001, X ZR 192/00 NJW2001, 1565.

168) Anstelle vieler Rummel in Rummel, ABGB I3 § 871Rz 5; OGH 19.5.1982, 1 Ob 538/82 SZ 55/75 = JBl 1984,

37. In Deutschland findet sich vielfach der Begriff ¹UÈ ber-mittlungsirrtum`̀ ; s nur OLG Frankfurt 20.11.2002, 9 U94/02 BeckRS 2002, 30294511; OLG Hamm 12.1.2004,13 U 165/03 NJW 2004, 2601.

169) S schon die Kritik von Wellspacher, GZ 59 (1908)72.

170) Danach nimmt ¹ein Irrtum bei der UÈ bermittlungder Mitteilung`̀ der erklaÈrenden Partei nicht das Recht,sich auf die Mitteilung zu berufen; ein RuÈ ckgriff auf na-tionale Anfechtungsregeln (§§ 871 ff ABGB, § 120 BGB)kommt nicht in Betracht, da Art 27 UN-Kaufrecht dieSachfrage exklusiv regelt; s nur U. P. Gruber in MuÈ nch-KommBGB III5 (2008) Art 27 CISG Rz 15 mwN; Schlecht-riem/Schroeter in Schlechtriem/Schwenzer, Kommentarzum einheitlichen UN-Kaufrecht5 (2008) Art 27 Rz 12.

171) S dazu C.II.2.172) Im oÈsterr wie im deutschen (s dazu FN 239 f)

Schrifttum ist regelmaÈûig von ¹absichtlicher`̀ Entstel-lung die Rede; dies duÈ rfte aber in aller Regel nicht alsQualifikation des Vorsatzes (im Sinne von Absichtlich-keit, dolus specialis) gemeint sein.

173) Abgedruckt in Harrasowsky, Der Codex Theresia-nus und seine Umarbeitungen III (1884).

174) Abgedruckt in Harrasowsky, Der Codex Theresia-nus und seine Umarbeitungen IV (1886).

Juristische BlaÈ tter 134, 94±111 (2012)DOI 10.1007/s00503-011-0112-zPrinted in Austria

Page 2: Die Zurechnung Dritter nach § 875 ABGB

UÈ bermittlung von Nachrichten175) und sprachendas Problem des ¹nicht getreulich`̀ handelndenBoten ausdruÈ cklich an176). Im Entwurf Martiniund bei der Endredaktion des ABGB finden sich,soweit ersichtlich, hingegen keine expliziten Refe-renzen an dieses Problem177). Die Stammfassungdes ABGB regelte das Institut der Botenschaftnicht naÈher (das Wort ¹Bote`̀ 178) kommt im Geset-zestext bis heute nicht vor).

Zur Mitte des 19. Jahrhunderts hin erhielt dieDiskussion um den UÈ bermittlungsfehler durchdas noch junge Instrument des Telegrafen neuenSchwung. BeruÈ hmt wurde etwa ein Fall vor demLandgericht zu KoÈln aus dem Jahr 1856179):

Am 17. 1. 1856 ging beim Handlungshaus Weiller inFrankfurt am Main eine ¹telegraphische Depesche`̀ ein,in der es von Bank- und Handlungshause Oppenheim inKoÈln zum Verkauf von oÈsterr Credit-Actien und Berba-cher Eisenbahn-Actien beauftragt wurde. Weiller ver-kaufte sofort, teilte dies Oppenheim noch am 17. 1. mitund bat um Zusendung der verkauften Aktien. Aller-dings klaÈrte sich auf, dass Oppenheim in KoÈln einenKaufauftrag zur UÈ bermittlung per Telegrafen aufgegebenhatte; durch ein Versehen des Frankfurter Telegrafistenkam allerdings ein Auftrag zum Verkauf bei Weiller an.Die Aktien waren bereits verkauft und Weiller verlangteErfuÈ llung. Oppenheim erachtete sich durch den Verkaufals nicht gebunden. Weiller musste in weiterer Folgeeinen teuren Deckungskauf vornehmen und verlangtedie Differenz zum VerkaufserloÈs aus dem Titel des Scha-denersatzes. Das Landgericht eroÈrterte den Fall zwar imLichte des Irrtumsrechts, entschied aber, dass es am¹consensus`̀ fehle; zum Schadenersatz verpflichtete esOppenheim, weil er sich fuÈ r ¹ein mehr oder weniger un-genaues und unzuverlaÈssiges Verkehrsmittel`̀ zur UÈ ber-mittlung der ErklaÈrung entschieden hatte.

Dieser Fall heizte eine ± auch unter oÈsterr Betei-ligung gefuÈ hrte180) ± wissenschaftliche Auseinan-

dersetzung zum sogenannten ¹Telegraphenrecht`̀an, deren Schwerpunkte die GuÈ ltigkeit von ErklaÈ-rungen bei UÈ bermittlungsfehlern und die HaftungdafuÈ r bildeten181). Auf dieser Diskussion bautendie Redaktoren des BGB auf182), dessen ± im We-sentlichen183) seit seinem Inkrafttreten unveraÈn-derter ± § 120 wie folgt lautet:

¹Eine WillenserklaÈrung, welche durch die zur UÈ ber-mittlung verwendete Person oder Einrichtung unrichtiguÈ bermittelt worden ist, kann unter der gleichen Voraus-setzung angefochten werden wie nach § 119 eine irrtuÈ m-lich abgegebene WillenserklaÈrung.`̀

Die (auch in der neueren Lehre gutgeheiûene184))Gleichstellung des UÈ bermittlungsfehlers mit demErklaÈrungsirrtum ± der die entstellte ErklaÈrungnicht a priori unwirksam, sondern bloû anfechtbarmacht ± ist also vor dem Hintergrund einer aufbreiter Front gefuÈ hrten wissenschaftlichen Aus-einandersetzung zu sehen185). Diese Gleichstellungmag ± so die Materialien zum BGB ± ¹theoretischanfechtbar sein, liegt aber im Verkehrsinteres-se`̀ 186). Es handelt sich also bei § 120 BGB um eineklare (wenn auch in ihren Details umstrittene187))gesetzgeberische Entscheidung; im Jahr 2001 wur-de sie nachdruÈ cklich bestaÈ tigt188).

In OÈ sterreich findet sich vor der III. TN etwa imKrainz'schen System189) eine Stellungnahme zurFrage, was zu gelten hat, wenn ein ¹Mitteilungsor-gan irrt`̀ (Dolmetscher, Bote, Telegraf):

¹Vom Standpunkt des oÈsterreichischen Rechts ist dierichtige Beantwortung derselben wohl die, daû auch hier,insoweit dem Gegentheile der Irrthum nicht offenbar ausden UmstaÈnden auffallen muûte, ein giltiger Vertrag an-

# Springer-Verlag 2012

2012, Heft 2Februar 95

175) Insb III 2 § XI 63, III 2 § XI 81 ff Codex Theresia-nus; III 1 § 17 f Entwurf Horten.

176) III 2 § XI 84 Codex Theresianus (s FN 371); III 1 § 18Entwurf Horten.

177) Sehr wohl finden sich aber Stellungnahmen zurWiderruflichkeit von einmal auf Reisen geschickten Wil-lenserklaÈrungen; s Ofner, Protokolle II 6 f; s auch nochFN 338.

178) Das aÈ ltere Schrifttum bezeichnet Boten ± im Ge-gensatz zu den ¹juristischen Stellvertretern`̀ ± zum Teilals ¹natuÈ rliche`̀ oder ¹faktische Stellvertreter`̀ (s etwaHasenoÈhrl, Oesterreichisches Obligationenrecht I2 [1892]399 ff; Unger, System II3, 129 ff); s auûerdem FN 194.

179) Landgericht KoÈln 29.7.1856, ¹die Haftpflicht beitelegraphischen Briefen betreffend`̀ , Zeitschrift fuÈ r deut-sches Recht und deutsche Rechtswissenschaft 19 (1859)456 (Reyscher); s auch schon Jhering, Mitwirkung fuÈ rfremde RechtsgeschaÈfte, JherJB 1 (1857) 273 (280 ff); der-selbe, Culpa in contrahendo oder Schadensersatz beinichtigen oder nicht zur Perfection gelangten VertraÈgen,JherJB 4 (1861) 1 (4 ff).

180) Vgl Stubenrauch, Der elektrische Telegraph in pri-vatrechtlicher Beziehung, GZ 12 (1861) 69, 73 (71 [Her-vorhebungen im Original]): ¹Fehlt es ... infolge der irri-gen Telegraphirung an der zu einem Vertrage nothwendi-gen Willenseinigung in Bezug auf die Wesenheit des Ver-trages, z. B. auf die Gattung des abzuschlieûenden Ge-schaÈ ftes, den Gegenstand des ertheilten Auftrages, denPreis der Waare oder die bedungene Leistung, so ist gar

kein Vertrag vorhanden. Dass die UÈ bereinstimmungscheinbar vorliegt, d. h. daû die telegraphische Accepta-tion der ausgefertigten telegraphischen Offerte genauentspricht, hebt die Verschiedenheit des Willens undselbst der WillensaÈuûerung nicht auf`̀ .

181) S nur die Nachweise bei Scherner, Innovation undRecht ± Das Beispiel der EinfuÈ hrung der Telegrafie inDeutschland im 19. Jahrhundert, ZNR 1994, 39 (47 ff).

182) AusfuÈ hrlich dazu Schermaier in Schmoeckel/RuÈ ckert/Zimmermann, HKK-BGB I (2003) §§ 116±124Rz 86 ff mwN.

183) Art 1 Nr 1 des ¹Gesetzes zur Anpassung der Form-vorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriftenan den modernen RechtsgeschaÈftsverkehr`̀ (dBGBl I2001, 1542) ersetzte das Wort ¹Anstalt`̀ ± womit ur-spruÈ nglich insb Post- und Telegrafenanstalten gemeintwaren (BT-Drs 14/4987, 14) ± durch den weiter gefasstenBegriff ¹Einrichtung`̀ .

184) Flume, Allgemeiner Teil II3, 456; Singer in Staudin-ger, BGB (2004) § 120 Rz 1.

185) S nur die Nachweise bei HasenoÈhrl, Obligationen-recht I2, 399 ff; Krainz/Pfaff/Armin Ehrenzweig, SystemI4, 285 f; s ferner FN 181 f.

186) Mugdan, Die gesamten Materialien zum BuÈ rgerli-chen Gesetzbuch fuÈ r das Deutsche Reich I (1899) 464.

187) NaÈher dazu Schermaier, Bestimmung des wesentli-chen Irrtums 626 ff, 690 f.

188) S FN 183.189) Krainz/Pfaff, System des oÈsterreichischen allge-

meinen Privatrechts I2 (1894) 245 f; Krainz/Pfaff/ArminEhrenzweig, System I4, 285 f, 318; s auch Schey, Die Ob-ligationsverhaÈ ltnisse des oÈsterreichischen allgemeinenPrivatrechts I (1907) 506 FN 27.

A. Geroldinger, Die Zurechnung Dritter nach § 875 ABGB

Page 3: Die Zurechnung Dritter nach § 875 ABGB

zunehmen ist, weil es einerseits gleichguÈ ltig ist, ob sichder Contrahent eines Briefes oder eines lebenden Mit-theilungsorganes bedient, und weil es andererseits (arg.§. 876) nur darauf ankommt, daû eine WillenserklaÈrungvorliege, die der andere Theil als eine wahre anzusehenberechtigt ist.`̀

Der UÈ bermittlungsfehler ± jedenfalls der ¹Irr-tum`̀ des UÈ bermittlungsorgans ± wurde hier, eben-so wie 1907 in einer Entscheidung des OGH190), alsIrrtum iSd §§ 871 ff aF eingestuft; allerdings zaÈhltediese Frage ¹zu den allerstreitigsten`̀ 191).

Dieser Ungewissheit wollte der Gesetzgeber mitder III. TN ein Ende setzen192):

¹Nur eine natuÈ rliche, aber doch mitunter angezwei-felte Folge der ErklaÈrungstheorie des a. b. G. B. ist es,daû der Absender einer ErklaÈrung die Gefahr ihrer Ent-stellung durch den UÈ bermittler (Bote, Telegraph) zu tra-gen hat. Diese Regel, die das Deutsch. B. G. B. in einembesonderen § 120 ausspricht, bringt die Einschaltung in§ 871, betreffend den Irrtum uÈ ber den Inhalt der ,dem an-deren zugegangenen ErklaÈrung` genuÈ gend zum Aus-druck.`̀

Der Gesetzgeber der III. TN verstand die in § 120BGB angeordnete Risikoverteilung bei UÈ bermitt-lungsfehlern als ¹natuÈ rliche Folge`̀ der (nach heu-tiger Diktion) Vertrauenstheorie des ABGB undbegnuÈ gte sich daher mit einer knappen Klarstel-lung im Gesetzestext. Damit kann spaÈtestens abder III. TN auch fuÈ r OÈ sterreich zum einen davonausgegangen werden, dass UÈ bermittlungsfehlerzu den IrrtuÈ mern iSd §§ 871 ff zaÈhlen. Zum ande-ren steht auûer Zweifel, dass der Bote nicht unmit-telbar nach den Regeln der Stellvertretung (insb§§ 1016 f) zu behandeln ist. § 875, der schon inder Stammfassung des ABGB den auf einen Drit-ten zuruÈ ckzufuÈhrenden Irrtum zum Gegenstandhatte193), spielte ± soweit ersichtlich ± in der Dis-kussion um den UÈ bermittlungsfehler des Botenkeine Rolle.

2. Stellvertreter versus Bote: Wertungswider-spruch?

Zumindest was die praktische Seite anlangt, naÈ-hert sich die Stellvertretung in einzelnen Berei-chen bestimmten Formen der Botenschaft durch-aus an. Dies trifft im Besonderen auf den Vergleicheines ¹Stellvertreters mit gebundener Marschrou-te`̀ 194) ± dessen bloû intern erteilte Vollmacht so

stark begrenzt ist, dass ihm de facto keinerlei Ent-scheidungsspielraum verbleibt ± mit jenem Botenzu, der die ErklaÈrung des GeschaÈftsherrn durcheigene ErklaÈrungszeichen (insb muÈ ndlich)uÈ bermitteln soll. Obwohl beide Hilfspersonen kei-nen inhaltlichen Spielraum haben und sich ihrfaktisches Agieren bis auf wenige Details deckt(¹Ich kaufe fuÈ r A ...`̀ versus ¹Ich richte aus, Akauft ...`̀ 195)), zeitigen ihre Fehler oder bewusstenVertrauensbruÈ che voÈllig andere Rechtsfolgen:WaÈhrend fuÈ r die Stellvertretung die Zurechnungs-schranke der §§ 1016 f existiert, ist die Entstellungdurch den Boten nur unter den Voraussetzungender §§ 870 ff sanierbar.

Es wird mitunter als Wertungswiderspruch be-zeichnet, dass der Stellvertreter schon bei der ge-ringsten Abweichung von der beschraÈnkten Voll-macht zum falsus procurator wird, waÈhrend derBote trotz des UÈ bermittlungsfehlers zurechenbarbleibt196). Existieren tatsaÈchlich hinreichend GruÈ n-de dafuÈ r, Boten und Stellvertreter grundlegend un-terschiedlich zu behandeln? Diese Frage stellt sichumso dringlicher angesichts der zutreffenden An-sicht197), dass das Auftreten gegenuÈ ber dem Aner-klaÈrten ± und nicht das InnenverhaÈ ltnis zwischenGeschaÈ ftsherrn und Hilfsperson ± daruÈ ber ent-scheidet, ob das Zurechnungsregime fuÈ r Boten oderjenes fuÈ r Stellvertreter zur Anwendung gelangt.

a. Unterschiede zwischen Boten und Stellvertre-tern

Tritt die Hilfsperson als Bote auf, so hat der An-erklaÈrte davon auszugehen, dass sie im Hinblickauf das UÈ bermittelte keinen eigenstaÈndigenrechtsgeschaÈ ftlichen Willen gebildet hat198). AlsErklaÈrungsbote uÈ bermittelt die Hilfsperson eine ±ihr gegenuÈ ber vom GeschaÈftsherrn bereits geaÈu-ûerte (¹formulierte und abgegebene`̀ 199)) ± ErklaÈ-

# Springer-Verlag 2012

2012, Heft 2Februar96

190) OGH 3.7.1907, Nr 7.023 GlUNF 4.861, worin derBegruÈ ndung der Erstgerichts, die sich mit jener imKrainz'schen System (s FN 189) deckt, beigepflichtetwird.

191) S FN 189.192) HHB 135.193) Zum Wortlaut des § 875 aF s bei FN 66; naÈher dazu

bei C.II.4.194) S dazu Bork, Allgemeiner Teil des BuÈ rgerlichen

Gesetzbuchs2 (2006) Rz 1346. Mitunter wird der derartbeschraÈnkte Stellvertreter auch als ¹Vertreter in der Er-klaÈrung`̀ bezeichnet (s dazu Schilken in Staudinger,BGB [2009] Vorbem zu §§ 164 ff Rz 82 ff mwN); dieseWendung stand im aÈ lteren Schrifttum zum Teil fuÈ r den¹Boten, nuntius`̀ (s nur Baron, Pandekten5 [1885] 360).Die Funktion des Betriebsratsvorsitzenden wird ± auchheute ± als ¹Stellvertretung in der ErklaÈrung`̀ bezeich-

net; zum oÈsterr Recht s Neumayr in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG (Loseblatt, Stand 2006) § 67 Rz 5, § 71Rz 3; zum deutschen Recht s Richardi, Betriebsverfas-sungsgesetz12 (2010) § 26 Rz 33 f, 50 ff; jeweils mwN.

195) Vgl P. Bydlinski, BuÈ rgerliches Recht I5 Rz 9/14; Ko-ziol/Welser, BuÈ rgerliches Recht I13, 221.

196) KoÈmuÈ rcuÈ -SpielbuÈ chler, Entscheidungsanmerkungzu OGH 4 Ob 553/87, JBl 1989, 107; vgl auch Welser, Ver-tretung 115 FN 40; Wilhelm, Die Vertretung der Gebiets-koÈrperschaften im Privatrecht (1981) 99 f.

