33
1 (Laszlo_Sv ed.0506) Demokratie, Globalisierung und die nächste Stufe der Evolution der menschlichen Gesellschaft von Ervin Laszlo Am Ende des 20. Jahrhundert befinden wir uns in der Mitte eines raschen evolutionären Prozesses, den man korrekter Weise als Globalisierungs- prozess identifiziert. Dieser Prozess ist in höchsten Maße nicht-linear, voller plötzlicher Sprünge und Überraschungen und insgesamt irreversibel. Der grobe Kurs dieses Prozesses entspricht der Dynamik der Bifurkation, wie sie von Ilya Prigogine beschrieben wird, nämlich als die indeterministische Phase der Evolution von Nicht-Gleichgewichts- Systemen. Die Prigogine‘sche-Dynamik trifft insofern auch auf die menschliche Gesellschaft zu, als letztere verstanden werden kann als ein offenes System, das sich in einem Zustand befindet, der weit vom dynamischen Gleichgewicht entfernt ist [oder so verstanden werden kann]. Andererseits muss man bedenken, dass die menschliche Gesellschaft aus mit Bewusstsein ausgestatteten, individuellen Agenden besteht. So gesehen besitzt der sozial-evolutionäre Prozess zwei von einander unterschiedene, aber aufeinander bezogene Aspekte oder Dimensionen: 1) Eine äußere Dimension: diese kann auf die Begriffe der systemischen Evolution abgebildet werden oder durch systemische, evolutionäre Begriffe dargestellt werden. Und 2) eine innere „mentale” Dimension, welche üblicherweise der Gegenstand der Geschichte der Ideen ist und in einem weiteren Kontext der Geschichte der Zivilisation. Beide Aspekte oder Dimensionen manifestieren plötzliche Phasenübergänge, wie sie der Prigogineschen evolutionären Dynamik entsprechen.

Demokratie, Globalisierung und die nächste Stufe der ... · von Ervin Laszlo Am Ende des 20. Jahrhundert befinden wir uns in der Mitte eines raschen evolutionären Prozesses, den

  • Upload
    others

  • View
    1

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Demokratie, Globalisierung und die nächste Stufe der ... · von Ervin Laszlo Am Ende des 20. Jahrhundert befinden wir uns in der Mitte eines raschen evolutionären Prozesses, den

1 (Laszlo_Sv ed.0506)

Demokratie, Globalisierung und die nächste Stufe der Evolution

der menschlichen Gesellschaft

von Ervin Laszlo

Am Ende des 20. Jahrhundert befinden wir uns in der Mitte eines raschen

evolutionären Prozesses, den man korrekter Weise als Globalisierungs-

prozess identifiziert. Dieser Prozess ist in höchsten Maße nicht-linear,

voller plötzlicher Sprünge und Überraschungen und insgesamt irreversibel.

Der grobe Kurs dieses Prozesses entspricht der Dynamik der Bifurkation,

wie sie von Ilya Prigogine beschrieben wird, nämlich als die

indeterministische Phase der Evolution von Nicht-Gleichgewichts-

Systemen.

Die Prigogine‘sche-Dynamik trifft insofern auch auf die menschliche

Gesellschaft zu, als letztere verstanden werden kann als ein offenes

System, das sich in einem Zustand befindet, der weit vom dynamischen

Gleichgewicht entfernt ist [oder so verstanden werden kann]. Andererseits

muss man bedenken, dass die menschliche Gesellschaft aus mit

Bewusstsein ausgestatteten, individuellen Agenden besteht.

So gesehen besitzt der sozial-evolutionäre Prozess zwei von einander

unterschiedene, aber aufeinander bezogene Aspekte oder Dimensionen:

1) Eine äußere Dimension: diese kann auf die Begriffe der

systemischen Evolution abgebildet werden oder durch systemische,

evolutionäre Begriffe dargestellt werden. Und 2) eine innere „mentale”

Dimension, welche üblicherweise der Gegenstand der Geschichte der

Ideen ist und in einem weiteren Kontext der Geschichte der Zivilisation.

Beide Aspekte oder Dimensionen manifestieren plötzliche

Phasenübergänge, wie sie der Prigogineschen evolutionären Dynamik

entsprechen.

Page 2: Demokratie, Globalisierung und die nächste Stufe der ... · von Ervin Laszlo Am Ende des 20. Jahrhundert befinden wir uns in der Mitte eines raschen evolutionären Prozesses, den

2 (Laszlo_Sv ed.0506)

Die systemischen und evolutionären Begriffsbildungen betreffen die

äußere Dimension des gesellschaftlichen evolutionären Prozesses. Dieser

Prozess verbindet individuelle gesellschaftliche Einheiten mit inter-

systemischen Beziehungen und schließlich inter- und transsystemische

Strukturen. Im gesellschaftlichen Bereich ebenso wie in anderen

Komplexitätsbereichen erzeugt der Informationsaustausch Beziehungen

welche Strukturen erzeugen. Eine Reihe von Systemen (seien sie

biologisch, soziologisch oder ökologisch), die durch einen wachsenden

Informationsfluss verbunden sind, werden mit der Zeit verbunden und

zwar innerhalb der Zeit durch Energie und Materieflüsse. Im Falle von

menschlichen Gesellschaften erzeugen die Informationsbeziehungen einen

Fluss von kommerziellen Waren oder Gütern, Rohmaterialien,

Technologien, wissenschaftlichen und kulturellen Austausch und von

Menschen selbst. Ein Ergebnis ist dass sich informatorisch vernetzte

menschliche Gemeinschaften in Richtung auf eine Menge von Beziehungen

entwickeln, welche sie zusammenbringend auf einer neuen, höheren

Ebene gibt und zwar höheren Strukturen, die ein offenes evolvierendes

System … ihre eigene Art und Weise konstituieren.

Die Bildung von Systemen höherer Ebenen durch die Querverbindung von

vorher verhältnismässig autonomen Systemen, die dann zu den

emergenten Subsystemen des Systems werden, ist ein bekannter Begriff

in der dissipativen Systemtheorie. Die Suprasysteme emergieren durch

die Erzeugung von Hyperzyklen in denen die Subsysteme durch

transkatalystische Zyklen verbunden sind. Das Ergebnis ist, dass die

Subsysteme zunehmend voneinander unabhängig werden, während das

System das durch ihr Zusammenwirken konstituiert ist, an Autonomie

gewinnt.

Der gegenwärtige Prozess der Globalisierung ist Ausdruck dieses

Prozesses auf der transnationalen Ebene. Die Mehrheit von den über 190

Page 3: Demokratie, Globalisierung und die nächste Stufe der ... · von Ervin Laszlo Am Ende des 20. Jahrhundert befinden wir uns in der Mitte eines raschen evolutionären Prozesses, den

3 (Laszlo_Sv ed.0506)

Nationalstaaten der gegenwärtigen Welt behauptet die Souveränität ihrer

Menschen und zwar ausgeführt durch die gewählten Repräsentativa, aber

in der Praxis wird die Souveränität in zunehmenden Masse höchst

umschrieben, besser höchst problematisch.

Die Macht, ja sogar die Legitimität von Nationen von Staaten wird

angegriffen. Die nationalen Governments Regierungen haben nur eine

begrenzten Kontrolle über ihre nationalen Grenzen: Nicht nur alle Arten

von Waffen können diese Grenzen durchdringen, ebenso Information,

Waren und Menschen fließen über die nationalen Grenzen ohne effektive

Kontrolle durch die nationalen Autoritäten. Die Nationalstaaten sind auch

unfähig die Habilität ihrer Ökonomie abzusichern: Inter- und

transnationaler Austausch von Waren und Technologien sind meisten in

der Hand von transnationalen Unternehmen und sie sind lebensnotwendig

für die ökonomische Entwicklung. Die nationalen Regierungen sind

gegebenenfalls unfähig auch nur um die Integrität in ihren Teil der

Biosphäre abzusichern: Die Umweltschäden kennen keine Grenzen.

Gleichzeitig ist es so, dass die Unverletzlichkeit oder das Recht der nicht

Einflussnahme in nationale Angelegenheiten ein historisches Faktum wird.

Wie die derzeitigen multinationalen Interventionen im nahen Osten, im

fernen Osten, im mittleren Osten und auf dem Balkan gezeigt haben,

können die Regierungen keine unbegrenzte Souveränität realisieren,

hinsichtlich des Wohlbefindens ihrer und des Lebens ihrer Untertanen.

Wenn innerhalb eines Landes die Menschenrechte ernsthaft verletzt sind,

kann die internationale Gemeinschaft mit zunehmender Häufigkeit

handelnd eingreifen.

