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Die Gräzistik Inhalte und Methoden Homer Römische Kopie eines griechischen Originals aus dem 2. Jh. v. Chr. Vorstellung einer altertumswissen- schaftlichen Disziplin der Universität Münster im Rahmen des interdisziplinären Studiengangs ‚Antike Kulturen‘ Von Prof. Dr. Christian Pietsch

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Die Gräzistik Inhalte und Methoden

HomerRömische Kopie eines griechischen Originals aus dem 2. Jh. v. Chr.

Vorstellung einer altertumswissen- schaftlichen Disziplin der Universität Münster im Rahmen des interdisziplinären Studiengangs ‚Antike Kulturen‘

VonProf. Dr. Christian Pietsch

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Überblick über die Vorlesung

I. Überblicksdarstellung1. Das Fach und sein Gegenstand2. Die Textgattungen 3. Epochen der griechischen Literatur und Philosophie4. Überlieferung5. Bearbeitung der Texte – Die Philologische Methode

II. Exemplarische Vorstellung gräzistischerForschung an der Universität Münster:‚Der Platonismus in der Antike‘

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Griechische Kolonisation (8./6. Jh. v. Chr.)

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Die Klassische Philologie und ihre Hilfswissenschaften

Altertumswissenschaft

Klassische Philologie

Gräzistik Latinistik

Alte Geschichte Archäologie

In Zeit- und Raum gleiche oder angrenzende Kulturen,z.B. Ägyptologie, Orientalistik, Mediävistik, Byzantinistik

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Poseidippos, Epigr. 65 (Austin-Bastianini = Cod. Mil. Vogl. VIII 309, col. X 30-33 =

AP 16, 119)

Lysipp, Bildner aus Sikyon, kühne Hand,geschickter Künstler, das Erz hat Feuer im Blick,

das du mit der Gestalt Alexanders versehen hast. Keineswegs tadeln kann mandie Perser. Es gibt Verzeihung für Rinder, vor dem Löwen zu fliehen.

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Die Gattungen der griechischen Literatur

POESIE(in Versmaßen)

PROSA(ohne Versmaß)

Epos Lyrik Drama

Tragödie Komödie Satyrspiel Mimos

Mytholog.Epos

Lehr-gedicht

Lyrik

monodisch chorisch

Elegie Spott-GedichtJambus

Ge- schichts- schr./Biogr.

Reden/ Rhe- torik

Philo- sophie

Prosa-traktat

Dialog

Brief Roman Fach-literatur

Fabel

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Epochen der griechischen Literatur und PhilosophieJahr Epoche Griechische Literatur Griech. Philosophie

900 v. Chr.700

Geometrische Zeit

Homerische Epik

700480

Archaik HesiodFrühgriech. Lyrik

Vorsokratiker (Ionier: Interesse an Weltentstehung, Kosmos, Physik, Eleaten); Pythagoreer

480

320

Klassik Drama, RednerGeschichtsschreibung, Fachliteratur

Vorsokratik, Pythagoreer, Sophistik (Interesse am Menschen, Vermittlung gesellschaftlicher Erfolgstechniken)Sokrates (Interesse am Menschen, Ethik)

Platon, Aristoteles (Ideenlehre; Interesse an Ontologie/Metaphysik,Erkenntnistheorie, Ethik, Logik/Sprachphilos.)

320 v. Chr.200 n. Chr.

Hellenismus Alexandrin. Literatur, FachliteraturLiterar. KlassizismusZweite Sophistik

Akademie Peripatos Stoa Epikur. Pyrrhon. Mittelplat. Ältere Zenon Epikur Eudoros(349/8-268/4) (335-264) (342/1-271/0) (1. Jh. v.C.)Mittlere Alkinoos(268/4-155) (2. Jh.n.C.)Jüngere Numenios(155-86) (2. Jh.n.C.)Antiochos(† 67 v. Chr.)Mittelplaton. Alexander(1.Jh.v.Chr.) (2. Jh.)

200600

Spätantike Neuplatonisch-aristotelische Philosophie (Plotin, Proklos), Patristik

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Kritische Phasen der Überlieferung antiker Literatur

1. Alexandrinische Philologie (300-145/1. Jh. v. Chr.)

Sicherung der antiken Literatur durch textkritische

Bearbeitung und Kommentierung

2. Papyrus-Rolle zu Pergament-Codex (ab 3. Jh. n. Chr.)

3. Textüberlieferung in Byzanz- ‚Dunkle Jahrhunderte‘ (7.-9. Jh. n. Chr.)- Eroberung von Byzanz durch Kreuzritter (1204)- Eroberung von Byzanz durch Türken (1453)

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Platon (429/8-349/8 v. Chr.), Anfang des Phaidros, Codex Clarkianus 39 in der Bodleian Library, Oxford, um 895 n.

