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Der Bernstein. Von Professor an der Wiener Handels-Hochschule. Vortrag, gehalten am 18. November 1874. Verein nat. Kenntn. XV. Bd. ©Ver. zur Verbr.naturwiss. Kenntnisse, download unter www.biologiezentrum.at

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Der Bernstein.

Von

Professor an der Wiener Handels-Hochschule.

Vortrag, gehalten am 18. November 1874.

Verein nat. Kenntn. XV. Bd.

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Hochgeehrte Versammlung!

In der vorletzten Vereinssaison habe ich in dreiVorträgen Themata von umfassender Tragweite be-handelt und bin in der verflossenen Vereinssaison zuSpecialschilderungen aus den Naturwissenschaften über-gegangen. *) Eine Fortsetzung dieser Specialschil-derungen bildet auch der heutige Vortrag.

Der Bernstein kann sich allerdings an "Wichtig-keit und allgemeinem Nutzen mit der Steinkohle,dem Petroleum, etc. nicht vergleichen, aber man wirdnicht leicht ein anderes Naturproduct finden, von demGeschichte und Naturwissenschaft eine solche Fül ledes In t e r e s san t en zu berichten wüssten. DerBernstein, auch „Börnstein", „Agtstein" und „Ait-stein" genannt (von den altdeutschen Wörtern„börnen" und „aiten", welche „brennen", respec-tive „gebrannt sein" bedeuten), gehört gleich denMetallen und dem Elfenbein zu den ältesten Handels-artikeln. Wie das englische Zinn die Völker desAlterthums veranlasste, den Norden Europas aufzu-

*) Siehe: XII. und XIII. Band der Vereinsschriften.1*

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suchen, so machte sie der Bernstein mit dem Westenbekannt. Obgleich sie jedoch über die eigentlicheHeimat des Bernsteins und seinen Ursprung noch sehrunsichere Kenntnisse hatten, so besassen sie darüber,wie gezeigt werden wird, weit richtigere Anschauun-gen als die Gelehrten des Mittelalters und derersten Jahrhunderte der Neuzeit, wo man doch schonviel zuverlässigere Nachrichten über Fundorte undGewinnungsweise des Bernsteins besass.

Bevor ich zur na turgeschicht l ichen Be-trachtung des Bernsteins übergehe, sei das Noth-wendige über dessen Geschichte und Gewinnungvorausgeschickt. Die ältesten Nachrichten entnehmenwir aus mancherlei Sagen und Belegstellen, die selbstbis vor die Zeiten Homer's (950 Jahre vor Christus)zurückreichen. So wird z. B. im XVIII. Gesänge derOdyssee, Vers 296, ein Halsband beschrieben:

„Golden, besetzt mit Elektron, der strahlenden Sonne ver-gleichbar".

„Elektron" ist die griechische Benennung fürBernstein, und dessen durch Reiben erregte An-ziehungskraft gab zu unseren wissenschaftlichen Aus-drücken: „elektrisch" und „Elektricität" Veranlassung.Noch an zwei anderen Stellen der Odyssee (IV. 73 undXV. 459) wird das Elektron erwähnt; dagegen lässtsich nicht beweisen, ob schon Moses (1500 Jahre vorChristus), respective die Verfasser der sogenannten„fünf Bücher Mosis", den Bernstein gekannt haben.

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Thaies von Milet, einer der sieben Weltweisen Griechen-lands, welcher 640 Jahre vor Christus lebte, kannte denBernstein und es ist höchst bezeichnend, dass er die An-ziehungskraft des Bernsteins mit jener des Magnetesverglich; im Uebrigen hatte Thaies die naive Anschau-ung, „dass der Bernstein eine Seele besitze". Herodot,der älteste griechische Geschichtschreiber (480—404.vor Christus), vermag bloss anzugeben, dass der Bern-stein und das Zinn „von den entlegensten Ländern"nach Griechenland komme. Weit merkwürdiger istaber, was der römische Schriftsteller Tacitus im 45. Ca-pitel seines berühmten Werkes über die Deutschen be-richtet, das er um das Jahr 100 nach Christus ver-fasst hat:

„Jenseits der Suionen gibt es ein anderes Meer,träge und beinahe unbewegt, welches, wie es scheint,die ganze Erde umgibt und einschliesst, weil die letztenStrahlen der untergehenden Sonne bis wieder zum Auf-gange derselben einen so hellen Glanz behalten, dassdie Sterne verdunkeln. Die Einbildung setzt hinzu,dass man daselbst beim Untergange der Sonne ein Ge-räusch vernehme und die Gestalten der Götter und dieStrahlenkronen ihrer Häupter sichtbar werden. Hiersoll die Welt aufhören und das mag wohl auch richtigsein. (!) Auf der rechten Küste dieses suevischenMeeres, wohnen die Aestyer (Esthen), welche in Religionund Sitten den Sueven, in der Sprache den BewohnernBritanniens gleichen. Sie beten eine Allmutter alsoberste Gottheit an und tragen als äusseres Zeichen

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ihres religiösen Glaubens das Bild eines Ebers, welchesdie Verehrer der Göttin mehr als Waffen und sonstigeVorsicht, sogar unter den Feinden schützen soll.*)Selten findet man bei ihnen das Schwert; häufiger sindhölzerne Waffen. Getreide und andere Feldfrüchtebauen sie sorgsamer als es sonst die trägen Germanenthun. Aber auch das Meer durchforschen sie und ge-winnen allein von allen Völkern der Erde, sowohl anseichten Stellen aus dem Meere als auf dem Strande,den Bernstein, den sie selbst „Glessum" nennen; siewissen aber nicht und fragen bei ihrer geringen Bildungauch nicht darnach, welches seine Natur oder sein Ur-sprung sei; ja lange lag er unter dem Auswurfe desMeeres unbenutzt, bis unsere Ueppigkeit ihm Namenund Ruf gegeben hat. Sie selbst machen keinen Ge-brauch vom Bernstein; roh; wie er gesammelt wird undungeformt geht er weiter; staunend nehmen sie dieBezahlung. Der Bernstein kann jedoch, wie man leichterkennt, n ichts anderes als.ein Baumsaft sein,weil gewisse Landthiere und sogar auch geflügelte, sehrhäufig in ihm deutlich zu sehen sind, welche von demnoch flüssigen Safte eingehüllt, dann aber in die er-starrende Masse eingeschlossen wurden. Ich muss daherannehmen, dass jene westlichen Länder und Inseln sehrüppige Wälder und Haine tragen, welche ebenso wie in

*) Der Gebrauch der' Amulete ist uralt und ist, wieviele andere heidnische Gebräuche, später in veränderterForm in den christlichen Cultus übergegangen.

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den geheimnissvollen Stätten • des Orientes, Weihrauchund Balsam ausschwitzen. Die Strahlen der nahenSonne mögen diesen Saft heraustreiben und die Flüssig-keit mag dann in das nahe Meer her ab träufeln, von wosie durch Stürme an die gegenüberliegende Küste ge-langt. Untersucht man die Eigenschaften des Bernsteinesim Feuer, so entzündet er sich wie eine Fackel undzeigt eine russige und duftende Flamme, worauf er wiePech und Harz zerfliesst." — So viel Unwahres dieserBericht enthält, ist es doch staunenswerth, dass Tacitusbereits den Bernstein als einen Baumsaft bezeichnet,während man sowohl damals wie auch später den Bern-stein für ein Mineral hielt: allerdings mag Tacitusdurch dieselbe Ansicht des im Jahre 76 nach Christusgestorbenen römischen Naturforschers Plinius geleitetworden sein.