Der gegenwärtige Globalisierungs-Prozess ist Ausdruck dieses Prozesses

auf einer transnationalen Ebene. Die Mehrheit der über 190 National-

staaten der gegenwärtigen Welt beansprucht Souveränität für ihr Volk,

ausgeübt durch ihre gewählten Vertreter. In der Praxis wird diese

Page 4: Demokratie, Globalisierung und die nächste Stufe der ... · von Ervin Laszlo Am Ende des 20. Jahrhundert befinden wir uns in der Mitte eines raschen evolutionären Prozesses, den

4 (Laszlo_Sv ed.0506)

Souveränität ziemlich eingeschränkt. Die Macht, ja sogar die Legalität von

Nationalstaaten in Frage gestellt Die Kontrolle der nationalen Regierungen

über die nationalen Grenzen nimmt ab: Letztere sind nicht nur durchlässig

gegenüber allen möglichen Waffen, auch Informationen, Waren und

Menschen können ohne effektive Kontrolle durch die nationalen

Autoritäten über die Grenzen gelangen. Die Nationalstaaten sind auch

ungefähr die Existenz bzw. Lebensfähigkeit ihrer Ökonomie,

sicherzustellen [zu garantieren]: Der zwischen- und transnationale

Austausch von Waren und Technologien befindet sich hauptsächlich in der

Hand transnationaler Unternehmen und diese sind lebenswichtig für die

ökonomische Entwicklung. Die nationalen Regierungen sind ebenso

unfähig die Integrität ihres Teils der Biosphäre sicher zu stellen: die

Umweltverschmutzung (-und Zerstörung) kennt keine Grenzen.

Gleichzeitig wird die Unverletzlichkeit des Rechtes auf Nicht-Einmischung

in nationale Angelegenheiten in die Geschichte verwiesen. Wie bei

jüngsten multinationalen Interventionen in Nahen Osten, dem Mittleren

Osten und auf dem Balkan gezeigt haben, können Regierungen keine

uneingeschränkte Souveränität ausüben, wenn es um das Leben und das

Wohlergehen ihrer Menschen (ihres Volkes) geht. Wenn in einem Land die

Menschenrechte ernsthaft verletzt sind, kann (und in zunehmenden

Ausmaß tut sie das auch) die internationale Gemeinschaft eingreifen.

Der Prozess der globalisierenden Evolution (Globalisierung und Evolution)

führt von den Nationalstaaten zu regional integrierten Staaten-

gemeinschaften und schließlich zu interregionalen Gruppierungen welche

die politischen Richtlinien bestimmen, welche das Leben in den meisten

Teilen der Welt regulieren. Gleichzeitig führt der Prozess von lokalen oder

national verankerten Industrien und Handelsunternehmen zu hoch –

vernetzten Welt – umspannenden industriellen, kommerziellen und

finanziellen Imperien. Der Prozess führt zu einem System in dem die

National-Staaten zusammen mit transnationalen Unternehmen sub-

gesteuert sind.

Page 5: Demokratie, Globalisierung und die nächste Stufe der ... · von Ervin Laszlo Am Ende des 20. Jahrhundert befinden wir uns in der Mitte eines raschen evolutionären Prozesses, den

5 (Laszlo_Sv ed.0506)

Der Prozess der Entwicklung zur Globalisierung ist so wie jeder andere

System-Bildungs-Prozess auch gegründet in der Natur und in der

Geschichte. Aber er ist unvergleichlich schneller und tritt im Laufe einigen

Dekaden anstatt von Jahrhunderten oder Millenien auf. Folglich stellt er

enorme und bis jetzt unerfüllte Herausforderungen an die heutigen Völker

und Gesellschaften. Das zeigt sich auch in der Manifestation einer

Zeitverzögerung der inneren gegenüber der äußeren Dimension. Die

äußere Dimension ist, wie gerade bemerkt, der System-Bildungs-Prozess

in Richtung auf ein weltumspannendes und global interdependentes

sozioökonomisches und ökologisches System. Demgegenüber ist die

innere Dimension die ideative Dimension [die Dimension der Entwicklung

von Ideen/Vorstellungen]. Sie besteht in der Art und Weise wie die

Menschen den Prozess der Entwicklung zur Globalisierung und der Art und

Weise wie sie ihm in ihre Kultur internalisieren.

Die gesellschaftliche Evolution betrifft (involviert) sowohl die äußere, wie

auch die innere Dimension. Ihre Phase eines raschen Wandels ist

abgeschlossen, wenn die innere Dimension der Weltanschauung und des

Werte-Wandels aufschließen mit der äußeren Dimension des

gesellschaftlichen Informations – Struktur und Systembildungs-Prozesses.

Die „weichen” Aspekte des Wandels treffen gewöhnlich nach den „harten”

Aspekten auf. Wenn die weichen Aspekte bloß einfache Konsequenzen der

Veränderung wären, ausgelöst durch Innovationen in die harten Aspekte

der Werkzeuge mit operationalen Systemen, dann hätte die

Zeitverzögerung keine besondere Bedeutung. Aber die Rolle der weichen

Aspekte ist wichtig: Sie liefern die Basis für die Enkulturation von

Menschen und Gesellschaften im nächsten Stadium ihrer Evolution. Der

Gesamtprozess entspricht einer Prigoginischen Bifurkation. Dynamik,

deren Ergebnis durch die Vorbedingungen unterbestimmt ist. Der

entscheidende Wertewandel und Wandel der Weltanschauungen kann,

oder auch nicht, rechtzeitig kommen, kann oder auch nicht die

Page 6: Demokratie, Globalisierung und die nächste Stufe der ... · von Ervin Laszlo Am Ende des 20. Jahrhundert befinden wir uns in der Mitte eines raschen evolutionären Prozesses, den

6 (Laszlo_Sv ed.0506)

Gesellschaft im nächsten Stadium der Evolution in ihrer äußeren

Dimension stabilisieren. Selbst wenn der Gesamtkurs der gesellschaft-

lichen Entwicklung eine bestimmte Richtung manifestiert, bleiben lokale

Rückschläge und Abweichungen möglich.

Das aufeinanderfolgende Entfalten von Bifurkationen in der äußeren und

inneren Dimension einer Gesellschaft der Bifurkationen markiert die

Hauptstadien in der Evolution der westlichen Zivilisation, wie ihre nach-

folgende zusammenfassende Darstellung illustriert.

DIE EVOLUTION VOM MYTHOS ZUM THEOS

Die vorherrschenden Kulturen der Paleolithischen Neolithischen

Gesellschaft, Typen von gesellschaftlicher Organisation die mehr als 99%

der Gesellschaft des homo saphiens ausmachen waren äußerst

beständig/ausdauernd, aber als sich ihre äußeren Dimensionen

entwickelten, veranlasste dies auch eine Verzögerungen in ihrer inneren

Dimension.

Die harten Technologien, welche das Leben in der Steinzeit

kennzeichneten, waren einfach aber effektiv. Sie betrafen, sukzessive, die

Benutzung von Gegenständen die als Werkzeuge oder Waffen improvisiert

waren, das zweckorientierte Stilisieren von Werkzeugen und die

Standardisierung von Werkzeugen (z.B. Handäxte) je nach Tradition. Zu

den Technologien der Werkzeug-Erzeugung kamen die zur Kontrolle und

Beherrschung des Feuers hinzu, die Adaptierung und der Bau von

Unterkünften und die Beerdigung von Toten. Viel später um etwa

10.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung, traten dann andere Technologien

auf: Techniken zur Kultivierung von Pflanzen, zur Domestizierung von

Tieren, zum Weben und Tonerzeugung (oft auch mit dekorativen

Motiven). Bei Beginn des neolithischen Zeitalters gestatteten es diese

Page 7: Demokratie, Globalisierung und die nächste Stufe der ... · von Ervin Laszlo Am Ende des 20. Jahrhundert befinden wir uns in der Mitte eines raschen evolutionären Prozesses, den

7 (Laszlo_Sv ed.0506)

technologische Innovationen den normadischen Jägern und Sammlern in

stabilen Agrar-Gemeinschaften häuslich einzurichten. Sie hatten ihren

Ursprung in der Levante breiteten sich von dort nach Asien und Europa

aus.

Die innere Dimension der steinzeitlichen Gesellschaften entsprach der

Bedingung ihrer äußeren Dimension. Die neolithischen Völker besaßen

einen Reichtum an zoologischem und botanischem Wissen, das für die

erfolgreiche Kultivierung von Pflanzen und dem Kreuzen von Tieren

erforderlich war. Aber ihr Blickfeld endete nicht an den Grenzen der

praktischen Welt. Die neolithische Weltsicht war umfassend hinsichtlich

ihrer Dimensionen und ihrer Natur nach animistisch und spiritualistisch.

Der Geist war nicht von der Materie getrennt, die wirkliche Welt nicht von

der Traumwelt. Die Kräfte der Natur waren auch die Kräfte der Geister die

in Gegenständen, Pflanzen, Tieren und Menschen verkörpert waren. Die

ganze Welt hatte eine heilige Dimension. Kräfte von außerhalb und

oberhalb der Menschen agierten in und auf der Welt und beeinflussten

sowohl die Natur als auch die menschlichen Gemeinschaften. Die

steinzeitlichen Menschen verstanden sich selbst als Angehörige eines

dynamischen Universums und zwar mit sichtbaren und unsichtbaren

Kräften und Entitäten. Zeit und Raum waren Teil der natürlichen Ordnung.

Die Gegenwart hing zusammen mit einem lokalen Raum und die Zukunft

wurde gesehen als eine stetige Wiederholung der Rhythmen die in der

Gegenwart erfahren wurden. Es war bekannt, dass die Jahreszeiten

aufeinander folgten, aber es gab keine neuen Jahreszeiten. Alle Zeiten

sind schon erfahren gewesen.