197) Anstelle vieler Rubin in KletecÏka/Schauer, ABGB-ON 1.00 § 1002 Rz 64 mwN; OGH 29.9.1987, 4 Ob 553/87JBl 1989, 107 (KoÈmuÈ rcuÈ -SpielbuÈ chler); aA (zum deut-schen Recht) Hueck, Bote ± Stellvertreter im Willen ±Stellvertreter in der ErklaÈrung, AcP 152 (1952) 432(435 ff).

198) Sehr wohl erklaÈrt der Bote bei der UÈ bernahme derVerpflichtung, die Botschaft zu uÈ bermitteln (s dazuFN 326), einen rechtsgeschaÈftlichen Willen; eine solcheVerpflichtung ist aber nicht zwingende VoraussetzungfuÈ r die Wirksamkeit der BotentaÈ tigkeit (zB geschaÈ ftsun-faÈhiger Bote, bloûe GefaÈ lligkeit); s dazu noch C.IV.1.

199) Zu den Phasen des ErklaÈrungsvorgangs s P. Bydlin-ski, BuÈ rgerliches Recht I5 Rz 4/7; (zum BGB) Bork, Allge-meiner Teil2 Rz 607 ff. Zum Sonderfall der aufschiebendbedingten oder befristeten Botenschaft s C.IV.4.

A. Geroldinger, Die Zurechnung Dritter nach § 875 ABGB

Page 4: Die Zurechnung Dritter nach § 875 ABGB

rung, eine bereits artikulierte rechtsgeschaÈftlicheEntscheidung. Das UÈ bermitteln der Botschaft istkeine eigene WillenserklaÈrung des Boten, sondernSchlussakt der ErklaÈrung eines anderen Rechts-subjekts. Der Bote hat in Bezug darauf, mit wel-chem objektiven ErklaÈrungswert die WillenserklaÈ-rung beim AnerklaÈrten ankommen soll, keinerleiEntscheidungsspielraum; allenfalls die konkreteWortwahl und das Transportmittel stehen ihmzur Disposition200). Die ErklaÈrung kann nun rich-tig ± dh mit deckungsgleichem objektivem ErklaÈ-rungswert ± oder falsch uÈ bermittelt werden. Eige-ne ErklaÈrungszeichen des Boten sind Wissenser-klaÈrungen, die die ErklaÈrung des GeschaÈftsherrnwiderspiegeln sollen. Der Bote muss, wie es Jacobi1911 ausdruÈ ckte, ¹lediglich die Vorstellung erwe-cken wollen, er wolle die ErklaÈrungshandlungdes ErklaÈrenden dem AnerklaÈrten vorfuÈ hren, da-gegen die SchluÈ sse aus diesen Handlungen demAnerklaÈrten uÈ berlassen, er wolle ihm keine Kennt-nis von dem Willen des ErklaÈrenden, noch wenigerVertrauen auf diesen Willen einfloÈûen`̀ 201). Fak-tisch bestehen freilich innerhalb des Kreises jenerHilfspersonen, die heute als Boten gelten, be-traÈchtliche Unterschiede; man vergleiche nur dieTaÈ tigkeit des BrieftraÈgers mit jener des Dolmet-schers oder des die Nachricht muÈ ndlich uÈ berbrin-genden Boten202). Weil es aber letztendlich in alldiesen FaÈ llen um die Bewirkung des Zugangs, dhdie Finalisierung einer fremden WillenserklaÈrung,geht, sind diese TaÈ tigkeiten als Formen der Boten-schaft zu qualifizieren und folglich gleichzube-handeln. Wenn der AnerklaÈrte B den Boten C umweitere Informationen uÈ ber den GeschaÈftsherrnA oder den Inhalt des GeschaÈfts bittet und C Aus-kunft erteilt, so agiert C nicht mehr als bloûerBote, sondern als Verhandlungsgehilfe (mitunterals solcher des B)203).

Beim Stellvertreter steht, zumindest aus rechts-geschaÈftstheoretischer Sicht204), mehr auf demSpiel als beim Boten. Er muss den rechtsgeschaÈft-lichen Willen ± wenngleich mit mehr oder wenigerkonkreten Vorgaben ± erst bilden, mitunter einekomplexe und folgenschwere Entscheidung tref-fen. Die dabei abgegebene WillenserklaÈrung kannnun inner- oder auûerhalb von Vollmachtsgrenzenliegen, wirksam oder unwirksam, irrtumsfrei oder-behaftet, vorteilhaft oder nachteilig, aber nichtrichtig oder falsch sein205). Insofern besteht alsoselbst zwischen dem Boten und dem ¹Vertretermit gebundener Marschroute`̀ ein ± nicht bloû se-mantischer ± Unterschied: Einmal wird eine Wil-lenserklaÈrung, dh ein artikulierter rechtsgeschaÈ ft-

licher Wille, auf Reisen geschickt, das andere Maleine Person, die den rechtsgeschaÈftlichen Willenerst bilden und erklaÈren muss.

Die (im Regelfall vorhandene) Absicht des Bo-ten, die Nachricht des GeschaÈ ftsherrn richtig zuuÈ bermitteln, kann als ¹ErfuÈ llungswille`̀ 206) be-zeichnet werden. Er unterscheidet sich seiner Na-tur nach voÈllig von dem fuÈ r den Vertragsschluss er-forderlichen rechtsgeschaÈ ftlichen Willen. Dem In-halt nach bestehen auch Unterschiede zum ErfuÈ l-lungswillen des beauftragten Stellvertreters: Letz-terer will seinen Auftrag erfuÈ llen, indem er eigen-verantwortlich einen rechtsgeschaÈ ftlichen Willenbildet, ihn artikuliert und damit ein Rechtsge-schaÈft fuÈ r den Machtgeber schlieût. Der Bote er-fuÈ llt, indem er die ErklaÈrung des GeschaÈftsherrnwiedergibt, dessen WillenserklaÈrung zu Endebringt. Damit sind auch die Bezugspunkte des Ver-trauens des AnerklaÈrten andere: Einmal ist es derrechtsgeschaÈ ftliche Wille des Stellvertreters, dasandere Mal die Wiedergabe der ErklaÈrung des ab-wesenden GeschaÈftsherrn.

Der Bote selbst kann, anders als der Stellvertre-ter, bei ErfuÈ llung seiner Aufgabe auch keinem von§§ 870 ff erfassten Irrtum unterliegen. Er muss dieNachricht ebenso wenig verstanden haben oderauch nur verstehen koÈnnen207) wie er sich des Um-standes bewusst sein muss, welche Rechtsfolgensein Handeln herbeifuÈ hrt208). Weder Unwirksam-keit noch Anfechtbarkeit der uÈ berbrachten ErklaÈ-rung folgen aus dem Umstand, dass der AnerklaÈrteentsprechende Defizite beim Boten erkennt; aner-kanntermaûen ist dies dann anders, wenn der An-erklaÈrte mit dem Stellvertreter kontrahiert(§§ 869 ff)209). NatuÈ rlich kann sich auch der Boteversprechen. Dann liegt aber eine Diskrepanz zwi-schen dem rechtsgeschaÈ ftlichen Willen des Ge-schaÈftsherrn und der zugegangenen ErklaÈrungvor; beim Boten fallen bloû der ErfuÈ llungswilleund die ErfuÈ llungshandlung auseinander.

Besonders deutlich zeigt sich der Unterschiedzwischen Boten und Stellvertretern auch bei form-pflichtigen GeschaÈften: Sofern das formpflichtigeGeschaÈ ft der Stellvertretung zugaÈnglich ist, ge-nuÈ gt die Einhaltung der Form durch den Vertreter;demgegenuÈ ber kann der Bote nicht den form-pflichtigen Akt fuÈ r den GeschaÈ ftsherrn setzen210).WaÈhrend die Vollmacht fuÈ r formpflichtige Ge-schaÈfte in der Regel ebenfalls die gebotene Formaufweisen muss211), ist dies fuÈ r die Einsetzung

# Springer-Verlag 2012

2012, Heft 2Februar 97

200) Bork, Allgemeiner Teil2 Rz 1346 ff.201) Jacobi, Rezension von ¹Rosenberg, Stellvertretung

im Prozeû`̀ , KrVJ Schr 49 (1911) 66 (79).202) S auch Fleck, Der Bote (nuntius), ArchBuÈ rgR 15

(1899) 337 (348).203) S noch bei FN 215 ff.204) NatuÈ rlich ist in der Praxis ein Synchrondolmet-

scher mehr gefordert als der Stellvertreter (zB ein erfah-rener Prokurist) bei einem AlltagsgeschaÈ ft.

205) Gschnitzer in Klang, ABGB IV/12, 130.

206) Zu diesem Begriff s nur Stabentheiner in KletecÏka/Schauer, ABGB-ON 1.00 § 1412 Rz 3; Reischauer in Rum-mel, ABGB II/33 (2002) § 1412 Rz 2.

207) Unger, System II3, 130 f.208) S dazu noch C.IV.1.209) S nur Geroldinger, Der Irrtum des Kommittenten,

in Aichberger-Beig et al, Vertrauen und Kontrolle im Pri-vatrecht (2011) 243 (260); Pletzer in KletecÏka/Schauer,ABGB-ON 1.00 § 871 Rz 5; jeweils mwN.

210) S nur Bork, Allgemeiner Teil2 Rz 1358; Schilken inStaudinger, BGB (2009) Vorbem zu §§ 164 ff Rz 78 mwN.

211) S nur Koziol/Welser, BuÈ rgerliches Recht I13, 205.

A. Geroldinger, Die Zurechnung Dritter nach § 875 ABGB

Page 5: Die Zurechnung Dritter nach § 875 ABGB

des Boten, der beispielsweise eine schriftliche Er-klaÈrung uÈ bermitteln soll, nicht erforderlich.

Die Stellvertretung ist auûerdem ein varianten-reiches Feld, wobei sich der Vergleich mit be-stimmten Arten von Boten allenfalls bei einer klei-nen Zahl von Subkategorien aufdraÈngt. Wenn alsoin bestimmten FaÈ llen wenig faktische Unterschie-de existieren, so ist damit die SelbststaÈndigkeit derBotenschaft nicht per se infrage gestellt. Die Rege-lungen des § 120 BGB und des § 871 sind schlieû-lich vor dem Hintergrund eines langen Diskurseszu sehen, in dem es an BegruÈ ndungsversuchenfuÈ r eine weitgehende Gleichstellung von Boten-schaft und Stellvertretung nicht gemangelthat212). Der deutsche Gesetzgeber ging aber ganzeindeutig von zwei zu trennenden Institutenaus213), was sich im Gesetz (§ 120 und §§ 164 ffBGB) ua durch die unterschiedliche Behandlungvon Planwidrigkeiten niedergeschlagen hat. Diesefindet sich ± wenngleich etwas weniger deutlich ±auch im ABGB214). Das Bild des Gesetzes vom Bo-ten ist dabei, wie die Materialien zum BGB undder HHB belegen, das eines bloûen Mitteilungsor-gans215); von der Lehre wird der Bote als ¹Werk-zeug`̀ 216), ¹Sprachrohr`̀ 217) oder ¹einem lebendenBrief`̀ vergleichbar218) bezeichnet; besonders plas-tisch meinte Jhering219), statt des Boten koÈnneauch ein ¹abgerichteter Papagei`̀ entsendet wer-den. Fleck220) plaÈdiert daher mE zu Recht dafuÈ r,den Begriff des Boten eng zu fassen ± also nur dannvon einem Boten zu sprechen, wenn die Hilfsper-son als reines Sprachrohr agiert ± und im Zweifelnicht von einer Botenschaft, sondern von Stellver-tretung auszugehen.

b. Schutz des Verkehrs und des AnerklaÈrten

Wie die Materialen zum BGB belegen, wurde derUÈ bermittlungsfehler auch deshalb dem ErklaÈ-rungsirrtum zugewiesen, weil dies ¹im Verkehrsin-teresse`̀ 221) liegt. § 120 BGB ist somit ± wie § 871(jedenfalls idF der III. TN) und wie § 875222) ± aucheine Bestimmung zum Schutze des Verkehrs. WaÈreein Vertrauen auf die Nachricht des Boten nurnach einer detaillierten NachpruÈ fung beim ErklaÈ-renden moÈglich, wuÈ rde das aus der Praxis nichtwegdenkbare Instrument der Botenschaft schlieû-lich betraÈchtlich entwertet223). Aufgrund der Zu-weisung zum Irrtumsrecht reduziert sich das Risi-ko des sorgfaÈltigen AnerklaÈrten zumindest auf das¹Ob`̀ der Einsetzung. Darauf kann er sich einrich-ten. Diese gesetzgeberische Wertung laÈsst sichauch damit rechtfertigten, dass die Botenschaft(aus dem Blickwinkel der RechtsgeschaÈ ftslehre224))als relativ einfache TaÈtigkeit erscheint: Die Wil-lensbildung ist abgeschlossen, es muss nur nochdie ErklaÈrung transportiert, allenfalls wiedergege-ben werden. Von einfachen TaÈtigkeiten laÈsst sichauch eher annehmen, dass sie fehlerfrei durchge-fuÈ hrt werden. Damit liegt die Wahrscheinlichkeiteiner korrekten UÈ bermittlung deutlich hoÈher alsdie von UÈ bermittlungsfehlern.

Regelungen, die ErfahrungssaÈ tze zum Schutzdes Verkehrs kodifizieren, finden sich wiederholt.Im Bereich der Stellvertretung beispielsweisenimmt der Gesetzgeber dem AnerklaÈrten durchverschiedene TatbestaÈnde die Sorge um das ¹Ob`̀der Einsetzung des Stellvertreters bzw um denUmfang von dessen Vertretungsmacht ab.

Ein besonders markantes Beispiel dafuÈ r ist§ 1029 Abs 2 (vgl schon Art 8 Nr 9 der 4. EVHGB),eine aus § 370 BGB uÈ bernommene Zurechnungqua Rechtsschein:

¹Der UÈ berbringer einer Quittung gilt als ermaÈchtigt,die Leistung zu empfangen, sofern nicht dem Leistendenbekannte UmstaÈnde der Annahme einer solchen ErmaÈch-tigung entgegenstehen.`̀

Die tatsaÈchliche ErmaÈchtigung des UÈ berbrin-gers dazu, die Quittung zu praÈsentieren und dieLeistung einzuheben, ist nicht entscheidend225).Ist die Quittung echt (dh vom GlaÈubiger ausge-stellt), kommt es selbst dann zur schuldbefreien-den Leistung an den UÈ berbringer ± und damit

# Springer-Verlag 2012

982012, Heft 2

Februar

212) S beispielsweise Mitteis, Die Lehre von der Stell-vertretung nach roÈmischem Recht mit BeruÈ cksichtigungdes oÈsterreichischen Rechts (1885) 131: ¹Uns erscheintder Bote ... nur als eine besondere Species des allgemei-neren Genus ,Vertreter in RechtsgeschaÈ ften`. Sie stehtden uÈ brigen Unterarten dieses Genus voÈllig gleich, undhat vor anderen VertretungsfaÈ llen nur das Charakteristi-sche voraus, daû bei ihr der Wille des Vertreters in Bezie-hung auf den Inhalt des RechtsgeschaÈ fts auf Null redu-cirt ist und diese Willenslosigkeit sich auch aÈuûerlichbeim Abschluss des RechtsgeschaÈ fts kenntlich macht. ...Generisch bleibt der Bote Stellvertreter, ...`̀ ; krit dazuetwa Fleck, ArchBuÈ rgR 15 (1899) 340 f; s auch Hueck,AcP 152 (1952) 432 (433).

213) S nur Mugdan, Materialien I 464, 475 f.214) S auch FN 175 f, 189 f und 326.215) HHB 134; Mugdan, Materialien I 464, 475 f.216) Jacobi, KrVJ Schr 49 (1911) 78 (¹Sprachwerk-

zeug`̀ ); Singer in Staudinger, BGB (2004) § 120 Rz 1; Un-ger, System II3, 130 f; Leptien in Soergel, BGB II13 (1999)Vor § 164 Rz 42, der aber darauf hinweist, dass die TaÈ tig-keit nicht ¹allzu mechanisch`̀ verstanden werden darf.

217) Jacobi, KrVJ Schr 49 (1911) 78; Jhering, JherJB 1(1857) 279.

218) Unger, System II3, 131 FN 9; s auch Fleck, Arch-BuÈ rgR 15 (1899) 348 (¹redender Brief`̀ ).

219) JherJB 1 (1857) 282.220) ArchBuÈ rgR 15 (1899) 396; so auch Schey, Obliga-

tionsverhaÈ ltnisse I 506 FN 24.

221) Mugdan, Materialien I 464.222) Zur Bedeutung des § 875 in diesem Kontext s

C.II.4.; zur Verkehrsschutzfunktion des § 875 s FN 123.223) Vgl Welser, Vertretung 114: ¹Soll der geschaÈ ftliche

Verkehr durch die Einrichtung der Botenschaft erleich-tert werden, so ist zu verhindern, daû der Adressat ge-zwungen ist, die Nachricht uÈ berhaupt zuruÈ ckzuweisenoder die Boteneigenschaft in umstaÈndlicher Weise zu un-tersuchen`̀ . Als Ausweg bietet Welser die Haftung desBoten aus cic an.

224) S FN 204.225) Perner in KletecÏka/Schauer, ABGB-ON 1.00 § 1029

Rz 16. Ob es sich bei den sogenannten ¹Empfangsvoll-machten`̀ (stets) um Stellvertretung im eigentlichenSinne handelt, kann fuÈ r die Zwecke dieses Beitrags da-hingestellt bleiben.

A. Geroldinger, Die Zurechnung Dritter nach § 875 ABGB

Page 6: Die Zurechnung Dritter nach § 875 ABGB

zur Zurechnung ±, wenn dem GlaÈubiger die Quit-tung abhandengekommen ist oder gar gestohlenwurde226). Nur die Kenntnis, nicht aber die fahr-laÈ ssige Unkenntnis des Schuldners von UmstaÈn-den, die der Annahme einer solchen ErmaÈchtigungentgegenstehen, schadet227). Wer eine Quittungausstellt, riskiert also eine schuldbefreiende Leis-tung an den Nichtberechtigten; uÈ ber das ¹Ob`̀der Berechtigung des unmittelbaren GegenuÈ bersmuss sich der Schuldner keine Sorgen machen,nur uÈ ber den Ursprung der Quittung. Diese Be-stimmung ist doch wohl nur vor dem HintergrundverstaÈndlich, dass die tatsaÈchliche ErmaÈchtigungzur Entgegennahme von Leistungen bei UÈ berbrin-gern von Quittungen viel oÈfter gegeben ist alsnicht228). Andernfalls waÈre diese Bestimmung ±wie es Wilhelm fuÈ r § 1029 Abs 1 S 2 formulierthat ± ¹ganz lebensfremd`̀ 229).

