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Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion Sirko Kupper 1997 www.drkupper.de

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Das Dimensionsmodell der

psychotherapeutischen Interaktion

Sirko Kupper

1997

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Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion 2

Zusammenfassung

Die vorliegende Untersuchung wird als Beitrag zur empirischen Psychotherapieforschung

vorgelegt. Die Untersuchung ist in erster Linie dem Rang einer Einzelfallstudie zugeordnet.

Unter der klinisch-sozialpsychologischen Perspektive werden die Struktur und der Verlauf

psychotherapeutischer Interaktionen untersucht. Es wird ein Dimensionsmodell der psycho-

therapeutischen Interaktion entwickelt. Vor dem theoretischen und empirischen Hintergrund

der interaktionellen sozialen Ereignisse wird dieses Modell beschrieben, analysiert und

bewertet. Das formulierte Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion wurde in

der vorliegenden Untersuchung exemplarisch mit einigen akzentuierten Merkmalen bestätigt.

Es wird nachgewiesen, daß sich die Verläufe psychotherapeutischer Interaktionen durch

Partizipationstrukturen für Therapeut und Patient beschreiben und statistisch signifikant

nachweisen lassen. Ferner erbringt die Untersuchung Belege für die Bestätigung des

Dimensionsmodells der psychotherapeutischen Interaktion. Die zentrale Aussage konzentriert

sich auf die Konzeptualisierung von Psychotherapie als Abfolge und Schichtung von zeitlich

invarianten Partizipationsstrukturen, die von Therapiesitzung zu Therapiesitzung unter-

schiedliche Ausprägungen annehmen. Die dargestellten Ergebnisse regen zu einer künftigen

Vertiefung des zugrundeliegenden Forschungsansatzes an und bilden den Ansatz für eine

weitergehende Untersuchungsstrategie.

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Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion 3

1 Einleitung

Seit Mitte der 80er Jahre hat weltweit ein vehementer Wandel hinsichtlich der Erforschung

psychotherapeutischer Prozesse eingesetzt (Greenberg, 1986; Greenberg & Pinsof, 1986; Rice

& Greenberg, 1984 u.a.). Die gemeinsame Zielperspektive der Psychotherapieforschung

besteht in einem besseren Verständnis psychotherapeutischer Veränderungen in ihrem

prozessualen Verlauf. Darüber hinaus sollen auch die Determinanten für therapeutische

Erfolge und Mißerfolge ermittelt werden (vgl. auch Bastine, Fiedler & Kommer, 1989, S. 1).

Dieses „neue Forschungsparadigma“ (Rice & Greenberg, 1984, S. 7) der Prozeßanalyse ist ein

wichtiger Schritt über den „Mißbrauch der Drug-Metapher in der bisherigen Psychotherapie-

prozeß-Outcome Forschung“ (Stiles & Shapiro, 1989, S. 521) hinaus. Eines der bekanntesten

Ergebnisse dieser korrelativen Prozeß-Outcome-Forschung schlägt sich in dem von Orlinsky

und Howard (1986, S. 367) entwickelten „Generic Model of Psychotherapy“ nieder. Dieses

erste empirisch fundierte Allgemeine Modell von Psychotherapie ist ein bedeutender Fort-

schritt, da es eine Vorstellung davon entwickelt, wie die verschiedenen Einflußfaktoren der

Psychotherapie in Wechselwirkung miteinander stehen. Allerdings fehlen in dem

Allgemeinen Modell der Psychotherapie Aussagen über die zeitliche Struktur und Dynamik.

Die Bestrebungen in der aktuellen Psychotherapieprozeßforschung orientieren sich näher an

der zeitlichen Dimension der psychotherapeutischen Prozeßdynamik. Folgende vier For-

schungsrichtungen können derzeit unterschieden werden:

• Analyse des psychotherapeutischen Dialogs mit Hilfe von formalen, grammatikalischen undinhaltlichen Textmaßen (Ulmer Textanalyse),

• Untersuchung interaktiver Mikroepisoden (Mimikforschung),• Untersuchung der Abfolgesystematik bestimmter veränderungsrelevanter Episoden im The-

rapieprozeß (Mikromodelle),• Vorstellungen über die zeitliche Struktur und Dynamik des gesamten Verlaufs einer Psycho-

therapie (Makromodelle).

In den letztgenannten Bereich der Strategien zur Psychotherapieforschung kann auch die vor-

liegende Arbeit eingeordnet werden.

2 PsychotherapieforschungWährend der vergangenen 15 Jahre erstarkte unter Psychotherapieforschern die Auffassung,

daß ein vielschichtiges und komplexes Geschehen wie die Psychotherapie auch dementspre-

chend beforscht werden muß (Czogalik, 1989; Czogalik & Hettinger, 1988; Elliott, 1983;

Grawe et al., 1991; Greenberg & Pinsof, 1986; Horowitz, 1982; Rice & Greenberg, 1984;

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Thomä & Kächele, 1989 u.a.). Das Anliegen dieser „neuen“ Prozeßforschung wurde von

Greenberg & Pinsof (1986) sehr zutreffend charakterisiert:Prozeßforschung ist das Studium der Interaktion zwischen Patienten und Therapeu-tensystemen. Das Ziel der Prozeßforschung ist es, die Veränderungsprozesse, die sichim Rahmen der Interaktion dieser beiden Systeme ereignen, zu identifizieren. Prozeß-forschung umfaßt die Gesamtheit der Verhaltensweisen und Erfahrungen dieser Sy-steme, die den Veränderungsprozeß betreffen – innerhalb und außerhalb der Behand-lungssitzungen. (Greenberg & Pinsof, 1986, S. 18; Übers. v. Verf.)

Erste Überlegungen für ein neues Forschungsparadigma wurden bereits in den frühen 70er

Jahren angestellt. Anfang der 70er Jahre forderte Helm (1972) die „Forschung zur Effektivi-

tätsforschung“ dazu auf, „vielmehr den therapeutischen Prozeß“ (S. 35) zu untersuchen. Ein

Jahr später erschien Kieslers (1973) Übersichtswerk The Process of Psychotherapy. Dennoch

konnte keiner der Beiträge des Buches dem Titel Prozeßforschung Rechnung tragen. Bis in

die frühen 80er Jahre hinein wurde der Begriff Prozeß eher als Metapher benutzt. Hertel

(1972) kritisierte derartige Arbeiten als Beiträge zur „Scheinprozeßforschung“ (S. 421; Übers.

v. Verf.).

Das Paradigma der „umfassenden Psychotherapieforschung“ (Extensive Analysis, Safran,

Greenberg & Rice, 1988, S. 1 f.) überdauerte bis in die Mitte der 80er Jahre (z. B. Michelson,

1985). Auch heute kann noch auf Untersuchungen getroffen werden, denen die Strategie

zugrundeliegt, „Variablen aus verschiedenen nach Zufall ausgewählten Zeitbereichen

zusammenzufassen oder zu mitteln, diese Variablen repräsentativ für den Verlauf zu be-

trachten und weiterzubearbeiten“ (Czogalik, 1989, S. 11). Eine der jüngsten Untersuchungen,

deren Ergebnisse aufgrund dieser verallgemeinernden Forschungsstrategie in einer eklatanten

Verzerrung resultierten, stellt die Metaanalyse von Grawe et al. (1994) dar. Aus der heutigen

Betrachtung heraus müssen derartige experimentelle und korrelationsstatistische Designs als

unzureichend für die Psychotherapieforschung bezeichnet werden.

Dieser „umfassenden“ Forschungsstrategie (Extensive Analysis) wurde von Rice und

Greenberg (1984, S. 299) die „gründliche“ Forschungsstrategie (Intensive Analysis) gegen-

übergestellt (vgl. auch Safran et al., 1988, S. 12). Nur auf der Grundlage einer gründlichen

Analyse der zeitlichen Struktur und Dynamik der psychotherapeutischen Interaktion auf der

Ebene der einzelnen Aussage, des Satzes oder des Sprecherwechsels werden systematische

Betrachtungen psychotherapeutischer Prozesse möglich. Über den Weg vieler gründlicher

Einzelfallstudien kann die daraus ableitbare Systematik psychotherapeutischer Prozesse für

adaptive Indikationsentscheidungen1 genutzt werden. Pauls (1967) Anspruch an die Psycho-

1 Unter adaptiven Indikationsentscheidungen werden durch den Autor alle aus dem psychotherapeutischen

Interaktionsprozeß ableitbaren Hinweise verstanden, die den Therapeuten direkt in seinemInteraktionsverhalten zu seinem Patienten beeinflussen (vgl. auch Bastine et al., 1989, S. 15; Fiedler, 1987, S.

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therapieforschung, steht nun nicht mehr im Mittelpunkt der Erforschung des psychotherapeu-

tischen Prozesses. Paul (1967) warf folgende grundsätzliche Frage auf: „Welche Behandlung,

durch wen, ist am effektivsten für dieses Individuum mit diesen spezifischen Problemem, und

unter welchem Setting?“ (S. 111; Übers. v. Verf.). Für die heutige Prozeßforschung könnte

diese Frage vielmehr lauten: Welche spezifischen therapeutischen Interventionen sind in wel-

chen aktuellen therapeutischen Kontexten angebracht und führen anschließend zu einer Wir-

kung für den Patienten? (vgl. Stiles, Shapiro & Elliott, 1986, S. 174). Durch den Einbezug der

kontextuellen und sequentiellen Natur der Psychotherapiesituation liefert dieser Forschungs-

ansatz unmittelbar anwendbares Handlungswissen für die praktisch tätigen Therapeuten. Die

oft beklagte „bemerkenswerte Irrelevanz für die psychotherapeutische Praxis“ (Grawe, 1982,

S. 330) kann durch diese und ähnliche Forschungsansätze stärker ausgeräumt werden

(Czogalik, 1989; Elliott, 1983, 1984; Grawe et al., 1991; Greenberg, 1982, 1984; Greenberg

& Webster, 1982; Greenberg, Rice & Elliott, 1993; Horowitz & Stinson, 1991; Rice & Kerr,

1986; Shapiro, 1981, 1985; Steimer-Krause, Krause & Wagner, 1990; Stiles, 1982, 1983;

Stiles & Shapiro, 1995 u.a.). Auch die Ansätze der computergestützten Textanalyse erlauben

gründliche Analysen des psychotherapeutischen Dialogs (Kächele, 1983; Kächele &

Mergenthaler, 1983, 1984; Mergenthaler & Kächele, 1994; Scheibe, 1991).

In der Psychotherapieprozeßforschung wird von der Vorstellung ausgegangen, daß es sich bei

Psychotherapie nicht um einen kontinuierlich wirkenden Veränderungsprozeß handelt. Auf

der Grundlage dieser Auffassung können psychotherapeutische Veränderungen, die aus der

Therapeut-Patient-Interaktion hervorgehen, nur sinnvoll im Verlaufsprozeß der Therapie

unmittelbar untersucht werden. Die präzise Bestimmung von veränderungsrelevanten

Ereignissen erlaubt eine Konstruktion des psychotherapeutischen Veränderungsprozesses, die

sehr nahe am klinischen Geschehen orientiert ist (vgl. auch Bastine et al., 1989, S. 9).

2.1 Strategie der multikategorialen Längsschnittanalyse überStruktur und Verlauf

Die Strategie der multikategorialen Längsschnittanalyse oder multivariaten Analyse wird

unter der Grundannahme angewendet, daß prozeßrepräsentierende Ereignisse mit Hilfe von

1061). Kämmerer und Fiedler (1985) haben eine präzise Definition der therapeutischen Strategie formuliert:„Bei den als zentral erkannten Problemem- bzw. Störungskonstellationen des Klienten sind psychothera-peutische Strategien vom Therapeuten eingeleitete Maßnahmen/Aktivitäten, die als hierarchisch strukturierte,

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faktoren- und varianzanalytischen Verfahren beschrieben werden können (Russell, 1995, S. 3

f.). Die prozeßrepräsentierenden Ereignisse können als „quantitative Veränderungen von

Merkmals- oder Strukturausprägungen über die Zeit“ (Czogalik, 1989, S. 17) konzeptualisiert

werden.

In Hinblick auf die Auswertungsstrategien orientiert sich der Verfasser an den Struk-

turgleichungsmodellen und der faktorenanalytischen P-Technik. Die P-Technik der

Faktorenanalyse (Cattell, 1943; Cattell & Luborsky, 1950; Luborsky, 1995) ist außerordent-

lich relevant für die vorliegende Untersuchung, da vor dem Hintergund eines sozialpsycholo-

gischen Interaktionsparadigmas strukturelle und prozessuale Aussagen getroffen werden sol-

len. Die Bezeichnung P-Technik soll einen Anwender direkt darauf hinweisen, daß „die Wer-

tematrix einer einzelnen Person faktorisiert wird“ (Cattell, 1977, S. 215; Übers. v. G.

Schneider). Das Grundprinzip der P-Technik besteht in einer explorativen Faktorenanalyse

über wiederholte Messungen von bestimmten Variablen an einer Person. Die empirischen

Werte der verschiedenen Variablen werden miteinander korreliert und aus diesen Interitem-

korrelationen werden anschließend Itemdimensionen über die Zeit hinweg extrahiert. Die er-

rechneten Faktorenwerte können dann über verschiedene Zeitabschnitte hinweg

(„Therapiephasen“) auf statistische Signifikanz geprüft werden.

Besonders ausführlich hat sich bislang Luborsky (1995) mit der faktorenanalytischen Technik

befaßt (z. B. Cattell & Luborsky, 1950; Luborsky, 1953; Luborsky & Mintz, 1972; Mintz &

Luborsky, 1970). Im Rahmen der Studie einer Gesprächspsychotherapie wurden zum Beispiel

folgende Faktoren extrahiert (Mintz & Luborsky, 1970, S. 15):

• Patient-Faktor 1: Gesundheit vs. Leiden des Patienten,• Patient-Faktor 2: Involvierung des Patienten,• Therapeut-Faktor 1: Direktivität des Therapeuten ,• Therapeut-Faktor 2: Empathie des Therapeuten.

Diese Faktoren können nun als Dimensionen der dyadischen Interaktion angesehen werden.

Das durch den jeweiligen Faktor bezeichnete Verhalten variiert zwischen zwei Polen, wobei

nichts über die Variationsbreite ausgesagt wird. Der Therapeuten-Faktor 2 (Empathie des

Therapeuten) bedeutet somit nicht, daß der Therapeut in Therapieabschnitten mit einer hohen

Ausprägung besonders empathisch war oder in Abschnitten mit niedriger Ausprägung des

Faktor sich ausgesprochen nicht-empathisch verhalten hat. Dieser Faktor weist vielmehr dar-

auf hin, in welchem Ausmaß das Therapeutenverhalten zwischen den beiden Polen

„empathisch“ und „nicht-empathisch“ variiert (vgl. auch Czogalik, 1989, S. 34). Mintz &

adaptive Handlungen gekennzeichnet werden können und die therapeutischen Ziele explizieren und festlegen,ohne die Orientierung an den Realitäten des Klienten aus den Augen zu verlieren“ (S. 537).

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Luborsky (1970) konnten bezüglich des Wohlbefindens des untersuchten Patienten zeigen,

daß es in der ersten Therapiephase eine hohe Ausprägung aufweist. In der mittleren Therapie-

phase nimmt das Wohlbefinden eine deutlich niedrigere Ausprägung an und steigt in der Ab-

schlußphase der Therapie wiederum an. Mintz und Luborsky (1970) geben folgende Zusam-

menfassung ihrer Ergebnisse:Die praktische Nützlichkeit unserer Ergebnisse zeigt sich in der engen Beziehung zumdirekten Behandlungsprozeß. Die Trends der zwei Faktoren für den Patienten konntenwir auf den Therapieerfolg während der drei unterschiedlichen Perioden beziehen,wie sie vom Patienten berichtet wurden. (S. 17)

Eine ausgezeichnete Demonstration für die Anwendung der P-Technik gab auch Czogalik

(1989). Auf der Ebene der Fremdbeurteilung extrahierte Czogalik für die untersuchte Ge-

sprächspsychotherapie folgende Therapeuten- und Patientenfaktoren:

• Therapeut-Faktor 1: Therapeutische Interventionen,• Therapeut-Faktor 2: Zurückweisung therapeutbezogener Themen,• Patient-Faktor 1: Beantwortende Selbstthematisierung,• Patient-Faktor 2: Deskriptive Darstellung,• Patient-Faktor 3: Kognitiver Darstellungsmodus,• Patient-Faktor 4: Primärsystem-Thematisierung.

Auf den ersten Therapeutenfaktor und den dritten Patientenfaktor soll kurz etwas näher einge-

gangen werden. In Abbildung 2-1 werden die beiden Faktoren graphisch dargestellt. Der erste

Therapeutenfaktor wurde von Czogalik als Therapeutische Interventionen bezeichnet. In

Therapiesitzungen, in denen dieser Faktor hohe Ausprägungen zeigt, ist das Verhalten der

Therapeutin durch einen hohen Anteil von kognitiven und explorierenden Interventionen

gekennzeichnet. Die Therapeutin sucht nach Zusammenhängen, entwickelt Hypothesen über

die dargebotenen Gesprächsinhalte der Klientin und artikuliert Gedanken (Czogalik, 1989, S.

235). Den dritten Patientenfaktor bezeichnete Czogalik als Kognitiven Darstellungsmodus.

Die Klientin spricht in Stunden mit einer hohen Ausprägung dieses Faktors häufig über

Gedanken, Wahrnehmungen und Bewertungen. Das Verbalverhalten der Patientin weist

jedoch keine Ähnlichkeit zu dem Verbalverhalten der Therapeutin (Therapeut-Faktor 1) auf,

das mit Exploration, Suchstrategien und Strukturierungsversuchen verbunden war (S. 239).

