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    1 4 / 2 0 1 4 5Im Internet: www.spiegel.de

    Hausmitteilung31. Mrz 2014 Betr.: Titel, Kempowski, SPIEGEL GESCHICHTE

    Als SPIEGEL-Redakteur Markus Brauck bei seiner Recherche zum Titel den Best-

    sellerautor Harald Welzer traf, machte der ihm ein berraschendes Gestndnis:Welzer erklrt in seinem neuen Buch den Konsumverzicht zu einem Akt des Wider-stands, aber im Gesprch mit Brauck gab er zu, dass ihm manchmal die eigene Be-quemlichkeit in die Quere komme. Seitdem er ein schnes, altes Auto geerbt habe,

    fahre er damit auch unntige Touren, undsei es, um eine Kiste Mineralwasser zuholen. Brauck, der gemeinsam mit seinemKollegen Dietmar Hawranek der Fragenachgeht, ob eine konomie des Verzichtsauch gesamtgesellschaftlich mglich ist,findet diese Haltung sympathisch: Ein be-scheidener Lebensstil ist heute lngst nicht

    mehr eine Sache sauertpfischer Moral-apostel (Seite 34).

    Im Januar 1972 reiste der damalige Student und heutige SPIEGEL-Redakteur VolkerHage erstmals in das niederschsische Dorf Nartum, um dort einen Lehrer namensWalter Kempowski zu interviewen. Dessen Roman Tadellser & Wolff war wenigeMonate zuvor erschienen. Damals offenbarte der sptere Erfolgsautor: Wie andereLeute als Kind Lokomotivfhrer werden woll-ten, so wollte ich immer Schriftsteller werden.Es sollte nicht das letzte Gesprch bleiben. Biszu Kempowskis Tod 2007 ergaben sich mitdessen wachsender Popularitt immer wiederAnlsse fr weitere Treffen. Wie etwa 1992, alsder SPIEGEL den ersten Vorabdruck aus demgewaltigen Echolot-Werk mit Stimmen ausdem Zweiten Weltkrieg brachte. Kempowskiwar alles andere als ein traditioneller Autor,sagt Hage. Er experimentierte mit Leiden-schaft und suchte neue literarische Formen.Und so ist auch die nun postum erschienenePlankton-Sammlung Tausender Stimmen undAlltagsgeschichten alles andere als ein schlichtesErzhlwerk (Seite 110).

    Schaurige Geschichten ber Menschenopfer, obskure Schriftzeichen und gewaltige

    Ruinen prgen heute das Bild ber die Inka, Maya und Azteken. Aber die Herr-scher dieser Hochkulturen und deren Baumeister schufen weitaus mehr, bevor sievon spanischen Eroberern berrannt wurden. Die Inka errichteten ein Imperium, in

    dem niemand hungern musste, sie waren Meister der Planungund des Ackerbaus. Die Maya rechneten schon frh mit einemsehr przisen Kalender. Und den Azteken gelang das Kunst-stck, auf einer Insel in Zentralmexiko eine Supermacht zugrnden. Die Autoren und Autorinnen der aktuellen Ausgabevon SPIEGEL GESCHICHTE beschreiben Aufstieg und Falldieser Reiche, trennen die Legenden ber Menschenopfer vonden Fakten und schildern, was man erlebt, wenn man heuteals Maya zu leben versucht. Das Heft erscheint am Dienstagdieser Woche.

    JRG

    MLLER/AGENTURFOCUS

    OLAFBALLNUS

    Kempowski, Hage 2005

    Brauck Hawranek

    B

    ERNHARD

    RIEDMANN

    /DERSPIEGEL

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    TitelWeniger ist mehr warum sich viele Zeitgenossenvon der Konsumgesellschaft abwenden ............. 34

    DeutschlandPanorama: Merkel frdert Abhngigkeit vonrussischem Gas / Schuble erwartet Ende derNiedrigzinspolitik / Verfassungsschutz berichtet

    ber grausames Dschihadisten-Ritual ................ 12Verteidigung: Die Nato weitetihre Militrprsenz in Osteuropa aus ................ 16Auenpolitik: Warum die Deutschen so vielVerstndnis fr Putin haben .............................. 18Soziales: Die Rentenreform der GroenKoalition fhrt zu neuen Ungerechtigkeiten ..... 20Union: CSU-Mann Peter Gauweiler untergrbtMerkels Strategie fr den Europawahlkampf .... 25Europa: EU-Kommissarin Viviane Reding berihre geplante Datenschutzreform ...................... 27NSA: Wie amerikanische und britischeGeheimdienste die Netzwerke deutscherInternetfirmen auskundschafteten .................... 28Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaenber die Lehren aus der Snowden-Affre ......... 30Parlament: Viele ehemalige Abgeordnete sind

    arbeitslos ........................................................... 32Salafisten: Muslimische Eltern demonstrierengegen eine Moschee, in der ihre Kinder offenbarradikalisiert werden .......................................... 42Lebenslufe: SPIEGEL-Gesprch mitDaniel Cohn-Bendit ber seinen Abschiedvon der Politik .................................................. 44Schule: Abiturklausuren sind vielerortsleichter denn je ................................................. 47Organisationen: GIZ-Mitarbeiter klagen berden Fhrungsstil ihrer Chefin Tanja Gnner ..... 48Kinderpornografie: Adrian Koerfer,Mitgrnder eines Vereins von Opfern sexuellenMissbrauchs, ber den Fall Edathy unddie Versumnisse der katholischen Kirche ......... 50Immobilien: In Weimar kmpfen Klassikfansfr den Wiederaufbau des Wohnhauses vonJohann Sebastian Bach ...................................... 52

    GesellschaftSzene: Falsche Federn / Auch Frauen bervierzig drfen Liebeskummer haben ................ 54Eine Meldung und ihre Geschichte ein Fischerfindet die lteste Flaschenpost der Welt ............ 55Zeitgeschichte: Die Lehren des Vlkermordsvon Ruanda 20 Jahre danach .......................... 56Homestory: Wie das Internet die Generationentrennt und nicht verbindet ............................. 62

    WirtschaftTrends: Ungemach fr Quelle-Erbin Schickedanz /Verfassungsgericht prft Kammerzwang ........... 63Finanzmrkte: Neue Internetfirmen fordern

    die etablierte Bankbranche heraus .................... 64Deutsche Bank: Der Konflikt mit der Justizeskaliert ............................................................ 67Regierung: Warum Wolfgang Schubledie Steuern nicht senken will ............................. 68Kommunikationstechnik:Telekom-ChefTimotheus Httges warnt vor der bermachtamerikanischer Unternehmen ........................... 70Fluggesellschaften: Lufthansa-Personalchefinruft Piloten zu neuen Verhandlungen auf ......... 73

    AuslandPanorama: Aufruf zum Dschihad in Zentral-afrika / Nordkoreas Rstungsgeschfte ............. 74gypten: 529 Todesurteile in eineinhalb Tagen ... 76Ukraine: Eine rztin wurde zur Heldin des Maidanund erwgt nun, in die Politik zu gehen ............ 79

    Essay: Die machtlosen Supermchte ................. 81

    6

    In diesem Heft

    Spionageziel Deutschland Seite 2Geheimunterlagen zeigen, wie dreist die NSA und der britische DienstGCHQ Deutsche ausspionierten: Sie knackten Netze von Internetfirmenund fhrten die Kanzlerin in einer speziellen Datenbank.

    Die Gerechtigkeits-Illusion Seite 2Das neue Rentenpaket der Groen Koalition lst sein zentrales Versprechennicht ein: Der Sozialstaat wird nicht fairer. Jene, die wirklich Hilfe brauchenprofitieren weder von der Mtterrente noch von der Rente mit 63.

    TILLMUELLENMEISTER/LAIF/DERSPIEGEL

    Besucher der Ntarama-Gedenksttte April 1994:

    Ruanda Seite 5Vor 20 Jahren begann derVlkermord an den Tutsi.Binnen 100 Tagen wurdendamals 800000 Menschenmassakriert, ein Mordbrander anfangs als Stammes-krieg abgetan wurde, auchvon SPIEGEL-Korrespon-dent Bartholomus Grill,damals bei der Zeit.Er besuchte die Sttten desGenozids und hrtebeschmt die Geschichten

    von berlebenden.

    Von der Leyen, Steinmeie

    Bundeswehr soll Balten helfen Seite 1Im Konflikt mit Russland verschrft die Nato die Gangart. Flugzeuge undSchiffe sollen den Schutz der osteuropischen Mitgliedstaaten verstrkenAuch die Bundesrepublik will sich beteiligen.

    KAYNIETFELD

    /DPA

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    USA: Sonia Sotomayor, Richterin am SupremeCourt, ber ihre Kindheit und Karriere ............ 84Ungarn: Ein ehemaliger rechtsnationaler Jobbik-Politiker bekennt sich zum Judentum ................. 88Global Village: Wie ein US-Amerikaner im Auftragvon Schweizern weltweit Frieden stiftet ............ 91

    Sport

    Szene: In Turkmenistan entsteht ein

    Sportkomplex der Superlative / Frderprogrammfr Autorennfahrer ............................................ 93Brasilien 2014: Wird das geplante WM-Quartierdes DFB rechtzeitig fertig? ................................ 94

    Kultur

    Szene: Entertainer Heinz Strunk ber seineLeidenschaft fr die Werke von Botho Strau /Warum sich Pro-Putin-Demonstrantenstalinistischer Symbolik bedienen ..................... 98Kunst: Fr seine Berliner Ausstellung hat derchinesische Knstler Ai Weiwei Werke geschaffen,die ihn vor dem eigenen Staat schtzen sollen 100Bestseller ........................................................ 103Intendanten: SPIEGEL-Gesprch mit ClausPeymann ber den Finanzskandal am Burgtheaterund den Bedeutungsverlust der Bhnen .......... 104Literatur: Schriftsteller Walter Kempowski befragteMenschen nach ihrem Alltag die Sammlungder Antworten erscheint nun als Buch ............. 110Jugend: Eine Radioserie fngt das Lebensgefhlmuslimischer Mdchen ein ............................... 112Parkkritik: Das Gelnde des Gleisdreiecks istzur schnsten Grnanlage Berlins geworden ... 114

    Wissenschaft Technik

    Prisma: ber den ehrlichen Umgang mit Zoo-tieren / Der Kampf der rzte gegen Ebola ...... 116Kosmologie: Physiker erforschen die Geburtdes Universums ................................................ 118Medizin: Rainer Hess, scheidender Vorstandder Deutschen Stiftung Organtransplantation,fordert ein Transplantationsregister ................. 125Bautechnik: Hochhuser aus Buchenholz ........ 126Sexualitt: Warum tuschen Frauenden Orgasmus vor? .......................................... 128Automobile: Die neue Lust am Oldtimer ......... 129

    Medien

    Trends: Bundestag will Scholl-Latour hren /SPD-Politikerin Dreyer verlangt mehr Vielfaltin ZDF-Gremien ............................................... 131Verlage: Das Zeitungsimperium vonUS-Investor Warren Buffett ............................. 132Wall Street Journal-Chefredakteur GerardBaker ber neue Chancen fr Printmedien ..... 134

    Briefe .................................................................. 8Impressum, Leserservice ................................. 136Register ........................................................... 138Personalien

    ...................................................... 140Hohlspiegel / Rckspiegel ................................ 142Titelbild: Foto: Montage DER SPIEGEL, Fotos dpa, Ullstein,Getty images, Vario ImagesWegweiser fr Informanten: www.spiegel.de/briefkasten

    Der Engel vom Maidan Seite 79Whrend der Proteste in Kiew versorgte die rztin Olga Bogomoleznchtelang Verletzte und wurde so zur Heldin der Revolution.Nun berlegt sie, ob sie fr die Prsidentschaftswahlen kandidieren soll.

    gyptens Willkr-Justiz Seite 76Die 529 Todesurteile in der Stadt Minja zeigen, was gypten zurzeit vonRechtsstaatlichkeit hlt: nichts. Der einzigartige Schnellprozess offenbarteine Justiz der Willkr und eine tiefgespaltene Gesellschaft.

    Ai

    Der

    Unbeugsame S. 100Chinas Star-KnstlerAi Weiwei ist zu einemFreiheitskmpfer geworden.Er symbolisiert mit seinenkritischen Werken denWiderstand gegen ein tota-litres Regime, das ihnund andere Dissidentendrangsaliert. In Berlin wirder nun mit einer Schaugefeiert. Der Kunstbetriebinteressiert sich vor allemdafr, ob der Unbeugsame

    einreisen darf.GAOY

    UAN

    Amundsen-Scott-Station am Sdpol

    Schwarz auf WeiWarum gibt es im TV kei-nen trkischen Chefarzt?Warum keine schwarzenRockstars? Muss dasGretchen blond sein? DerKulturSPIEGEL stelltdie Frage: Wie rassistisch

    ist unser Kulturbetrieb?

    Als alles begann Seite 118Dass sich das Universum im Bruchteil einer Sekunde auf kosmischeDimension geblht hat, war bisher nur eine verwegene Theorieder Physik. Jetzt hat ein Teleskop am Sdpol den Beweis gefunden.