Hinsichtlich des Umfangs der ErmaÈchtigung giltVergleichbares fuÈ r die Verwaltervollmacht (§ 1029Abs 1 S 2). Wurde einer Hilfsperson eine Verwal-tung anvertraut, sind nicht kundgemachte Be-schraÈnkungen des gewoÈhnlichen Umfangs230) vonBefugnissen gegenuÈ ber Dritten nicht wirksam231).Auch diese Regelung erklaÈrt sich also ± wie schondas Abstellen auf den gewoÈhnlichen Vollmachts-umfang zeigt ± letzten Endes aus der Lebenserfah-rung232).

Genauso hat sich mE der Gesetzgeber ± im Be-wusstsein der Unterschiede und Gemeinsamkeitenvon Botenschaft und Stellvertretung ± dazu ent-schieden, das UÈ bermittlungsrisiko bei einem ein-mal eingesetzten Boten dem ErklaÈrenden zu uÈ ber-antworten. Die tatsaÈchliche Einsetzung des Botenist daher ± so wie die Betrauung mit der Verwal-tung oder die Echtheit der Quittung (§ 1029) ±die entscheidende Zurechnungsschranke233); wei-

tere Grenzen fuÈ r die Zurechnung folgen aus§§ 870, 871 und ± wie noch zu zeigen ist ± 875.

c. ¹Botenmacht``

Im deutschen Schrifttum findet sich vielfach derBegriff ¹Botenmacht`̀ , die der Vertretungsmachtdes Stellvertreters entspreche234). Dieser Begriffsoll auch hier uÈ bernommen werden235), allerdingsnicht ohne ergaÈnzende Anmerkung:

Bei Boten- und Vertretungsmacht bestehendurchaus Gemeinsamkeiten: In beiden FaÈ llen gehtes um Zurechnung im rechtsgeschaÈ ftlichen Kon-text. Auch das bei der Stellvertretung moÈglicheAuseinanderklaffen von ¹KoÈnnen`̀ und ¹DuÈ rfen`̀findet sich beim Boten: Er hat zwar per definitio-nem inhaltlich keinerlei Spielraum; sein Verhaltenwird dem GeschaÈftsherrn aber nicht nur bei kor-rekter UÈ bermittlung, sondern kraft gesetzlicherAnordnung auch bei Fehlern zugerechnet; damit¹kann`̀ der Bote den GeschaÈftsherrn verpflichten,obwohl er natuÈ rlich nur richtig uÈ bermitteln¹darf`̀ . Bei der Botenmacht ist freilich, anders alsbei der Vollmacht236), das Auseinanderfallen vonKoÈnnen und DuÈ rfen trotz rein interner Bestellungtypisch. Botenmacht darf auch nicht dahin gehendmissverstanden werden, dass es (primaÈr) um be-wusstes rechtsgeschaÈftliches Verpflichten geht;der Bote muss schlieûlich keinerlei Vorstellung da-von haben, was er uÈ bermittelt. Mit dem Wort ¹Bo-tenmacht`̀ lassen sich aber praÈgnant alle FaÈ lle um-schreiben, in denen das Verhalten des Boten demGeschaÈ ftsherrn zugerechnet wird.

d. Conclusio

Nur dann, wenn man unverbruÈchlich daran fest-haÈ lt, dass dem Boten lediglich die Rolle einesUÈ bermittlungsinstruments zukommt, ist es zumeinen moÈglich, die Grenze zwischen Botenschaftund Stellvertretung (einigermaûen zuverlaÈssig) zufixieren, und zum anderen nachvollziehbar, wa-rum das Gesetz die Rechtsfolgen von Planwidrig-keiten unterschiedlich gestaltet237). Insb die Re-daktionsgeschichte des § 871 laÈsst mE keinenZweifel daran, dass auch das ABGB den Botenals bloûen Teil einer fremden WillenserklaÈrungversteht. Jedenfalls auf Basis des geltenden Rechtsist daher an der Differenzierung zwischen Botenund Stellvertretern nicht zu ruÈ tteln. Von einer un-sachlichen Ungleichbehandlung, die einen inter-pretativen Eingriff erfordert, oder von einer unzu-reichend positivierten und daher ignorierbarenUnterscheidung kann mE nicht die Rede sein. Da-her sind nun die Grenzen der Zurechnung des Bo-ten naÈher zu behandeln.

2012, Heft 2Februar 99

# Springer-Verlag 2012

226) P. Bydlinski in KBB3 § 1029 Rz 14; zu § 370 BGB snur Wenzel in MuÈ nchKommBGB II5 (2007) § 370 Rz 4mwN.

227) Schuhmacher in Straube, HGB3 (2003) Art 8 Nr 9EVHGB Rz 3 f.

228) Vgl Wenzel in MuÈ nchKommBGB II5 § 370 Rz 4mwN: ¹Der Schuldner darf sich darauf verlassen, dassder UÈ berbringer der Quittung zum Empfang der Leis-tung ermaÈchtigt ist`̀ .

229) Wilhelm, Vertretung 99 f.230) Im Hinblick auf die GewoÈhnlichkeit ist kein allzu

strenger Maûstab anzulegen; s nur Perner in KletecÏka/Schauer, ABGB-ON 1.00 § 1029 Rz 4 mwN; Strasser/Ja-bornegg in Jabornegg/Artmann, UGB I2 (2010) §§ 54 fRz 30.

231) Stanzl in Klang, ABGB IV/12, 882; Strasser/Jabor-negg in Jabornegg/Artmann, UGB I2 §§ 54 f Rz 28.

232) Vgl Wilhelm, Vertretung 99 f (zu § 1029 Abs 1 S 2):¹Die ratio dieser Schutzbestimmung ist eben die voÈlligeUnmoÈglichkeit der Erkenntnis der wirklich gewolltenZurechnungskriterien und der Umstand, daû bei Vorlie-gen des objektiv-gegenstaÈndlichen Erscheinungsbildeseiner (sei es auch letztlich unbestimmten) Vollmacht derVerkehr das GeschaÈ ft ,riskiert`; das uÈ brigens nicht ohneGrund, weil die MoÈglichkeit, daû die Vertretung vomGrundverhaÈ ltnis gedeckt ist, immerhin eine groÈûereWahrscheinlichkeit fuÈ r sich hat als ihr Gegenteil`̀ .

233) S C.II.4.

234) S nur Schramm in MuÈ nchKommBGB I/16 Vorbemzu §§ 164 ff Rz 51 ff.

235) Die oÈsterr Rsp (s FN 323) verwendet ± offenbar fuÈ rdas InnenverhaÈ ltnis ± gelegentlich den Begriff der¹BotenermaÈchtigung`̀ .

236) S nur P. Bydlinski, BuÈ rgerliches Recht I5 Rz 9/62;Riedler, Zivilrecht I5 Rz 26/41.

237) Vgl schon Fleck, ArchBuÈ rgR 15 (1899) 348.

A. Geroldinger, Die Zurechnung Dritter nach § 875 ABGB

Page 7: Die Zurechnung Dritter nach § 875 ABGB

II. Dolus als Zurechnungsschranke?

In diesem Kapitel soll es zunaÈchst ausschlieûlichum jenen Fall gehen, in dem ein intern tatsaÈchlicheingesetzter ErklaÈrungsbote238) die Nachricht vor-saÈ tzlich entstellt. Auf die ± oftmals als Parallel-problem gesehenen ± FaÈ lle der fehlenden Einset-zung ist spaÈ ter einzugehen (s C.III.).

1. § 120 BGB bei vorsaÈ tzlicher Entstellung?

Da § 120 BGB vor der III. TN in Kraft trat undsich der oÈsterr Gesetzgeber darauf bezog, sei kurzauf den Meinungsstand in Deutschland eingegan-gen:

§ 120 BGB erfasst dem Wortlaut nach nicht nurdie versehentliche, sondern auch die vorsaÈ tzlicheEntstellung einer Nachricht. Speziell die Behand-lung des letzteren Falls ist in Deutschland bisheute umstritten. WaÈhrend das als hA bezeichneteLager die vorsaÈ tzlich entstellte Botschaft nicht zu-rechnen und nur die §§ 177 ff BGB (Vertretungohne Vertretungsmacht) analog anwenden will239),gelangt die ± zumindest in der Lehre im Vordrin-gen befindliche ± Gegenansicht zu einer Bindungdes GeschaÈftsherrn, die eine Anfechtung erforder-lich macht240).

Hier sollen nicht alle Argumente pro und contradie eine oder die andere LoÈsung wiedergeben wer-den. Marburger241) hat sie fuÈ r Deutschland bereits1973 ausfuÈ hrlich diskutiert; darauf und auf neuereStellungnahmen zu § 120 BGB242) kann verwiesenwerden. Einige der wichtigsten und am haÈufigstenwiederkehrenden Argumente gegen die Zurech-nung des dolosen Boten seien aber, weil sie auchzum oÈsterr Recht denkbar sind, erwaÈhnt: Vielfachwird vertreten, die Regelung uÈ ber den UÈ bermitt-lungsfehler sei bei vorsaÈ tzlicher Entstellung nichteinschlaÈgig, weil die abgegebene ErklaÈrung nichtzugegangen, die zugegangene nicht abgegeben

sei243). Wie schon Marburger244) zutreffend hervor-gehoben hat, traÈgt aber jede Entstellung ± mit oderohne Vorsatz ± die Handschrift des Boten. Eineentstellte Botschaft ist nie jene des GeschaÈ fts-herrn, das Entstellungsrisiko muÈ sste daher stetsden AnerklaÈrten treffen; dagegen hat sich der Ge-setzgeber aber ganz eindeutig ausgesprochen.Auch dem Argument, wegen der Einbettung desUÈ bermittlungsfehlers in das Irrtumsrecht koÈnntennur unbewusste Entstellungen zugerechnet wer-den, ist mit Marburger entgegenzutreten: Schlieû-lich kommt es nicht auf den Willen des Boten, son-dern allein auf jenen des GeschaÈ ftsherrn an. Ausseiner Warte ist der UÈ bermittlungsfehler sehr wohleine unbewusste Entstellung245). Weder fuÈ r den Er-klaÈrenden noch fuÈ r den EmpfaÈnger besteht ein we-sentlicher Unterschied zwischen der bewusstenund der unbewussten FalschuÈ bermittlung durchden ErklaÈrungsboten246); fuÈ r beide ist das letztend-lich ErklaÈrte maûgebend. Das ± ohnehin247) aufduÈ nnen Beinen stehende ± Argument der Unter-brechung des ¹Kausalzusammenhangs durch denVorsatz`̀ erscheint insb bei geringfuÈ gigen (wennauch vorsaÈ tzlichen) Entstellungen sachlich wenigbelastbar248).

Von besonderem Interesse erscheint mir die Stel-lungnahme des deutschen Gesetzgebers anlaÈsslichdes Formanpassungsgesetzes im Jahr 2001249):

¹Die MoÈglichkeit zur Anfechtung gemaÈû § 120 setzt le-diglich voraus, dass die WillenserklaÈrung unrichtig uÈ ber-mittelt worden ist, d. h. die WillenserklaÈrung erreichtden Machtbereich des EmpfaÈngers nicht in der ihr vomErklaÈrenden gegebenen Gestalt. Eine Unterscheidungnach dem Grund fuÈ r die Unrichtigkeit bei der UÈ bermitt-lung ± denkbar sind u. a. Irrtum, technischer Defekt, Ein-griff Dritter, z. B. eines sog. Hackers ± sieht die Vorschriftnicht vor. Aus diesem Grund ist auch der Fall einer un-richtigen telekommunikativen UÈ bermittlung durch dasUÈ bertragungsmedium, der darauf beruht, dass ein Drit-ter von auûen in DatenstroÈme eingegriffen hat, vom An-wendungsbereich der Vorschrift umfasst.

Der ErklaÈrende muss, wenn er sein Recht zur Anfech-tung geltend machen will, daher lediglich beweisen, dassdie WillenserklaÈrung beim Transport (zwischen Abgabeund Eingang im Machtbereich des EmpfaÈngers) veraÈn-dert und damit verfaÈ lscht worden ist. Worauf diese Ver-faÈ lschung beruht, ist grundsaÈ tzlich unerheblich, duÈ rfteim UÈ brigen auch kaum nachweisbar sein.`̀

Diese Stellungnahme laÈsst sich mE ± wenngleichder dolose Bote nicht explizit angesprochen wird ±als Indiz dafuÈ r werten, dass der deutsche Gesetz-geber die vorsaÈ tzliche Entstellung nach § 120BGB behandeln will. Dass dies jedenfalls bei In-krafttreten der Stammfassung zutraf, haben etwa

# Springer-Verlag 2012

1002012, Heft 2

Februar

238) Zum Empfangsboten s FN 167.239) So etwa Flume, Allgemeiner Teil II3, 456; Hueck,

AcP 152 (1952) 442; Jauernig in Jauernig, BGB13 (2009)§ 120 Rz 4; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil9 § 36 Rz 18,§ 46 Rz 78; BGH 19.11.1962, VIII ZR 229/61 bbl 1963,204 (zum Dolmetscher); OLG DuÈ sseldorf 24.6.2008, I-24U 175/07.

240) So etwa ArmbruÈ ster in MuÈ nchKommBGB I/16

§ 120 Rz 4; Bork, Allgemeiner Teil2 Rz 1361; Kramer inMuÈ nchKommBGB I/15 § 120 Rz 4; Lobinger, Rechtsge-schaÈ ftliche Verpflichtung und autonome Bindung (1999)232 ff; Mankowski, Beseitigungsrechte 409 ff; Marburger,Absichtliche FalschuÈ bermittlung und Zurechnung vonWillenserklaÈrungen, AcP 173 (1973) 137 (155); Medicus,Allgemeiner Teil10 Rz 748; Planck/Flad in Strohal,Planck's Kommentar zum BuÈ rgerlichen Gesetzbuch I4

(1913) 292 f; Schermaier in Schmoeckel/RuÈ ckert/Zim-mermann, HKK-BGB I §§ 116±124 Rz 88 f; Singer inStaudinger, BGB (2004) § 120 Rz 3.

241) AcP 173 (1973) 137 (passim).242) S nur Mankowski, Beseitigungsrechte 409 ff; Sin-

ger in Staudinger, BGB (2004) § 120 Rz 1 ff mwN; Wendt-land in Bamberger/Roth, BeckOK BGB (Stand 1.11.2011)§ 120 Rz 1 ff; jeweils mwN.

243) In diesem Sinne Hefermehl in Soergel, BGB II13

(1999) § 120 Rz 4. Mankowski (Beseitigungsrechte 410)bezeichnet diese weitverbreitete Formulierung als ¹amuÈ -santes Bonmot`̀ .

244) AcP 173 (1973) 144.245) Marburger, AcP 173 (1973) 145 f.246) ArmbruÈ ster in MuÈ nchKommBGB I/16 § 120 Rz 4.247) Zur schadenersatzrechtlichen Diskussion s nur

Reischauer in Rummel, ABGB II/2a3 (2007) § 1295 Rz 18 ff.248) Marburger, AcP 173 (1973) 146; s auch C.II.5.249) BT-Drs 14/4987, 14.

A. Geroldinger, Die Zurechnung Dritter nach § 875 ABGB

Page 8: Die Zurechnung Dritter nach § 875 ABGB

Fleck (1899) und Schermaier (2003) historischnachgewiesen250).

2. Die ¹herrschende`` Ansicht in OÈ sterreich

Die vorsaÈ tzliche Entstellung laÈsst sich auch imWortlaut des § 871 Abs 1 gF unterbringen. Dieheute in OÈ sterreich als herrschend geltende An-sicht lehnt aber in diesen FaÈ llen die Zurechnungder ErklaÈrung zum GeschaÈ ftsherrn ab251). Die aus-fuÈ hrlichste BegruÈ ndung in den aktuellen oÈsterrKommentaren dafuÈ r lautet, bei anderer Beurtei-lung wuÈ rden ¹die Interessen des GeschaÈftsherrnzu stark beeintraÈchtigt bzw durch eine erweiterteIrrtumsanfechtung gegen Ersatz des Vertrauens-schadens das Konzept des § 871 durchbrochen`̀ 252).

Die Adelung dieser Auffassung mit dem PraÈdi-kat ¹fuÈ r OÈ sterreich herrschend`̀ erfolgte freilich,soweit nachvollziehbar, unter eher fragwuÈ rdigenUmstaÈnden. Zwar haben sie schon Armin Ehren-zweig (vor der III. TN, 1913) und R. Mayr (1923)vertreten253). Pisko (1934)254), Armin (nach der III.

TN, 1925) und Adolf Ehrenzweig (1951)255),Gschnitzer (1968)256) sowie Feil (1977)257) standenjedoch auf dem Standpunkt, dass sich der ErklaÈ-rende die vorsaÈ tzlich entstellte ErklaÈrung zurech-nen lassen muss.

Koziol und Welser bezeichnen die gegenteiligeAnsicht freilich schon in der ersten Auflage ihresGrundrisses (1970) ± ohne Nachweis und ohne Be-gruÈ ndung ± als herrschend258). Welser259) bietet inseiner im selben Jahr erschienenen Habilitations-schrift, in der er neuerlich von der hA spricht, zu-mindest Nachweise zum deutschen Meinungsstandan ± konkret Flume und Coing ±, geht aber auf denFall der vorsaÈ tzlichen Entstellung nicht naÈher ein.In der ersten Auflage des Rummel-Kommentarsbilden den Kern der BegruÈ ndung Verweise aufWelsers Habilitationsschrift und die inzwischenfuÈ nfte Auflage des Grundrisses von Koziol/Welser,in der sich nun auch zwei Nachweise aus demdeutschen Schrifttum (Flume und Nipperdey) fan-den260). Die aktuelle Auflage des Koziol/Welser261)verweist wiederum auf Rummel als eine von zweiLiteraturstimmen. Soweit rekonstruierbar, hatsich diese Auffassung in OÈ sterreich also ohnenachvollziehbare Auseinandersetzung mit inhalt-lichen Fragen und den fuÈ r das oÈsterr Recht gelten-den Besonderheiten zur herrschenden aufge-schwungen.