Abbildung 2-1. Therapeutenfaktor 1 und Patientenfaktor 3 nach Czogalik (aus Czogalik, 1989, S. 235 und S.239)

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In einer weiteren Anwendung der P-Technik deckten Czogalik und Russell vier Partizipati-

onsstrukturen für den Patienten (1994a) und vier Partizipationsstrukturen für den Therapeuten

(1994b) auf. Czogalik und Russell (1994a, b) untersuchten 6 Psychotherapien, die sie für die

empirische Untersuchung jeweils in Drittel unterteilten. Die Faktoren für die Patienten und

Therapeuten lauten (Czogalik & Russell, 1994b, S. 82):

• Therapeut-Faktor 1: Suchender objektiver Informationsaustausch,• Therapeut-Faktor 2: Anleiten der einsichtsfördernden und schmerzhaften Arbeit,• Therapeut-Faktor 3: Involvierte Selbstöffnung,• Therapeut-Faktor 4: Geben von Ratschlägen.

Für den Patienten wurden folgende vier Faktoren extrahiert (Czogalik & Russell, 1994a, S.172):

• Patient-Faktor 1: Fortgesetzter objektiver Informationsaustausch• Patient-Faktor 2: Leisten von schmerzhafter Arbeit zur Selbstdarstellung,• Patient-Faktor 3: Aushandeln der therapeutischen Beziehung,• Patient-Faktor 4: Beschreibung nichtbedeutsamer anderer Personen, Arbeit und Freizeit.

Alle Patienten-Faktoren und alle Therapeutenfaktoren unterschieden sich untereinander signi-

fikant über die untersuchten Therapiesitzungen hinweg. Die deutlichsten Unterschiede erga-

ben sich für den Faktor zwei des Patienten.

Die angeführten Beispiele aus der Psychotherapieforschung für die Verwendung der faktoren-

analytischen P-Technik belegen ihre Reichweite bei der Analyse der Struktur und des

Verlaufs psychotherapeutischer Interaktionen. Dort, wo es um die Erfassung und empirische

Beschreibung der Einzigartigkeit der psychotherapeutischen Dyade in ihrer zeitlichen

Verlaufsstruktur geht, scheint diese Forschungsstrategie angemessen zu sein. Was der

Prozeßforschung noch bevor steht, ist die Formulierung von Prozeßtheorien, die Such- und

Auswertungsstrategien begründen (vgl. Czogalik, 1989, S. 41). Elliott (1991) ging bereits

einen Schritt in diese Richtung, indem er ein Strategienmodell für die Psychotherapie-

prozeßforschung vorlegte. Mit dem Strategienmodell leitet Elliott (1991) zu „systematischen

Beschreibungen des Veränderungsprozesses“ (S. 102; Übers. v. Verf.) an. Elliott (1991) ist

der Meinung, daß mit einer komplexen Beforschung des psychotherapeutischen Prozesses

auch dem Gegenstand Psychotherapie stärker Rechnung getragen wird (S. 92). Die bisherigen

Untersuchungsstrategien nähern sich zwar diesem Ziel an (z. B. Stiles & Shapiro, 1995;

Czogalik & Russell, 1995; Vessey, Howard, Lueger, Kächele & Mergenthaler, 1994), aber

von einer endgültigen Legitimation des „neuen Paradigmas“ (Rice & Greenberg, 1984, S. 7)

der Prozeßforschung kann aufgrund der aktuellen Befundlage noch nicht gesprochen werden.

Diesen Mangelzustand der Forschung resümiert Czogalik (1989):

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Es fehlen theoretisch begründete Modelle, über die eine Verdichtung und Dimensio-nierung der Ergebnisse abgeleitet werden können, und die eine Integration von Be-funden in einen übergeordneten Zusammenhang leisten. (S. 41)

Die vorliegende Untersuchung ist ein weiterer Schritt in die Richtung der Kompensation die-

ser Defizite durch gründliche Studien mit der Charakteristik der Einzelfallorientierung.

2.2 Einzelfallforschung

Im Zuge des Paradigmenwechsels in der Psychotherapieforschung (Rice & Greenberg, 1984;

Greenberg, 1986; Fiedler, 1987) erfolgte auch eine Neuorientierung am Einzelfall (Grawe &

Kächele, 1988; Grawe, 1988). Die historische Bedeutung der Einzelfallforschung für die Psy-

chotherapieforschung bleibt unbestritten (Czogalik, 1989, S. 42; Grawe, 1982, S. 323). Die

Neuorientierung in der Psychotherapieforschung kann als eine Abwendung von der Erfor-

schung der globalen Effekte gekennzeichnet werden. Westmeyer (1979) erkannte bereits am

Ende der 70er Jahre diese Situation:Die Ansicht, Einzelfallanalysen seien im Rahmen der Forschung nur da angemessen,wo sich Untersuchungen an Gruppen aus methodisch-pragmatischen Gründenverbieten, ist (...) nicht haltbar. (Westmeyer, 1979, S. 21)

Die aktuelle Phase der empirischen Psychotherapieforschung intensiviert die Untersuchung

der prozessualen Vorgänge (Tschuschke, Kächele & Hölzer, 1994, S. 282; Shapiro, 1990;

Toukmanian & Rennie, 1992). Die leitende Frage der aktuellen Forschung lautet: „Welche

mikroprozessualen Vorgänge konstituieren die klinisch konzipierten Makroprozesse?“

(Kächele, 1992, S. 265).

Die Durchführung einer so ausgerichteten Forschung kann nur über den Weg der Einzel-

fallanalyse geschehen (Grawe, 1988, S. 1). Unter dieser Perspektive forderte Grawe (1988)

„sorgfältig aufbereitete Einzelfallanalysen, die das therapeutische Geschehen zunächst einmal

auf der Ebene des Einzelfalls in seinen komplexen Zusammenhängen darstellen und verständ-

lich machen“ (S. 6). Das Einzelfallparadigma wurde in den letzten Jahren wesentlich stärker

in die Untersuchungen zu Prozessen in der Psychotherapie einbezogen (z. B. Grawe &

Kächele, 1988; Grünzig, 1988; Hilliard, 1993; Jones & Nesselroade, 1990; Jones, Ghannam,

Nigg & Dyer, 1993; Kazdin, 1994; Yin, 1989).

Die Einzelfallorientierung steht momantan immer noch am Anfangspunkt des „neuen“ Pro-

zeßparadigmas der Psychotherapieforschung. In dieser Hinsicht erfüllt die Einzelfallanalyse

eine exploratorische Funktion im Entstehungszusammenhang wissenschaftlicher Theorien

und eine begründende Funktion im Verifikationszusammenhang wissenschaftlicher Theorien,

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Strategien und Hypothesen (Westmeyer, 1979, S. 31). Die Ergebnisse einer Einzelfall-

untersuchung können jedoch erst nach einer Replikation als Fundus für weitere allgemeine

Hypothesenüberprüfungen verwendet werden (Hilliard, 1993, S. 376).

Der Grund dafür, daß die Durchführung von Einzelfallanalysen und entsprechenden Replika-

tionen in den letzten 20 Jahren eher die Ausnahme dargestellt haben, kann auf die Methoden-

bestimmtheit in der Psychologie zurückgeführt werden (vgl. bereits Westmeyer, 1979, S. 21).

Statt mit wenigen Methoden viele Therapie zu untersuchen, erscheint es wesentlich sinnvoller

eine Therapie mit möglichst vielen Methoden zu analysieren (Grawe, 1988, S. 5; vgl. auch

Czogalik, 1989; Grawe & Kächele, 1988). Daher kann der Einzelfallforschung in der aktuel-

len Psychotherapieforschung wieder eine besondere Stellung zugewiesen werden.

2.3 Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion

Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion wird durch den Verfasser der

vorliegenden Arbeit formuliert. Es stellt eine Begrifflichkeit bereit, um den zeitlichen Verlauf

von Therapeut-Patient-Interaktionen im psychotherapeutischen Prozeß zu beschreiben. Das

Modell wird durch empirische Befunde sowie durch theoretische und klinische Erfahrungen

begründet (vgl. Kupper, 1997b. Das Modell ist eng an der Verlaufstypik des

psychotherapeutischen Geschehens in der dyadischen Psychotherapie orientiert.

Das Verhalten von Therapeut und Patient weist Merkmale auf, die während des gesamten

Therapieverlaufs konstant bleiben und eine Basis der Interaktion bilden. Während bestimmter

Therapiephasen können diese Interaktionsmerkmale jedoch unterschiedliche quantitative

Ausprägungen annehmen. Die Interaktionsmerkmale werden nachfolgend als „Partizipations-

strukturen“ bezeichnet und analysiert.Definition: Mit dem Begriff Partizipationsstrukturen werden die Merkmals-

zusammenhänge des Verhaltens von Therapeut und Patient, die übereinen umschriebenen Abschnitt der Psychotherapie invariant bleiben.Über den gesamten Verlauf einer Psychotherapie hinweg können dieseMerkmalszusammenhänge jedoch unterschiedliche quantitative Ausprä-gungen annehmen.

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Das Modell repräsentiert die psychotherapeutische Interaktion anhand von drei Betrach-

tungsebenen in psychotherapeutischen Dialogen. Die Betrachtungsebenen und ihre einzelnen

Komponenten des Dimensionsmodells wurde in Tabelle 2-1 dargestellt. Die graphische Dar-

stellung des Dimensionsmodells, demonstriert an einem fiktiven Beispieldatensatz, wurde in

Abbildung 2-2 (siehe S. 12) gegeben. Eine der Betrachtungsebenen repräsentiert die

dimensionale Ausprägung der Partizipationsstrukturen. Im Rahmen des Modells wird für die

dimensionale Ausprägung der Partizipationsstrukturen die Begriffskombination „Dimen-

sionen der psychotherapeutischen Interaktion“ verwendet.

Definition: Die Dimensionen der psychotherapeutischen Interaktion werden alsein Kontinuum von Merkmalszusammenhängen des Verhaltens vonTherapeut und Patient erklärt. Sie können eine Ausprägung innerhalbvon zwei Polen annehmen.

Die folgenden sieben Dimensionen werden postuliert:

• Informationszeiten,• Beziehungszeiten,• Exponierungszeiten,• Konfliktzeiten,• Konsenszeiten,• Veränderungszeiten,• Zeiten des nonverbalen Ausdrucks.

Tabelle 2-1. Betrachtungsebenen des Dimensionsmodells der psychotherapeutischenInteraktion

Anmerkung. Die Betrachtungsebene „Psychischer Status des Patienten“ wurdeweitestgehend von Czogalik (1988a, S. 281) übernommen. Neu hinzugefügt wurde dieCharakterisierung „Konsolidierung“.

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Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion 12

In einer weiteren Betrachtungsebene bildet das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen

Interaktion die funktionellen Auswirkungen der sieben Dimensionen auf den psychischen

Status des Patienten ab. Folgende drei Statusbeschreibungen werden formuliert (vgl. auch

Czogalik, 1988a, S. 281):

• Stabilisierung,• Labilisierung,• Konsolidierung und Reorganisation.

Die dritte Betrachtungsebene des Dimensionsmodells der psychotherapeutischen Interaktion

repräsentiert den psychotherapeutischen Prozeß in folgenden drei Phasen:

• Phase 1: Aufbau der therapeutischen Beziehung,• Phase 2: Aktive therapeutische Arbeit,• Phase 3: Auflösung.

In den folgenden Abschnitten sollen die drei Betrachtungsebenen des Dimensionsmodells und

übereinstimmende Befunde aus der Forschungsempirie detailliert dargestellt werden.

3 Hypothesen

Die in diesem Abschnitt formulierten Hypothesen werden aus dem in Abschnitt 2.3

postulierten Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion abgeleitet. Im Rahmen

der vorliegenden Untersuchung werden mit Hilfe einer Schätzskala zur Interaktionsanalyse

Abbildung 2-2. Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion

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(SKI/3; siehe Anhang 1) Beurteilungswerte für drei Psychotherapien erhoben. Die Anpassung

der Beurteilungsdaten an die Modellannahmen soll im Rahmen einer statistischen Analyse

exploriert und geprüft werden. Die Gültigkeit des Dimensionsmodells der

psychotherapeutischen Interaktion (siehe Abschn. 2.3) soll an einem Einzelfall überprüft

werden. Überdies sollen die Dimensionen der Interaktion auf ihre Invarianz über die Zeit und

über drei Psychotherapien hinweg überprüft werden. Die aus dieser Analyse gewonnenen

Ergebnisse werden in Form eines referentiellen Vergleiches aufbereitet und diskutiert.

Für die empirische Untersuchung zum Dimensionsmodell der psychotherapeutischen

Interaktion werden folgende vier Hypothesen vorangestellt.

Hypothese 1:Über den Verlauf der Psychotherapie lassen sich folgende sieben Strukturmerkmaleder psychotherapeutischen Interaktion extrahieren:• Informationszeiten,• Beziehungszeiten,• Exponierungszeiten,• Konfliktzeiten,• Konsenszeiten,• Veränderungszeiten,• Zeiten des nonverbalen Ausdrucks.

Mit Bezug auf die Darstellung des Dimensionsmodells der psychotherapeutischen Interaktion

ist zu erwarten, daß sich anhand eines Einzelfalls Strukturmerkmale identifizieren lassen. Aus

diesen Strukturmerkmalen werden die bereits benannten Dimensionen gewonnen:

Informationszeiten, Beziehungszeiten, Exponierungszeiten, Konfliktzeiten, Konsenszeiten,

Veränderungszeiten und Zeiten des nonverbalen Ausdrucks.

Hypothese 2:Für die extrahierten Strukturmerkmale der Interaktion lassen sich signifikante Unter-schiede zwischen den folgenden drei postulierten Therapiephasen nachweisen:• Phase 1: Aufbau der therapeutischen Beziehung,• Phase 2: Aktive therapeutische Arbeit,• Phase 3: Auflösung.

Anhand dieser Hypothese soll der Wahrheitsgehalt der Annahme geprüft werden, daß die

qualitativ stabilen, extrahierten Strukturmerkmale über den Verlauf der Psychotherapie in

ihrer quantitativen Ausprägung veränderlich sind.

Hypothese 3:Die extrahierten Strukturmerkmale verhalten sich über den zeitlichen Verlauf derPsychotherapie hinweg invariant.ww

w.dr

kupp

er.d

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Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion 14

Diese Hypothese beinhaltet die Annahme, daß die aus dem Einzelfall extrahierten

Strukturmerkmale der psychotherapeutischen Interaktion über den Verlauf hinweg im Sinne

einer Basisstruktur konstant bleiben.

Hypothese 4:Die extrahierten Strukturmerkmale verhalten sich über verschiedene psychotherapeu-tische Dyaden hinweg invariant.

Diese Hypothese soll die Annahme vertreten, daß die Dimensionen der psychotherapeutischen

Interaktion über drei psychotherapeutische Dyaden hinweg als stabile Interaktionsmerkmale

nachgewiesen werden können. Die Bezugnahme erfolgt auf das formulierte Dimensions-

modell der psychotherapeutischen Interaktion.

4 Empirische Untersuchung4.1 UntersuchungsgegenstandDie vorliegende Arbeit wird mit dem Kontext des Forschungsprojektes „Analyse

psychotherapeutischer Interaktionen und Effekte in der IPT“ verknüpft. Die Studie wurde zu

Beginn des Jahres 1993 durch Josef Aldenhoff (Mannheim; OA einer Abteilung des Zentral-

instituts für seelische Gesundheit, ZISG) und Dietmar Czogalik (Stuttgart; Wissenschaftsbe-

reich Interaktionsforschung der Forschungsstelle für Psychotherapie) initiiert. Im Rahmen

dieses Kooperationsprojektes sollen 30 videoprotokollierte Psychotherapien mit dem

Stuttgarter Kategorieninventar zur Interaktionsanalyse (SKI/3, siehe Anhang 1) beurteilt

werden. An der Durchführung und Koordination in den Anfängen der Studie war der

Verfasser maßgeblich beteiligt. Das Grundanliegen der Studie besteht darin, die

Wirkprinzipien der psychotherapeutischen Interaktion und deren Spezifität bei der

Durchführung der Interpersonellen Psychotherapie für Depressionen (IPT) nach Klerman und

Weissman zu erforschen. Im Rahmen des Projektes A3 des Sonderforschungsbereiches 258

wurde 1993 begonnen, stationäre Patienten nach den Richtlinien der IPT ohne Antidepressiva

zu behandeln (vgl. auch Tätigkeitsbericht der Forschungsstelle für Psychotherapie Stuttgart,

1993, S. 19).

Der Untersuchungsgegenstand der Studie setzt sich aus den Behandlungsverläufen der IPT

mit depressiven Patienten und den mit dem SKI/3 zu beobachtenden psychotherapeutischen

Interaktionen zusammen. Die behandelten Patienten weisen die Merkmale einer „depressiven

Episode“ (F 32) und einer „rezidivierenden depressiven Episode“ (F 33) nach ICD-10 (Welt-

gesundheitsorganisation, 1991) auf.

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Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion 15

4.1.1 Der therapeutische Rahmen: IPT für DepressionenDie Interpersonelle Psychotherapie (IPT) wurde von Gerald L. Klerman, Myrna M. Weissman

und Mitarbeitern (Klerman, Weissman, Rounsaville & Chevron, 1984) als ein Kurzzeit-

Behandlungsverfahren erarbeitet und vorgestellt. Die ersten Anfänge der Entwicklung der IPT

reichen bis in das Jahr 1968 zurück. Die Ergebnisse einer Studie zur Rückfallhäufigkeit

medikamentös behandelter Patienten im Jahr 1968 gaben den Ausschlag für den konzeptio-

nellen Entwurf und die Realisierung einer effektiven psychotherapeutischen Behandlungs-

methode. Mitte der achtziger Jahre wurde von dem Team ein ausgefeiltes Therapiemanual

vorgelegt (Interpersonal Psychotherapy for Depression; Klerman, Weissman, Rounsaville &

Chevron, 1984).

