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Zeitsehrift fiir Kinderheilkunde 94, 168--185 (1965) Aus der Universitgts-Kinderklinik Erlangen-Niirnberg (Direktor: Prof. Dr. A. WINDORFER) urtd der Neurologisehen Universiti~tsklinik Wiirzburg (Direktor: Prof. Dr. G. SCI~ALTE~A~rD) Defekte und [~berschuB beim Laurence-Moon-Bardet-Biedl- Syndrom * Von G. JACOBI Mit 6 Textabbildungen (Eingegangen am 21. Juni 1965) 1866 beschrieben die englischen Ophthalmologen LAUI~ENCE U. MOO~ =27 das gleichzeitige Vorkommen yon Sehwaehsinn, Hypogeni- talismus, Minderwuchs und Atrophie des Pigmentepithels der Netzhaut. Sie vergliehen ihre Patienten mit Kretinen. BAI~DET 1 ftigte 1920 Poly- daktylie als weiteres wiehtiges Krankheitszeiehen hinzu. Er sah die Symptomen-Kombination als intrauterin beginnende Hypophysen- stSrung an. BIEDLs fal3te in einem Vortrag auf dem Deutschen Inter- nisten-Kongre6 1922 das Syndrom als heredodegenerative Zwischen- hirnerkrankung auf, deren Wesen in multiplen MiBbildungen bestehe. Das Laurenee-Moon-Bardet-Biedl-Syndrom** wurde bisher bei Weigen aller Erdteile, welter aueh bei Eskimos ~' und bei Negern 36 besehrieben. W~hrend einige Autoren die Hypophyse als den Sitz der StSrung ansahenSt 52, setzte sieh immer mehr die Meinung dutch, das Zwisehen- hirn-Hypophysen-System Ms Einheit mtisse in seinen Funktionen ver- /~ndert sein. Vor allem pathologiseh-anatomisehe Beobaehtungen spre- ehen daffir, dag bei Gesehwfilsten am Boden des III. Ventrikets oder bei hydroeephaler Erweiternng desselben neben der hypothalamisehen Lg- sion die Verbindungen zur Hypophyse hin gestSrt sein mtissen, wenn das Krankheitsbild der Dystrophia adiposogenitalis resultiert26, 4s. Bei Druek- steigerung innerhalb der IIypophyse oder suprasell/~r f/~llt znngchst die Gonadotropinproduktion aus, dann wird vermindert thyreotropes Hor- mon gebildet und zuletzt erst weniger ACTH sezerniert ~5. Obwohl beim LMBB-Syndrom als einer erbliehen Erkrankung keine intrakranielle Drueksteigerung vorliegt, dtirfte diese IZeihenfolge der Vulnerabilitgt der Einzelfunktionen des tIypophysenvorderlappens ebenfalls eine Rolle spielen. * I-Ierrn Professor Dr. G. SCHALTENBRAND zum 65. Geburtstag gewidmet. ** Abgekiirzt: LMBB-Syndrom.

Defekte und Überschuß beim Laurence-Moon-Bardet-Biedl-Syndrom

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Page 1: Defekte und Überschuß beim Laurence-Moon-Bardet-Biedl-Syndrom

Zeitsehrift fiir Kinderheilkunde 94, 168--185 (1965)

Aus der Universitgts-Kinderklinik Erlangen-Niirnberg (Direktor: Prof. Dr. A. WINDORFER) urtd der Neurologisehen Universiti~tsklinik Wiirzburg (Direktor:

Prof. Dr. G. SCI~ALTE~A~rD)

Defekte und [~berschuB beim Laurence-Moon-Bardet-Biedl- Syndrom *

Von

G. JACOBI

Mit 6 Textabbildungen

(Eingegangen am 21. Jun i 1965)

1866 beschrieben die englischen Ophthalmologen LAUI~ENCE U. MOO~ =27 das gleichzeitige Vorkommen yon Sehwaehsinn, Hypogeni- talismus, Minderwuchs und Atrophie des Pigmentepithels der Netzhaut. Sie vergliehen ihre Patienten mit Kretinen. BAI~DET 1 ftigte 1920 Poly- daktylie als weiteres wiehtiges Krankheitszeiehen hinzu. Er sah die Symptomen-Kombination als intrauterin beginnende Hypophysen- stSrung an. BIEDL s fal3te in einem Vortrag auf dem Deutschen Inter- nisten-Kongre6 1922 das Syndrom als heredodegenerative Zwischen- hirnerkrankung auf, deren Wesen in multiplen MiBbildungen bestehe. Das Laurenee-Moon-Bardet-Biedl-Syndrom** wurde bisher bei Weigen aller Erdteile, welter aueh bei Eskimos ~' und bei Negern 36 besehrieben.

W~hrend einige Autoren die Hypophyse als den Sitz der StSrung ansahenSt 52, setzte sieh immer mehr die Meinung dutch, das Zwisehen- hirn-Hypophysen-System Ms Einheit mtisse in seinen Funktionen ver- /~ndert sein. Vor allem pathologiseh-anatomisehe Beobaehtungen spre- ehen daffir, dag bei Gesehwfilsten am Boden des III . Ventrikets oder bei hydroeephaler Erweiternng desselben neben der hypothalamisehen Lg- sion die Verbindungen zur Hypophyse hin gestSrt sein mtissen, wenn das Krankheitsbild der Dystrophia adiposogenitalis resultiert26, 4s. Bei Druek- steigerung innerhalb der IIypophyse oder suprasell/~r f/~llt znngchst die Gonadotropinproduktion aus, dann wird vermindert thyreotropes Hor- mon gebildet und zuletzt erst weniger ACTH sezerniert ~5. Obwohl beim LMBB-Syndrom als einer erbliehen Erkrankung keine intrakranielle Drueksteigerung vorliegt, dtirfte diese IZeihenfolge der Vulnerabilitgt der Einzelfunktionen des tIypophysenvorderlappens ebenfalls eine Rolle spielen.

* I-Ierrn Professor Dr. G. SCHALTENBRAND zum 65. Geburtstag gewidmet. ** Abgekiirzt: LMBB-Syndrom.

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L~urence-Moon-Bardet-Biedl-Syndrom 169

Heute nehmen die meisten Autoren6,%16,as, 5s ghnlieh wie BIEDL an, dab eine intrauterin einsetzende Zwisehenhirnsehgdigung Ursaehe des Syndroms sei; dabei sei ,,das Organisatorfeld im Zwisehenhirnbereieh mit polyvMenten Gestaltungskrgften" (ULLRICH 58) gestSrt. Nach PANSE as k6nnen sich ZwisehenhirnstSrungen substituieren; so sei die Vielfalt der beim LMBB-Syndrom gefundenen begleifenden Mill bildungen zu erklgren. In der embryonMen Entwieklung sei hierbei das Zwisehenhirn als Organisator 2. und 3. Ordnung und a]s Organ beteiligt. Bei einer groBen Anzahl otoeephaler Migbildungen wurden begleitende Organmigbildungen in etwa 70% gefunden 21. Solehe Mii3bildungs- kombinationen sind zu erklgren 21 wie folgt :

a) die Schgdigung wirkt fiber einen Igngeren Zeitranm ein,

b) ein Determinationsfeld ist betroffen, das sieh spgter in versehiedene Organe differenziert oder

e) in versehiedenen Gebieten fgllt ein gemeinsamer Stoffweehsel- vorgang aus; dies wfirde der mSgliehen Sehgdigung nur eines Gens ent- spreehen.