Ich übergehe die Nachrichten über den Bernstein,welche man bei verschiedenen anderen römischenSchriftstellern aus der Zeit des Kaiserreiches findet. EineZusammenstellung dieser Nachrichten hat Johann Hein-rich Voss in seiner berühmten Abhandlung über diealte Weltkunde gegeben, aus welcher ich folgende Stelleanführen will:

Nachdem Plinius jene, dem Unkundigen alterGeographie unverträglich scheinenden Gerüchte überdie Heimat des Bernsteins aufgezählt, entscheideter selbst (XXXVII. 3) : Es sei gewiss, dass Bern-stein in den Inseln des nördlichen Oceans erzeugt

• und von den Germanen Glessum genannt werde;

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eine der Inseln habe-desswegen von den Römernunter Germänicus den Namen Glessaria erhalten,da sie bei den Barbaren Austravia heisse: manhalte ihn für den e rhär te ten Saft eines Bau-mes vom Fichtengeschlecht , woher die Be-nennung „succinum". An einer anderen Stelle(IV. 16) sagt er: „Gegenüber Britannien im germa-nischen Meere liegen zerstreut die Glessarien, welcheElektriden von den neueren Griechen genannt wer-den". Die sorgfältigsten Untersucher erklärenAustravia für die friesische Insel Ameland, auf wel-cher nicht allein, sondern an allen westlichen Ufernder Nordsee sich Bernstein findet. Hier also treffenalle Bezeichnungen der alten Sage mit der folgen-den Geschichte zusammen. Am Nordgestade deswestlichen Europas, um den Ausfluss des nahe demPadus (Po) und Rhodanus (Rhone) entspringendenfabelhaften Eridanos (Rhein), welchen nach langerStockung des Oceanhandels die erobernden Römermit dem historischen Namen Rhenus entdeckten,jenen zugleich besuchten Zinninseln nicht allzu ent-fernt und Britannien gegenüber; hier ward von derältesten Volkssage die Gegend bestimmt, wo An-fangs die Phöniker, dann auch die Zwischenhändlerder Kaufleute am Rhodanus und Padus den köst-lichen Bernstein finden sollten, den der Seltenheitwegen die Griechen fast hoher als Gold schätzten, undhier fanden ihn wirklich die Soldaten des Germäni-cus. Wären die Phöniker oder Massilier von dieser

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ärmeren Bernsteinküste noch weiter zu dem ergie-bigen Samland fortgeschifft; sie hätten gewiss fürdie mühselige Fahrt volle Ladungen mitgebrachtund dadurch den theuren Edelstein zu einer ge-meinen Waare erniedrigt. Aber mit welchemAhnungsvermögen konnten sie von Ferne den sam-ländischen Bernstein wittern, der, wie Tacitus sagt,bei den Aestyern ungenutzt unter anderen Aus-würfen des Meeres dalag, bis ihm römische Ueppig-keit Namen gab, und wofür der Barbar mit Ver-wunderung einen wiewohl massigen Preis annahm?Auf welchen Glauben konnte eine so ungeheureKüstenfahrt durch die Watten und Sandbänke derunruhigen Nordsee, durch den gefährlichen Kattegat,durch die stürmischen Gestade der Ostsee, zu immerdürftigeren, gleichsam absterbenden Bezirken derNatur gewagt werden von den Südländern, derenPhantasie mit Graunbildern des unbewohnbarenNordens erfüllt war ?

Voss sagt in der erwähnten Abhandlung weiter:Plinius beschliesst seine Nachrichten vom west-

germanischen Bernstein mit einer durch Abschreibenentstellten Versicherung, dass von dort (oder viel-leicht schrieb er: anderswoher) die Germanen Bern-stein zu den Pannoniern (Ungarn) um das adria-tische Meer bringen; und" dass darum die Fabeldessen Ursprung dem Padus (Po) beigelegt habe,wo schon die Bäuerinnen Bernsteinschnüre zumSchmuck und als Heilmittel trugen. Von Carnun-

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turn (die Ruinen dieser alten Stadt finden sich heutenoch in der Gegend von Hainburg und Pressburg),fährt er fort, sei jene Küste Germaniens 600 Millien*)entfernt; dies habe man neulich erfahren, da unterNero ein römischer Ritter den Handelsweg zu derKüste bereist und eine unermessliche Menge Bern-stein, unter andern ein Stück von 13 Pfund, einge-führt habe. Ueber Carnuntum ging nicht zur frie-sischen Meeresküste, aber wohl zur samländi-schen der geradeste Weg. Und eben durch diesenHandelsweg erklärt sich das Räthsel, woher Tacitus,dem die Westküste Germaniens nach der Elbe hin,weniger bekannt als dem Plinius war, im Osten denhistorischen Kamen der Aestyer und so viel Angren-zendes zu nennen wusste. Wahrscheinlich ging dersamländische Bernstein theils die Weichsel hinaufund dann über Carnuntum nach dem Padus, theilsauf dem Pregel zum alten Borysthenes, dessen Mün-dung vom griechischen Handel blühte.

Der erwähnte römische Ritter soll nach Solinus(Polyhistor. C. XX) nicht ein Stück von 13 Pfund, son-dern überhaupt 13.000 Pfund Bernstein aus Germanienmitgebracht haben, die ein deutscher König dem römi-schen Kaiser geschenkt habe. Es sollen dann bei einemKampfspiele die Netze, welche den Zuschauerraum imCircus von dem Kampfplatze trennten, sowie die Waffenund Todtenbahren der Gladiatoren mit Bernstein geziert

::) Beiläufig 122% österreichische Meilen.

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gewesen sein. Bei den römischen Schriftstellern kom-men ausserdem häufig Nachrichten vor, über aus Bern-stein gefertigte Schmuckgegenstände, Trinkgefässe undgeschnitzte menschliche Bildnisse, deren Preis den derlebendigen Menschen übertroffen haben soll. Auch dierömischen Dichter erwähnen oft des Bernsteins, undaus all' dem geht hervor, dass der Bernstein bei denRömern in hohem Werthe stand.

Nach den Auseinandersetzungen des Johann Hein-rich Voss dürfte der Bernstein auf folgenden vier bis fünfverschiedenen Wegen vom Norden bis zum Mittelmeeregelangt sein, nämlich: theils vom Nordwesten Deutsch-lands und den friesischen Inseln auf dem Seewege durchdie Meerenge von Gibraltar, theils auf dem Landwegedurch Gallien (Frankreich) nach Massilia (Marseille)und einem Nebenwege über die Alpen nach dem Padus(Po) und Venetien; ferner von der samländischen Küsteüber die Gegend von Carnuntum (in der Nähe von Hain-burg und Pressburg) nach dem adriatischen Meere unddem Padus; endlich den Pregel aufwärts und den Bory-sthenes (Dnieper) abwärts nach dem schwarzen Meere.Bedenkt man diese grossen Entfernungen, sowie den da-maligen Zustand der Flüsse und Strassen, wofern ausser-halb des Römerreiches überhaupt von Strassen noch dieRede sein konnte, so muss man staunen über denUnternehmungsgeist der alten Handelsvölker. Zuerst(1000 Jahre vor Christi Geburt) befassten sich mit demZinn- und Bernsteinhandel die Phöniker, welche denUrsprung dieser viel begehrten Artikel so lang als mög-

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lieh geheim hielten, und durch übertriebene Schilde-rungen der Eeisegefahren Andere abschreckten. Nachden Phönikern haben die mächtig aufstrebenden Kar-thager die Fahrten jenseits der Meerenge von Gibraltarfortgesetzt und regelmässig die britischen Inseln, so wiedie Küste der Nordsee besucht, um Zinn, respectiveBernstein zu holen. Auch sollen die Karthager weit indie Nordsee vorgedrungen und bis in das Polarmeer ge-kommen sein, worüber jedoch sichere Nachrichtenfehlen. — Mit den Römern muss der Bernsteinhandelschon sehr lebhaft gewesen sein ; dies beweisen diehäufigen Funde von römischen Münzen längs der er-wähnten alten Handelsstrassen. Nach dem Zusammen-sturze des Römerreiches und während der barbarischenZeiten der Yölkerwanderung fehlen alle Nachrichtenüber den Bernsteinhandel.