Die Orientierung der IPT als Therapie für Depressive wurde auf die spezielle Symptomatik

dieser Patientengruppe ausgerichtet. Eine Bezugnahme zu einer therapeutischen Schule war

zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt. Die Zielsetzungen von Klerman et al. bestanden in einer

möglichst wirksamen Therapie für depressiv erkrankte Patienten (vgl. Klerman & Weissman,

1993; vgl. auch Grawe, Donati & Bernauer, 1994, S. 515 ff.). Der theoretische Hintergrund

der IPT wird von der Beobachtung gestützt, daß Depressionen häufig in einem

interpersonalen Kontext entstehen (z. B. Verlust einer engen Bezugsperson, aktuelle

zwischenmenschliche Konflikte; Klerman & Weissman, 1993, S. 7). Ziel der IPT ist es,

diesen interpersonalen Kontext der depressiven Symptomatik zu ändern. Die Bereiche der

Persönlichkeit und des Charakters sollen im Rahmen der Therapie weitestgehend ausgeklam-

mert werden (wenn es nicht aktuell nötig wird, Vergangenheitserlebnisse in die therapeutische

Arbeit einzubeziehen), da klinische Erfahrungen mehrfach von negativen Auswirkungen

berichten (ebd.).

Der außerordentliche Gegenwarts- und Umweltbezug der IPT läßt sich auf den Einfluß des

psychobiologischen Ansatzes von Adolph Meyer (1957) zurückführen. Nach Meyers Auffas-

sung sind psychiatrische Störungen ein besonderer Ausdruck des Individuums, bei dem Ver-

such, sich an seine Lebensumwelt anzupassen (zitiert nach Klerman et al., 1984, S. 42). Insge-

samt läßt sich die Konzeption der IPT jedoch auf eine große Anzahl von theoretischen Grund-

lagen zurückführen (Klerman & Weissman, 1993, S. 5; vgl. dazu Kupper, 1994).

Der psychotherapeutische Prozeß wurde von Klerman und Weissman in drei grundlegende

Abschnitte gegliedert (siehe Tabelle 4-1). Ferner ist die IPT übersichtlich strukturiert und

zeitlich vorgegeben.www.

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Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion 16

Zusammenfassend ist festzuhalten, daß sich die IPT mit der aktuellen zwischenmenschlichen

Beziehung des Patienten befaßt und weniger die Vergangenheit ins Gesprächskalkül

einbezieht. Der Therapeut versteht sich gewissermaßen als Anwalt des Patienten. Die Thera-

piebeziehung ist realitätsbezogen. Die Zielstellung verfolgt die Verbesserung der zwischen-

menschlichen Beziehungen des Patienten.

4.1.2 Die untersuchten TherapienIm Rahmen der vorliegenden Untersuchung wurden Ereignissequenzen aus insgesamt drei In-

terpersonellen Psychotherapien für Depressionen nach Klerman und Weissman erhoben und

für die Auswertung in zwei Datenmengen aufgeteilt. Eine der Datenmengen besteht aus einer

einzelnen psychotherapeutischen Dyade (N=1) mit insgesamt 340 Sprechbeiträgen von

Therapeut und Patient. Eine weitere Datenmenge besteht aus drei psychotherapeutischen Dya-

den (N=3) mit insgesamt 1040 Sprechbeiträgen von Therapeuten und Patienten. In Tabelle 4-

2 wurde der Stichprobenumfang zusammengestellt.

Für die Einzelfallanalyse (N=1) wurden 17 von den insgesamt 20 Therapiestunden durch

unabhängige Beurteiler mit dem SKI/3 (siehe Anhang 1) eingeschätzt. Die Zuverlässigkeit der

unterschiedlichen Einschätzungen des gleichen Beurteilers (Intraraterreliabilität) beträgt 0.78.

Die interne Konsistenz (Cronbachs Alpha) drückt sich für die Werte des Therapeuten und der

Tabelle 4-1. Die drei Therapieabschnitte der IPT (Klerman et al., 1984,S. 73 f.)

I. Die Anfangssitzung,

a) Umgehen mit Depressionen,

b) Klären des Zusammenspiels von Depression und

interpersonellem Kontext,

c) Identifikation der Hauptproblembereiche,

d) Erklärung der IPT-Konzepte und des Behandlungsver-

trages;

II. Mittlere Sitzungen: Die Hauptproblembereiche,

a) Kummer (Leid),

b) Interpersonelle Konflikte (Rollenkonflikte),

c) Rollenwechsel,

d) Interpersonelles Defizit;

III. Abschluß,

a) Explizites Besprechen des Therapieabschlusses,

b) Einräumen, daß der Therapieabschluß eine Zeit ist, be-

kümmert zu sein,

c) Dem Patienten helfen, sich zur Anerkennung selbstbe-

wußter Kompetenz zu bewegen.

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Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion 17

Patientin in einem α = 0.6 aus. Drei Behandlungsstunden mußten wegen schlechter Bild- und

Tonqualität aus der weiteren Untersuchung ausgeschlossen werden (ausgelesene Stunden: 5,

10, 12). Für jede Therapiesitzung mit im Durchschnitt 50 Aussagen des Therapeuten und

ebensovielen Aussagen der Patientin wurden jeweils 10 Aussagen für den Therapeuten und 10

Aussagen für die Patientin mit dem SKI/3 eingeschätzt.

Für die Mehrfallanalyse (N=3) wurden aus den insgesamt 63 Therapiestunden 52 Behand-

lungsstunden für die Analyse ausgewählt und durch unabhängige Beurteiler eingeschätzt. Die

Ausschlußkriterien für die 11 Sitzungen, die nicht Bestandteil der weiteren Analyse waren,

sind ebenfalls auf schlechte Bild- und Tonqualität der Videoaufnahmen (ausgelesene Stunden:

3, 4, 5, 18, 21 [Therapie 1], 2, 3, 19 [Therapie 2], 5, 10, 12 [Therapie 3]) zurückzuführen.

Das methodische Vorgehen zur Einteilung der Sprechabschnitte orientierte sich an den

Untersuchungen von Lichtenberg und Hummel (1976). Lichtenberg und Hummel legten ihren

interaktionsanalytischen Untersuchungen ein lerntheoretisches Konzept zugrunde, wonach

jede Aussage in zweifacher Hinsicht in den therapeutischen Dialog funktionell eingebettet

war. Für jede Aussage bestand sowohl eine verstärkende Qualität in bezug auf die voran-

gegangene Aussage als auch eine diskriminative Qualität in bezug auf die nachfolgende

Aussage des Gesprächspartners (Lichtenberg & Hummel, 1976, S. 310). Mit diesem „Para-

digma des Ineinandergreifens“ können Rückschlüsse auf die „wechselseitigen und sequen-

tiellen Abhängigkeiten der einzelnen Aussagen“ (ebd.) gezogen werden.

Die methodische Definition eines Sprechbeitrages wird in der vorliegenden Untersuchung fol-

gendermaßen an das Kriterium von Lichtenberg und Hummel (1976) angelehnt:Eine Aussage wird als der vollständige Sprechbeitrag zwischen zweiSprecherwechseln definiert. Lautäußerungen des Hörers (z. B. Mhm) oder Pausenwerden unter der Kategorie „Bezugnahme und Involvierung des Hörers“ (Czogalik,Vanger, Hautkappe & Kupper, 1994a) zu der vorangegangenen Aussage

Tabelle 4-2. Beschreibung der beiden Stichproben

Stichprobe N=1 N=3

Therapeut Patient Therapeut Patient

Codenummer TGS PG2 MF8 TGS PG2 MF8 TGS

Geschlecht m w m w m w w w

Diagnose – F33.2 – – – F33.1 F33.1 F33.2

Therapiedauer 5 W 7 M 10 M 5 W 7 M 10 M 5 W

Therapiesitzungen 20 20 23 20 20 23 20

N (Aussagen) 170 170 520 520

N Gesamt 340 1040

Anmerkung. Die Notation „m“ steht für männlich und die Notation „w“ für weiblich. Die Diagnosestellungerfolgte nach ICD-10 (Weltgesundheitsorganisation, 1991). Die Therapiedauer wird in Monaten (M) oderWochen (W) angegeben.

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Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion 18

hinzugezählt.

Im Rahmen des ersten Auswertungsschrittes werden die Annahmen für das

Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion an einem Einzelfall überprüft. Der

Patient ist weiblich und der Therapeut männlich. Die Patientin erfüllte die Diagnose „schwere

rezidivierende depressive Störung“ (F 33.2) nach der Internationalen Klassifikation

psychischer Störungen (ICD-10; Weltgesundheitsorganisation, 1991). Nach einer

Behandlungsdauer von 5 Wochen wurde die Patientin durch den behandelnden Therapeuten

als remittiert eingeschätzt.

Im zweiten Auswertungsschritt wird die Invarianz der Partizipationsstrukturen für Therapeut

und Patient über drei unterschiedliche psychotherapeutische Dyaden hinweg untersucht. Die

weiblichen Patienten werden von zwei männlichen und einem weiblichen Therapeuten behan-

delt. Die durchschnittliche Behandlungsdauer für jeden der drei Patienten betrug sechs

Monate. Alle drei IPT verliefen erfolgreich und die Patientinnen wurden nach Abschluß der

Kurzzeitpsychotherapie durch die behandelnden Therapeuten als remittiert eingeschätzt.

Im Rahmen der vorbereitenden Analysen wurde für die vorliegenden Daten die Annahme der

Normalverteilung überprüft. Die Werte für die Schiefe2 der empirischen Verteilung variieren

bis auf geringfügige Ausnahmen zwischen den Werten -1 und 1. Die Werte für die Kurtosis3

liegen ebenfalls im Variationsbereich von -1 bis 1. Mardias Koeffizient (Mardia, 1970, 1974)

und das auf Mardias Koeffizient basierende Kappa weisen eine gute Anpassung der

empirischen Kurtosis-Werte an die multivariate Normalverteilung aus (vgl. dazu Bentler,

1992; siehe Abschn. 4.3.3). Für eine exakte Normalverteilung beträgt Mardias Kappa Null

und Mardias Koeffizient besitzt einen Wert, der mindestens größer als Eins ist. Nach den

Ergebnissen des Kolmogorov-Smirnov Goodness-of-Fit-Test muß die Nullhypothese, die

empirischen Werte sind in der Grundgesamtheit multivariat normalverteilt, jedoch

zurückgewiesen werden. Daher werden für die multivariate Inferenzstatistik (d. h.

Varianzanalyse) nicht die Rohdaten, sondern die Faktorscores für die Rohdaten verwendet.

Die Faktorscores sind Resultat der nachfolgend dargestellten exploratorischen Faktoren- 2 Die Schiefe (Skewness) einer Verteilung gibt an, zu welchem Grad die empirischen Werte nichtsymmetrisch

verteilt sind, d. h. ein Ende der Verteilung stärker nach links oder rechts ausgeprägt ist. „Für eineNormalverteilung, die symmetrisch ist, ist die Schiefestatistik 0. Eine Verteilung mit einer signifikantpositiven Schiefe hat ein langes rechtes Ende. Eine Verteilung mit einer signifikant negativen Schiefe besitztein langes linkes Ende. Die Schiefe wird zusammen mit der Kurtosis benutzt, um zu prüfen, ob eine Variablenormal verteilt ist.“ (SPSS Inc., 1995).

3 Die Kurtosis (Exzeß, Steigung) einer Verteilung gibt an, zu welchem Grad sich die empirischen Werte an denlinken und rechten Enden der Verteilung befinden. „Für eine theoretische Normalverteilung hat der Exzeßeinen Wert von 0. Eine Variable mit negativer Kurtosis hat schwächere Enden als eine Normalverteilung, einepositive Kurtosis zeigt an, daß mehr Beobachtungen in die Enden der Verteilung fallen als bei einerNormalverteilung. Zusammen mit der Schiefe (Skewness) läßt sich abschätzen, ob eine Variablenormalverteilt ist.“ (SPSS Inc., 1995).

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Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion 19

analyse. Im Rahmen der Faktorenanalyse wird für die Rohdaten eine z-Transformation durch-

geführt.

4.2 MessinstrumentDie Beschreibung und Analyse der erhobenen Daten (Videoprotokolle) erfolgte mit Hilfe des

Stuttgarter Kategorieninventars zur Interaktionsanalyse, 3. Version (SKI/3; Czogalik, Vanger,

Hautkappe & Kupper, 1994a). Die Verwendung des SKI/3 erlaubt eine Beschreibung des

sichtbaren Verhaltens von Therapeut und Patient durch unabhängige Beobachter aus einer

Außenperspektive.

Die Datenbeschreibung und Dateneinschätzung wird ausschließlich mit dem SKI/3 (Anhang

1) geleistet. Diese Schätzskala (Rating Scale) wurde von Czogalik & Vanger (1993)

entwickelt (vgl. auch Czogalik, Vanger, Hautkappe & Kupper, 1994a; Czogalik, Haïdara &

Vanger, 1994). Die aktuell vorliegende dritte überarbeitete Version des SKI wurde für die

Auswertungen herangezogen. Das Interaktionsverhalten während der psychotherapeutischen

Dialoge wird „multikanal“ aus mehreren Beobachterperspektiven gemessen. Diese Strategie

trägt insbesondere der Tatsache Rechnung, daß in sozialen Interaktionen simultan

verschiedene Botschaften auf mehreren Ebenen vermittelt werden (vgl. Czogalik et al., 1994b,

S. 11). Jede Beurteilungseinheit (Sprechbeitrag) wird anhand 35 bipolarer Items nach folgen-

den sieben Beobachterperspektiven beurteilt:1. Bezugnahme und Involvierung des Sprechers (freundlich, warm vs. unfreundlich, kalt;

einflußnehmend, dominant vs. gewährend, submissiv; eindeutig, authentisch vs. vieldeutig,unecht u.a.m.)

2. Bezugnahme und Involvierung des Hörers (rückmeldend, Lautsignale vs. unresonant; manipu-lierend, unruhig vs. ruhig)

3. Gesprächsatmosphäre (locker, unkompliziert vs. verkrampft, kompliziert; vertraut vs. fremd)4. Interventionsmodus des Sprechers (affektiv-kognitiver Modus vs. deskriptiver Modus; selbst-

öffnen vs. selbstverbergen u.a.)5. Gesprächsthema (Primärsystem, Therapie vs. Tertiärsystem; Probleme u. Konflikte vs. Sach-

verhalte u.v.a.m.)6. Themensteuerung (bejahen, verstärken vs. verneinen, ignorieren; abwartend, Raum geben vs.

dazwischentreten, unterbrechen u. dgl. m.)7. Sprache (fließend vs. gebrochen; laut vs. leise; traurig, klagsam, getrübt vs. fröhlich, frisch,

frei)

Das Interaktionsverhalten jedes der beiden Dialogpartner wird mit dem SKI/3 über gesprächs-

thematische, sprachformale, nonverbale und den Gesamteindruck vermittelnde Kategorien

erfaßt.

Die faktorisierten Korrelationsmatrizen der Items wiesen bislang ziemlich konstant auf die

folgenden vier Dimensionen mit relevantem Aussagewertebereich: Beteiligung, Beein-

flussung, Problem- und Konfliktbearbeitung, Primärsystemorientiertheit (Czogalik, Ehlers &

Vanger, 1994). Diese faktoriellen Strukturen beruhen auf einer Zufallsauswahl von 50

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Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion 20

Äußerungen aus 10 Therapien unterschiedlichster Provenienz (vgl. Czogalik et al., 1994b, S.

12). Auf der Grundlage dieses empirischen „Materials“ konnten hohe Übereinstimmungen

zwischen Bewertungen desselben Beurteilers (r= .78) festgestellt werden (ebd.).

4.3 AuswertungsstrategienAls methodologische und statistische Auswertungsstrategien bieten sich für die durchge-

führten Meßreihen die univariate und multivariate Varianzanalyse (Fisher, 1918, 1924;

Eisenhart, 1947), die faktorenanalytische P-Technik (Cattell, 1943, 1951; Cattell & Luborsky,

1950; Luborsky, 1995) und der Strukturgleichungsmodell-Ansatz (Bentler & Wu, 1993;

Byrne, 1994; Hoyle, 1995; Hoyle & Smith, 1995; Kupper, 1997; Mulaik, 1972) an. Vor der

detaillierten Darstellung der Ergebnisse, sollen zunächst die Auswertungsmethoden und ihre

Zuverlässigkeitsaussagen vorgestellt werden.

4.3.1 VarianzanalyseDie Varianzanalyse gehört zur Kategorie der allgemeinsten statistischen Analysetechniken.

Die „Varianzanalyse“ (Fisher, 1918, S. 399; Übers. v. Verf.) wurde von Ronald Aylmer

Fisher erstmals 1918 als statistische Auswertungsmethode vorgeschlagen und in den

Folgejahren (1924) weiter präzisiert. Mit Bortz (1989) ließe sich das varianzanalytische

Vorgehen als Bestimmung des Ausmaßes beschreiben, in dem die untersuchten unabhängigen

Variablen einzeln und/oder in kombinierter Form auf die abhängige Variable Einfluß ausüben

(S. 298). Die Varianzanalyse erlaubt es, die Wirkung der Planfaktorvariablen (unabhängige

Variable) auf die Effektvariable (abhängige Variable) quantitativ zu erfassen und „qualitative

Schlüsse“ daraus zu ziehen (vgl. Röhr, Lohse & Ludwig, 1983, S. 262).