    KEITHV

    ANDERLINDE

    /STEFFEN

    RICHTER

    /VAGABONDPIX.C

    O

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    Nr. 13/2014, Das Flugzeug,

    das verschwand

    Was geschah an Bord von MH 370?

    Innerhalb von SekundenWie wre es mal mit einer Ursache, die

    wirklich lebensnah ist und sehr hufig beiMenschen vorkommt, aber oft verkanntoder nicht erkannt wird? Einer der beidenPiloten muss eine Depression gehabt ha-ben. Gerade wenn diese Erkrankung involler Blte ist, benimmt sich der Betrof-fene nach auen hin total normal, umsein Suizid-Ziel zu erreichen.

    D. . Z T, K

    Ich gehe davon aus, dass ein Ereignis ein-getreten ist, bei dem sowohl Crew alsauch Passagiere innerhalb von Sekundenausgeschaltet wurden. Das knnte bei ei-nem pltzlichen Druckabfall geschehen

    sein, durch einen explodierenden Kofferoder durch das Herauslsen eines Teilsder Auenhaut. Wenn dieser Schaden dasAntennenkabel oder die Antenne desTransponders mit beeintrchtigt hat, wreder weitere Flugfortgang erklrlich.Kaum wahrscheinlich ist ein Kabelbrand,der das Cockpit als Arbeitsplatz sofortausgeschaltet, dann aber nicht weiter pro-gressiv gewtet htte. Das Flugzeug wrevom Flight-Director bei einem fortwh-renden Kabelbrand nicht noch siebenStunden nach Sden gesteuert worden.

    D. R Q, S

    ADS-B ist seit geraumer Zeit im nord-kanadischen Luftraum eingefhrt. Dasentsprechende bordseitige Erfordernis er-fllen deswegen alle Verkehrsflugzeuge,die auf krzestem Weg von Mitteleuropaan die Westkste Kanadas oder der USAunterwegs sind und umgekehrt. In fastallen Fllen erfolgt die technische Einrs-tung ins Flugzeug ber eine Modifikationseines Transponders, was nahelegt, dassmit Ausfall oder Abschalten des Trans-ponders wie auf MH 370 die Abstrah-lung des ADS-B-Signals sofort aufgehrthtte. Damit htten die Fluglotsen ihr

    knstlich generiertes Ziel auf dem Bild-

    Herr Edathy, das ist kein Argument, dasSie bei der Bestellung Ihren Namen agegeben haben. Auch Ihr Vergleich mAbgeordneten, die privat zu viel triken, relativiert nicht Ihr Verhalten.

    A S, B

    Der SPIEGEL hat Edathy genau die richtgen Fragen gestellt. Zu meinem Bedauerbeantwortet er die interessantesten davonicht, stattdessen schwadroniert er bedie Opferrolle, in der er sich selbst sehemchte: Opfer der Justiz, der ffentlickeit und der SPD. Edathy spricht gern beseine Privatsphre und darber, wie diesbrutal verletzt worden sei. ber die Pvatsphre der Kinder, deren Nacktbildeer kuflich erwarb, verliert er kein Wort

    K W, S

    Fassungslos habe ich gelesen, wie HeEdathy sein Handeln verharmlosen wiund sich als Opfer darstellt. Es ist doch vlig belanglos, ob er das Material legal ode

    illegal erworben hat. Wenn sich jemanan Bildern von wehrlosen, nackten Kindern ergtzt, ist das schlichtweg pervers

    C D, L

    Edathy macht nicht das, was die deutschffentlichkeit von ihm erwartet; er gehnicht in Sack und Asche. Wenn er sicnur Fotos nackter Kinder und Jugenlicherangeschaut hat, hater nichtsVerwerlicheres getan als jene Geiz-ist-geil-Kosumenten, die Kleidung kaufen, fr dereHerstellung in Bangladesch Menschen augebeutet werden. Die Welt wre ein Stchumaner, wenn wir uns ber den Ed

    thy in uns selbst empren und manchDinge einfach nicht mehr tun wrden.

    U T, L (NRW

    Vielen Dank dafr, dass Sie einem Vefemten ermglichen, sich ffentlich zverteidigen und damit die widerliche mdiale Vorverurteilung, die eines Rechtstaates unwrdig ist, zu konterkariereDank auch, obwohl Ihre interviewendeSheriffs ihm offenbar kein Wort glaubteIch wnsche niemandem einen derartigeSpierutenlauf, inszeniert durch Hobbrichter, wie ihn der fr unser Land hoc

    verdiente Herr Edathy erleben muss.P. D. N R, K .

    Wenn ich mich fr Edathy einsetze, biich versucht, jede Nhe zu Pdophilie wevon mir zu weisen. So weit kommt es in userem ffentlichen Diskurs schon. Ihr Bricht und Ihr Interview halten konsequenan der Vorverurteilung und an der Dignose Pdophilie fest, obwohl es nur unchere Anstze von Indizien gibt. Vielleichhaben Sie ja recht, aber das mssten d

    juristischen Instanzen erst feststellen; wennicht, dann haben Sie zur Zerstrung einemenschlichen Existenz beigetragen.

    E T, B

    Briefe

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    SPIEGEL-Titel 13/2014

    Wie ist es mglich, dass die Menschen

    in der Lage sind, mit Satelliten

    die Oberflche des Mars abzuscannen,

    dass sie aber einen Kabelbrand

    im Cockpit eines Flugzeugs nichtverhindern knnen?

    S K, E

    ZUMAPRESS/ACTION

    PRESS

    Angehrige von MH-370-Passagieren

    Nr. 12/2014, SPIEGEL-Gesprchmit Sebastian Edathy

    Lamento blamabile!Irgendwie hat Edathy berhaupt nicht be-griffen, um was es hier geht. Um Kinder,fast immer aus bitterarmen Gegenden, diefr die von ihm bestellten Fotos posierenmussten. Entweder von den Eltern ge-zwungen oder durch Geschenke von Ge-schftemachern gefgig gemacht. Die Kin-der sind die Opfer das interessiert ihnanscheinend berhaupt nicht. Anderer-seits rgert mich aber auch das Gehabe

    der populistischen und schwatzhaftenSPD-Genossen Edathy htte etwas mehrSolidaritt und Hilfe brauchen knnen.

    C L, H

    Lamento blamabile! Selbstgerechtes, eitlesJammern ber das Unverstndnis, beimBezug und Betrachten nackter Kinderbil-der was anderes als Kunstgenuss und s-thetische Schau(d)er zu erleben. Was die-sem Mann fehlt, ist die Empathie fr dieausgebeuteten und missbrauchten Opfer,die fr diese Wichsvorlagen ihre Seele undihren Krper unfreiwillig verkaufen (ms-sen). Oh, httest du doch geschwiegen.

    W S-B, S

    schirm schlagartig verloren. Idealerweisewre dieser Verlust bodenseitig sofortaufgefallen, ein weiteres Tracking wreaber unmglich gewesen.

    M B, M

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    Nr. 12/2014, Deutschland soll in der Ukraine-

    Krise den Westen anfhren aber wie?

    Wer lacht mit mir?Wir sprechen von Sanktionen und defesiven Bestrafungen fr die Russische Fderation. Aber glauben wir denn wirklicdass wir damit der russischen Regierundie Augen ffnen und sie zur Koopertion einladen werden? Das klappt vie

    leicht noch bei unseren Kindern, welchwir mit einem Fernseh- oder Sigkeiteverbot abstrafen knnen. In dieser Sitution sprechen wir jedoch von einer intenationalen Krise, die den lang erarbeitten Frieden zwischen den Vlkern aueine harte Probe stellt.

    M S, N

    Wer lacht mit mir? 28 EU-Auenministebegleitet von ihren Beamten, Sekretrinen, Fahrern, einigen sich auf Einreisverbote gegen inzwischen 33 PersonenWas haben diese Treffen wohl gekostetF U, W (M.-V

    Sanktionen durch Deutschland sind grotesk!

    H B, M (S

    Der weinerliche Ton einiger Politiker, Ptin fhle sich so vom Westen umzingetrifft meinen Nerv. Fakt bleibt, Russlanbricht Vlkerrecht. Wenn ein Land wdie Ukraine sich neu orientieren will, ies sein gutes Recht. Warum nicht Gleches mit Gleichem vergelten, zum Bespiel mit der Aussetzung internationaleVereinbarungen wie des Vertrags vo

    Montreux: keine Durchfahrt russischeSchiffe jeglicher Art durch den BosporuDann kann Putin mit seinen Schiffen imSchwarzmeer rumschippern.

    K M, M

    Man kann nur hoffen, dass Merkel, die jnormalerweise recht besonnen und clevehandelt und einen sehr engen Draht zPutin hat, die Situation berblickt. AlsSanktionen androhen, um unsere Dfacto-Besatzungsmacht USA zufriedenzstellen, es tatschlich bei Sanktinchenbelassen, um am Ende der Emprung wider voll und ganz auf Dialog zu setzen.

    C W, S. J (B.-W

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    Widersacher Merkel, Putin im April 2013

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    Nr. 12/2014, Unfallszenario fr AKW

    Schwergewichtiges ProblemSie schreiben, ich htte mit Kernphysikernvom Institut fr Sicherheits- und Risiko-wissenschaften in Wien das Szenario einerKernschmelze beziehungsweise einer mg-

    lichen atombombenartigen Explosion anComputern nachrechnen lassen. Zudemsei ich zu dem Ergebnis gekommen, dassdie Eintrittswahrscheinlichkeit eines sol-chen Unfallverlaufs um ein Vielfaches h-her liege als andere Strfallursachen. DieseAussage ist jedoch falsch. Eine solche Rech-nung wurde nicht durchgefhrt. Richtig ist,dass ein Kernphysiker bei uns nachgerech-net hat, ob die Ausgangsbedingungen da-fr vorliegen knnen, dass in einem abge-schalteten Druckwasserreaktor eine un -gesteuerte Kettenreaktion von alleinewieder beginnen kann. Mit welcher Wahr-scheinlichkeit und welchen Folgen ein sol-

    ches Ereignis stattfinden kann, wurde nichtberechnet. Gleichwohl stellt das Szenarioein schwergewichtiges Problem dar, weiles bislang nicht betrachtet und durch Si-cherheitsnachweise ausgeschlossen wurde.

    P. W R, W

    Ein Europa kann es nur geben mit Russ-land. Die Sanktionen dienen nicht geradedem Frieden. Wir mssen aufpassen, dasswir nicht zu Opfern werden. Wo die Di-plomatie versagt, wchst die Gewalt. Wirsollten Russland eher die Hand reichen.

    G S, E

    Den schlafenden Bren bis zur Weiglutreizen ist die dmmste Politik, die derWesten fahren kann. Seine Politiker undteilweise auch die Wirtschaft pokernhoch, verflucht hoch.

    H A, S (S)

    Nr. 12/2014, Ein 18-Jhriger stirbt

    an einem Hirntumor

    Protokoll eines langsamen Todes

    Kein Wort zu vielDieser Artikel hat mich tief bewegt, undich zolle dem Autor meinen Respekt hier-zu. Ich habe auch geweint, vielleichtauch, weil ich selbst erfahren musste, wiees sich anfhlt, wenn man seinen Sohnverliert.

    G S, S (B.-W.)

    Es wurde in diesem Meisterwerk alles ge-sagt, es war kein Wort zu viel. Viele derGefhle, welche die Familie erlebte, er-lebt auch der Leser im Schnelldurchlauf.

    M G, B (B.)

    Auch wir haben einen hnlichen Schick-salsschlag erlitten wie die Schwester desAutors. Vieles von dem, was in dem Ar-tikel stand, haben wir teilweise von un-serer Tochter wortwrtlich gehrt. Jetztwill ich nur noch schne Sachen machen.

    Ich kann verstehen, dass die Familie denWunsch hatte, diese Geschichte aufschrei-ben zu lassen. Auch wir hatten das Gefhl,dass wir dies unserem Kind schuldig wa-ren. Reden kann man darber nicht gut.

    F K, E

    Briefe

    Grabstelle von Florian

    Ich gehre auch zu denen, die auf der War-teliste stehen. Das Warten auf den Todgibt uns ein wenig Vorbereitungszeit. An-fangs dachte ich, ich wrde lnger durch-halten, aber die Krankheit meldet sich mitihrer Macht, mit ihren hheren Krften,erinnert uns daran, dass ein Plan fr unsschon feststeht. Trotzdem bin ich glcklich,zufrieden und dankbar, dass nicht meineKinder oder mein Mann, der fr sie sorgenkann, dran sind. Wann stirbst du, Mama?,fragt mein Sechsjhriger. Wann, steht aufdem Plan, und so lange versuche ich, Ab-schiedsbriefe zu schreiben. Die Zeit istknapp. Ich habe Geduld, der Krebs nicht.

    L H P, V (N.)

    Das ist groe Kunst, die schwer berhrt.Es zeigt sich, dass frs Erwachsen- undStarkwerden nicht das Alter zhlt, son-dern die Entschlossenheit, gegen das bseSchicksal eine andere Macht zu rufen: dieder Freude und Freunde, die der Erfllungletzter Wnsche und die der Ergebenheit.