Als das Christenthum in Ostpreussen sich verbrei-tete, haben die Bischöfe zu Fischhausen alsbald im Bern-stein eine ergiebige Einnahmsquelle erkannt und sichdieselbe zu Nutzen gemacht. Die ihnen in der Landes-herrschaft nachfolgenden Ordensritter haben den Bern-stein für ein Regale erklärt und es wurde unbefugtesBernsteinsammeln mit dem Tode bestraft. Der deutscheRitterorden unterhielt eigene Bernsteinmeister undStrandknechte, welche das Auflesen und Schöpfen desSteines, sowie dessen Ablieferung an die „ Ordensschäffer "überwachten. Zu Lübek, Brügge, Wismar und Venedigwurden eigene Bernsteinlager errichtet, an welche derBernstein in rohem Zustande geschickt wurde, da der

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Orden aus Misstrauen keine Bernsteindreher im eigenenLande litt. In den genannten Factoreien des deutschenRitterordens wurden durch dessen Beamte. Colonial-waaren gegen Bernstein eingetauscht. Niemand durfte aufeigene Rechnung Bernstein sammeln oder verkaufen,sondern musste den gesammelten Bernstein gegen einenbestimmten, selbstverständlich niedrigen Preis an dieOrdensschäffer abliefern. Das Bernsteinmonopol desdeutschen Ritterordens wurde aber durch den Friedenzu Thorn 1466 erschüttert; denn durch diesen Friedenkam beinahe ein Drittel der Bernsteinküste, nämlich diefrische Nehrung, in den Besitz des neuentstandenenFreistaates Danzig. Derselbe huldigte in Bezug auf dasBernsteinregale etwas liberaleren Anschauungen, undmachte dem Alleinhandel des deutschen Ritterordensbesonders dadurch erfolgreiche Concurrenz, dass mansich nicht mehr, wie bisher, auf den Handel mit Roh-bernstein beschränkte, sondern mit Geschick und Um-sicht die Verarbeitung des Bernsteins in Angriffnahm. In Folge dessen erlaubte auch der erste welt-liche Herzog in Preussen, Albrecht von Brandenburg,in seinem Gebiete die Yerarbeitung des Bernsteins; dess-gleichen gestattete er das G r a b e n nach Bernstein,und so kamen 1588 die ersten Bernsteingräbereien auf;dagegen blieb das Sammeln des Bernsteines nach wievor ein durch strenge Strafen geschütztes Regale, gegendessen Uebertretung mit ausgesuchter Grausamkeit vor-gegangen wurde. 1582 wurde durch Zusätze zur altenBernstein-Ordnung Jedermann, ohne Ausnahme des

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Standes, das Betreten des Strandes ohne Pass verboten-,die Strandknechte knüpften jeden Bernsteindieb undjeden der beim Auflesen des Bernsteins betreten wurde,ohne weiters an den längs des Strandes errichtetenGalgen auf; und von muthmasslichen Bernsteindiebenoder des Bernsteindiebstahles, vielleicht nur aus Privat-rache, denuncirten Personen wurden mittelst der FolterGeständnisse erpresst.

Es ist traurig zu hören, welche harte Gesetze so-gar ein so erleuchteter und selbstbewusster Regent, wieder „grosse Churfürst" Friedrich Wilhelm von Branden-burg (1640—1688)erliess. Er verordnete, dassalle con-firmirten Strandbewohner und diejenigen, welche ihresGewerbes wegen die Küste besuchten, schwören muss-ten, keinen Bernstein zu entwenden und allen Bernsteinanzuzeigen, den sie in Privathänden wüssten. DieStrafen wurden, wie folgt, festgesetzt: Für Entwendungeines Pfundes Bernstein 90 preussische Gulden Geld-busse oder entsprechende Freiheitentziehung; bei zweiPfund das doppelte Strafgeld, respective die doppelteHaftdauer; bei drei Pfund 270 Gulden Geldbusse,ausserdem Auspeitschung und zehnjährige Verweisungaus dem Küstenbezirke-, bei vier Pfund gleiche Geld-busse und Auspeitschung, nebstdem noch Pranger undlebenslängl iche Landesverweisung; bei fünf undmehr Pfunden aber der Strang und doppelter Ersatzdes Genommenen. Bei „besonders erheblichem" (d. h.25 Pfund oder mehr betragendem) Diebstahle konnteunter Umständen sogar auf den Tod durch das Ead

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erkannt, werden. Das blosse unbefugte Betreten desStrandes kostete 12—18 Gulden Geldstrafe, und zog imWiederholungsfalle ein- bis dreijährige Verweisung ausdem Küstenbezirke nach sich.

Diese barbarischen Gesetze und der unnatürlicheZwang der Strandbewohner mussten selbstverständlichhöchst demoralisirend auf sie einwirken, wie bekannt-lich auch die früheren Zollgesetze nur den ausgedehn-testen Schmuggel mit allen seinen Nachwehen zur Folgehatten. Die Bernsteingesetze reizten zu heimlicherEntwendung, und mancher Strandwächter wurde vonden erbitterten Küstenbewohnern umgebracht. Diezahlreichen Galgen am Strande und die wiederholteLeistung des Strandeides vermochten an diesen Zustän-den nichts zu ändern; man muss nur wissen, wie diebedauerungswürdigen Strandbewohner gehalten und be-zahlt wurden. Alle arbeitsfähigen Strandbewohnerwaren nämlich zum Bernsteinschöpfen conscribirt, underhielten für diese mühselige und gefährliche Arbeit alsBezahlung nicht mehr als das gleiche Mass Salz, wel-ches sie zu ihrem Fischereibetrieb benöthigten. Nurfür den besonders werthvollen und noch schwieriger zugewinnenden Brüsterorter „Reefstein" erhielten sie dasdoppelte Quantum Salz, aber kein Geld. Hieraus er-klärt sich, wie gross der Gewinn aus dem Bernstein-regale für die Landesherrschaft war; denn 1. ist derWerth des Salzes gegenüber dem gleichen QuantumBernstein verschwindend klein, und 2. war das Salzwiederum landesherrliches Regale; es wurde daher

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beim Bernsteinregale aus zwei Regalverwaltungen zu-gleich Gewinn erzielt. Nach den damaligen volkswirt-schaftlichen Anschauungen hielt man eine solche Be-drückung und Ausbeutung der TJnterthanen für ein aus-gezeichnetes Verwaltungssystem.

Unter solchen Verhältnissen galt bei den auf einerniederen Culturstufe stehenden Strandbewohnern dieBernsteinentwendung für kein Unrecht, sondern füreinen Act der Selbsthilfe; sie sagten: „Das Meer wirftden Stein aus, er ist ein ,Strandsegen'; darum gehörter uns Strandleuten, und ihn behalten ist kein Dieb-stahl ".

Mit dem Beginne des vorigen Jahrhundertes wur-den die Strafen ein wenig gemildert. Mit dem Strangesollte der Bernsteindieb nur bestraft werden, wenn ermehr als eine Vierteltonne entwendet hatte, und „wennder Dieb gemeinen Standes war"; dafür aber wur-den die Strandvisitationen genauer geregelt. Alle dreiJahre sollten sie von der Danziger Grenze an bis hinterMemel abgehalten werden; die Strandbewohner musstenmit ihren Knechten dabei erscheinen, abermals denStrandeid schwören, ihre Netze und Hütten untersuchenlassen, und bei etwaiger Vermögenszunahme sich, genaudarüber ausweisen, ob dieselbe nicht etwa von dem Ver-kaufe heimlich aufgelesenen Bernsteines herrühre.

1762, unter Fr iedr ich des Grossen B-egierung,wurden die Strafen abermals menschlicher. Aber hörenwir, was dieser bewunderte, seiner Zeit in so vielenDingen vorangeeilte Regent in Betreff des Bernstein-

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regales noch für passend hielt. Auf den Tod oder dieLandesverweisung sollte nicht mehr erkannt "werden,jedoch auf die Auspeitschung, wenn der Dieb bei seinerFestnehmung an der Person des Strandwächters sichvergriffen hatte; dagegen wurde der überwiesene Bern-steiudieb immer noch zu Gefängniss bei Wasser undBrot, und in schweren Fälleu zu langjährigem Zucht-haus mit „Willkomm" und „Abschied" (d. h. einerPrügelstrafe bei Beginn und Ende der Haft) verurtheilt;der Fremde dagegen, welcher ohne Legitimationskarteam Strande betreten wurde, erhielt den spanischenMantel (eine Art Zwangstuhl) und Gefängniss. Fernerwurde unter Friedrich dem Grossen der Strandeid nochdurch den Zusatz verschärft, dass Kinder zur De-nunciation i h r e rE l t e rnve rp f l i ch t e twurden . (!)Dies genügt wohl, um zu zeigen, welcher Maugel anVerständniss für die Forderungen der Vernunft und all-gemeinen Wohlfahrt bei den damaligen Regierungenherrschte. Es fiel Jahrhunderte lang keinem Staatsmanneein, dass die Eegierungen durch solche thörichte Gesetzedie intellectuellen Urheber der Gesetzübertretungenwerden.

