9
6 Natürlich | 8-2007 E s ist der 17. Mai 2006. Ruhig liegt der amerikanische Flug- zeugträger USS Oriskany vor der Küste Floridas. Die Spreng- ladungen sind gezündet, vereinzelt stei- gen grau-schwarze Rauchschwaden aus dem Rumpf des Kriegsschiffes auf. Am blauen Himmel kreist ein Helikopter, Fotos werden geschossen. Der Untergang der USS Oriskany wurde sorgfältig ge- plant. Im Jahr 1975 wurde sie ausran- giert, jetzt soll sie ihre letzte Ruhestätte finden. Nach etwas mehr als einer halben Stunde ist vom rund 270 Meter langen Schiff nichts mehr zu sehen. Nur ein riesiger weisser Blasenteppich lässt er- ahnen, wo es untergegangen ist. Was wie illegale Abfallentsorgung aus- sieht, wird staatlich gefördert. Die USS Oriskany soll – wie unzählige andere aus- rangierte Schiffe, U-Bahn-Wagen oder Betonmodule – als künstliches Korallen- riff mehr Leben in die Unterwasserwelt bringen, denn den natürlichen Riffen geht es immer schlechter. Korallenriffe sind die grössten von Lebe- wesen geschaffenen Bauwerke der Erde. Das längste aller Riffe ist das 2300 Kilo- meter lange Great Barrier Reef vor der Nordostküste Australiens. In jahrhunder- telanger Arbeit haben die Korallen das Riff aus Kalk aufgebaut, den sie als schüt- zendes Skelett ausscheiden. Die Korallen- polypen leben in Symbiose mit einzelli- gen Algen, sogenannten Zooxanthellen, die im Inneren der Korallen leben und Fotosynthese betreiben. Den daraus ge- wonnenen Sauerstoff und Zucker geben die Algen den Korallen und erhalten von diesen im Gegenzug Nährstoffe. Auch die leuchtenden Farben der Korallen kom- men durch die Zooxanthellen zustande – ohne die Algen wären die Polypen weiss. Korallenriffe sind regelrechte Unter- wasserparadiese, in denen zahlreiche Tiere und Pflanzen leben. So siedeln sich zwischen den Korallenstöcken Moos- tierchen, Röhrenwürmer und Muscheln an, die ebenfalls Kalk ausscheiden und so zum Aufbau des Riffs beitragen. Zwi- Den Riffen der Welt geht es schlecht. Versenkte Schiffe, U-Bahn-Waggons und Betoniglus sollen ihnen wieder auf die Beine helfen, indem sie Korallenbewohnern neuen Lebensraum bieten. Die Resultate dieser Bemühungen sind durchzogen – lassen aber hoffen. Text: Katharina Schöbi

Den Riffen der Welt geht es ... - natuerlich- · PDF fileAnker auswerfen, werden die Riffe ... Ein zu starker Algenbewuchs verhindert ... Die Form der Betoniglus kann an den

Embed Size (px)

Citation preview

6 Natürlich | 8-2007

Es ist der 17. Mai 2006. Ruhigliegt der amerikanische Flug-zeugträger USS Oriskany vorder Küste Floridas. Die Spreng-

ladungen sind gezündet, vereinzelt stei-gen grau-schwarze Rauchschwaden ausdem Rumpf des Kriegsschiffes auf. Amblauen Himmel kreist ein Helikopter,Fotos werden geschossen. Der Untergangder USS Oriskany wurde sorgfältig ge-plant. Im Jahr 1975 wurde sie ausran-giert, jetzt soll sie ihre letzte Ruhestättefinden. Nach etwas mehr als einer halbenStunde ist vom rund 270 Meter langenSchiff nichts mehr zu sehen. Nur einriesiger weisser Blasenteppich lässt er-ahnen, wo es untergegangen ist.

