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TECHNIK & ARCHITEKTUR HOCHSCHULE LUZERN STRUKTUR UND MATERIAL FS13 HOLZ | TESTAT - THESE1 | FLORIAN BOBST DER SCHEINBAR BEGRENZTE SPIELRAUM DES STRICKBAUS > die emotionale Bindung von Holz und Konstruktion These Angefangen mit einer primitiven Schichtung von Hölzern bis hin zum heu- tigen, teils computergesteuerten Zuschnitt einzelner individueller Teile für Strickhäuser, die Geschichte des Strickbaues ist lange und ging stets mit der Zeit. Der Blockbau gilt als eine der ursprünglichsten Bauweisen der westlichen Kulturkreise. Vitruv (II,1,4) beispielsweise subsumiert die kolchische Blockbautradi- tion – gemeint ist die antike Region Paphlagonien in der heutigen Türkei – unter die „Anfänge“ des Hausbaus, die bei den „auswärtigen Völkerschaften“ zu seiner Zeit noch tradiert wurden. In römischer Zeit finden sich Hinweise auf Befestigungsanlagen und Wachtürme in Blockbauweise, Vitruv II, 9, 59 beschreibt einen entsprechenden Turm im Zusammenhang mit der Einnahme der Stadt Larignum durch Julius Caesar. (Wikipe- dia) In der Schweiz hat der Strickbau ebenfalls eine lange Tradition, welche bis heute aufrecht erhalten blieb. Dies hauptsächlich in den Regionen Appenzell, Wallis und im Bündnerland. Das Prinzip der Konstruktion änderte sich über all die Jahre und Generationen nicht, stehen geblieben ist die Entwicklung jedoch ebenfalls nicht. Man passte die Bauweise lediglich den jeweiligen Bedürfnissen der Benutzer an. Dies kann man grundsätzlich auch mit anderen Konstruktio- nen vergleichen, bei welchen beispielsweise eine Dämmschicht ebenfalls zum heutigen Standard gehört. Der Strickbau (auch Blockbau) ist eine mehrheitlich vorgegebene Konstruk- tionsart, welche über Jahrhunderte stetig perfektioniert wurde. Das statische Prinzip mit den Verstrickungen, hauptsächlich in den Ecken, ist ein in sich ausgesteiftes System, welches keinerlei weiteren Elemente zur Erfüllung der Statik benötigt. Moderne Strickbauten funktionieren noch immer genau nach dem selben Prinzip wie Blockbauten, welche vor Jahrhunderten Jahren errichtet wurden. Kleinere Aspekte wurden weiterentwickelt, um gewissermassen mit der bautechnischen Zeit zu gehen, jedoch bleibt man im Entwurf - der eigen- willigen Konstruktion geschuldet - ziemlich eingeschränkt. Ich behaupte, das Material Holz sowie der Strickbau als Grundlage lassen sich radikal erweitern, um sich architektonisch freier bewegen zu können - ohne die Ausstrahlung und die emotionale Verbundenheit, wie sie wohl keine weitere Konstruktionsart in unserer Heimat vorweisen kann, zu verlieren. Geschichte Fügungsprinzip aus der Bronzezeit Quelle: Brandenburgischen Technische Universität, Cottbus Verzinkung (Schweiz) Quelle: Brandenburgischen Technische Universität, Cottbus Doppelter Strickbau (Stiva da Morts, Vrin) Quelle: Florian Bobst

DER SCHEINBAR BEGRENZTE SPIELRAUM DES STRICKBAUS · 2013-03-21 · HOCHSCHULE LUZERN TECHNIK ARCHITEKTUR STRUKTUR UND MATERIAL S HLZ TESTAT THESE LRIAN BBST DER SCHEINBAR BEGRENZTE

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HOLZ | TESTAT - THESE1 | FLORIAN BOBST

DER SCHEINBAR BEGRENZTE SPIELRAUM DES STRICKBAUS > die emotionale Bindung von Holz und Konstruktion