Der geschilderte unnatürliche Zustand dauerte inPreussen bis in die neueste Zeit. Erst 1807 wurde dasBernsteinregale an einige Kaufleute verpachtet; die ge-hässigen Strandvisitationen und die Verpflichtung derStrandbauern zum Schöpfen und Transportiren des Bern-steines hörten auf; doch blieb noch immer der Strand-verkehr unter einer peinlichen TJeberwachung. Erst im

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Jahre 1837 überliess Friedrich Wilhelm III. die ganzeBernsteinnutzung von Danzig bis Kernel gegen einePauschalsumme von 10.000 Thalern an die Strand-gemeinden. Die Gemeinden und einzelne Grundbesitzeram Strande dürfen innerhalb ihrer Besitzung den Bern-stein gewinnen. Der Staat hat jetzt allerdings aus demBernsteinregale weniger Gewinn als früher; aber dieserAusfall wird reichlich aufgewogen durch die sittlicheHebung der Küstenbevölkerung, so wie durch die er-höhte Frequenz der Seebäder. Der Ostseestrand ist jetztfrei, und dem harmlosen Besucher des Strandes wird dieFreude an der grossartigen Natur nicht mehr durchGeldstrafen und Kerker verbittert.

Gehen wir nun zur Gewinnung des Bern-steines über. Der Bernstein kommt hauptsächlich nurin nördlichen Gegenden vor, und zwar vorzugsweise inden Küstenländern der Ost- und Nordsee, dann in Sibi-rien und Nordamerika. In Sicilien wird auch schön ge-färbter Bernstein gewonnen, aber in sehr geringer Mengeund daher zu hohem Preise. Selten kommt der Bern-stein im Gyps und Kreidesandstein vor, häufiger in denLehm- und Sandschichten des Tieflandes; doch ist diesesVorkommen immer nur ein vereinzeltes. Der grössteTheil des im Handel vorkommenden Bernsteines wirdin dem Auswurfe der Nordsee, Ostsee und des nörd-lichen Eismeeres gefunden; und hier wiederum sind dieHauptgewinnungsorte die Westküste Dänemarks undSchleswig-Holsteins, dann die Nordküste Preussens vonStralsund bis Atemel. Während aber an der dänischen

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und Schleswig - holsteinischen Küste jährlich nur3000 Pfund Bernstein gewonnen werden, liefert diepreussische Küste von Danzig bis Memel jährlich 50.000bis 60.000 Pfund. An der preussischen Küste sind wie-derum die frische Nehrung und die Strecke von Pillaubis Brüsterort seit Jahrtausenden die ergiebigsten Fund-orte, so dass oft in einer einzigen Herbstnacht daselbstum mehrere tausend Thaler Bernstein gefunden wird.

Dass das Meer den Bernstein blank, oder in See-tang gehüllt auswirft, oder dass der Bernstein amMeeresgrunde gefunden wird, geht in folgender Weisevor sich: Die Brandung nagt an der gegen das Meergekehrten Küstenfläche und am Meeresboden, derenErdreich den Bernstein enthält. Das specifische Ge-wicht des Bernsteins beträgt nur 1*07, somit wenigmehr, als das des Meerwassers. In Folge dessen wirdder losgelöste Bernstein von den Wellen getragen, undda und dort abgelagert. Durch das Spiel der Wellenwird der gleichzeitig vom Meeresgrunde losgerisseneTang zusammengerollt und nimmt die Bernsteinstückein sich auf. Hauptsächlich sind es die Nordweststürme,welche an der preussischen Bernsteinküste das Meerbis auf den Grund aufwühlen und so den vom Menschengesuchten Schatz lösen. Uebrigens hat jede Bernstein-küste, je nach ihrer Lage und Richtung, ihren eigenen„Bernsteinwind", was den Strandbewohnern aus Er-fahrung und Ueberlieferung bekannt ist. Doch wartetman nicht, bis das Meer den Bernstein ausgeworfen hat,sondern man geht ihm ins Meer entgegen, damit er von

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den zurückfliessenden Wellen nicht wieder mitgenom-men wird. Sobald das „Bernsteinkraut" dem Lande zutreibt, versammelt sich die ganze Gemeinde am Strande.Männer gehen bis nahe an Mannestiefe und bis gegen100 Schritte weit in das Meer, und fangen den Seetangmit grossen Netzen auf, die an circa 20 Fuss langenStangen befestigt sind. Der Fang wird am Strande aus-geleert, wo Frauen und Kinder denselben sofort aus-breiten und den gefundenen Bernstein sortiren. Ge-wöhnlich ist auch gleich der Bernsteinhändler da, undes wird der Verkauf des Bernsteins gleich an Ort undStelle abgeschlossen.

„ Diese Gewinnungsmethode des Bernsteins wird dasSchöpfen genannt: sie kann bei Tag und Nacht, imSommer und Winter geübt werden. Die Nordwest-stürme des November und December sind für das Bern-steinschöpfen die ergiebigsten; die Arbeit ist dannaber auch ausserordentlich beschwerlich. Die Bernstein-schöpfer haben bei grosser Kälte Kürasse von Leder an,die zeitweise bei den am Strande unterhaltenen Feuernaufgethaut werden müssen. Zu solchter Zeit müssen dieBernsteinschöpfer unter sich mittelst Leinen verbundensein, um nicht von den Wellen verschlungen zu werden;auch schwingen sich die Bernsteinschöpfer bei heran-nahenden gefährlichen Wellen an den auf dem Meeres-boden gestützten Stangen ihrer Netze in die Höhe, bisdie gefährliche Welle sich verlaufen hat.

Das Schöpfen des Bernsteines und das Auflesensind die ältesten Gewinnungsarten des Bernsteines; sie

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sind bereits von Tacitus in seiner Schrift über die Deut-schen beschrieben worden. Ausser dem Schöpfen wirdauch das sogenannte Bernstein stechen geübt. Wennnämlich in der Nähe des Strandes am Meeresgrundegrosse Steine liegen, so wird durch diese die Kraft derWellen gebrochen und es lagert sich der Bernstein zwi-schen den Steinen ab. Bei ganz klarer See fahren dannje 4—5 Arbeiter in einem Boote hinaus und suchen denBernstein zwischen den am Meeresgrund liegenden Stei-nen zu erspähen, wozu selbstverständlich ein scharfesgeübtes Auge gehört. Während der eine Arbeiter miteiner Art Speer den Bernstein losmacht, hält der An-dere ein Netz vor, in welches der von der unterenStrömung bewegte Bernstein fällt. Speer und Netzsind an 10 — 30 Fuss langen Stangen befestigt. ZurBewegung grösserer Steine dienen verschiedenartig ge-formte Haken und Gabeln.

In ähnlicher Weise wird das Bernsteinstechen zuBrüsterort betrieben; jedoch kann hierauch bei "nichtganz ruhiger See gearbeitet werden, weil man sicher ist,auf dem Meeresgrunde Bernstein zu finden. Zunächstwerden nämlich die grossen Steine mittelst der erwähn-ten Haken und Gabeln gelockert, sodann mit einer aneiner 15—30 Fuss langen Stange befindlichen Zangegefasst, und diese wird mit Winden und Flaschenzügenemporgezogen. Die so herauf gebrachten Steine werdenauf ein Floss gelegt und weggeführt. Ueber den in sol-cher Weise vorbereiteten Meeresboden wird hieraufmit Sacknetzen hin und her gekratzt, welche an der

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Oeffnung mit einem scharfen eisernen Kranze versehensind. In das Sacknetz gerathen die kleinen Steine undder Bernstein, welch' letzterer genau aussortirt wird.