Der Animismus war verbunden mit einem Totemismus – dem Glauben,

dass ein Gegenstand, ein Tier oder eine Pflanze als Emblem einer Familie

oder eines Clans und dessen Ahnenschaft dient – ebenso mit Riten und

Magie. Letztere waren sozial angepasste Techniken um die höheren Kräfte

Page 8: Demokratie, Globalisierung und die nächste Stufe der ... · von Ervin Laszlo Am Ende des 20. Jahrhundert befinden wir uns in der Mitte eines raschen evolutionären Prozesses, den

8 (Laszlo_Sv ed.0506)

des Kosmos anzuzapfen und den Menschen zu helfen, ihre gewünschten

Ziele zu erreichen.

Die Stammes-Gemeinschaften, die durch die Annahme steinzeitlicher

Weltanschauungen organisiert waren, hatten einen hohen Integrations-

grad. Das Individuum war ein wesentlicher Teil eines Clans oder eines

Stammes, der seinerseits eingebettet war in die Natur und beherrscht von

kosmischen Kräften. Natur und Mensch existierten nicht getrennt und

weniger noch als Gegensatz(paar). Die Menschen besaßen Empathie in

bezug auf alles dem sie begegneten.

Die Vielfalt der steinzeitlichen Glaubens- und Überzeugungssysteme – die

innere Dimension dieser Gesellschaften – passte zum Lebensstil der

Menschen und zu ihren Beziehungen zur Umwelt. Im Stadium des

paläolithischen Sammler und Jäger-Fischer-Zustandes dominierte das

männliche Prinzip und zwar in Übereinstimmung mit den Überlebens-

Prioritäten und Bedürfnissen der Zeiten. Danach, im Stadium der auf

Ackerbau gegründeten Nahrungs-Produktion wurde das weibliche Prinzip

dominant und reflektierte die neuen Beziehungen des Hirten und Bauern

zum Boden und zur Erde. Die irdische Fruchtbarkeit und Ergiebigkeit,

sexuelle Symbolismen und magische religiöse Rituale waren

bemerkenswert ähnlich, und zwar auch bei weit auseinanderliegenden

Völkern. Sie fanden ähnliche Ausdrucksformen in der Alten Welt von

Asien, und dem Mittleren Osten, ebenso in der Neuen Welt des

Mittelamerikas.

Das anscheinend unbegrenzte Durchhaltevermögen der steinzeitlichen

Gesellschaften kam zu einem Ende als sich die stetige Verbesserung ihrer

werkzeugbasierten Technologien veränderte und die Stammes-

Beziehungen zur Umwelt destabilisierte. Eine evolutionäre Bifurkation trat

ein als sich einige steinzeitliche Gesellschaften vereinigten, eine

hierarchische Struktur aufbauten und archaische Imperien konstituierten.

Page 9: Demokratie, Globalisierung und die nächste Stufe der ... · von Ervin Laszlo Am Ende des 20. Jahrhundert befinden wir uns in der Mitte eines raschen evolutionären Prozesses, den

9 (Laszlo_Sv ed.0506)

Die neolithischen Völker sammelten sich primär in den großen Fluss-

Tälern in Afro-Asien und dem Amerikanischen Kontinent und

zumindestens im ersteren Bereich erzeugte die Nutzung großer

Wassermengen durch verbesserte Bewässerungssysteme eine massive

Zunahme des Ernte-Ertrages. Metalle wie Kupfer und Bronze kamen in

Gebrauch, neue Methoden zur Vermessung der Grenzen von Land wurden

entdeckt und Kalender wurden erfunden, um die Zeit zu berechnen und

ebenso die Schrift zur Dokumentation und zur Kommunikation von

Botschaften. Das führte zu einer Zunahme der Bevölkerung, einer

Zunahme der Komplexität sozialer Organisationen und einer ansteigenden

Umweltbelastung durch Bevölkerungswachstum und sophistischeren

Gemeinschaften. In einigen Gebieten, wie z.B. in Sumer wurden Bäume

umgeschnitten, der Boden ausgelaugt und das Klima wurde trocken.

Dennoch breiteten sich eine Reihe von neolithischen Gemeinschaften aus

und ihre Dörfer wuchsen zu Städten an. Mit der Zeit wurden viele von

ihnen integriert in reiche ausgedehnte administrative Strukturen. Eine

neue Elite begann die städtischen Zentren zu bewohnen. Der Stammes-

Zirkel der steinzeitlichen Gemeinschaften ordnete sich der geschichtlichen

Pyramide des formal strukturalen Staates unter.

Die neuen Strukturen der sozialen Organisation spiegelten sich in der

Transformation der Werte und Weltanschauungen der Menschen wider –

der inneren Dimensionen einer Gesellschaft. „Mutter Erde” wurde ersetzt

durch oder ansonsten untergeordnet unter die „Himmels Götter” und es

kann zu einer neueren Betonung der männlichen Vorherrrschaft und zwar

im Einklang mit einer höheren sozioökonomischen Schichtung. Territorale

Rechte begannen traditionelle verwandtschaftliche Bindungen zu

beherrschen und spiegelten die zunehmende Bedeutung von individuellem

und Gemeinschafts-Besitz und einer komplexen Arbeits-Aufteilung. Die

Orientierung am Himmel ersetzte den „irdischen” Tenor der steinzeitlichen

Epoche. Könige, die eine göttliche Abkunft behaupteten, führten die neue

Page 10: Demokratie, Globalisierung und die nächste Stufe der ... · von Ervin Laszlo Am Ende des 20. Jahrhundert befinden wir uns in der Mitte eines raschen evolutionären Prozesses, den

10 (Laszlo_Sv ed.0506)

Politik. Die Himmelsphäre wurde ebenso stratifiziert und mit einem

Pantheon von Gottheiten bevölkert. Auf der Basis der Behauptung „wie

oben, so unten” expandierte das menschliche Leben in ein Netzwerk von

Beziehungen, welche von den tiefsten Ebenen der belebten und

unbelebten Natur zu den höchsten Sphären des Himmels reichten.

Die Weltanschauung der archaischen Zivilisationen von Babylonien,

Ägypten, Indien und China erklärten so ihre Ursprünge und rechtfertigten

ihre Existenz. Die Ursprünge der Welt waren verwurzelt in der Emergenz

von Ordnung aus der Unordnung/Chaos, gefolgt von einer weiteren

Destillation der Ordnung in den Himmeln, gespiegelt durch emergierende

Ordnungen auf der Erde. Der Kosmos wurde angesehen als ein

organisches Gemeinwesen in seinem eigenen Recht, das sowohl

Souveränität als auch Macht besaß und Ordnung und Harmonie aufrecht

erhielt im Bereich des Universums.

Seine Macht war erzeugt worden und wurde ausgeübt von einem höchsten

Wesen oder sonst durch eine Hierarchie von Gottheiten. Die Reflexion der

„himmlischen” Ordnungen von oben erforderte eine theokratische

Ordnung unten, mit Königtümern, die aufgrund eines göttlichen Erlasses

existieren und die Ausübung der himmlischen authorisierten Macht

verkörperten und legitimierten.

Kosmische Göttlichkeit und irdisches Königtum waren verbunden in der

Absicht eine umfassende Ordnung zu bewahren/erhalten, wobei die

Ordnung unten die Ordnung oben widerspiegelte (reflektierte). Das

höchste Telas war der Erhalt der essentiellen Balance des Universums

durch eine soziale Ordnung die in kosmischen Prinzipien wurzelte. Diese

Elemente, wenn auch mit lokalen Variationen, traten auf im alten

Ägypten, in Mesopotamien, Indien und China ebenso wie in Mittel-

Amerika.

Page 11: Demokratie, Globalisierung und die nächste Stufe der ... · von Ervin Laszlo Am Ende des 20. Jahrhundert befinden wir uns in der Mitte eines raschen evolutionären Prozesses, den

11 (Laszlo_Sv ed.0506)

DIE EVOLUTION VOM THEOS ZUM LOGOS

Obwohl sie gespickt und unterlaufen war von einer sorgfältig

ausgearbeiteten Kultur zusammen mit einer als Heiligtum bewahrten

Weltansicht, mit Werten und einem ethischen Code, ordnete sich das

Stadium des Theos dem nächsten evolutionären Stadium unter, nämlich

dem Logos.

Das Aufkommen des Logos kann auf das zweite Jahrtausend vor Christus

zurückgeführt werden, als die indoeuropäischen Völker ausgestattet mit

einer Eisentechnologie von Zentralasien aus in verschiedene Richtungen

ausschwärmten. Einige kamen über den Kaiberpass nach Indien, wo sie

der schon verweichlichten Zivilisation ein Ende setzen. Andere zogen

südwestlich hinein nach Persien und wieder andere drangen zum

schwarzen Meer und nach Osteuropa vor, wobei sie nach Norden entlang

der Wolga oder nach Westen entlang der Donau und dem Rhein

migrierten. Wieder andere besiedelten den nördlichen Küstenbereich des

Mittelmeerraumes auf den griechischen und italienischen Halbinseln. Sie

brachten die griechischen Stadtstaaten zustande und dann die griechisch-

römische Zivilisation. Die ersteren dehnten sich unter Alexander bis an die

Grenzen der bekannten Welt aus, während die letzteren unter den Kaisern

sich von Britannien bis zum Tigris/Euphrat und in die Sahara erstreckten.