These

Angefangen mit einer primitiven Schichtung von Hölzern bis hin zum heu-tigen, teils computergesteuerten Zuschnitt einzelner individueller Teile für Strickhäuser, die Geschichte des Strickbaues ist lange und ging stets mit der Zeit. Der Blockbau gilt als eine der ursprünglichsten Bauweisen der westlichen Kulturkreise. Vitruv (II,1,4) beispielsweise subsumiert die kolchische Blockbautradi-tion – gemeint ist die antike Region Paphlagonien in der heutigen Türkei – unter die „Anfänge“ des Hausbaus, die bei den „auswärtigen Völkerschaften“ zu seiner Zeit noch tradiert wurden. In römischer Zeit finden sich Hinweise auf Befestigungsanlagen und Wachtürme in Blockbauweise, Vitruv II, 9, 59 beschreibt einen entsprechenden Turm im Zusammenhang mit der Einnahme der Stadt Larignum durch Julius Caesar. (Wikipe-

dia) In der Schweiz hat der Strickbau ebenfalls eine lange Tradition, welche bis heute aufrecht erhalten blieb. Dies hauptsächlich in den Regionen Appenzell, Wallis und im Bündnerland. Das Prinzip der Konstruktion änderte sich über all die Jahre und Generationen nicht, stehen geblieben ist die Entwicklung jedoch ebenfalls nicht. Man passte die Bauweise lediglich den jeweiligen Bedürfnissen der Benutzer an. Dies kann man grundsätzlich auch mit anderen Konstruktio-nen vergleichen, bei welchen beispielsweise eine Dämmschicht ebenfalls zum heutigen Standard gehört.

Der Strickbau (auch Blockbau) ist eine mehrheitlich vorgegebene Konstruk-tionsart, welche über Jahrhunderte stetig perfektioniert wurde. Das statische Prinzip mit den Verstrickungen, hauptsächlich in den Ecken, ist ein in sich ausgesteiftes System, welches keinerlei weiteren Elemente zur Erfüllung der Statik benötigt. Moderne Strickbauten funktionieren noch immer genau nach dem selben Prinzip wie Blockbauten, welche vor Jahrhunderten Jahren errichtet wurden. Kleinere Aspekte wurden weiterentwickelt, um gewissermassen mit der bautechnischen Zeit zu gehen, jedoch bleibt man im Entwurf - der eigen-willigen Konstruktion geschuldet - ziemlich eingeschränkt. Ich behaupte, das Material Holz sowie der Strickbau als Grundlage lassen sich radikal erweitern, um sich architektonisch freier bewegen zu können - ohne die Ausstrahlung und die emotionale Verbundenheit, wie sie wohl keine weitere Konstruktionsart in unserer Heimat vorweisen kann, zu verlieren.

Geschichte

Fügungsprinzip aus der BronzezeitQuelle: Brandenburgischen Technische Universität, Cottbus

Verzinkung (Schweiz)Quelle: Brandenburgischen Technische Universität, Cottbus

Doppelter Strickbau (Stiva da Morts, Vrin)Quelle: Florian Bobst

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Emotionen Das durchaus bekannte und eingeprägte Erscheinungsbild eines Strickbaus ist klar und löst, zumindest für diejenigen, welche in unseren voralpinen oder alpi-nen Gebieten aufgewachsen sind, ein Gefühl der behaglichen Atmosphäre oder gar ein Heimatgefühl aus. Diverse Hintergründe können zu diesem durchwegs positiven „Vorurteil“ führen. Zum einen sind Strickbauten mehrheitlich Teil einer in sich stimmenden Umgebung, Bestandteil eines perfekten Panoramas welches beispielsweise an vergangene Ausflüge oder Ferien erinnern lässt (siehe Abb. Dorfkern Vrin). Der Strickbau ist aber auch ein Symbol, welches für die Beständigkeit steht. Somit gleichsam mit der Schweizer Mentalität verglichen werden kann. Die traditionellen Bauten zeigen stolz ihre Jahre, welche sie be-reits auf dem Buckel haben und präsentieren sich auch nach Generationen noch im vollen Glanz, sind ein wesentlicher Bestandteil der jeweiligen Landschaften. Die Konstruktion des Strickbaus in Kombination mit dem Material Holz löst eine emotionale Bindung ein einem aus, wie dies wohl kein anderes Konstruk-tionsmaterial macht. Das Holz als Material hat einen wesentlichen Anteil auf die Ausstrahlung eines Strickbaus. Als Verbund erzeugen sie grundsätzlich ein behagliches Empfinden, sei es nun im Innen- wie auch im Aussenraum (siehe Abb. Gion Caminda Haus und Abb. Stiva da Morts; Zumthor Ferienhäuser).