Das Bernsteinstechen ist schon 1551 von Aurifaberund 1590 von Wigand beschrieben worden, fehlt da-gegen in der von Hartmann zu Frankfurt 167 7 her-ausgegebenen „Succini prussici historia". — Zu diesenseit Jahrhunderten, vielleicht Jahrtausenden geübtenGewinnungsarten ist während der letzten Jahre nochdie Bernsteingewinnung mittelst Baggern und durchTaucher hinzugekommen. Den Anlass zur Bernstein -baggerei bot die zunehmende Verschlechterung desMemeler Fahrwassers im kurischen Haff. 1862 machtenzwei Private, die Herren Stantien und Becker, der Kö-nigsberger Bezirksregierung das Anerbieten, die Klar-machung des Memeler Fahrwassers, welche bisher be-trächtliche Summen gekostet hatte, nicht nur in Zukunftunentgeltlich zu besorgen, sondern noch für jeden Ar-beitstag 25 Thaler zu bezahlen, wenn den genanntenUnternehmern das Recht der Bernsteingewinnung gleich-zeitig eingeräumt würde. Dieses Anerbieten wurde be-greiflicherweise gerne angenommen. Herr Stant ienwar damals Kahnschiffer, kannte als solcher den Bern-steinreichthum dieses Meerbodens; Herr Becker war einkleiner Gewerbsmann in Memel. Heutzutage besitzendie Genannten neun Dampf bagger und drei Handbagger,welche Tag und Nacht durch ungefähr sechs Monate imJahre thätig sind.. Die musterhaft eingerichtete Arbeiter-colonie der Herren Stantien und Becker gibt 600 Ar-

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beitern Obdach, und auf einem ausgedehnten Terrain be-finden sich Schiffszimmerplätze, Maschinenwerkstätte,Hafenanlagen, Magazine und Inspectionsräume. Der Er-folg dieses Unternehmens war ein glänzender. Es wer-den jährlich durch die Baggerung ungefähr 73.000 PfundBernstein gewonnen im Werthe von 270.000 Gulden;dies ergibt täglich im Durchschnitte 400 Pfund Bern-stein im Werthe von 1500 Gulden.

Die Gewinnung mittelst Baggern ist den örtlichenVerhältnissen angepasst und unterscheidet sich nichtunwesentlich von der gewöhnlichen Baggerung, wie siez. B. hier in Wien im Donaukanal vorgenommen werdenmuss. Die beiden Schöpfwerke einer jeden Bagger-maschine arbeiten zunächst eine grabenartige Rinne indem Schlamme und entleeren ihren Inhalt in die mitgitterartigen Deckeln versehenen begleitenden Prahm-kasten. Bei zunehmender Tiefe steigert sich der Bern-steingehalt des Schlammes, und es wird mit der Arbeitfortgefahren, bis die Sohle der Bernsteinschichte erreichtist. Sodann folgt die leichtere und lohnendere Arbeitdes Schöpfwerkes, welches abwechselnd aus dichten,schweren und aus durchlöcherten Eimern von Schmiede-eisenblech besteht. In der nun schlammfreien 5, auch10—15 Fuss tiefen Rinne, erzeugen die schnell sichdrehenden Eimer eine starke Wasserströmung, welcheden Bernstein lockert und ihn theils an diese dichten,theils an die schnell nachfolgenden Siebeimer abgibt,von denen er wieder auf dem Prahmgitter entleert wird.Hier wird der Fund von dem werthlosen Anhang befreit,

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in Säcke gefüllt, und an die Sortiranstalt nach Memelgeschickt. Die Arbeit wird mit einem achtstündig sich ab-lösenden Personale Tag und Nacht, bei jeder Witterungfortgesetzt, bis sie zur Winterszeit eingestellt werdenmuss.

Die Bernsteinablagerung im kurischen Haff mussaber eine verhältnissmässig junge sein, denn es werdennebst dem Bernstein, welcher im grünlichen Sandemit Holzresten und in einer torfartigen aus Tang be-stehenden Masse lagert, auch solche Kunstproducteausgebaggert, wie man sie anderwärts in den Hünen-gräbern findet. Es wurden wiederholt Ringe, Knöpfe,durchbohrte Perlen u. s. w. und eine kleine Figur ge-funden. Es ist anzunehmen, dass früher das kurischeHaff mit dem Meere in Verbindung gewesen ist; hiefürspricht auch der Umstand, dass die kurische Nehrungnachgewiesenermassen erst in historischer Zeit, nördlichbis Memel vorgerückt ist. Der Bernstein mag nun seitJahrtausenden durch Stürme in das ruhige Haff-wasser gerathen und daselbst abgelagert worden sein.Der gleichzeitige Fund von Kunstproducten scheintaber zu beweisen, dass das Meer gelegentlich mensch-liche Wohnstätten und Gräber zerstört, deren Inhaltnebst dem Bernstein fortgeführt und hier abgelagerthabe.

Nachdem das Bernsteinstechen zur Gewinnung desso hochgeschätzten „Eeefsteines" oder „Riffsteines" beiBrüsterort wegen der auf dem Boden vorkommendengrossen Steinblöcke zu mühselig ist, hat die genannte

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Firma die Bernsteingewinnung mittelst Tauchern ein-geführt. Derlei Versuche sind zwar schon zu Anfangdes vorigen Jahrhundertes gemacht worden; sie musstenaber wieder aufgegeben werden, weil den Arbeitern dasTauchen in der kalten Jahreszeit nicht behagte undweil die fremden Taucher während ihrer Arbeit vonden einheimischen Arbeitern durch Absperren der Luftgeängstigt worden sein sollen. Die Herren Stantien undBecker haben den sinnreichen Taucherapparat desfranzösischen Marinecapitains Rouquayrol-Denayrouzeeingeführt, welcher Apparat wegen seiner praktischenVerwendbarkeit schon auf der Pariser Weltausstellungim Jahre 1867 die Aufmerksamkeit der Fachmännerauf sich gezogen hat. Es ist dies derselbe Apparat, derauf der Wiener Weltausstellung in mehrfacher Aus-führung zu sehen war. Das Taucherpersonale der HerrenStantien und Becker besteht aus circa 60 Mann, unddie unterseeische Arbeit dauert gewöhnlich fünf Stunden.Zu dieser Taucherarbeit gehört aber eine eiserne Natur,und wenn auch die Taucher manchmal bei einigen GradenKälte untertauchen, so kommen sie doch nach verrich-teter Arbeit schweisstriefend empor. Der Taucher mussnämlich in seiner schweren und knappen Ausrüstungdie eng zusammenliegenden Steine mittelst stark ge-krümmter Gabeln auseinanderrücken, wozu ihm vomBoote aus nöthigenfalls geholfen wird. Doch linden sichimmerhin Steinblöcke vor, welche trotz vereinter Kraft-anwendung nicht gerückt werden können. Sind dieSteine von den Tauchern auseinander geschoben, so

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werden die dazwischen liegenden Bernsteinstücke ge-sammelt. Diese Gewinnungsmethode hat für die Unter-nehmer ausserdem noch den Vortheil, dass nicht leichtvon den Tauchern Bernstein entwendet werden kann.Inzwischen ist es doch wiederholt vorgekommen, dassTaucher an besonders schönen Bernstein unten einenBindfaden mit einer Schwimmmarke befestigten, unddann bei Nacht oder Morgengrauen den „ehrlichen Ver-dienst" sich abholten.

Der Bernstein wird jedoch nicht blos, wie bishergeschildert, in und am Gestade der Ostsee gewonnen;sondern seit etwa 200 Jahren betreibt man am Fest-lande jener Gegenden die Bernsteingräberei, welchedurch die Arbeiten des Prof. Zaddach in Königsberg be-sondere Wichtigkeit erlangt hat. Prof. Zaddach hat diepreussische Bernsteinküste sehr genau studirt unddadurch die in mannigfacher Beziehung noch immerräthselhaften geologischen Verhältnisse des Bernsteinsaufgeklärt. Die 150—200 Fuss hohen Strandhügel desSamlandes in Ostpreussen zeigen drei Schichtensysteme.Unten befindet sich ein durch Grünerdekörnchen grün-lichgrau gefärbter Sand, darüber Braunkohle mit lich-terem Sand und grauem Thon, und oben diluvialerMergel und Sand mit Geschiebe. Alle diese drei Schichtenführen Bernstein, jedoch die beiden oberen nur stellen-weise, dagegen die unterste Schichte besonders reich-lich und ziemlich gleichmässig gelagert in einer dunkel-gefärbten, thonigsandigen Lage von 4—20 Fuss Mäch-tigkeit, welche „blaue Erde" genannt wird. In dieser

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blauen Erde findet man ausser den Bernsteinstückenauch viele Holz- und Seekrabbenreste, Zähne von Sau-riern und Haifischen, Muscheln, Seeigel u. dgl.