Ganz vereinzelte Beobaehtungen 1~ (eigener Fall V) spreehen daffir, dab beim LMBB-Syndrom auBer dem eigentliehen Gebiet des Dienee- phalon aueh einmal andere Teile des Hirnstammes in den Krankheits- prozeB einbezogen sein kSnaen; diese M6gliehkeit gibt den Hinweis, dag die Sehgdigung beim LMBB-Syndrom fiber einen lgngeren Zeitraum einwirkt. Als teratogenetisehe Determinationsperiode wird das Ende des 1. und der Beginn des 2. Embryonalmonats angenommen<5,2a, ~s, ffir Augen- oder Genitalmigbildungen, die aueh bisweilen beobaehtet werden kSnnen, wird exakt der 30. Tag der Embryonalentwieklung angegeben.

Zur Klinik

Beim LMBB-Syndrom gelten folgende Krankheitszeiehen als Haupt- symptome: eine Pigmentdegeneration der Netzhaut, Poly- oder Syndak- tylien, Sehwachsinn, Hypogenitalismus und Fettsneht, meistens vom FrShliohsehen Typ, seltener uneharakteristiseh oder wie beim Cushing- Syndrom.

Das Vollsyndrom taucht praktiseh nie in der Aszendenz ant as, hgufig dagegen bei Gesehwistern. Einzelne Symptome, besonders Polydtkaylie, Retinitis pigmentosa oder Schwaehsinn, kSnnen in grogen Stature- bgumen m6glicherweise bis zur 8. Generation zurfiekverfolgt werden a, 10,2s. Konsanguinitgt besteht hgufigT, as. Bei familigrem Vorkommen des Voll- syndroms kann die Diagnose eines rudimenten LMBB bereits bei einem Trgger mit zwei tIauptsymptomen gestellt werden ~6, bei isolierten Fgllen dagegen miissen mindestens vier der Kardinalsymptome vorhanden sein lo.

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170 G. JAeoBI:

Nimmt man das Leitsymptom Retinitis pigmentosa zusammen mit neurologiseher Erkrankung, so kommt in differentialdiagnostiseher Hinsieht vor allem die juvenile Form der famili/~ren amaurotischen Idiotic (Typ Vogt-Spielmeyer) in Frage neben dem LMBB-Syndrom. In einer grogen Reihe yon 105 Patienten mit famili/trer amaurotiseher Idiotic fund SJ6GI~EN 5~ jedoeh nur einmal Polydaktylie, fast nie eine Adipositas, im Gegenteil, die Kranken kamen meist in einen Zustand der Kaehexie im Laufe eines sehnell fortschreitenden geistigen und k6rper- lichen Abbaus. Fast immer wurdea neben extrapyramidalen St6rungen Kr/~mpfe und in den sps Stadien der Krankheit Lghmungen ge- sehen. Kr/~mpfe und L~hmungen finder man beim LMBB-Syndrom dagegen in der Rcgel kaum 45.

Weiter sollte in differentialdiagnostiseher HinsJcht an eine familis StSrung des Lipoidstoffweehsels gedaeht werden, das Refsum-Syndrom: klinisehes Leitsymptom dieser Erkrankung sind neben einer taloetoreti- nalen Degeneration ein polyneuritisehes Syndrom mit erheblieher Eiweig- vermehrung im Liquor, daneben Ataxie und Nystagmus, ein patho- logiseher EKG-Befund, bisweilen auch iehthyosiforme HautverS.nde- rungen, Miose und verz6gerte Liehtreaktionea der Pupillen, Hohlfug- bildungen oder symmetrisehe Dysplasien im Knie-, Sehulter- und Elle- bogenbereieh2~ 42. Welter sollte aueh an eine Lues eonnata gedaeht werden, bier fiihren abet mSglieherweise die Hutehinsonsehe Trias, ein Argyll-Robertsonsehes Ph/~nomen, Areflexie, Anfglle oder meningitisehe Symptome neben dem loositiven Ausfall der spezifisehen Reaktionen zur Diagnose.

BECK~ 3 erbliekt in extrapyramidalen St6rungen ein weiteres Haupt- symptom beim LMBB-Syndrom. Sie werden in der Tat hs beobaeh- tet: Die Patientcn gehen leieht vorn/ibergebeugt, kleinschrittig, die Armmitbewegungen fehlen bisweiIen~,22, as. Es kSnnen ehoreiforme Mit- bewegungen der H/~nde und im Gesieht auffallen22,2a, 43. Gelegentlieh werden Muskelhypotonie~2,22, 4a oder t~igora2, 3s beobaehtet. Die Spraehe kann unartikuliert, lallend oder sogar skandierend wirken a,as. Extra- pyramidale StSrungen sind aber nieht in jedem Falle naehweisbar, so dug es sicher nieht bereehtigt ist, sic als Hauptsymptom bei dem Krankheitsbild zu betraehten.

Die Beteiligung der Netzhaut am Krankheitsproze$ imponiert zu- n/~ehst bei Kleinkindern als Naehtblindheit 3~, im Sehulalter kommen dann fortschreitende SehstSrungen und VerKnderungen am Augen- hintergrund' hinzu. Vom Augenarzt werden letztere meist als atypisehe Retinitis pigmentosa 59, seltener als typisehe Retinitis pigmentosa oder als alleinige juvenile Maeuladegeneration15, 57 bezeiehuet. Beim Fehlen eines pathologisehen olohthalmoskopisehen Befundes kann ein so- genanntes ,,stummes Elektroretinogramm" ein ErlSsehen der bioclek-

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Laurenee-Moon-Bardet-Biedl-Syndrom 171

trisehen Retinaaktivit/~t anzeigen ~5. So kann diese Untersuchung beim Fehlen von sichtbaren Fundusvergnderungen ein wertvolles dia- gnostisehes Hilfsmittel werden.

Hypogenitalismus ist neben einer Polydaktylie das Hauptsymptom, das statistisch am wenigsten hgufig zu finden ist 4a. Neben einer Kleinheit der gul~erlich tastbaren Genitalien kSnnen beim mgnnlichcn Paticnten das ein- oder beidseitige Ausbleiben des Deseensus oder bei einem geistig Normalen Libido- und Potenzverlust 7 ein klinischer Hinweis ftir Hypo- genitalismus sein. Bei Frauen weisen verspgtete Menarche, Oligo- oder Amenorrhoe und Kinderlosigkeit darauf hinS,~, 52. Manche dicser kli- nischen Kriterien sind leicht anzuzweifeln: bei AdipSsen sind hin- sichtlich der Gr6ge der Genitalien breite 8chwankungen im Normbereich zu verzeichnen. Welter tiberwiegt aueh sonst bei torpiden Schwachsinns- formen anderer Ursache Kinderlosigkeit. - - Genaue hormonelle Studien und Ergebnisse yon ttodenbiopsicn liegen nut vereinzelt vor: Man kann nun folgende beide Gruppen unterscheiden 44 :

1. Die Gonadotropinausscheidung ist stark vermindert oder fehlt ganz; ver- mutlich dieneephM-hypophysgre Form des Hypogenitalismus. Bisher wurden acht F~tlle genau analysiert (29,a1,~).

2. Ein primgrer testikulgrer Defekt wird vermutet bei normaler 17-Ketosteroid- ausscheidung und FSH-Produktion. Auch die Sertoli- und die Leydigschen Zellen waren nicht vergndert. Bisher wurde ein solcher Fall gefunden a6.