Dorfkern Vrin, Val Lumnezia/GRQuelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1e/Vrin_Dorf.jpg

Innenansicht der Stiva da Morts, Vrin (Gion A. Caminada)Quelle: http://www.baublatt.ch/sites/baublatt/files/caminada7.gif

Wohnhaus von Gion A. Caminada, VrinQuelle: http://www.mimoa.eu/projects/Switzerland/Vrin/Gion%20Camina-da%20House

Innenansicht Zumthor Ferienhäuser, Leis (Peter Zumthor)Quelle: http://zumthorferienhaeuser.ch/en/

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Entwicklung

Bezug zur Bevölkerung Während meinen Recherchen kam ich, meist bewusst, auf den Bündner Archi-tekten Gion A. Caminada zurück. Caminada verwirklicht sich seit Jahren in seiner Heimatgemeinde Vrin im Val Lumnezia und erschafft eine wohl selten erreichte architektonische Stimmigkeit, ein perfekt scheinendes Zusammenspiel zwischen alt und neu, zwischen Architektur und Umgebung. Vrin erhielt für seinen Weg im Jahre 1998 den Wakkerpreis, der für beispielhaften Ortsbild-schutz vom schweizerischen Heimatschutz verleihen wird. Gemäss Caminada ist der Strickbau, zumindest in Vrin oder ähnlichen Gemeinden, ein Teil des Ortsbildes, als Teil der Gemeinde zu verstehen. Und dies nicht nur optisch, sondern der Bautyp ist tief in der Bevölkerung verwurzelt. Er als Architekt ist sich bewusst, dass diese Konstruktionsart auch Nachteile mit sich bringt, wie beispielsweise den grossen Holzverbrauch. Doch genau hier verbindet Camina-da den Strickbau mit der Bevölkerung. Den seine Bauten (mehrheitlich Strick-bauten) in Vrin sind ausschliesslich mit Hölzern aus der nahen Umgebung konstruiert. Diese Hölzer wurden in ortsansässigen Schreinereien/Zimmereien verarbeitet und von einheimischen Arbeitern aufgestellt. Somit entsteht ein solches Gebäude gewissermassen mit dem Wachsen der Bäume in der Heimat, welche zu einem späteren Zeitpunkt verarbeitet werden.

Wie bereits Erwähnt ging der Strickbau stetig mit der Zeit. Das Prinzip der Fügung blieb das selbe, die Konstruktion passte sich lediglich den Bedürfnis-sen der jeweiligen Benutzern an. So kommt man in der heutigen Zeit nicht mehr ohne zusätzliche Dämmschicht in einem neu erstellten Bau aus (siehe Abb. Doppelblockwand, gedämmt). Die ausgesteifte Konstruktion und nicht minder zu werten die Behaglichkeit sind seit je her die Trümpfe dieses Bautypes. Mit der Zeit und der zunehmenden Fertigkeit des Menschen, Holz verarbeiten zu kön-nen, verfeinerten sich die Prinzipien wie beispielsweise die Holzverbindungen oder die Fügungsarten. Von den anfänglich einfachsten und primitivsten Arten, Baumstämme zu stapeln und an den Ecken zu versteifen, entwickelte sich - vor allem in Japan - eine Wissenschaft, wie man Holz am besten und effektivsten verbinden könnte (siehe Abb. Japanische Holzverbindung). Eine Grundsätzliche Veränderung, die alles bisher entwickelte übertreffen würde, blieb aus. Es gab, vor allem in den letzten Jahren, Versuche den Strickbau weiter zu denken und offener anzugehen. Der Architekt Patrick Thurston versuchte zum Beispiel beim Bärenwaldhaus im Tierpark Dählhölzli in Bern, den klassischen Strickbau mit rohen Steinen (siehe Abb. Bärenwaldhaus) zu ergänzen. Für diesen Bau erhielt der Berner Architekt den Prix Lignum, welcher den besonders hochwertigen und zukunftsweisenden Einsatz von Holz in Bauwerken auszeichnet.