Die innere Dimension der klassischen Zivilisationen entwickelte sich

entlang der Änderungen in ihrer sozialen Struktur. Die griechischen

Naturphilosophen ersetzen die mythischen Begriffsbildungen durch

Theorien die auf Beobachtung und ausgearbeitete Vernunft-

Argumentationen aufbauten. Sie entwickelten den „heroischen Geist”, der

in Homer und in den frühen Epen vorhanden ist, in den visionären und

theoretischen Geist, der in dem rationalen Geist von Platon und Aristoteles

gipfelte. Der Logos wurde der zentrale Begriff: er war das Herz der

Philosophie ebenso wie der Religion. Zusammen mit metron lieferte es der

Page 12: Demokratie, Globalisierung und die nächste Stufe der ... · von Ervin Laszlo Am Ende des 20. Jahrhundert befinden wir uns in der Mitte eines raschen evolutionären Prozesses, den

12 (Laszlo_Sv ed.0506)

westlichen Zivilisation eine Grundlage, auf der sie für fast zweieinhalb

tausend Jahre aufbauen konnte.

Der Logos, wie er durch die klassische griechisch-römische Zivilisation

verkörpert ist, war keine rein quantitative Weltanschauung, leer bezüglich

aller qualitativer Elemente. Menschen und zu einem bestimmten Ausmaß

alle Kreaturen hatten einen speziellen Wert und eine Tugend – arete – die

nicht ausschließlich mit quantitativen Mitteln erklärt/erfasst werden

konnten. Die Kombination von logos und metron mit arete konstituierte

eine Weltanschauung, eine Ethik und ein Wertesystem, das insgesamt von

der Kultur des Theos verschieden war. Der Mensch war das Maß und die

Entwicklung des menschlichen Potential das Ziel. Dieser grundlegende

Begriff, mit vielen differenzierenden Varianten, erblühte in den

philosophischen Systemen der hellenistischer Denker und fand seine

Anwendung in der Organisation der griechischen Stadtstaaten. Viele ihrer

Elemente wurden in die römische Zivilisation übergeführt, allerdings

behaftet mit einer pragmatischen Orientierung als Schlüssel zum Erhalt

der sozialen Ordnung durch die geordnete Ausübung von Macht.

Mit dem Glaubensübertritt von Kaiser Konstantin und der Gründung des

byzantinischen Bereiches modifizierte die christliche Einstellung die

klassische Kultur des Logos und fügte ihr eine göttliche Quelle als ihren

Ursprung hinzu, als ersten Beweger sowie als höchsten Richter. Der Logos

wurde in der Heiligen Dreifaltigkeit verkörpert und im Menschen als

Gotteskreation inkarniert. Diese Kultur deren wesentliche Elemente

ausgearbeitet wurden durch die Ideen von Augustinus und Thomas von

Aquin waren der vorherrschende Grundzug der inneren Dimension des

mittelalterlichen Europas bis hin zum Aufkommen der Moderne.

Weitere Verschiebungen ergaben sich innerhalb des Logos mit dem

Aufkommen des modernen wissenschaftlichen Denkens. Galilei lieferte

eine Vorstellung der Welt, in der mechanische Prinzipien für das Verhalten

Page 13: Demokratie, Globalisierung und die nächste Stufe der ... · von Ervin Laszlo Am Ende des 20. Jahrhundert befinden wir uns in der Mitte eines raschen evolutionären Prozesses, den

13 (Laszlo_Sv ed.0506)

von Körpern auf der Erde erklärend verantwortlich waren und zwar

genauso wie für die Bewegung der Himmel. Newtons mathematische

Demonstration der universellen Gültigkeit der Bewegungsgleichungen

bestätigte Gallileis Einsicht und lieferte die Basis für eine umfassende

Weltsicht, die das Heraufdämmern des modernen Zeitalters ankündigte.

Nach dieser Ansicht ist das Universum ein göttlich erfundenes Uhrwerk,

das durch einen ersten Beweger in Bewegung versetzt wurde und in alle

Ewigkeit harmonisch (ab)läuft. Das Uhrwerk funktioniert nach strengen

Naturgesetzen und ermöglicht es dem rationalen Geist alle Dinge der

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu wissen. Gott hat in diesem

System keinen Platz, wie Lapace später zu Napoleon gesagt haben sollte:

in strengem Kontrast zu den vorherigen Kulturen war Gott eine

Hypothese, für die es keine weitere rationale Notwendigkeit gab.

Im 19. Jahrhundert vervollständige Darwins Theorie der Evolution die

mechanistische Weltsicht der klassischen Physik – obwohl sie nicht

vollständig und damit in Einklang war. Sie erklärte die Evolution des

Lebens aus einfachen Ursprüngen durch den Grundmechanismus zufälliger

Bewegungen ausgesetzt den Test der natürlichen Selektion. Aber trotz der

Debatten über die Natur der Wirklichkeit auf die sich wissenschaftliche

Theorien bezogen und trotz der Revolutionen innerhalb der

Wissenschaften während des ganzen 20. Jahrhunderts – etwa durch

Einstein, Bohr, Freud und Priggogine u.a. – war die wissenschaftliche

(tatsächlich aber nur szientistische) Weltanschauung erfolgreich. Die

Errungenschaften der modernen Technologie schienen sie mit einem

Beweis auszustatten. Diese Ansicht übertraf die Spiritualität und führte zu

einer Ethik und einem Ethos, die wie Francis Bacon meinte, die

Manipulation der Natur für menschliche Zwecke ermutigte. Die

Kombination einer manipulativen Geisteseinstellung mit einem

zunehmenden technologischen Erfolg führten dazu und formten die

moderne Industriegesellschaft. Ihre weltumspannenden Technologien

brachten einzigartige Macht und Wohlstand denen die sie kontrollierten,

Page 14: Demokratie, Globalisierung und die nächste Stufe der ... · von Ervin Laszlo Am Ende des 20. Jahrhundert befinden wir uns in der Mitte eines raschen evolutionären Prozesses, den

14 (Laszlo_Sv ed.0506)

erzeugte aber auch eine nie dagewesene Last auf dem Rücken der

physikalischen und biologischen Ressourcen der Biosphäre.

EVOLUTION JENSEITS DES LOGOS

Im späten 20. Jahrhundert hatte die innere Dimension der westlichen

Zivilisation ihre äußere Dimension stabilisiert. Energie- und ressourcen-

intensive Technologien veränderten die Beziehungen der Menschen

zueinander, ebenso wie die Beziehung zur Natur und erzeugten

Bedingungen, welche die westliche Zivilisation nicht länger meistern

konnte. In der industrialisierten Welt entstanden wachsende Klüfte

zwischen Reich und Arm, Stadt- und Landbevölkerung; während in der

sich entwickelnden Welt die Revolution zunehmende Erwartungen

aufgrund unkontrollierten Wechselwettbewerbs versagte, kam es zu einer

Explosion der Bevölkerung. Das System der gesellschaftlichen Ordnung,

dass für das Stadium des Logos charakteristisch war, wurde einem

wachsenden Stress ausgesetzt, mit zunehmender Verletzbarkeit im

politischen und ökonomischen Bereich und zunehmender Gefährdung im

finanziellen Bereich.

Wenn das 20. Jahrhundert ein Maß an Stabilität und Dauer erreichen will,

ist eine weitere Evolution der Zivilisation erforderlich. Die innere

Dimension der gegenwärtigen Gesellschaften muss mit der

unkontrollierten Transformation ihrer äußeren Dimension schritthalten.

Eine kulturelle Transformation muss eintreten, die fähig ist, Welt-

anschauungen zu vermitteln, ebenso wie Werte eine Ethik und

Vehaltensmuster, die für ein Leben in einem globalisierten System

geeignet sind. Ihre Konturen sind schon im Entstehen. Ihre ewigen

Quellen sind die tiefsten Intuitionen der großen Religionen, die

revolutionären Einsichten der neuen Wissenschaften und die emergenten

Werte der Jugend und alternativer Kulturen. Die beiden letzteren (Natur-)

Elemente treten am Rand der Logos-basierten Zivilisation auf: Die

Page 15: Demokratie, Globalisierung und die nächste Stufe der ... · von Ervin Laszlo Am Ende des 20. Jahrhundert befinden wir uns in der Mitte eines raschen evolutionären Prozesses, den

15 (Laszlo_Sv ed.0506)

ersteren am Rand der Mainstream (Natur-)Wissenschaft und die letzteren

am Rand der Mainstream Gesellschaft. Dennoch es gibt keine Sicherheit,

dass sie in die vorherrschende Dimension der Gesellschaft des

21. Jahrhundert hineinwachsen werden. Die Entwicklung der Werte und

Weltanschauungen ist, wie schon gesagt, unbestimmt und führt dazu,

dass das Ergebnis rascher evolutionärer Prozesse zufällig und

unvorhersagbar ist.

Während soziale Beziehungen und Umweltbeziehungen schon dabei sind

sich zu verschieben, treten diese Verschiebungen nicht rasch genug auf.

Die geistige Grundhaltung des Logos, die zunehmend in Frage gestellt

wird, ist immer noch vorherrschend. Dennoch müssen die weichen

Faktoren der sozialen, politischen und ökonomischen Organisation in

Einklang kommen mit den harten Faktoren des technologisch induzierten

Wandels in den Mensch zu Mensch Beziehungen und den Beziehungen der

Menschen zur Natur. Die Weltanschauungen der Menschen, deren Werte

und Ethiken müssen sich ändern und entwickeln, um so die evolutionäre

Veränderung in sie umgebender Welt zu stabilisieren.