In der psychologischen und sozialwissenschaftlichen Forschung wird sie größtenteils zur Prü-

fung von Mittelwerten eingesetzt. Dieses Vorgehen entspricht einem varianzanalytischen Mo-

dell mit festen Effekten. Die Bearbeitung varianzanalytischer Fragestellungen erfordert die

Untergliederung nach verschiedenen Klassen von Effekten. Zu diesem Zweck schlug

Eisenhart (1947) die Unterscheidung in zwei unterschiedliche Teilmodelle vor. Das erste

Teilmodell kann als Special Case der Varianzanalyse betrachtet werden, da sich hierbei die

Parameter aus den Populationsmittelwerten zusammensetzen (S. 9). Nach dem zweiten

Teilmodell werden die Parameter als „Komponenten der Varianz“ (S. 15; Übers. v. Verf.)

analysiert. Mitunter werden die Teilmodelle als Modelle mit festen Effekten (Modell I der

Varianzanalyse) und Modelle mit zufälligen Effekten (Modell II der Varianzanalyse) bezeich-

net. Liegen beide Teilmodelle gleichzeitig vor, so ist die Einordnung als Modelle mit

gemischten Effekten anzutreffen (vgl. Röhr, Lohse & Ludwig, 1983, S. 263). Mit Hilfe des

ersten Modells wird geprüft, welche Mittelwerte oder welche zwei Gruppen sich signifikant

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voneinander unterscheiden (multiple Mittelwertsvergleiche). Die gebräuchlichsten statis-

tischen Verfahren hierzu sind der Student-Newman-Keuls-Test, der Scheffé-Test und der

Tuckey-Test. In der vorliegenden Untersuchung fiel die Auswahl auf den Student-Newman-

Keuls-Test4, weil dieser Vergleichtest in den Grenzbereichen sehr gut differenziert. Das

zweite Modell unterstützt die Prüfung der Variabilität eines untersuchten Merkmals in einem

bestimmten Ereignisraum.

Bei der Varianzanalyse wird die vorhandene Streuung der gesamten Stichprobe in zwei Kom-

ponenten zerlegt und diese miteinander verglichen. Rechnerisch werden die Streuungen der

einzelnen Werte um den Gruppenmittelwert und die Streuung dieser Gruppenmittelwerte um

den Stichprobenmittelwert bestimmt (vgl. auch Brosius, 1988, S. 275). Die statistische

Hypothese geht davon aus, daß die Gruppenmittelwerte der abhängigen Variablen gleich sind.

Prinzipiell ist der Fragestellung nachzugehen, ob sich die Mittelwerte einer abhängigen

Variablen für Gruppen von „Faktoren“ (unabhängige Variablen) signifikant unterscheiden

(vgl. Brosius, 1989, S. 214). Der erhebliche Umfang der Analysen erfordert die Unter-

scheidung in drei Arten der Varianzanalyse: die univariate (eine abhängige, intervallskalierte

Variable, ebd.), die multivariate (Wirkung der „Faktoren“ und ggf. Kovariaten auf mehrere

abhängige Variablen, S. 217) und die Analyse mit Meßwiederholungen (abhängige Variablen

als Meßwiederholungen zu mehreren Zeitpunkten und/oder unter verschiedenen Bedin-

gungen, S. 227).

4.3.2 Faktorenanalytische P-TechnikDie P-Technik ist eine Analysetechnik der exploratorischen Faktorenanalyse. An ein und der-

selben Person (P) werden Zeitreihendaten erfaßt und nach Strukturmerkmalen exploriert. Bei

der Durchführung einer exploratorischen Faktorenanalyse wird unterstellt, daß zwischen den

beobachteten Variablen Zusammenhänge bestehen und die Variablen daher als voneinander

abhängig und „bündelungsfähig“ angesehen werden können. Diese „Bündel“ werden als

Faktoren bezeichnet. Die Faktoren werden somit als „hinter den beobachtbaren Variablen“

stehende Größen verstanden. Sie repräsentieren den Zusammenhang zwischen den beobachte-

ten Variablen. Die grundlegende Annahme der exploratorischen Faktorenanalyse wie folgt

zusammenfassen: Jeder Wert einer beobachteten Variablen läßt sich als eine Linear-

kombination mehrerer (hypothetischer) Faktoren beschreiben. Faktorladungen geben an, wie 4 Der Student-Newman-Keuls-Test (SNK) wird als multipler Vergleichstest eingesetzt. Mit

Hilfe des SNK werden die Unterschiede zwischen allen beteiligten Beobachtungsvariablen auf ihrestatistische Signifikanz getestet. Im Rahmen dieser Mehrfachvergleichstests, werden dieGruppenmittelwerte vom kleinsten zum größten hin sortiert. Der Grenzbereich für den Test aufsignifikanten Unterschied wird nach der Zahl der Schritte zwischen zwei zu testenden Mittelwertenbestimmt. „In SPSS vergleicht SNK jedes Paar von Mittelwerten zum Signifikanzniveau von 0,05.SNK wird auch Newman-Keuls Prozedur genannt.“ (SPSS Inc., 1995).

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stark der Zusammenhang zwischen einer beobachteten Variablen und einer latenten Variablen

(d. h. Faktor) tatsächlich ist (vgl. auch Backhaus, Erichson, Plinke & Weiber, 1996, S. 190

ff.).

Die P-Technik soll dazu verwendet werden über den Verlauf der Therapie relativ stabil

bleibende strukturelle Interaktionsdimensionen zu extrahieren. Mit dem Begriff P-Technik be-

zeichnete Cattell (1943, 1951; Cattell & Luborsky, 1950; Luborsky, 1995) die

Faktorenanalyse von Interitemkorrelationen einer Anzahl von Variablen, die über wiederholte

Messungen an einem Subjekt oder einer Dyade gewonnen wurden. Cattell nahm für dieses

methodologische Vorgehen in Anspruch, daß damit Trait-State-Faktoren extrahiert werden

können. Auf die in der Arbeit zugrundegelegte Fragestellung ist das Aussagekalkül gestattet,

daß sich dyadenspezifische Interaktionsstrukturen durch die P-Technik gewinnen lassen.

Diese Interaktionsstrukturen sind über den Therapieverlauf hinweg qualitativ stabil und

quantitativ veränderlich. Mit Hilfe der P-Technik sind Strukturen der Interaktion erkennbar,

die über den zeitlichen Verlauf qualitativ invariant bleiben. Die quantitative Veränderung

dieser Muster werden vornehmlich durch motivationale Vorgänge, Vorgänge der Anpassung,

Gesundung und Sozialisation beeinflußt (vgl. auch Mintz & Luborsky, 1970).

Die häufig geäußerte Kritik zur P-Technik richtet sich zu einem großen Teil auf ihre fehlende

Zeit- und Veränderungssensibilität (Überla, 1968, S. 299). Im Rahmen dieses Auswertungs-

schrittes geht es jedoch lediglich um die Ermittlung der Strukturmerkmale der Interaktion, die

auf die Interkorrelation einer Variablenmenge zurückgeführt werden kann. Die Aussagen zum

Prozeß ergeben sich aus den Ausprägungsverläufen der Strukturmerkmale. Die statistische

Bedeutsamkeit dieser Abweichungen wird durch die varianzanalytischen Verfahren getestet.

Die Invarianz dieser gefundenen Muster mit ihrer qualitativ gleichbleibende Struktur soll über

den zeitlichen Therapieverlauf und über drei verschiedene Dyaden hinweg getestet werden.

Dieser Auswertungsschritt erfolgt unter Einbeziehung von Strukturgleichungsmodellen.

4.3.3 StrukturgleichungsmodelleDie Modellierung von Strukturgleichungen (Structural Equation Modeling, SEM) stellt eine

Methodologie dar, mit der Hypothesen über die Beziehungen zwischen beobachtbaren und

nicht beobachtbaren (latenten) Variablen getestet werden können. Über den zugrun-

deliegenden konfirmatorischen faktorenanalytischen Ansatz werden a priori formulierte

Hypothesen zur Erklärung von Merkmalszusammenhängen geprüft (Kupper, 1997, S. 5; vgl.

auch Bortz, 1993; Byrne, 1994; Hoyle, 1994; Hoyle, 1995; Hoyle & Smith, 1994).

Die Vorteile des SEM-Ansatzes gegenüber den konventionellen Standardmodellen (z. B. Kor-

relations-, Regressions-, Varianzanalyse) liegen in folgendem:

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• Robuste Schätzmethoden werden eingesetzt, die auch nicht normalverteilte Rohdaten zulassen(z. B. Robuste Version der Maximum-Likelihood-Methode),

• Modelle können spezifiziert werden, in welchen die vermutete Ursache von Fremdeinflüssenund Meßfehlern isoliert ist,

• Kapazität, Beziehungen zwischen latenten Variablen zu schätzen und zu testen.

Herkömmliche statistische Ansätze, wie Pfad-, Regressions- oder konfirmatorische Faktoren-

analyse, sind Teilmodelle der Strukturgleichungsmodelle. Das Hauptmerkmal der Struktur-

gleichungsmodelle ist die Untersuchung latenter Variablen (z. B. Informationszeiten, Bezie-

hungszeiten, Exponierungszeiten). Diese latenten Variablen erweisen sich nur über indirekte

Indikatoren erfaßbar (z. B. Beurteilungskategorien des Stuttgarter Kategorieninventars, 3.

Version).

Ein Strukturgleichungsmodell wird aus dem Muster der festen und freien Parameter durch

zwei Komponenten definiert (siehe Abbildung 4-3):

• das Meßmodell und• das Strukturmodell.

Wenn die Meß- und Strukturkomponenten kombiniert werden, so ergibt sich ein umfassendes

statistisches Modell (siehe Abbildung 4-4), mit dessen Hilfe die Beziehungen zwischen

Variablen meßfehlerfrei geschätzt werden können (Kupper, 1997, S. 7; vgl. auch Hoyle, 1994;

D1 D2 D3

F1 F2 F3

F4

F1 F2 F3

V1 V2 V3 V4 V5 V6 V7 V8 V9

E1 E2 E3 E4 E5 E6 E7 E8 E9

Abbildung 4-3. Strukturmodell (links) und Meßmodell (rechts)Notation: F–unbeobachteter (latenter) Faktor, V–beobachtete Variable, D–Residual-Fehlerin Vorhersage des latenten Faktors, E–Meßfehler

F1 F2 F3

F4

Abbildung 4-4. Struktur- und Meßmodell

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Hoyle, 1995; Byrne, 1994).

Chronologisch betrachtet beginnt SEM mit der Spezifizierung eines Modells, mit dem die An-

passung der empirischen an eine theoretische Verteilung abgeschätzt werden soll. Mit einem

derartigen Ansatz wird aus einem empirischen Stichprobenbefund die Verteilung und

Ausprägung in der Grundgesamtheit theoretisch berechnet.

Das spezifizierte Modell wird anschließend mit Hilfe statistischer Kennwerte im Hinblick auf

seine Anpassung an die empirischen Daten eingeschätzt. Am häufigsten wird der Chi-

Quadrat-Anpassungstest mit der Prüfgröße χ2 verwendet (sog. Goodness-of-Fit-Test), der sich

direkt aus den Werten der Anpassungsfunktion (F) herleitet. Der Chi-Quadrat-Wert ergibt

sich aus dem Produkt des Wertes der Anpassungsfunktion und der Stichprobengröße minus 1

(χ2 = F∗ [N-1]). Das Ergebnis ist eine Chi-Quadrat-Verteilung, sofern die Daten

normalverteilt sind und das Modell korrekt spezifiziert wurde (Normalverteilung, N [0,1], d.

h. µ=0 und σ=1).

Der Nachteil der Chi-Quadrat-Statistik besteht in der rigorosen Restriktion, daß die Beobach-

tungsdaten multivariat normalverteilt vorliegen müssen. Wenn diese Normalverteilungsan-

nahme verletzt wird, so sind die Ergebnisse der statistischen Überprüfung stark verzerrt und

für die Aussagebewertung wenig brauchbar. Die Verletzung der N(0,1)-Annahme kann also

zu schwerwiegenden Folgen bezüglich der Gültigkeit des statistischen Hypothesentestens

führen. Überdies kann eine N(0,1)-theoretische Teststatistik von selbst nicht „erkennen“, ob

das zu studierende Modell für die Rohdaten geeignet ist oder nicht (Browne, 1982, 1984; Hu,

Bentler & Kano, 1992; West, Finch & Curran, 1995).

Browne (1982, 1984) entwickelte einen Ansatz zur Behebung dieser Defizite (Asymptotische

Verteilungsfreie Methoden, ADF). Diese verteilungsfreien Methoden unterliegen jedoch der

Forderung nach hohen Stichprobenzahlen. Da es allerdings schwierig ist eine Minimumgrenze

für die Stichprobengröße anzugeben (PRELIS2: k(k+1)/2, k: Variablenanzahl), sind diese

Methoden nicht für alle Untersuchungen gleichermaßen evaluierbar. Obgleich der ADF-

Ansatz verbessert werden kann (Yung & Bentler, 1984), vertreten Bentler und seine

Mitarbeiter (Chou, Bentler & Satorra, 1991; Hu et al., 1992) die Meinung, daß es günstiger

wäre, die vorhandenen Statistiken zu korrigieren bevor verschiedene neue Schätzmethoden

entworfen werden.

Auf diese Weise entwickelten Satorra & Bentler (1988) die Skalierte Chi-Quadrat-Statistik

(Scaled χ2), die eine Skalenkorrektur für die Chi-Quadrat-Statistik enthält. Wenn N(0,1)-Vor-

aussetzungen verletzt werden, dann nimmt die Berechnung des Skalierten Chi-Quadrat-

Wertes auf die Gültigkeit des Modells, die Schätzmethode und die Stichproben-Kurtosis-

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Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion 25

Werte Einfluß. Die Skalierte Chi-Quadrat-Statistik scheint ein weitaus zuverlässigerer

Indikator für die Modellangemessenheit zu sein, als die nonparametrischen, verteilungsfreien

Verfahren (z. B. ADF; Browne, 1984). Insbesondere von Vorteil ist das im Programm EQS

unter Windows (Bentler, 1995) verfügbare Skalierte χ2 bei der Analyse psychologischer

Daten, für die eine Annahme der multivariaten Normalverteilung oft nicht haltbar ist

(Bentler, Wu & Houck, 1996, S. 277; Hu et al., 1992; Micceri, 1989). Nach den Ergebnissen

der Monte Carlo-Studie, in der 6 Teststatistiken unter 7 Verteilungsbedingungen überprüft

wurden, wurde das Skalierte χ2 als eine reliable Teststatistik erkannt (Hu et al., 1992).

Diese wachsende Unzufriedenheit mit dem klassischen Chi-Quadrat-Anpassungstest führte zu

der Formulierung vieler weiterer Anpassungsindizes. Bentler & Bonett (1980) leisteten mit

der Entwicklung des Normed-Fit-Index (NFI) und des Nonnormed-Fit-Index (NNFI) in

diesem Umfeld Pionierarbeit. Der NNFI stellt eine Verallgemeinerung des bestehenden

Indizes nach Tucker & Lewis (1973, TLI) dar. Der NFI wurde später durch Bentler (1990)

zum Comparative-Fit-Index (CFI) umformuliert. Mit dem CFI kann einer Unterschätzung der

Anpassung des hypothetisierten Modells vorgebeugt werden (Bentler, 1990, S. 238). Der

Comparative-Fit-Index (CFI) wird bei der Bewertung der Modellanpassung als der Index der

Wahl vorgeschlagen (Bentler, 1990, S. 245). Die genannten Indizes resultieren aus dem

Vergleich der Anpassung des spezifizierten Modells mit der Anpassung des

Unabhängigkeitsmodells an die empirischen Daten (sog. Nullmodell; Bentler & Bonett, 1980;

Bentler, 1990, S. 239; vgl. auch Byrne, 1994, S. 54). Das Unabhängigkeitsmodell wird zur

Abbildung von vollständiger Unabhängigkeit zwischen den Variablen herangezogen. Unter

diesen Annahmen existieren ebenso viele latente Variablen (d. h. Faktoren) wie beobachtbare

Variablen. Alle Korrelationen zwischen den Variablen sind Null. Man spricht in diesem Falle

vom sogenannten Nullmodell. Bei dem erwähnten Ansatz werden nur die Varianzen

geschätzt. Im Rahmen der EQS-Software erfolgt anhand des Akaike Information Criterion

(AIC; Akaike, 1987) der maschinelle Vergleich dieser beiden Modellaussagen unter dem

Aspekt der Sparsamkeit einer Modellkonstruktion. Sparsamkeit heißt in diesem

Zusammenhang, ob durch die postulierten latenten Variablen (Faktoren) tatsächlich ein

genügend großer Teil der Varianz aufgeklärt werden kann oder nicht und ob zu viele oder zu

wenige Parameter in die Schätzung der Pfadkoeffizienten einbezogen wurden. Der Wert aus

dem χ2-Goodness-of-Fit-Test sowie die Anzahl der zu schätzenden Parameter der beiden

Modelle gehen in die Ermittlung des AIC ein. Der AIC wird in alle weiteren Maximum-

Likelihood-Berechnungen einbezogen.

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Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion 26

Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung soll in diesem Auswertungsschritt die Invarianz

der strukturellen Interaktionsdimensionen über die Zeit und über drei verschiedene

Psychotherapien hinweg getestet werden. Viele Teilgebiete der empirischen Forschung in der

Psychologie und Medizin bedienen sich der Strukturgleichungsmodellierung (z. B. Bollen &

Hoyle, 1990; Byrne & Baron, 1993, 1994; Byrne, Baron & Campbell, 1993, 1994; Cooney,

Kadden, Litt & Getter, 1991; Cudeck, 1989; Marsh & Byrne, 1993; Newcomb, 1994;

Newcomb & Bentler, 1987; Raykov, Tomer & Nesselroade, 1991; Stacy, Newcomb &

Bentler, 1991). Auch in der Psychotherapieforschung fanden Strukturgleichungsmodelle als

Auswertungsmethoden bereits ihre Anwendung (z. B. Hoyle, 1991; Hatcher, Barends, Hansell

& Gutfreund, 1995; Pentz & Chou, 1994; Russell, Bryant & Estrada, 1994)5.

Sämtliche Berechnungen werden durch die Verfügbarkeit von Computerprogrammen durch-

geführt. Für die statistischen Analysen wurden das Statistical Package for Social Sciences,

Vers. 6.1.2 (SPSS for Windows; SPSS Inc., 1995) und das EQS: A Structural Equation

Program, Vers. 5.1 (Bentler, 1995) verwendet.