Doppelblockwand, gedämmtQuelle: Brandenburgischen Techni-sche Universität, Cottbus

Japanische HolzverbindungQuelle: The Art of Japanese Joinery

Bärenwaldhaus, Bern (Patrick Thurston)Quelle: http://www.thurston.ch/aktuell/prix_lignum/prixlig-num_home.html?photo=1

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Caminada seinerseits, bekannt als ein Architekt, welcher mit dem scheinbar nur begrenzt variierbaren Thema das Strickbaus so fantasievoll und elegant spielt wie ein Künstler, befasste sich über Jahrzehnte mit dieser Konstruktionsart und eignete sich auch die technischen Fertigkeiten an, um damit spielen zu können. So entstand beispielsweise der doppelte Strickbau der Stiva da Morts in Vrin.

Literatur

Reflexion/Fazit

„ (...) weil ich mich seit 20 Jahren mit demselben Konstruktionsprinzip auseinandersetze. Ohne diesen beharrlichen Umgang mit dem immer gleichen Konstruktionssystem, hätte ich diese Erfahrungen nicht machen können. ...So gesehen denke ich, dass etwas, das alles zulässt, einen anderen Wert hat. Man muss sich seine Spielregeln erfinden, Einschränkungen suchen, um einen Überblick zu bekommen. Mich interessieren die Möglichkeiten, mich innerhalb der gegebenen Gesetze des Strickbaus auszutoben. Es ist immer auch die Suche danach, wie ich aus den Konstruktionssystemen des Strickbaus ausbrechen kann. Man muss aber auch die Grenzen einhalten und sie spüren, sonst ist der Umgang mit diesem Konstruk-tionsprinzip zum Scheitern verurteilt. ... Das ganze Leben birgt doch genau diesen Reiz.“ Gion A. Caminada)

In verschiedenen Versuchen versuchte ich, den Strickbau nicht bloss in seinen Grundidealen abzuändern oder zu erweitern, sondern auch wichtiges bewusst wegzulassen oder zu vergessen. So entwickelte ich (zusammen mit Sandro Schmid) beispielsweise einen doppelten, teils offenen Strickbau (siege Abb. Modell zweischichtiger, teils offener Strickbau), bei welchem beide Layer tragend ausgebildet sind, jedoch auch unabhängig voneinander gelöst werden können. Dies würde eine gestalterisch freiere Hand gewähren. Ich hatte mich jedoch meiner Ansicht nach noch zu wenig vom bekannten gelöst. So teilte ich einen rechteckigen Grundriss in verschiedene in sich ausgesteifte Strickbaumodule auf. Dies ergibt ein total neues Bild und diverse Möglichkeiten, die mit einer herkömmlichen Konstruktion nie zu erreichen wären. Die Haupterkenntnis aus den Versuchen ist jedoch, dass die für mich grundlegend wichtige Charmver-bindung zwischen Holz und Konstruktion zumindest im Modellbaumassstab funktioniert.

Deplazes, A. (2012). Architektur konstruieren. Vom Rohmaterial zum Bauwerk. Ein Handbuch. Berlin: BirkhäuserHesse, M. (2012). Handbuch der neuzeitlichen Architektur. Stuttgart: Theiss

Mosimann, M. (2012). Das Holzhaus der Zukunft. Ökologisch bauen mit menschlichem Mass. Zürich: Rotpunktverlag

Schlorhaufer, B. (2010). Gion A. Caminada. Cul zuffel e l‘aura dado. Luzern: Quart Verlag

Sedlbauer, K. (2012). Innovationen für die Baubranche. Beispiele aus Forschung und Entwicklung. Stutt-gart: Fraunhofer Verlag

Seike, K. (1977). The art of Japanese joinery. Boston: Weatherhill

Modell zweischichtiger, teils offener StrickbauQuelle: Florian Bobst

Strickbau in Modulen gedachtQuelle: Florian Bobst