3. Vergleichbarkeit der oÈsterreichischen mit derdeutschen Rechtslage?

Die deutsche Rechtslage weicht zumindest ineinem fuÈ r die hier interessierende Fragestellungzentralen Punkt von der oÈsterr ab. § 122 (iVm§ 119) BGB ermoÈglicht die Anfechtung aufgrundeines Irrtums generell gegen Ersatz des negativenInteresses, ohne dass es ± als Anfechtungsvoraus-setzungen ± auf § 871 bzw § 875 vergleichbare Ge-sichtspunkte ankaÈme262). Folgt man also der An-

# Springer-Verlag 2012

2012, Heft 2Februar 101

250) Fleck, ArchBuÈ rgR 15 (1899) 395 f; Schermaier inSchmoeckel/RuÈ ckert/Zimmermann, HKK-BGB I §§ 116±124 Rz 88; in diesem Sinne auch Lobinger, Rechtsge-schaÈ ftliche Verpflichtung 235 FN 447.

251) Apathy in Schwimann, ABGB IV3 § 1002 Rz 7; Popp,Vertrauenshaftung wegen fehlender Zurechenbarkeit derAuskunft eines Dritten im rechtsgeschaÈftlichen Verkehr,OÈ BA 2004, 111 (117); Riedler, Zivilrecht I5 Rz 28/20; Rum-mel in Rummel, ABGB I3 § 871 Rz 5; Wiebe in KletecÏka/Schauer, ABGB-ON 1.00 § 862a Rz 10; (wohl) bloû aufdie hA verweisend Koziol/Welser, BuÈ rgerliches Recht I13,221; Perner/Spitzer/Kodek, BuÈ rgerliches Recht2, 133;Pletzer in KletecÏka/Schauer, ABGB-ON 1.00 § 871 Rz 13;Rubin in KletecÏka/Schauer, ABGB-ON 1.00 § 1002 Rz 59;krit P. Bydlinski, Entscheidungsanmerkung zu OGH 7 Ob546/93, OÈ BA 1993, 908 (913 FN 10); derselbe, BuÈ rgerlichesRecht I5 Rz 9/13; aA Gschnitzer, Allgemeiner Teil2, 772; vgljuÈ ngst OGH 6.7.2011, 7 Ob 14/11a, worin die ¹wahrheits-widrige`̀ Wiedergabe der ErklaÈrung wohl vorsaÈ tzlich er-folgte, der OGH die ErklaÈrung aber (ohne auf die Fragedes Vorsatzes einzugehen) zurechnete; s ferner die Nach-weise in den FN 254±257.

252) Apathy in Schwimann, ABGB IV3 § 1002 Rz 7.253) Krainz/Pfaff/Armin Ehrenzweig, System des oÈster-

reichischen allgemeinen Privatrechts I5 (1913) 270 (in derVorauflage [s FN 189] wurde die vorsaÈ tzliche VerfaÈ l-schung noch nicht explizit angesprochen); R. Mayr, Lehr-buch des buÈ rgerlichen Rechtes I (1923) 214 FN 28. BeideAutoren beziehen sich dabei auf OGH 3.3.1904, Nr 18.488GlUNF 2.628; dieser Fall betraf allerdings ein BuÈ rg-schaftsformular, das nach der Unterschrift durch dieBuÈ rgen vom Hauptschuldner, bevor er die ErklaÈrungder Bank uÈ bergab, um eine Null ergaÈnzt wurde, sodassdie BuÈ rgen nun statt fuÈ r 700,± Kronen (oÈKr) fuÈ roÈKr 7.000,± einstehen sollten. Der OGH beschraÈnkte dieHaftung der BuÈ rgen auf oÈKr 700,± und berief sich dabeiauf ¹§ 1346, respektive § 869 ABGB`̀ . Dieser Fall ist frei-lich nicht nur ein Problem des UÈ bermittlungsfehlers,sondern auch ± im Lichte der BegruÈ ndung des OGH:vor allem ± des Formerfordernisses nach § 1346 Abs 2;die BuÈ rgschaftserklaÈrung uÈ ber oÈKr 7.000,± war (jeden-falls im Ausmaû von oÈKr 6.300,±) nicht von der Unter-schrift der BuÈ rgen gedeckt. Das VerhaÈ ltnis von (zwingen-den) Formvorschriften und (durch Dritte veranlassten)ErklaÈrungsirrtuÈ mern kann hier nicht untersucht werden.

254) In Klang, ABGB II/21, 144.

255) System des oÈsterreichischen allgemeinen Privat-rechts I/11 (1925) 222 bzw I/12 (1951) 237.

256) In Klang, ABGB IV/12, 120.257) ABGB V (1977) 70.258) Koziol/Welser, BuÈ rgerliches Recht I1 (1970) 82.259) Vertretung 112 FN 19.260) Rummel in Rummel, ABGB I1 (1983) § 871 Rz 5.261) BuÈ rgerliches Recht I13, 221.262) Bei der List eines Dritten finden sich in § 123 Abs 2

BGB einerseits und § 875 andererseits durchaus Paralle-len (wobei das Anfechtungsrecht durch erstere Norm ein-geschraÈnkt, durch letztere hingegen erst gewaÈhrt wird).Der hier vertretene Standpunkt, dass es sich beim ErklaÈ-rungsboten um einen Dritten iSd § 875 handelt (s C.II.4.),laÈ sst sich aber aufgrund der verba legalia (arg: ¹zur Ab-gabe ... bestimmt`̀ in § 123 Abs 1 BGB; s dazu nur Arm-bruÈ ster in MuÈ nchKommBGB I/16 § 123 Rz 20 ff) und auf-grund des § 120 BGB, worin der Bote explizit angespro-chen wird (arg: ¹zur UÈ bermittlung verwendete Person`̀ ),schwerlich auf § 123 BGB uÈ bertragen. Eine Zusammen-schau der §§ 120 und 123 BGB (zu § 871 Abs 1 und§ 875 vgl C.II.5.) koÈnnte aber wohl auch in der deutschenDiskussion als weiteres Argument fuÈ r die Zurechnungdes dolosen Boten dienen (s dazu die Nachweise inFN 239 f).

A. Geroldinger, Die Zurechnung Dritter nach § 875 ABGB

Page 9: Die Zurechnung Dritter nach § 875 ABGB

sicht, dass es trotz vorsaÈ tzlicher Entstellung zueinem Vertrag kommt263), so kann ihn der ErklaÈ-rende anfechten und sich bezuÈ glich des allenfallszu ersetzenden negativen Interesses beim Boten re-gressieren. Der ErklaÈrende entgeht also einer ver-traglichen Bindung. Steht man auf dem gegenteili-gen Standpunkt264), so muss sich der ErklaÈrungs-empfaÈnger ± der von einer korrekten UÈ bermittlungausgegangen ist ± seinen Vertrauensschaden vomBoten und/oder vom ErklaÈrenden ersetzen las-sen265). Sofern die Anfechtung ¹unverzuÈ glich`̀(§ 121 BGB) ausgeuÈ bt wird, fuÈ hren die unter-schiedlichen Standpunkte zu § 120 BGB im We-sentlichen also dazu, dass sich die Risiken einerschwierigen Beweislage266) und der Insolvenz desBoten verlagern.

Im oÈsterr Recht ist die Bindung an die ErklaÈrungdeutlich staÈrker ausgepraÈgt. Nur unter den Vor-aussetzungen der §§ 870, 871 und 875 entkommtder Irrende einer vertraglichen Bindung267). Schondiese durch die III. TN bestaÈ tigte268) gesetzgeberi-sche Entscheidung legt nahe, dass zumindest eini-ge zu § 120 BGB angestellte UÈ berlegungen fuÈ rOÈ sterreich einer gesonderten Bewertung beduÈ rfen:Muss, weil kein dem § 122 BGB vergleichbarerAusweg besteht, die Zurechnung des dolosen Bo-ten unterbleiben269)? Oder gebietet es das vertrau-enstheoretische Konzept des ABGB ± wie imHHB formuliert270) ± geradezu, den AnerklaÈrtenzu schuÈ tzen?

4. Entstellung einer Botschaft als Fall des § 875

HaÈ lt man sich die BegruÈ ndung im HHB vor Au-gen, so fragt sich, auf welcher Basis der Gesetzge-ber der III. TN davon ausging, dass es sich bei derZurechnung von UÈ bermittlungsfehlern um eine¹natuÈ rliche Konsequenz`̀ 271) der Vertrauenstheoriehandelt.

Im Krainz'schen System und in der Rsp wurdeargumentiert272), dass ¹es einerseits gleichguÈ ltigist, ob sich der Contrahent eines Briefes oder eineslebenden Mittheilungsorganes bedient, und weil esandererseits (arg. §. 876) nur darauf ankommt, daûeine WillenserklaÈrung vorliege, die der andereTheil als eine wahre anzusehen berechtigt ist`̀ .Warum der AnerklaÈrte dazu berechtigt ist, sichohne NachpruÈ fung auf eine Person, die als Boteauftritt, und die Richtigkeit der dabei uÈ bermittel-ten Nachricht einzurichten, wird nicht erklaÈrt.

Auch die Gleichsetzung von Brief und Boten istnicht unangreifbar: Anders als bei anderen UÈ ber-mittlungsmoÈglichkeiten verbleibt beim Boten ±als ¹Instrument`̀ mit eigenem Willen, den der Ge-schaÈftsherr weder verlaÈsslich pruÈ fen noch steuernkann ± immer ein (selbst theoretisch nicht aus-schlieûbares) Restrisiko. Als einziges UÈ bermitt-lungsinstrument hat es der Bote auûerdem in derHand, daruÈ ber zu entscheiden, nach welchem Re-gime die Zurechnung seines Verhaltens zum Ge-schaÈftsherrn gepruÈ ft wird273).

WomoÈglich lag der HHB mit seiner EinschaÈ t-zung aber trotzdem voÈllig richtig, und zwar auf-grund der (in der wissenschaftlichen DiskussionvernachlaÈssigten) Bestimmung des § 875: Sie be-denkt schlieûlich ausdruÈcklich den Fall, dass einDritter ± mit oder ohne Vorsatz ± in das Rechtsge-schaÈft eingreift274). Dennoch ist der Vertrag bzwdie WillenserklaÈrung (§ 876 gF) grundsaÈtzlich guÈ l-tig. Das Gesetz gewaÈhrt nur dann ein Gestaltungs-recht, wenn die in §§ 870, 871 und 875 genanntenVoraussetzungen erfuÈ llt sind.

Die Qualifikation des Boten als Dritten iSd § 875mag zunaÈchst ungewoÈhnlich erscheinen275).Schlieûlich heiût es allerorts, Boten seien nichtDritte iSd § 875276). Dies ist auch richtig, solangees um jene Hilfspersonen geht, derer sich der Ver-tragspartner des Irrenden bedient. Es entsprichtaber der herrschenden und zutreffenden Ansicht,dass die Hilfsperson des Irrenden fuÈ r die andereVertragspartei ± den ErklaÈrungsgegner ± DritteriSd § 875 ist277). Im Rahmen des Irrtumsrechts ist

# Springer-Verlag 2012

2012, Heft 2Februar102

263) FN 240.264) FN 239.265) Zur Haftung des Boten und des GeschaÈ ftsherrn s

nur Wendtland in Bamberger/Roth, BeckOK BGB § 120Rz 8.

266) Vgl bei FN 249.267) Weiters ist zu beruÈ cksichtigen, dass das ABGB bei

Unwesentlichkeit des Willensmangels bloû die Anpas-sung des RechtsgeschaÈ fts erlaubt (§ 872).

268) HHB 134.269) Vgl bei FN 252.270) HHB 135.271) HHB 135.272) S FN 189 f.

273) S dazu auch FN 197 und 275 sowie bei C.V.274) S dazu insb B.V.; zur Redaktionsgeschichte und ra-

tio der Bestimmung s die Nachweise in FN 54.275) Denkbar ist der Einwand, der Bote werde ± anders

als die meisten Dritten iSd § 875 (vgl die Beispiele beiB.V.1.) ± erst nach der letzten ErklaÈrungshandlung desGeschaÈftsherrn taÈ tig und dem AnerklaÈrten sei erkennbar,dass mit dem Boten eine Gefahrenquelle zwischen ihmund dem ErklaÈrenden steht. ME muss sich der Aner-klaÈrte aber grundsaÈ tzlich bei jeder ErklaÈrung unter Ab-wesenden des Umstandes bewusst sein, dass zwischenAbgabe und Zugang etwas passiert sein koÈnnte (zB Ver-faÈ lschung einer hinterlegten Urkunde). Die Erkennbar-keit aktueller Gefahren kann im Rahmen von § 871Abs 1 Fall 2 und § 875 S 2 Fall 2 beruÈ cksichtigt werden.Wollte man den Fall des Boten deshalb gesondert behan-deln, weil dem AnerklaÈrten eine ± aufgrund des eigenenWillens des Boten ± besondere Gefahrenquelle erkennbarist, so waÈre der Vorsatz ± wie im Stellvertretungsrecht(§§ 1016 f) ± kein taugliches Abgrenzungskriterium:Schlieûlich waÈre (auch) bei dieser Argumentation schwernachvollziehbar, warum der AnerklaÈrte im Vertrauen aufeine erheblich, aber fahrlaÈssig entstellte ErklaÈrung ge-schuÈ tzt werden sollte, waÈhrend geringfuÈ gige vorsaÈ tzlicheModifikationen die ErklaÈrung unwirksam machen (s auchC.II.5.). Zur BeruÈ cksichtigung des Umstandes, dass derAnerklaÈrte nicht darauf vertrauen darf, dass der als BoteAuftretende als Bote eingesetzt ist, s C.IV. und C.V.

276) S nur Apathy in Schwimann, ABGB IV3 § 1002 Rz 5;Armin Ehrenzweig, GruÈ nhutsZ 35 (1908) 627 ff, 637;R. Mayr, Lehrbuch I 214.

277) Apathy/Riedler in Schwimann, ABGB IV3 § 875Rz 1; Kolmasch in Schwimann, TaKoABGB (2010) § 875

A. Geroldinger, Die Zurechnung Dritter nach § 875 ABGB

Page 10: Die Zurechnung Dritter nach § 875 ABGB

die SchutzwuÈ rdigkeit des Vertrauens des Aner-klaÈrten zu pruÈ fen; was die Zurechnung zu ihm an-langt, ist der Bote des ErklaÈrenden eine auûenste-hende Person, mit anderen Worten: ein Dritter.

Dieser Dritte iSd § 875 verursacht, indem er dieNachricht (listig oder unabsichtlich) entstellt,beim ErklaÈrenden einen ErklaÈrungsirrtum; denn¹der Absender ist ... uÈ ber den Inhalt der dem ande-ren zugegangenen ErklaÈrung in einem Irrtum be-fangen`̀ 278). Erst ab Zugang gehoÈrt die ErklaÈrungder SphaÈre des AnerklaÈrten an, sodass das (listige)Verhalten des Dritten auch kausal fuÈ r den ErklaÈ-rungsirrtum ist. Denn erst durch die (unrichtige)UÈ bermittlung ist die ErklaÈrungshandlung abge-schlossen279); die UÈ bermittlung gilt ¹als ± reprodu-zierender, dem Gegner gegenuÈ ber maûgeblicher ±Bestandteil der ErklaÈrung des Urhebers`̀ 280).

Auf Basis dieses VerstaÈndnisses laÈsst sich dieEntstellung einer ErklaÈrung durch den Boten so-wohl unter die Wendung ¹durch falsche Angabenirre gefuÈ hrt`̀ (§ 875 S 1 aF) als auch unter ¹durch... List zu einem Vertrage bewogen`̀ bzw ¹zu einerirrtuÈ mlichen ErklaÈrung veranlaût`̀ (§ 875 S 1 gF)subsumieren281).

Denkbar ist nun der Einwand, der Bote nehmedurch die vorsaÈ tzliche Entstellung nicht auf denErklaÈrungsakt Einfluss, die zugegangene ErklaÈ-rung sei nicht die abgegebene und § 875 daher kei-nesfalls einschlaÈgig (vgl C.II.1.). Dem moÈchte ichentgegenhalten, dass der ErklaÈrende mittels desBoten erklaÈren wollte und der Bote TraÈger derrichtigen ErklaÈrung (des ihm gegenuÈ ber bereits ar-tikulierten rechtsgeschaÈftlichen Willens), folglichTeil des ErklaÈrungsaktes ist. Damit ist die tatsaÈch-lich auf den Weg geschickte ErklaÈrung allenfalls ±und mitunter nur teilweise ± auf halbem Wegestecken geblieben282). Dies trifft auf zahlreicheUÈ bermittlungsfehler zu, die eindeutig als ErklaÈ-rungsirrtuÈ mer qualifiziert werden. Die Ursacheder Entstellung kann nicht entscheidend sein, zu-mal fuÈ r den Inhalt der ErklaÈrung grundsaÈtzlichder EmpfaÈngerhorizont maûgeblich ist und wederdie Entstellung noch deren Ursache fuÈ r den Emp-

faÈnger erkennbar sind (so doch, scheidet ein Ver-trauen auf die ErklaÈrung schon nach allgemeinenGrundsaÈtzen aus283)). Die entstellte ErklaÈrung istalso, wie § 875 (iVm § 876) anordnet, mit dem zu-gegangenen Wortlaut guÈ ltig, das RechtsgeschaÈftdaher bloû anfechtbar.