5 Resultate

Für das Interaktionsverhalten von Therapeut und Patient wurden mit Hilfe der faktoren-

analytischen P-Technik sieben Faktoren extrahiert. Diese Faktoren können als verlaufsstabile

Strukturmerkmale des Interaktionsverhaltens von Therapeut und Patient angesehen werden.

Sie variieren zwischen den Polen Null und dem Maximalwert fünf. Durch eine z-

Transformation wird dem Wert Null der negative Maximalwert der standardisierten

Normalverteilung zugewiesen.

Das Extraktionskriterium von sieben Faktoren wurde aus dem formulierten

Dimensionsmodell abgeleitet. Mit Hilfe des „scree-tests“ wurde die Angemessenheit einer 5 Während sich die faktorenanalytische P-Technik der explorativen Faktorenanalyse zurechnen läßt,

wird im Rahmen des Strukturgleichungsansatzes von der konfirmativen Faktorenanalyseausgegangen. Zu den Unterschieden zwischen diesen beiden Formen der Faktorenanalyse istfolgendes auszuführen. Bei der Anwendung der exploratorischen Faktorenanalyse hat der Forscherdie Absicht, Strukturen in einem empirischen Datensatz zu erkennen. Zunächst besitzt der Forschernoch keine konkreten Vorstellungen über die Korrelationen zwischen den zu untersuchendenVariablen. Als Ursache dieser empirisch beobachteten Korrelationen werden lediglich hypothetischeFaktoren als verursachend angesehen. Eine konfirmatorische Faktorenanalyse wird dannangewendet, wenn der Forscher bereits a priori konkrete Vorstellungen über mögliche hypothetischeFaktoren besitzt (z. B. durch eine exploratorische Faktorenanalyse, aus Theorien oder anderenForschungsuntersuchungen). Über die Beziehung zwischen direkt beobachtbaren Variablen und dendahinter stehenden, nicht beobachtbaren Faktoren (latente Variablen) werden Hypothesenaufgestellt. Diese Hypothesen sollen an einem empirischen Datensatz überprüft werden.

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Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion 27

Sieben-Faktoren-Lösung mit einem Cut-Off-Eigenwert von 1,436 bestätigt. Die extrahierten

Faktoren wurden der orthogonalen Rotation „Orthosim“ (Bentler, 1977) unterworfen. Die

Orthosim-Rotation erzeugt ähnliche, leicht interpretierbare Faktorladungen, wie die weitver-

breitete Varimax-Rotation (Kaiser, 1958, 1959).

Die Korrelations- und Anti-Image-Korrelationsmatrix diente zur Ermittlung der wesentlichen

Kennwerte zur Güteabschätzung des gewählten Faktorenmodells. Das Kaiser-Meyer-Olkin-

Maß, durch das eine Abschätzung der Stärke des Zusammenhangs zwischen den Variablen

ermöglicht wird, kann mit einem Wert von 0,62 für die Daten des Therapeuten als

„mittelmäßig“ (Kaiser, 1974, S. 35; Übers. v. Verf.) bewertet werden. Die Daten des

Patienten werden vom KMO-Maß nach Kaiser (1974, S. 35) als „mittel“ eingeschätzt. Der

Bartlett-Test auf Nicht-Sphärizität lieferte eine Chi-Quadrat-Testgröße von 1585,34 für die

Daten des Therapeuten und einen Wert von 1939,38 für die Werte des Patienten. Mit einer

Signifikanz auf dem 0,001 %-Niveau kann die statistische Hypothese, daß alle

Korrelationskoeffizienten einer Grundgesamtheit entstammen, in der sie den Wert Null

besitzen, zurückgewiesen werden. Die partiellen Korrelationen der Anti-Image-Matrix weisen

das Maß für die Stichproben-Angemessenheit (Measure of Sampling Adequacy) für die Daten

des Therapeuten und Patienten als „beachtenswert“ (Kaiser, 1974, S. 35) aus. In Tabelle 5-1

sind die Resultate für das Interaktionsverhalten des Therapeuten zusammengestellt. Die

extrahierten Faktoren für das Interaktionsverhalten des Therapeuten werden folgendermaßen

zugeordnet:

• Therapeut-Faktor 1: Exponierungszeiten,• Therapeut-Faktor 2: Zeiten des nonverbalen Ausdrucks,• Therapeut-Faktor 3: Konfliktzeiten,• Therapeut-Faktor 4: Veränderungszeiten,• Therapeut-Faktor 5: Konsenszeiten,• Therapeut-Faktor 6: Informationszeiten,• Therapeut-Faktor 7: Beziehungszeiten.

Für die Patientin wurden ebenfalls sieben Faktoren extrahiert. Tabelle 5-2 gibt einen

Überblick über die Beziehung zwischen den Indikatorvariablen und den Hintergrundfaktoren.

Die sieben Faktoren für die Patientin weisen folgende Rangfolgen auf:

• Patient-Faktor 1: Exponierungszeiten,• Patient-Faktor 2: Zeiten des nonverbalen Ausdrucks,• Patient-Faktor 3: Konsenszeiten,• Patient-Faktor 4: Konfliktzeiten,• Patient-Faktor 5: Beziehungszeiten,• Patient-Faktor 6: Veränderungszeiten,• Patient-Faktor 7: Informationszeiten.

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Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion 28

In den folgenden Abschnitten werden die extrahierten Partizipationsstrukturen für das Interak-

tionsverhalten des Therapeuten und der Patientin detailliert erörtert.ww

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Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion 29

Tabelle 5-1. Faktoren, Faktorladungen und Varianzen der Kategorien des SKI/3 für das Interaktionsver-halten des Therapeuten

Kategorie Faktor 1 Faktor 2 Faktor 3 Faktor 4 Faktor 5 Faktor 6 Faktor 7

v1 0.059 -0.028 -0.590 0.074 0.020 0.239 0.099v2 0.122 0.170 0.499 -0.164 0.031 0.270 -0.017v3 -0.073 0.447 -0.099 -0.120 0.130 0.185 0.161v4 -0.304 0.279 0.339 -0.176 0.076 -0.016 0.084v5 0.014 0.060 0.112 -0.346 -0.093 0.455 -0.004v6 0.133 0.224 -0.001 -0.134 -0.017 0.429 -0.089v7 -0.004 -0.001 -0.020 0.013 -0.024 0.539 -0.010v8 -0.018 0.091 -0.251 -0.273 0.487 0.066 -0.117v9 -0.271 -0.006 -0.178 0.023 0.146 0.157 -0.085v10 0.109 -0.551 0.005 0.080 -0.115 0.008 -0.055v11 0.231 0.309 0.119 0.037 0.230 0.231 0.101v12 -0.011 0.119 0.117 0.175 0.473 -0.026 0.111v13 -0.005 -0.041 0.077 0.104 0.453 0.075 0.033v14 -0.128 0.119 -0.228 -0.010 0.121 0.576 0.047v15 -0.058 0.333 -0.473 -0.012 0.193 0.127 0.005v16 0.709 -0.020 -0.117 -0.081 -0.007 -0.017 0.125v17 -0.462 -0.011 0.219 0.173 0.270 -0.286 -0.090v18 0.104 0.232 -0.035 -0.067 -0.233 0.201 0.488v19 0.609 0.137 0.003 -0.048 -0.122 0.100 -0.139v20 0.133 0.027 0.300 -0.411 -0.016 0.035 -0.305v21 -0.046 -0.030 0.221 -0.538 0.151 -0.068 0.141v22 -0.461 -0.239 -0.068 0.289 0.048 0.030 -0.194v23 0.457 -0.232 -0.006 -0.005 -0.111 0.239 0.134v24 0.325 0.498 -0.027 -0.005 -0.263 0.105 0.008v25 0.225 0.133 0.010 -0.229 0.198 0.147 0.084v26 0.686 0.096 0.180 0.019 0.116 -0.096 -0.026v27 0.429 -0.009 0.081 0.085 0.226 -0.179 -0.226v28 0.152 -0.095 -0.138 0.275 0.116 0.359 0.095v29 -0.012 -0.008 0.009 -0.041 -0.134 0.049 -0.571v30 -0.064 -0.059 0.022 0.618 0.079 -0.117 0.081v31 -0.158 -0.259 -0.120 0.244 0.293 0.074 0.285v32 -0.189 -0.084 0.185 0.148 -0.308 0.237 -0.121v33 0.103 0.472 0.231 0.105 0.118 0.009 0.078v34 0.100 -0.309 0.021 0.280 -0.214 -0.046 0.215v35 -0.077 0.069 0.196 0.078 -0.084 -0.210 0.060

Erkl. Varianz 11.1% 8.2% 7.7% 6.3% 5.2% 4.7% 4.3%Kum. Varianz 11.1% 19.4% 27.1% 33.4% 38.6% 43.3% 47.6%

Eigenwerte 3.898 2.886 2.706 2.208 1.827 1.628 1.518

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Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion 31

Tabelle 5-2. Faktoren, Faktorladungen und Varianzen der Kategorien des SKI/3 für das Interaktionsver-halten der Patientin

Kategorie Faktor 1 Faktor 2 Faktor 3 Faktor 4 Faktor 5 Faktor 6 Faktor 7

v1 0.107 -0.221 0.095 -0.540 -0.158 0.045 0.160v2 0.011 -0.156 0.336 0.520 0.031 0.333 -0.011v3 -0.157 0.272 0.192 0.208 0.334 0.023 0.323v4 0.067 0.124 0.124 0.398 0.050 0.472 0.122v5 0.197 -0.421 0.218 0.142 -0.289 0.412 -0.005v6 0.021 0.131 0.562 0.184 -0.160 0.123 -0.088v7 0.035 -0.172 -0.008 -0.019 0.020 0.630 -0.040v8 -0.074 -0.373 0.339 -0.045 0.040 0.188 0.003v9 0.266 -0.532 0.081 -0.060 -0.289 0.289 -0.247v10 -0.282 0.153 -0.012 -0.017 -0.154 -0.341 -0.246v11 -0.081 -0.276 0.224 0.187 -0.113 0.516 0.057v12 -0.112 0.003 0.553 0.087 -0.038 0.059 -0.122v13 -0.369 -0.060 0.364 0.025 -0.248 0.053 0.013v14 0.249 -0.122 0.381 0.044 -0.057 0.473 0.053v15 0.045 -0.098 0.444 -0.195 -0.113 0.207 0.250v16 -0.482 0.140 -0.014 0.020 0.400 -0.009 0.364v17 0.171 -0.131 0.296 0.089 -0.097 -0.244 -0.485v18 -0.286 0.262 -0.119 -0.084 0.448 -0.017 0.400v19 -0.270 0.242 0.177 0.053 0.308 -0.125 0.213v20 0.031 -0.019 -0.264 0.484 -0.066 0.018 0.105v21 0.332 0.046 -0.078 0.327 0.019 -0.114 0.278v22 0.059 -0.188 -0.161 0.009 -0.149 0.120 -0.438v23 -0.208 0.097 -0.077 0.022 0.650 -0.041 0.009v24 -0.190 0.240 -0.250 -0.089 -0.329 0.167 0.249v25 -0.255 0.137 -0.094 0.086 0.635 0.034 0.039v26 -0.568 0.228 -0.123 0.125 0.275 -0.007 0.242v27 -0.542 0.068 0.102 0.019 0.234 -0.150 0.058v28 -0.000 0.071 0.528 -0.147 0.063 0.067 -0.078v29 0.176 -0.285 0.068 0.005 0.167 -0.087 0.338v30 0.123 0.052 0.081 -0.099 0.154 0.035 -0.553v31 0.111 0.059 -0.107 -0.560 0.037 -0.081 -0.078v32 0.155 -0.520 -0.068 0.039 0.057 0.226 -0.062v33 -0.091 -0.147 0.018 0.071 -0.158 0.239 0.401v34 -0.113 0.680 0.067 0.056 0.167 -0.118 -0.017v35 0.249 0.407 0.015 -0.041 0.028 0.333 0.071

Erkl. Varianz 15.4% 9.9% 7.0% 5.9% 5.2% 4.7% 4.1%Kum. Varianz 15.4% 25.4% 32.4% 38.3% 43.5% 48.3% 52.4%

Eigenwerte 5.406 3.482 2.437 2.074 1.834 1.662 1.436

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Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion 32

5.1.1 Zeitliche Invarianz der Partizipationsstrukturen

5.1.1.1 Strukturgleichungsmodell für den Therapeuten

5.1.1.1.1 ModellspezifikationMit der explorativen Faktorenanalyse wurde die folgende Faktorenstruktur mit einer bestimm-

ten Anzahl an Indikatorvariablen (in Klammern) für den Therapeuten ermittelt:

• Informationszeiten (4)• Beziehungszeiten (2)• Exponierungszeiten (6)• Konfliktzeiten (3)• Konsenszeiten (3)• Veränderungszeiten (3)• Zeiten des nonverbalen Ausdrucks (3).

Diese Faktorenstruktur wurde bislang noch nicht auf ihre statistische Bedeutsamkeit hinsicht-

lich der einzelnen Pfadkoeffizienten zwischen den Indikatorvariablen und ihren

Hintergrundfaktoren getestet. Dieser Schritt soll in diesem Abschnitt für den Therapeuten und

im nächsten Abschnitt für die Patientin vollzogen werden.

Mit dem Meßmodell wird a priori hypothetisiert, daß die Beurteilungswerte für das Interak-

tionsverhalten des Therapeuten durch sieben Faktoren erster Ordnung und einen Faktor

zweiter Ordnung erklärt werden können. Die Indikatorvariablen für die Faktoren erster

Ordnung besitzen jeweils eine hohe Ladung auf einem Faktor erster Ordnung und eine

Nulladung auf den übrigen sechs Faktoren erster Ordnung.

Das Strukturmodell in Abbildung 5-5 enthält einen Faktor zweiter Ordnung (F8;

Interaktionsverhalten Therapeut) und die sieben Partizipationsstrukturen als Faktoren erster

Ordnung (F1, F2, F3, F4, F5, F6, F7). Die Faktoren erster Ordnung werden durch die

Regressionspfade aus dem globalen Faktor Interaktionsverhalten Therapeut (F8)

vorhergesagt.

5.1.1.1.2 Testen des hypothetisierten ModellsDa für die empirischen Daten eine leichte Abweichung von der Normalverteilung festgestellt

wurde können die Maximum-Likelihood-Methode und die Chi-Quadrat-Methodik nicht in

ihrer ursprünglichen Form eingesetzt werden, da eine Verzerrung der Ergebnisse eintreten

kann. Aus diesem Grund hat sich der Verfasser auf die korrigierte Chi-Quadrat-Methodik

(sog. S-B χ2; Satorra & Bentler, 1988) gestützt.www.

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Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion 33

Dieser statistische Index enthält eine Skalenkorrektur für den Fall der Verletzung der

Normalverteilungsannahme. Als zusätzlicher Index zur Bewertung der Modellanpassung

wurde der robuste Comparative Fit Index (Robust CFI; Bentler, 1992) hinzugezogen, der in

seine Berechnung bereits den korrigierten Chi-Quadrat-Wert einbezieht. Für sämtliche

Schätzungen wurde die robuste Version der Maximum-Likelihood-Methode (Bentler & Wu,

1993) verwendet.

Um die Plausibilität der modellierten Strukturgleichungen zu prüfen, werden die Ergebnisse

für das hypothetisierte Modell anhand Akaikes Information Criterion (AIC; Akaike, 1987)

und der Anzahl von Freiheitsgraden mit dem Unabhängigkeitsmodell (Nullmodell)

verglichen. Eine Übersicht über die errechneten Anpassungsindizes wird in Tabelle 5-3

zusammengestellt. Das geschätzte Modell ist in Abbildung 5-5 dargestellt. Aus Tabelle 5-3 ist

ersichtlich, daß die grundsätzlichen Voraussetzungen für eine günstige Modellanpassung

erfüllt sind. Akaikes Information Criterion (AIC) weist eine wesentlich sparsamere Lösung

für das vom Verfasser spezifizierte Modell im Vergleich zum Unabhängigkeitsmodell aus.

Als zweite erfüllte Grundvoraussetzung für die Modellanpassung wurde für das

hypothetisierte Modell ein kleinerer Chi-Quadrat-Wert als für das Nullmodell errechnet.

Überdies liegt der Chi-Quadrat-Wert wesentlich niedriger als die verfügbaren Freiheitsgrade.

Für das hypothetisierte Modell wurde ein korrigierter Chi-Quadrat-Wert von S-B χ2 = 134.01

mit einer Überschreitungswahrscheinlichkeit Gamma von γ = 1.0 ermittelt. Für den robusten

Comparative Fit Index (Robust CFI), der eine zusätzliche Bewertung der Anpassungsgüte des

Modells (Goodness of Fit) angibt, wurde ein Wert von Robust CFI = 1.0 ermittelt. Die Ergeb-

nisaussage lautet somit, daß eine Ablehnung des postulierten Modells mit einer Wahrschein-

lichkeit von 100 % eine Fehlentscheidung darstellen würde.6

6 Eine gute Anpassung der theoretischen an die empirische Verteilung wurde für ein γ > 0.5 (50

%) auch von Lienert (1989) ausgewiesen (vgl. Clauß & Ebner, 1989, S. 218).

Tabelle 5-3. Modellbewertung für den Therapeuten

Modell df AIC S-B χ2 Robust CFI γ

Null 276 457.598 1009.598 – –

Hypothetisiert 237 113.174 134.010 1.000 1.000

Anmerkung. Die Bezeichnung df steht für die Freiheitsgrade des Modells. Die Notation AIC kennzeichnetAkaikes Information Criterion (Akaike, 1987). S-B χ2 steht für den von Satorra & Bentler (1988) korrigiertenChi-Quadrat-Wert. Die Notation Robust CFI steht für den robusten Comparative Fit Index (Bentler, 1990) und γsteht für die Überschreitungswahrscheinlichkeit.

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Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion 34

Abbildung 5-5. Geschätztes Modell für das Interaktionsverhalten des Therapeuten miteiner Angabe zu den signifikanten Beziehungen zwischen den latentenFaktoren und den Indikatorvariablen („*“ P ≤ 0.05). Die Parameter-schätzungen sind standardisiert und die Residualvariablen sind Va-rianzen.

