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GLIEDERUNG Die Justizgrundrechte (Art. 101-104 GG) I. Stellung der Justizgrundrechte II. Gewaltenteilung – „Die Rechtsprechung“ III. Übersicht – Justizgrundrechte (Art.101 I 2, 103 I-III, 104 GG) IV. Anspruch auf den gesetzlichen Richter (Art.101 I 2 GG) V. Anspruch auf rechtliches Gehör (Art.103 I GG) VI. Schutz vor willkürlichen Verhaftungen (Art. 104 GG)

Die Justizgrundrechte (Art. 101-104 GG) - Uni Trier€¦ · Abs. 2-4 Prüfungsschema für Art. 2 II 2 iVm Art. 104 GG I. Sachlicher und persönlicher Schutzbereich –Art. 2 II 2

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GLIEDERUNG

Die Justizgrundrechte (Art. 101-104 GG)

I. Stellung der JustizgrundrechteII. Gewaltenteilung – „Die Rechtsprechung“III. Übersicht – Justizgrundrechte (Art.101 I 2, 103 I-III, 104 GG)IV. Anspruch auf den gesetzlichen Richter (Art.101 I 2 GG)V. Anspruch auf rechtliches Gehör (Art.103 I GG)VI. Schutz vor willkürlichen Verhaftungen (Art. 104 GG)

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STELLUNG DER JUSTIZGRUNDRECHTE

Art.93 I Nr.4a GG (Verfassungsbeschwerde)„[...] in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs.4, 33, 38, 101,

103 und 104 enthaltenen Rechte [...]“

• andere Rechte als Grundrechte → grundrechtsgleiche Rechte• Art.102 GG (Verbot der Todesstrafe) wird nicht aufgezählt → Schranken-Schranke

für das Grundrecht auf Leben aus Art.2 II 1 GG• IX. Abschnitt des Grundgesetzes „Die Rechtsprechung“ → Art.20 II 2 GG

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GEWALTENTEILUNG -

RECHTSPRECHUNG

Gesetzgebung

Vollziehende Gewalt

Rechtsprechung

Festsetzung der Rechtsordnung, dauerhafte Regelung desZusammenlebens in Bezug auf künftige Sachverhalte→ Bundestag als unmittelbar demokratisch legitimiertesOrgan beschließt die Gesetze

Regierung und Verwaltung → Rechtsanwendung, insbes.Gesetzesvollzug, Handeln der Verwaltung im Rahmen derGesetze, Ausübung des Gewaltmonopols, Bezug aufgegenwärtige Sachverhalte

Entscheidung über die Gesetzmäßigkeit vergangenerSachverhalteRecht-Sprechen → letztverbindliches Wahren des Rechts,alleiniger Maßstab ist das Recht→ sachliche u. persönliche Unabhängigkeit (Art.97 I, II 1 GG)

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ÜBERSICHT – JUSTIZGRUNDRECHTE (ART.101-104 GG)

Art.101 I 2 GG Art.103 I GG Art.103 II GG Art.103 III GG

Anspruch auf den gesetz-

lichen Richter

Anspruch auf rechtliches

Gehör

Art.104 GG

Strafrechtlicher Bestimmtheits-

grundsatz, Analogieverbot

und Rück-wirkungsverbot

Nulla poena sine lege

Strafrechtliches Doppelverfol-gungsverbot

Ne bis in idem

Schutz vor willkürlichen

VerhaftungenHabeas corpus

Konkrete Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips

Kerngehalte wurzeln in der Menschenwürde

Art.2 I GG iVm Rechtsstaatsprinzip → Recht auf ein rechtsstaatlich-faires Verfahren

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ANSPRUCH AUF DEN GESETZLICHEN RICHTER (ART.101 I 2 GG)

Förmliches Gesetz

Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.

→ abstrakt-generelle Bestimmung des zuständigen Richters im Voraus, um die Unparteilichkeit der entscheidenden Gerichtspersonen zu gewährleisten

→ hinreichend bestimmte Festlegung der fundamentalen Regelungen über den Rechtsweg, die sachliche, örtliche und instanzielle Zuständigkeit der Gerichte und ihrer Spruchkörper (gerichtsextern)

Geschäftsvertei-lungspläne

→ Bestimmung der zuständigen Spruchkörper und Zuweisung der erforderlichen Richter (gerichtsintern)

• Der gesetzliche Richter ist nur der verfassungsmäßige Richter. Die Anforderungen der Art.92, 97 GG sind damit mittelbar grundrechtsgleich garantiert.