Chromosomanalysen ergaben aulJer normMen Befunden 1~,51 einmM bei einer Patientin einen gemischten Kariotyp 46 XX/45 XO, wie man es auch bei anderen Gonadendysgenesien finde~ a7 ; bei dieser Patientin waren pMpatorisch keine Ovarien nachweisbar.

Der Autor sah in der relativ kurzen Zei~ yon 5 Jahren ftinf Patienten, die das Bild des LMBB-Syndrom boten. Es fiel bei der Beobachtung dieser Patienten fast immer etwas f~bermggiges auf, sei es in ihrem KSrperbau, sei cs in ihrem Verhalten. ULLmCH 5s sieht in einer StSrung der Gestaltungskrgfte des Diencephalon in dcr Embryonalzeit die Ur- sachc fiir ,,13bersehugbildungen", worunter er Polydaktylien reehnet. Im Rahmen des LMBB-Syndroms werden weiter akromega]e Skelet- vcrgnderungen% 22, partieller I~iesenwuchs as und Makroglossie 7 be- schrieben, was man aueh als UberschuBbildnngen auffassen kann. In die l~eihe eines ,,Zuviel" mSchte der Autor auch die oft groteske Adipo- sitas und die eigenartigen psychisehen Vergnderungen reehnen, beidcs Krankheitserscheinungen, die Patienten mit diencephalen StSrungen bisweilen bieten. ~hnlieh wie die Netzhautvergnderungen, die man als ,,abiotrophische Vorggnge"6, 59 auffassen kann, kommen auch die kSrper- lichen und seelischen Eigenarten der Patienten erst in den ersten beiden Lebensjahrzehnten vol] zur Geltung. Durch solches bnnte Nebeneinander einer Monstrosit/~t per defeetum et per exeessum beim gleiehen Patienten fessclt das LMBB-Syndrom immer wieder unsere Aufmerksamkeit.

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172 G.J~coBt :

E igene B e o b a e h t u n g e n Fall 1. D. U. 15j~hriger Junge (Abb. 1). Vorgeschichte: Die Grol3mutter miitterlicherseits sei klein und adip6s gewesen.

Ein i~lterer Bruder des Patienten starb im Alter yon wenigen Monaten an einer unklaren fieberhaften Erkrankung. Die Mutter war bei der Geburt unseres Patienten 38 Jahre alt. Schon in den ersten Lebenstagen fielen doppelseitige KlumpffiBe, fiberzEhlige Zehen an beiden seitliehen Fugr/fndern und eine Hexadak- tylie der linken Hand auf. Dieser kleine fiber- z/ihlige Finger wurde sofort yon der Hebamme abgeschnflrt. Der Junge lernte erst mit 21/2 Jahren laufen, vorher muBte eine Tenotomie der Achillessehne auf beiden Sieten gemacht werden. Die Sprachentwicklung setzte im 18. Lebens- monat ein. In den ersten Klassen der Volksschule sell der Patient ein guter Schiller gewesen sein. Er wurde abet wegen seines langsamen Laufens, seiner altklugen Art und einer langsam einsetzen- den Sehst6rung yon seinen Kameraden geh/~nselt und gemieden. Mit 9 Jahren stellte ein Augen- arzt Naehtblindheit lest, das Sehverm6gen nahm aber immer mehr ab, so dab der Junge bei der Schulentlassung nicht mehr lesen konnte. Seit- dem hat er mit Erfolg begonnen, auf der 1Kaschine zu schreiben.

Be/und: 15jghriger Jnnge mit leichtem lVlinderwuehs ( - -10 era) und einer Adipositas (+ I2 kg), die besonders am Stamm und den Oberschenkeln ausgepr/~gt ist. Linkskonvexe Ge- siehtsskoliose. Gedrungener, kurzer Hals, Doppel- kinn und Nikrogenie. Akromikrie beider Hgnde, die Finger werden meist fiberstreckt gehalten. Am linken FuB I-Iexadaktylie, an der linken Hand und am reehten Fug lateral Narben naeh Abtragung iiberz~ihliger Glieder. Klumpfii~3e, reehts ausgeprggter als links. Die Haut hat eine alabasterartige Farbe, ist troeken und feinsehilf-

Abb. 1. D. U., 15j~hriger Patient rig. Am giicken mehrere pfenniggroBe Pigment- mit dem Vollbild des LMBB-Syn- drom. Deutlich zu erkennen ist naevi. Die oberfl/~ehliehen Venen sehimmern im eine Mikrogenie, wegen Klump- Thoraxbereieh durch. Die GenitMbehaarung ist ffigen tr~gt der Patient orthop~- disehe Sehuhe spSMich ausgeprggt, Aehselbehaarung und Bart-

wuchs fehlen vSllig. Stimmbrueh ist noch nieht eingetreten. Das Genitale ist guBerlich sehr klein, beide Testes sind descendiert, etwa haselnuBkerngroB.

Der Junge geht vorniibergebeugt, breitbeinig, die Arme werden nur wenig mitbewegt. Wir stellen eine Muskelhypotonie, aber auch einen teigigen Igigor, vor allem an den oberen Extremit~ten, fest. Besonders bei Aufregungen treten chorei- forme Fingerbewegungen auf, beim Sprechen und Laehen ein Mitrunzeln der Stirne. Die Extremitgtensehnenreflexe sind lebhaft und seitengleich auszulSsen, beider- seits Spreizphiinomen beim Bestreiehen der Fugsohle. Elektromyographisch wird eine t~igorkurve mit sehmelzenden Dehnungswiderst/inden gefunden.

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Laurenee-Moon-Bgrdet-Biedl-Syndrom 173

Der Visus ist beiderseits stark herabgesetzt, Handbewegungen k6nnen bis zu 1 m Entfernung gerade noeh wahrgenommen werden. Wit beobaehten einen amaurotisehen Pendelnyst~gmus, beiderseits werden yore Augenarzt TrLibungen der hinteren Linsenkapseln festgestellt. Die Liehtreaktion beider Pupillen ist ver- z6gert und nieht a usreiehend. Die Papillen sind waehsgelb verfiirbt, die Fundus- arteriert eng gestellt, entlang der Gefgge erkennen wit versehieden groBe Knoehen- k6rperehen in unregelmggiger Anordnung.

Bei der Untersuehung maehte der Junge zungehst einen aufgeweekten Eincb'uek. Er hat einen Spraehfehler, er sprieht G und K wie Daus. Sein Sehulwissen ist gering. yon Dingen, deren Besehreibung ein optiseh-r~umliehes Vorstellungsverm6gen er- fordert, hat er keine reehte Ansehauung. Fiir Konkreta findet er sofort Ober- begriffe, nieht aber fflr Abstrakta, die er meist aueh nieht riehtig zu erkl~ren vex- mug. Er kann sehr langsam und orthogr~phiseh riehtig auf der Masehine sehreiben. Viele seiner gnten sehulisehen Leistungen und aueh sein etwas andi'essiert wirkendes, gutes ]Benehmen sind einem Drill dureh seine Mutter zu verdanken, die ihn ~ueh wghrend des Krankenhausaufenthaltes dauernd sorgend umgibt. Wenn sieh niemand mit ibm besehgftigt, sitzt er auf dem Bettrand, seh~ut gegen das Fenster- lieht hin und produziert stundenl~ng leise-gnrrende Laute. Insgesamt wirkt er, auf sieh allein gestellt, sehr stark antriebsverarmt.