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Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion 35

5.1.1.2 Strukturgleichungsmodell für die Patientin

5.1.1.2.1 ModellspezifikationDie folgende Faktorenstruktur mit der zugehörigen Anzahl an Indikatorvariablen (in Klam-

mern) wurde mit Hilfe der explorativen Faktorenanalyse für das Interaktionsverhalten der

Patientin ermittelt:

• Informationszeiten (3),• Beziehungszeiten (3),• Exponierungszeiten (3),• Konfliktzeiten (4),• Konsenszeiten (3),• Veränderungszeiten (4),• Zeiten des nonverbalen Ausdrucks (5).

Das Meßmodell wird im Rahmen des hypothetisierten Modells durch die Indikatorvariablen,

die jeweils auf den Faktoren erster Ordnung laden, spezifiziert. Die Indikatorvariablen, die

über die Regressionspfade vorhergesagt werden, besitzen eine hohe Ladung auf dem Faktor

erster Ordnung und eine Nulladung auf den anderen sechs Faktoren erster Ordnung. Das

Strukturmodell in Abbildung 5-6 wird durch die Regressionspfade von F8

(Interaktionsverhalten Patientin) auf F1 bis F7 spezifiziert. Es wird hypothetisiert, daß die

Faktoren erster Ordnung aus dem Faktor zweiter Ordnung vorhergesagt werden.

5.1.1.2.2 Testen des hypothetisierten ModellsDie Modellbewertung erfolgte mit Hilfe des Satorra-Bentler-Chi-Quadrat-Wertes (Satorra &

Bentler, 1988). Ferner wurde die Güte der Modellanpassung mit dem robusten Comparative

Fit Index (Robust CFI) überprüft. Da der Chi-Quadrat-Wert eher einen Badness of Fit

darstellt (vgl. Kupper, 1997, S. 21), soll der CFI-Wert zur Modellbewertung herangezogen

werden. Für die Parameterschätzungen wurde die robuste Maximum-Likelihood-Methode

(Bentler & Wu, 1993) verwendet. Die Ergebnisse der konfirmativen Faktorenanalyse sind in

Tabelle 5-4 zusammengefaßt. Die Parameterschätzungen für das bewertete Modell werden in

Abbildung 5-6 angegeben.

Tabelle 5-4. Modellbewertung für die PatientinModell df AIC S-B χ2 Robust CFI γ

Null 300 751.052 1351.052 – –

Hypothetisiert 260 68.420 143.390 1.000 1.000Anmerkung. Die Bezeichnung df steht für die Freiheitsgrade des Modells. Die Notation AIC kennzeichnetAkaikes Information Criterion (Akaike, 1987). S-B χ2 steht für den von Satorra & Bentler (1988) korrigiertenChi-Quadrat-Wert. Die Notation Robust CFI steht für den robusten Comparative Fit Index (Bentler, 1990) undγ steht für die Überschreitungswahrscheinlichkeit.

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Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion 36

Abbildung 5-6. Geschätztes Modell für dasInteraktionsverhalten der Patientin mit einer Angabe zu densignifikanten Beziehungen zwischen den latenten Faktoren undden Indikatorvariablen („*“ P ≤ 0.05). Die Parameterschätzungensind standardisiert und die Residualvariablen sind Varianzen.

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Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion 37

Akaikes Information Criterion (AIC) zeigt an, daß die Modellspezifikation vom Verfasser im

Vergleich zum Unabhängigkeitsmodell hinsichtlich der spezifizierten Parameter eine

wesentlich sparsamere Modellösung darstellt. Der Chi-Quadrat-Wert für das hypothetisierte

Modell ist deutlich kleiner als für das Nullmodell, wodurch deutlich wird, das eine starke

Verbesserung mit der Spezifizierung des Modells erreicht wurde. Damit sind die

grundsätzlichen Voraussetzungen für eine gute Modellanpassung erfüllt. Das hypothetisierte

Modell stellt mit einem korrigierten Chi-Quadrat-Wert von χ2 = 143.39 und einer

zugehörigen Überschreitungswahrscheinlichkeit Gamma von γ = 1.000 eine gute Anpassung

an die empirischen Daten dar. Der Goodness of Fit des Modells mit einem Robust CFI-Wert =

1.000 kennzeichnet eine sehr hohe Anpassungsgüte für das Modell. Das Ergebnis besagt, daß

eine Ablehnung des hypothetisierten Modells mit einer Wahrscheinlichkeit von 100 % eine

Fehlentscheidung darstellen würde.

5.2 Mehrfallanalyse

5.2.1 Strukturgleichungsmodelle für die Therapeuten

5.2.1.1 ModellspezifikationDie Faktorenstruktur, die für das Interaktionsverhalten des Therapeuten getestet wurde, bildet

die Grundlage für die Prüfung der Invarianz der Partizipationsstrukturen des

Therapeutenverhaltens über drei psychotherapeutische Dyaden hinweg. Das postulierte

Modell für die Mehrfallanalyse des Interaktionsverhaltens von Therapeuten entspricht der

Modellspezifikation in der Einzelfallanalyse.

5.2.1.2 Testen des hypothetisierten ModellsDie statistischen Kennzahlen, die Aussagen über die Güte der Modellanpassung zulassen,

sind in Tabelle 5-5 zusammengestellt. Die Parameterschätzungen für das hypothetisierte

Modell werden in Abbildung 5-7 angegeben.

Tabelle 5-5. Modellbewertung für die drei Therapeuten

Modell df AIC S-B χ2 Robust CFI γ

Null 276 2437.895 1667.228 – –

Hypothetisiert 237 1193.228 1425.400 0.534 0.000

Anmerkung. Die Bezeichnung df steht für die Freiheitsgrade des Modells. Die Notation AIC kennzeichnetAkaikes Information Criterion (Akaike, 1987). S-B χ2 steht für den von Satorra & Bentler (1988) korrigiertenChi-Quadrat-Wert. Die Notation Robust CFI steht für den robusten Comparative Fit Index (Bentler, 1990) undγ steht für die Überschreitungswahrscheinlichkeit.

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Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion 38

Abbildung 5-7. Modellbewertung für die drei Therapeuten mit einer Angabe zu densignifikanten Beziehungen zwischen den latenten Faktoren und denIndikatorvariablen („*“ P ≤ 0.05). Die Parameterschätzungen sindstandardisiert und die Residualvariablen sind Varianzen.

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Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion 39

Das Informationskriterium nach Akaike (AIC) zeigt einen Vorteil für das hypothetisierte

Modell im Vergleich zum Nullmodell an. Der korrigierte Chi-Quadrat-Wert liegt allerdings

wesentlich höher als durch die Anzahl der Freiheitsgrade zugelassen werden kann. Für das

hypothetisierte Modell wurde ein korrigierter Chi-Quadrat-Wert von χ2 = 1425.4 mit einer

zugehörigen Überschreitungswahrscheinlichkeit Gamma von γ = 0 ermittelt. Der Goodness of

Fit Index liefert einen Wert von Robust CFI = 0.53.

Die Ergebnisaussage lautet, daß eine Ablehnung des Modells mit einer Wahrscheinlichkeit

von 0 % eine Fehlentscheidung darstellt. Die Güte des Modells ist äußerst unzureichend und

das Modell muß daher modifiziert werden.

5.2.1.3 ModellmodifikationIm Rahmen der Modellmodifikation wurde zunächst der Lagrange Multiplier Test (LMT)

durchgeführt, um Hinweise auf unzureichend spezifizierte Parameter zu erhalten. Das

inakzeptable hypothetisierte Modell wurde in Anlehnung an die Ergebnisse des LMT

revidiert. Folgende Parameter wurden dem Modell hinzugefügt:

• F1–V14• F5–V7• E1–E15• E26–E27• E19–29• E15–E8• E15–E14• E15–E7• E14–E7.

Mit der Spezifizierung der Kreuzladungen von V14 auf F1 und V7 auf F5 sowie der

Spezifizierung der Kovarianzen zwischen den Meßfehlern wird eine wesentlich günstigere

Modellanpassung erreicht. Die Ergebnisse der Konfirmativen Faktorenanalyse zeigt Tabelle

5-6 für das Nullmodell, das hypothetisierte und das modifizierte, reparametrisierte Modell.

Die hochgradige Fehlspezifikation, die in dem hypothetisierten Modell zum Ausdruck kam,

konnte durch die Modifikation teilweise ausgeglichen werden. Die Parameterschätzungen für

das respezifizierte Modell werden in Abbildung 5-8 angegeben.

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Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion 40

Abbildung 5-8. Bewertung des modifizierten Modells für die drei Therapeuten mit einerAngabe zu den signifikanten Beziehungen zwischen den latentenFaktoren und den Indikatorvariablen („*“ P ≤ 0.05). Die Parameter-schätzungen sind standardisiert und die Residualvariablen sind Varianzen.www.

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Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion 41

Der Wert für Akaikes Information Criterion (AIC) weist auf eine sehr starke Verbesserung für

das hypothetisierte Modell im Vergleich zum Unabhängigkeitsmodell hin. Für das

modifizierte Modell wurde ein korrigierter Chi-Quadrat-Wert von S-B χ2 = 290.51 bei einer

Überschreitungswahrscheinlichkeit Gamma von γ = 0.003 ermittelt. Der robuste Comparative

Fit Index gibt einen Wert von Robust CFI = 0.975 aus.

5.2.2 Strukturgleichungsmodelle für die Patientinnen

5.2.2.1 ModellspezifikationAls Grundlage für die Modellspezifikation wurde das hypothetisierte Modell verwendet, das

im Rahmen der Einzelfallanalyse für die Patientin getestet wurde.

5.2.2.2 Testen des hypothetisierten ModellsIn Tabelle 5-7 wird eine Übersicht zu den Ergebnissen der Modellbewertung zusammenge-

stellt. Die Durchsicht der Ergebnisse für die einzelnen Anpassungsindizes läßt auf eine hoch-

gradige Fehlspezifikation des hypothetisierten Modells schließen. Der Wert für Akaikes Infor-

mation Criterion weist auf eine sehr starke Verschlechterung für das hypothetisierte Modell

im Vergleich zum Nullmodell hin. Der Chi-Quadrat-Wert liegt um ein Vielfaches höher als

die Anzahl der Freiheitsgrade. Aus diesem Grunde wurde eine Modellmodifikation durch-

geführt. Die Parameterschätzungen für das hypothetisierte Modell sind in Abbildung 5-9

eingefügt.

Tabelle 5-6. Bewertung des modifizierten Modells für die drei Therapeuten

Modell df AIC S-B χ2 Robust CFI γNull 276 2437.895 2989.895 – –Hypothetisiert 237 1193.228 1425.400 0.534 0.000Modifiziert 237 545.825 290.507 0.975 0.003

Anmerkung. Die Bezeichnung df steht für die Freiheitsgrade des Modells. Die Notation AIC kennzeichnetAkaikes Information Criterion (Akaike, 1987). S-B χ2 steht für den von Satorra & Bentler (1988) korrigiertenChi-Quadrat-Wert. Die Notation Robust CFI steht für den robusten Comparative Fit Index (Bentler, 1990) undγ steht für die Überschreitungswahrscheinlichkeit.

Tabelle 5-7. Bewertung des modifizierten Modells für die drei Patientinnen

Modell df AIC S-B χ2 Robust CFI γNull 300 2774.305 3374.305 – –Hypothetisiert 260 754449.698 0.000 1.000 1.000

Anmerkung. Die Bezeichnung df steht für die Freiheitsgrade des Modells. Die Notation AIC kennzeichnetAkaikes Information Criterion (Akaike, 1987). S-B χ2 steht für den von Satorra & Bentler (1988) korrigiertenChi-Quadrat-Wert. Die Notation Robust CFI steht für den robusten Comparative Fit Index (Bentler, 1990) undγ steht für die Überschreitungswahrscheinlichkeit.

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Abbildung 5-9. Modellbewertung für die drei Patientinnen mit einer Angabe zuden signifikanten Beziehungen zwischen den latentenFaktoren und den Indikatorvariablen („*“ P ≤ 0.05). DieParameterschätzungen sind standardisiert und dieResidualvariablen sind Varianzen.

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Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion 43

5.2.2.3 ModellmodifikationMit Hilfe des Lagrange Multiplier Tests (LMT) wurden folgende Parameter indiziert, die

einen Beitrag zur Fehlspezifikation leisten:

• F2–F14• F7–V2• F7–V18• E15–E14• E2–E4/E5/E6/E7/E12/E14/E15/E16/E18/E20/E23/E25/E31/E32/E34/E35.

Diese Parameter wurden im Rahmen der Modellmodifikation zum hypothetisierten Modell

hinzugefügt. Die Parameterschätzungen für das respezifizierte Modell werden in Abbildung

5-10 angegeben.

Für das respezifizierte Modell weisen die Anpassungskennwerte eine optimale Schätzlösung

aus. Das Informationskriterium nach Akaike (AIC) weist eine gute Verbesserung des

hypothetisierten Modells im Vergleich zum Nullmodell aus. Der korrigierte Chi-Quadrat-

Wert liegt nahe Null, d. h. er liegt in der Nähe seines idealen Anpassungswertes. Der

korrigierte Chi-Quadrat-Wert beträgt χ2 = 0.048 bei einer Überschreitungswahrscheinlichkeit

Gamma von γ = 1.00. Der robuste Comparative Fit Index liegt bei einem Wert von Robust

CFI = 1.00.

Tabelle 5-8 zeigt die Ergebnisse für das spezifizierte und respezifizierte Modell für das

Interaktionsverhalten der Patientinnen. Die Ergebnisaussage lautet, daß mit einer Wahr-

scheinlichkeit von 100 % die Ablehnung des respezifizierten Modells eine Fehlentscheidung

darstellt.

Tabelle 5-8. Bewertung des modifizierten Modells für die drei Patientinnen

Modell df AIC S-B χ2 Robust CFI γ

Null 300 2774.305 3374.305 – –

Hypothetisiert 260 754449.698 0.000 1.000 1.000

Modifiziert 260 1119.596 0.048 1.000 1.000

Anmerkung. Die Bezeichnung df steht für die Freiheitsgrade des Modells. Die Notation AIC kennzeichnetAkaikes Information Criterion (Akaike, 1987). S-B χ2 steht für den von Satorra & Bentler (1988) korrigiertenChi-Quadrat-Wert. Die Notation Robust CFI steht für den robusten Comparative Fit Index (Bentler, 1990) undγ steht für die Überschreitungswahrscheinlichkeit.

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Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion 44

Abbildung 5-10. Bewertung des modifizierten Modells für diedrei Patientinnen mit einer Angabe zu den signifikantenBeziehungen zwischen den latenten Faktoren und denIndikatorvariablen („*“ P ≤ 0.05). Die Parameterschätzungen sindstandardisiert und die Residualvariablen sind Varianzen.

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Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion 45

5.3 Revision des Dimensionsmodells der psychotherapeutischenInteraktion

Die Resultate der Untersuchung weisen darauf hin, daß der psychotherapeutische Prozeß

durch das formulierte Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion nicht

angemessen abgebildet wird. Aus diesen Gründen soll das Dimensionsmodell der

psychotherapeutischen Interaktion revidiert werden. Die Revision bezieht sich auf

Modellebene Dimensionen der psychotherapeutischen Interaktion.

Die Modellebene zu den Partizipationsstrukturen wird in der Modellrevision getrennt für

beide Interaktionspartner dargestellt. Überdies indizieren die Untersuchungsergebnisse eine

abweichende Gewichtung hinsichtlich der verlaufstypischen Zuordnung der Dimensionen der

psychotherapeutischen Interaktion. Dieser Umstand soll am Beispiel der Informationszeiten

demonstriert werden. Die Informationszeiten spielen für den Therapeuten in der ersten Phase

der Behandlung eine wesentlich geringere Rolle als theoretisch hypothetisiert wurde, d. h. der

Therapeut bringt wenige neue Informationen in den Dialog ein und nimmt währenddessen

eine deutliche Zuhörerrolle ein. Für die Patientin weisen die Untersuchungsergebnisse eine

große Deckungsgleichheit mit den theoretisch formulierten Modellannahmen auf. Die

Patientin informiert über Sachverhalte. Tabelle 5-9 zeigt das aufgrund der Untersuchungs-

resultate revidierte Modell. Weiterhin werden die Ergebnisse der faktorenanalytischen P-

Technik mit Hilfe des Darstellungsschemas, wie es oben vorgestellt wurde, in Abbildung 5-11

bis Abbildung 5-14 präsentiert. Eine ausführliche Besprechung der Ergebnisse im Spiegel des

Dimensionsmodells der psychotherapeutischen Interaktion findet im Rahmen der Diskussion

der Untersuchungsergebnisse statt.

Tabelle 5-9. Betrachtungsebenen des revidierten Dimensionsmodellsder psychotherapeutischen Interaktion

Anmerkung. Die Betrachtungsebene „Psychischer Status des Patienten“wurde weitestgehend von Czogalik (1988, S. 281) übernommen. Neuhinzugefügt wurde die Charakterisierung „Konsolidierung“.

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Abbildung 5-11. Hypothetisiertes Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion

Abbildung 5-12. Darstellung des Dimensionsmodells derpsychotherapeutischen Interaktion für den Therapeuten auf der Grundlage derempirischen Untersuchung. Die Werte wurden auf die Zahl 1 normiert.www.

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Abbildung 5-13. Hypothetisiertes Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion

Abbildung 5-14. Darstellung des Dimensionsmodells derpsychotherapeutischen Interaktion für die Patientin auf der Grundlage derempirischen Untersuchung. Die Werte wurden auf die Zahl 1 normiert.www.

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6 DiskussionDie vorliegende Untersuchung läßt sich prinzipiell folgenden Themenstellungen zuordnen:

1. Formulierung und empirische Überprüfung eines Dimensionsmodells für diepsychotherapeutische Interaktion (Nachweis von Partizipationsstrukturen).

