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AUSLAND 1 INTERNETKOMMENTARE Copy & Paste fürs russische Vaterland Im Kampf um die öffentliche Meinung nimmt der Kreml auch Einfluss auf Internetkommentare, teils automatisiert, teils bezahlt. Doch nicht alle Wege führen nach Moskau. VON Nik Afanasjew | 27. Mai 2014 - 17:07 Uhr Im Kommentarbereich des Ukraine-Live-Blogs auf ZEIT ONLINE läuft bereits eine emotionale Diskussion, als Nutzer "Pommy" sich einschaltet und die "Doppelstandards" des Westens moniert. Bei den Abstimmungen über die Abspaltung der Krim und im Osten des Landes seien gläserne Wahlurnen noch bemängelt worden, bei der Präsidentschaftswahl würden sie "plötzlich positiv dargestellt". Ein gutes Dutzend Beiträge hat "Pommy" bislang geschrieben, den ersten gerade mal am 19. Mai 2014. "Die G7 ist Geschichte", erklärt er etwa, das neue " Power-Couple " dagegen bestehe aus Russland und China. Aus welchem Antrieb heraus dieser anonyme Nutzer seine Kommentare verfasst, soll und wird hier nicht zu klären sein – mag sein, dass er sich seine Meinung gänzlich frei gebildet hat. Allerdings verdichten sich die Hinweise, dass der Kreml im Kampf um die öffentliche Meinung aufgerüstet hat. Soziale Netzwerke und Kommentarleisten wichtiger Medien sind im Visier der russischen Propaganda-Maschine . Vor allem in Deutschland, England und den USA hat eine Debatte über manipulierte Kommentare begonnen, doch so vielfältig die Verdachtsmomente sind, so dürftig sind die Beweise. Und nicht alle Wege führen nach Moskau. Für die extreme Häufung prorussischer Kommentare auf westlichen Medienseiten gibt es denn auch mehr als eine mögliche Ursache. Die wichtigsten: vom Kreml organisierte Kommentaragenturen, vollautomatisierte Computerprogramme (Bots), unabhängige patriotische Exilrussen und ganz und gar westeuropäische Bürger, die ihre gewohnten Nachrichtenportale für zu tendenziöse Berichterstattung kritisieren. Etwas abseits stehen die Verschwörungstheoretiker und Montagsdemonstranten – sie sind grundsätzlich antiwestlich gestimmt und nutzten den Ukraine-Konflikt lediglich als Aufhänger. Doch der Reihe nach. 800 Dollar im Monat fürs Kommentieren Seit dem Herbst 2013 soll der Kreml den Aufbau eines Systems betreiben, das über soziale Netzwerke und Kommentare die Meinung in westlichen Ländern beeinflussen soll. In der renommierten Zeitung Wedomosti schrieb Ilja Klischin vor wenigen Tagen, dass die Ereignisse rund um die Massenproteste in Moskau Ende 2011 – als die Bürger sich über soziale Netzwerke zu Kundgebungen gegen die Regierung versammelten – zu einem Umdenken geführt hätten. Klischin bezieht sich auf geheime Quellen aus dem Umfeld von Präsident Wladimir Putin und schreibt, dass es sich beim Kopf der geheimen

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    I N T E R N E T K O M M E N T A R E

    Copy & Paste frs russische VaterlandIm Kampf um die ffentliche Meinung nimmt der Kreml auchEinfluss auf Internetkommentare, teils automatisiert, teilsbezahlt. Doch nicht alle Wege fhren nach Moskau.VON Nik Afanasjew | 27. Mai 2014 - 17:07 UhrIm Kommentarbereich des Ukraine-Live-Blogs auf ZEIT ONLINE luft bereits eineemotionale Diskussion, als Nutzer "Pommy" sich einschaltet und die "Doppelstandards"des Westens moniert. Bei den Abstimmungen ber die Abspaltung der Krim undim Osten des Landes seien glserne Wahlurnen noch bemngelt worden, bei derPrsidentschaftswahl wrden sie "pltzlich positiv dargestellt". Ein gutes Dutzend Beitrgehat "Pommy" bislang geschrieben, den ersten gerade mal am 19. Mai 2014. "Die G7 istGeschichte", erklrt er etwa, das neue " Power-Couple " dagegen bestehe aus Russland undChina. Aus welchem Antrieb heraus dieser anonyme Nutzer seine Kommentare verfasst,soll und wird hier nicht zu klren sein mag sein, dass er sich seine Meinung gnzlich freigebildet hat.