Die Bernsteingräberei nahm erst Aufschwung, alsman den reichen und zusammenhängenden Bernstein-gehalt der blauen Erde kennen gelernt hatte. BeimGrubenbetriebe werden 50 Schritte weite Gruben mitsteilen Böschungen an den Abhängen der Strandbergeangelegt. Ist die blaue Erde blossgelegt, so wird die-selbe durch dichte Arbeiterreihen von 20—30 Mann in8—10 Zoll hohen Schichten vorsichtig abgestochen.Dabei bewegen sich die Arbeiter nach rückwärts; vorihnen stehen die Aufseher, um den Bernstein sofort inEmpfang zu nehmen. Der Spaten ist vorn geschärft,und sobald der Arbeiter beim Hineindrücken des Spatenseinen Widerstand spürt, muss er innehalten, denn dieserWiderstand rührt meistens von einem Bernsteinstückher. Dasselbe wird sorgfältig umgraben und sammtseiner Umhüllung ausgestochen. Inzwischen kommt esdoch vor, dass gerade werthvolle Cabinetstücke durchden Spaten der Arbeiter zertrümmert und entwerthetwerden. Durch die Bernsteingräberei werden jähr-lich etwa 40.000 Pfund Bernstein im Werthe von300.000 Gulden gewonnen und sind dabei 600—800 Ar-beiter Jahr aus Jahr ein beschäftigt. Durch diese Me-thode der Bernsteingräberei, welche nur ein „Raubbau"ist, wird aber eine ungemein grosse Bewegung werth-loser Massen nothwendig; ferner werden die dortigenGelände in wüste Erd- und Sandhaufen verwandelt.

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Herr Oberbergrath Runge wurde deshalb von derpreussischen Regierung mit der Untersuchung beauf-tragt, ob ein kunstgemässer Bergbau auf Bernstein aus-führbar und lohnend sei, und hat diese Frage bejaht,denn heutzutage versteht man auch in lockeren, nach-giebigen Massen Schachte und Stollen auf ökonomischeWeise zu bauen.

Bezüglich des Bernstein handeis mögen fol-gende Andeutungen genügen. Der "Werth des einzel-nen Bernsteinstückes richtet sich nach der Farbe,Reinheit , Grosse und Form. Zuerst muss die Ver-witterungschichte des Bernsteins mit der Feile und demSchabeisen beseitigt werden, um die Farbe uud innereBeschaffenheit des Bernsteinstückes beurtheilen zu kön-nen. Der Bernstein kommt dann in dieser Form als„Rohbernstein" in den Handel.

Der Grosse nach unterscheidet man hauptsächlich4 Sorten, nämlich:

1. „Sortiment", und zwar: grosses, 3—4 Stückeauf Ein Pfund, und kleines, 6 Stücke auf ein Pfund.

2. „Tonnenstein",und zwar: grosser, 5—8 Stückeauf ein Pfund, Zehner, d. h. 10 Stücke auf ein Pfund,dann, Zwanziger, Dreissiger, u. s. w.

3. „Korallen", d. h. Bernsteinstücke, die nur zuPerlen gedreht werden können, und

4. „Sandstein", „Schlauben" und „Schluck",d. h. Stücke, die wegen ihrer Kleinheit, Risse undUnreinigkeiten nur zu chemischen und technischenZwecken, nämlich zur Erzeugung von Bern stein säure,

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Bernsteinöhl, Bernsteinlack u. s. w. gebraucht wer-den können.

Das Sortiment schätzt man auf nur l°/o> den Ton-nenstein auf 9%, die Korallen auf 4O°/o und den Sand-stein auf 50°/Q der gesammten Bernsteinproduction.Die geringe Ausbeute an grossen Bernsteinstücken,welche zur industriellen Verarbeitung die geeignetstensind, trägt wesentlich zur Preiserhöhung dieser Bern-steinsorte bei. Bernsteinstücke von mehr als Ein PfundGewicht kommen nur in Zwischenräumen von mehrerenJahren vor. Das grösste Bernsteinstück, welches über-haupt in der Geschichte erwähnt wird, soll in Jutlandgefunden worden sein und 27 Pfund gewogen haben.Das grösste, bis jetzt bekannte Bernsteinstück befindetsich im Mineraliencabinet zu Berlin; es ist 13 Y2 Pfundschwer und wurde 1803 gefunden; sein Werth beträgt15.000 Gulden. Stücke, welche mehr als ein Pfundwiegen, erreichen heute noch den Werth des Goldes;bei Stücken von 5 Loth und darüber kann bei guterFarbe und halbwegs entsprechender Form iy2 Guldenper Loth als Mittelwerth angenommen werden. Der Roh-bernstein repräsentirt einen Mittelwerth von 7 L/2 Gul-den per Pfund, somit ergeben die 200.000 Pfund derjährlichen Bernsteingewinnung Preussens einen Ge-sammtwerth von circa 11/2 Millionen Gulden, welcherdurch die weitere Verarbeitung und Circulation derWaare noch bedeutend erhöht wird. Welche Ausdeh-nung der Bernsteinhandel hat, geht daraus hervor, dassdie mehrfach erwähnte Firma Stantien & Becker Haupt-

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niederlagen zu Berlin, Wien, Paris, London, Livorno,Constantinopel, Calcutta, Honkong und Mazatlan inMexiko unterhält und sich nur mit dem Exporte desEohbernsteins befasst. Die weitere Verarbeitung grösse-rer Bernsteinstücke, die Anfertigung von Cigarren-spitzen und Pfeifenmundstücken erfolgt in Wien, Paris,u. s. w. Bei dieser Gelegenheit will ich bemerken, dassdem rechtgläubigen Mohamedaner der Gebrauch vonPfeifenmundstücken, welche vom Thiere herrühren,durch ein Eeligionsgesetz als „unrein" untersagt ist,und nachdem Mundstücke aus Glas ein unangenehmesGefühl verursachen, auch die Zähne angreifen, so sinddie Bernsteinmundstücke den Mohamedanem unent-behrlich. In den höchst primitiv ausgestatteten tür-kischen Kaffeehäusern bilden die ungewöhnlich grossen,oft mit Perlen und Edelsteinen besetzten Bernsteinmund-stücke den einzigen Luxus, und es geht deren Werthmanchmal in die Tausende von Gulden.

Der Bernsteinschmuck hat bei uns weniger Ver-breitung gewonnen als im Oriente, da jede richtig orga-nisirte Evatochter weiss, dass der Bernsteinschmuck nurvon tief brünettem Teint oder der broncefarbigen Hautund dem blauschwarzen Haare der Südländerinnen sichvortheilhaft abhebt, dagegen auf dem blassen Teintund lichten Haar der Nordländerinnen wenig Wirkungmacht.

Ich wende mich nun zu der rein naturwissen-schaftlichen Seite des Bernsteins. Der regelmässigeBernsteinauswurf der Ostsee, das häufige Vorkommen

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des in den Lehm- und Sandschichten der norddeutschenEbene eingebetteten Bernsteins, so wie die Frage nachdem Herkommen und der Entstehung des Bernsteinsverdienen eine abgesonderte Erörterung.

Nach den Untersuchungen des Prof. Zaddach inKönigsberg reicht die blaue Erde, welche als eigent-liche Bernsteinschichte betrachtet werden kann, an derNordküste des Samlandes von Brüsterort bis Eantau;sie ist aber auch fünf Meilen von Brüsterort entferntnachgewiesen worden. Gegen Süden senkt sich dieseSchichte beträchtlich ein. Da sie am jetzigen Meeres-strande im Allgemeinen nahe unter der Meeresoberflächeund beinahe horizontal liegt, dagegen der Meeresgrundsich einsenkt, so ist sie nicht weit entfernt vom Landeblossgelegt, und dieser Umstand erklärt auch leicht denBernsteinauswurf des Meeres. Das Meer beutet nämlichganz dieselbe Lagerstätte durch die mechanische Ge-walt des Wassers aus, welche anderwärts auf dem Fest-lande durch Gräberei ausgebeutet wird. Das Meer hataber auch schon in früheren Perioden der Erdbildungdieselbe Lagerstätte ausgebeutet; dies wird bewiesendurch das Vorkommen des Bernsteins in diluvialenSandablagerungen mit Tangresten, Holzstücken undStein. Wenn der jetzige Bernsteinauswurf der Ostseenicht von den Menschen aufgefangen und aufgelesenwürde, so würden sich im Seesand strich- und nesterweiseebenso Bernsteinablagerungen bilden, wie man sie in derganzen norddeutschen Ebene, ja bis zum Kiesengebirgehinauf noch in 1350 Fuss Höhe über dem Meere antrifft.