Mit dieser Auslegung wird auch der durch dieIII. TN eingefuÈ gte Einschub in § 871 Abs 1 nichtobsolet. Alle UÈ bermittlungsfehler, die nicht aufmenschliches Verhalten zuruÈ ckzufuÈ hren sind (derZufall), unterfallen ausschlieûlich dieser Rege-lung. Freilich war die FalschuÈ bermittlung auchim Telegrafen-Fall284) auf ein Versehen des Frank-furter Telegrafisten ± also auf menschliches Versa-gen ± und nicht auf ein technisches Gebrechen zu-ruÈ ckzufuÈhren.

5. Teleologische Reduktion des § 871 Abs 1?

Wer § 875 fuÈ r nicht einschlaÈgig erachtet, muÈ sste,um die vorsaÈ tzlich entstellte ErklaÈrung von derZurechnung ausschlieûen zu koÈnnen, noch immer§ 871 Abs 1 teleologisch reduzieren.

In diesem Zusammenhang ist allerdings nocheinmal auf den HHB zu verweisen. Darin findetsich ein knapper Hinweis auf eine kritische Stel-lungnahme Wellspachers285), der nicht nur Zweifeldaran aÈuûerte, dass der geplante Einschub in § 871den Gedanken des § 120 BGB hinreichend zumAusdruck bringt. Vor allem uÈ bte Wellspacher mas-sive inhaltliche Kritik: Ihm erschien die geplanteErgaÈnzung nach dem Vorbild des § 120 BGB uadeshalb zu weit, weil der ErklaÈrende damit ¹demBoten auf Gnade und Ungnade ausgeliefert`̀ seiund ¹die Gefahr zu tragen [habe], wenn der Boteganz andere WillenserklaÈrungen als die gewolltenuÈ berbringt`̀ . Wellspachers Kritik und Anregungzu einer eingeschraÈnkten Zurechnung im ABGBwurden vom Gesetzgeber ± obwohl eindeutig zurKenntnis genommen286) ± nicht weiter beruÈ cksich-tigt. Dieser Umstand und die explizite Bezugnah-me des HHB auf § 120 BGB287) lassen auf die Mit-einbeziehung der vorsaÈ tzlichen Entstellung durchden historischen Gesetzgeber schlieûen.

Auch wertungsmaÈûig ist mE dieses Risiko beimErklaÈrenden zu belassen. Dabei konfligieren zwei¹Leitgedanken`̀ : Einerseits bedient sich der ErklaÈ-rende eines Boten und eroÈffnet damit eine Gefah-renquelle288), fuÈ r die er grundsaÈtzlich verantwort-lich ist. Andererseits vertraut der ErklaÈrungsemp-

# Springer-Verlag 2012

2012, Heft 2Februar 103

Rz 4; Koziol/Welser, BuÈ rgerliches Recht I13, 169; Pletzerin KletecÏka/Schauer, ABGB-ON 1.00 § 875 Rz 13; Rum-mel in Rummel, ABGB I3 § 875 Rz 2.

278) Adolf Ehrenzweig, System I/12, 237.279) Vgl Schlemmer, Erkannter Irrtum und irrtuÈ mliche

Erkenntnis, JBl 1986, 149 (151).280) Kramer in MuÈ nchKommBGB I/15 § 120 Rz 1 unter

Berufung auf Oertmann.281) Zumindest bereiten diese Formulierungen beim

UÈ bermittlungsfehler des Boten nicht viel mehr Schwie-rigkeiten als bei anderen FaÈ llen des ErklaÈrungsirrtums,fuÈ r den ein Dritter verantwortlich ist. Zwar lieûe sichder Wortlaut des § 875 auch so verstehen, dass diese Be-stimmung nur auf Dritte zuruÈ ckzufuÈ hrende Fehler in derWillensbildung zum Gegenstand haben soll (arg: ¹zueinem Vertrage bewogen`̀ ; ¹zur ... ErklaÈrung veranlaût``);systematische und teleologische Argumente sprechenaber gegen diese Auslegung (s dazu bei B.V.1. und FN275). Zu § 123 BGB und dessen von § 875 abweichendemWortlaut s FN 262.

282) S auch C.II.5. aE.

283) Dabei ist zu bedenken, dass Botschaften vielfach inspezifischen Kontexten uÈ bermittelt werden, sodass § 871Abs 1 Fall 2 und § 875 S 2 Fall 2 wichtige Schrankenbilden. Zum VerhaÈ ltnis ErklaÈrungsirrtum und dessenvorwerfbarem Verkennen s nur Rummel in Rummel,ABGB I3 § 871 Rz 6, 16; Vonkilch, JBl 2010, 3 ff; OGH22.2.1995, 3 Ob 564/94 SZ 68/35.

284) S C.I.1.285) GZ 59 (1908) 72.286) HHB 135.287) S bei FN 250.288) Vgl F. Bydlinski, ErklaÈrungsbewuûtsein und

RechtsgeschaÈ ft, JZ 1975, 1 (4).

A. Geroldinger, Die Zurechnung Dritter nach § 875 ABGB

Page 11: Die Zurechnung Dritter nach § 875 ABGB

faÈnger auf die von einem ¹Dritten`̀ uÈberbrachteErklaÈrung, ohne dessen Berechtigung nachzupruÈ -fen; das Vertrauen auf die Angaben des scheinbarBevollmaÈchtigten allein gilt jedenfalls im Stellver-tretungsrecht als nicht schutzwuÈ rdig289). Wen sollalso das Risiko treffen, dass der eingesetzte BotetatsaÈchlich nicht die ihm uÈ berantwortete ErklaÈ-rung uÈ bermittelt, sondern einen Vertrauensbruchbegeht?

Ist das Risiko, dass der ErklaÈrungsakt durch denEingriff eines Dritten oder einen Zufall gestoÈrtwird, prinzipiell dem ErklaÈrenden zugewiesen(§ 871 Abs 1, § 875)290), so muss dies doch umsomehr bei StoÈrungen durch jene Personen gelten,die sich der ErklaÈrende selbst ins Boot geholthat. Der ErklaÈrende waÈhlt den Boten aus, kannihn sorgfaÈ ltig instruieren, seine ZuverlaÈssigkeitbeurteilen und ihn auch uÈ berwachen291). Je heiklerdas abzuschlieûende GeschaÈft ist, desto eher istder ErklaÈrende auch gehalten, einer FalschuÈ ber-mittlung durch Sicherungsmaûnahmen vorzubeu-gen292).

In Bezug auf den vermeintlichen Wertungswi-derspruch zwischen Stellvertretung und Boten-schaft wurde bereits auf die diesbezuÈ glichen Un-terschiede eingegangen293). Bemerkenswert ist indiesem Zusammenhang weiters, dass die Dolus-Schranke fuÈ r die Zurechnung des Stellvertreterskeine Rolle spielt. Der Ansatz, der uÈ ber den Vor-satz des Boten die Konsequenzen eines Wertungs-widerspruchs zu mindern versucht, steuert damiterst recht wieder auf einen Widerspruch zu.

Weiters zeigt sich im Verbraucherbereich einewertungsmaÈûige Bruchstelle zwischen der hAund den gesetzgeberischen Intentionen: § 10KSchG sucht zu verhindern, dass das Risiko, ¹dassder Vertreter die ihm von seinem GeschaÈftsherrngesetzten Grenzen seines Handelns nicht ein-haÈ lt`̀ 294), auf den Verbraucher abgewaÈ lzt wird; ge-nau diese Folge zeitigt aber die hA im Bereich derBotenschaft.

Und schlieûlich scheint mir der Vorsatz des Bo-ten generell ein bedingt taugliches Abgrenzungs-kriterium zu sein: Schon das erklaÈrte Ziel, den Er-klaÈrenden vor dem eigenen Boten zu schuÈ tzen,wird nur unzureichend verwirklicht. SchlieûlichkoÈnnen folgenschwere UÈ bermittlungsfehler auchaus bloûer Sorglosigkeit resultieren: Der BoteuÈ bermittelt unabsichtlich ¹kaufen`̀ statt ¹verkau-fen`̀ 295) oder vergisst, einen fuÈ r den ErklaÈrenden

wichtigen Vertragspunkt296) zu erwaÈhnen. Dies be-ruÈ cksichtigend ist zudem schwer nachvollziehbar,warum bloû geringfuÈ gige ± mitunter gut gemeinteoder dem ErklaÈrenden sogar tatsaÈchlich zum Vor-teil gereichende ± vorsaÈ tzliche Abweichungen diegesamte ErklaÈrung unwirksam machen.

A entsendet C mit einem Kaufanbot zu B. Noch bevorC das Anbot uÈ bermittelt, sieht er, dass die Ware sperrigist und nicht in den Firmenwagen passen wird. C ¹er-gaÈnzt`̀ daher das Anbot um eine (kostenlose) HaustuÈ rzu-stellung; B nimmt glatt an.

Nach der hA duÈ rfte hier (noch) kein Vertrag zu-stande kommen; schlieûlich wurde das Anbot vor-saÈ tzlich entstellt. Die dem B zugegangene ErklaÈ-rung waÈre A daher nicht zurechenbar, sondern al-lenfalls genehmigungsfaÈhig. Wollte man eine ± an§ 878 S 2 orientierte ± Teilunwirksamkeit erwaÈ-gen296a), muÈ sste nicht nur § 869 (und gegebenen-falls § 6 Abs 3 KSchG) im Auge behalten, sondernvor allem erklaÈrt werden, warum dieses Konzeptnicht auch die auf FahrlaÈssigkeit oder Zufall zu-ruÈ ckzufuÈhrenden UÈ bermittlungsfehler erfassensoll und wie es sich mit § 871 Abs 1 vertraÈgt.

III. UÈ bermittlungsfehler?

Dem im Gesetz niedergelegten Grundsatz, dassselbst die vorsaÈ tzliche Entstellung zurechenbarbleibt, haftet freilich das Odium an, dass sich derErklaÈrende dem ErklaÈrungsboten ¹auf Gnadeund Ungnade`̀ 297) ausliefert. Es laÈsst sich nun fra-gen, ob sich der ErklaÈrende zum einen jedes in-haltliche Abweichen von der urspruÈ nglichen Er-klaÈrung und zum anderen die UÈ bermittlung andie falsche Person zurechnen lassen muss.

1. Falscher Adressat

§ 873 unterwirft den ¹Irrtum in der Person des-jenigen, welchem ein Versprechen gemacht wordenist`̀ , den Regeln der §§ 870 ff. Anerkanntermaûenerfasst dieser Tatbestand nicht nur IrrtuÈ mer uÈ berdie Eigenschaften einer Person, sondern auch denFall der Personenverwechslung298). Darunter istmE nicht nur die unrichtige Adressierung durchden GeschaÈftsherrn299), sondern iVm § 875, derauf § 873 verweist, auch ein Abirren der Nachricht

# Springer-Verlag 2012

2012, Heft 2Februar104

289) S nur OGH 13.7.1994, 3 Ob 550/94 SZ 67/124.290) S FN 123 und bei FN 192. Zur Erkennbarkeit der

Gefahrenquelle fuÈ r den AnerklaÈrten s FN 275.291) Marburger, AcP 173 (1973) 155; ihm folgend Kra-

mer in MuÈ nchKommBGB I/15 § 120 Rz 4.292) Vgl F. Bydlinski, Privatautonomie 164.293) S oben C.I.2.294) ErlRV 744 BlgNR 14. GP 30. Die in den Materialien

geschilderten FaÈ lle betreffen gerade nicht nur die direkteVertretung (qua Abschlussvollmacht), sondern auch diebloûe Vertragsvorbereitung.

295) Zum Telegrafen-Fall s C.I.1.

296) Ohne dass damit eine unbestimmte ErklaÈrung iSd§ 869 vorlaÈge (zB ein RuÈ cktrittsrecht, eine Bedingungoder Befristung); vgl etwa OGH 6.7.2011, 7 Ob 14/11a,wobei der ErklaÈrungsbote (wohl vorsaÈ tzlich) den muÈ nd-lichen Zusatz zu einem schriftlichen Vertrag, wonachder ErklaÈrende noch ein Wechselakzept verlangte, nichtuÈ bermittelte.

296a) Vgl die LoÈsung des OGH in FN 253.297) Wellspacher, GZ 59 (1908) 72.298) S Zeiller, Commentar III/1, 36 f: ¹mit welcher Per-

son`̀ ; ferner Apathy/Riedler in Schwimann, ABGB IV3

§ 873 Rz 1; Pletzer in KletecÏka/Schauer, ABGB-ON1.00 § 873 Rz 3; Rummel in Rummel, ABGB I3 § 873Rz 1; vgl auch FN 314.

299) Gschnitzer in Klang, ABGB IV/12, 125: ¹A sendetversehentlich den schriftlichen Vertragsantrag, den er Bstellen will, an C`̀ .

A. Geroldinger, Die Zurechnung Dritter nach § 875 ABGB

Page 12: Die Zurechnung Dritter nach § 875 ABGB

wegen eines Fehlers des UÈ bermittlungsorgans (mitoder ohne Vorsatz) zu verstehen.

Auch das deutsche Schrifttum ordnet die UÈ ber-mittlung an die falsche Person § 120 BGB zu300);als Zurechnungsschranke, die eine Anfechtung er-uÈ brigt, ist die Erkennbarkeit der Verwechslung(etwa wegen der Adressierung, Anrede oder demsonstigen Inhalt der ErklaÈrung) anerkannt301).

2. VoÈllig andere ErklaÈrung

Pisko302) und Gschnitzer303) haben ± ebenso wiein Deutschland etwa Jacobi304), Planck/Flad305)und Nipperdey306) ± versucht, eine Grenze zwi-schen der noch (bloû entstellten, unrichtig uÈ ber-mittelten) und der nicht mehr zurechenbaren (voÈl-lig verschiedenen) ErklaÈrung anhand inhaltlicherGesichtspunkte zu ziehen: Es schade ± so Piskound Gschnitzer ± zwar nicht, wenn die ErklaÈrungin wesentlichen Punkten (zB Preis, Bezeichnungder Ware) unrichtig uÈ bermittelt oder wenn siedurch Entstellung zum Bestandteil eines Rechtsge-schaÈftes anderen Inhaltes oder anderer Art ge-macht werde (zB statt ¹kaufen Sie`̀ sagt der Bote¹verkaufen Sie`̀ ; der Bote spricht von Miete stattvon Leihe). Habe aber etwa der Bote, der eine be-stimmte Reparatur bestellen sollte, dem Handwer-ker einen Antrag zum Abschluss eines Gesell-schafts- oder Mietvertrages uÈ berbracht, so sei dievon ihm zu uÈbermittelnde ErklaÈrung nicht unrich-tig, sondern uÈ berhaupt nicht uÈ bermittelt. Der Botehabe nicht mehr als UÈ bermittlungsorgan des Er-klaÈrenden gehandelt, es fehle der ursaÈchliche Zu-sammenhang zwischen der sinnlichen Wahrneh-mung des ErklaÈrungsempfaÈngers und dem Verhal-ten des angeblichen Urhebers der ErklaÈrung.

Rummel307) haÈ lt ± konkret Gschnitzer ablehnend± eine Differenzierung nach der Schwere der Ab-weichung fuÈ r ¹nicht vollziehbar`̀ . Auch Kramer308)

lehnt eine derartige Schranke mit dem Argumentab, dass die Abgrenzung ¹auûerordentlich schwerzu treffen`̀ sei und es fuÈ r den AnerklaÈrten keineRolle spielen duÈ rfe, ob die uÈ bermittelte ErklaÈrungnur wenig oder voÈllig von der abgegebenen ab-weicht.

Die mE entscheidende Frage lautet, ob in sol-chen FaÈ llen, in denen eine ¹Botschaft`̀ keinerleiinneren Zusammenhang309) mit der zu uÈ berbrin-genden ErklaÈrung aufweist, noch von einer ¹Ent-stellung`̀ , einer ¹VerfaÈ lschung`̀ oder einem ¹UÈ ber-mittlungsfehler`̀ gesprochen werden kann310). So-wohl § 871 Abs 1 als auch § 875 setzen einendem ErklaÈrenden zurechenbaren ErklaÈrungstatbe-stand voraus311). Ohne ihn koÈnnen weder der Zu-fall noch ein Dritter einen ErklaÈrungsirrtum be-wirken; der UrkundenfaÈ lscher312) ist prinzipiellkein Fall des § 875. Die Regeln uÈ ber die Falsch-uÈ bermittlung koÈnnen nur dann zur Anwendunggelangen, solange die uÈ bermittelte ErklaÈrung alssolche des ErklaÈrenden gelten kann313).

Soll C als Bote des A bei B eine bestimmte Repa-ratur um ³ 200,± in Auftrag geben und ¹uÈ ber-bringt`̀ er D die Nachricht, dass A ³ 1.500,± aufein bestimmtes Pferd wettet, so laÈsst sich mEschwerlich von einer Entstellung sprechen. Die zu-gegangene ErklaÈrung stimmt in keinem ihrerKernelemente mit der zu uÈ berbringenden Bot-schaft uÈ berein. Als solche Kernelemente sind aufBasis der §§ 869 ff jedenfalls die wesentlichenPunkte der WillenserklaÈrung (essentialia) und diePerson des AnerklaÈrten (vgl § 873) zu identifizie-ren314). Von einer ¹dem anderen zugegangenen Er-klaÈrung`̀ (§ 871 Abs 1) bzw einer ¹irrtuÈ mlichen Er-

2012, Heft 2Februar 105

# Springer-Verlag 2012

300) S nur Bork, Allgemeiner Teil2 Rz 1360; Jauernig inJauernig, BGB13 § 120 Rz 3; Larenz/Wolf, AllgemeinerTeil9 § 36 Rz 15; s weiters die Nachweise in FN 301.

301) S nur Franzen in Vieweg, juris PraxisKommentarBGB5 (2010) § 120 Rz 9; ArmbruÈ ster in MuÈ nchKommBGBI/16 § 120 Rz 6; Planck/Flad in Strohal, Planck's Kom-mentar zum BGB I4, 293; Singer in Staudinger, BGB(2004) § 120 Rz 4; Wendtland in Bamberger/Roth, Beck-OK BGB § 120 Rz 6; jeweils mwN.

302) In Klang, ABGB II/21, 144.303) In Klang, ABGB IV/12, 120.304) KrVJ Schr 49 (1911) 80: Wenn der Bote ¹von mir be-

auftragt ist, die Kaufofferte bezuÈ glich eines MoÈbels anzu-nehmen und er offeriert den Kauf eines Wertpapiers, so istmir das ... unschaÈdlich.`̀ Jacobi haÈ lt freilich die absichtlichentstellte Nachricht generell fuÈ r nicht zurechenbar.