Die Leber ist drei Querfinger vergr68ert zu tasten, konsistenzvermehrt, die Milz ist nieht sieher palpabel. M~neke-Sommer 80O/o, Thymoltriibungstest 2,5 E, Zink- sulfat 2 E, Bromphthaleinretention 7,5% . Ein bei der Laparoskopie (Medizinisehe Poliklinik Wtirzburg) gewonnenes Leberpunktat lggt die Diagnose ,,beginnencle ~'etteirrhose" stellen, die Leberepithelien sind grobtropfig verfettet, das Binde- gewebe in den periportMen Feldern ist vermehrt und strahlt ins Parenehym ein (Bethnd des Pathologisehen Instituts der Universit~t Wiirzburg). - - Infolge einer chronisd~-aseendierenclen Pyeloenphritis bestehen Zeiehen einer latenten Nieren- insuffizienz. Im Urin ist Eiwei8 bis "2,5% naeh Esbaeh vermehrt, im Sediment werden Leukoeyten, Erythroeyten, hyaline und granulierte Cylinder gefunden, im K-Urin Baeterium Proteus und Enterokokken geziieh~et. BKS 8/27, im Blutbild Leukoeytose yon 11500 mit leiehter Linksversehiebung im Differentialaufstrieh. Gesamteiwei8, I~est-N und Elektrolyte liegen im Normbereieh. Beim Wasser- versueh mit 1200 ml Tee: verz6gerte Ausseheidung von nnr 250 ml in den ersten 4 Std, spez. Gewieht zwisehen 1005--1012.

Die Phenolrotelearenee betrggt 1,39 mg-~ der Blutdruek ist auf 165/95 mm Hg erh6ht. Bei des i. v.-Pyelographie bleibt die reehte Niere stumm, die linke ist um die Lgngsaehse gekantet. Das retrograde Pyelogramm ergibt eine I-Iypoplasie der reehten Niere. Diese Migbildungen im Bereieh der ableitenden Harnwege diirften die Ursaehe fiir die ehronisehen Entziindungen im Bereieh des Urogenitaltraktes sein.--Der Grundumsatz ist auf-32% herabgesetzt. Bei der Traubenzuekerdoppel- belastnng kommt es zu einer doppelgipfeligen Kurve: Der Blutzuekerwert steigt yon 95 mg-~ naeh beiden Glueosegaben auf jeweils 195 mg-~ an. Beim Thorn-Test (mit 25 E ACTtI im.) finden wit einen Abfall der Eosinophilen maximal naeh 4 Std yon 29%. Auf die Gabe yon 20 mg Solu-Deeortin ira. erfolgt ein Eosinophilensturz yon 50O/o n~eh 2 Std. und yon 75~ naeh 3 Std.

Epikrise: Es handel t sich um ein LMBB-Syndrom mi t Polydaktyl ie , P igmentdegenera t ion der Netzhaut , Minderwuehs, Adipositas, t Iypo- genitalismus) leiehter Fo rm des Sehwaehsinns u n d ex t rapyramida len St6rungen. Es werden augerdem Migbi ldungen der able i tenden t Ia rn - wege, die zu einer ehronisehen, aseendierenden Pyelonephri t is gef~hrt

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174 G. JACOBI:

haben , ge funden . E i n e h y p o t h y r e o t e S tof fwechse l lage , e ine le ich te

Z u c k e r i n t o l e r a n z sowie eine l a t e n t e Nebenn ie ren insu f f i z i enz s ind als

Fo lge h y p o t h a l a m i s e h e r Aus fa l l s e r s che inungen zu wer ten . Die Stoff-

w e e h s e l s t 6 r u n g e n w i e d e r u m k 6 n n e n m6g l i che rwe i se als U r s a c h e f/Jr e ine

b e g i n n e n d e F e t t e i r r h o s e der L e b e r a n g e s e h e n werden .

Fall 2. H. S., 55j/~hrige Patientin (Abb. 2). Anamnese: Die Angaben der Patientin sind

wegen ausgeprggten Sehwachsinns nut mit Vor- behalf zu bewerten: Ihre Eltern seien beide fiber 80 Jahre alt geworden. Sie habe fiinf Gesehwister. Bereits in der ersten Sehulklasse habe ihre Seh- kraft naehgelassen, zun~chst sei sie naehtblind gewesen, seit 20 gahren k6nne sie wegen v611iger Blindheit nieht mehr alMn aufdie Strage gehen. Naeh dem Volkssehulbesueh, wobei sie nieht sit- zen geblieben sei, habe sie zungehst in der elter- lichen Landwirtseh~ft mitgearbeitet, in den letzten 20 Jahren sei sie dann Ms Striekerin t~tig gewesen. Die Menarehe erfolgte mit 17 Jahren, es bestand dann immer eine Oligo- und Dys- menorrhoe, die Menopause trat vor einigen Jah- ten ein, wann genau, vermag sie nieht anzugeben. Die Patientin hatte keine Geburten oder Fehl- geburten, war nieht verheiratet gewesen.

BeJund: 152 em groge, 55 kg sehwere Pykni- kerin. I-Iexadaktylie an beiden FfiBen. Das Gebil3 ist liiekenhaft, oariSs und alveolarpyorrhoiseh. An beiden I-Ignden Erythema palmare. Die Ve~ nenzeiehnung im oberen Thoraxbereieh ist dureh- sehimmernd, dabei aber keine Einflugstauung. Uber der Iterzbasis ist ein systolisehes, nieht fortgeleitetes Deereseendoger~useh zu h6ren, der Blutdruek betr~gt 135/105 mm Hg. Die Leber ist. drei Querfinger vergr6Bert, die Milz nieht sicher palpabel. Bei der gyn~kologisehen Unter- suehung wird ein intaktes, altersatrophisehes Genitale gefunden. Der Gang ist kleinsehrittig- trippelnd, die Arme werden nieht riehtig mit- bewegt. Am reehten Arm f~llt ein statiseher Tremor und ein leiehtes Intentionszittern auf.

Abb. 2. It. S., 55 j~hrige Pal;len- Beim Spreehen wird der reehte Mundwinkel ~ie- tin mit dem L2CiBB-Syndrom ohne artig naeh oben verzogen. Die Ex~remit~ten- ausgepr~gte Adipositas, eine Hoxa- daktylie beider Fiil~e ist deutlich sehnenreflexe und die BDR sind regelreeht aus-

16sb~r, das Babinskische Zeichenist rechts positiv. Die Sehkraft ist stark herabgesetzt, reehts werden Handbewegungen bis auf

1 m Entfernung, links nur Hell und Dunkel wahrgenommen. Die Bulbi stehen divergent, die Pupillen reagieren kaum auf Lieht. Augenfach~rztlicherseits (Uni- versitgts-Augenklinik Wfirzburg) wird beiderseits eine beginnende Cataraeta senilis festgestellt. Am Fundus sehen wir neben einer wachsgelben Verf~rbung der Papillen enggestellte Arterien und dunkle KnoehenkSrperchen in sehr unregel- m~giger Anordnung, die bis in den Bereieh der Macula hineinreichen.