Ghandi meinte, dass die Menschen selbst die Änderung sein müßten,

welche sie in der Welt zu sehen wünschten. Sich selbst zu ändern,

bedeutet das Bewusstsein durch das man sich selbst sieht, zu ändern,

ebenso wie die Sicht auf Andere, die Natur und des Universum als Ganzes.

Der Mythos erzeugte ein mythisches Bewusstsein. Der Theos ein

theistisches Bewusstsein. Der Logos brachte das logische Bewusstsein der

westlichen Rationalität, das in der moderne von seinen subjektiven und

Theistischen Elementen entblößt wurde. Und noch eine andere

Veränderung wurde bestimmend. Das Zeitalter das über der Menschheit

heraufdämmert, erfordert ein ganzheitliches Bewusstsein, das fähig ist,

die emergenten, sozialen und ökonomischen Beziehungen zu stabilisieren

und zwar durch Verhaltensformen, die für das Globalisierungsstadium in

der Evolution der menschlichen Gesellschaften passend ist.

Page 16: Demokratie, Globalisierung und die nächste Stufe der ... · von Ervin Laszlo Am Ende des 20. Jahrhundert befinden wir uns in der Mitte eines raschen evolutionären Prozesses, den

16 (Laszlo_Sv ed.0506)

Die Herausforderung des evolutionären Prozesses unserer Zeit besteht

darin, eine zeitgerechte Bifurkation der inneren Dimension der

gegenwärtigen Gesellschaften zu erzeugen: Das ist eine Evolution über

den Logos hinaus in Richtung auf eine Kultur, die wir als Holos

beschreiben.

Das Grundkonzept ist: Evolution

Für die klassische Wissenschaft war die Evolution eingeschränkt auf die

lebendige Welt: Sie war definiert als der Prozess der zur Entstehung neuer

Spezien und biologischer Organismen führt. In den letzten Dekaden wurde

das Konzept der Evolution reinterpretiert als ein breiterer und

grundlegender Prozess. In den 60er Jahren (des 20. Jhdts. wurde durch

die General System Theorie (GST ) gezeigt, das sich Systeme in völlig

verschiedenen Naturbereichen grundlegend ähnlich sich verhalten und in

den 70er und 80er Jahren demonstrierten die Theorie der dissipativen

Systeme (nicht GleichgewichtsThermodynamik und die allgemeine

Evolutionstheorie (GET) dass Systeme in unterschiedlichen Bereichen sich

nicht nur auf ähnliche Weise verhalten, sondern sich auch ähnlich

entwickeln. Die Logik und Dynamik irreversibler Veränderungen erwies

sich als analog zur Natur und zur Geschichte.

Ein wichtiges Element der Gemeinsamkeit zwischen der Evolution in Natur

und Geschichte ist, dass evolutionäre Prozesse, wo immer sie auftreten,

streng(genommen) nicht-linear sind. Ein scheinbar konstanter und

stetiger Veränderungsprozess gabelt sich plötzlich in eine neue Richtung.

Bekannt als Bifurkation tritt diese Nichtlinearität in Disziplinen auf, die so

unterschiedlich sind wie die Nicht-Gleichgewichtsthermodynamik, die

dynamische Systemtheorie, die evolutionäre Biologie und die

Systemökologie. Sie beschreibt die kausal unbestimmte Transformation,

die auftritt, wenn ein komplexes System die Grenzen seiner Stabilität

Page 17: Demokratie, Globalisierung und die nächste Stufe der ... · von Ervin Laszlo Am Ende des 20. Jahrhundert befinden wir uns in der Mitte eines raschen evolutionären Prozesses, den

17 (Laszlo_Sv ed.0506)

erreicht, es wird dann chaotisch ( d.h. seltsame Attraktoren treten in ihren

Phasendarstellungen auf). Als Ergebnis gabelt sich die evolutionäre

Phasenbahn: sie bifurkiert. Das Ergebnis ist entweder die Disintegration

des Systems in seine individuell stabilen Komponenten oder eine rasche

Evolution in Richtung auf eine Art System, das resistent ist gegenüber den

Fluktuationen, welche das ursprüngliche System destabilisierten. Das

System das daraus entsteht, hat wahrscheinlich eine bessere Fähigkeit,

Information zu verarbeiten, ist effizienter in der Benutzung freier Energie,

besitzt eine größere Flexibilität, höhere Strukturkomplexität und

zusätzliche Organisationsebenen. (Figur 1)

Der evolutionäre Prozess der zwischen dynamischer Stabilität und

kritischer Instabilität alterniert, führt zu einem progressiven Aufbau von

Komplexität in der Natur, und zwar vom physikalischen Substratus der

Quarks und der Elementarteilchen über die die Atome der Elemente zu

den Molekülen, die durch einige der Atome gebildet werden und zu den

Page 18: Demokratie, Globalisierung und die nächste Stufe der ... · von Ervin Laszlo Am Ende des 20. Jahrhundert befinden wir uns in der Mitte eines raschen evolutionären Prozesses, den

18 (Laszlo_Sv ed.0506)

Makromolekülen und Zellen die ihrerseits durch einige der Moleküle

gebildet werden. In einem passenden planetarischen Umfeld führt die

Evolution weiter in den biologischen Bereich: Zu lebenden Organismen

(Protozoa und Metazoa), die auf den existierenden makromolekularen und

zellularen Komponenten aufbauen, und schließlich zu den Ökosystemen

führen, die durch diese Systeme gebildet werden. Die soziokulturellen

Systeme, die durch Menschen konstituiert sind, sind Teil dieses

ungeheuren Prozesses einer systemischen Evolution. (Figur 2)

Die Evolution der wechselseitigen Kommunikation soziokultureller

Systeme ist ein komplexer Prozess: Die Menschen beeinflussen ihre

eigene Evolution auf eine Vielfalt unvorhersagbarer Weisen. Trotzdem ist

die menschliche, soziokulturelle Evolution analog zur Evolution der

biologischen Spezies, in so ferne als sie zu mehr und mehr komplexen

Systeme führt, und zwar mit größerer Flexibilität und Informations-

verarbeitungsfähigkeit, zusätzlichen Organisationsebenen und einer

höheren Dichte von freier Energie. Weiters gilt in der Geschichte, wie

ebenso in der Natur die Bifurkationen die stabileren Epochen ablösen.

Page 19: Demokratie, Globalisierung und die nächste Stufe der ... · von Ervin Laszlo Am Ende des 20. Jahrhundert befinden wir uns in der Mitte eines raschen evolutionären Prozesses, den

19 (Laszlo_Sv ed.0506)

In der Zeitspanne der dokumentierte Geschichte wurde soziokulturelle

Bifurkationen ausgelöst durch kriegerische Auseinandersetzungen

/Eroberungen, durch Klima- und Umweltänderung oder durch techno-

logische Innovationen. Die prinzipiellen Innovationen in der Geschichte

waren die Kontrolle des Feuers, die Erfindung des Rades und das „Design”

von fortschrittlicheren und ausgeklügelteren Werkzeugen sowie die

Erfindung von stärkeren Mitteln, um die physikalische Kraft der

menschlichen Muskeln und die Rechenkraft des menschlichen Gehirnes zu

erweitern. Sie ermöglichten es dem Menschen, mehr und mehr ihrer

Umwelt zu transformieren, mehr Energie zu benutzen und Rohmaterialien

und größere und noch größere Gemeinschaften mit wachsender sozialer

Differentation und Arbeitsteilung zu entwickeln.

In den letzten 3. Jahrhunderten wurde unsere Welt geformt durch eine

Reihe von technologischen Innovationen, von unvorhergesehener Macht

und Schnelligkeit beginnend mit der Beherrschung der Dampfkraft und

des Öles und der Erfindung der Massenproduktion für Massenmärkte.

Heute werden wir durch eine andere Innovation erschüttert: die Evolution

der Informations- und Kommunikationstechnologien. Diese „zweite

industrielle Revolution” ist um einige Dimensionen schneller und

mächtiger als es die erste gewesen ist. (Figur 3)

Page 20: Demokratie, Globalisierung und die nächste Stufe der ... · von Ervin Laszlo Am Ende des 20. Jahrhundert befinden wir uns in der Mitte eines raschen evolutionären Prozesses, den

20 (Laszlo_Sv ed.0506)

Die gegenwärtigen Transformationen betreffen alle Aspekte des Lebens

und der Gesellschaft. Sie führt zu einer systemweiten Verschiebung, einer

Markroverschiebung. Ihre Logik folgt einen Vier-Phasen-Muster. Heute

Page 21: Demokratie, Globalisierung und die nächste Stufe der ... · von Ervin Laszlo Am Ende des 20. Jahrhundert befinden wir uns in der Mitte eines raschen evolutionären Prozesses, den

21 (Laszlo_Sv ed.0506)

sind wir in der kritischen Phase 3 und dabei zu entscheiden, von welcher

Art die abschließende Phase 4 sein wird. (Figur 4)

Page 22: Demokratie, Globalisierung und die nächste Stufe der ... · von Ervin Laszlo Am Ende des 20. Jahrhundert befinden wir uns in der Mitte eines raschen evolutionären Prozesses, den

22 (Laszlo_Sv ed.0506)

Die vier Phasen eines Makro-Shift/Makro-Veränderung

1. Die Auslösungs-Phase

Innovationen in den sogenannten „harten” Technologien (Werkzeuge, Maschinen und operationale Systeme) führen zu einer größeren Effizienz in der Manipulation der Natur für menschliche Zwecke.