    Allerdings verdichten sich die Hinweise, dass der Kreml im Kampf um die ffentlicheMeinung aufgerstet hat. Soziale Netzwerke und Kommentarleisten wichtiger Medien sindim Visier der russischen Propaganda-Maschine . Vor allem in Deutschland, England undden USA hat eine Debatte ber manipulierte Kommentare begonnen, doch so vielfltigdie Verdachtsmomente sind, so drftig sind die Beweise. Und nicht alle Wege fhren nachMoskau.

    Fr die extreme Hufung prorussischer Kommentare auf westlichen Medienseiten gibtes denn auch mehr als eine mgliche Ursache. Die wichtigsten: vom Kreml organisierteKommentaragenturen, vollautomatisierte Computerprogramme (Bots), unabhngigepatriotische Exilrussen und ganz und gar westeuropische Brger, die ihre gewohntenNachrichtenportale fr zu tendenzise Berichterstattung kritisieren. Etwas abseits stehendie Verschwrungstheoretiker und Montagsdemonstranten sie sind grundstzlichantiwestlich gestimmt und nutzten den Ukraine-Konflikt lediglich als Aufhnger. Doch derReihe nach.

    800 Dollar im Monat frs Kommentieren

    Seit dem Herbst 2013 soll der Kreml den Aufbau eines Systems betreiben, das bersoziale Netzwerke und Kommentare die Meinung in westlichen Lndern beeinflussensoll. In der renommierten Zeitung Wedomosti schrieb Ilja Klischin vor wenigen Tagen,dass die Ereignisse rund um die Massenproteste in Moskau Ende 2011 als die Brgersich ber soziale Netzwerke zu Kundgebungen gegen die Regierung versammelten zueinem Umdenken gefhrt htten. Klischin bezieht sich auf geheime Quellen aus demUmfeld von Prsident Wladimir Putin und schreibt, dass es sich beim Kopf der geheimen

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    Propagandamaschine um Wjatscheslaw Wolodin handeln soll den stellvertretendenLeiter der Prsidialverwaltung, der als Vertrauter Putins auch auf der Sanktionsliste derEuropischen Union gelandet ist.

    Vom Kreml gesteuerte Medienagenturen bezahlten demnach vor allem junge Menschendafr, immer wieder die gleichen Textbausteine unter Artikel mit Russlandbezug zusetzen oder bei Facebook zu posten. Die Vorwrfe doppelter Standards und der Heucheleiwestlicher Politiker gehren dabei zum gebruchlichen Repertoire. Journalisten der NowajaGazeta und der St. Petersburg Times war es in den vergangenen Monaten gelungen, solcheAgenturen anonym zu besuchen und detailliert vom Arbeitsalltag zu berichten. Um die 800Dollar verdienten Mitarbeiter dort fr einen Monat "Copy & Paste"-Dienst am Vaterland,wahlweise um "Oppositionsfhrer Nawalny mit Dreck zu bewerfen" oder das umsichtigeHandeln der russischen Regierung zu loben.

    Von russischen Hackern erbeutete Dokumente deuten an, dass die bisherigen Bemhungendes Kremls um die Meinungshoheit bei Facebook, dem russischen Pendant "Vkontakte",und bei ausgewhlten Medien lediglich Aufwrmbungen fr deutlich weiterreichendeAktivitten darstellen. So werden beispielsweise die Eigenheiten des Kommentarbereichsder amerikanischen Huffington Post besprochen, wo etablierte Kommentatoren weiteroben auftauchen und Beitrge frisch angemeldeter Leser deshalb weniger wahrgenommenwerden. Bis zu 100 Accounts seien dort deshalb anzulegen, heit es in den Dokumenten.

    So aufschlussreich diese geleakten Akten auch sein mgen eine nachprfbareUrheberschaft russischer Regierungskreise gibt es nicht. Auch existieren fr diemutmalich gelenkten Meinungen aus Russland nicht einmal trennscharfe Begriffe, umsich mit diesem Phnomen auseinanderzusetzen. Denn oft werden die Verfasser bezahlterBeitrge "Forentrolle" genannt. Dieses Wort wurde ursprnglich fr solche Nutzergebraucht, die in Diskussionen gezielt stren, beleidigen und das Gesprchsklima vergiften nicht aus Geldnot, sondern weil sie psychopathisch und narzisstisch veranlagt sind, wiedie bislang grte Troll-Studie kanadischer Wissenschaftler darlegt.