Was wie illegale Abfallentsorgung aus-sieht, wird staatlich gefördert. Die USSOriskany soll – wie unzählige andere aus-rangierte Schiffe, U-Bahn-Wagen oderBetonmodule – als künstliches Korallen-riff mehr Leben in die Unterwasserweltbringen, denn den natürlichen Riffengeht es immer schlechter.

Korallenriffe sind die grössten von Lebe-wesen geschaffenen Bauwerke der Erde.Das längste aller Riffe ist das 2300 Kilo-meter lange Great Barrier Reef vor derNordostküste Australiens. In jahrhunder-telanger Arbeit haben die Korallen dasRiff aus Kalk aufgebaut, den sie als schüt-zendes Skelett ausscheiden. Die Korallen-polypen leben in Symbiose mit einzelli-gen Algen, sogenannten Zooxanthellen,die im Inneren der Korallen leben undFotosynthese betreiben. Den daraus ge-wonnenen Sauerstoff und Zucker gebendie Algen den Korallen und erhalten vondiesen im Gegenzug Nährstoffe. Auch dieleuchtenden Farben der Korallen kom-men durch die Zooxanthellen zustande –ohne die Algen wären die Polypen weiss.

Korallenriffe sind regelrechte Unter-wasserparadiese, in denen zahlreicheTiere und Pflanzen leben. So siedeln sichzwischen den Korallenstöcken Moos-tierchen, Röhrenwürmer und Muschelnan, die ebenfalls Kalk ausscheiden undso zum Aufbau des Riffs beitragen. Zwi-

Den Riffen der Welt geht es schlecht. Versenkte Schiffe,

U-Bahn-Waggons und Betoniglus sollen ihnen wieder auf

die Beine helfen, indem sie Korallenbewohnern neuen

Lebensraum bieten. Die Resultate dieser Bemühungen sind

durchzogen – lassen aber hoffen.

Text: Katharina Schöbi

Natürlich | 8-2007 7

Künstliche Riffe NATUR

8 Natürlich | 8-2007

Künstliche RiffeNATUR

schen den verzweigten Korallenästenfinden junge Fische und kleinere Tierewie Krebse Schutz vor Feinden.

Riffe dienen jedoch nicht nur alsLebensraum, sondern verhindern alsWellenbrecher auch eine zu starke Ero-sion der Küsten. Seit einigen Jahrzehntenallerdings leiden die empfindlichen Öko-systeme stark unter dem Klimawandel,den Düngemitteln, der Fischerei und demTourismus. Mehr als 60 Prozent allerRiffe sind bereits beschädigt. Dadurchwird die Artenvielfalt stark reduziert,denn das Absterben der Korallen führtüber kurz oder lang unweigerlich zumTod der anderen Lebewesen im Riff.

Landwirtschaft zerstört KorallenFür Korallen sind Wassertemperaturenzwischen 18 und 30 Grad optimal. Beihöheren Temperaturen, wie sie heutewegen des Klimawandels vermehrt vor-kommen, stossen die Polypen die Zoo-xanthellen ab und bleichen aus. Bleibtdie Wassertemperatur über längere Zeiterhöht, sterben die Korallen.

Ebenfalls zu schaffen macht ihnender hohe Eintrag von Düngemitteln. DieChemikalien schwächen einerseits dasImmunsystem der Tiere und machen sieso anfälliger für Krankheiten, anderseitsführen sie zu einem stärkeren Algen-wachstum. Dadurch werden die Zooxan-thellen vom Sonnenlicht abgeschirmt,können keine Fotosynthese mehr betrei-ben und ihre Wirte nicht mehr mit Nähr-stoffen versorgen.

Fischen mit DynamitNicht unterschätzt werden dürfen auchdie Auswirkungen der Fischerei. Bei derSchleppnetzfischerei etwa werden dieRiffe durch die Netze beschädigt, die überden Meeresboden geschleift werden.Noch verheerender ist die Dynamitfische-rei, bei der Sprengstoff ins Wasser gewor-fen und dann gezündet wird, woraufhindie Fische an die Wasseroberfläche trei-ben und nur noch abgeschöpft werdenmüssen. Dabei werden aber nicht nurFische getötet, sondern auch zahlreicheandere Tiere und Pflanzen. Und natürlichbleiben auch die Korallen nicht ver-schont.