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Die Patientin ist debil : Sic kann nur die Mlereinfachsten geehenaufgaben 16sen. Sie macht einen gutmfitigen, in ihren seelisehen Regungen v611ig nivellierten Ein- druek. Ihr Gedgchtnis ist fiir Konkreta ausreiehend, fiir Abstrakta ungenfigend. Bei der Darstellung der Familienanamnese kommen deutlich konJabulatorische Ziige zum Vorsehein: Sic beriehtet, alle ihre Geschwister hiitten zwischen 14 und 21 Kinder gehabt. Bei entsprechend suggestiven Fragen gibt sie aber aueh hShere Zahlen an. Bei n~iherer Nachprfifung haben sich alle ihre Angaben fiber Namen, Wohnort und Zahl ihrer Niehten und Neffen als niehtzutreffend erwiesen.

Das :Bilirubin im Serum ist auf 1,75 mg-~ (davon 0,1 mg-~ direktes Bilirubin) leieht erh6ht. Im Serumelektrophoresediagramm ist eine Erniedrigung der Albumine auf 36 rel~ und eine Vermehrung der fi-Globuline auf 17,5 und der y-Globuline auf 28,5 reI~ zu ersehen. BKS 21/53, Blutbild und Urin zeigen keine Besonder- heiten. Wasserversuch mit 1200 ml: 4-Std-Urinmenge yon nur 230 mt, spezifisches Gewicht 1001--1014. Die Patientinar beitet beim Konzentrationsversuch nicht richtig mit. Im i. v.-Pyelogramm auger einem beiderseitigen Nierentiefstand kein krank- hafter Befund. Der Grundumsatz ist a u f - 28% erniedrigt. Beim Thorn-Test kommt es naeh Gabe yon 25 E ACTH i.m. naeh 4 Std zu einem Abfall der Eosino- philen um 55O/o, nach 8 Std um 70% . Doppelgipfelige Kurve nach der Zueker- doppelbelastung: Anstieg des Blutzuckers yon 153- auf 257 mg-~ naeh der ersten und yon 190 auf 265 mg-~ naeh der zweiten Gabe.

Epi~rise: W i r f inden bei de r P a t i e n t i n eine g e t i n i t i s p i g m e n t o s a ,

P o l y d a k t y l i e , M i n d e r w u e h s u n d H inwe i se fiir e inen t t y p o g e n i t a l i s m u s .

Die Ol igophren ie is t m6g l i che rwe i se ebenso wie e x t r a p y r a m i d a l e St6-

r u n g e n d u t c h eine l e ieh te Cerebra l sk le rose ve r s t / i r k t worden . Die an-

g e d e u t e t e R e e h t s - S y m p t o m a t i k ist als l e i eh tg rad ige r A l t e r spa rk in son i s -

m u s zu deu t en . Auff / i l l ig is t die N e i g u n g z u m K o n f a b u l i e r e n , wie m a n

es sons t b e i m K o r s a k o w - S y n d r o m finder . E i n e E r n i e d r i g u n g des Grund-

u m s a t z e s , e ine l a t e n t d i abe t i sehe S tof fwechse l lage u n d eine L e b e r f u n k -

t i o n s s t 6 r u n g v e r v o l l s t ~ n d i g e n das K r a n k h e i t s b i l d .

l~all It. H. A., 14,4jghriger Junge (KB: 5c/1820/62) (Abb. 3). Vorgeschichte: Erstes yon zwei Kindern, beide Eltern sind vollsehlank, grog und

gesund. Geburtsgewicht 3250 g, normaler Schwangersehafts- und Geburtsverlauf. Bei der Geburt fielen fiberz~hlige Zehen auf beiden Seiten auf, die eine wurde abge- bunden, die andere troeknete ein und fiel dann ab. Der Patient lernte mit 14 Monaten laufen, wurde mit 4 Jahren bettrein. Er soll mit 1 Jahr bereits 17 kg gewogen haben, er war ,,so dick wie grog". Immer wieder habe ftir 1--2 Tage hohes Fieber bis 400 ohne erkennbare Ursache bestanden. Zu Beginn der Sehulzeit setzten Sehst6rungen ein, die langsam starker wurden, getzt k6nne der Junge nur noch ganz grog ge- schriebene Buehstaben lesen. Er sei immer dicker und unbeholfener geworden, k6nne sich auf der Toilette nicht selbst abputzen, da er nieht um sieh herumlangen kann. Er sei in seiner geistigen Entwieklung noeh kleinkindlieh, er laufe immer kleinen Jungen beim Spielen naeh.

Be[und: Fettsueht vom Cushing-Typ mit Vollmondgesieht, roten H~ngebacken, Speekn~eken und am l~umpf und den Extremitgten verteilten Fettpolstern. 168 cm grog, 130 kg sehwer, Kopfumfang 59 em, Brustumfang 127 era. Genua valga und pedes plani beiderseits, Sgulenbeine. Beginn der Sekundgrbehaarung am mons pubis und in der Aehsel. Der Penis verschwindet in den Fettmassen, die Testes sind deseendiert, etwa haselnugkerngrog. Braune Pigmenteinlagerungen in den Schweig- falten, pendelnde Fibrome bis zwetsehenkerngrog im Naeken- und Sehulterbereieh.

Z. Kinderhe i lk . , Bd. 9~ 12

Page 9: Defekte und Überschuß beim Laurence-Moon-Bardet-Biedl-Syndrom

176 G. JACOBI:

Die Stimme ist sehr hoeh. Die Venenzeichnung ist im oberen Thoraxbereich ver- stgrkt. Der Blutdruek betrggt 175/115 mm Hg, das EKG linkstypisch umgeformt, es liegt aber kein Herzfehler vor.

Wir finden keine extrapyramidalen St6rungen. Die Sehkraft ist erheblich ver- mindert, der Junge mug sieh alles ganz dicht vor die Augen halten. Die Papille

ist beiderseits gelbweiB verfgrbt im Sinne einer beginnenden Opticusatrophie, im ganzen Fundus- bereioh sind versehieden groge Pigmentdegenera- tionsherde zu erkennen.

Der Patient ist debil, sein IQ betrggt 0,80. Er ist gul3erst bequem, antriebsverarmt, ver- langsamt und entwiekelt keinerlei Ehrgeiz. Seine Vorstellungen sind wie bei einem Kleinkind ent- wickelt. Er kann aueh einfaehe Reehenaufgaben nieht 16sen, Zahlenreihen nur manchmal weiter- sagen oder wiederholen, nicht schreiben oder etwas Konkretes zeichneriseh darstellen. Er hat keinerlei optisches Vorstellungsverm6gen. Wenn er dazu angehalten wird, spielt er mit K15tzehen. Spraehe und Sprachrhythmus sind ungestSrt.

Die Laboruntersuehungen einsehlieglieh der Bestimmung der 17-Ketosteriode und des Thorn- Testes ergeben keine Besonderheiten. Aueh das i.v.-Pyelogramm, der Wasserversueh und der Grundumsatz ( + 9~ sind in Ordnung.

Epikrise: E r h e b l i e h e A d i p o s i t a s v o m

C u s h i n g - T y p bei e twas b e s e h l e u n i g t e m

L g n g e n w a e h s t u m eines 14 j &hrigen J u n g e n .

R e t i n i t i s p i g m e n t o s a (sog. Pfeffer- u n d

Sa lz fundus) , H e x a d a k t y l i e be ide r Ffil3e,

a u s g e p r g g t e r Sehwaehs inn , m6g l i ehe rwe i se

Abb. 3. Fettsucht yore Cushing- auch I I y p o g e n i t a l i s m u s , ke ine s icheren Typ mit ausgepr'agtem Vollmond- S to f fweehse l anoma l i en . gesieht bei einem 14,4j~hrig'en Pa- tienten (I-L A.) mit d e m L2C[BB- Fall 4. L. W., vierj~hriger Junge (KB:

Syndrom 5c/1492/62; 2326/63; 2439/64) (Abb. 4).