• Ein „Entzug“ des gesetzlichen Richters durch die Gerichte setzt Willkür voraus.• Gesetzlicher Richter ist auch der EuGH (Vorlagepflicht nach Art.267 AEUV).• Art. 101 I 1 GG verbietet in Konkretisierung des Satzes 2 Ausnahmegerichte.• Berechtigter iSd Art.101 I 2 GG ist jeder, der an einem gerichtlichen Verfahren als Partei oder in

ähnlicher Stellung beteiligt ist → Berechtigte sind auch juristische Personen des öffentlichen Rechts und ausländische juristische Personen.

• Eine europäische Justizgewährleistung enthalten Art.6 I EMRK und Art.47 II EUGRCh.• Der Anspruch auf eine funktionsfähige Rechtsprechung folgt aus dem Recht auf

Justizgewährleistung (Art.19 IV GG sowie Art.2 I GG iVm Rechtsstaatsprinzip).

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ANSPRUCH AUF RECHTLICHES GEHÖR (ART.103 I GG)

Vor Gericht

Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

→ der Einzelne soll nicht bloßes Objekt des gerichtlichen Verfahrens sein, sondern durch Äußerung Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen können

→ staatliche Gerichte – Anspruch besteht für alle Verfahren und alle Instanzen

Gehör→ Stufen der Realisation: 1. Mitteilungs- und Informationspflichten des Gerichts,2. Möglichkeit, sich zum Verfahrensstoff zu äußern,3. Berücksichtigungspflicht des Gerichts (grds. Begründung).

• Berechtigter iSd Art.103 I GG ist jeder, der an einem gerichtlichen Verfahren als Partei oder in ähnlicher Stellung beteiligt ist → Berechtigte sind auch juristische Personen des öffentlichen Rechts und ausländische juristische Personen.

• Wenn wegen des Verfahrenszwecks (Eilverfahren) vorheriges Gehör nicht gewährt werden kann, ist dies unverzüglich nachzuholen.

• Im Verwaltungsverfahren und im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren kann sich ein Anhörungsrecht aus Art.2 I GG iVm Rechtsstaatsprinzip ergeben.

• Das Recht auf ein faires Verfahren enthalten Art.6 I EMRK und Art.47 II EUGRCh und ist ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts.

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HABEAS CORPUS ACT 1679

An Act for the better securing the Liberty of theSubject, and for Prevention of Imprisonment beyondthe Seas. [...]

Art. 2 GG(2) 1Jeder hat das Recht auf Leben und körperlicheUnversehrtheit. 2Die Freiheit der Person istunverletzlich. 3In diese Rechte darf nur auf Grundeines Gesetzes eingegriffen werden.

Art.104 GG(1) 1Die Freiheit der Person kann nur auf Grund einesförmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung derdarin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden.[...]

Ergänzungen des Art. 2 II 2 GG durchzusätzliche verfahrensmäßige Sicherungendes Art.104 GG.

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SCHUTZ VOR WILLKÜRLICHEN VERHAFTUNGEN

Art. 104 GG

Freiheitsbeschränkungen(Abs. 1)

Freiheitsentziehungen Abs. 2-4

Prüfungsschema für Art. 2 II 2 iVm Art. 104 GG

I. Sachlicher und persönlicher Schutzbereich– Art. 2 II 2 GG –

II. Eingriff in diesen SchutzbereichIII. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs

1. bei Freiheitsbeschränkungen: Art. 104 I GG2. bei Freiheitsentziehungen: Art. 104 II – IV GG

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FREIHEITSBESCHRÄNKUNGEN UND -ENTZIEHUNGEN

Freiheitsbeschränkungen(Abs. 1)

Freiheitsentziehungen Abs. 2-4

Schutz der körperlichen Bewegungsfreiheit vor Beeinträch-tigungen durch unmittelbaren – physischen – Zwang →wenn jemand gegen seinen Willen gehindert wird, einen ihmfaktisch wie rechtlich zugänglichen Ort aufzusuchen, sich dortaufzuhalten und von dort zu entfernen.

Festhalten auf eng umgrenzten Raum gegen oder ohne Willendes Betroffenen – die körperliche Bewegungsfreiheit ist nachjeder Richtung hin aufgehoben.

• Art. 104 I 1: Vorbehalt des förmlichen Gesetzes (Bestimmtheitsgebot, Analogieverbot).• Art. 104 I 2: Misshandlungsverbot → Art. 1 I GG: Folterverbot.• strikte Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.