Chr.Aus: Franz Steffens, Proben aus griechischen Handschriften und Urkunden, Trier 1912

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Poseidippos-Papyrus, 2. Jh. v. Chr.

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Diogenes von Oinoanda (Kleinasien), 2. Jh. n. Chr.: Epikureischer Text

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Stemma der handschriftlichen Überlieferung von

Apollonios Rhodios, Argonautika (nach H. Fränkel)

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Apollonios Rhodios, Arg. III 361 ff moderne textkritische Bearbeitung

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Hermeneutischer Zirkel

Historische undGeistesgeschichtliche

Zeitsituation

Biographie des Autors

Das einzelne Werk

Literarische Gattung

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II. Exemplarische Vorstellung gräzistischer Forschung an der Universität Münster

‚Der Platonismus in der Antike‘

Ein Projekt zur Systematischen Darstellung der antiken Platon-Rezeption

Platon (428/7 - 348/7 v. Chr.) Rom, Vatikanische Museen, kaiserzeitliche Kopie eines um 350 entstandenen Originals

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1. Gegenstand des Projektesa. Definition:

- Platonismus allgemein:geistige Strömung, deren Lehrmeinungen sich direkt oder indirekt, d.h. über Vermittlung anderer Autoren und ohne eigene Lektüre der Texte Platons, auf Platon zurückführen lassen

- Speziell Platonismus der Antike: diejenige geistige Strömung in der Antike vom 1. Jh. v. Chr. bis zum Ausgang der Antike (6. Jh. n. Chr.), deren Lehrmeinungen sich auf Platon zurückführen lassen

b. Grundlehren des Platonismus:- Intelligible Welt/Ideen- Gott- Seele- Körperliche Welt

2. Aufgabe der Forschung:a. Sammlung, Erschließung und Aufbereitung des Materials, d.h. der

Texteb. Nachzeichnung der Geschichte des Platonismus

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3. Geschichte des antiken Platonismus:

- Platon (428/7 – 348/7 v. Chr.)- Alte Akademie (348/7 – 268/4)- Mittlere Akademie (268/4 – 155)- Jüngere Akademie (155 – 86)- Rückwendung zu dogmatischen Aussagen (frühes 1. Jh. v. Chr.):

Antiochos von Askalon († 67 v. Chr.)- Mittelplatonismus/Neupythagoreismus (2. Hälfte des 1. Jh. v. Chr. – 3.

Jh. n. Chr.)- Neuplatonismus (3. Jh. – 6. Jh. n. Chr.)

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4. Situation der Forschung vor Etablierung des Projektes5. Bedeutung des Projektes

a. für die Geisteswissenschaften insgesamtb. für die Altertumswissenschaften

6. Methode und Aufbau des Projektes• Bd. I: Die geschichtlichen Wurzeln des Platonismus der Platonismus (** 1-35), Stuttgart – Bad

Cannstatt 1987• Bd. II: Der hellenistische Rahmen des kaiserzeitlichen Platonismus (** 36-72), Stuttgart – Bad

Cannstatt 1990• Bd. III: Der Platonismus im 2. und 3. Jahrhundert nach Christus (** 73-100), Stuttgart – Bad Cannstatt

1993• Bd. IV: Die philosophische Lehre des Platonismus. Einige grundlegende Axiome. Physik I (** 101-

124), Stuttgart – Bad Cannstatt 1996• Bd. V: Die philosophische Lehre des Platonismus. Platonische Physik II (** 125-150), Stuttgart – Bad

Cannstatt 1998• Bd. VI 1/2: Die philosophische Lehre des Platonismus. Von der „Seele“ als der Ursache aller sinnvollen

Abläufe (** 151-168/169-181), Stuttgart – Bad Cannstatt 2002• Bd. VII 1/2: Die philosophische Lehre des Platonismus. Platonische Theologie (** 182-205/206-229),

Stuttgart – Bad Cannstatt 2007/2010• Bd. VIII: Die philosophische Lehre des Platonismus. Platonische Ethik (** 230- ca. 260), Stuttgart –

Bad Cannstatt (voraussichtlich) 2011

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7. Geschichte des Projektes, derzeit erreichter Stand, Perspektiven

- H. Dörrie (1911-1983): Gründung; weitgehende Fertigstellung der ersten beiden Bände

- 1983: Übernahme der Projektleitung durch M. Baltes (1940- 2003)

- 1987: Erscheinen von Bd. I; zugleich Beginn der DFG- Förderung; bis 2003 erscheinen die Bdd. I-VI

- 2003: Übernahme der Projektleitung durch C. Pietsch (* 1960)- 2009: Voraussichtliches Ende der Förderung durch die DFG- 2011: Voraussichtlicher Abschluß des Projektes

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II. Konkretes Beispiel aus der Projektarbeit: Entfaltung des platonischen Gottesbildes