Der Tourismus setzt den Korallen-riffen ebenfalls stark zu. So werden zumBeispiel Schneisen in die Korallenriffe ge-sprengt, damit die Touristenboote durch-fahren können, und wenn die Schiffe ihreAnker auswerfen, werden die Riffe eben-falls stark beschädigt. Doch damit nichtgenug: Touristen brechen oft Korallen-zweige ab, um sie als Souvenir mit nachHause zu nehmen. Da die Fische ausser-dem mit Futter angelockt werden, habensie keinen Hunger und fressen die auf denKorallen wachsenden Algen nicht mehr.Ein zu starker Algenbewuchs verhindertallerdings die Fotosynthese der Zooxan-thellen, was wiederum das Überlebender Korallen gefährdet.

Legale Mülldeponie im MeerSeit Jahrzehnten werden künstliche Riffegebaut, um der Unterwasserwelt wiederauf die Beine zu helfen – und damit nichtzuletzt auch um den Tourismus zu för-dern und den Hobbyfischern neue Angel-möglichkeiten zu bieten. Laut JeffreyTinsman, dem Koordinator des Projektsfür künstliche Riffe des Delaware Depart-ment of Natural Resources in Dover, wur-

Natürlich | 8-2007 9

Künstliche Riffe NATUROb alte Wracks oder Betonkegel:Nach wenigen Jahren sind die Fremdkörpervon Meereslebewesen besiedelt

Foto

: Ree

f Bal

l Fou

ndat

ion

den zum Beispiel vor den Küsten der US-Staaten Delaware, New Jersey, Georgia,South Carolina und Virginia bereits 1269ausrangierte U-Bahn-Wagen im Atlantikversenkt; vor der Küste Delawares liegenzudem acht und vor New Jersey mehrals 130 Schiffe. In den nächsten zehnJahren würden rund 2450 weitere U-Bahn-Wagen folgen.

«In diesen Gebieten gibt es nur sehrwenige Felsen», erklärt Tinsman. Geradeharte Materialien aber seien für Austern,Miesmuscheln und andere Wirbellosesehr wichtig. Diese wiederum seien dieNahrungsgrundlage für viele Fischarten.Tinsman betont jedoch, dass die ausran-gierten Fahrzeuge in Delaware nur anganz bestimmten Stellen versenkt wür-den, die weniger als ein Prozent der anden Bundesstaat angrenzenden Meeres-bodenfläche ausmachten. «Wir greifenauf einer sehr kleinen Fläche ein, um einekarge, verarmte Tierwelt in eine reicheund vielfältige Fauna zu verwandeln»,sagt er.

Am Rost scheiden sich die GeisterDie Deponierung der ausrangierten U-Bahn-Wagen und Schiffe geht laut Tins-man nicht auf Kosten des Umwelt-schutzes: «Wir beurteilen zusammen mitden Armeeingenieuren und dem Küsten-schutz jedes Fahrzeug nach seiner Stabi-lität, Haltbarkeit und Giftigkeit.»

Bevor eines versenkt werde, werde esgereinigt und die Fahrgestelle, Türenund Fenster würden entfernt, ebensodie Kältemittel aus den Klimaanlagen,die Transformatoren, Schilder, Vinylsitzeund Glasfaserteile. «Zurück bleibt ein18 Tonnen schweres Gehäuse mit vielenÖffnungen, durch die das Wasser strö-men kann und die Fische schwimmenkönnen», sagt Tinsman.

Künftig sollen zudem nur rostfreieStahlwaggons ohne Farbanstriche oderandere Beschichtungen als künstlicheRiffe eingesetzt werden. Dies, obwohlrostende Metalle für die Tiere kein Pro-blem seien, wie man an den Hundertenvon Schiffswracks aus dem Zweiten Welt-krieg sehen könne. Im Allgemeinenwürden sich Wirbellose leicht an Stahl-gerüste anlagern und in der Folge dasRosten des unter ihnen liegenden Stahlsverlangsamen.

