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Der Europäische Gerichtshof und die Rechtsordnung Europas
Prof. Dr. Jürgen Neyer
Einführung in das politische System der Europäischen Union
WS 2012/13
Neue Struktur europäischer Öffentlichkeit
Organisierte
Zivilgesellschaft
Parlament
Regierun
g
Anarchische Gesellschaft
Argumentative Verständigung
Alte Struktur
demokratischer
Öffentlichkeit
Europäische
Kommission (Vorbereitung und
Durchführung von
Rechtsakten)
Europäischer Rat (Strategie/ Grundsätzliches)
Rat der EU
----------------- Europäisches
Parlament --------------------------
(Beschlussfassung)
Parlament
Organisierte Zivilgesellschaft
Anarchische Zivilgesellschaft
Regierung B
Regierung A
Organisierte Zivilgesellschaft
Parlament
Anarchische Zivilgesellschaft
Beobachten Wahrnehmung von
Differenz
Beobachten Wahrnehmung von
Differenz
Starke Kontrolle
Schwache Kontrolle
Politischer Output
EU
MS
A MS
B
Rechtfertigen Legitimierung v Interessen
EuGH EZB
Warum das mit der
Demokratie
in Europa so schwierig ist
Frontex ELA
CEN/CE
NELEC ENISA
Allgemeine Formen des Rechts
• Zwangsrecht des Staates (unterstützt von der „kasernierten Gewalt“ des Staates)
• Kooperationsrecht der Staaten (basiert auf dem freien Willen der MS zur Kooperation)
• Supranationales Recht des (Verfassungsverbundes) ...? (keine Gewalt aber Sanktionsinstrumente): EuGH kann Zwangsgeld oder auch einen Pauschalbetrag als Strafe gegen einen rechtswidrigen MS verhängen
Der Europäische Gerichtshof und die europäische Rechtsordnung,
3.12.2012, Vorlesung „Einführung in das politische System der Europäischen Union“
Wesentliche Prinzipien der europäischen Rechtsordnung I
• Einzelermächtigung: EU darf nur in den Bereichen tätig werden, in denen sie ausdrücklich hierzu autorisiert wurde, keine Kompetenz-Kompetenz. Aber: Implied-Powers Doktrin/ teleologische Rechtsprechung/ Verträge mit Dritten, wenn ausschließliche Kompetenzen
• Sperrwirkung: Mitgliedstaaten dürfen in Bereichen nicht mehr legislativ handeln, die bereits von der EU reguliert werden (vs. lex posterior)
• Direktwirkung: Europäische Rechtsakte wirken auch dann direkt auf individuelle Rechtspersonen wenn kein nationaler Umsetzungsrechtsakt verabschiedet wurde
Der Europäische Gerichtshof und die europäische Rechtsordnung,
3.12.2012, Vorlesung „Einführung in das politische System der Europäischen Union“
Wesentliche Prinzipien der europäischen Rechtsordnung II
• Suprematie/ Vorrang: Im Konfliktfall zwischen nationalem und europäischem Recht ist letzteres anzuwenden. VvL: Erklärung zum Vorrang: „die Verträge und das von der Union ... gesetzte Recht... Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten haben
• Wechselseitige Anerkennung: eine Ware, die in einem Mitgliedstaat nach den dortigen Vorschriften rechtmäßig hergestellt wurde, darf auch in jedem anderen Land der EU verkauft werden darf, selbst wenn im Importland andere Anforderungen bestehen (Reinheitsgebot) (allerdings: Ausnahmen möglich) (Art. 36 AEUV)
• Diskriminierungsverbot: jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit ist verboten (aber: Inländerdiskriminierung ist zulässig)
Der Europäische Gerichtshof und die europäische Rechtsordnung,
3.12.2012, Vorlesung „Einführung in das politische System der Europäischen Union“
Formen des europäischen Rechts
• Richtlinie: Die Richtlinie ist für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel.
• Verordnung: hat allgemeine Geltung. Sie ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.
• Beschlüsse sind in allen ihren Teilen verbindlich. Sind sie an bestimmte Adressaten gerichtet, so sind sie nur für diese verbindlich.
• Empfehlungen und Stellungnahmen sind nicht verbindlich.
Der Europäische Gerichtshof und die europäische Rechtsordnung,
3.12.2012, Vorlesung „Einführung in das politische System der Europäischen Union“
Der Europäische Gerichtshof I Organisation
•Richter werden im Einvernehmen zwischen den MS auf sechs Jahre ernannt, Wiederernennung ist zulässig.
•„Gericht“ (EuG) entscheidet über alle direkten Klagen von Bürgern, die im Gerichtssystem der Europäischen Union vorgesehen sind.
•Für Klagen von Mitgliedstaaten und Organen der Europäischen Union ist der „Europäische Gerichtshof“ (EuGH) zuständig.
Der Europäische Gerichtshof und die europäische Rechtsordnung,
3.12.2012, Vorlesung „Einführung in das politische System der Europäischen Union“
Der Europäische Gerichtshof II Kompetenzen und Aufgaben
• Klageberechtigt sind alle Organe der EU (incl MS) in allen Fragen, die die Auslegung und Anwendung der Verträge durch Organe der EU (incl MS) betreffen
• Überwacht die Rechtmäßigkeit von sekundärem Unionsrecht und des Handelns der Mitgliedstaaten und der Organe der EU sowie von diesen eingesetzter Institutionen.