    Wir lteren sterben nicht schwerer als dieJngeren. Wir hoffen alle, mit Erfllungzu sterben, fr uns und die Unsrigen.

    K-H S, B

    Dieser Bericht war das Eindrcklichste,Bedrckendste, Traurigste, Ergreifendsteund gleichzeitig der mutigste, optimis-tischste und herzergreifendste Text in 45Jahren SPIEGEL-Lesen. Alle Trnendr-sen und -kanle sind leer und die Augengeschwollen. Ein Zeugnis, Ansporn undTrost fr alle, die in einer hnlichen Si-tuation stecken. Ein Hammerbericht.

    H T, H (S)

    Die Redaktion behlt sich vor, Leserbriefe bitte mitAnschrift und Telefonnummer gekrzt und auch elek-tronisch zu verffentlichen. Die E-Mail-Anschrift lautet:[email protected]

    In dieser Ausgabe befindet sich im Mittelbund ein24-seitiger Beihefter der Firma C&A, Dsseldorf.

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    H A U S H A L T

    Schuble erwartetsteigende Zinsen

    Die Bundesregierung rechnet damit, dass die Europische Zentralbank(EZB) schon bald die Leitzinsen anhebt. Das geht aus einem internen Ver-merk des Bundesfinanzministeriums hervor. Weil die Staatsschuldenkrisezunehmend in den Hintergrund rcke und die Konjunktur anziehe, sei vonder EZB ein aktiver Beitrag zur berwindung der Niedrigzinspolitik zuerwarten, heit es in dem Papier. Dies fhre nach Einschtzung der Ex-perten von Finanzminister Wolfgang Schuble (CDU) dazu, dass der deut-sche Staat schon in einem Jahr mehr fr Kredite zahlen msse als derzeit.Demnach seien zum Beispiel bei den zehnjhrigen Renditen fr Bundes-anleihen moderate Zinssteigerungen auf ber zwei Prozent mglich. Der-zeit liegen die Zinsen bei rund 1,5 Prozent. Dieses Jahr profitiert der Bun-deshaushalt noch von den niedrigen Finanzierungskosten. Nach Berech-nungen des Finanzministeriums muss Schuble 2014 rund 4,3 Milliarden

    Euro weniger fr Zinsausgaben in seinem Etat bereitstellen als noch 2013.

    1 4 / 2 0 1 412

    Panorama

    4 46 6 71216 21

    7

    6

    8

    4

    9 5

    5

    Angaben in Prozent; Vernderungen von bis zu drei Prozentpunktenliegen im Zufallsbereich, sie werden deshalb nicht ausgewiesen.TNS Forschung fr den SPIEGEL am 25. und 26. Mrz;1000 Befragte ab 18 Jahren

    46

    53

    68

    65

    72

    43

    6260

    44

    34

    53

    Vernderungen zur letzten Umfrageim Dezember 2013, in Prozentpunkten

    Im Dezember 2013 nicht auf der Liste

    BELIEBTHEIT Anteil der Befragten,die angaben, dass der genannte Politikerknftig eine wichtige Rolle spielen solle

    ANGELAMERKEL

    URSULAVON DER

    LEYEN

    HORSTSEEHOFER

    WOLFGANGSCHUBLE

    HANNELOREKRAFT

    GREGOR

    GYSI

    FRANK-WALTER

    STEINMEIER

    SIGMARGABRIEL

    JOACHIMGAUCK

    A

    THOMASDE MAIZIRE

    ANDREANAHLES

    TNS Forschung nannte die Namen von Politikern.

    Dieser Politiker ist mir unbekannt.

    H

    ENNING

    SCHACHT/DDPIMAGES

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    Deutschland

    E N E R G I E

    Merkels GasblaseWhrend Bundeskanzlerin AngelaMerkel ankndigt, die gesamte deut-sche Energiepolitik wegen der Ukrai-ne-Krise neu betrachten zu wollen,droht Deutschlands Abhngigkeit vonrussischem l und Gas mit Zustim-mung der Bundesregierung zu wach-sen. Kanzleramt und Wirtschaftsminis-terium haben sich darauf geeinigt,kein Veto gegen geplante deutsch-rus-sische Milliardenprojekte einzulegen.Die vor zwei Wochen beschlossenebernahme der RWE-Tochter Deadurch den russischen Oligarchen Mi-chail Fridman schtzt die Regierungnach interner Prfung als unproblema-tisch ein. Auch die Zusammenarbeit

    zwischen dem russischen Staatskon-zern Gazprom und der BASF-TochterWintershall solle fortgesetzt werden.Man sehe keinen Anlass, den bereitsbeschlossenen Verkauf des grtendeutschen Erdgasspeichers sowie einesGroteils des deutschen Gashandels-geschfts an die Russen zu unterbin-den, heit es aus dem Wirtschafts-ministerium. Kanzlerin Merkel hattein der vergangenen Woche beklagt,in der EU gebe es eine zum Teil sehrhohe Abhngigkeit von russischerEnergie. Deutschland sei davon aberweniger betroffen als andere Staaten.

    P R O L I F E R A T I O N

    MiG-21 fr MosambikDer Zoll in Bremerhaven hat dreiKampfflugzeuge sowjetischer Bauartsichergestellt. Die Dsenjger vom TypMiG-21 waren in sechs Containern perBahn aus der rumnischen HauptstadtBukarest gekommen und sollten per

    Schiff nach Mosambik verfrachtet wer-den. Nach Erkenntnissen der Ermittlerwaren die Kriegswaffen in Rumnienberholt worden und befanden sichauf dem Rckweg in das ostafrikanischeLand. In den Frachtpapieren warendie Flugzeuge wahrheitsgem dekla-riert; da der Transport jedoch ohne dieerforderlichen Genehmigungen erfolg-te, wurde er angehalten. Die Staats-anwaltschaft Bremen hat ein Verfahrenwegen des Verstoes gegen das Kriegs-waffenkontrollgesetz eingeleitet. Dieverantwortliche rumnische Firma warbereits 2008 in einem hnlichen Fall

    strafrechtlich verfolgt worden.

    J U S T I Z

    Ehrenmrder ohneStrafrabatt

    Deutsche Strafgerichte behandeln so-genannte Ehrenmrder nicht milder alsandere Beziehungstter, sondern sogarstrenger. Das ergibt eineStudie des Max-Planck-In-stituts fr auslndischesund internationales Straf-recht in Freiburg, die dem-nchst erscheint. Die For-scherin Julia Kasselt hat 78Flle zwischen 1996 und2005 ausgewertet, bei de-nen die Tter Partner oderVerwandte wegen kulturel-ler Ehrencodices ange-

    griffen hatten. Kasselt ver-

    glich die Urteile mit 91 Schuldsprchengegen Partnermrder, die etwa aus Ei-fersucht gettet hatten, und stellte fest,dass Letztere deutlich milder bestraftwurden. Das Fazit der Forscherin: DieJustiz gibt Ehrenmrdern keinen ,kul-turellen Rabatt. Ein gegenteiliger Ein-druck war jngst durch ein Urteil desLandgerichts Wiesbaden entstanden,das einen Deutschafghanen wegen

    Mordes an seiner schwan-geren Freundin verurteilthatte. Eine besondereSchwere der Schuld wur-de dabei nicht erkannt, dasich der Tter aufgrundseiner kulturellen und reli-gisen Herkunft in einerZwangslage befundenhabe. Das bedeutet, dasser nach 15 Jahren Chancenauf eine Haftentlassung

    hat.

    JENS

    RESSING/

    PICTURE-ALLIANCE

    /DPA

    Opfer Morsal

    8 2437 4552 555839

    6

    20

    15

    26

    3032

    25

    1315

    SAHRAWAGENKNECHT

    MANUELASCHWESIG

    ALEXANDERDOBRINDT

    KLAUSWOWEREIT KATRIN

    GRING-ECKARDT

    HEIKOMAAS

    HERMANNGRHE

    WINFRIEDKRETSCH-MANN

    Reihenweise abgewatschtSo richtig berzeugt hat die schwarz-rote Koalition die Brger in ihren ersten

    100 Arbeitstagen offenbar nicht: Wichtige Regierungsmitglieder habendeutlich an Ansehen verloren. Abwrts ging es dabei auch fr den

    Bundesprsidenten. Nur SPD-Auenminister Frank-Walter Steinmeierblieb in der Spitzengruppe vom Negativtrend verschont.

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    Panorama

    Die Bundesregierung hat sich in der vergangenen Wochekritisch mit ihrer bisherigen Arbeit auseinandergesetzt.Anlass war die sogenannte 100-Tage-Bilanz. Die ist des-

    halb immer sehr wichtig, weil es vorher zu frh und ab dem101. Tag zu spt fr eine 100-Tage-Bilanz ist. Leider fiel sie indiesem Jahr ernchternd aus. Trotz ihrer Bereitschaft, sichstndig selbst zu hinterfragen, und trotz des Willens, jedenTag ein Stck besser zu werden, sehen die Vertreter der Gro-en Koalition derzeit keinen Spielraum frVerbesserungen. Selbst die unter Insidern frihre Selbstkritik berhmte, sonst aber eherunbekannte stellvertretende SPD-Fraktions-vorsitzende Eva Hgl musste am Mittwoch

    in einer TV-Talkshow gestehen, dass dieKoalition einen fulminanten Start erwischthabe. Sosehr sie nach einem Ansatz fr Kritiksuchte, sie fand einfach keinen. Sehr ein-fallsreich und sehr gerecht sei die Arbeitder Regierung. Ein voller Erfolg. Ihren Kol-leginnen und Kollegen erging es nicht anders.

    Versuche, die beeindruckende Bilanz zutrben, schlugen fehl. Inzwischen ist selbstder anfangs als bedenklich empfundene Umgang mit denPdophilen-Filmchen des Abgeordneten Edathy (Stichwort:Mauschelei!) zur Erfolgsgeschichte geworden. Wir haben dasgut hingekriegt, bekannte die bereits erwhnte Frau Hglim Fernsehen offenherzig. Ich glaube, wir sind sehr profes-sionell damit umgegangen. Das kann man nicht anders sagen.

    Leider gefhrdet der fulminante Start der Regierung je-doch Arbeitspltze. Vertreter von Oppositionsparteien etwasind bei sehr einfallsreichen und sehr gerechten Bundes-regierungen berflssig, das zeigen die Beispiele anderer,ebenfalls sehr gut regierter Lnder wie Turkmenistan, Nord-korea oder der Freistaat Bayern. Auch hartnckige Journa-listen werden in solchen Phasen nicht gebraucht. Sie strennur, oder, wie es Frau Hgl ber die Sache mit Edathy sagte:

    Langsam fngt es auch an zu nerven, dasThema.

    Als Journalist, der oft frs Nrgeln bezahltwird, kommt man sich in Zeiten, da derRegierung alles gelingt, ziemlich doof vor.

    Wie der Typ auf der Party, der stndig dieMusik leiser dreht. Man wirkt frustriert undsteht im Verdacht, schlechten Sex zu haben.Branchendienste sprechen deshalb bereitsvon einer Medienkrise.

    hnlich zufrieden mit der eigenen Arbeitwie jetzt die Regierung war im Sommer 1990brigens der Teamchef der deutschen Natio-nalelf. Wir sind jetzt die Nummer eins in

    der Welt, wir sind schon lange die Nummer eins in Europa,sagte Franz Beckenbauer kurz nach dem Gewinn der Fu-ball-WM in Italien. Es tut mir leid fr den Rest der Welt,aber wir werden in den nchsten Jahren nicht zu besiegensein. Bei der nchsten WM schied Deutschland im Viertel-finale aus. Gegen Bulgarien. Markus Feldenkirchen

    TREIBHAUS BERLIN

    Schlechter Sex

    K A T H O L I K E N

    Das Lgengebudezu Limburg

    Die Ausknfte von Bischof Franz-PeterTebartz-van Elst (T.-v.E.) auf Anfragendes SPIEGEL vom 15. August 2012und die Erkenntnisse des jetzt vorlie-genden Untersuchungsberichts (UB):

    T.-v.E.: Auf der Baustelle gibt es nichtszu verbergen. Es wurde absolut han-delsbliches Material wie fr Kchen-platten verwendet. Die Behauptung,es wurden nur teuerste Materialienverwendet, ist unwahr.UB: Insgesamt wurde in dem gesamtenObjekt eine sehr hochwertige Beleuch-tung eingesetzt, allein fr LED-Son-

    derleuchten sind Kosten von mehr als650000 entstanden. Fr Mbel- undTischlerarbeiten 1,15 Millionen .Aufwendige Medientechnik u.a.

    32 Flachmembranlautsprecher fr280000 . Innentren von hchsterQualitt fr 490000 .

    T.-v.E.: Es mussten nicht mehrfachgrere aufwendige, bereits erledigteArbeiten korrigiert werden.UB: Vielfltige Umplanungen und n-derungen, zum Teil im fertiggestellten

    Haus, fhrten in der Regelzu deutlich kostenintensiveren

    Ausfhrungsarten.