Helmut Schuhmacher, emeritierterProfessor von der Universität Duisburg-Essen, ist anderer Meinung. «Ich habeviele Wracks auf ihre Besiedlung hinuntersucht, so etwa diejenigen beim AtollChuuk im Pazifik, wo 1945 viele japani-sche Schiffe einem Luftangriff zum Opferfielen», berichtet der Biologe. Noch heutekümmerten Korallen, wo der Rost aus-blühe. Allgemein sei die Besiedlung spär-lich und zudem nur dort erfolgt, wo Kalk-algen oder Muscheln eine vermittelndeKalkschicht ausgeschieden hätten.

Zwischen Kunst und NaturSelbst wenn die Besiedlung (rostfreier)künstlicher Riffe aber rasch und erfolg-reich wäre: Könnten die Hartstrukturenauch natürliche Riffgemeinschaften nach-ahmen? Dieser Frage ist Yehuda Bena-yahu von der Tel-Aviv-Universität nach-gegangen. Zusammen mit seinen Mit-arbeitern hat der Zoologe die Fauna einesnatürlichen Korallenriffs im Roten Meermit derjenigen auf einem mitten in die-sem Riff liegenden Wrack eines Schiffesverglichen, das bereits 1881 gesunkenwar.

Die Wissenschafter stellten fest, dasssich die untersuchten Artengemeinschaf-ten unterscheiden, und zwar insbeson-dere dort, wo die Strukturen der beidenRiffe voneinander abweichen. Laut Bena-yahu sind die räumliche Lage der Riffesowie deren Komplexität und Oberfläche

entscheidend. «Wenn sich diese Merk-male unterscheiden, werden künstlicheund natürliche Riffe immer unterschied-liche Artengemeinschaften aufweisen»,betont der Forscher. Ein komplexes undnaturgetreu gestaltetes künstliches Riffindes könne die Artenvielfalt auf diesem– und womöglich sogar in der ganzenRegion – erhöhen.

Betoniglus für Nemo undseine FreundeDie Lebewesen können sich laut JeffreyTinsman an den langlebigen Materialiender künstlichen Riffe während Jahrhun-derten anlagern. Und selbst wenn dieausrangierten Fahrzeuge schliesslich voll-ständig zerstört oder begraben wordenseien, könne die entstandene Riffgemein-schaft weiterleben, meint er.

So verlockend diese Idee auch klingenmag: Ökologen klagen, der Bau künstli-cher Riffe sei lediglich eine billige Mög-lichkeit, Abfall zu entsorgen. Die ameri-

10 Natürlich | 8-2007

Künstliche RiffeNATUR Korallenpracht: Im Meer versenkte U-Bahn-Wagons

sollen die Artenvielfalt erhalten helfen

kanische Reef Ball Foundation hat dahersogenannte Reef Balls entwickelt: hohle,mit Löchern durchsetzte Betoniglus, dieals künstliche Riffe nicht nur Korallen,sondern auch zahlreichen anderen Orga-nismen als neue Lebensräume dienen sol-len. Die Reef Ball Foundation hat lautihrem Vorsitzenden Todd Barber bisher inmehr als 55 Ländern insgesamt mehr alseine halbe Million Reef Balls versenkt.

Die Betoniglus sind in zehn verschie-denen Grössen erhältlich. Die kleinstensind weniger als 50 Zentimeter gross und15 Kilogramm schwer, die grössten kom-men mit mehr als 2 Meter Höhe auf einGewicht von 3000 oder mehr Kilogramm.Die Durchbrüche in den Betoniglus sindverschieden gross, unterschiedlich ge-formt und unregelmässig angeordnet.Dies sowie die raue Oberfläche mit vielenVertiefungen, welche die natürlichen Ver-hältnisse bestmöglich nachahmen, sollendie Besiedlung der Reef Balls fördern.