1. Voraussetzungen (Platon):a. Parm. 137c4 – 142a8: Negative Theologieb. Resp. 506d8ff: Sonnengleichnisc. Resp. 509 B 9: Das oberste Prinzip ist „jenseits des Seins“

(e)pe/keina th=j ou)si/aj)

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2. Alkinoos/Albinos (1./2. Jh.), Epit. doct. Plat. 10.2 Whittacker-Louis

ei) de\ yuxh=j nou=j a)mei¿nwn, nou= de\ tou= e)n duna/mei o( kat' e)ne/rgeian pa/ntanow½n kaiì aÀma kaiì a)ei¿, tou/tou de\ kalli¿wn o( aiãtioj tou/tou kaiì oÀper aÄn eÃtia)nwte/rw tou/twn u(fe/sthken, ouÂtoj aÄn eiãh o( prw½toj qeo/j, aiãtioj u(pa/rxwn tou=a)eiì e)nergeiÍn t%½ n%½ tou= su/mpantoj ou)ranou=. ¹EnergeiÍ de\ a)ki¿nhtoj, au)to\j wÔnei¹j tou=ton, w(j kaiì o( hÀlioj ei¹j th\n oÀrasin, oÀtan au)t%½ prosble/pv, kaiì w(j to\o)rekto\n kineiÍ th\n oÃrecin a)ki¿nhton u(pa/rxon: ouÀtw ge dh\ kaiì ouÂtoj o( nou=jkinh/sei to\n nou=n tou= su/mpantoj ou)ranou=.

Wenn der Intellekt besser ist als die Seele, und wenn der tätige Intellekt, indem er alles zugleich und immer erkennt, besser ist als der nur potentielle Intellekt, und wenn schöner derjenige Intellekt ist – und was es sonst noch Höheres als diese <niederen Intellekte> gibt – der Ursache für diesen tätigen Intellekt ist, dann dürfte er der Erste Gott sein. Denn er ist Ursache dafür, daß der Intellekt des gesamten Himmels immer tätig ist. Selbst ist er aber unbewegt tätig, wobei er sich so zu dem tätigen Intellekt des Himmels verhält wie die Sonne zum Sehen, wenn es auf die Sonne hinschaut, und wie das Begehrte das Begehren bewegt, ohne selbst bewegt zu sein. So also wird auch dieser <Erste> Intellekt den <aktiv tätigen> Intellekt des gesamten Himmels bewegen.

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Schema zum Wirklichkeitsaufbau nach Alkinoos/Albinos - Numenios

1. nou=j-noei=-a(plou=j

yuxh/2. nou=j(aktual3. nou=j(potentiell)

ko/smoj ai)sqhto/j

Albinos/Numenios - Mittelplatonismus

Über-Sein

Sein

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2. Alkinoos/Albinos (1./2. Jh.), Epit. doct. Plat. 10.3 Whittacker-Louis

¹Epeiì de\ o( prw½toj nou=j ka/llistoj, deiÍ kaiì ka/lliston au)t%½nohto\n u(pokeiÍsqai, ou)de\n de\ au)tou= ka/llion: e(auto\n aÄn ouÅnkaiÜ ta\ e(autou= noh/mata a)eiì nooi¿h, kaiì auÀth h( e)ne/rgeia au)tou=i¹de/a u(pa/rxei.

Da der Erste Intellekt am schönsten ist, muß ihm auch der schönste Erkenntnisinhalt zur Verfügung stehen. Es ist aber nichts schöner als er. Also erfaßt er wohl denkend immer seine eigenen Gedanken, und diese Tätigkeit bildet sein Wesen.

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3. Numenios von Apamea (2. Jh. n. Chr.)

Fr. 11.11-13 des Places (= * 197.1): ¸O qeo\j o( me\n prw½toj e)n e(autou= wÓn e)stin a(plou=j, dia\ to\ e(aut%½ suggigno/menoj dio/lou mh/ pote eiånai diaireto/j.Der Erste Gott verbleibt in sich selbst und ist gänzlich einfach. Denn da er mit sich selbst Gemeinschaft hat, ist er ganz und gar nicht teilbar.

Fr. 22.1-2 des Places: Noumh/nioj de\ to\n me\n prw½ton <nou=n> ... fhsin e)n prosxrh/sei tou= deute/rou noeiÍn.Numenios sagt, der Erste <Intellekt> ... denke unter Zuhilfenahme des Zweiten.

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4. Plotin (204-270 n. Chr.) und der Neuplatonismus

1. nou=j-noei=-a(plou=j

yuxh/2. nou=j(aktual)3. nou=j(potentiell)

ko/smoj ai)sqhto/j

Albinos/Numenios - Mittelplatonismus

ko/smoj ai)sqhto/j

yuxh/ nou=j(potentiell)

nou=j-noei=-polu/j

e(/n - a(plou=nÜber-Sein

Sein

Plotin - Neuplatonismus