    T.-v.E.: Der Bischof hat keineMglichkeit, von seinemWohnhaus in das angrenzendeMuseum und von dort in einenGarten zu gelangen.UB: Da der Bischof gerne denMariengarten nutzt, ohne sich

    jedoch der ffentlichkeitzu zeigen, wird als Lsung einDurchgang durch das Di-zesanmuseum geschaffen. Auf-wendiger Neubau zum so-genannten Garten der StilleMehrkosten 667000 .

    T.-v.E.: Es gibt kein Wasser-becken fr Kois.UB: Die Schaffung eines Wasser-

    beckens fr Zierfische (Koi-Becken) mit ca. 2 m Tiefe undaufwendiger Ausstattung verur-sachte ca. 213000 Baukosten.

    T.-v.E.: Zu Ihrer Frage ,Ausstattungmit Kunstwerken: Es wird nur 4 Figu-ren geben, und zwar aus regionalblichem Stein.UB: Fr Ausstattung undKunstwerke (ohne Mbel) wurdeninsgesamt 1,17 Millionen verausgabt.

    T.-v.E.: Zu den angeblich gestiegenenBaukosten: 2,0 Millionen fr denBau wurden vorsorglich um 0,5 Millionen aufgestockt.UB: Nach vorliegenden Unterlagengeht die Prfungskommission vonGesamtkosten in Hhe von mindesten

    31,05 Millionen aus. Eine Er-hhung bleibt vorbehalten.

    Tebartz-van Elst

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    S Y R I E N

    Grausames RitualAuslndische Kmpfer werden in Sy-rien offenbar dazu gentigt, Gefange-nen die Kehle durchzuschneiden, umsich als vollwertige Dschihadisten zubeweisen. Darber hat das Bundes-amt fr Verfassungsschutz vergangeneWoche die 16 Landesmter in Klninformiert. Einzelne islamistische Grup-pen unterhielten im syrischen Brger-krieg sogenannte Schlachthuser,in denen die Gefangenen feindlicherKriegsparteien untergebracht seien.Dorthin sollen wiederholt aus demAusland stammende Kampfwilligegefhrt worden sein, um sie an dasTten zu gewhnen. Sogar 17- und18-Jhrige seien dazu angehalten wor-

    den, den Insassen die Kehle durch-zuschneiden. Der Inlandsgeheim-dienst frchtet, dass auf diese Weiseverrohte Jugendliche frher oderspter auch nach Deutschland zurck-kehren knnten.Rund 300 Islamisten sollen sich bis-lang von Deutschland aus auf denWeg nach Syrien begeben haben. Zuden wenigsten liegen den Behrdengesicherte Erkenntnisse vor. Es seimglich, dass auch der Fall Mustafa K.im Zusammenhang mit den Schlacht-haus-Ritualen stehe, heit es in Ver-fassungsschutzkreisen. Der aus Dins-laken stammende K. war Mitte Februarauf einem im Internet kursierendenFoto aufgetaucht. Es wurde offenbarin der syrischen Stadt Azaz aufgenom-men und zeigt den Islamisten, wieer grinsend mit zwei abgeschlagenenKpfen posiert (siehe auch Seite 42).

    1 4 / 2 0 1 4 15

    Deutschland

    G U T A C H T E R

    Neutralitt gefhrdetJeder vierte Gutachter aus dem medi-zinischen oder psychologischen Be-reich hat in Bayern sogenannte Ten-denzsignale von der Justiz erhalten.Das bedeutet, Richter geben bei derAuftragsvergabe einen Hinweis, wel-ches Ergebnis erwartet wird. Bei Psy-chologen ist der Anteil derer, diein Einzelfllen oder hufig solcheSignale bekommen haben, nochwesentlich hher als bei Medizinern:Fast jeder zweite psychologischeSachverstndige hat offenbar solcheErfahrungen gemacht. Das ergibt eine

    Studie, deren Ergebnisse in der Fach-

    zeitschrift Der Sachverstndige imBeck-Verlag Anfang April verffent-licht werden. Die Autoren habendazu vergangenes Jahr 548 Gutachter

    aus Bayern befragt. Jeder drittepsychiatrische und jeder zweite psy-chologische Gutachter beziehtdemnach mehr als 50 Prozent seinerEinnahmen aus Gerichtsgutachten.Daher gebe es eine wirtschaftlicheAbhngigkeit von den Auftrgen derJustiz, was die geforderte Neutralittgefhrde. Die Autoren empfehlenunter anderem, Gutachter knftig perLos auszuwhlen und solche Auftrgenur noch schriftlich zu vergeben,mit Kopie an alle Verfahrensbeteilig-ten. Mndliche Absprachen zwischenRichtern und Gutachtern sollten zu-

    dem verboten werden.

    R U S S L A N D

    Krise nicht verstanden?Siemens-Chef Joe Kaeser muss wegenseines Besuchs bei Russlands PrsidentWladimir Putin und seiner damit ver-bundenen ffentlichen uerungenherbe Kritik aus der Politik einstecken.Wenn der Siemens-Chef das Vorgehen

    Putins auf der Krimals ,kurzfristigeTurbulenz bewertetund die Wertege-meinschaft mit Putinbeteuert, ist das pein-lich und unverant-

    wortlich, sagt der Vorsitzende desAuswrtigen Ausschusses im Bundes-tag Norbert Rttgen (CDU). Er wirftKaeser vor, damit die deutschen Inter-essen zu unterlaufen. Kaesers Vor-gehen zeigt, dass er entweder die geo-politische Bedeutung der Krise nichtverstanden hat oder dass er das Einzel-interesse seines Unternehmens berdie Interessen nicht nur Deutschlands,sondern Europas und des gesamtenWestens stellt. Kaeser hatte Putin am

    vergangenen Mittwoch besucht. Ineinem Fernsehauftritt danach hatte erdie Annexion der Krim und die Kriseum die Ukraine als kurzfristige Tur-bulenzen bezeichnet und betont,sein Besuch sei mit dem Kanzleramtabgestimmt gewesen.Rttgen

    METODIPOPOW/

    360-BERL

    IN

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    Die Kanzlerin spricht lang berKrieg und Frieden an diesemMontagmorgen, das Prsidiumder CDU erfhrt jedes Detail ber denFortgang der Ukraine-Krise. Alle Telefo-nate Angela Merkels mit Wladimir Putin,die Gedanken zu Obamas Rolle im Pokerum die Ukraine finden Raum in ihrenAusfhrungen. Als sie dann anfngt, auf

    die Rolle der Nato in dem groen Spieleinzugehen, erwarten manche einen sanf-ten Tadel fr die Verteidigungsministerin.

    Ursula von der Leyen hatte das Wo-chenende mit uerungen im SPIEGELbeherrscht, wonach fr die Nato jetztwichtig sei, Prsenz an den stlichenAuengrenzen des Bndnisses zu zeigen.Weil das als ein Beitrag zur Eskalationinterpretiert wurde, zog die MinisterinKritik auf sich, unter anderem von SPD-Vizekanzler Sigmar Gabriel.

    Doch Angela Merkel stellt sich hinterihre Ministerin, lobte deren Auftritt in ei-ner sonntglichen TV-Talkshow als kom-

    petent und souvern. Botschaft an die

    von-der-Leyen-Kritiker: Die Frau hatrecht, die Nato muss Flagge zeigen. Undin einem Militrbndnis heit das nuneinmal Gert und Personal.

    Tatschlich tritt der Konflikt um Ukrai-ne und Krim in eine neue Phase. Anfangder Woche wird die Nato zum ersten Malein militrisches Zeichen setzen, das ent-schlossener wirkt als die recht berschau-

    baren politischen und wirtschaftlichenSanktionen der Europischen Union.Viele Alliierte bewerten das russischeVorgehen als historische Zsur und Zei-tenwende fr die euro-atlantische Sicher-heitsarchitektur, schreibt der deutscheNato-Botschafter Martin Erdmann in ei-nem vertraulichen Bericht. In besonde-rer Weise wird auf uns geschaut.

    Nato-intern laufen die Vorbereitungenunter dem Stichwort reassurance, Be-ruhigung, vor allem fr die osteuropi-schen Mitgliedstaaten. Aber ob sich auchRusslands Prsident Wladimir Putin dasGanze in aller Ruhe anschauen wird, ist

    offen. Und dass es in der Bundesregie-

    Deutschland

    1 4 / 2 0 1 416

    rung lange ruhig bleibt, wenn auch Eiheiten der Bundeswehr in Marsch gesetzwerden, darf ebenso bezweifelt werdeSchon jetzt ist in der Groen Koalitiosprbar, mit welchem Unbehagen weitTeile der SPD den Kurs der Kanzleriverfolgen. Die Kritik Gabriels an der Foderung der Verteidigungsministerin wir

    nicht das letzte Wort bleiben. Besondeweil von der Leyen an diesem Dienstarecht behalten wird. Da tagt in Brsseder Nato-Auenministerrat.

    Er soll die praktische Zusammenarbeim Nato-Russland-Rat stoppen, whrendie Militrkooperation mit der Ukrainumfangreich ausgeweitet werden sowie es heit. Auerdem gilt es, vor allemden Balten und Polen Bndnissolidaritzu signalisieren: Die Luftraumberwchung (air policing) wird mindestenverdoppelt. Derzeit sind zwei Flugzeugin stndiger Startbereitschaft oder in deLuft, daraus sollen vier bis sechs werde

    Dafr stehen zwei Flugpltze in ma(Estland) und iauliai (Litauen) zur Vefgung. Zustzlich sollen vermehAwacs-berwachungsflge stattfindeausschlielich ber Nato-Gebiet, wes heit, aber mit der technischen Mlichkeit, weit in die stlich gelegenUkraine hineinzuschauen. Auerdem soein Nato-Marineverband zum Manvein die stliche Ostsee auslaufen.

    Die stlichen Bndnisstaaten drngeseit Beginn der Krise auf solche Demostrationen. Entscheidend war jedoch deSchwenk der USA im Nato-Rat. Nach a

    fnglicher Zurckhaltung htten sie sicnun an die Spitze der Bewegung gsetzt, schreibt der deutsche Nato-Boschafter. Er stellt die Frage, die nun imRaum steht: Wie verhalten sich die Deuschen in dieser aus Sicht der osteuropschen Hauptstdte existentiellen Krise?Die Antwort werde fhlbare Auswirkugen auf die deutsche Fhrungsrolle ibestimmten Bereichen der Allianz habe

    Mit dieser Antwort aus Berlin hat eeine Weile gedauert. Dabei msste sicdie Bundesregierung beeilen, wenn ihBeitrag politisch zhlen soll.

    Briten und Franzosen haben bereits a

    gemeldet, die zustzlichen Flge beim

    STEFANB

    ONESS/

    IPON

    Minister Steinmeier, von der Leyen: Beitrag zur Eskalation?

    V E R T E I D I G U N G

    Nato-AlarmDer Konflikt mit Russland geht in eine neue Phase. Auf Druck der Amerikaner,Polen und Balten setzt das westliche Militrbndnis ein Zeichen. Schiffeund Flugzeuge werden nach Osten verlegt. Auch die Bundeswehr soll dabei sein.

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    Offene FlankeDie militrische Strke derstlichen Nato-Staaten

    FRANKREICH

    DEUTSCHLAND

    KROATIEN

    BELGIEN

    TSCHECHIEN

    SLOWENIEN

    MOLDAU

    GEORGIEN

    NIEDERLANDE

    DNE-

    MARK

    NORWEGEN

    SPANIENITALIEN ALBA-

    NIEN

    GRIECHEN-

    LAND

    WEISS-

    RUSSLAND

    UKRAINE

    GROSS-

    BRITANNIEN

    ESTLAND

    5750

    334

    0

    0

    LETTLAND

    5310

    76

    0

    0

    LITAUEN

    11800

    480

    0

    UNGARN

    26500

    68

    30

    14

    BULGARIEN

    31300

    311

    8042

    TRKEI

    510600

    7822

    2504352

    RUMNIEN

    71400

    899

    437

    69

    SLOWAKEI

    15850

    68

    30

    20

    POLEN

    99300

    783

    893

    106

    KrimIm Mrz 2014Russland einverleibt

    Russische ExklaveKaliningrad

    RUSSLAND

    845000

    5436

    2550

    1389

    Truppenstrke

    Geschtze

    Kampfpanzer

    Kampfflugzeuge

    SdossetienMilitrkonflikt zwischen Russlund Georgien im August 2008

    air policing zu bernehmen. Allein Lon-don will dafr umgehend vier Jets bereit-stellen. Norwegen hat Bereitschaft er-klrt, das Fhrungsschiff zu stellen, dasdem Marineverband fr sein Manverfehlt. Eine oder beide Aufgaben zu ber-nehmen, knnte sich das Bundesverteidi-gungsministerium vorstellen. In hohenBundeswehrkreisen erinnert man an dieWorte von der Leyens, die bei der Sicher-heitskonferenz in Mnchen sagte, Gleich-gltigkeit sei fr Berlin keine Option.Wer das sagt, so ein General, kannheute schlecht mit leeren Hnden daste-hen, wenn es um einen Einsatz geht.