Die Form der Betoniglus kann an denjeweiligen Einsatz angepasst werden. So

gibt es Reef Balls, die aussehen wieSchichttorten und so einen besondersstark verwinkelten Lebensraum darstel-len. Andere sind zu kleinen Kugeln ge-formt, die – mit Erde und Dünger gefüllt– zur Anpflanzung von Mangrovenbäu-

men eingesetzt werden. Zwischen denPflanzen finden Fische einen geeignetenLebensraum und zudem stabilisieren dieBetontöpfe sowie später die Mangroven-wurzeln den Meeresboden und schützenso vor Erosion.

Der schnelle Einzug der neuen MieterIn Deutschland stellt die Firma MariLimReef Balls her. Im Jahr 2001 schuf Mari-Lim vor Kiel das erste künstliche Riff inder Ostsee aus zwölf Reef Balls. «ImKüstenbereich der Ostsee ist Hartbodeneine sehr begehrte Ressource, weshalbwir mit einer raschen Besiedlung rechne-ten», erklärt Stefan Krause von MariLim.Dazu sollte auch der spezielle Beton bei-tragen, dessen pH-Wert im Gegensatz zudemjenigen von unbehandeltem Betondemjenigen des Meerwassers entspricht.

In der Tat erfolgte die Besiedlungrasch: «Bereits eine Woche nach der Ver-senkung der Betoniglus hatten sich auf

Natürlich | 8-2007 11

Künstliche Riffe NATUR

Natürlich | 8-2007 11

Letzte Ruhestätte im KorallenriffUm Sponsoren für die Errichtung der Reef

Balls zu finden, hat sich die amerikanische

Firma Eternal Reefs in Florida etwas ganz

Besonderes ausgedacht: Sie verkauft soge-

nannte Memorial Reefs, mit denen man

selbst nach seinem Ableben noch etwas für

die Unterwasserwelt tun kann. Nach dem

Tod wird die Asche des Verstorbenen mit

Beton vermischt und mit diesem anschlies-

send ein Reef Ball konstruiert. Angehörige

dürfen ihre Handabdrücke oder auch eine

Nachricht auf dem sich härtenden Beton

hinterlassen; auf einer Bronzetafel werden

Name und Lebensdaten des Verstorbenen

eingraviert.

Ein künstliches Riff als letzte Ruhestätte

hat allerdings seinen Preis: Je nach Grösse

kostet es zwischen 3995 und 6495 Dollar,

ein Memorial Reef für Haustiere gibt es

für 695 Dollar. Für weitere 20 Dollar können

die Hinterbliebenen ein Dokument er-

stehen, auf dem die genaue Position des

Memorial Reefs vermerkt ist.

diesen grüner Darmtang sowie Borsten-würmer angesiedelt, und im Innern ha-ben sich oft Gemeine Strandkrabbenaufgehalten», berichtet der Biologe. Nachweiteren zwei Wochen seien junge Mies-muscheln und Seepocken gefunden wor-den. Auch zahlreiche Seesterne sowieSeeskorpione seien beobachtet worden,und Seescheiden hätten das Innere derBetonkugeln besiedelt. Aber auch ver-schiedene Fischarten hätten die Hart-strukturen rasch als neuen Lebensraumangenommen, sagt Krause.

Wellenbrecher mit TurboeffektWerden Reef Balls als Wellenbrecher ein-gesetzt, wird nicht nur neuer Lebensraumgeschaffen, sondern gleich auch die Ero-sion der Küste abgeschwächt. Das welt-

weit grösste künstliche Riffsystem, dasals Wellenbrecher dient, wurde von Reef-beach, einer Tochtergruppe der Reef BallFoundation, geschaffen. Es besteht aus1200 Betoniglus und liegt vor der kari-bischen Insel Maiden Island.