305) In Strohal, Planck's Kommentar zum BGB I4, 292 f,die die vorsaÈ tzliche der unbewussten Entstellung aus-druÈ cklich gleichstellen.

306) Enneccerus/Nipperdey, Lehrbuch des buÈ rgerlichenRechts I/215 (1960) 1036, der die Zurechnung bei absicht-licher Entstellung ablehnt.

307) In Rummel, ABGB I3 § 871 Rz 5.308) In MuÈ nchKommBGB I/15 § 120 Rz 4; in diesem

Sinne zB auch Fleck, ArchBuÈ rgR 15 (1899) 396 f; La-renz/Wolf, Allgemeiner Teil9 § 36 Rz 18.

309) Vgl auch Welser, Vertretung 107, wonach die Gren-ze fuÈ r die Zurechnung der ¹VerhandlungstaÈ tigkeit einesGehilfen`̀ zum GeschaÈ ftsherrn dann uÈ berschritten wer-de, wenn der Gehilfe ¹einen Vertrag abschlieût, dessenInhalt mit dem GeschaÈft in keinem Zusammenhang steht,das vorzubereiten war`̀ . Die Grenze sei aber abstraktkaum zu ziehen; s weiters FN 302 f.

310) Der Hinweis auf Abgrenzungsschwierigkeiten al-lein uÈ berzeugt mE nicht. Derartige Probleme stellen sichzuhauf; einige prominente Beispiele waÈren die Abgren-zung von Schlecht- und Aliud-Lieferungen (¹genehmi-gungsfaÈhiges aliud`̀ iSd § 378 UGB; s nur Kerschner inJabornegg/Artmann, UGB I2 §§ 377 f Rz 52 ff: ¹gar nichtsmehr gemein`̀ ), von Erfolgs- und Sorgfaltsverbindlich-keiten (etwa im Hinblick auf § 1298; s nur Kodek in Kle-tecÏka/Schauer, ABGB-ON 1.00 § 1298 Rz 14) sowie dasGehilfenhandeln ¹in`̀ oder ¹gelegentlich der ErfuÈ llung`̀(§ 1313a; s nur Schacherreiter in KletecÏka/Schauer,ABGB-ON 1.00 § 1313a Rz 66 ff mwN).

311) Vgl F. Bydlinski, Privatautonomie 155 ff.312) Im Sinne der Herstellung unechter Urkunden,

nicht bloû der VerfaÈ lschung von Urkunden des ErklaÈren-den; vgl F. Bydlinski, Privatautonomie 156; Iro/Koziol,Risikotragung bei gefaÈ lschten AuftraÈgen an die Bank,OÈ BA 2003, 129 (133); juÈ ngst (die zweite Instanz zu)OGH 21.6.2011, 1 Ob 46/11p JBl 2011, 713.

313) ArmbruÈ ster in MuÈ nchKommBGB I/16 § 120 Rz 4.314) NatuÈ rlich gehoÈrt dazu auch die VerstaÈndlichkeit

(Sprache, Code); ist die Botschaft dem AnerklaÈrten abergaÈnzlich unverstaÈndlich, so liegt gem § 869 erst gar keinezugegangene ErklaÈrung vor.

A. Geroldinger, Die Zurechnung Dritter nach § 875 ABGB

Page 13: Die Zurechnung Dritter nach § 875 ABGB

klaÈrung`̀ (§ 875) des ErklaÈrenden ± und damit voneinem hinreichenden inneren Zusammenhang ±kann mE regelmaÈûig dann keine Rede mehr sein,wenn sich die ¹uÈ bermittelte`̀ Botschaft in keinemihrer essentialia mit der abgegebenen ErklaÈrungdeckt und sie an den falschen Adressaten gelangt.Ein allfaÈ lliger (beweisbarer) Vorsatz der Hilfsper-son wird ein weiteres Indiz dafuÈ r sein, diesen Zu-sammenhang zu verneinen315). FuÈ r ihn werden hin-gegen ± auch bei betraÈchtlichen inhaltlichen Ab-weichungen ± die UÈ bermittlung an den richtigenAdressaten und/oder ein enger zeitlicher Konnexzwischen der Boteneinsetzung und der UÈ bermitt-lung sprechen. Die Zurechnung steht und faÈ llt alsonicht alleine mit dem Vorsatz des Boten, sondernmit der PruÈ fung, ob das Handeln des als Bote Auf-tretenden und seine Einsetzung zum Boten einenausreichenden inneren Zusammenhang aufweisen.

Mit Planck/Flad316) ist zu konzedieren, dass eineGrenze, wie sie hier vorgeschlagen wird, ¹keineganz scharfe`̀ ist und nur ¹unter BeruÈ cksichtigungder Auffassung des Verkehrs`̀ im Einzelfall gezo-gen werden kann. Vom Fehlen des inneren Zusam-menhangs wird grundsaÈtzlich der ErklaÈrende dasGericht uÈ berzeugen muÈ ssen.

IV. Fehlen der Botenmacht

Untersucht man die Frage, in welchen FaÈ llen derBote als solcher eingesetzt ist, genauer, so tretenweitere Zurechnungsschranken zutage, die demErklaÈrenden hinsichtlich des Nachauûendringensder Nachricht eine nicht unerhebliche Steuerungs-moÈglichkeit belassen. Ob die Botschaft inhaltlichkorrekt uÈ bermittelt wird, ist fuÈ r die Zurechnungin den nachstehenden FaÈ llen freilich irrelevant317).

1. Keine Einsetzung zum Boten

Ausgangspunkt muss sein, dass es dann an derBotenstellung fehlt, wenn der GeschaÈ ftsherr uÈ ber-haupt keine ErklaÈrung abgegeben hat318). Schon

Jacobi319) meinte: ¹Ist jemand als mein Bote aufge-treten, ohne von mir hierzu bevollmaÈchtigt zu sein,so geht mich das nichts an`̀ . Daher kommt es nachzutreffender hA320) zu keiner Zurechnung des¹Scheinboten`̀ 321) an den scheinbar ErklaÈren-den322). Die Rsp formuliert zum Teil, dass ¹das TaÈ-tigwerden als Bote im InnenverhaÈ ltnis eine Er-maÈchtigung, die BotenermaÈchtigung, voraus-setzt`̀ 323). Damit stellt sich zwangslaÈufig die Frage,wann von einer Einsetzung des Boten ± von ¹Bo-tenmacht`̀ 324) ± gesprochen werden kann.

Im InnenverhaÈ ltnis zwischen dem GeschaÈ fts-herrn und dem Boten ist, so wie bei der Stellvertre-tung325), die gesamte Bandbreite von einer rechts-geschaÈftlichen Verpflichtung (insb §§ 1151 ff)326)bis zur bloûen GefaÈ lligkeit denkbar.

2012, Heft 2Februar106

# Springer-Verlag 2012

UÈ bergibt der ErklaÈrende selbst versehentlich die fal-sche (von der richtigen inhaltlich stark abweichende)schriftliche WillenserklaÈrung (aufgrund einer Personen-verwechslung) an die falsche Person und muss dieserder Irrtum nicht auffallen, bleibt die ErklaÈrung grund-saÈ tzlich zurechenbar (vgl C.III.1.). Dieser Fall weicht zu-mindest in einem Punkt vom UÈ bermittlungsfehler desBoten ab: Der AnerklaÈrte hat es unmittelbar mit dem Er-klaÈrenden zu tun; damit kann man ihm nicht einmal dieunterlassene Nachkontrolle, bei der sich die Personen-verwechslung regelmaÈûig aufklaÈren wuÈ rde, anlasten.

315) Besonders krasse Abweichungen werden vielfachauf dolus zuruÈ ckzufuÈ hren sein; s aber schon C.II.5. aE.Eine gewisse Orientierung bei der PruÈ fung des innerenZusammenhangs koÈnnte auch die Frage bieten, ob manden GeschaÈ ftsherrn noch nach § 1313a iVm cic fuÈ r seinenGehilfen haften laÈsst (s dazu FN 309 sowie Schacherrei-ter in KletecÏka/Schauer, ABGB-ON 1.00 § 1313a Rz 66 ffmwN).

316) In Strohal, Planck's Kommentar zum BGB I4, 293.317) Zur nachtraÈglichen Genehmigung s C.VI.318) Rummel in Rummel, ABGB I3 § 871 Rz 5.

319) KrVJ Schr 49 (1911) 80.320) S nur Pletzer in KletecÏka/Schauer, ABGB-ON 1.00

§ 871 Rz 13 mwN; Stanzl in Klang, ABGB IV/12, 851;OGH 26.1.1955, 7 Ob 24/55 OÈ JZ EvBl 1955/248, 417.FuÈ r Deutschland s nur Bork, Allgemeiner Teil2 Rz 1361;OLG Oldenburg 19.1.1978, 1 U 88/77 NJW 1978, 951.

321) Zur Terminologie: Verbreitet wird die als Bote auf-tretende, aber dem GeschaÈ ftsherrn nicht zuzurechnendeHilfsperson als ¹Scheinbote`̀ bezeichnet (Apathy inSchwimann, ABGB IV3 § 1002 Rz 7; P. Bydlinski inKBB3 § 1002 Rz 6; Pletzer in KletecÏka/Schauer, ABGB-ON 1.00 § 871 Rz 13; Rummel in Rummel, ABGB I3

§ 871 Rz 5). In Deutschland findet sich auch der Begriff¹Pseudobote`̀ (ArmbruÈ ster in MuÈ nchKommBGB I/16

§ 120 Rz 4; Schramm in MuÈ nchKommBGB I/16 Vorbemzu §§ 164 ff Rz 47). Zum Teil ist mit ¹Scheinbote`̀ nurder eigenmaÈchtig als Bote Auftretende gemeint, mit¹Pseudobote`̀ hingegen nur der die ErklaÈrung des Ge-schaÈ ftsherrn vorsaÈ tzlich entstellende UÈ bermittler. Teil-weise werden diese Termini synonym und als Oberbegrif-fe fuÈ r beide Fallgruppen verwendet. Dem hier zugrundeliegenden VerstaÈndnis nach kann Schein- oder Pseudo-bote ± wobei es sich mE um Synonyme handelt ± nur sein,wer eigenmaÈchtig als Bote auftritt; der Vorsatz allein aÈn-dert schlieûlich nichts an der Zurechnung (s C.II.).

322) Zum Stellvertreter, der als Bote auftritt, s noch C.V.323) OGH 19.5.1982, 1 Ob 538/82 SZ 55/75 = JBl 1984,

37; 10.4.2008, 6 Ob 68/08f.324) S dazu oben C.I.2.c.325) S nur Koziol/Welser, BuÈ rgerliches Recht I13, 204.326) RegelmaÈûig ± und vielfach wohl untechnisch ± wird

in diesem Zusammenhang von einem ¹Auftrag`̀ gespro-chen oder der GeschaÈ ftsherr als ¹Auftraggeber`̀ bezeich-net (s nur Koziol/Welser, BuÈ rgerliches Recht I13, 221;OGH 29.9.1987, 4 Ob 553/87 JBl 1989, 107 [KoÈmuÈ rcuÈ -SpielbuÈ chler]; VwGH 20.9.2005, 2005/05/0155;20.9.2007, 2005/09/0173). Nach richtiger Ansicht liegtim InnenverhaÈ ltnis aber deshalb kein Auftrag iSd§§ 1002 ff vor, weil die UÈ berbringung einer WillenserklaÈ-rung keine Rechtshandlung, sondern eine ¹rein faktischeMitwirkung`̀ am RechtsgeschaÈ ft ist (Schey, Obligations-verhaÈ ltnisse I 502 f; Strasser in Rummel, ABGB I3

§ 1002 Rz 53); vgl schon Zeiller, Commentar III/2 (1813)491, der den ¹Bothen`̀ ± als Fall des Lohnvertrags uÈ bereinzelne Dienstverrichtungen ± bei § 1151 aF erwaÈhnt;s ferner Apathy in Schwimann, ABGB IV3 § 1002 Rz 5:¹die TaÈ tigkeit des Boten ist eine faktische`̀ ; Armin Eh-renzweig, System II/12 (1928) 554 (insb FN 6). ZumBGB s nur Schramm in MuÈ nchKommBGB I/16 Vorbemzu §§ 164 ff Rz 45.

A. Geroldinger, Die Zurechnung Dritter nach § 875 ABGB

Page 14: Die Zurechnung Dritter nach § 875 ABGB

Als ErklaÈrungsbote eingesetzt ± dh im Auûen-verhaÈ ltnis zurechenbar ± gilt grundsaÈtzlich327)nur derjenige, dem eine fremde, bis auf den Zu-gang perfekte WillenserklaÈrung zur UÈ bermittlungan eine zumindest bestimmbare Person bzw Perso-nengruppe uÈ bergeben wurde328). Daher ist bei-spielsweise eine Schreibkraft, die ein Diktat bloûabtippen soll und den getippten Brief aus eigenemAntrieb verschickt, nicht als eingesetzt zu qualifi-zieren329). Auch wenn C (zufaÈ llig) mithoÈrt, wie Aden D als Boten einsetzt oder ihm von einer ge-schaÈftlichen Entscheidung berichtet, kann C dieseNachricht nicht in einer fuÈ r A zurechenbaren Wei-se an B ± also denjenigen, den sie betrifft ± uÈ ber-mitteln330). Unerheblich ist, ob der Bote erkenntoder auch nur erkennen kann, dass es sich um eineWillenserklaÈrung handelt. Ist fraglich, ob ein be-stimmtes Verhalten des GeschaÈftsherrn gegenuÈ berdem Boten als Einsetzung zu werten ist, muss einobjektiver Maûstab entscheiden; hierzu ein Bei-spiel, das an einen Fall aus der Rsp331) angelehnt ist:

Eine LiegenschaftseigentuÈ merin gestattet ihrer Toch-ter, mit Interessenten uÈ ber den Verkauf der Liegenschaftzu verhandeln, behaÈ lt sich aber den Abschluss ausdruÈ ck-lich selbst vor. WaÈhrend der Verhandlungen mit einemKaufinteressenten ruft die Tochter die Mutter an und un-terrichtet sie uÈ ber dessen Anbot. Dabei ist keine Rede da-von, dass der Kaufvertrag sogleich abgeschlossen werdensoll. Die Mutter sagt aber zu ihrer Tochter am Telefon, siesei mit dem gebotenen Preis einverstanden.

Darf sich die Tochter damit als TraÈgerin einerAnnahmeerklaÈrung ansehen? Bei BeruÈ cksichti-gung des Abschlussvorbehalts ist der strenge Kon-kludenzmaûstab des § 863 nicht erfuÈ llt. Denn dieAÈ uûerung der Mutter kann auch so verstandenwerden, dass sich die Tochter nicht mehr bemuÈ henmuss, dem Interessenten einen hoÈheren Preis abzu-ringen; damit ist aber nicht gesagt, dass die Mutternicht auch weiterhin den Vertrag nur persoÈnlichabschlieûen will. Weil die Tochter nicht als Botineingesetzt ist, muss sich die Mutter die von derTochter ¹uÈ bermittelteª Annahme auf rechtsge-schaÈftlicher Ebene nicht zurechnen lassen332). Al-

lenfalls kommt eine Haftung der Mutter aus ciciVm § 1313a in Betracht, da sie sich der Tochterals Verhandlungsgehilfin bedient hat.

ErklaÈrungsbote im hier interessierenden Sinneist freilich nur der TraÈger einer fremden Willenser-klaÈrung333); dazu ein Beispiel:

A steht mit B1 und B2 in Kontakt: B1 hat A juÈ ngst einKaufanbot unterbreitet; B2 hat A zu einem gemeinsamenKinobesuch eingeladen. Nun schickt A den C mit derNachricht ¹Ja, geht in Ordnung!`̀ zu B2. C uÈ bermitteltaber aus Versehen die Nachricht wortlautgetreu an B1.

Handelt es sich hier um den UÈ bermittlungsfeh-ler eines ErklaÈrungsboten iSd §§ 871 ff? ME sinddiese Bestimmungen grundsaÈ tzlich deswegen nichtanzuwenden, weil A keine WillenserklaÈrung abge-geben ± dh ohne ErklaÈrungsbewusstsein gehandelt± hat. Ist A allerdings eine ErklaÈrungsfahrlaÈssig-keit anzulasten, indem er beispielsweise denAdressaten nicht eindeutig determiniert oder eineungeeignete Person als Boten gewaÈhlt hat, so musser sich mE die ErklaÈrung mit dem Horizont destatsaÈchlichen EmpfaÈngers zurechnen lassen334).Der Einsatz eines Boten begruÈ ndet, wie noch naÈ-her auszufuÈ hren ist, fuÈ r sich genommen nichtzwingend eine ErklaÈrungsfahrlaÈssigkeit.

2. Widerruf

Es besteht weder Grund noch positivrechtlicherAnhaltspunkt dafuÈ r, dass der GeschaÈftsherr einereinmal eingesetzten Hilfsperson irreversibel aus-gesetzt sein soll (vgl vielmehr § 1020). An dergrundsaÈ tzlichen Widerruflichkeit der Botenmachtbestehen daher mE keine Zweifel. Freilich ist derWiderruf der Boteneinsetzung (gegenuÈ ber dem Bo-ten335)) von jenem der WillenserklaÈrung gegenuÈ berdem ErklaÈrungsempfaÈnger zu trennen. In letzte-rem Fall gilt der allgemeine Grundsatz, dass derWiderruf spaÈtestens gleichzeitig mit der ErklaÈrung± allenfalls bis zu deren tatsaÈchlichen Kenntnis-nahme ± dem ErklaÈrungsempfaÈnger zugehen muss(§ 862a)336).