    Bereits Ende vorvergangener Wochemeldete die Luftwaffe an die Ministeriums-spitze, dass man kurzfristig bis zu sechsEurofighter fr die berwachungsflgeabstellen knne. Eine Entscheidung gab eszunchst nicht, im Verteidigungsministe-rium wuchs die Ungeduld. Kurz vor demWochenende zeichnete sich eine Teil-Eini-gung ab. Es kommt jetzt auf zweierlei an:

    in dieser auerordentlich schwierigen Lagegerade in der Nato mit khlem Kopf zuhandeln und uns in keine Spirale der mili-trischen Eskalation drngen zu lassen,sagte Frank-Walter Steinmeier. Gleichzei-tig wissen unsere Partner, dass wir ohne

    Wenn und Aber zur Solidaritt im Bndnisstehen, und das nicht nur bei gutem Wet-ter. Aus dem Umfeld Steinmeiers heites, Deutschland werde sich, wo immer essinnvoll sei, an verstrkten Routineopera-tionen im Bndnisgebiet beteiligen. Zu-gleich warnte Steinmeier aber: Die Ukrai-ne-Krise lsst sich nicht mit militrischenMitteln lsen: Das geht nur mit diplomati-schen Bemhungen zur Deeskalation.

    Die Amerikaner freilich schaffen stetigFakten. Sechs Kampfflugzeuge vom TypF-15C wurden in Litauen stationiert.Zwlf F-16-Flugzeuge und vier Transport-flugzeuge C-130 Hercules wurden nachPolen entsandt. Dabei soll es nicht blei-ben. Das Nato-Treffen knnte eine Auf-forderung an alle Mitgliedstaaten be-schlieen, solche bilaterale Hilfe zu pr-fen und zu leisten. Ministerin von derLeyen ist dazu bereit, Steinmeier nicht.

    Wie lange die Einheiten dort bleibenwrden, ist offen. Aber es ist entscheidendfr eine mgliche weitere Eskalation.

    Denn nach dem Zerfall des WarschauerPaktes stand den ehemaligen Ostblock-Staaten zwar frei, der Nato beizutreten.Sie stehen nun unter dem Schutz vonArtikel 5 des Nato-Vertrags, der im Falleeines Angriffs jedem Mitglied den milit-

    rischen Beistand aller anderen garantiert.Obwohl die drei baltischen Staaten nurkleine Armeen haben, wurde mit Rck-sicht auf Russland auf die dauerhafteStationierung von Einheiten andererNato-Staaten dort verzichtet. Im KaltenKrieg galt diese Dauerprsenz britischer,franzsischer, belgischer, niederlndi-scher, kanadischer und amerikanischerTruppen auf dem Boden der Bundes-republik als praktische bersetzung desBndnismottos: Ein Angriff auf einen istein Angriff auf alle.

    Geht die Reise dahin zurck? Wird da-mit russischen Einkreisungsngsten weiterVorschub geleistet, die Wladimir Putin frseine politischen Ziele nutzen kann?

    Ausgeschlossen wird das im BrsselerBndnis-Hauptquartier nicht. Mit einigerSorge berichtet der deutsche Nato-Bot-schafter von den laufenden Debatten:Im Nato-Rat treffen die unterschiedli-chen Sichtweisen zum Teil sehr kon-trovers aufeinander, heit es in seinem

    Bericht. Das Nachdenken ber die stra-tegischen Auswirkungen fr die Allianzhat gerade erst begonnen.

    M A, N B,M G, R N,

    C S

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    Kann man Verstndnis haben fr

    Russlands Vorgehen auf der Krim?Sind die Ansprche Moskaus be-

    rechtigt? Hat der Westen Prsident Wla-dimir Putin provoziert? Seit Wochen er-regt dieses Thema die Deutschen wie keinanderes. Die Auenpolitik ist sonst einNischenthema fr Experten. Mit Russlandist es diesmal anders.

    Das Thema Krim-Krise beherrscht Leit-artikel und Talkshows, kaum etwas wirdauf den Websites so viel geklickt, in denForen so hei diskutiert. Nichts polarisiertso wie die Frage, ob die Annexion derKrim eine nachvollziehbare Reaktion

    Moskaus auf die Ausdehnung der Natonach Osten ist oder ein vlkerrechtswid-riger Akt, fr den sich jedes Verstndnisverbietet.

    In den Internetforen und Talkshows desLandes sind diejenigen massiv vertreten,die fr das Vorgehen Moskaus Verstndnisuern. Ein ehemaliger Bundeskanzler(Helmut Schmidt) erklrt, die Situation inder Ukraine sei gefhrlich, weil der Wes-ten sich furchtbar aufregt. Die Frage, obPutins Vorgehen legitim sei, interessiertihn nicht: Ich finde es durchaus verstnd-lich. Ein anderer Ex-Kanzler (GerhardSchrder) gesteht, dass er sich selbst nicht

    immer an das Vlkerrecht gehalten hat.

    Der Bogen der Nachsichtigen reicht

    vom CDU-Politiker Philipp Mifelder biszu Alice Schwarzer, von der Linken berdas gutbrgerliche Milieu bis weit ins kon-servative Lager. Der nordrhein-westfli-sche CDU-Chef Armin Laschet warnt vorAnti-Putin-Populismus. Russland-Roman-tiker tummeln sich neben Realpolitikern,Sowjetnostalgikern und Salonlinken. IstDeutschland ein Land von Russland-Ver-stehern?

    Das weiche Herz fr Moskaus harteHand hat viele Ursachen, historische undaktuelle, idealistische und materielle. Amoffensichtlichsten sind die Interessen der

    Wirtschaft, die ihr Geschft machen willund deshalb gegen Sanktionen ist. An-dere Motive sind die Angst vor einemneuen kalten oder heien Krieg, diehistorische Verbundenheit mit Russlandund der weitverbreitete Antiamerikanis-mus. Es gibt eine romantische Verklrungmit dem Land Tolstois und Dostojew-skis wer kennt schon einen ukraini-schen Dichter?

    Warum ich trotz allem Putin verste-he, heit ein Text, in dem sich AliceSchwarzer in die Seele des russischenMachos einfhlt. Darin emprt sie sichber gleichgeschaltete westliche Medien

    und verteidigt Putins wehrhafte Stra-

    tegie der eisernen Faust. So langschlielich ist es noch nicht her, daNazi-Deutschland Russland berfallenund Millionen Kinder, Frauen und Mner ermordet habe, schreibt SchwarzeAber die deutsche Schuld ist nur einevon vielen Grnden, warum Putin augroes Verstndnis trifft.

    Gerade in Ostdeutschland begegneman einer Verbundenheit mit der ehmaligen Besatzungsmacht, die fast etwavom Stockholm-Syndrom hat. Der Liken-Fraktionschef Gregor Gysi bedien

    dieses Gefhl. Seine Argumentation lssich auf die Formel bringen, Deutschlanund seine Verbndeten verhielten sicauch nicht anders als Moskau, Kritik amrussischen Vorgehen sei scheinheilig. Derussische Glaube an das Militrische sdasselbe Denken, das im Westen voherrschte und vorherrscht: bei Jugoslwien, Afghanistan, dem Irak und Libyen

    Die moralische Gleichsetzung voWest und Ost ist ein altes Thema depolitischen Linken. Gysis ParteifreundSahra Wagenknecht wirbt dafr, dVolksabstimmung auf der Krim zu akze

    tieren. Die Eingliederung der Krim in dRussische Fderation sei auch das Ergenis einer gescheiterten Russland-Politian der die Bundesregierung tatkrftigeAnteil habe, sagt sie.

    blicherweise ist die Zustimmung deffentlichkeit berschaubar, wenn dLinkspartei sich zu internationalen Frgen uert. Aber als Gysi Mitte deMonats im Bundestag die RusslanPolitik von Angela Merkel auseinandenahm alles, was Nato und EU falscmachen konnten, haben sie falsch gmacht , drfte das anders gewesen seiEs sei anzunehmen, dass Gysi und sein

    Parteikollegin Wagenknecht in diesen T 1 4 / 2 0 1 418

    Alice Schwarzer

    So lange schlielichist es noch nicht her,dass Nazi-DeutschlandRussland berfallenhat.

    STEFAN THOMAS KROEGER / L

    A U S S E N P O L I T I K

    Das Verstndnis-ProblemViele Deutsche reagieren auf die

    Expansionspolitik Moskaus mit groer Nachsicht.Sind wir ein Volk der Russland-Versteher?

    Der russischePrsident hat sich auf

    eine alte zaristischeTradition besonnen:

    das Einsammelnrussischer Erde.

    Alexander Gauland

    H. BREDEHORST / POLARIS / LAIF

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    gen mehr Anhnger als Whler htten,schrieb die Sddeutsche Zeitung.

    Vermutlich htte auch der Konserva-tive Alexander Gauland applaudiert. AlsTreffpunkt fr ein Gesprch hat er einRestaurant am Ufer des Tiefen Sees inPotsdam vorgeschlagen. Die alten Villender Berliner Vorstadt spiegeln sich hierim Wasser, die Gegend atmet brgerlicheGediegenheit. Gauland hat lange poli-tisch fr die CDU gearbeitet, jetzt sprichter fr die Alternative fr Deutschland(AfD). Was er zu Russland sagt, ist im

    Ergebnis nicht weit von den PositionenGysis entfernt.

    Allerdings hat Gaulands Sympathie frRussland nichts mit Sowjetnostalgie zutun. Sie stammt aus lterer Zeit. Gaulandschtzt Bismarck und die Gleichgewichts-diplomatie des 19. Jahrhunderts. Er erin-nert an das gute deutsch-russische Ver-hltnis zur Zarenzeit, den gemeinsamenKampf gegen Napoleon, die positive Hal-tung der russischen Regierung bei derReichsgrndung 1871. Es war eine Zeit,als die Gromchte die Welt unter sichaufteilten.

    Aus dieser Sicht und da trifft sich Gau-land mit Teilen der Linken war es viel-leicht illegal, dass sich Russland die Krimeinverleibt hat, aber deshalb nicht illegi-tim. Die Nato habe nach dem Ende desKalten Krieges keine neue Friedensord-nung angestrebt, sondern sich nach Ostenausgedehnt. So hat sich der russische Pr-sident auf eine alte zaristische Traditionbesonnen: das Einsammeln russischerErde, sagt Gauland. Das westliche Argu-mentieren in formal vlkerrechtlichenKategorien sei zu kurz gedacht.

    Diese Haltung ist nicht leicht mit derIdee vereinbar, dass es in Europa eine sta-

    bile Friedensordnung geben soll. Knnten

    nicht die sterreicher genauso darauf be-harren, dass es in Sdtirol eine Volks -abstimmung geben msste? Wenn Sd-tirol ber die Brennergrenze abstimmenwill, kann man das nicht verhindern,sagt Gauland. Wre das nicht ein Pro-blem? Die Frage, ob alle Grenzen inEuropa heilig sind, darf man stellen,meint Gauland.

    Kaum vorstellbar, dass Klaus von Doh-nanyi sich die Frage nach der Heiligkeiteuropischer Grenzen stellt. Dohnanyiist ein konservativer Sozialdemokrat, er

    wird auch in weiten Teilen der Union re-spektiert. In Deutschland ist er die perso-nifizierte politische Mitte.

    Es sei, so Dohnanyi beim Gesprch ineinem Berliner Hotel, nicht klug von Pu-tin gewesen, dass er die Krim annektierthat. Besser htte der russische Prsidentdas Ergebnis der Volksabstimmung nut-zen sollen, um eine neutrale Ukraine zuerzwingen. Trotzdem msse der Westen

    jetzt Respekt fr Russland zeigen.Dohnanyis Verstndnis fr Russland ist

    die eine Seite seines Weltbilds die an-dere ist die Amerika-Kritik. Die Ameri-

    kaner haben oft keinen Sinn fr Diplo-matie und die geopolitischen ProblemeEuropas, so Dohnanyi. Je lnger manihm zuhrt, desto strker wird der Ein-druck, nicht die Russen, sondern die Ame-rikaner seien das Problem. Was hat dieLage geschaffen? Die Lage hat geschaffen,dass schon einmal der Versuch gemachtwurde, die Ukraine in die Nato zu zie-hen, sagte er in einer Talkshow.

    Das Verstndnis fr Putin beschrnktsich nicht auf die Auenpolitik. Oft ist esgepaart mit der berzeugung, dass nurein mehr oder weniger autoritrer Herr-scher Russland regieren und zusammen-

    halten kann. Wer knnte dieses schwie-

    rige Land sehr viel anders regieren alsPutin?, fragt Dohnanyi. Das wrden dieAmerikaner nicht verstehen. Dem Wes-ten, so sieht es Dohnanyi, fehlt der rea-listische Blick auf Russland: Wir betrei-ben keine Realpolitik.

    Als Folge von so viel Verstndnis frRusslands Nte fallen die Interessen derMittelosteuroper meist unter den Tisch.Eine ukrainische Journalistin pochte

    jngst bei Anne Will auf das Selbstbe-stimmungsrecht ihres Landes. Ich fhlemich nicht wohl, wenn Sie ber die Ukrai-

    ne sprechen, als gbe es das Land garnicht, klagte sie. Sie knnen sich nichteinfach aus einer Einflusszone heraus-lsen, entgegnete Dohnanyi. Den Baltenund Polen unterstellt er, ihre Sorgen vorweiterem Expansionsdrang Putins seienauch durch die USA beeinflusst. Dassei verstndlich, aber nicht klug.