Nachdem die Reef Balls auf demMeeresgrund platziert worden waren,wurden gezüchtete Jungkorallen in sieeingepflanzt, um die Entwicklung deskünstlichen Riffs zu fördern. «WährendRiffe normalerweise mehrere hundertJahre benötigen, um sich zu entwickeln,kann mit Hilfe der Korallenstecklingeinnerhalb weniger Jahre ein voll funktio-nierendes Korallenriff entstehen», erklärtTodd Barber.

Um zusätzliche Komplexität undLebensraum für kleine Fische zu schaf-fen, wurden die Betoniglus teilweise mitSteinen gefüllt. Offene Böden sollten

ausserdem gewährleisten, dass Seegras-wiesen, die vielen Tieren als Kinderstubedienen, auch in den Betonkonstruktenwachsen konnten. In viele Reef Ballswurden auch Rote Mangroven gepflanzt –insgesamt mehr als 7000 Stück. Das Pro-jekt vor Maiden Island war laut Reef-beach so erfolgreich, dass das neue Öko-system möglicherweise sogar unterSchutz gestellt wird.

Riffe nach dem Fertighausprinziplaut Michael Moore aus Jackson Wyo-ming – nicht zu verwechseln mit demgleichnamigen Regisseur – haben her-kömmliche künstliche Riffe aus ausran-gierten Fahrzeugen, Reifen oder Beton-klötzen allerdings einen grossen Nachteil:«Sie verwandeln sich oft in bizarre Unter-

12 Natürlich | 8-2007

wasserschandflecke von erstaunlicherDauerhaftigkeit», sagt der Biologe. Vorallem für Ferienorte oder marine Schutz-zonen mit klarem Wasser seien sie dahereine schlechte Wahl.

2001 gründete Moore die Firma EcoReefs, die gleichnamige künstliche Hart-strukturen insbesondere zum Wiederauf-bau beschädigter Korallenriffe herstellt.Die Eco Reefs bestehen aus einzelnenModulen aus gebrannter und unglasierterKeramik, die möglichst naturnah gestal-tet sind: Ihre stachelige Struktur gleichtKorallenästen, gerillte Oberflächen er-zeugen kleine Turbulenzen, welche dieStrömung abbremsen und so die Stabili-sierung des Sedimentes fördern, undMikroporen verbessern die Haftung derKorallen.

Die einzelnen Module können zukomplexen Riffsystemen zusammenge-

steckt werden, was die Besiedlung för-dern soll. «Stark zerstörte Korallenriffebrauchen 50 bis 100 Jahre oder noch län-ger, um sich zu erholen», sagt Moore. Mitden Eco Reefs könne diese Zeit auf viel-leicht 7 bis 15 Jahre verkürzt werden. DieBeobachtungen des Biologen lassen tat-sächlich hoffen: Bei einem Projekt inIndonesien, bei dem Eco Reefs ein durchDynamit zerstörtes Riff aufbauen sollten,wurden zwischen den künstlichen Struk-turen bereits nach wenigen Monatenverschiedene Fischarten und nach zweiJahren auch kleine Korallenkolonien be-obachtet.

Ein Riff steht unter StromEin Nachteil der Eco Reefs und Reef Ballsist allerdings, dass sie an Land produziertund dann zum Einsatzort transportiertwerden müssen. Die künstlichen Riffe in-des, die mit der vom deutschen Architek-ten Wolf Hilbertz in den 1970er-Jahrenentwickelten und von der meeresbio-logischen Arbeitsgruppe der UniversitätDuisburg-Essen verfeinerten Ercon-Tech-nologie (Electrochemical Reef Construc-tion) hergestellt werden, werden vor Ortaufgebaut und in die jeweilige Unterwas-serlandschaft eingepasst.