2. Die Transformations-Phase

Die Innovationen im Bereich harter Technologienverändern soziale Beziehungen und Umweltbeziehungen irreversibel und führen sukzessive zu - einer höheren Ebene der Ressourcenproduktion - einem schnelleren Bevölkerungswachstum - eine größere gesellschaftliche Komplexität und - einen zunehmenden Einfluß/Einwirkungen auf die soziale und die natürliche Umwelt.

3. Die kritische (oder Chaos-Phase) Veränderte soziale Beziehungen und Umweltbeziehungen erzeugen Spannungen und Frustrationen und stellen Werte und Weltanschauungen in Frage, die lange Zeit honoriert wurden, ebenso wie die Ethik und Ambitionen, die mit ihnen assoziiert sind. Die Gesellschaft wird chaotisch im Sinne der Chaostheorie. Der Gesellschaft mangelt es nicht an Ordnung, aber sie zeigt eine subtile Ordnung, die ausserordentlich sensitiv auf Fluktuationen regiert. Die Evolution der vorherrschenden Kultur und des Bewußtseins - - der Art und Weise wie die Werte der Menschen, ihre Ansichten und Ethiken auf Veränderungen reagieren - - – bestimmen das Ergebnis des chaotischen Sprunges des Systemes (der Art und Weise wie sich die Entwicklungs-Phasenbahn gabelt).

4(a). Phase des Zusammenbruches Die Werte, Weltansichten und Ethiken einer kritischen Masse von Menschen in der Gesellschaft sind resistent gegenüber Veränderungen oder ändern sich zu langsam und die etablierten Institutionen sind zu starr um eine zeitgerechte Transformation zu gestatten. Unveränderter Konservatismus in Politik und Zivil- Angelegenheiten führt zu einen nicht-handhabbaren Stress. Die soziale Ordnung ist einer Reihe von internen & externen Krisen ausgesetzt die zu Konflikten und Gewalttätigkeiten ausarten

4(b). Die Phase des Durchbruches

Page 23: Demokratie, Globalisierung und die nächste Stufe der ... · von Ervin Laszlo Am Ende des 20. Jahrhundert befinden wir uns in der Mitte eines raschen evolutionären Prozesses, den

23 (Laszlo_Sv ed.0506)

Die geistigen Einstellung einer kritischen Masse von Menschen entwickelt sich zeitgerecht und verändert die Kultur einer Gesellschaft in Richtung auf einen besser angepassten Modus, während diese Veränderungen Platz greifen, baut sich eine verbesserte soziale Ordnung auf – die beherrscht wird von angepassteren Werten, Weltanschauungen und assoziierten Ethiken. Das soziale System stabilisiert sich selbst: es wird weniger stressorientiert und in gewissem Sinn friedlicher und nachhaltiger.

Wir haben einen kritischen Zeitpunkt in der Geschichte erreicht: sowohl

eine neue Epoche von Barbarei und Terror als auch eine Schwelle für

ein höheres Potential und das Stadium einer sozialen, spirtuellen und

kulturellen Evolution. Wenn wir die Bedrohung durch die

„Gewaltschraube” [Gewalt durch mehr (Gegen-) Gewalt zu bekämpfen]

überwinden können, könnten wir ein Stadium in unserer Evolution

erreichen, das sich vom Stadium des 20. Jahrhunderts so sehr

unterscheidet, wie die Grasländer von den Höhlen und die

Dorfsiedlungen vom Leben in nomadischen Stammesgemeinschaften.

Wir könnten uns aus den national begründeten Industrie-

Gesellschaften herausentwickeln, die zu Beginn der ersten industriellen

Revolution erzeugt wurden und könnten auf ein wechselseitiges,

informationsbasiertes ökonomisches und kulturelles System abzielen,

das den Globus umspannt. Der Weg dieser Evolution ist nicht einfach:

Er ist gepflastert mit Schock und Überraschungen. Die terroristischen

Angriffe vom 11. September 2001 waren ein grosser Schock und

andere – soziale und ökologische Zusammenbrüche und Katastrophen -

- können noch auf uns zukommen.

Wie der Weltgipfel über nachhaltige Entwicklung im August 2002 in

Johannesburg klargemacht hat, gibt es viele Probleme, die erkannt

werden müssen und behandelt werden müssen, wenn eine globale

Katastrophe abgewandt werden soll. Hunderte Millionen von Menschen

sind ohne Arbeit; tausend Millionen oder mehr haben zu niedriges

Einkommen; dreitausend Millionen werden in eine wachsende Armut

gedrängt. Die Kluft zwischen reichen und armen Nationen und zwischen

Page 24: Demokratie, Globalisierung und die nächste Stufe der ... · von Ervin Laszlo Am Ende des 20. Jahrhundert befinden wir uns in der Mitte eines raschen evolutionären Prozesses, den

24 (Laszlo_Sv ed.0506)

reichen und armen Menschen innerhalb der Nationen nimmt immer

noch zu. Obwohl die Weltgemeinschaft von der Gefahr einer

Konfrontation der Supermächte befreit ist, ist sie bedroht durch einen

ökologischen Kolaps. Die nationalen Regierungen geben immer noch

jedes Jahr tausend Milliarden Dollar für Waffen und Militär aus und nur

einen kleinen Bruchteil dieser Summe für den Erhalt einer lebens-

werten Umwelt.

Das Militärisierungsproblem, das Entwicklungsproblem, das ökologische

Problem, das Bevölkerungsproblem und die vielen Probleme, von

Energie und Rohmaterialien werden nicht einfach überwunden durch

die Reduktion der Zahl der ohnehin schon nutzlosegewordenen

nuklearen Sprengköpfe, noch dadurch, dass man politisch verwässerte

Welthandelsabkommen unterzeichnet, ebenso wie über die Welt-

erwärmung, die biologische Diversität und die nachhaltige Entwicklung.

Heute ist mehr nötig als nur Stückwerkhandeln und kurzfristiges

Problemlösen. Es genügt nicht immer noch mehr Blaupausen und

Strategien zu entwickeln, weil die Abwesenheit einer entsprechend

klaren Wahrnehmung/Vorstellung im Bereich der Mehrheit der

Menschen und Gesellschaften kaum mehr erreichen wird als in der

jüngsten Vergangenheit. Was benötigt wird ist ein besseres Problem-

Bewußtsein, eine bessere Wahrnehmung der Probleme als solcher.

Die Menschen bedürfen nicht nur ihrer Vernunft und ihres Intellekts,

sondern aller Fähigkeiten ihres einsichtsvollen und intuitiven Geistes.

Am Ende benötigen wir einen neuen Geist: einen Geist der

nachhaltigen Entwicklung in Richtung auf eine gerechte und menschlich

zufriedenstellend/erfüllende Zukunft.

Das vorherschende Problem ist heute in erster Linie eine

unterentwickelte „Problem-Wahrnehmung”. Das kann man anhand

einer Menge von Einstellungen illustrieren, die, obwohl sie obsolet und

Page 25: Demokratie, Globalisierung und die nächste Stufe der ... · von Ervin Laszlo Am Ende des 20. Jahrhundert befinden wir uns in der Mitte eines raschen evolutionären Prozesses, den

25 (Laszlo_Sv ed.0506)

eigentlich schon gefährlich sind, immer noch die Geisteshaltung der

großen Mehrheit beherrschen.

1. In dieser Welt steht jeder für sich alleine, wobei die Stärksten und mit den meisten Ressourcen berechtigte Privilegien verdienen.

2. Eine „unsichtbare Hand” harmonisiert individuelle und soziale

Interessen, so dass, wenn jeder für sich selbst das meiste herausholt, auch der Gesellschaft davon profitiert.

3. Der beste Wege den Armen und Notleidenden zu helfen, besteht

darin, dass die Reichen noch reicher werden, da sich der Reichtum unweigerlich nach unten fortsetzt und den Niedergetretenen nützt und sie zu einem vernünftigen Status hochhebt (schon John F. Kennedy sagte, „die Flut hebt alle Boote hoch”).

4. Die (Natur-)Wissenschaft kann alle Probleme lösen und alles

offenbaren, was man über die Humanität und die Welt wissen kann.

5. Einzig und allein Fakten zählen; Werte, Präferenzen und

Aspirationen sind lediglich subjektiv und haben daher keinerlei Konsequenzen.

6. Die Art und Weise Fakten aufzudecken besteht darin, sich zu

spezialisieren und dabei über wenige Dinge soviel als möglich zu lernen, sowie den Rest anderen Spezialisten zur Beschäftigung damit zu überlassen.

7. Wenn etwas Profitables entworfen und erzeugt werden kann,

dann soll es auch vermarktet werden, weil es dazu führt, dass es wenigstens einige Menschen glücklich macht und diesen Wohlstand bringt.

8. Wahre Effizienz ist maximale Produktivität für jede einzelne

Maschine, jedes Unternehmen und jeden Menschen.