2. Empirische Überprüfung der Invarianz der Partizipationsstrukturen über den zeitlichen

Verlauf der Interaktion hinweg (Invarianz über die Zeit).

3. Empirische Überprüfung der Invarianz der Partizipationsstrukturen über drei

psychotherapeutische Dyaden hinweg (Invarianz über Personen).

Unter diesen drei Gesichtspunkten werden die Ergebnisse einer Bewertung unterzogen.

Für die dyadische Psychotherapie wurde ein Dimensionsmodell der psychotherapeutischen

Interaktion formuliert. Die Untersuchungsergebnisse der Einzelfallstudie liefern Nachweise

zu den bereits genannten Partizipationsstrukturen für den Therapeuten und die Patientin:

• Informationszeiten,• Beziehungszeiten,• Exponierungszeiten,• Konfliktzeiten,• Konsenszeiten,• Veränderungszeiten,• Zeiten des nonverbalen Ausdrucks.

Die Modellpostulate konnten jedoch nur mit Vorbehalten nachgewiesen werden. Die Gründe

dafür liegen einerseits in den verwendeten statistischen Analysemethoden (Varianzanalyse),

die nur eine grobe Abschätzung der statistischen Bedeutsamkeit gestatten. Die feinen und kli-

nisch nicht weniger bedeutsamen Unterschiede zwischen den Therapiesitzungen und den The-

rapiephasen für einige der Partizipationsstrukturen konnten über die univariate

Varianzanalyse nicht nachgewiesen werden. Die multivariate Varianzanalyse wies jedoch in

beiden Fällen statistisch signifikante Unterschiede aus. Da die statistische Stärke der

univariaten Varianzanalyse bei den gezogenen Einzelvergleichen im Vergleich zu der

multivariaten Varianzanalyse größer ist (vgl. Brosius, 1989, S. 221), kann hier nur von einem

Nachweis unter Vorbehalten gesprochen werden. Andererseits hat sich im Rahmen der

Untersuchung gezeigt, daß dem verwendeten Meßinstrument in bezug auf den

Untersuchungsgegenstand nur eine begrenzte Aussagefähigkeit zuzuweisen ist. Dieser

Sachverhalt leistete ebenfalls einen Beitrag zu dieser Schlußfolgerung. Im folgenden soll auf

die Ergebnisse der Analyse detailliert eingegangen werden.

Die Partizipationsstruktur Informationszeiten war für das Interaktionsverhalten des Thera-

peuten und der Patientin modellkongruent nachweisbar. Zu Beginn der Behandlung bringt die

Patientin viele neue Informationen in den psychotherapeutischen Dialog ein, d. h. sie berichtet

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Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion 49

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Lebensituationen aus der Vergangenheit und Gegenwart. Der Therapeut verhält sich in dieser

Anfangsphase eher gewährend und nimmt die Rolle des aktiven Zuhörers ein. In der zweiten

Phase der Behandlung kehrt sich das Bild gleichermaßen um. Der Therapeut bringt nun

stärker Informationen in das psychotherapeutische Gesprächs ein und initiiert in dieser Phase

der aktiven therapeutischen Arbeit neue Themen. Die Patientin spricht stärker über ihre Ge-

danken und Gefühle. In der dritten Behandlungsphase entspricht das Verhalten von Therapeut

und Patientin der Normalform in psychotherapeutischen Dialogen. Therapeut und Patientin

bringen in dieser letzten Phase nur noch wenige neue Informationen in den psychotherapeu-

tischen Dialog ein. Als Fazit zu den Informationszeiten kann folgendes festgehalten werden:

Phase 1

Phase 2

Phase 3

Die Informationszeiten sind für den Therapeuten gering und für die Patientin hoch ausgeprägt.

Die Informationszeiten sind für den Therapeuten hoch und für die Patientin gering ausgeprägt.

Die Informationszeiten sind für den Therapeuten und für die Patientin auf einem mittleren Niveau angesiedelt.

Diese Ergebnisse stehen in Übereinstimmung mit den theoretischen Annahmen zur

Dimension Informationszeiten. Geringfügige Abweichungen von den Modellannahmen

wurden lediglich für die dritte Phase der Behandlung festgestellt. Die Annahme, daß die

Patientin im Abschlußteil der Therapie wesentlich unverkrampfter und freier über ihre

Gefühle und Gedanken sprechen kann, konnte mit dem verwendeten Meßinstrument nicht

nachgewiesen werden. Dennoch können von den Resultaten der vorliegenden Untersuchung

Parallelen zu den Untersuchungsergebnissen von Czogalik und Russell (1994a, b) gezogen

werden. Czogalik und Russell extrahierten für die untersuchten Therapeuten und Patienten

jeweils spezifische Strukturen des „objektiven Informationsaustausches“. Auch Stiles (1986)

stellte fest, daß der Großteil der Aussagen des Patienten (60–80%) der Exposition von

Sachverhalten dient. Diese Expositionsfunktion wird durch die Partizipationsstruktur

Informationszeiten erfaßt.

Die Partizipationsstruktur Beziehungszeiten wurde ebenfalls modellkongruent nachgewiesen.

Der Therapeut verhält sich in der ersten Therapiephase extrem selbstverbergend. Die Patientin

spricht in dieser ersten Behandlungsphase viel über das Tertiärsystem, d. h. über Alltags-

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situationen. In der zweiten Therapiephase spricht der Therapeut auch über eigene Meinungen,

Gedanken und Gefühle. Die Patientin spricht in der zweiten Phase der Behandlung stärker

über das Therapiesystem, d. h. über die Therapienormen, Therapieregeln und die Beziehung

zum Therapeuten. Während der dritten Therapiephase entspricht das Verhalten des Therapeu-

ten der Normalform in psychotherapeutischen Gesprächen (siehe Anhang 3: Anmerkung 8, S.

A-Fehler! Textmarke nicht definiert.). Ein Normalformverhalten bedeutet, daß sich der

Therapeut eher selbstverbergend und der Patient eher selbstöffnend verhält. Die Patientin

orientiert ihre Aussagen in der Abschlußphase der Therapie wieder stärker an dem

Tertiärsystem. Das Fazit zu den Beziehungszeiten kann folgendermaßen gezogen werden:

Phase 1

Phase 2

Phase 3

Die Beziehungszeiten sind für Therapeut und Patientin gering ausgeprägt.

Die Beziehungszeiten sind für Therapeut und Patientin hoch ausgeprägt.

Die Beziehungszeiten sind für Therapeut und Patientin gering ausgeprägt.

Die Modellannahmen zu den Beziehungszeiten konnten somit vollständig bestätigt werden. In

den Anfangs- und Abschlußabschnitten der Behandlung sind die Beziehungszeiten gering

ausgeprägt, d. h. die Aushandlung der therapeutischen Beziehung steht nicht im Mittelpunkt

des psychotherapeutischen Dialoges. In der mittleren Phase der Therapie, der aktiven

therapeutischen Arbeit, wird schwerpunktmäßig die Therapeut-Patient-Beziehung

ausgehandelt. Mit der Dimension Beziehungszeiten wurde eine weitere wesentliche Partizipa-

tionsstruktur aus dem psychotherapeutischen Prozeß abgeleitet, wie sie bereits in vielen

anderen empirischen Untersuchungen der psychotherapeutischen Prozeßforschung

herausgefunden wurde (Bachelor, 1991; Czogalik & Hettinger, 1988; Czogalik & Russell,

1994a, b, 1995; Fiedler, 1950; Ford, 1978; Mook, 1982a, b; Mintz & Luborsky, 1970; Mintz,

Luborsky & Auerbach, 1971). Die auffälligsten Übereinstimmungen bestehen zu den

Resultaten von Czogalik und Russell (1994a, b). Als wesentliche Kennzeichen der Struktur

Beziehungszeiten stehen die Therapeut-Patient-Beziehung und die Therapieparameter des

Primärsystems im Vordergrund. Im Gegensatz zu Untersuchungen von Hill, Thames und

Rardin (1979) und Elliott, Hill, Stiles, Friedlander, Mahrer und Margison (1987) wurde für

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Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion 51

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das Verhalten des Therapeuten das Strukturmerkmal „Selbstöffnung“ (Self-Disclosure) als

aussagekräftiges Anzeichen für den Prozeß des Aushandelns der therapeutischen Beziehung

festgestellt. Die therapeutische Beziehung steht insbesondere in der Phase 2 im Mittelpunkt

des psychotherapeutischen Dialogs. Im Rahmen des Generic Model of Psychotherapy wurde

diese Partizipationsstruktur von Orlinsky und Howard (1986) als Therapeutische Beziehung

(Therapeutic Bond) und Therapeutischer Vertrag (Therapeutic Contract) bezeichnet.

Die Dimension Exponierungszeiten kann nur unter Vorbehalten bestätigt werden. Die Modell-

annahmen müssen aufgrund der Ergebnisse der Einzelfallstudie modifiziert werden. Der The-

rapeut spricht bereits in den ersten vier Therapiestunden viel über negative Inhalte und

Probleme der Patientin. Er sucht und erkennt in dieser ersten Phase die Zusammenhänge hin-

sichtlich der Schwierigkeiten der Patientin. Die Patientin spricht in der ersten Phase der The-

rapie in einem deskriptivem Gesprächsmodus verstärkt über Sachverhalte. Den Gesprächs-

inhalten ist ein positiver Charakter inhärent. In der zweiten Therapiephase, in der die aktive

therapeutische Arbeit stattfindet, entspricht das Verhalten des Therapeuten eher der Normal-

form in psychotherapeutischen Dialogen, d. h. die Probleme und Konflikte bilden permanent

den Referenzpunkt der besprochenen Inhalte. Die Gesprächsinhalte der Patientin beziehen

sich auf eigene Probleme und Konflikte. In der Stunde 9 sind die Exponierungszeiten am

stärksten ausgeprägt, d. h. Probleme, Konflikte und das Ausdrücken der damit verbundenen

Gefühle stehen im Gesprächsmittelpunkt. In der dritten Phase der Behandlung spricht der

Therapeut größtenteils über Sachverhalte mit positiven Inhalten. Die Patientin stellt ihr

Erleben und ihre Gedanken in bezug auf die eigenen Schwierigkeiten dar. Die

Schlußfolgerung für diese Dimension lautet:

Phase 1

Phase 2

Phase 3

Die Exponierungszeiten sind für den Therapeuten hoch und für die Patientin gering ausgeprägt.

Die Exponierungszeiten sind für den Therapeuten mittelstark und für die Patientin hoch ausgeprägt. Die stärkste Ausprä- gung im gesamten Behandlungsverlauf besteht in der 9. Sitzung.Die Exponierungszeiten sind für den Therapeuten gering und Patientin hoch ausgeprägt.

Die Exponierungszeiten bilden einen Grundpfeiler des psychotherapeutischen Prozesses. Die

Struktur der Partizipation der Patientin setzt sich aus den Interaktionsmerkmalen der

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Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion 52

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Selbsterfahrung (Klein, Mathiew-Coughlan & Kiesler, 1986), der Involvierung (Gomes-

Schwartz, 1978) und der Selbstöffnung (Stiles, 1986) zusammen. Weitere empirische

Konvergenzen lassen sich zu der Untersuchung von Mook (1982a) feststellen. Der folgende

Faktor für die Patientin wurde ermittelt:Klientin spricht über ihre Gedanken und Gefühle, sie verhält sich explorierend undzeigt Akzeptanz und Verständnis oder Einsicht. (Mook, 1982a, S. 271; Übers. v. Verf.)

Ein ähnlich deutlicher Bezug läßt sich zu dem Faktor „Partizipation des Klienten“ aus der

Untersuchung von Mintz und Luborsky (1970) herstellen. Die Partizipationsstruktur für den

Therapeuten verkörpert das Komplement zu dem Faktor des Patientenverhaltens. Czogalik

und Russell (1994b) extrahierten für das Therapeutenverhalten die Interaktionsstruktur

„Anleiten zu einsichtsfördernder/peinlicher Arbeit“ (S. 82; Übers. v. Verf.). Das Interaktions-

verhalten des Therapeuten wird als anleitend und interpretierend beschrieben, wobei der

thematische Fokus auf den Konflikten und Schwierigkeiten liegt. Diese eindeutigen

theoretischen und empirischen Konvergenzen der Forschungsergebnisse weisen darauf hin,

daß die Exponierungszeiten für das Verständnis des psychotherapeutischen Prozesses eine

herausragende Bedeutung besitzen.

Die Dimension Konfliktzeiten war nicht modellkongruent nachweisbar. Diese Schlußfolge-

rung steht in engem Zusammenhang zu dem Verlauf der Exponierungszeiten. In der ersten

Behandlungsphase sind die Konfliktzeiten für den Therapeuten stark ausgeprägt. Für die

Patientin ist die Dimension Konfliktzeiten in der ersten Behandlungsphase ebenfalls hoch

ausgeprägt. Sie verhält sich vieldeutig und verneint die Interpretationen des Therapeuten. Die

Gesprächsatmosphäre ist fremd. Während der zweiten Behandlungsphase sind die

Konfliktzeiten für den Therapeuten eher niedrig ausgeprägt, d. h. er ist der Patientin mit

Blickkontakt und Körperhaltung zugewandt und spricht mit vielen Pausen. Für die Patientin

ist die Dimension Konfliktzeiten in der zweiten Phase hoch ausgeprägt. Sie verneint die

Äußerungen des Therapeuten und verhält sich insgesamt wenig authentisch. In der dritten

Behandlungsphase verhält sich der Therapeut in starker Ausprägung der Patientin zugewandt

und spricht mit einigen Unterbrechungen. Die Patientin verhält sich in der Abschlußphase der

Behandlung sehr eindeutig und bejaht die Aussagen des Therapeuten. Das folgende Fazit läßt

sich für die Dimension Konfliktzeiten herausstellen:www.

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Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion 53

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Phase 1

Phase 2

Phase 3

Die Konfliktzeiten sind für Therapeut und Patientin hoch ausgeprägt.

Die Konfliktzeiten sind für den Therapeuten niedrig und für die Patientin hoch ausgeprägt.

Die Konfliktzeiten sind für Therapeut und Patientin gering ausgeprägt.

Diese Modellannahme, die beinhaltete, daß die Ausprägungen der Struktur Konfliktzeiten am

Ende der zweiten Phase die größte Rolle spielen, konnten nicht nachgewiesen werde. Als

stabile Struktur der psychotherapeutischen Interaktion lassen sie sich jedoch extrahieren.

Ähnliche Ergebnisse zur Struktur des Interaktionsverhaltens wurden von Mintz, Luborsky

und Auerbach (1971) ermittelt. Mintz et al. haben als Hauptkennzeichen der interpretativen

und direktiven Interaktionsstruktur die Kritik und die direktiven Interventionen des

Therapeuten hervorgehoben. In der vorliegenden Untersuchung ist die Partizipationsstruktur

Konfliktzeiten über die Variablen „verneinen“, „vieldeutiges“ Verhalten und „abgewandte“

Körperhaltung abgebildet. Sehr überzeugend demonstrieren die Ergebnisse, daß für die

Patientin eine sehr hohe Ausprägung der Konfliktzeiten während der Therapiephase „aktive

therapeutische Arbeit“ besteht. Die Darstellungen der Patientin werden durch den

Therapeuten konfrontiert und interpretiert. Der Therapeut nimmt hingegen eine deutliche

Komplementärposition zum Verhalten der Patientin ein. Dieser Befund wurde bereits in

früheren Untersuchungen des Verfassers als evident herausgestellt (Kupper, 1994).7 Das

7 „Das typische Therapeutverhalten im psychotherapeutischen Diskurs kann durch eine hohe

Involvierung in Richtung des Poles „selbstverbergen“ beschrieben werden. Dies bedeutet, daß derTherapeut mit „fröhlicher“ und „frischer“ Stimmlage den Patienten über dessen Verhalten undErleben befragte und zur Integrierung anderer Sichtweisen aufforderte. Der Therapeut verhieltsich dem Patienten gegenüber größtenteils zugewandt und zeigte eine „positive“ Mimik. Dieanderen drei Strukturdimensionen bestimmen das Therapeutenverhalten in geringerem Ausmaß.Wenn die Verhaltensbesonderheiten der einzelnen Strukturen zusammengefügt werden, läßt sichder Therapeut als jemand charakterisieren, der in einem affektiv-kognitiven GesprächsmodusProbleme und Konflikte des Patienten durch aktives Suchen, Erkennen und Interpretierenbearbeitet. Dieses Vorgehen begleitete er durch Hilfestellungen und Ratschläge, wobei er überverschiedene Zeiteinheiten hinweg mit geringer Stimmstärke den Patienten gewähren ließ. Durchdie Anklammerung an diese therapeutische Rollenhaltung wirkt er jedoch alles andere alsauthentisch. Er erweckt den Eindruck der Vieldeutigkeit und des Unechten. Durch seinegleichschwebende Freundlichkeit und eine basale vertraute Gesprächsatmosphäre vermittelte erdem Patienten Zugehörigkeitsgefühle, Verständnis und Vertrauen. Diese grundlegendeStrukturierung des Verhaltens seitens des Therapeuten verkörperte eine interessierte freundlich-

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Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion 54

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Ergebnis zu den Komplementärpositionen wurde auch in dem schulenübergreifenden

Makromodell von Strong und Claiborn (1982) in der mittleren Phase der Behandlung

konzeptualisiert. Dieser empirische Befund kann als sehr zuverlässig gelten, da er bereits in

zahlreichen Untersuchungen bestätigt wurde (Bieber, Patton & Fuhriman, 1977; Dietzel &

Abeles, 1975; Lennard & Berstein, 1960; Tracey, 1993; Tracey & Ray, 1984). Als mögliche

Interpretation für den von den Modellvorstellungen abweichenden Verlauf kann angeführt

werden, daß die Konfliktzeiten bereits in der ersten Behandlungsphase auftreten mußten, da in

der ersten Phase auch schon Probleme angesprochen wurden. Der Verfasser schlußfolgert

somit einen logischen, empirisch jedoch nicht stringent nachgewiesenen Zusammenhang

zwischen den Ereignissen der Exponierungszeiten und denen der Konfliktzeiten. Der Verlauf

der Dimension Konfliktzeiten wird als besonderes Charakteristikum der untersuchten

psychotherapeutischen Dyade interpretiert.