Dazu wird an beliebig geformtenDrahtgittern ein Gleichstrom angelegt,der umweltfreundlich mit Fotovoltaik-zellen oder Windgeneratoren erzeugtwerden kann. Durch den Strom werdenim Meerwasser gelöste Kalzium- undMagnesiumionen an den Gittern abge-schieden und es entstehen harte Krusten,die natürlichem Riffkalk sehr ähnlichsind. «Unsere Versuchsmodule wurdenso in wenigen Monaten mit einer mehrereMillimeter dicken Kalkkruste überzo-gen», berichtet Helmut Schuhmacher,der sich seit 1985 mit Ercon beschäftigt.

Bei Misserfolg einfach umpolenDa die ins Wasser ragenden Gitter gutvon Meerwasser durchströmt würden,blieben Larven rasch daran hängen. Bissich aber eine ansehnliche Organismen-gemeinschaft angesiedelt habe, dauere esallerdings zwei bis vier Jahre, sagt derBiologe. Um den Besiedlungsprozess zubeschleunigen, können in die Drahtgitterwie in die Reef Balls und Eco Reefs auchTeile lebender Korallen eingefügt werden.Untersuchungen im Ras-Mohammed-Nationalpark in Ägypten zeigten, dass diemeisten dieser Korallenstecklinge über-

Natürlich | 8-2007 13

Künstliche Riffe NATUR

Reef Balls in Schweizer SeenIm September 2000 hat die Stiftung Project

Aware bei Wädenswil im Zürichsee zum ersten

Mal in Europa zwei Riffe im Süsswasser errich-

tet. Bereits nach zwei Tagen seien die ersten

Lebewesen auf den insgesamt 60 Betoniglus

beobachtet worden und innerhalb dreier

Monate sei der Beton vollständig bewachsen

gewesen, schreibt Project Aware in einem

Bericht aus dem Jahr 2002. Nach diesem Erfolg

wurden weitere Projekte im Langen-, Boden-,

Genfer- und Thunersee gestartet.

Aber: Im Zürichsee wurden die Betoniglus

Ende 2006 auf behördliche Anordnung hin

wieder entfernt. «Die Reef Balls wurden aus

dem See genommen, weil kein Gesuch für

eine Konzessionserneuerung mehr gestellt

wurde», sagt Christoph Noll vom Amt für

Abfall, Wasser, Energie und Luft Zürich. Ein

Tauchgang der Seepolizei habe zudem ge-

zeigt, dass sich nicht wie erhofft eine schüt-

zenswerte Flora entwickelt habe.

Karibisches Experiment:Vor der Insel Maiden Islandentsteht das bisher grösstekünstliche Riffsystem der Welt

Foto

s: R

eef B

all F

ound

atio

n

Natürlich | 8-2007 15

leben und weiterwachsen. «Nach vier Jah-ren ist das Drahtgitter schon nicht mehrals solches zu erkennen, sondern er-scheint als bunter, dichter Bestandvon Stein- und Weichkorallen», schwärmtSchuhmacher.

Ein entscheidender Vorteil der elektro-chemisch erzeugten Mineralkrusten ge-genüber Beton oder Kunststoff sei ihrnaturidentischer Charakter im Hinblickauf die Dynamik auf- und abbauender Pro-zesse. «Wie in einem natürlichen Koral-lenriff siedeln viele Tiere wie Bohrmu-scheln und Schwämme nicht nur auf derOberfläche, sondern dringen auch in dasInnere des Substrats ein», sagt Schuh-macher. Auch liessen sich beschädigte Stel-len durch erneutes Anlegen eines Gleich-stromes reparieren und die Anlage könnebei Bedarf einfach durch Umpolung desStromes aufgelöst werden. Das gehe wedermit Schiffswracks noch mit Reef Balls.

Einschränkungen für HobbytaucherAuch wenn es viele verschiedene Techno-logien zur Herstellung künstlicher Riffegebe, verfolgten alle dasselbe Ziel, istMichael Moore überzeugt: Der Unter-wasserwelt soll zu mehr Leben verholfenwerden. Selbst wenn dabei oft ökonomi-sche Kriterien eine grosse Rolle spielen,können die künstlichen Strukturen ins-besondere für beschädigte natürlicheRiffe von grossem Nutzen sein.