• Art. 104 II 1: Richtervorbehalt bei erstmaliger Anordnung und Fortdauer einerFreiheitsentziehung; vorläufige Freiheitsentziehungen durch die Exekutive nur, wenn sonstZweck der Freiheitsentziehung vereitelt wird.

• Art. 104 II 2: vorläufige Freiheitsentziehungen durch die Exekutive bedürfen unverzüglicherBestätigung durch den Richter → Verzögerung muss durch zwingende Gründe objektivbedingt sein (relative Grenze).

• Art. 104 II 3: Richterliche Entscheidung bis zum Ende des nächsten Tages (zusätzliche,absolute Grenze).

• Art. 104 III: ergänzende Sonderreglungen bei Festnahme wegen strafbarer Handlung.• Art. 104 IV: Benachrichtigungspflicht ↔ „spurloses Verschwinden“.

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FALL „VERKEHRSUNTERRICHT“

A fährt in der Tempo-30-Zone mit 65 km/h. Zwei Polizeibeamte halten ihndeshalb an. A ist verärgert und führt an, dass Tempo-30-Zonen undüberhaupt Geschwindigkeitsbegrenzungen bürokratischer Unfug seien.Weiterhin kündigt A an, als freier Bürger auch in Zukunft so schnell zu fahren,wie er dies für richtig halte. Daraufhin erhält A neben einemBußgeldbescheid wegen der Geschwindigkeitsüberschreitung eineVorladung zur Teilnahme an einem Verkehrsunterricht. Als Rechtsgrundlagewird in der Vorladung § 48 StVO genannt. Die Vorschrift lautet: "WerVerkehrsvorschriften nicht beachtet, ist auf Vorladung derStraßenverkehrsbehörde ... verpflichtet, an einem Unterricht über dasVerhalten im Straßenverkehr teilzunehmen.„

A hält §48 StVO für verfassungswidrig. Der Zwang zu einem Verkehrsunterrichtzu erscheinen, sei eine Freiheitsbeschränkung. Für diese reiche die StVO unddamit eine Rechtsverordnung als Grundlage nicht aus; nach Art. 104 I GG seiein förmliches Gesetz erforderlich.

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FALL „VERKEHRSUNTERRICHT“

Vorüberlegung:

• Eine Freiheitsbeschränkung im Sinne von Art. 104 I GG setzt ein förmliches Gesetz voraus, das hinreichend bestimmt ist.

• § 48 StVO ist kein förmliches Gesetz, sondern eine Rechtsverordnung, die ihrerseits nach Art. 80 I GG auf einem förmlichen Gesetz beruht.

• Dieses Gesetz ist § 6 I StVG, das aber nur „Maßnahmen für bedingt geeignete und ungeeignete Fahrerlaubnisinhaber“ vorsieht. Voraussetzungen einer Vorladung lassen sich § 6 I StVG nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen.

• Wenn die Vorladung zum Verkehrsunterricht eine Freiheitsbeschränkung ist, ist § 48 StVO demnach mit Art. 104 I GG unvereinbar.

• Freiheitsbeschränkungen sind nicht Maßnahmen, auf Grund derer sich der Verpflichtete zwangsläufig irgendwann an einen bestimmten Ort begeben muss, es ihm aber freisteht, wann er dies tut (z.B. Pflicht, sich bei Polizeidienststelle zu melden).

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FALL „VERKEHRSUNTERRICHT“

Freiheitsbeschränkung

Anwendung/Androhung von körperlich wirkenden

Zwang erforderlich

Rechtsgebot genügt, das Aufenthalt zu bestimmten

Zeitpunkt/Ort vorsieht

Arg.: • historische Interpretation, habeas-corpus

Gedanke als Schutz vor willkürlichen Verhaftungen

• Systematischer Vergleich mit Art. 11 GG –danach ist allen Deutschen das Recht zum nicht ganz kurzfristigen Aufenthalt im Bundes-gebiet gewährleistet. Demgegenüber gilt Art.2 II 2 GG auch für Ausländer und schützt Aufenthalte von kürzerer Dauer. Die weite Auffassung ist insofern unzureichend abgestimmt.

→ Vorladung ist keine Freiheitsbeschränkung.

Arg.: • Rechtsgebot ist letztlich ebenfalls durch-

setzbar, auch wenn in der Regel erst durch zusätzlichen Akt der Androhung und Anwendung von Zwangs- oder Beugemitteln

→ Vorladung ist Freiheitsbeschränkung.