9. Wir können alles was wir über Menschen zu wissen brauchen/benötigen, aus einer Berechnung der Kosten und des Nutzens und ihrer Aktivitäten und Ressourcen ausrechnen, wobei wir bestenfalls ein paar „Besonderheiten” der jeweiligen Persönlichkeit und des ethnischen Hintergrundes zulassen.

Page 26: Demokratie, Globalisierung und die nächste Stufe der ... · von Ervin Laszlo Am Ende des 20. Jahrhundert befinden wir uns in der Mitte eines raschen evolutionären Prozesses, den

26 (Laszlo_Sv ed.0506)

10. Alle Menschen sind ihrem Land gegenüber verpflichtet und alle Länder (außer den wenigen verbleibenden Kolonien) sind bedingungslos souveräne und unabhängige Nationalstaaten.

11. Der Wohlstand und die Macht des eigenen Landes muss

gesichert werden, egal was das für andere Völker bedeutet, den in dieser Welt steht nicht nur jede Person für sich selbst, sondern auch jedes Land.

12. Wohlstand und politische Macht entscheiden was sein soll;

Ideen dienen hauptsächlich dazu Bücher zu füllen und die eigene Konversation eindrucksvoller zu gestalten.

13. Unsere Verantwortlichkeiten enden mit der Absicherung

unseres eigenen Wohlergehens – dass glücklicherweise auch dem Wohlergehen des eigenen Landes dient; - - und wir sollten die nächste Generation für sich selbst sorgen lassen, so wie das unsere zu tun hatte.

14. Es gibt fast unerschöpfliche Reichtümer auf der Erde, wenn

wir nur mutig sind, unsere eigenen Technologien zu benutzen, um diese Reichtümer zu gewinnen und auf den Markt zu bringen.

15. Das uneingeschränkte freie Marktsystem der Ökonomie und

der politischen Organisation ist dem gesamten Rest höchst überlegen, und sollte von allen Menschen in dieser Welt in ihrem eigenen Interesse angewandt werden.

16. Das menschliche Glück besteht darin, die neuesten fähigsten

und komfortabelsten Produkte zu besitzen.

17. Viele Kinder zu haben spricht für die eigene Fruchtbarkeit und die eigene Erfindungsgabe bei der Unterstützung einer großen Familie.

18. Die Natur und die Umwelt können sehr gut auf sich selbst

aufpassen, trotz der schrillen Aufschreie und Alarmsignale von den „Grünen” und einiger Intellektueller.

19. Die wirklichen Zeichen für Fortschritt sind, größere Städte mit

größeren Bauten, mehr und größere Fabriken, größere und besser mechanisierte Landwirtschaftsbetriebe, mehr und größere Autobahnen, und eine größere Auswahl an Produkten in größeren und noch luxuriöseren Geschäftszentren.

Page 27: Demokratie, Globalisierung und die nächste Stufe der ... · von Ervin Laszlo Am Ende des 20. Jahrhundert befinden wir uns in der Mitte eines raschen evolutionären Prozesses, den

27 (Laszlo_Sv ed.0506)

Diese Glaubensvorstellungen reflektieren in kritischer Weise einen

veralteten Zustand des vorherrschenden Geistes der großen Mehrheit.

Nicht weniger als sieben große Irrtümer kennzeichnen diesen Zustand.

1.Die Neolithische Illusion

2.Mythos von Wettbewerb und Markt

3.Die Ideologie materieller Besitztümer

4.Ungerechtfertigtes Vertrauen in Ordnung durch

Hierarchie

5.Die Unsinnigkeit der westfälischen Ideologie

6.Das Hirngespinst ultimativer Trennung

7.Der Trugschluss der Reversibilität

Ad 1. Die Neolithische Illusion

Die Natur liefert alles was von menschlichen Gemeinschaften benötigt wird

und absorbiert alles, was nicht länger gebraucht wird, und von ihnen

gewünscht wird. Metalle und Mineralien liegen in praktisch

unerschöpflichen Ausmass als gegeben vor; Länder und Wälder

regenerieren durch gekonntes Management, Luft und Wasser reinigen sich

von selbst mit nur ein bisschen Hilfe und Aufmerksamkeit. Die Erde ist

eine fast unendliche Quelle von Ressourcen und eine unendliche

Senkgrube für Abfälle; sie ist effektiv offen und unbegrenzt.

Ad 2. Der Mythos von Wettbewerb und Markt

Die Ökonomie ist eine Arena für Wettbewerb, Reichtum und Nutzen. In

diesem Kampf überleben die Klügsten, Schnellsten und am meisten

Flexiblen und erreichen Dominanz/Vorherrschaft. Die Anderen bleiben auf

der Strecke. Unfairer Wettbewerb ist schlecht, aber fairer Wettbewerb

nützt schließlich jedem – die „unsichtbare Hand” des Marktes verteilt Wert

gleichmäßig auf Konsumenten und Erzeuger.

Page 28: Demokratie, Globalisierung und die nächste Stufe der ... · von Ervin Laszlo Am Ende des 20. Jahrhundert befinden wir uns in der Mitte eines raschen evolutionären Prozesses, den

28 (Laszlo_Sv ed.0506)

Ad 3. Die Ideologie materieller Besitztümer

Der Besitz von materiellen Gütern ist der einzige wahre Nutzen/Vorteil,

den Menschen im Markt erreichen können; die Akkumulation dieser Güter

stellt die Spitze von Erfolg dar. In letzter Konsequenz ist es auch das

Zeichen von sozialen Status.

Ad 4. Ungerechtfertigtes Vertrauen in Ordnung durch Hierarchie

Ordnung kann nur durch Regeln und Gesetze erreicht werden und durch

deren tatsächliche Verstärkung und das erfordert ein zentrales Kommando

das von allen anerkannt und befolgt wird. Einige wenige Menschen an der

Spitze – in erster Linie Männer -- erfinden die Regeln, rechtfertigen die

Gesetze und geben die Befehle, welche die Ordnung sichern. Alle anderen

müssen diese Befehle befolgen, und ihre eigene Verantwortung der

sozialen und politischen Hierarchie annehmen um aufzupassen, dass sie

respektiert werden.

Ad 5. Die Unsinnigkeit der westfälischen Ideologie

Der formal konstituierte Nationalstaat ist die einzige politische

Wirklichkeit; er ist die einzige Entität welche wahre Souveränität besitzt –

wie die gesetzlichen Konventionen, die durch den Westfälischen Frieden

spezifiziert und in Kraft traten. Gruppen und Gemeinschaften innerhalb

des Nationalstaates sind intrinsische Teile ohne eigene Souveränität.

Gruppierungen und Verträge über den Nationalstaat hinaus, selbst wenn

sie durch nationale Regierungen gebildet werden, sind nur temporäre und

pragmatische Maßnahmen, die einen gegebenen Zweck dienen, solange es

im Interesse der Regierungen liegt, die zugestimmt haben.

Ad 6. Das Hirngespinst ultimativer Trennung

Letztendlich sind wir alle getrennte Individuen, eingeschlossen in unsere

Haut die ihre eigenen Interessen verfolgen; wenn alles gesagt und getan

ist, hat jeder nur sich selbst gegenüber Rechenschaft abzulegen.

Manchmal fallen unsere Interessen zusammen mit denen anderer und

Page 29: Demokratie, Globalisierung und die nächste Stufe der ... · von Ervin Laszlo Am Ende des 20. Jahrhundert befinden wir uns in der Mitte eines raschen evolutionären Prozesses, den

29 (Laszlo_Sv ed.0506)

dann vereinigen wir uns darin sie zu verfolgen. Aber diese Verbindungen

sind nur genauso pragmatisch wie die der Nationalstaaten – sie

unterliegen unseren eigenen egoistischen Interessen

Ad 7. Der Trugschluss der Reversibilität

Unsere Probleme sind temporär, sie sind nur ein Zwischenspiel von

Störungen nach denen alles zum Normalfall zurückkehren wird. Alles was

wir tun müssen ist, unsere gegenwärtigen Schwierigkeiten zu managen

und erfolgreiche und getestete Methoden zur Problemlösung anzuwenden

– wenn notwendig auch solche des Krisenmanagements. „Business as

usual” hat sich aus dem „Business as unusual” entwickelt und wird früher

oder später in dieses zurückkehren.