Solche Rehabilitationsmassnahmenmachen allerdings nur dann Sinn, wenndie Schädigungsursache nicht weiter an-dauert. «Der Bau künstlicher Riffe istdaher keine Alternative für ein gutesManagement der natürlichen Ressour-cen», betont Moore.

Laut Helmut Schuhmacher müssennachhaltige Riffschutzkonzepte Ökologieund Ökonomie verbinden. Der Tauch-tourismus oder die Riffnutzung könntennicht einfach verboten werden. Vielmehrsollten Riffschutzkonzepte entwickelt undumgesetzt werden, die sowohl die Bedürf-nisse der lokalen Bevölkerung nach Ein-kommen als auch die Erfordernisse desNaturschutzes vereinten. «Hierzu gehöreneinerseits die Einrichtung von Schutz-zonen mit abgestufter Zugangsregelungund anderseits die Schaffung von speziel-len Ersatzerlebnisräumen für Taucher»,erklärt Schuhmacher.

Künstliche Hartstrukturen auf Weich-boden schlägt der Biologe überall dortvor, wo es Sinn mache, dass Tauchanfän-ger ihre Übungen nicht in natürlichenRiffen durchführten. Nur durch die Ent-lastung der natürlichen Riffe werde eineTauchregion auch mittelfristig ihre At-traktivität und damit ihren ökonomi-schen Wert erhalten.

Köder für die FischereiwirtschaftDie Fischereiwirtschaft bezeichnet lautSchuhmacher Strukturen als «künstlicheRiffe», die Schatten und Verstecke bietenund Fische anlocken – im Extremfall garnur ein Floss (floating reefs). Mit diesenStrukturen würden für die Fischerei in-teressante Arten an vorbestimmten Stel-len konzentriert und gleichzeitig werdeder Druck auf natürliche Riffe und andereschützenswerte Lebensräume reduziert.Allerdings drohe auf lange Sicht dadurchvielleicht die Gefahr einer Überfischungder Bestände an diesen Fischanlockungs-strukturen, meint der Biologe.

Ausserdem führt das Einbringen vonHartbodeninseln in ausgedehnte Weich-bodenflächen zu grossen ökologischen

Verschiebungen. So hätten zum BeispielRaubfische an der ostamerikanischenKüste von den künstlichen Riffen aus inweitem Umkreis Würmer, Seesterne undandere Weichbodenbewohner fast ausge-rottet, berichtet Schuhmacher. Der kurz-fristige Gewinn dieser künstlichen Riffe,zum Beispiel durch höhere Fischerei-erträge, verdränge beim Menschen leiderBedenken hinsichtlich der Unterwasser-ökologie – wenn solche überhaupt auf-treten sollten. Der USS Oriskany werdendaher wohl noch viele Fahrzeuge folgen,die ihre letzte Ruhestätte als künstlichesRiff auf dem Meeresgrund finden sollen. ■

Künstliche Riffe NATUR

INFOBOX

Literatur• Spalding/Ravilious/Green:

«Weltatlas der Korallenriffe», Verlag DeliusKlasing/Naglschmid 2004, Fr. 98.–

• «Im Reich der Meerestiere»Verlag Hans-Dieter Krone 2007, Fr. 5.50

• Halstead: «Riff-Führer Korallenmeer»Verlag Jahr Top Special 2000, Fr. 36.90

• Ritter: «Lebensraum Korallenriff»Verlag Ritter 2005, DVD, Fr. 36.70

Internet• www.oriskanyreef.com/• www.reefball.org/• www.reefball.com/• www.marilim.de• www.reefbeach.com/• www.ecoreefs.com/FAQ.php• www.uni-essen.de/nomatec/index_de.html• www.projectaware.org/• http://thunersee-riff.ch/• www.eternalreefs.com/

Tauchparadies: Überwucherte Wracks locken Unterwasser-Touristen an