    Eine hingegen gnzlich emotionslose Art, das Internet mit einer bestimmten Sichtweise zuberfluten, sind Bots. Diese Computerprogramme verbinden meist verschiedene Rechnerzu einem Netzwerk, um Informationen auszulesen, auszuwerten und auch selbststndigBeitrge zu verfassen. Die Programmierer solcher Programme mit Namen wie "Sorm12" sind oft eher schweigsame Zeitgenossen. Doch einige Einblicke gibt es: Einer, der anBots fr die russische Regierung mitgearbeitet haben will, schreibt in einem russischenChat, die Programmierung sei "kinderleicht". Die Programme wrden sich vollautomatischdurch soziale Netzwerke stbern, auf bestimmte Stichworte anspringen und dann "Textabsondern". Man solle auerdem nicht so naiv sein zu denken, dass "nur die Russendas machen". Den Bots gehre die Zukunft schreibt der Mann, dessen Identitt nichtnachzuprfen ist. Ein anderer Nutzer, der bereit ist ber russische Bots zu chatten und sichals Experte vorstellt, wiegelt sogleich ab: "Automatische Posts sind von gestern. Richtige

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    Menschen, die gegen Bezahlung irgendwo mitdiskutieren, sind authentischer und billig zuhaben."

    Nicht alles ist gesteuert

    International haben vor allem der britische Guardian und die NZZ aus der Schweizversucht, die prorussische Kommentarflut redaktionell aufzuarbeiten, in Deutschlandbeispielsweise die FAZ . Auer den Indizien, die in Richtung Moskau zeigen, musstenalle Medien jedoch auch besttigen, dass zahlreiche Beitrge, die eher dem Westen alsRussland die Schuld fr die Ukraine-Krise zusprechen, von altgedienten Kommentatorenstammen, die ihre Argumente sprachlich einwandfrei vortragen. Auch wer aktuell dieKommentare fhrender Medien durchliest, wird nicht den Eindruck bekommen, dasssmtliche antiwestlichen Positionen von bermdeten Studenten aus Sankt Petersburgverfasst werden es ist wohl tatschlich eine Mischung aus bezahlten Kommentatoren,patriotischen Auswanderern und antiwestlichen Westlern.

    Eine Mischung allerdings, deren Verhltnis schwer einzuschtzen ist. Ohnehin werden alleDebatten moderiert und in zivile Bahnen gelenkt. "Entfernt. Bitte bleiben Sie sachlich undrespektvoll. Danke, die Redaktion", heit es hufig. Eine Mitarbeiterin von ZEIT ONLINEerklrt: "Wir sprechen hier ber ein Phnomen, das zwar schwer greifbar, aber nichtunkontrollierbar ist. Unsere Kommentarbereiche werden nicht fremdgelenkt. Dies ist auchden vielen kritischen und sensiblen Lesern zu verdanken, die sich in ihrer Meinungsbildungnicht durch eine vermeintliche Mehrheitsmeinung einschchtern lassen."

    Aus einer ganz anderen Ecke kam derweil eine Meinungslawine, die vor einigen Wochenber deutsche Nachrichtenseiten rollte. Von einer "Anonymous"-Gruppe im Internet, diejedoch offenbar nichts mit dem lose organisierten Hacker-Kollektiv zu tun hat, kam einAufruf, die "Systempresse" mit kritischen Beitrgen lahmzulegen. Die Sympathisantenverstopften tatschlich kurzzeitig einige Kommentarspalten, beispielsweise beim BerlinerTagesspiegel , der kritisch ber eine der neuen Montagsdemonstrationen berichtet hatte unddafr an den Pranger gestellt wurde. Obwohl dort "der Westen" fr seine Aggression gegenRussland kritisiert wird, ist diese Gruppe aber vor allem ein loser Zusammenschluss vonVerschwrungstheoretikern und anderen Aktivisten der Montagsdemos mit Russen oderRussland hat sie nichts zu tun.

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