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Das andere Ende der blauen Erdschichte hat mansich nicht weit vom Nordstrande des Samlandes vorzu-stellen, und nach den jetzigen sichergestellten That-sachen ergibt sich eine 10 Meilen lange Strecke, längs•welcher das Meer bei jedem Sturme seit Jahrtausendenden Grund aufwühlt und so den Bernstein loslöst. Bei.der bedeutenden Ausdehnung des Terrains, in welchemdie bernsteinführende blaue Erde nachgewiesen ist, sowie bei der grossen Länge der Linie, in welcher sie aufdem Meeresgrunde hervortritt, braucht der vom Meerein jedem Jahre zerstörte Streifen der Bernsteinschichtenur eine verhältnissmässig geringe Breite zu besitzen,um genügendes Material für den jährlichen Bernstein-auswurf der Ostsee zu liefern.

Wer. sich die Terrain- und Schichtungsverhältnissevergegenwärtigt, muss zugeben, dass die Ostsee für ihrenBernsteinauswurf gar keine andere Bezugsquelle habenkann; denn wenn auch in grosser Entfernung vomStrande eine Bernsteinablagerung vorkäme, so ist dortdas Wasser schon zu tief und die Wellen haben nichtmehr die Kraft, um die tiefgelegene Lagerstätte zu zer-stören und die losgelösten Materialien an die Oberflächezu bringen.

Die Annahme einer zweiten, völlig unbekanntenLagerstätte des Bernsteines im Meere selbst ist durch-aus nicht nothwendig, nachdem wir die Bernstein-ablagerung auf dem Festlande kennen und wissen,dass sie nahe unter dem Meeresspiegel liegt, mithinnicht weit von der Küste aus dem Meeresgrunde

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hervortritt und im Wirkungsbereich der Brandung ge-legen ist.

Nicht geringes Interesse gewährt die Erklärungdes Bernsteinursprunges. Es ist schon Eingangs berich-tet worden, dass bereits in den ältesten Zeiten die Harz-natur des Bernsteines erkannt worden ist: Aristoteleshielt den Bernstein für ve rs te iner tes Pappelgummi,ja Plinius hat den Bernsteinbaum schon in das Fich-tengeschlecht versetzt. Merkwürdigerweise findenwir im 16. Jahrhundert, wo doch schon die Heimathund Gewinnungsmethode des Bernsteines genau bekanntwaren, bei den damaligen Gelehrten die gröbsteUnwissenheit über die Natur des Bernsteines. Agricola(1546) spottet über die der Wahrheit so nahe kommen-den Ansicht des Aristoteles und Plinius, und meint:„Wie kann der Bernstein von Bäumen herrühren, wenner vom Meere ausgeworfen wird; im Meere wachsendoch keine Bäume!" — Dieser Autorität folgten in glei-chem Sinne andere Schriftsteller, so: Aurifabe.r (1551),Sebastian Munster in seiner Kosmographie (1554),Hartmann (1677) und Sendel (1742). Linne dagegenbemühte sich den vegetabilischen Ursprung des Bern-steines zu beweisen, woraus hervorgeht, dass zu seinerZeit der Ursprung des Bernsteines noch eine Streitfragegewesen sein muss. Bock (1737) und Björn (1808) er-klärten schon in ganz bestimmter Weise, den Bernsteinals ein fossil gewordenes Fichten- oder Tannenharz;die grössten Verdienste aber hat sich Schweigger mitseiner 1819 erschienenen berühmten Abhandlung über

Verein nat. Kcnatn. XV. Bd. U

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den Bernstein erworben. Schweigger hat aus der Ana-tomie des Holzes, zwischen dessen Schichten der Bern-stein sich abgelagert hat, so wie aus den Astknoten undden deutlich sichtbaren Jahresringen nachgewiesen,dass der unbekannte Bernsteinbaum nicht, wie manglaubte, zum Palmengeschlecht, sondern zu den Dicoty-ledonen gehöre; dass ferner höchst wahrscheinlich derBernstein Ton mehreren Baümarten herstamme, welcheBaumarten aber Schweigger damals noch nicht bestim-men konnte. Schweigger hat weiters aus den im Bern-steine eingeschlossenen Thierchen und Pflanzen gezeigt,dass das Klima zur Bernsteinzeit wohl ein wärmeresals das jetzige, aber durchaus kein tropisches ge-wesen sei 5 er erkannte vielmehr in der Flora und Faunades Bernsteinwaldes nordische Formen: und so fandman das wissenschaftlich bewiesen, was vor 1800Jahren Plinius nur geahnt hatte.

Nach Schweigger hat Aycke zu Danzig, die mitdem Bernstein verbundenen Holzstücke untersucht undmit Hilfe des Mikroskopes die wichtigsten Resultate be-züglich der Bildung und Absonderung des Bernstein-harzes geliefert. In seiner 1835 veröffentlichten Arbeitwird nachgewiesen, dass das Bernsteinharz viel reich-licher als bei unseren Harzbäumen sich abgesonderthabe; er erkennt den Bernsteinbaum als eine Fichte,und nimmt an, dass der Baum in Folge des überreichenHarzflusses in einem krankhaften Zustande gewesensein müsse. Durch die vehemente Harzabsonderungwürden grosse Rindenstücke abgelöst und der Baum

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zersprengt. Manchmal wurde blos die Zellenform er-halten und die ganze Holzsubstanz in Bernstein ver-wandelt; zuweilen ist der Bernstein mit den Ueber-resten der Holzzellen wie mit Sägespänen ganz ange-füllt. Auch der Abdruck der Holzzellen ist auf demBernstein erkennbar. Die gekrümmten Berusteinplattensind solche, die zwischen den Jahresringen des Baum-stammes gelegen sind, während die ebenen Platten inder Eichtung der radialen Markstrahlen ausgeschiedenwurden und die Jahresringe des Baumstammes im Quer-schnitt zeigen. Aycke hat ferner gezeigt, dass der ganzundurchsichtige weisse und der ganz durchsichtige gelbeBernstein von ein und demselben Baume und zugleicher Zeit bei dem Harzerguss sich gebildet hat;denn dieser Unterschied findet sich an einem und dem-selben Stücke theils schichtenweise begrenzt, theils un-begrenzt vor. Aus der äusseren Form der Harzstückelässt sich ferner schliessen, dass das Harz theils zäh-flüssig und fadenziehend, theils so dünnflüssig her-auskam, dass Spinnennetze und Insecten mit aus-gebreiteten Flügeln darin unzerstört erhalten wor-den sind.

Ein anderer Forscher, Dr. Behrendt in Danzig, hatseine Untersuchungen auf die im Bernstein erhaltenenThiere und Pflanzen gerichtet, und bereits 1830 meh-rere Pflanzen bestimmt. Seit 1845 machte er diese Un-tersuchungen gemeinschaftlich mit Prof. Göp pert. DieserLetztere gab der Bernsteinfichte den Namen Pinus suc-cinifera oder Pinites succinifer, und unterschied in der

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Bernsteinllora Behrendts schou 54 Püauzenarten, welcheZahl bis 1853 auf 163 stieg.

Begreiflicherweise sind im Bernsteine jene Theileam häufigsten erhalten worden, welche zu bestimmtenZeiten regelmässig herabfielen, oder vom Winde- leichtlosgerissen wurden, also: einzelne Nadeln der Coniferen,Blüthenkatzchen, Zweigstückchen, zuweilen auch Blätterund Blüthen. In der Bernsteinfiora finden wir nachGöpperts Bestimmungen: Eine Birke, eine Erle, eineHainbuche, eine Pappel, zwei Buchen, sieben Eichen,drei Weiden, gegen 30 Tannen und Fichten, 20 Cy-pressen- und Thujaarten, eine Kastanie und eine Akazie,ferner 16 Pilze, eine Alge, 12 Flechten, 11 Lebermoose,19 Laubmoose, ein Farrenkraut, die Heidelbeere u. s. w.

Das Bernsteinhfirz wurde wahrscheinlich Avie beiden jetzigen Harzbäumen an den Wurzeln angesammeltund ausgeschieden, theils tropfte es von den Zweigenherab und bildete die beim Bernsteine so häufig vor-kommenden Zapfen- oder Tropfenformen, fiel auch aufabgefallene am Boden liegende Blätter, deren Form unsim Abdrucke des Bernsteines erhalten worden ist.

Die Thierwelt des Bernsteinwaldes hat bereits ganz,die Formen der jetzigen Thierwelt gehabt, jedoch warensie zu Folge der Untersuchungen des Prof. Zaddach derArt nach, häufig sogar der Gattung nach, von derunserigen verschieden, welche Thatsache uns nach derDarwinschen Theorie kein Räthsel mehr ist. Die Fundeaus der Bernsteinfauna sind ausserordentlich zahlreichund gegenwärtig noch nicht vollständig verarbeitet.