Wenn wir also das nächste Jahrhundert erleben wollen und das große

Abenteuer der Humanität/Menschlichkeit auf diesen Planeten fortführen

wollen, dann müssen wir den Geist, der diese Art von Wahrnehmung

inspiriert, ersetzen durch einen besser angepassten und aktuelleren Geist

(Einstellung). Wir können die Natur nicht unbegrenzt ausbeuten und

abwerten: Wir müssen erkennen, dass wir ein Teil der Umwelt sind, in der

wir leben. Ein uneingeschränkter Wettbewerb unter ungleichen Partnern

wird nur zur Marginalisierung der Armen und Machtlosen durch die

Reichen und Mächtigen führen und zu einer Erschöpfung derjenigen

Ressourcen, von denen das Wettbewerbspiel abhängt. Wenn man

fortfährt, die materiellen Güter und Besitztümer auf das Potest des

persönlichen Ehrgeizes zu stellen, so führt das zu ähnlichen Ergebnissen,

verstärkt durch männlich beherrschte hierarchische Strukturen, welche es

den materiell Begüterten gestatten, noch mehr materielle Güter

anzuhäufen und zwar auf Kosten der weniger Begüterten und der

Mittellosen. Nur den eigenen Nationalstaat als Kernpunkt der Treue

anzusehen, wird zu internationalen Konflikten führen, genauer zu

Konflikten zwischen Nationalstaaten die nur zeitweise und in gefährlicher

Weise durch Abkommen und Allianzen zwischen Regierungen unter

Page 30: Demokratie, Globalisierung und die nächste Stufe der ... · von Ervin Laszlo Am Ende des 20. Jahrhundert befinden wir uns in der Mitte eines raschen evolutionären Prozesses, den

30 (Laszlo_Sv ed.0506)

Kontrolle bzw. in Schach gehalten werden können. Wenn sich die

Individuen selbst als von der sozialen und natürlichen Welt getrennt

ansehen, in der sie ihre Aktivitäten durchführen, dann wird sich ihr

natürlicher Impuls den eigenen Vorteil zu suchen, auf einen kurzsichtigen

Kampf reduzieren, einen Kampf zwischen immer noch ungleichen

Partnern. Und solange die Menschen davon überzeugt sind, dass die

Probleme, mit denen sie konfrontiert sind, nur temporäre Störungen eines

unwandelbaren und vielleicht sogar unveränderlichen „status quo” sind,

solange wird keine Schock- und Krisen-Erfahrung diese Wahrnehmungen

ändern.

Wie kann man solche überholten Denk- und Wahrnehmungsmodi ablegen?

Wie kann man den Sprung zu einem neuen Geist machen, der ein

Individuum in ihrem oder seinem planetarischen Umfeld einschließt. Noch

mehr Warnungen durch eine Handvoll Ökologen und Ökonomen und

weitere Kriegshandlungen, egal in welch guter Absicht, werden nicht

ausreichen. Derartige Versuche, mit lokalen und globalen Problemen

zurechtzukommen, gehören in den Rahmen einer Art von Rationalität, die

nicht länger effektiv ist – nämlich einem Rahmen, nach dem man glaubt,

dass soziale und ökologische Probleme durch Bomben und Unterdrückung

korrigiert werden können und dass es ausreicht darauf zu bestehen, dass

die anderen sich ändern sollten ohne dabei den Willen zu haben sich

selbst zu ändern.

Worum es letztlich geht ist:

Miteinander und nicht gegeneinander zu leben, d.h. auf eine Art und

Weise zu leben, die andere nicht dessen beraubt, ebenfalls leben zu

können. Sich darum zu kümmern was mit den Armen und Machtlosen

passiert, ebenso wie mit der Natur. All das erfordert die Situation zu

erfassen / zu spüren in der wir uns selbst befinden und den Mut zu

entwickeln, das zu tun was notwendig ist. In letzter Konsequenz verlangt

dies nach einem stärkeren Bewusstsein. Ohne dieses neue Bewusstsein

Page 31: Demokratie, Globalisierung und die nächste Stufe der ... · von Ervin Laszlo Am Ende des 20. Jahrhundert befinden wir uns in der Mitte eines raschen evolutionären Prozesses, den

31 (Laszlo_Sv ed.0506)

könnten sich die Chancen für Frieden und Wohlergehen zur

Bedeutungslosigkeit reduzieren. Die Prozesse, welche die globalisierte

Gesellschaft/ das System Natur betonen, würden eine Schockwelle

erzeugen und intensivieren, welche die Zukunft aller Gesellschaften

gefährden würde. Die Entwicklung des menschlichen Geistes und des

Bewußtseins ist die erste lebensnotwendige Ursache, die von der

menschlichen Familie geteilt wird.

Die Antwort auf die Herausforderung der Emergenz eines neuen Geistes,

einer menschlich gesehen vorteilhaften Nachhaltigkeit verlangt nach einer

weiteren Apollo Mission. Diesmal jedoch nicht auf der Ebene der

Technologie, sondern auf der bürgerlichen Gesellschaft. Kreative

Menschen aus allen Lebensbereichen müssen zusammengebracht werden

und ermutigt werden, um ihre Einsichten im Sinne gemeinsamer

menschlicher Interessen umzusetzen.

Die tiefsten Quellbrunnen der menschlichen Motivation müssen mobilisiert

werden: Quellen die immer schon die Kreativität von Künstlern „genährt”

haben, von Schriftstellern, von Männern und Frauen des Geistes. Es ist in

der Kunst, der Literatur und den geistigen Bereichen wo wir nach der

Liebe für und die Solidarität mit unseren Mit-Menschen schauen müssen

und nach der Empathie (den Mitgefühl) mit der Natur, welche wir

brauchen. Wir müssen nach den Einsichten suchen, die über ein

oberflächliches Verständnis und einfache Rhetorik hinausgehen zu einer

Ebene tiefen Fühlens und einer klaren Intuition führen. Künstler,

Schriftsteller und spirituelle Führer und kreative Individuen im verwandten

Bereichen können unsere Augen lehren zu sehen, unsere Ohren zu hören

und unseren Geist dazu bringen die neuen Realitäten aufzunehmen in

ihrer Mannigfaltigkeit, Farben und Dimensionen. Sie können über unsere

Gehirne hinausgehen, um unsere Herzen zu erreichen.

Page 32: Demokratie, Globalisierung und die nächste Stufe der ... · von Ervin Laszlo Am Ende des 20. Jahrhundert befinden wir uns in der Mitte eines raschen evolutionären Prozesses, den

32 (Laszlo_Sv ed.0506)

Viel muss noch getan werden: Die kulturellen Bereiche der bürgerlichen

Gesellschaft sind in Unordnung. Literatur, die Künste und die Religionen

verfolgen unterschiedliche Ziele, Ziele die oft miteinander widerstreiten.

Anstelle einer gegenseitigen Befruchtung der Intuitionen ganzer Kulturen

und Gesellschaften haben wir getrennte Subkulturen, die jede konzentriert

ist auf die eigenen engen Ziele ohne Berücksichtigung der epochalen

Herausforderungen die sie alle konfrontieren. Der vorherrschende Geist

unserer Zeit bleibt fragmentiert und unsere Fähigkeit zur Innovation bleibt

reduziert. Wir sind hart gefordert uns echte Alternativen vorzustellen,

anstelle der Verfolgung der eingefleischten und ausgetretenen Wege,

gerade weil sie krisen-geschüttelt und bösartig geworden sind.

In den meisten Gesellschaften sind menschlicher Geist und Wahrnehmung

ausgesprochen unterentwickelt. Die Art und Weise wie Kinder aufgezogen

werden unterdrückt ihre Fähigkeiten zum Lernen und zur Kreativität. Die

Art und Weise, wie junge Menschen den Kampf ums materielles Überleben

erfahren, führt zu Frustration und Ablehnung. Bei Erwachsenen führt dies

zu einer Reihe von kompensatorischen Sucht- und Zwangs-Verhalten. Das

Ergebnis ist die Andauer von sozialer und politischer Unterdrückung,

ökonomischem Krieg, kultureller Intoleranz, Kriminalität und Vernach-

lässigung der Umwelt. Die Elimination sozialer und ökonomischer Krank-

heiten und Frustrationen verlangt nach einer beträchtlichen sozio-

ökonomischen Entwicklung, was nicht ohne bessere Ausbildung,

Information und Kommunikation möglich ist. Diese aber werden durch das

Fehlen einer sozio-ökonomischen Entwicklung blockiert, so dass ein

Teufelskreis (circulus vitiosus) entsteht: Unter-Entwicklung erzeugt

Frustration und Frustration, indem schädliches Verhalten entsteht,

blockiert Entwicklungen.

Der Teufelskreis muss an seinem empfindlichsten Punkt durchbrochen

werden: nämlich beim kulturellen Wandel, der durch die zielgerichteten

Anstrengungen führender Künstler getrieben wird, durch Schriftsteller und

Page 33: Demokratie, Globalisierung und die nächste Stufe der ... · von Ervin Laszlo Am Ende des 20. Jahrhundert befinden wir uns in der Mitte eines raschen evolutionären Prozesses, den

33 (Laszlo_Sv ed.0506)

durch geistige Führer, die einflussreichsten Agenten des kulturellen

Wandels in der gegenwärtigen Szene. Diese Einsicht ist einer wachsenden

Anzahl von besorgten und vorwärts schauenden Menschen bewusst

geworden. Sie hat unter anderem zur Entstehung des „Clubs von

Budapest” geführt, einer Organisation, die seit ihrer Gründung Ende 1993

hochrangige Künstler, Schriftsteller, sowie Frauen und Männer aus dem

geistigen Bereich aufgerufen hat sich zu vereinigen, und zwar im

Interesse neues Licht zu werfen auf die Probleme und Angelegenheiten,

welche die heutige Menschhheit konfrontieren und zwar in der

vorhersehbaren Zukunft. Der Club, ein Gegenstück zu dem einem Viertel

Jahrhundert alten Club of Rome, unterstützt eine kulturelle Bewegung, um

Menschen zu helfen, den Teufelskreis zu durchbrechen, der ihren Geist

und ihr Bewusstsein unterdrückt und um Antworten zu finden,

Einstellungen zu formen und die Prioritäten festzusetzen, die wir für das

Überleben und die Entwicklung auf einem kleinen und zunehmend

übervölkerten verletzlichen Planet brauchen.