    So erinnert die heutige Situation andie zweite Phase der deutschen Ostpolitikin den achtziger Jahren. Damals sahensich osteuropische Freiheitsbewegungenals Strenfriede der Entspannung ausge-grenzt, wie der Historiker Heinrich Au-

    gust Winkler schreibt. Heute sind es dieUkrainer, die dem Verstndnis fr Russ-land geopfert werden.

    Als die polnische Regierung im Jahr1981 das Kriegsrecht verhngte undihren Kampf gegen die Opposition ver-schrfte, initiierten die Amerikaner Sank-tionen gegen Polen und die Sowjetunion.Der damalige Bundeskanzler HelmutSchmidt weigerte sich mitzumachen,wegen seines tiefsitzenden Wunschesnach Ausshnung, wie er in seinenMemoiren schrieb. Heute uert sichSchmidt zur Frage der Sanktionen gegenRussland noch bndiger: Die seien dum-

    mes Zeug. R N

    1 4 / 2 0 1 4 19

    STEFFI LOOS / DAPD

    Gregor Gysi

    Alles, was Natound EU falschmachen konnten,haben siefalsch gemacht.

    Wer knnte diesesschwierige Land

    Russland sehr vielanders regieren

    als Putin?

    Klaus von Dohnanyi

    V. BONN-MEUSER / ACTION PRESS

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    Wer gezwungen ist, sein Sofa ge-gen eine Gartenbank aus Holzeinzutauschen, der muss erfin-

    derisch sein: ein Blmchenkissen unter-schieben, wenn der Rcken zwickt; ge-bgelte Leinentcher auf der Sitzflcheausbreiten, wenn es etwas vornehmeraussehen soll; das Kaffeetischchen ver-rcken, damit das Mbelstck aus dem

    Baumarkt im Wohnzimmer gar nicht erstauffllt. Es muss ja weitergehen, irgend-wie, sagt Veronika Bredow.

    Im Dezember erst ist die Rentnerinumgezogen des Ruhestandes und desGeldes wegen. Die alte Wohnung war zugro und zu teuer, die neue Bleibe aber

    ihre hhere Mtterrente nach Schtzungen der Linkspartei mit Sttze vom Amverrechnen mssen genau wie VeronikBredow. Selbst in der Rentenversicherunhalten Experten die Zahlen fr realistisch

    Fr die Reform, die der Bundestag amDonnerstag in erster Lesung beraten sonimmt die Regierung immense Summein die Hand. Die hheren Mtterrentendie abschlagsfreie Rente mit 63 und einReihe weiterer Manahmen verschlingebis zum Jahr 2030 insgesamt 160 Milliarden Euro. So steht es im Gesetzentwu und das ist noch vorsichtig prognostziert. Auf 200 Milliarden Euro schtzeRentenexperten die Mehrausgaben, m230 Milliarden Euro rechnet der Finanzwissenschaftler Reinhold Schnabel voder Universitt Duisburg-Essen. Ein teu

    reres Sozialprojekt gab es selten. Ein frawrdigeres nie.Dabei sind fast 80 Prozent der Bev

    kerung der Meinung, dass es im Rentensystem fairer zugehen solle und kleinerRenten aufgebessert gehrten. Allerdingleistet das neue Gesetz dazu so gut wkeinen Beitrag. Das Rentenpaket ist unsinnig, weil es keines der drngendeProbleme lst, sagt Ulrich SchneideHauptgeschftsfhrer des ParittischeGesamtverbandes. Vor allem wird enicht helfen, Altersarmut zu lindern.

    In Wahrheit hatten Union und SPD danie vor. Ihnen ging es darum, um di

    Stimmen lterer Whler zu buhlen be

    Deutschland

    1 4 / 2 0 1 420

    Sozialministerin Nahles, Rentnerin Bredow

    Standard-rentner mit

    Versicherungsjahrenbekommen jhrlich

    rund Euroweniger.

    Versichertezahlen bei einemMonatsverdienst

    von Euro jhrlichrund Euromehr

    Rentenbeitrag.

    Geben und NehmenFolgen der Rentenreform der Groen Koalition

    Mehrausgaben der gesetzlichenRentenversicherung bis

    Entwicklung des Rentenniveaus*, in Prozent

    * netto vor Steuern

    vor der Reform

    nach der Reform

    ,

    ,

    Entwicklung des Beitragssatzes, in Prozent

    ,

    ,

    160 Milliarden Euro

    ist fr die alte Couch viel zu klein. Des-halb sitzt die 65-Jhrige nun auf einemSonderangebot aus Birke. Ein neues Sofawird ein Traum bleiben.

    Genau 601 Euro berweist ihr die Ren-tenkasse monatlich. Zum Leben ist dasin Leipzig zu wenig. Veronika Bredowwill beim Sozialamt deshalb einen Antragauf finanzielle Hilfe stellen, auf Grund-

    sicherung im Alter, wie es in den For-mularen heit.Es knnte bald besser werden, hatte

    die 65-Jhrige gehofft, schlielich gibt esdie neue Mtterrente der Groen Koali-tion. Zwei Kinder hat Veronika Bredowzur Welt gebracht, beide wurden vor 1992geboren. Damit stehen ihr monatlichknftig rund 53 Euro zustzlich zu, Ve-ronika Bredow hat das lngst fr sich aus-gerechnet.

    Doch auf dem Amt musste sie erfah-ren, dass in der Welt des neuen Gesetzesanders kalkuliert wird: Jeden Cent, denVeronika Bredow mehr aus der Renten-

    kasse bekommt, muss das Sozialamt mitder Grundsicherung verrechnen. Von derneuen Leistung wird am Ende auf ihremKonto nichts bleiben. Von der Mtter-rente, schimpft sie, habe ich nichts alsRennerei mit dem Amt.

    Neulich hat Veronika Bredow in derZeitung wieder ein Foto der Sozial-ministerin gesehen. Andrea Nahlesposiert darauf vor einem Werbepla-kat der Bundesregierung. Das neueRentenpaket. So packen wir Gerech-

    tigkeit, stand darauf. Die Zeitungliegt jetzt in der Kche. Beim Altpapier.

    Gerechtigkeit ist das meistbenutzte Ar-gument, wenn es um das Rentenpaketgeht. Vermutlich ist es auch das am

    meisten missbrauchte. Das neue Ge-setz soll den Sozialstaat gerechtermachen, sagt Nahles, sagt ihr Par-teichef Sigmar Gabriel, sagt Bun-deskanzlerin Angela Merkel. Al-

    lein: Ihr Versprechen wird eine Illu-sion bleiben.Tatschlich schafft das Paragrafenwerk

    eine Vielzahl neuer Ungerechtigkeiten,und so passt es ins Bild, dass der Staatrmere Mtter leer ausgehen lsst, wh-rend wohlhabendere profitieren. Es

    knnten 260000 Seniorinnen sein, die

    S O Z I A L E S

    Die MogelpackungDie Rentenreform der Groen Koalition soll den Sozialstaatfairer machen in Wahrheit reit sie neue Gerechtigkeits-

    lcken: Bedrftige gehen leer aus, Wohlhabende profitieren.

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    sonders in ihren Kernzielgruppen. DieUnion erfllte mit der Mtterrente einenWunsch von CSU und Frauenunion, dieSozialdemokratie umgarnte mit der ab-schlagsfreien Rente mit 63 die Gewerk-

    schaften. Am Ende landeten beide Plneim Regierungsprogramm, als Wahlge-schenke fr eine klar definierte Klientel,wie der konom Axel Brsch-Supan vomMax-Planck-Institut fr Sozialpolitik sagt.

    Bezahlen mssen dafr die abhngigBeschftigten und ihre Arbeitgeber. Ohnedie Reform htten die Rentenbeitrge imJanuar von 18,9 auf 18,3 Prozent des Brut-tolohns sinken mssen. Um die neuenWohltaten zu finanzieren, setzte die Re-gierung die Entlastung einfach aus.

    Paradoxerweise aber mssen auch dieRuhestndler selbst fr die Wohltaten

    aufkommen, mit denen sie umschmei-chelt werden sollten Kleinstrentner ge-nauso wie Gutversorgte. Schuld ist derMechanismus der Rentenformel. DasRentenniveau vor Steuern falle bis zumJahr 2030 nun um 0,7 Prozentpunkte ge-ringer aus, gab die Bundesregierungschon zu. Nach Schtzungen des Max-Planck-Instituts fr Sozialpolitik knntenes sogar 2,5 Prozentpunkte sein: Das Ren-tenniveau wrde damit vielleicht sogarunter die gesetzlich festgeschriebene Min-destgrenze von 43 Prozent des Durch-schnittslohns rutschen.

    Es ist das Dauerdilemma der Politik:

    Indem der Sozialstaat Lcher schlieen

    will, die er selbst geschaffen hat, reit erneue Grben auf. Nirgendwo zeigt sichdas deutlicher als in all den Forderungennach Gleich- und Besserstellung, nachAufwertung und Abrechnung, die das Ge-

    setz begleiten.So klagt Ulrike Mascher, Prsidentin

    des Sozialverbands VdK, es sei eine Un-gerechtigkeit, dass Frauen, die ihre klei-nen Renten aufstocken mssten, von derhheren Mtterrente nicht profitierten.Ich pldiere dafr, gesetzliche Rentenoder private Vorsorgeleistungen nichtvollstndig auf die Grundsicherung imAlter anzurechnen, sagt sie. Besser seiein Freibetrag von 100 Euro.

    Andere Protagonisten haben ihre Wn-sche gleich schriftlich im Sozialministeri-um eingereicht: Die CSU will mit der

    Rente mit 63 ebenso alle Mtter oderSelbstndigen beglcken, die freiwilligBeitrge eingezahlt haben. Die Beamtenwollen die Mtterrente auch fr sich ein-fordern. Und die neuen Lnder fordernmehr Geld fr ostdeutsche Frauen.

    Denn das Gesetz schafft bei dem Ver-such, vollkommene Gerechtigkeit zuschaffen, gleich wieder neue Ungerech-tigkeiten vor allem bei der Mtterrente:Wer seine Kinder im Osten in den Schlafgewiegt hat, dem stehen knftig monat-lich genau 26,39 Euro mehr pro Kind zu.Wer dagegen im Westen an der Wickel-kommode stand, den belohnt Vater Staat

    mit 28,61 Euro. Dass sich der Sozialstaat

    im Westen grozgiger zeigt als im Osten,dieses Prinzip tastet die Bundesregierungselbst 24 Jahre nach der Wiedervereini-gung nicht an.

    Eine andere Ungerechtigkeit bleibt

    ebenfalls bestehen: Frauen, deren Kindervor 1992 geboren wurden, sollen knftigzwar besser behandelt werden aber siewerden noch lange nicht gleichgestellt.

    Um das zu verstehen, sollte man aufeinem Ledersofa Platz nehmen, das soweich und bequem ist wie der Sozialstaatin den achtziger Jahren. Es ist das SofaNorbert Blms, der damals als Renten-minister amtierte. In jenen Bonner Jahrenkonnten ihm die Altersgelder nicht ppiggenug ausfallen, heute sagt er: Vollstn-dige Gerechtigkeit gibt es auf Erden nicht und sie ist im Sozialstaat auch nicht fi-

    nanzierbar.Die Lcke bei der Mtterrente, die dieRegierung jetzt nur halbieren, aber nichtstopfen will sie entstand in der raBlm. Im Jahr 1986 hatte der damaligeSozialminister das sogenannte Babyjahreingefhrt. Seither erhalten Frauen frdie Erziehung eines Kindes ein Beitrags-

    jahr gutgeschrieben. 1989 wurde die Regelaufgestockt: Frauen, die ihre Kinder 1992oder spter zur Welt bringen wrden, er-werben sogar drei Beitragsjahre.

    Fr die lteren galt die Aufwertungnicht, schon damals wre das zu teuer ge-wesen. Die Emprung war gro, doch die

    Regel hielt bis heute. Am Ende gelte das 1 4 / 2 0 1 4 21

    THOMAS

    TRUTSCHEL/PHOTOTHEK.N

    ET(L.)

    ;MARTIN

    JEHNICHEN

    /DERSPIEGEL(R.)

    der Mtterrente habe ich nichts als Rennerei mit dem Amt

  • 5/28/2018 DER SPIEGEL 2014.14.Ohne.werbung.original.high.Quality

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    eherne Gesetz der Sozialpolitik, sagtBlm: Wenn du nicht alles bekommenkannst, nimm wenigstens einen Teil.

    Allerdings gab es damals einen ent-scheidenden Unterschied: Die neue Leis-tung wurde aus Steuern finanziert, zu de-nen jeder Brger umso mehr beitragenmuss, je mehr er verdient. Die Mtter-rente von Schwarz-Rot dagegen speistsich aus den Sozialbeitrgen der Arbeit-nehmer, die vor allem die Gering- undDurchschnittsverdiener belasten.