Wird die Boteneinsetzung noch vor Weiterleitungder WillenserklaÈrung widerrufen, so ist dies derfehlenden Einsetzung gleichzuhalten337). Dies ent-sprach im Wesentlichen schon der im Codex There-sianus niedergelegten Auffassung338). Heute wird

2012, Heft 2Februar 107

# Springer-Verlag 2012

327) Nach hA erfolgt auch dann eine Zurechnung, wennder GeschaÈftsherr dem AnerklaÈrten gegenuÈ ber einen ent-sprechenden Vertrauenstatbestand schafft; s Groûe-Sen-der, RuÈ ckabwicklung in DreipersonenverhaÈ ltnissen(Teil V), JAP 1997/98, 237 (244): § 1026 analog, ¹Rechts-scheinbote`̀ ; Pletzer in KletecÏka/Schauer, ABGB-ON1.00 § 871 Rz 13; Rubin in KletecÏka/Schauer, ABGB-ON 1.00 § 1002 Rz 60; Strasser in Rummel, ABGB I3

§ 1002 Rz 53.328) Um auch als Bote behandelt zu werden, muss die

Hilfsperson als solcher auftreten; s dazu noch C.V.329) Zum BGB Singer in Staudinger, BGB (2004) § 130

Rz 31 mwN. Zur Haftung s noch C.VI.330) Zum BGB Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil9 § 26 Rz 3.331) OGH 29.9.1987, 4 Ob 553/87 JBl 1989, 107

(KoÈmuÈ rcuÈ -SpielbuÈ chler); angelehnt deshalb, weil dieTochter in weiterer Folge nicht als Botin, sondern alsStellvertreterin auftrat. Weiteres Anschauungsmaterialbieten etwa FaÈ lle der Anweisung iSd §§ 1400 ff; s nurOGH 20.12.2006, 9 Ob 102/06z JBl 2007, 455 (zu Rechtkrit Dullinger).

332) Zur Boteneigenschaft der Tochter s auch KoÈmuÈ rcuÈ -SpielbuÈ chler, JBl 1989, 109 f.

333) S schon Planck/Flad in Strohal, Planck's Kommen-tar zum BGB I4, 292.

334) Damit ist A auf das Irrtumsrecht verwiesen; sC.IV.4.a.

335) Auch eine ErklaÈrung des A gegenuÈ ber dem ErklaÈ-rungsempfaÈnger B, wonach C nicht mehr Bote ist, mussein Vertrauen des B auf die uÈ bermittelte Botschaft zer-stoÈren; vgl auch FN 327.

336) S nur HHB 131; Koziol/Welser, BuÈ rgerliches RechtI13, 124; Rummel in Rummel, ABGB I3 § 862a Rz 7.

337) Zum BGB ArmbruÈ ster in MuÈ nchKommBGB I/16

§ 120 Rz 4; BGH 21.5.2008, IV ZR 238/06 ZEV 2008,392 (Leipold); s auch schon OLG Hamm 30.10.1986,15 W 394/86 DNotZ 1987, 308 = OLGZ 1987, 129; OLGKoblenz 11.2.1993, 5 U 459/92 BeckRS 1993, 30992957.

338) III 15 § VIII 94: ¹Hierdurch unterscheidet sich einBot oder Jener, deme eine muÈ ndliche Botschaft dem An-deren zu uÈ berbringen aufgetragen worden, von einem

A. Geroldinger, Die Zurechnung Dritter nach § 875 ABGB

Page 15: Die Zurechnung Dritter nach § 875 ABGB

man zumindest den Zugang beim Boten vor UÈ ber-mittlung der ErklaÈrung an den EmpfaÈnger fordernmuÈ ssen. Dem OLG Hamm zufolge kann der Ge-schaÈftsherr den ¹Auftrag solange widerrufen, wieer den Boten noch vor UÈ bergabe der Urkunde andenEmpfaÈngererreichenundihmeineentsprechen-de Weisung erteilen kann`̀ 339). Andere Vertreter desdeutschen Schrifttums wollen den Widerruf derEinsetzung nur bei tatsaÈchlicher Kenntnisnahmedurch den Boten gelten lassen340). ME muss der Wi-derruf rechtzeitig vor Zugang der ErklaÈrung aufdas ¹ErklaÈrungsinstrument`̀ einwirken, wofuÈ rprinzipiell Zugang beim Boten genuÈgt340a). Nimmter ihn nicht mehr rechtzeitig zur Kenntnis, so laÈsstsich die unterbleibende Zurechnung zum ErklaÈren-den damit rechtfertigen, dass das Risiko des ¹Ob`̀der Einsetzung beim ± nicht nachpruÈ fenden ± ErklaÈ-rungsempfaÈnger verbleibt.

Auch bei einer verkoÈrperten Nachricht genuÈ gt esmE, dem Boten die UÈ bermittlung hinreichenddeutlich zu untersagen; die Abnahme des Briefesist grundsaÈtzlich nicht Voraussetzung fuÈ r den Wi-derruf341).

3. ErfuÈ llung der Botenaufgabe

Eine weitere Begrenzung der Zurechnung ergibtsich aus der UÈ berlegung, ob die Botenstellung mitdem ersten ± wenn auch entstellten ± Zugang derBotschaft beim (richtigen oder falschen) EmpfaÈn-ger endet. Bei verkoÈrperten, aus der Hand gegebe-nen Botschaften (zB einem handschriftlichen Briefdes ErklaÈrenden) ist dies am ehesten anzunehmen.Zwingend ist dieser Schluss allerdings nicht; derBote koÈnnte versuchen, die abgeirrte NachrichtzuruÈ ckzuerhalten, und sie beim richtigen Adressa-ten oder bei tatsaÈchlichem Eintritt der Bedingung(s C.IV.4.) abliefern. Im Besonderen besteht dieseProblematik (jedenfalls ohne entsprechende Kon-kretisierung durch den GeschaÈ ftsherrn) bei der

muÈ ndlich zu uÈ bermittelnden Botschaft. Bemerktder Bote seinen Fehler, koÈnnte er entweder dasRichtige nachtragen oder den Richtigen aufsuchenund die Botschaft ¹erneut`̀ uÈ bermitteln. Bei jedemdieser Versuche besteht freilich die Gefahr, dassder Bote weitere Fehler macht.

Die Botenstellung endet wohl ± sofern sich nichtsGegenteiligesausdemInnenverhaÈ ltnisergibt±nichtschon eo ipso mit dem ersten Zustellversuch, son-dern erst mit korrekter UÈ bermittlung342). Jeder Sa-nierungsversuch bedarf aber ± wie aus der im Innen-verhaÈ ltnis regelmaÈûig geltenden Interessenwah-rungspflicht abzuleiten ist ± der RuÈ cksprache mitdem GeschaÈ ftsherrn343), dem der Bote aus dem In-nenverhaÈ ltnisauchhaftet344).HatderBotedieNach-richt bereits korrekt uÈ bermittelt, kann ± jedenfallssolange keine gegenteiligen Absprachen vorliegen± eine weitere ¹UÈ bermittlung`̀ derselben oder eineranderen Nachricht (an einen anderen EmpfaÈn-ger)345) den GeschaÈftsherrn nicht mehr binden; dervorgebliche Bote gilt als nicht (mehr) eingesetzt.

4. Bedingte und befristete Botenmacht

Als weiterer Fall des Botenfehlers ist ein plan-widriges Nachauûendringen der ErklaÈrung denk-bar; etwa dann, wenn der GeschaÈftsherr den Botenexplizit anweist, die ErklaÈrung nicht vor einem be-stimmten Datum abzuliefern. FuÈ r die Relevanzentsprechender Bedingungen bzw Befristungenspielt insb der Gedanke der ErklaÈrungsfahrlaÈssig-keit eine entscheidende Rolle.

a. ErklaÈrungsfahrlaÈssigkeit

Die ErklaÈrungsfahrlaÈssigkeit wird im Schrift-tum zur BewaÈ ltigung durchaus unterschiedlicherProbleme herangezogen (zB fehlendes ErklaÈrungs-bewusstsein, abhandengekommene Urkunde, un-gelesen unterschriebene Urkunde)346). Gemein istihnen, dass dem aÈuûeren Anschein nach ein ErklaÈ-rungstatbestand vorliegt, der vom ¹ErklaÈrenden`̀gar nicht oder zumindest noch nicht gewollt ist.Weil sich der scheinbar ErklaÈrende aber andershaÈtte verhalten koÈnnen, wird ihm dieser ErklaÈ-rungstatbestand zugerechnet. Hatte der ¹ErklaÈ-rende`̀ hingegen schuldlos keinerlei Kenntnis vonden UmstaÈnden, die sein Verhalten (schluÈ ssig) als

2012, Heft 2Februar108

# Springer-Verlag 2012

Befehlshaber; dann, wann gleich der Bot die Widerru-fung spaÈ ter erfahret, als er die Botschaft ausgerichtet,ist jegleichwohlen das Ausgerichtete von keiner Giltig-keit, wann der Aufgeber solches vor der Ausrichtung wi-derrufen hat, obschon die Widerrufung dem Boten erstnach der Ausrichtung zu seiner Wissenschaft gelanget`̀ ;vgl auch Martini, Lehrbegriff des Naturrechts 175 (§ 455).

339) OLG Hamm 30.10.1986, 15 W 394/86 DNotZ 1987,308 = OLGZ 1987, 129.

340) Franzen in Vieweg, juris PraxisKommentar BGB5

§ 120 Rz 11, die die UÈ bermittlung trotz eines zur Kennt-nis genommenen Widerrufs der vorsaÈtzlichen Entstellunggleichstellt.

340a) Auch beim Widerruf der Vollmacht (§ 1020) und derAnweisung (§ 1403) wird jeweils auf dessen Zugang abge-stellt; zu § 1403 s nur SpielbuÈchler in Klang, ABGB3 § 1403Rz 2 (insb FN 7); zu § 1020 s nur Stanzl in Klang, ABGBIV/12, 864; Strasser in Rummel, ABGB I3 §§ 1020 ff Rz 8.

341) Vgl auch den formlos moÈglichen (Apathy in Schwi-mann, ABGB IV3 § 1020 Rz 1) Widerruf der Vollmacht nach§ 1020. Davon ist die Frage zu trennen, inwieweit das beider Hilfsperson verbleibende SchriftstuÈ ck eine Zurech-nung qua Rechtsschein begruÈ ndet (s dazu FN 327) bzwob das Belassen der Nachricht beim Boten als ErklaÈrungs-fahrlaÈssigkeit gewertet werden kann (s dazu C.IV.4.a.).

342) Zur ErfuÈ llung von AuftraÈgen und zu ihren Auswir-kungen auf die Vollmacht s Apathy in Schwimann,ABGB IV3 § 1020 Rz 2; P. Bydlinski in KBB3 § 1017Rz 2; Schey, ObligationsverhaÈ ltnisse I 675 ff; Strasser inRummel, ABGB I3 §§ 1020±1026 Rz 8a; OGH 16.8. 1956,2 Ob 452/56 OÈ JZ EvBl 1956/346, 609.

343) Zur Pflicht ruÈ ckzufragen beim Auftrag s nur Apa-thy in Schwimann, ABGB IV3 § 1009 Rz 8.

344) Zur (hier nicht naÈher untersuchten) Haftung desBoten gegenuÈ ber dem ErklaÈrungsgegner s noch C.VI.

345) GegenuÈ ber demselben EmpfaÈnger waÈre das Vorlie-gen eines dem GeschaÈ ftsherrn zuzurechnenden Rechts-scheins zu pruÈ fen; s FN 327.

346) Zum Meinungsstand in OÈ sterreich s FN 348; zumBGB s Medicus, Allgemeiner Teil10 Rz 266, 605 ff; Singerin Staudinger, BGB (2004) Vorbem zu §§ 116±144 Rz 33 ff;jeweils mwN.

A. Geroldinger, Die Zurechnung Dritter nach § 875 ABGB

Page 16: Die Zurechnung Dritter nach § 875 ABGB

ErklaÈrung erscheinen lieûen, so rechnet man ihmdieses Verhalten nicht einmal als anfechtbare Er-klaÈrung zu347). FuÈ r OÈ sterreich muss die Zurech-nung qua ErklaÈrungsfahrlaÈssigkeit als noch weniguntersucht bezeichnet werden348). Zumindest aufBasis des heutigen VerstaÈndnisses der ErklaÈrungs-fahrlaÈssigkeit erscheinen mir manche UÈ berlegun-gen auf die Botenschaft uÈ bertragbar349).

ZunaÈchst ist zu beruÈ cksichtigen, dass derrechtsgeschaÈ ftliche Verkehr vielfach nur unterEinschaltung von Boten sinnvoll abgewickelt wer-den kann; man denke an die UÈ berwindung vonSprachbarrieren oder von groÈûeren Distanzen.Die Einsetzung eines ErklaÈrungsboten selbst kanndaher nicht schon als ErklaÈrungsfahrlaÈssigkeit ge-wertet werden, sondern ist allenfalls ± vergleich-bar dem Einsatz von GeschaÈftsstampiglien350) ±als Schaffung eines Gefahrenpotenzials zu verste-hen, das einen sorgsamen Umgang damit erfordert.

Im Falle des Boten, der die ErklaÈrung entgegeneiner aufschiebenden bzw aufloÈsenden Bedingungbzw Befristung uÈ bermittelt, ¹entgleitet`̀ dem Ge-schaÈftsherrn ± derzeit noch bzw inzwischen ± un-gewollt eine WillenserklaÈrung. Hier zeigt sich dieParallele zum Fall der abhandengekommenen Er-klaÈrung: LaÈsst A eine fuÈ r B bestimmte ErklaÈrungin seinem BuÈ ro liegen, etwa weil er sich die Absen-dung noch einmal uÈ berlegen will, und wird sie vonC (Schreibkraft, Ehepartner) abgeschickt, kommtes nach verbreiteter Ansicht ± weil die ErklaÈrungnoch nicht ¹abgegeben`̀ sei ± auf die ErklaÈrungs-fahrlaÈssigkeit an351).

Im hier interessierenden Fall wird auûerdemnicht ein ± ohne ErklaÈrungsbewusstsein gesetztes± unmittelbares Verhalten des ¹erklaÈrenden`̀ A ge-genuÈ ber B als WillenserklaÈrung des A gedeutet,sondern das ± seitens A (noch) ungewollte ± Han-deln des C gegenuÈ ber B dem A als WillenserklaÈ-rung zugerechnet. Der nicht nachpruÈ fende B ver-

dient dabei in seiner Annahme, dass C tatsaÈchlich(schon) als Hilfsperson des A handeln kann, imGrunde noch keinen Schutz352). Der fuÈ r die ErklaÈ-rungsfahrlaÈssigkeit zentrale Gedanke der Gleich-behandlung von ErklaÈrendem und AnerklaÈrtem353)laÈ sst hier sogar eine verstaÈrkte BeruÈ cksichtigungder Interessen des ErklaÈrenden zu.

Hat also der GeschaÈ ftsherr den Boten sorgfaÈ ltigausgewaÈhlt und die Voraussetzungen fuÈ r die UÈ ber-mittlung eindeutig formuliert, so muss er sich ± weilihm keineErklaÈrungsfahrlaÈssigkeit vorzuwerfen ist± ein ungewolltes Nachauûendringen der Willenser-klaÈrung grundsaÈ tzlich nicht zurechnen lassen. Ihmobliegt allerdings der entsprechende Beweis.

b. Bedingungen und Befristungen

Anerkennt man den Widerruf gegenuÈ ber dem Bo-ten als Zurechnungsschranke354), besteht mE keintragender Grund dafuÈ r, aufloÈsende Bedingungenbzw Befristungen anders zu behandeln. Denn dabeihandelt es sich doch im Wesentlichen um nichts an-deres als um die Vorwegnahme des Widerrufs. Frei-lich kann dabei nicht jede Anordnung, die Botschaftbis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu uÈ berbringen,als aufloÈsende Befristung gewertet werden. Folgtaber aus der Abrede oder den UmstaÈnden, dass einespaÈtere UÈ bermittlung zu unterbleiben hat355), unduÈ berbringt der Bote die Nachricht (vorsaÈ tzlich oderaus Versehen) trotzdem verspaÈ tet, ist dies dem Fallder fehlenden Bestellung gleichzusetzen. Das Risi-ko des ¹Ob`̀ der Boteneinsetzung traÈgt der ± nichtnachpruÈ fende ± AnerklaÈrte356).

Mehrdeutigkeiten bei der Formulierung der Be-dingung bzw Befristung und Auswahlverschuldengehen allerdings, auf dem Gedanken der ErklaÈ-rungsfahrlaÈssigkeit aufbauend, zu Lasten des Ge-schaÈftsherrn. Schlieûlich hat er es in der Hand,den Boten auszusuchen, die Bedingung zu formu-lieren bzw die Frist unmissverstaÈndlich festzuset-zen sowie durch Nachfragen sicherzustellen, dassder Bote die Instruktionen und ihren Bedingungs-bzw Befristungscharakter verstanden hat.

Diese UÈ berlegungen sprechen mE auch dafuÈ r,eine aufschiebende Boteneinsetzung (als vorweg-genommene Einsetzung) zuzulassen und den Botennur bei Eintritt der Bedingung bzw nach dem kri-tischen Zeitpunkt zuzurechnen. Denn solange eineBedingung im Raum steht, kann die ErklaÈrungnoch nicht als ¹abgegeben`̀ gewertet werden; esfehlt am Willen, sich der ErklaÈrung endguÈ ltig zubegeben357). Sind die Vorgaben des GeschaÈftsherrnnicht eindeutig, greifen aber die GrundsaÈtze derErklaÈrungsfahrlaÈssigkeit.

2012, Heft 2Februar 109

# Springer-Verlag 2012

347) Rummel, Entscheidungsanmerkung zu OGH 1 Ob205/06p, JBl 2007, 532 (535).

348) Grundlegend fuÈ r OÈ sterreich F. Bydlinski, Privatau-tonomie 155 ff; (im Wesentlichen) darauf aufbauend Apa-thy/Riedler in Schwimann, ABGB IV3 § 863 Rz 4; Bollen-berger in KBB3 § 863 Rz 5; P. Bydlinski, Entscheidungs-anmerkung zu OGH 2 Ob 107/08m, OÈ BA 2009, 457(461); Koziol/Welser, BuÈ rgerliches Recht I13, 110 f; Ried-ler, Zivilrecht I5 Rz 15/12; Riss, Die Haftung des VeraÈu-ûerers fuÈ r oÈffentliche AÈ uûerungen Dritter ± insbesonderedurch Werbung ± nach § 922 Abs 2 ABGB, JBl 2007, 156(160 f); Rummel, JBl 2007, 535; Wiebe in KletecÏka/Schau-er, ABGB-ON 1.00 § 863 Rz 13; OGH 20.6.1989, 5 Ob 106/88; 24.2.2009, 9 Ob 3/08v OÈ BA 2009, 595 (P. Bydlinski);vgl aber Kramer, Grundfragen 45 f.