• Rechtmäßigkeit umfasst ebenfalls Möglichkeit der Untätigkeitsklage (Art. 265 AEUV)
Der Europäische Gerichtshof und die europäische Rechtsordnung,
3.12.2012, Vorlesung „Einführung in das politische System der Europäischen Union“
Der Europäische Gerichtshof III Kompetenzen und Aufgaben
• Nicht zuständig für GASP, Polizeimaßnahmen der MS und Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und des Schutzes der inneren Sicherheit (Art. 276 AEUV)
• Grundsätzliche Vollstreckbarkeit; aber: keine Zwangsvollstreckung gegenüber Staaten (Art. 299 AEUV)
• Indirekte Klagemöglichkeiten über das „Vorabentscheidungsverfahren“
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3.12.2012, Vorlesung „Einführung in das politische System der Europäischen Union“
Die Einhaltung europäischen Rechts durch die MS
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2005 2006 2007 2008 2009 2010
Vertragsverletzungsklagen
Vorabentscheidungen
Quelle: http://www.europarl.europa.eu/brussels/website/media/modul_04/Zusatzthemen/Pdf/Statistik_EuGH.pdf
Neu eingegangene Rechtssachen beim EuGH insgesamt (2005-2010)
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3.12.2012, Vorlesung „Einführung in das politische System der Europäischen Union“
Nationale Ebene
Supranationale Ebene
Vorabentscheidungsverfahren
Deutsches Gericht
Europäischer
Gerichtshof
1.
Klageeinreichung
4.
Verkündung
2. Vorlage einer Frage zur Auslegung oder Umsetzung
des EU-Rechts
4. Klärung der Frage und entsprechende allgemeine
Antwort
Beispiele I: Direktwirkung und individuelles Klagerecht
(Van Gend en Loos)
• „a new legal order of international law for the benefit of which the states have limited their sovereign rights.’ It went on to argue that ‘(i)ndependently of the legislation of Member States, community law...not only imposes obligations on individuals but is also intended to confer upon them rights which become part of their legal heritage. These rights arise not only where they are expressly granted by the treaty, but also by reason of obligations which the treaty imposes in a clearly defined way upon individuals as well as upon the Member States and upon the institutions of the community’ (C-26/62, 1963, ECR 1, 2).
Der Europäische Gerichtshof und die europäische Rechtsordnung,
3.12.2012, Vorlesung „Einführung in das politische System der Europäischen Union“
Beispiele II: Suprematie des EU-Rechts (Costa vs Enel)
• ‘(T)he law stemming from the treaty, an independent source of law, could not, because of its special and original nature, be overridden by domestic legal provisions, however framed, without being deprived of its character as community law and without the legal basis of the community itself being called into question’ (C-6/64, 1964, ECR 585, at 593) (Solange I, 1974, Solange II, 1986).
Der Europäische Gerichtshof und die europäische Rechtsordnung,
3.12.2012, Vorlesung „Einführung in das politische System der Europäischen Union“
Beispiele III: Wechelseitige Anerkennung (Cassis de Dijon)
• ECJ rejected a German import ban on French Cassis de Dijon, on the questionable grounds that it contains less than the minimum amount of alcohol for liqueurs as required under a German law intended to prevent advertising fraud. The Commission responded by announcing that in future it will disallow all Member State measures designed to block imports of goods on the grounds that they do not meet national product standards.
Der Europäische Gerichtshof und die europäische Rechtsordnung,
3.12.2012, Vorlesung „Einführung in das politische System der Europäischen Union“
Die politikwissenschaftliche Debatte I: Zur Rolle des Rechts im Integrationsprozess
• Unwichtig (technisches Instrument zur Umsetzung polit. Einigungen): Primärrecht kontrolliert von MS, Richter vorgeschlagen von MS (A. Moravcsik)
• Zentral (Betriebssystem der EU): revolutionäre Entscheidungen, Einlassen auf die Sprache des Rechts ist nicht kostenfrei, law as mask and shield (A.-M. Burley/ W. Mattli)
• Vermittelnd (Verrechtlichung der Politik): MS definieren weitgehend materielle Rationalität, müssen sich aber auf prozedurale Disziplin einlassen (Zwang zum Argument)
Der Europäische Gerichtshof und die europäische Rechtsordnung,
3.12.2012, Vorlesung „Einführung in das politische System der Europäischen Union“
Die politikwissenschaftliche Debatte II: warum und wann befolgen die Mitgliedstaaten das
(supranationale) Recht?
•Klarheit und Widerspruchsfreiheit
•Interesse (funktional)
•Gewalt
•Gewohnheit
•Legitimität (a) Menschenrechte (R. Forst)
(b) Religion (J.H.H. Weiler)
(c) Identität: U. Haltern)
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3.12.2012, Vorlesung „Einführung in das politische System der Europäischen Union“
Kritik des EuGH • Allgemein: Richterregierung durch teleologische
Rechtsinterpretation
• Spezifisch: Bedrohung des Wohlfahrtsstaates durch Betonung der DL-Freiheit: Zurückweisung von gewerkschaftlichen Streikmaßnahmen gegen Arbeitgebermaßnahmen, die auf Ausnutzen des niedrigeren Lohnniveaus in osteuropäischen Ländern anzielen (Viking: Ausflaggen eines finnischen Schiffes nach Estland; Laval: Beschäftigung von lettischen Bauarbeitern durch lettische Firma in Schweden zu lettischen Arbeitsbedingungen. Begründung: Verstoß gegen „fundamentale Wirtschaftsfreiheit“ der Niederlassungs- und DL-Freiheit
• Ausweg: Ermöglichung von Urteilsaufhebung durch den Europäischen Rat
Der Europäische Gerichtshof und die europäische Rechtsordnung,
3.12.2012, Vorlesung „Einführung in das politische System der Europäischen Union“