Vorgeschichte: Keine auff~lligen Erkrankungen in der Familie. Einziges Kind gesunder Eltern. Geburtsgewicht 3350 g, Steil3]age. Die Mutter muBte im 3. Schwan- gersehaftsmonat wegen einer grol3en OvariMeyste operiert werden. Das Kind kam am 5. Lebenstag wegen Trink- und Lebenssehw~ehe ins Krankenhaus, mul3te 4 Woehen ]ang mit der Sonde ern~hrt werden. Wegen Hackenfiigen wurde es mit Gipsverb~nden behandelt. Die ersten Zghne bekam es mit 12 Monaten. Laufen lemte es mit 15 Monaten. Die Eltern berichten fiber ,,HeiBhunger", seit Ende des 1. Lebensjahres sei er so dick geworden.

Be]und: Stammfettsucht, besonders im Abdomen- und Hfiftbereich ausgeprggt. Gewicht 28,8 kg (~- 12 kg), Lgnge 98 cm ( - - 6 cm), Kopfumfang ~9 cm ( - - 2 cm), Brustumfang 71 em (+ 6 cm). Syndaktylien der Zehen I I und I I I beiderseits. Der Gang ist watschelnd und breitbeinig, beim Sprechen und Lachen finden wir run- zelnde Mitbewegungen der Stirnmuskulatur. Wir ste]len beiderseits einen Krypt- orchismus fest, eine Hypospadie und eine Palmure. Die neurologisehe und die elektromyographische Untersuehung zeigten keine Besonderheiten. Bei den beiden

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L~urence-Moon-Bardet-Biedl-Syndrom 177

ersten ophthalmologisehen Untersuchungen wurden keine Fundusver~nderungen festgestellt, bei der letzten wurden jedoch Pigmentverschiebungen gefunden. Der Junge sieht abet offenbar ausreichend. Er ist gutmiitig-debil, gugerst anhgnglich, spricht wenig und sehr undeutlieh. Er gebraucht nut Hauptworte und Infinitive benutzt das ,,Ieh" noch nicht. Oft ist er yon einer dranghaften Bewegungsunruhe

SelTllCrl

a.-p. p.-a. Abb. ~ Abb. 5

Abb. 4. L. W., vierj~hriger Junge ]nit demLNBB-Syndrom, ~tmgepr~gter HypogenitMismus : Eryptorchismus auf beiden Seiten, Hypospadie und PMmurenbildung

Abb. 5. Zeiehnung" des Luftfiillungsbi]des der ttirnk~mmern yon Patient 4: Seiten- unsieht, Aufnahme a.p. und p.a.: kleiner Eriimmungsradius der ~erplmnpten Seiten- ventrike], Erwciterung tier Cisterna corporis c~llosi lind Versehm'~lerung tier B~lkenkontur

in seinem caudalen Anteil

erfiillt, lguft dabei stundenlang in seiner ungeschiekt-stolpernden Art hin und her oder im Kreise herum.

Die Laboruntersuehnngen ergeben keine Besonderheiten. Die 17-Ketosteroide sind im Alter yon 3 Jahren mit 2,5 mg im 24-Std-Urin an der oberen Grenze der Norm gelegen. Die Traubenzuekerdoppelbelastung ergibt einen Doppelgipfel (138 mg-~ naeh der ersten und 156 mg-~ n~ch der zweiten Glucosegabe). Auch das i.v.-Pyelogramm ist in Ordnung. Die Hirnstromkurve zeigt noeh relativ viele poly- morphe l~ngsame Abl~ufe aus dem Delta- und Subthetabereieh occipital beiderseits, die Grundaktivit/it ist dort fiir das Alter etwas zu langsam. Das LuftencephMo- gramm zeigt eine Verplumpung der beiden Seitenventrikel in ihrem Trigonum- und Unterhornbereich. Der Kriimmungsradius der Seitenventrikel ist auf den Seiten- aufnahmen sehr klein. Auff~llig ist eine Erweiterung der Cisterna eorporis callosi, die nach hinten zu eine Verdiinnung der B~lkenkontur auf 2 mm vermuten l~13t (Abb. 5).

12"

Page 11: Defekte und Überschuß beim Laurence-Moon-Bardet-Biedl-Syndrom

178 G. JACOBI:

Epikrise: M6glicherweise exogen, n/imlich durch Sauerstoffmangel

und Nidat ionss t6rungen ausgelSstes LMBB-Syndrom mit Syndaktyl ie , Fe t t sueht , DebilitKt u n d Hypogeni ta l ismus, wobei abzuwar ten bleibt, ob nicht in sp/iteren Jah ren eine Pigmentdegenera t ion der Netzhaut h inzukommen wird. Die s tark gekrfimmte Form der Sei tenventr ikel im Luf teneephalogramm und eine vermute te Hypoplasie des Balkens in seinem dorsalen Antei l weisen auf eine I t e m m u n g der Gehirnentwieklung in einer frfiheren Entwieklungsperiode bin.

I~alIS. A.Z., 14j~hriger Junge (KB: 5e/1067/55; 207/58; 312/61; 370/63; 1971/63; 1877/64)(Abb. 6).

Vorgeschichte: Ein Bruder des Patienten starb im Alter yon 8 Tagen an Hydro- cephalus. Eine ~ltere Sehwester litt zeitweise an Magersucht. Die Geburt erfolgte zum Terrain mit einem Gewicht yon 1750 g, das Kind schien ausgetragen. 5fit 11 ~onaten kamen die ersten Z~hne, er lernte am Ende des 2. Lebensjahres laufen. Bettrein war er mit 31/2 Jahren. Seit dem 3. Lebensjahr wurde eine auffMlende Fettsucht, besonders im ttiiftbereich, beobachtet. Der Junge zeigte immer wieder Heil]hunger und ag in solchen Perioden ,,unheimliehe Mengen". Mit 9 Jahren Gelb- sucht, mit 12 Adeno~onsillektomie. Bis zu seinem 12. Lebensjahr besuchte er die Sonderschule, wurde dann aber herausgenommen, weil es ,,doeh keinen Wert mehr

habe". Seit 2 Jahren verlor er bisweilen ffir einige Minuten das Bewul3tsein, stfirzte hin, war hernaeh desorientiert nnd mul3te manchmM von Fremden naehhause gebracht werden.

Be/und: Fettsueht vom FrShliehschen Typ mit Bevorzugung der Gfirtellinie, Fettschiirzenbildung und Gyn/~komystie. 149 cm groB, 71 kg schwer (~- 29 kg), Kopfumfang 55 cm, Brustumfang 113 era. Sehwimmhautbildung an beiden tt~nden, Syndakty]ien der Zehen I I - - IV beiderseits. Reehts st~trker ausgeprggte Prose mit Epikanthus und anti- mongoloider Stellung der Augliedaehsen. Hypoplasie der Maxilla und Mandibuls mit Mikrostomie und Zahnstellungsanoma]ien. Der Gang ist stapfend, es sind Genua valga und Pedes plani ausgeprggt. Beide Testes sind deseendiert, etwa kirsehkerngroi3, der Penis versehwindet in den Fettmassen. Der Stimm- brueh ist noeh nicht eingetreten, noeh keine Sekun- d~rbehaarung.