349) Auch Pletzer (in KletecÏka/Schauer, ABGB-ON 1.00§ 871 Rz 13) erwaÈhnt die ErklaÈrungsfahrlaÈssigkeit imZusammenhang mit der Botenschaft.

350) Zu den FaÈ llen der entwendeten (Unterschriften-)Stempel s nur Koziol/Welser, BuÈ rgerliches Recht I13,111; Riedler, Zivilrecht I5 Rz 15/12.

351) Zum BGB Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil9 § 26 Rz 7;Medicus, Allgemeiner Teil10 Rz 266; aA Bork, Allgemei-ner Teil2 Rz 615. S in diesem Zusammenhang auchOGH 13.10.1994, 8 ObA 299/94: zum ¹Aussprechen`̀einer KuÈ ndigung iSd § 105 Abs 1 ArbVG.

352) S dazu auch FN 275 und C.I.2.b.353) Bollenberger inKBB3 §863Rz5;F.Bydlinski,Privat-

autonomie 160; Koziol/Welser, BuÈ rgerliches Recht I13, 110.354) S C.IV.2.355) Hier kann wohl im Wesentlichen auf die Grund-

saÈ tze zum FixgeschaÈ ft iSd § 919 zuruÈ ckgegriffen werden.356) Dies gilt jedenfalls auûerhalb des Anwendungsbe-

reichs des § 10 KSchG; s bei FN 294.357) Vgl zum BGB Singer/Benedict in Staudinger, BGB

(2004) § 130 Rz 21 mwN.

A. Geroldinger, Die Zurechnung Dritter nach § 875 ABGB

Page 17: Die Zurechnung Dritter nach § 875 ABGB

¹Bedingungen`̀ , die den Inhalt der Nachricht(§§ 871 und 872) oder den Adressaten (§ 873)358) ±dh das ¹Was`̀ oder das ¹Wem`̀ ± betreffen, koÈnnendie Zurechnung jedoch nicht verhindern359). An-dernfalls haÈ tte es der GeschaÈ ftsherr in der Hand,das Risiko des UÈ bermittlungsfehlers ± durch Bei-fuÈ gungen wie ¹Du bist nur dann mein Bote, wenndu die Nachricht richtig und an den RichtigenuÈ bermittelst`̀ ± auf den AnerklaÈrten zu verlagern.Aufgrund der positivrechtlichen Vorgaben bleibtkein Raum, selbst den sorgfaÈ ltigen GeschaÈftsherrnvon diesen Risiken zu befreien.

Hat der GeschaÈftsherr dem Boten mehrereNachrichten uÈ bergeben und haÈngt es von einemweiteren Ereignis360) ab, welche davon (wem) uÈ ber-mittelt werden soll, ist das UÈ bermitteln der fal-schen Botschaft (an den falschen Adressaten) mEals inhaltlicher Fehler zu behandeln und daher zu-rechenbar. Schlieûlich steht hier das ¹Ob`̀ auûerFrage, es geht um das ¹Was`̀ (allenfalls ¹Wem`̀ ).

5. Conclusio

Damit ergibt sich folgende Faustregel: Bedin-gungen bzw Befristungen, die sich darauf bezie-hen, ob die dem Boten uÈ berantwortete rechtsge-schaÈftliche ErklaÈrung uÈ berhaupt nach auûen tre-ten soll, sind so lange zu beruÈ cksichtigen, alsdem ErklaÈrenden keine Sorglosigkeit bei ihrerFormulierung oder der Auswahl des Boten vorzu-werfen ist. All jene (dem AnerklaÈrten nicht er-kennbaren) Bedingungen, die den Inhalt der Nach-richt ± dh die nach auûen hin sichtbare ¹Gestalt`̀des rechtsgeschaÈ ftlichen Willens ± betreffen, ver-hindern die Zurechnung nicht. Mit anderen Wor-ten: Ob sich das ¹Sprachrohrª oÈffnet, kann der Er-klaÈrende weitgehend steuern; was am anderen En-de des einmal geoÈffneten ¹Sprachrohrsª raus-kommt, ist im Wesentlichen sein Risiko.

Nun laÈsst sich fragen, worin der tragende wer-tungsmaÈûige Unterschied zwischen einem Verstoûgegen eine Bedingung oder Befristung (im ebendargestellten Sinn) einerseits und einer inhaltli-chen FalschuÈ bermittlung andererseits besteht.Diese FaÈ lle weisen, was das Fehlverhalten des Bo-ten anlangt, deutliche Gemeinsamkeiten auf. Ausder Warte des ErklaÈrenden unterscheiden sie sichimmerhin dadurch, dass er einmal die ErklaÈrungunbedingt auf Reisen geschickt, das andere MalGrenzen fuÈ r ihr Nachauûendringen gesetzt hat.Auûerdem existiert fuÈ r inhaltliche UÈ bermittlungs-fehler eine spezifische Risikozuweisung durch denGesetzgeber: Hat der ErklaÈrende eine Willenser-

klaÈrung ¹abgegeben`̀ , bleibt sie ihm grundsaÈ tzlichauch dann zurechenbar, wenn die ErklaÈrung vorihrem Zugang beim EmpfaÈnger entstellt wird(§ 871 Abs 1, § 875). Dieses strenge Regime gilt je-doch ± nach heute hA (s C.IV.4.a.) ± nur dann, wennder ErklaÈrende auch tatsaÈchlich eine WillenserklaÈ-rung abgeben wollte; andernfalls schuÈ tzt ihn dieSchranke der ErklaÈrungsfahrlaÈssigkeit. Ebendiese Wertungen sollten hier fortgedacht und aufden Boten umgelegt werden.

V. Als Stellvertreter auftretender Bote, als Boteagierender Stellvertreter

Ob die intern als Bote bestellte Hilfsperson auchim AuûenverhaÈ ltnis als Bote (oder doch als Stell-vertreter) behandelt wird, entscheidet ihr Auftre-ten gegenuÈ ber dem Dritten361); auch fuÈ r den Botengilt der Offenlegungsgrundsatz362). Damit stelltsich die Frage, welche Konsequenzen ein falschesAuftreten einer grundsaÈ tzlich mit einer Hilfsfunk-tion betrauten Person zeitigt.

ZunaÈchst ist jener Fall denkbar, in dem der Er-klaÈrungsbote C als Stellvertreter des A auftrittund als solcher mit B ein GeschaÈ ft fuÈ r den Ge-schaÈftsherrn schlieût. Dieses ist nur ± zugleichaber auch immerhin ± dann wirksam, wenn es sichmit der urspruÈ nglichen Botschaft vollinhaltlichdeckt (§§ 1016 f)363). Tritt der Stellvertreter C alsBote auf und liegt die ¹Botschaft`̀ innerhalb derVollmachtsschranken, so ist sein Verhalten demGeschaÈ ftsherrn A zuzurechnen364). In beiden FaÈ l-len wird nicht in das Recht des GeschaÈftsherrnauf freie Selbstbestimmung eingegriffen. Eskommt ihm prinzipiell nur darauf an, dass undmit welchem Inhalt, nicht aber wie das GeschaÈftzustande kommt365). Unterbliebe hier eine Zurech-nung, wuÈ rde ein Schutz gewaÈhrt, den niemand willund braucht.

Schwerer faÈ llt die Antwort in folgenden Kon-stellationen: Der von A mit dem Auftrag, fuÈ r ihndas Auto des B um ³ 10.000,± zu kaufen, auf Rei-sen geschickte Stellvertreter C tritt als Bote auf,die dabei abgegebene ErklaÈrung ¹A kauft das Au-to um ³ 12.000,±`̀ ist von den inhaltlichen Schran-ken der Vollmacht nicht gedeckt. Oder aber, dem

2012, Heft 2Februar110

# Springer-Verlag 2012

358) S C.III.1.359) Dasselbe gilt wohl auch, solange es nur um den

Modus der UÈ bermittlung geht (zB der zum Transporteiner schriftlichen Nachricht eingesetzte Bote greiftzum Telefon). Davon ist die Relevanz einer hoÈchstpersoÈn-lichen Boteneinsetzung zu trennen; zur HoÈchstpersoÈn-lichkeit im Stellvertretungsrecht vgl nur Rubin in KletecÏ-ka/Schauer, ABGB-ON 1.00 § 1010 Rz 4 ff.

360) Nicht aber dem Willen der Hilfsperson, denn dies-falls liegt keine Boteneinsetzung, sondern Vollmachtsein-raÈumung vor.

361) Anstelle vieler OGH 29.9.1987, 4 Ob 553/87 JBl1989, 107 (KoÈmuÈ rcuÈ -SpielbuÈ chler); zum BGB Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil9 § 46 Rz 75; aA Hueck, AcP 152(1952) 435 ff.

362) OGH 14.9.1988, 9 ObA 164/88 SZ 61/195.363) P. Bydlinski in KBB3 § 1002 Rz 6; derselbe, BuÈ rger-

liches Recht I5 Rz 9/14; KoÈmuÈ rcuÈ -SpielbuÈ chler, JBl 1989,109 f; OGH 14.6.1989, 9 ObA 125/89, 126/89; aA Apathyin Schwimann, ABGB IV3 § 1002 Rz 6; Strasser in Rum-mel, ABGB I3 § 1002 Rz 53. Wie hier zum BGB Flume,Allgemeiner Teil II3, 757; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil9

§ 46 Rz 76.364) Apathy in Schwimann, ABGB IV3 § 1002 Rz 6;

Strasser in Rummel, ABGB I3 § 1002 Rz 53. Zum BGBFlume, Allgemeiner Teil II3, 758; Larenz/Wolf, Allgemei-ner Teil9 § 46 Rz 76.

365) OGH 14.6.1989, 9 ObA 125/89, 126/89; s auchFlume, Allgemeiner Teil II3, 757; Schramm in MuÈ nch-KommBGB I/16 Vorbem zu §§ 164 ff Rz 52 ff.

A. Geroldinger, Die Zurechnung Dritter nach § 875 ABGB

Page 18: Die Zurechnung Dritter nach § 875 ABGB

Stellvertreter C wurde eine beschraÈnkte Vollmachterteilt, zu deren Gebrauch er lediglich ermaÈchtigtist; C uÈ berschreitet die Grenzen der Vollmacht,wobei er als Bote auftritt. Der Unterschied zwi-schen den beiden Konstellationen besteht darin,dass dem Stellvertreter einmal zwar keine Bot-schaft, aber doch ein konkreter Auftrag mit aufden Weg gegeben wurde. Man koÈnnte geneigt sein,insb im ersten Fall eher die GrundsaÈtze derFalschuÈ bermittlung anzuwenden. ME entschei-dend ist allerdings, dass in beiden FaÈ llen keinauf Abschluss irgendeines GeschaÈ ftes mit einemDritten gerichteter rechtsgeschaÈ ftlicher Wille ge-fasst und auf Reisen geschickt worden ist. Denndie ErklaÈrung, mit der die (gem § 1020 jederzeitwiderrufbare) Vollmacht erteilt wurde, war an Cgerichtet und hat ihre Wirkung bereits entfaltet.Der dafuÈ r gefasste und artikulierte Wille ist nichtmit dem Rechtsfolgewillen, der fuÈ r das mit demDritten abzuschlieûende GeschaÈ ft notwendig ist,gleichzusetzen (das gilt auch fuÈ r den erwaÈhntenAuftrag). C wurde zwar mit einer HilfstaÈ tigkeitbetraut, jedoch nicht als Bote ± dh als TraÈger einerfuÈ r einen Dritten bestimmten Nachricht uÈ bereinen gefassten rechtsgeschaÈ ftlichen Willen ± ein-gesetzt. Die §§ 871 und 875 koÈnnen daher schonihrem Wortlaut und Sinngehalt nach nicht ange-wendet werden; A hat keine ErklaÈrung auf denWeg geschickt, die mit der ¹zugegangenen`̀ aus-einanderfiele366). DafuÈ r, dass A durch das Entsen-den des C eine Gefahrenquelle geschaffen hat,muss er nach hA aus cic (qua § 1313a) einste-hen367).

Im Ergebnis entscheidet also das Auftreten desBoten zwar daruÈ ber, nach welchen Bestimmungensein Verhalten beurteilt wird. Damit ist aber nochnicht zwingend gesagt, dass die Vollmacht die Bo-tenmacht immer substituiert (und vice versa). So-mit kommt den VorgaÈngen im InnenverhaÈ ltnis ent-scheidende Bedeutung zu: Denn fuÈ r die Boten-schaft braucht es grundsaÈtzlich368) eine auf Reisengeschickte WillenserklaÈrung. Weil bei Vollmachts-erteilung (allenfalls mit Auftrag) keine rechtsge-schaÈftliche ErklaÈrung existiert, die transportiertwerden koÈnnte, gilt der als Bote auftretende Stell-vertreter als nicht eingesetzt369). Bedient sich derGeschaÈ ftsherr eines Boten, so muss er sich dessenFehler in der Tat weitgehend370) zurechnen lassen.

VI. Haftung und nachtraÈgliche Genehmigung

Wer ohne NachpruÈ fung beim GeschaÈftsherrn aufdas Vorliegen von Botenmacht und die uÈ bermit-telte ErklaÈrung vertraut, tut dies grundsaÈtzlichauf eigene Gefahr. Dabei traÈgt der AnerklaÈrte aber

im Wesentlichen nur das Risiko, dass der Bote garnicht als solcher eingesetzt wurde. Verwirklichtsich dieses Risiko, kann sich der GeschaÈdigte nachWelser371) am (vorgeblichen) Boten selbst aus cicschadlos halten. FuÈ r allfaÈ llige aus einer Falsch-uÈ bermittlung resultierende VertrauensschaÈdenhaftet nach hA der GeschaÈftsherr, der den Botenentsandt hat, qua § 1313a aus cic372).

Eine ohne Botenmacht abgegebene Botschaftkann der hA zufolge nach den GrundsaÈ tzen des§ 1016 nachtraÈglich genehmigt werden373).

VII. Ergebnis zu C.

An der Unterscheidung von Boten und Stellver-tretern ist de lege lata nicht zu ruÈ tteln. Die fuÈ r denUÈ bermittlungsfehler des Boten zentrale Bestim-mung ist § 875. Im VerhaÈ ltnis zum AnerklaÈrtenist der ErklaÈrungsbote ein Dritter iSd § 875. DieRisiken der Entstellung der ErklaÈrung und derUÈ bermittlung an die falsche Person traÈgt der Ge-schaÈftsherr. Er kann das RechtsgeschaÈft nur unterden Bedingungen der §§ 871 und 875 anfechten.Auf den Vorsatz oder die FahrlaÈssigkeit des Botenkommt es entgegen der neueren Lehre nicht an.

Hat der GeschaÈ ftsherr uÈ berhaupt keine ErklaÈ-rung abgegeben, fehlt es prinzipiell an der Boten-stellung; gleichsam sind Widerruf sowie solche Be-dingungen und Befristungen zu beachten, die sichauf das ¹Ob`̀ des Nachauûentretens der ErklaÈrungbeziehen, sofern dem ErklaÈrenden keine ErklaÈ-rungsfahrlaÈssigkeit anzulasten ist. Die Zurech-nung erfordert einen inneren Zusammenhang zwi-schen der Boteneinsetzung und der UÈ bermittlung.Dieser ist in der Regel dann nicht mehr anzuneh-men, wenn die ¹uÈ bermittelte`̀ Botschaft in keinemihrer Kernelemente ± dh ihrer essentialia und derPerson des AnerklaÈrten ± mit der abgegebenenuÈ bereinstimmt.

Korrespondenz: Ass.-Prof. Dr. Andreas Geroldinger,Johannes Kepler UniversitaÈ t, Institut fuÈ r Zivilrecht,Altenberger Straûe 69, A-4040 Linz, OÈ sterreich; E-Mail:[email protected].

2012, Heft 2Februar 111

# Springer-Verlag 2012

366) S aber bei FN 364 f.367) S FN 372.368) S noch FN 327.369) Zur Haftung s C.VI. Liegt die ErklaÈrung innerhalb

der Vollmachtsschranken, kommt es jedoch deshalb zurZurechnung, weil andernfalls ein Schutz gewaÈhrt wird,an dem niemand Interesse hat; s oben.

370) S aber C.III.2.

371) Vertretung 112 ff; in diesem Sinne auch Apathy inSchwimann, ABGB IV3 § 1002 Rz 5. Der Codex Theresia-nus enthielt diesbezuÈ glich eine eigene Regelung (III 2 § XI84): ¹HaÈtte aber Derjenige, welcher die Ausrichtung derBotschaft auf sich genommen, dabei nicht getreulich ge-handlet, und andurch einen oder den anderen Theil inSchaden und Nachtheil eingefuÈ hret, so ist derselbe sol-chen zu ersetzen schuldig, jedoch auûerdeme, und wannder Vollzug mit dem Auftrag gaÈnzlich uÈ bereinstimmet,zu nichts verbindlich`̀ .

372) Apathy in Schwimann, ABGB IV3 § 1002 Rz 5;P. Bydlinski in KBB3 § 1002 Rz 6; Pletzer in KletecÏka/Schauer, ABGB-ON 1.00 § 871 Rz 13; Rummel in Rum-mel, ABGB I3 § 871 Rz 5; zur Haftung des schuldhaft Ir-renden s nur Rummel in Rummel, ABGB I3 § 871 Rz 16;Vonkilch, Grundfragen der Schadenersatzpflicht vonAnlegern nach erfolgter Anfechtung von WertpapierkaÈu-fen, OÈ JZ 2011/104, 989 ff mwN.

373) Stanzl in Klang, ABGB IV/12, 851; Strasser inRummel, ABGB I3 § 1002 Rz 53; OGH 26.1.1955, 7 Ob24/55 OÈ JZ EvBl 1955/248, 417.

A. Geroldinger, Die Zurechnung Dritter nach § 875 ABGB