    Das Resultat ist paradox. Beamte oderSelbstndige bleiben bei der Finanzie-

    rung auen vor, weil sie berhaupt nichtin die gesetzliche Kasse einzahlen ms-sen. Profitieren von der hheren Mtter-rente knnen Anwltinnen oder Zahn-rztinnen aber dennoch.

    Als Freiberuflerinnen drfen sie sichber die komfortablen Versorgungswerkeihrer Zunft fr das Alter absichern. Dochselbst wenn sie nie oder nur sporadischBeitrge an die gesetzliche Kasse abge-fhrt haben, berweist ihnen die Renten-versicherung knftig unter bestimmtenVoraussetzungen eine Mtterrente fi-nanziert aus den Sozialabgaben von Se-

    kretrinnen und Sprechstundenhilfen.Herbert Rische, langjhriger Chef derDeutschen Rentenversicherung, hlt dasschlicht fr verfassungswidrig.

    Auch die Anwltin Susanne Ptz-Neu-burger hat ber ein Versorgungswerk undeine Lebensversicherung fr ihr Altervorgesorgt. In zwei Jahren will die heute63-Jhrige in den Ruhestand wechseln.Die einzigen beiden Jahre, in denen sieselbst Geld fr die gesetzliche Renten-kasse aufbrachte, stammen aus ihrem Re-ferendariat Mitte der siebziger Jahre.Dennoch darf Ptz-Neuburger bei dreiKindern mit einem Mtterrentenplus von

    fast 90 Euro monatlich rechnen.

    Fr einen Ausflug ins Restaurant wirddas Geld jedenfalls reichen. Wollen wirnicht die erste Mtterrente mit einem gro-en Essen verspeisen?, hat sie neulichan ihre Freundinnen gemailt. Fr sie istdie neue Sozialleistung eine Anerken-nung: Welche Anwltin setzt heute nochdrei Kinder in die Welt?

    Es ist die schwierigste Aufgabe des So-zialstaats, die Lasten zwischen starkenund schwachen Schultern gerecht zuverteilen.

    Wem muss geholfen werden, und werhilft sich selbst? An welcher Stelle nutzen

    Milliarden, und wo sind sie berflssig?Um die Sozialkassen wenigstens ein biss-

    chen zu schonen, setzt der Gesetzgeberdaher bei jeder LeistungsausweitungGrenzen. Doch jede Grenze fhrt zu neu-en Widersprchen.

    In den Bundestagsbros stapeln sich in-zwischen Briefe von Brgern, die sich

    durch das neue Gesetz eher betrogen alsbeschenkt fhlen. Unter SPD-Abgeordne-ten kursieren nun drei Musterbriefe, umrenitente Rentner milde zu stimmen: einSchreiben zur Gleichstellung von Ost undWest bei der Mtterrente, eines zur An-rechnung auf die Grundsicherung, eineszur Stichtagsregel bei der Rente mit 63.Denn der abschlagsfreie Vorruhestand sollfr Versicherte mit 45 Beitragsjahren gel-ten, die vom 1. Juli an in den Ruhestandgehen und keinen einzigen Tag frher.

    Auch Rita Koczorski hat eine Be-schwerde nach Berlin geschickt. Saue-rei ist noch eines der sanfteren Urteile,

    die die Dortmunderin ber die Rente mit

    63 fllt. In 49 Berufsjahren hat sie sicvon der Sekretrin zur Vertriebsexpertifr Grobatterien hochgearbeitet. Im vegangenen Juni ging sie mit 63 Jahren iRente. Es war genau ein Jahr zu frhJetzt muss sie mit 7,2 Prozent Abzgeauskommen, ein Rentnerleben lang. Umgerechnet verzichtet sie auf mehr als 15Euro im Monat.

    Dabei geht es den Koczorskis im Ruhestand nicht schlecht. Einschrnkemuss sich das Ehepaar vor allem in deFrage, ob es im Urlaub statt nach Thaland an den Tegernsee fhrt. Und den

    noch fhlt sich Rita Koczorski getuschDas ist kein Rentenpaket, das ist ein

    Mogelpackung, schimpft sie. Htte sisich am Ende ihres Arbeitslebens nocfr ein Jahr arbeitslos gemeldet, bekmsie vielleicht keine Rentenabschlge.

    Vor dem Edeka-Markt um die Eckwollte ihr ein SPD-Politiker neulich zum

    Weltfrauentag eine Rose berreichenKoczorski steckte beide Hnde tief in dManteltaschen. Von der SPD sollte ickeine Rosen annehmen, sagte sie. Ihhabt das mit der Rente mit 63 angestellt

    Tatschlich zhlt das Vorhaben zu deumstrittensten Reformen. So sperren sicdie Wirtschaftspolitiker der Union, wesie frchten, dass sich knftig Hundertausende Fachkrfte in den Vorruhestanverabschieden knnten. Mehrmals trasich eine Arbeitsgruppe im Sozialminiterium, um einen Kompromiss auszuloten. Sie diskutierte Strafzahlungen fArbeitgeber und Sanktionen fr A

    beitnehmer, sie kalkulierte rollierend

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    In den Bundestagsbros stapeln sich die Briefe vonMenschen, die sich eher betrogen als beschenkt fhlen.

    Fliesenleger Eugen, Martin Ltke Bordewick, Anwltin Ptz-Neuburger: Wem muss geholfen werden, und wer hilft sich selbst?DIRKH

    OPPE

    /NETZHAUT

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    Deutschland

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    Stichtagsregeln, die das Ministerium in-zwischen vorgeschlagen hat, und Aus-stiegsklauseln. Zu Beginn dieser Wochewollen die Abgeordneten einen neuenEinigungsversuch unternehmen derAusgang ist ungewiss. So planen sieschon ein, das Gesetz notfalls erst imparlamentarischen Verfahren zu ber-arbeiten.

    Grnde gbe es genug. Sozialexpertensind fassungslos, dass die Regierung rundzwei Milliarden Euro jhrlich ausgerech-net an jene verteilen will, die vergleichs-weise ppige Renten erhalten: Vor allemmnnliche Facharbeiter bringen die n-tigen 45 Beitragsjahre zusammen. DieNutznieer der abschlagsfreien Frhrentehtten in ihrem Erwerbsleben aber imSchnitt 25 Prozent ber dem Durch-schnittseinkommen verdient, sagt ko-nom Brsch-Supan. Entsprechend hochfllt ihre Altersversorgung aus.

    Sozialministerin Nahles sagt, es geheum Menschen, die jahrzehntelang hart

    gearbeitet haben und nun nicht mehrknnen. Sie erzhlt dann von ihremVater, dem Maurer, der gern bis 65 imJob geblieben wre wenn nur derRcken mitgemacht htte. Malocher, die

    geschuftet haben, bis sie nicht mehrknnen, sollten aber nicht noch mit Ren-tenabschlgen bestraft werden. Das emp-fnden viele Menschen als ungerecht,sagte Nahles im SPIEGEL-Gesprch (Heft11/2014).

    Das Problem ist nur, dass ihre Ma-nahmen daran kaum etwas ndern. Soknnen die neue Frhrente auch alle Ver-sicherungsfachangestellten oder Finanz-berater nutzen, die ihr Erwerbsleben imwohltemperierten Bro verdsten. Dage-gen wird die Rente mit 63 an vielen Mau-rern oder Fliesenlegern vorbeigehen, weilRcken oder Knie erst gar keine 45 Bei-

    tragsjahre mitmachen.

    Martin Ltke Bordewick ahnt jetztschon, dass er auf die abschlagsfreie Frh-rente besser nicht setzen sollte. 2009 wur-de sein rechtes Knie operiert, 2010 daslinke. Berufsrisiko, sagt der 38-Jhrige.Ltke Bordewick ist Fliesenleger.

    Das Handwerk hat er im selben Betriebgelernt wie sein Vater Eugen. Gemeinsamhaben sie das Elternhaus in der Ruhrge-bietsstadt Wanne gefliest, gemeinsam dieFassade verklinkert. Verschieden sind nurihre Berufskrankheiten: Bei Vater Eugensind es die Bandscheiben, bei Martin dieKnie. Schon vor vier Jahren riet der Dok-tor, dass Martin besser nur noch eine hal-be Stunde am Stck hocken oder sitzensolle. Dass Ltke Bordewick weiterhinauf dem Boden herumrutscht und Fliesenlegt, hat vor allem mit seiner Renten-information zu tun.

    In dem Schreiben, das er vor einigerZeit aus dem Briefkasten zog, las er: W-ren Sie heute wegen gesundheitlicher Ein-schrnkungen voll erwerbsgemindert, be-

    kmen Sie von uns eine monatliche Rentevon: 644,79 Euro. Zuerst dachte LtkeBordewick an seine zwei Kinder. Unddann dachte er: Das reicht nicht.

    Die Erwerbsminderungsrente ist das

    hchste aller Armutsrisiken. Wer gesund-heitlich so angeschlagen ist, dass er nichtmehr arbeiten kann, muss hufig mit ei-ner Rente auf Hartz-IV-Niveau leben.Wen die Arbeitsunfhigkeit im Jahr 2012in den Vorruhestand zwang, der erhieltdurchschnittlich nur 607 Euro aus derRentenkasse. 1,6 Millionen Menschen be-ziehen derzeit eine Erwerbsminderungs-rente. ber zehn Prozent sind auf Sttzevom Sozialamt angewiesen bei den nor-malen Rentnern sind es zwei Prozent.

    Dass hier etwas geschehen muss, darinsind sich alle Experten einig. Allerdingsenthlt das Rentenpaket fr jene, die Hil-

    fe am ntigsten htten, nur bescheidene

    Verbesserungen: Mit durchschnittlich 4Euro mehr im Monat knnen die Ewerbsgeminderten knftig rechnen. Grade 200 Millionen Euro lsst sich die Regierung diese Verbesserungen im nchten Jahr kosten. Fr die Rente mit 63 gibsie das Zehnfache aus.

    Sozialorganisationen wie der Parittsche Gesamtverband schlagen daher voauf die abschlagsfreie Rente mit 63 zverzichten und stattdessen in hhere Ewerbsminderungsrenten zu investierenwie Ulrich Schneider sagt. Gehr fand ebislang kaum. Zu verliebt war die GroKoalition in ihr Gerechtigkeitsversprchen und in Wahlgeschenke an jendie sie kaum ntig haben.

    So vollbringt die Regierung das Kunsstck, ein Paket zu schnren, das demSozialstaat Lasten aufbrdet wie kaumein anderes zuvor und das sein hehreZiel doch nicht erreichen wird.

    Wer als Rentnerin auf Sttze angewisen ist, hat vermutlich nichts von der M

    terrente. Wer sich ein Leben lang am Baoder am Hochofen geschunden hat, bekommt oft keine Chance, vorzeitig in deRuhestand zu gehen. Und wer doch voden Prsenten der Regierung profitierden beschleicht irgendwann ein schaleGefhl das Gefhl, dass er die Leistungen, die seine Kinder und Enkel mit Miliarden belasten werden, vielleicht ganicht ntig hat.

    Asnata Inzelmann-Zbe erhlt von Juan ein doppeltes Geschenk. Wegen deMtterrente wird ihre Altersversorgunetwas hher ausfallen und wegen deneuen abschlagsfreien Rente beginnt ih

    Ruhestand zwei Jahre frher als geplanSchon im Juli will sie mit 63 Jahren iRente gehen. Eigentlich hatte sie frheeinmal geplant, bis 65 zu arbeiten. Icfhle mich fit und gesund, sagt sie.

    Inzelmann-Zbe assistiert als Praximanagerin ihrem Ehemann, einem Dematologen in der Nhe von NrnberKnapp 800 Euro Rente monatlich steheihr knftig inklusive der Mtterrente zHochgerechnet auf jene zwei Jahre, dsie jetzt frher in Rente geht, macht darund 20000 Euro eine Summe, ber dInzelmann-Zbe sich nicht einmal freue

    kann. Das ganze Geld wird dafr jetzrausgehauen, sagt sie. Man sollte es liber in Bildung investieren oder in Kitas

    Sie reagiert nun mit einem eigenekleinen Investitionsprogramm. Das Gelaus der Rentenkasse will sie gewinnbringend anlegen fr ihre beiden KindeDie mssen das Ganze ja irgendwanbezahlen. Denn das Rentenniveau deAlten werden die Jungen nie mehr errechen. Auch dafr sorgt das neue Rentenpaket, das die Regierung nach eigenemBekunden vor allem aus einem Grungeschnrt hat: Weil es gerecht ist.

    K L, C S

    F Z

    DIRKH

    OPPE

    /NETZHAUT

    /DERS

    PIEGEL

    Frhrentnerin Koczorski: Ihr habt das mit der Rente mit 63 angestellt

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    1 4 / 2 0 1 4 25

    David McAllister hat schon mehrals 20 Minuten geredet, er hat dasgroartige Friedens- und Frei-heitsprojekt der Europischen Union ge-priesen und das Wohlstandsversprechender EU angesichts wachsender Konkur-renz auf den Weltmrkten. Doch erst

    jetzt, nach genau 24 Minuten, ist er da,wo ihn seine Zuhrer haben wollen.