Neurologisch und an den inneren0rganen ist kein krankhafter Befund zu erbchen; Konstante Albumin- urie. I~6ntgenologisch keine Anomalien im Bereieh- der ableitenden Harnwege. Die 17-Ketosteroidaus- scheidung betr~gt im Alter yon 8 Jahren 2,5 mg in 24 Std, die der Gesamtcortieoide 3,6 rag. Das Serum- cholesterin ist auf 325 rag-% erhSht, Wasserver- such, Thorn-Test und Grundumsatz sind normal.

Abb. 6. A. Z., 14jhhriger Junge ohne l~etin~ver&ndertmgen, m i t Syndaktyl ien , Dystrophi~ ~diposogenitalis, Debilit~t. Zu be~ehten sind e inmal die Fettschfirzenbildung" und die Genua va]ga. Z u m anderen eine bilaterMe Ptose mi t Epikant lnls , ~nt imongoloider StelItmg der Augliedachsen, Mikrostomie, I typoplasie 4er lV[axilla und der 2r Der dunge leidet

an cerebralen Krampfanf~ l len

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Laurenee-l~'[oon-Bardet- Biedl-Syndrom 179

Der Junge ist debil, er ist in seiner Art liippiseh und distanzlos. Er gebraueht Redensarten wie ein Erwaehsener aus gehobenem sozialem Millieu - - ,,Guten Morgen, gn~dige Frau Schwester!" - - ,,Hoehverehrter Herr Doktor!" (mit tiefer Verbeugung !) - - er ist aber vStlig ungebremst und kritiklos in seinen AuBerungen, dabei oft peinlich verletzend. Am liebsten jodelt er mit seiner hohen Stimme, stellt sich dann beifallheisehend in theatralischer Pose hin und lockt dureh Allite- rationen, Stabreime und Knittelverse, die er aueh improvisiert, Beifall hervor. Diese ,,Vorstellungen" mSeh~e er wieder und wieder darbieten, lguft yon Station zu Station, um ein neues Publikum zu finden. Nur durch energisches Zureden kann er zu Bert gesehickt werden, aber auch dort enden seine wortreiehen Heiterkeits- ausbriiehe und Ges~inge erst naeh Stunden. Sein Wissen ersehSpft sieh in Allgemein- plgtzen und aufgesehnappten Redensarten, er flieht dauernd Namen des euro- pgisehen Ferientourismus in seine Reden ein und versueht so, weltweite Reise- erfahrungen vorzutgusehen, die er keineswegs besitzt. Insgesamt ist neben seiner Debilitgt die mangelnde Bremsung seines l~edeantriebs d~s hervorstechendste psychopathologische Nerkmal.

Die Hirnstromkurve zeigt eine Verlangsamung der Grundaktivit~t auf 6--9/ see-Wellen, Krampfwellen-Varianten fiber der linken Hirnmitte und das Auftreten atypiseher 3--3,5/see spikes-waves-Gruppen.

Sehkraft und Elektroretinogramm sind ebenso wie der Augenhintergrund in Ordnung.

Differentialdiagnose und Epikrise

Bei dem P a t i e n t e n imponie ren besonders eine groteske F e t t s u c h t und sein e igenar t ig anfdringl iehes Bet ragen, das als p i t t o re sk und v611ig ungebrems t bezeiehnet werden mug. Da i rgendwelehe Zeichen eines L M B B - S y n d r o m s in der Aseendenz fehlen und aueh keine P igment - degenera t ion der N e t z h a u t naehweisbar ist, kSnnte man t ro tz des Vor- liegens yon vier H a u p t s y m p t o m e n an der E ino rdnung in dieses K r a n k - he i t sb i ld zweifeln. Auff/~llig s ind ferner ein Unte rgewieh t yon 1750 g bei der Gebur t bei dem ausge t ragenen Si~ugling, wo doeh RITTE~ ~5 meint , eine F e t t s u c h t sei bei solchen P a t i e n t e n , ,sehon immer vo rhanden" , was wi t abe t n ich t best/~tigen k6nnen (s. a. Fa l l 3 und 4!). Die Phys iognomie unseres Pa t i en t en m i t b i la te ra le r Ptose, Hypop las i e des Gesichtsseh~dels und Mikros tomie er inner t an Pa t i en t en mi t dem S ta tus Bonnevie-Ul l r ieh 5s, obwohl das L e i t s y m p t o m diese Krankhe i t sb i ldes , das P te ryg ium, fehlt . Aueh eine exzessive Adipos i tas geh6r t n ieh t dazu. Beim L M B B - S y n d r o m werden yon anderen An to ren ebenfal ls b i la te ra le P tose~ , ~ oder b i la te ra le Fae ia l i sparesen s erwghnt . Das Auf t r e t en yon Krampfanf~ l len , die e lek t reneepha lographiseh als sekundi~r fokalisiertes, cent reneephales Anfal ls le iden e inzuordnen sind, wird unseres Wissens reeht sel ten be im LMBB besehr ieben t~ Dabe i hande l te es sich e inmal u m eine K o m b i n a t i o n yon LMBB mi t Fr iedre ichseher Atax ie , im anderen Fal le waren Anfi~lle in der Fami l i e aufget re ten , die P a t i e n t i n zeigte er- hebliehe e x t r a p y r a m i d a l e StSrungen. Man m u g bei diesen und unserem P a t i e n t e n 5 auf Grund der kl inisehen Ersche inungen annehmen, dab die S tSrungen a m ZNS fiber den Zwisehenhirnbere ieh hinausgingen. Man

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180 G. JAeoBI:

wird daher trotz der oben gesehilderten Bedenken aueh bei unserem letzten Patienten die Diagnose eines atypisehen LMBB-Syndroms stellen.

Besprechung der Kasuistik a) Uberschufibildungen: Abgesehen yon unserem vierten Patienten

boten alle die oben geschilderten Kranken in somatiseher oder psyehi- seher Hinsieht StSrungen, die mit I~eeht als exzessiv bezeiehnet werden kSnnen: sei es eine groteske Fettsuehe vom Cushing- oder Fr5hliehsehen Typ (Fall 3 und 5) oder die eigenartigen Verhaltensst6rungen: ein langes Dahind~mmern bei relativ gut erhaltener formaler Intelligenz (Fall 1), ein Korsakow-Syndrom (Fall 2), das unseres Wissens noeh nicht beim LMBB-Syndrom besehrieben wurde, oder die theatralische Auf- dringlichkeit, Sangeslust und Pseudologia phanthastiea unseres letzten Patienten. Nat/irlich sind diese somatisehen und psychopathologisehen Ph/inomene nicht als ~berschuBbildungen sensu strietoris zu verstehen. Da sie jedoeh als typische ZwischenhirnstSrungen ge]ten k6nnen und das Charakteristisehe beim LMBB-Syndrom ein Nebeneinander von De[ekt und Uberschufibildung infolge einer Zwisehenhirnerkrankung ist, mSgen sie partiellen somatischen Hyperplasien an die Seite gestellt werden.

b) Die Bedeutung von begleitenden Mi/3bildungen: Eine geihe yon ihnen wurden bereits erw/ihnt: AnalatresieS, 2a, Uterus duplex 4~ Hy- pospadie a4 (Fall 4), Aortenisthmusstenose ~4 und besonders Mill bildungen im Bereich der ableitenden Harnwege14, 4~ Vor allem bei letzteren ist die Gefahr einer aszendierenden Pyelonephritis (s. a. Fall 1) gegeben und damit m6glieherweise ein die Lebenserwartung des Patienten begrenzender Faktor; fiberraseht doeh der hohe Anteil der autoptiseh untersuehten Patienten, bei denen eine Ur/imie die Todesursache wara, 47.