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Bis jetzt sind beschrieben oder erwähnt worden:Crustaceen(krebsart.Thiere) 6 Arten in 4 GaltangenMyriopoden (Tausendfüsse) 33 „ „ 11 „Arachniden (Spinnen) ,. . . 205 „. „ 73 „Insecten (Fliegen, Ameisen,

Käfer, Schmetter-linge etc.) . . . . 779 * „ 1 7 4

Landschnecken 1 „ „ 1 „Zusammen 1024 Arten in 263 Gattungen

Da das Harz beim Ausfliessen dünnflüssig undwenig zäh war, so wurden nur kleinere Insecten darinfestgehalten, während die grösseren und stärkeren sichaus dem Harze befreien konnten; desshalb werden im Bern-stein nur sehr selten stärkere Insecten angetroffen, unddiese sind meisteus halb zerstört und auf einer Seite mitSchimmel überzogen; sie sind also bereits todt gewesen,als sie vom Bernsteinharz eingeschlossen wurden. Vögelmuss es im Bernsteinwalde auch gegeben haben, da esan Früchten und mehlreichen Körnern nicht gefehlthat; es wurde bisher nur einmal eine Yogelfeder imBernstein gefunden. Von Säugethierresten hat man nurein Büschel Haare gefunden, die man der Fledermauszuschreibt. Fische und Amphibien fehlen im Bernsteingänzlich, was leicht erklärbar ist; jedoch muss der Bern-steinwald trotzdem wasserreich gewesen sein, denn eswerden viele Neuroptern gefunden.

Wenn auch die sorgfältigsten Untersuchungenkeinen Zweifel mehr übrig lassen, dass der Bernsteindas fossile Harz einer ausgestorbenen Fichtenart ist;

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dass der Bernsteinwald auf der nördlichen Erdkugelweit ausgedehnt gewesen sein muss; so entsteht dieweitere Frage nach dem Bernsteinwalde selbst. Wirkennen seine ausserordentlichen Harzmassen, wir ken-nen so ziemlich seine Flora und Fauna; wo ist aberder Bernsteinwaid zu finden? In der blauen Erdedes Samlandes trifft man allerdings häufig Holzreste,die aus dem Bernsteinwalde herstammen, allein dieseHolzreste bestehen immer aus kleineu Zweigen undHolzsplittern, wie solche in jedem Walde oder Parkeauf dem Boden zu liegen pflegen. Auf den Bernstein-platten findet man deutlich den Abdruck der Holztexturdes Bernsteinbaumes, aber noch niemals ist einganzer Baumstamm, oder wenigstens ein gros-ser Theil desselben in der Berns te inschichtedes Samlaudes aufgefunden worden.

Herr Oberbergrath Runge lieferte eine sehr an-schauliche Berechnung von dem Bernsteinreichthumeder. Ostsee, aus welchem sich auf die hiezu nöthigeGrosse des Bernsteinwaldes schliessen lässt. Wird derjährliche Auswurf der Ostsee nur mit 40.000 Pfund an-genommen, und rechnet man nur 3000 Jahre zurück, sohat die Ostsee während dieses Zeitraumes 12 MillionenCentner Bernstein geliefert. Der Bernstein am Festlandelässt sich gleichfalls annähernd abschätzen. Die Ab-lagerung der blauen Erde ist auf 10 Meilen Länge und2 Meilen Breite nachgewiesen; dies ergibt 20 Quadrat-meilen = 11.520 Millionen. Q,uadratfuss, respectivebei einer Mächtigkeit von durchschnittlich 10 Fuss,

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115.200 Millionen Cubikfuss. Ein Cubikfuss blauer Erdeenthält gewöhnlich '/l2 Pfund Bernstein; es dürften so-mit in der bisher bekannten Bernsteinschichte noch96 Millionen Centner Bernstein enthalten sein. Hiezukommen noch die Massen Bernstein, welche seit Jahr-tausenden , wenn auch in geringerer Menge, von derNordsee und dem nördlichen Eismeere ausgeworfenworden sind. Aus dem weit über 100 Millionen Centnerbetragenden Bernsteinqxiantum, sowie a\is der Harzab-souderung der jetzigen Coniferen, lässt sich nun auf dieGrosse des dazu nöthig gewesenen Bernsteinwaldesschliessen; ein Problem, welches zu lösen für Botanikerund Forstmänner keine Schwierigkeit darbieten würde.Wo sind nun die Stamme dieses ungeheuren Waldes ab-gelagert worden? Darauf muss die Naturforschung leidereinfach antworten: Wir wissen es dermalen nochnicht.

Man hat den gesuchten Bernsteinwald in der sam-ländischen Braunkohlenablagerung zu finden vermeint,was aber durchaus nicht zutrifft. Die genannte Braun-kohlenablagerung ist jüngeren Datums; die Flora der-selben weist auf ein wärmeres Klima hin, und ist aus-serdem von jener des Bernsteinwaldes verschieden. Derhäufigste Baum dieser Braunkohlenablagerung ist einePappel, aber keine Fichte, und man müsste dochhäufig Reste der Bernsteinbäume und den zwischen denHolzschichten ausgeschiedenen Bernstein antreffen, wenndie genannte Braunkohlenablagerung sich aus dem Bern-steinwalde gebildet hätte. So sehr die neuere Naturfor-

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schung unsere Kenntnisse über die Herkunft des Bern-steines bereichert hat, so stehen wir andererseits be-züglich des Verbleibes des Bernsteinwaldes noch voreinem völlig ungelösten Bäthsel. Wir können dermalennur annehmen, dass der Bernsteinwald noch in der Ost-see, Nordsee, im nördlichen Eismeere, u. s. w. verborgenliege; eine gänzliche Zerstörung und Zerstreuung des-'selben ist nicht recht plausibel.

Wie wir bezüglich des Verbleibes des Bernstein-waldes noch in gänzlicher TJnkenutniss sind, ebenso istes wissenschaftlich noch nicht sichergestellt, welchemUmstände der Bernstein seine jetzigen Eigenschaften,nämlich den aromatischen Geruch und die TJnlÖslichkeit.in Alkohol, im Gegensatze zu den jetzigen Harzen, ver-dankt, d. h. ob er diese Eigenschaften schon ursprüng-lich als Harz gehabt, oder erst durch die Fossilisa tionerhalten habe.

Noch sei erwähnt, dass Herr Obermedicinalrath,Professor Göppert in Breslau, vor 20 Jahren Versuchegemacht hat, Bernstein aus Harz künstl ich herzustellen.Er liess Fichtenharz nebst Fichtenzweigen drei Monatelang in Wasser von 65—80° Wärme liegen. Das so be-handelte Harz roch nicht mehr terpentinartig, sondernangenehm balsamisch, war also dem Bernsteine schonähnlicher, aber es löste sich noch im Alkohol auf, wasbeim Bernstein nicht der Fall ist. Ein anderes Harz,venetianischer Terpentin, mit Lärchenbaumzweigen einganzes Jahr hindurch ununterbrochen in warmem Wässergelegen, verlor auch theilweise die Auflöslichkeit im

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Alkohol, war also dem Bernstein noch näherstehender.Seither verlautete nichts mehr über diese Versuche undman ist dem künstlichen Bernstein noch immer „auf<3er Spur".

Es würde mich lebhaft freuen, wenn mir durchmeinen Vortrag der Beweis der Eingangs aufgestelltenBehauptung gelungen wäre; wenn ich wieder einmal ge-zeigt haben sollte, wie viel Schönes und Lehrreichesdie "Wissenschaft über die vermeintlich unscheinbarstenGegenstände zu berichten weiss. Allerdings konnte ichdiesmal kein grossartiges Gemälde vorführen, aber wieuns in einer Bildergallerie nach dem Anschauen der ge-nialsten Kunstschöpfungen ein Stillleben, ein Genrestückdoppelt wohlthuend anheimeln, so dürfte vielleicht meinheutiger Vortrag eine ähnliche Wirkung bei Ihnen her-vorrufen, und ich bitte Sie, hochverehrte Anwesende,denselben als ein solches, mit Liebe und Fleiss ausge-arbeitetes Miniaturbild freundlichst aufzunehmen.

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