    Es gibt natrlich auch viel, was unsnervt an der EU, sagt der CDU-Mannnun. Hastig rattert er die Klassiker runter:Olivenlknnchen, Duschkpfe, Toilet-tensplung wir wollen diese detailliertenRegelungen im Kleinteiligen nicht mehr,weil es die Menschen zu Recht aufregt.

    Zum ersten Mal gibt es lngeren Beifallin der Dresdner Bierstube, dabei musstesich McAllister die Kritik an der EU re-gelrecht abringen. Der CDU-Spitzenkan-didat fr die Europawahl ist am vergan-

    genen Mittwoch bei den Unions-Mittel-stndlern zu Gast. Rund hundert Brgersitzen bei Bier und Brezeln, sie sind keineEuropa-Kritiker, dennoch ist ihnen vielesan Brssel suspekt. Jetzt liegen Rednerund Zuhrer auf einer Wellenlnge.

    Fr CDU-Wahlkmpfer ist die Europa-wahl am 25. Mai keine leichte Aufgabe.Die Partei Konrad Adenauers ist fest ent-schlossen, das historische Einigungswerkzu loben und Kritik daran allenfalls inkleinen Dosen zuzulassen trotz Euro-Krise und manchen Brsseler Regulie-rungsexzessen. Geplant ist ein Wahl-kampf der freundlichen Tne. So wird es

    auch beim Parteitag am kommenden

    Samstag sein, bei dem die CDU ihr Wahl-programm beschlieen will. So hat esKanzlerin Angela Merkel verordnet.

    Dumm nur, dass immer mehr Zeitge-nossen an dieser heilen Welt zweifeln,wie der Aufstieg der AfD zeigt. Auch dieSchwesterpartei CSU will die Leute da

    abholen, wo sie sind. Wir mssen dasBild der bayerischen Brger von Europatreffen, heit es in der CSU-Zentrale.Und Parteichef Horst Seehofer lsst kei-nen Zweifel daran, wie dieses Bild ausse-hen soll. Sein Generalsekretr AndreasScheuer bastelt an einem Europaplan.Zwlf Schlagworte der EU-Kritik hat erzusammengetragen einen Fausthieb fr

    jeden Stern auf der europischen Flagge.Auch das Spitzenpersonal im Wahl-

    kampf geht getrennte Wege. McAllister,43, gehrt zu den jngeren Unionsleuten,auf denen das Augenmerk der Kanzlerin

    ruht. Nach seiner Niederlage bei derLandtagswahl in Niedersachsen sucht ereinen Neustart in der EU. Schon deshalbsteht er Europa freundlich gegenber. FrCSU-Mann Peter Gauweiler, 64, dagegenist seine Rolle im bayerischen Wahlkampfdie Krnung einer jahrzehntealten Feind-schaft gegen Brssel. Warme Worte sindvon ihm nicht zu erwarten.

    Fhrende CDU-Politiker warnen schonvor den Folgen des bayerischen Sonder-wegs. Ich finde den Stil von Herrn Gau-weiler uerst problematisch. Ich seheschon kommen, dass die CSU auch au-erhalb Bayerns eine Anti-Europa-Stim-

    mung schrt, klagt Herbert Reul, Chef

    der Unionsabgeordneten im Europapar-lament. Aber bei uns gibt es keine CSU,bei uns gehen die Whler dann zur AfD.

    Das Zentrum der bayerischen Europa-

    Kritik liegt am Mnchner Promenade-platz, einer der vornehmsten Adressender Landeshauptstadt. In einer Anwalts-kanzlei sitzt ein lterer Herr mit grauenHaaren, blaukariertem Hemd und Stoff-hose. Von seiner Sekretrin lsst er sichden Kaffee in sein bajuwarisch-barockesBro reichen und seine neuesten europa-kritischen Artikel aus der FAZ. Wirvon der CSU sind keine Europa-Hasser,sagt Peter Gauweiler. Aber fr uns istdas Bekenntnis zur Europischen Unionauch keine Religion.

    Gauweiler soll jene Whler bei derStange halten, die in anderen Teilen

    Deutschlands lngst damit liebugeln,ihre Stimme der AfD zu geben, so dasKalkl von Parteichef Seehofer. Also Br-ger, die der Europischen Zentralbankmisstrauen und denen Brssel und al-les, was dazugehrt, ein Gruel ist.

    Das ist die Stellenbeschreibung, des-wegen haben sie mich geholt, sagt Gau-weiler. Beim politischen Aschermittwochin Passau geielte er vor 4000 Zuhrerndie EU-Brokraten als nackte, dummeKaiser, im Europawahlkampf wird erseine Botschaft in zahlreichen Reden vonBerg am Laim bis Freising wiederholen.

    Sogar vor einem gemeinsamen Auftrittmit AfD-Chef Bernd Lucke Anfang Aprilin Berlin schreckt er nicht zurck. Frdie CDU ist das ein Tabubruch, Merkelwill die Euro-Kritiker ignorieren.

    Vor wenigen Monaten hatte Gauweilernicht einmal ein Amt in der Partei, jetztsind etliche Wahlkampfauftritte geplant.Der ewige Parteirebell wird neben Seeho-fer und dem offiziellen Spitzenkandidaten,dem Europaabgeordneten Markus Ferber,zentrale Figur der Europa-Kampagne.

    Als die CSU-Spitze am vorvergange-nen Samstag zur Arbeit am Europawahl-programm rief, sa zur berraschung der

    Europaabgeordneten auch Gauweiler mit

    U N I O N

    Bayer gegen SchotteIm Europawahlkampf verkneift sich CDU-Spitzenkandidat DavidMcAllister Kritik an Brssel. Bei der CSU macht Europa-

    Rebell Peter Gauweiler genau das Gegenteil. Das sorgt fr rger.

    CDU-Europapolitiker McAllister

    PETERKNEFFEL/DPA(L.)

    ;NIGELTREBLIN/

    DDPIMAGES(R.)

    CSU-Mann Gauweiler

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    Deutschland

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    am Tisch. Entsprechend deftige Kost for-mulierten die Bayern in ihren zwlfKernthesen. Darin wettert die CSU ge-gen den Anbau von Genpflanzen undden offensichtlichen Missbrauch der So-zialsysteme. Alles, was die Menschenvor Ort angeht vom Nahverkehr biszum Trinkwasser , soll vor europischenEingriffen geschtzt werden. Die Tiradeauf Papier gipfelt in der Forderung: Wirwollen, dass in den EU-Institutionenmehr Deutsch gesprochen wird.

    Die Strategen im Konrad-Adenauer-Haus sehen mit Sorge, wie sich die CSUzur Dagegen-Partei entwickelt, wenn esum Europa geht. Fr die Kanzlerin ist dieEuropawahl eine erste messbare Bilanzihres Starts in der Groen Koalition. Ent-sprechend engagiert ist sie im Wahlkampf.

    McAllister wird sie als Vorredner be-gleiten, beim Aschermittwoch in Fellbachkonnte er schon mal ben. Die baden-wrttembergische CDU hatte McAllisterals Ehrengast aufgeboten. Der Nieder-

    sachse begrte die Leute mit einemTrinkspruch auf Englisch, great, magni-ficent, marvellous, fantastic sei die CDU.Am Ende gab es begeisterten Applaus.McAllister kann Wahlkampf, nur: Als gro-er Europer ist er bislang nicht auf-gefallen. Immer wieder betont er also,dass Europa eine Herzensangelegenheitfr ihn sei. Sein Vater war Schotte undals britischer Militrbeamter in Deutsch-land stationiert.

    Gauweiler dagegen kann in seiner Wutauf Brssel niemand Authentizitt abspre-chen. Er war immer gegen diese EU. Sei-ne Klagen vor dem Bundesverfassungs-

    gericht sind ein Stck deutscher Rechts-geschichte. Mit der Kritik an lknnchenist es fr Gauweiler nicht getan, sein Un-behagen an Europa wurzelt Jahrhundertetiefer. Fr einen bayerischen Separatistenwie ihn ist die EU genauso ein Fehler zuLasten Bayerns wie die Grndung desDeutschen Reichs 1871.

    Eine gemeinsame Botschaft der Unionlsst sich so schwer finden. McAllistersetzt darauf, dass die Krim-Krise dafrsorgt, dass am Ende doch die hehre euro-pische Idee und nicht die bayerischeKritik daran den Europawahlkampf be-

    stimmt. Denen, die Europa permanentverchtlich machen, rufen wir zu: Wirknnen dankbar sein, in einem gemein-samen europischen Haus zu leben, sagter in Dresden. Er nennt den Namen Gau-weiler nicht, aber er knnte ihn meinen.

    Derzeit basteln die Generalsekretrean einem gemeinsamen Wahlaufruf, mitdem sie die Differenzen bertnchen wol-len. Doch mit den ber 3000 ZeilenEuropa-Prosa, die die CDU in ihr Wahl-programm geschrieben hat, knnen siein Mnchen wenig anfangen. NasseStreichhlzer, winkt Gauweiler ab. Da-mit kann man kein Feuer entfachen.

    M A, P M

    E U R O P A

    Ich werde hart bleibenEU-Justizkommissarin Viviane Reding, 62,

    ber NSA-Spionage und die deutsche Blockadeihrer Datenschutzreform.

    SPIEGEL: US-Prsident Barack Obama hatvergangene Woche Brssel besucht. SindSie zufrieden?Reding: Er sollte nicht nur schne Redenhalten, sondern Ngel mit Kpfen ma-chen. Obama hat in seiner Rede zumNSA-Skandal versprochen, dass europi-sche Brger, die nicht in den USA leben,nicht gegenber amerikanischen Brgerndiskriminiert werden. Wir wollen jetztentsprechende Gesetzesnderungen in

    den USA sehen.SPIEGEL: Sie verhandeln seit zwei Jahrenmit Washington ber ein Abkommenzum Datenaustausch in der polizeilichenund justitiellen Zusammenarbeit. Woranhakt es?Reding: Wir haben 99,9 Prozent der Pro-bleme gelst, offen ist nur unsere Forde-rung, dass ein Europer in Amerika, dernicht dort wohnt, dessen Daten aber sehrwohl in den USA verarbeitet werden, Zu-gang zu Rechtsmitteln hat, um sich zuwehren. Ein Amerikaner kann sich nachheutiger Rechtslage in der EU juristisch

    wehren, ein Europer ist in den USA inderselben Situation der Polizei ausgelie-fert. Ich fordere Gleichbehandlung, dawerde ich hart bleiben. Europa ist dochkeine Kolonie.SPIEGEL: Auch die Safe-Harbour-Verein-barung, in der geregelt wird, wie Firmenzwischen Europa und den USA unterein-ander Daten austauschen drfen, steht inder Kritik.Reding: Ich habe mir Safe Harbour an-gesehen und musste feststellen, das istberhaupt kein sicherer Hafen. US-Be-hrden wie die NSA greifen vertragswid-rig in groem Stil auf die Daten zu. Ich

    habe den Amerikanern daraufhin einen

    Katalog mit 13 Forderungen vorgelegt, diesie bis zum Sommer erfllen sollen.SPIEGEL: Wie wollen Sie verhindern, dassGoogle, Facebook und Co. private Datenmissbrauchen?Reding: Derzeit profitieren Unternehmenvon dem Flickenteppich beim europi-schen Datenschutz. Die von mir vorgeleg-te Verordnung wird dazu fhren, dass dasRecht berall ohne Abstriche einheitlichdurchgesetzt werden muss. Die Daten-

    schutzbehrden werden mehr Biss bekom-men. Selbst eine starke Behrde wie diefranzsische hat Google ein Bugeld inHhe von 150000 Euro auferlegt, da lachtsich das Unternehmen doch ins Fustchen.Unser Gesetzentwurf sieht Sanktionenvon bis zu zwei Prozent des Jahresumsat-zes vor. In dem franzsischen Fall wrendas mehr als eine Milliarde Dollar, das tutden Firmen dann schon weh.SPIEGEL: Ihre Reform wird im Europi-schen Rat gebremst, unter anderem vonDeutschland. Warum?Reding: Ich verstehe den Widerstand nicht.Die deutschen Datenschutz-Regeln waren

    die Blaupause fr meine Reform. Ich httemir daher von den Deutschen groe Un-tersttzung erwartet, aber die Realittsieht leider anders aus. Whrend die Bun-deskanzlerin bei der Cebit in Hannoversagt, es msse die EU-Verordnung geben,weil Datenschutz national nicht mehr wir-kungsvoll durchsetzbar sei, blockieren diedeutschen Beamten in der betreffendenRatsarbeitsgruppe die Reform. Deutsch-land muss sich entscheiden, in welcherMannschaft es spielen will: gegen seineeigenen Brger oder fr sie. Ich vertrauedarauf, dass Frau Merkel hier ihre Fh-

    rungsstrke einsetzt.SPIEGEL: Die Bundesregierung argumen-tiert, Ihre Reform verwssere das hohedeutsche Datenschutzniveau.Reding: Ich habe meine deutschen Kolle-gen schon vor einem Jahr gebeten, mirdie Teile meiner Refo