c) Sto~wechselstSrungen: Bei zwei unserer Patienten (Fall 1 und 2) lagen Hinweise f/Jr eine LeberfunktionsstSrung vor; dabei wurde einmal histologiseh eine beginnende Fetteirrhose diagnostiziert. In der Literatur wird einmal eine Lebereirrhose (KAvFMA~, zit. n. a6) und einmal eine Fettcirrhose der Leber als Autopsiebefund erwiihnt, bei anderen Pa- tienten wurde eine Hepatomegalie festgestelltT, 2a. M5glicherweise ste]len Stoffweehselst6rungen, die beim LMBB-Syndrom h~ufig gefunden werden, wie eine GrundnmsatzerniedrigungS,7,4a,aG,4s,52, G1, eine Glucosein- tolerenz 2e,ea,3s,~l, Wasserhaushaltsst6rungenT,22, ~1 oder eine Hyper- eholesteringmie (Fall 5) pr~disponierende Momente fiir solche Leber- funktionsst6rungen und cirrhotisehe Umbauvorgi~nge dar.

d) ErblicMceit-Phiino]copien: Es wird kein Zweifel bestehen, dab man im allgemeinen das LMBB-Syndrom als eine erbliehe Erkrankung an- sehen mug. Unklar erseheint bisher der Erbgang: Von manehen Autoren wird ein dominant-reeessiver Erbgang vermutet, wobei f/Jr die Poly- daktylie Dominanz, die /ibrigen StSrungen Reeessivit/~t angenommen

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Laurence-Moon-Bardet-Biedl-Syndrom 181

wirdT,23, 52. Von anderen Verfassern werden, besonders wegen der h~ufigen Konsanguinitgt in der Aszendenz 3s, zwei rezessive Gene24,2s,4s, a9 oder mehr als zwei Gene 3~ vermutet; mehr als zwei Gene k6nnen allerdings nieht die Ursaehe sein, wie RAD~E~ 4~ rein reehneriseh naehwies, da bei einer solehen Erbkonstellation die Stbrung nur einmal pro 1 Milliarde Mensehen auftreten dfirfte, wenn man die Hgufigkeit yon Polyds, ktylie, Sehwaehsinn und I~etinitis pigmentosa, gesehen auf die Durehsehnitts- bev61kerung, zugrunde legt. Die meisten Grfinde sprechen ffir einen einfaehen, reeessiven und autosomMen Erbgang mit Pleiotropiel~ 36,40,a3,ss, wobei peristatisehe Faktoren mSglicherweise eine Rolle spielen ffir die erhebliehen Manifesta~ionssehwankungen ira Erseheinungsbild.

F/Jr einen solehen einfaehen Erbgang spreehen aueh mSgliehe Be- obachtungen yon Phgnokopien, die natfirlieh nut sehwer wirklieh im Einzelfall bewiesen werden k6nnen : RASZEK 41 beriehtet fiber eine positive Toxoplasmose-KBI~ bei Mutter und LMBB-Patient, die Mutter hatte im Beginn der Sehwangersehaft eine fieberhafte Erkrankung mit Drfisen- sehwellungen durehgemaeht. NIEDEI~EI~ s2 erw/thnt eine Grippeerkran- kung der Mutter eines Pa~ienten in den ersten Sehwangersehaftsmonaten im Rahmen der Grippe-Pandemie 1918/19. ]N[OENCI-131 halt eine sehon bei frfiheren Schwangerschaften erworbene Sensibilisierung der Mutter gegen die Blutgruppe A 1 im I~ahmen einer Erythroblastose bei Zwillingen mit dem LMBB-Syndrom als m6gliehen exogenen St6rfaktor. Aueh in unserem Fall 4 kSnnte ein Nidationsst6rung des Feten und Sauerstoff- mangel dureh eine 0varialcyste, die zur Operation im 3. Sehwanger- sehaftsmonat ffihrte, eine exogene AuslSsung des Krankheitsbildes bedingt haben.

Zusammen~assung 1. Es werden fiinf Patienten mit dam LMBB-Syndrom ausffihrlieh

besehrieben. Besonders wird auf eigenartige psyehopathologische Be- funde bei drei unserer Kranken aufmerksam gemaeht. Diese tief- greifenden VerhaltensstSrungen werden neben ausgepr~gten Formen yon Adipositas yore Cushing-und FrShliehsehem Typ als Ijbersehug- ph/tnomene bei einer Zwisehenhirnst6rung gedeutet. Beim LMBB- Syndrom beobaehten wit ganz allgemein ein interessantes Nebeneinander yon Defekten (Migbildungen) und Ubersehul3bildu~gev.

2. Im allgemeinen wird man bei dem Krankheitsbild einen einfachen reeessiven, autosomalen Erbgang mit Pleiotropie annehmen; es mug abet aueh immer an Phi~nokopien des Syndroms gedaeht werden, woffir mSglieherweise bei einem unserer Patienten ein Anhalt bestande.

3. An Begleiterkrankungen innerer Organe sahen wir bei zwei unserer Patienten Leberfunktionss~Srungen, einmal wurde die Diagnose einer Fetteirrhose histologiseh gesiehert. Solehe Leberst6rungen dfirften Folge yon Ver~nderungen im intermedi/~ren Stoffweehsel sein. Weiter fanden

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182 G. JAcoBI:

wir e inmal eine rezidivierende, aszendierende Pye lonephr i t i s auf dem Boden einer Migbi ldung im Bereieh der ab le i t enden t Ia rnwege . Nach solehen sollte m a n bei j edem K r a n k e n mi t dem L M B B - S y n d r o m fahnden, da bier eine der wenigen 5r t l iehen BehandlungsmSgl ichke i ten der K r a n k - heir liegt.

S u m m a r y

1 . 5 pa t i en t s wi th L M B B - S y n d r o m are descr ibed thoroughly . Special a t t en t ion is called to s t range psychopa tho log ica l d i s turbances in 3 of our pa t ien ts . These p rofound d i s tu rbances of normal reac t ion are i n t e rp re t ed as excess-phenomenons in a d iencephal d i s tu rbance jus t as Cushing- und FrShl ieh-ad ipos i tas are. I n the L M B B - s y n d r o m we can genera l ly observe an in t e r s t i ng combina t ion of defects and excess-react ions.

2. Genera l ly a recessive, au tosomal he red i ty wi th p le io t ropia can be assumed in th is disease. Phenoeopia of the syndrom should a lways be considered as well, though, poss ib ly i t occured in one of our pa t ien ts .

3. As secondary d i s tu rbances of in te rna l organs we observed dis- funct ions of the l iver in 2 of our pa t ien ts . I n one of t h e m fat -c i r rhosis of the l iver could be confirmed histological ly. These disfnnct ions of the l iver are p r o b a b l y consequences of changes in i n t e rmed ia t e regulat ions . I n one ease we found recurr ing ascending pye lonephr i t i s caused b y a ma l fo rma t ion in the u r i na ry t r ac t . These should a lways be looked for and found in LMBB-syndrom, as t h e y represen t a chance for local t r e a t m e n t in th is disease.

L i t e r a t u r

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