Für die Dimension Konsenszeiten konnten die Modellannahmen anhand des

Interaktionsverhaltens der Patientin bestätigt werden. Für das Interaktionsverhalten des

Therapeuten muß das Modell jedoch geringfügig modifiziert werden. Der Therapeut verhält

sich in der ersten Phase sehr freundlich, warm und gewährend. Die Patientin verhält sich

demgegenüber in der ersten Behandlungsphase sehr unfreundlich und dominant. Sie

konfrontiert die Aussagen des Therapeuten. In der zweiten Therapiephase entspricht das

Verhalten des Therapeuten und der Patientin eher der Normalform in psychotherapeutischen

Dialogen, d. h. der Therapeut zeigt eine akzeptierende und interessierte Grundhaltung

gegenüber der Patientin und die Patientin verhält sich freundlich-distanziert. In der dritten

Phase der Behandlung verhält sich der Therapeut dominant, kalt sowie eher unfreundlich und

abweisend. Die Patientin zeigt sich demgegenüber freundlich und submissiv. Sie verfolgt als

deutliches Kennzeichen von etabliertem Konsens die Argumentationslinie des Therapeuten.

Als Fazit für die Dimension Konsenszeiten kann folgendes geschlußfolgert werden:

gewährende Gesprächshaltung, in deren Rahmen Ratschläge und Anleitungen gegeben wurden.Sie wurde als Typus interactionis curum benannt, d. h. Interaktionstypus, um zu behandeln.

Der Patient zeigte ein relationales Komplementärverhalten. Der Patient verhielt sich hochinvolviert in Richtung des Poles „selbstöffnen“. Dies heißt, daß er viel über sich selbst sprach, dabeijedoch klagte und eine gedrückte Stimmführung erkennen ließ. Seine Mimik war negativ. Er blieb inseiner Körperhaltung dem Therapeuten gegenüber abgewendet und zeigte sich unsicher und hilflos.Seine „Klärungsarbeit“ zeigte sich darin, daß er viele Gesprächsthemen aus dem Tertiärsystemwählte und in einem beschreibenden Modus „alltägliche“ Sinnzusammenhänge feststellte, die häufigmit diesen Sachverhalten in Verbindung standen. Während dieser Bearbeitungen stellte er sich alsdominant dar, verhielt sich unfreundlich und baute eine verkrampfte Gesprächsatmosphäre auf. Diegenannte Kombination der Interaktionsvariablen konfiguriert das typische oder majore depressiveVerhalten in der sozialen Interaktion. Diese speziellen Merkmalsausprägungen des Verhaltensseitens des Patienten verkörpern als Verhaltensstruktur eine Gesprächshaltung der unfreundlich-fordernden Klagsamkeit. Sie wurde als Typus interactionis patium benannt, d. h. Interaktionsstil desLeidens.“ (Kupper, 1994, S. 76).

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Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion 55

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Phase 1

Phase 2

Phase 3

Die Konsenszeiten sind für den Therapeuten hoch und für die Patientin gering ausgeprägt.

Die Konsenszeiten sind für den Therapeuten und die Patientin mittelstark ausgeprägt.

Die Konsenszeiten sind für den Therapeuten gering und für die Patientin hoch ausgeprägt.

Während der Konsenszeiten findet eine konstruktive therapeutische Interaktion statt. Eine

hohe Ausprägung für die Konsenszeiten läßt sich für den Therapeuten in der Anfangsphase

der Therapie feststellen, in der die therapeutische Beziehung aufgebaut wird. Ein hohe

Ausprägung der Konsenszeiten der Patientin wurde erwartungsgemäß nach den

Modellannahmen im Abschlußteil der Behandlung nachgewiesen. In der Forschungsempirie

existieren Befunde für eine konsensuelle therapeutische Interaktion, die in die gleiche

Richtung deuten. Dormaar et al. (1989) stellten zwischen dem Konsensverhalten des

Therapeuten und dem Therapieergebnis einen statistisch bedeutsamen Zusammenhang fest.

Für die untersuchten Therapeuten wurde von Dormaar et al. eine hohe Ausprägung des

Konsensverhaltens im ersten Abschnitt der Behandlung und eine statistisch bedeutsame

Beziehung zum günstigen Therapieausgang festgestellt. Im weiteren Therapieverlauf wurden

im Rahmen der vorliegenden Untersuchung kongruent zu den Ergebnissen von Dormaar et al.

(1989) keine starken Ausprägungen für die Konsensstruktur des Therapeuten festgestellt. Die

Ergebnisse zum Interaktionsverhalten der Patientin konvergieren sehr stark mit den

Resultaten aus der Mehrebenenanalyse von Czogalik (1989). Czogalik zeigte, daß unmittelbar

im Anschluß an die Problembearbeitung und Klärung ein Abschnitt der „konstruktiven

therapeutischen Interaktion“ (S. 263) folgt. Ein ähnliches Bild wird auch durch die Ergebnisse

der vorliegenden Untersuchung entworfen. Nach einer sehr geringen Ausprägung der

Konsensstruktur im mittleren Therapieabschnitt, in dem vorrangig Probleme bearbeitet und

Gefühle exponiert werden, gewinnt die psychotherapeutische Interaktion für die Seite der

Patientin ein konstruktives, positives Moment hinzu. Ein äußerst inkongruentes Ergebnis der

vorliegenden Untersuchung im Vergleich zur Untersuchung von Dormaar et al. (1989) besteht

in der geringen Ausprägung der Konsenszeiten für die Patientin in der ersten Therapiephase.

Unter dem Kriterium der Plausibilität wäre zu erwarten, daß zwischen Therapeut und

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Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion 56

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Patientin im ersten Therapieabschnitt eine konsensuelle Interaktion dominiert und somit eine

stabile, tragfähige und hilfreiche therapeutische Beziehung aufgebaut werden kann. Diese

Unregelmäßigkeiten der psychotherapeutischen Interaktion zwischen Therapeut und Patientin

werden in der eigenen Untersuchung als ein weiteres Merkmal für die Auswirkung der

Eigengeschichtlichkeit und der Einzigartigkeit der untersuchten Dyade charakterisiert. Das

Modell muß um die spezifischen Interaktionsmerkmale des Therapeuten erweitert werden. Zu

Beginn der Behandlung stellt der Therapeut einen Konsens in der psychotherapeutischen

Dyade als Grundlage für den Aufbau der therapeutischen Beziehung her. Für den Abschluß

der Behandlung strebt der Therapeut eine Lockerung der therapeutischen Beziehung an. Der

Konsensaspekt besitzt in dieser Abschlußphase nicht mehr den hohen Stellenwert, der ihm zu

Beginn der Therapie zukam. Das Dimensionsmodell für das Verhalten des Therapeuten wird

folglich um dieses Ergebnis erweitert.

Für die Dimension Veränderungszeiten werden die Modellannahmen näherungsweise nach-

gewiesen. Der Therapeut unterstützt und bekräftigt das Verhalten der Patientin besonders

stark in der Anfangsphase der Behandlung. Er bringt neue Gedanken und Argumentati-

onslinien in das psychotherapeutische Gespräch ein. Die Patientin verhält sich spontan und

unüberlegt. Ihre Körperhaltung ist offen und die von ihr beeinflußte Gesprächsatmosphäre ist

locker. In der zweiten Therapiephase entspricht das Verhalten des Therapeuten eher dem

Normalformverhalten in psychotherapeutischen Dialogen, d. h. er bezieht sich auf die Aussa-

gen der Patientin und entwickelt gemeinsam mit ihr den psychotherapeutischen Text weiter.

Die Patientin verhält sich in dieser zweiten Behandlungsphase kontrolliert und überlegt. Ihre

Gestik ist eingeengt und ihre Körperhaltung geschlossen. Während der dritten Phase der Be-

handlung stellt der Therapeut den Ansichten und Gedanken der Patientin eine Variante gegen-

über und leitet sie zu neuen Handlungen an. Das Verhalten der Patientin entspricht in der Ab-

schlußphase der Normalform für psychotherapeutische Gespräche, d. h. sie setzt sprechbeglei-

tende Gestik ein. Ihre Körperhaltung ist halboffen und signalisiert somit Aufmerksamkeit. Für

die Dimension Veränderungszeiten sind folgende Schlußfolgerungen relevant:

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Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion 57

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Phase 1

Phase 2

Phase 3

Die Veränderungszeiten sind für den Therapeuten niedrig und für die Patientin hoch ausgeprägt.

Die Veränderungszeiten sind für den Therapeuten mittelstark und für die Patientin gering ausgeprägt.

Die Veränderungszeiten sind für den Therapeuten stark und für die Patientin mittelstark ausgeprägt.

Die zentralen interaktionellen Vorgänge während der Veränderungszeiten bestehen für den

Therapeuten in dem Anleiten zu neuen Gedanken und Handlungen. Für die Patientin ist das

interaktionelle Verhalten durch eine Zunahme der Aufnahmebereitschaft und

Aufmerksamkeit gekennzeichnet. Diese Ergebnisse weisen sehr viele Übereinstimmungen zu

den Ergebnissen von Westerman, Foote und Winston (1995) auf. Westerman et al.

untersuchten im Verlauf von 16 Psychotherapien die Abnahme von „komplexen defensiven

Mustern“ (Westerman et al., 1995, S. 673; Übers. v. Verf.). Für diese defensiven Muster, die

ihren Ausdruck in der Bezugnahme zum Gesprächspartner finden, wiesen Westerman et al.

eine positive statistisch bedeutsame Beziehung zum günstigen Ergebnis der Behandlung nach.

Eine weitere Konvergenz der Ergebnisse aus der vorliegenden Untersuchung zeigte sich an

den Resultaten aus den Studien von Greenberg, Ford, Alden und Johnson (1993). Als Fazit

der Studien von Greenberg et al. ist hervorzuheben, daß die Affiliation im Verlauf der

Behandlung ansteigt. In der vorliegenden Untersuchung war ein vergleichbarer Trend

erkennbar. Für die Affiliation, konzeptualisiert über die Aufnahmebereitschaft und die

„Zugehörigkeit“ zum Therapeuten, ist in der Abschlußphase der Behandlung im Vergleich

zum Beginn der Therapie ein Anstieg zu verzeichnen. Die quantitativen Ausprägungen für die

Parztizipationsstruktur Veränderungszeiten in Abhängigkeit vom Verlauf der Therapie,

spiegeln die grundsätzlichen Vorgänge der therapeutischen Veränderung wider. In der Phase

der aktiven therapeutischen Arbeit, in der die Patientin sich intensiv mit ihren Konflikten

beschäftigt, sowie Gefühle exponiert und der Therapeut diese Darstellungen hinterfragt und

interpretiert, steht hinsichtlich der Interaktionsstruktur Veränderung für die Patientin ein

kontrolliertes und sehr überlegtes Verhalten im Vordergrund. In Übereinstimmung mit den

theoretischen Beschreibungen zu der Dimension Veränderungszeiten für den Therapeuten

leitet der Therapeut die Patientin zu neuen Handlungen und Sichtweisen an.

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Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion 58

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Die Modellannahmen konnten folglich nur unvollständig bestätigt werden. Für das

Interaktionsverhalten der Patientin, wie es im Modell vorgesehen ist, müssen für diese

spezielle Dyade auch in der ersten Therapiephase Veränderungszeiten postuliert werden.

Für die Dimension Zeiten des nonverbalen Ausdrucks konnten die Modellannahmen ebenfalls

nicht vollständig bestätigt werden. Im Rahmen des Modells wurde hypothetisiert, daß der

nonverbale Ausdruck als ein Basisaspekt der psychotherapeutischen Beziehung eine

gleichbleibende mittelstarke Ausprägung aufweist. Diese Annahme konnte nicht bestätigt

werden. Zu Beginn der Behandlung wurde für das nonverbale Verhalten des Therapeuten eine

mittelstarke Ausprägung festgestellt, wie sie als Normalform in psychotherapeutischen

Gesprächen zu finden ist. Dieses Normalformverhalten wird durch eine leicht bewegte

Erzählmimik und eine sprechbegleitende Gestik gekennzeichnet. In der zweiten und dritten

Behandlungsphase zeigen die Zeiten des nonverbalen Ausdrucks eine deutlich akzentuierte

Ausprägung. Für die Patientin sind die Zeiten des nonverbalen Ausdrucks während der ersten

Behandlungsphase stark ausgeprägt. In der zweiten Phase der Therapie ließ sich eine

mittelstarke Ausprägung ihres nonverbalen Verhaltens feststellen. Dies entspricht in etwa der

Normalform in psychotherapeutischen Gesprächen. Im Laufe der Abschlußphase der

Behandlung waren wiederum deutliche Ausprägungen der Zeiten des nonverbalen Ausdrucks

feststellbar. Als Fazit für die Zeiten des nonverbalen Ausdrucks sind folgende

Schlußfolgerungen zu nennen:

Phase 1

Phase 2

Phase 3

Die Zeiten nonverbalen Ausdrucks sind für den Therapeuten mittelstark und für die Patientin hoch ausgeprägt.

Die Zeiten nonverbalen Ausdrucks sind für den Therapeuten hoch und für die Patientin mittelstark ausgeprägt.

Die Zeiten nonverbalen Ausdrucks sind für Therapeut und Patientin stark ausgeprägt.

Die Ergebnisse zum Ausdruck nonverbalen Verhaltens für den Therapeuten weisen große

Gemeinsamkeiten mit den Resultaten der Studie von Davis und Hadiks (1994) auf. Davis und

Hadiks stellten eine statistisch bedeutsame Beziehung zwischen der Gestik des Therapeuten

und der günstigen Entwicklung der therapeutischen Beziehung fest. Nach den Ergebnissen der

vorliegenden Untersuchung läßt sich für das gestische Verhalten des Therapeuten in der

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Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion 59

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zweiten und dritten Therapiephase eine wesentlich höhere Ausprägung feststellen als in der

ersten Therapiephase. Da die untersuchte Dyade als eine günstig entwickelte psychothera-

peutische Beziehung durch das Expertenurteil eingeschätzt wurde, ist eine Konvergenz der

Ergebnisse aus beiden Untersuchungen nachvollziehbar. Die Ergebnisse zum nonverbalen

Verhalten der Patientin weisen eine hohe Übereinstimmung mit den Resultaten der Studie von

Burgoon et al. (1993) auf. Burgoon et al. zeigten, daß sich zwischen emotionaler Erregung,

die über nonverbales Verhalten operationalisiert wurde, und dem günstigen Therapieverlauf

statistisch bedeutsame Beziehungen feststellen lassen. Aus den Ergebnissen der vorliegenden

Untersuchung geht hervor, daß die Patientin über den gesamten Verlauf der Behandlung

hinweg eine hohe Ausprägung des allgemeinen Erregungsniveaus aufweist. Diese Resultate

stehen in engem Zusammenhang zum Expertenurteil des behandelnden Therapeuten, der diese

Therapie als erfolgreich eingeschätzt hat.

Die von den Modellvorstellungen abweichenden Ergebnisse lassen sich mit den

Besonderheiten der hier untersuchten psychotherapeutischen Dyade erklären. Der Therapeut

thematisierte bereits am Ende der ersten Therapiephase die Schwierigkeiten und Konflikte der

Patientin. In Übereinstimmung mit dieser interaktionellen Situation bestehen auch für die

Konfliktzeiten in der ersten Therapiephase hohe Ausprägungen. Diese Konstellation des

therapeutischen Dialogs findet auch ihren Ausdruck in dem nonverbalen Verhalten von

Therapeut und Patientin.

Im Rahmen eines weiteren Auswertungsschrittes wurde die zeitliche Invarianz der ermittelten

Partizipationsstrukturen getestet. Die Ergebnisse bestätigen die Invarianzhypothese. Damit

wurde gezeigt, daß sich die mit der explorativen Faktorenanalyse extrahierten Partizipa-

tionsstrukturen zeitabhängig als stabile Strukturen der Interaktion mit einer konfirmativen

Faktorenanalyse (Strukturgleichungsmodellierung) nachweisen lassen. Mit diesem Ergebnis

wurde eine statistisch signifikante Bestätigung für die Partizipationsstrukturen des In-

teraktionsverhaltens von Therapeut und Patientin erbracht. Die Partizipationsstrukturen

Konfliktzeiten und Beziehungszeiten des Therapeuten ließen keine signifikanten Vorhersagen

der Indikatorvariablen zu. Die hypothetisierte Gesamtstruktur für das Interaktionsverhalten

von Therapeut und Patientin stellte jedoch eine optimale Modellanpassung an die empirischen

Daten dar. Aus diesen Ergebnissen schlußfolgert der Verfasser, daß sich die

Operationalisierungsschwierigkeit für die Konfliktzeiten auf die begrenzte Aussagefähigkeit

des eingesetzten Meßinstruments zurückführen läßt. Für den Beziehungsfaktor erübrigen sich

die statistischen Signifikanzangaben, da er die Selbstöffnung des Therapeuten mit einem

maximalen Pfadkoeffizienten meßfehlerfrei vorhersagt.

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Das Dimensionsmodell der psychotherapeutischen Interaktion 60

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In einem dritten Analyseschritt wurde die Invarianz der extrahierten Partizipationsstrukturen

des Dimensionsmodells der psychotherapeutischen Interaktion über drei therapeutische

Dyaden hinweg überprüft. Nach einem ersten Analysedurchlauf mußte das Modell für das

Interaktionsverhalten der Therapeuten zurückgewiesen werden. Für das Verhalten der

Patientinnen wurde demhingegen eine sehr gute Modellanpassung nachgewiesen. Innerhalb

des Modells für die Patientinnen konnten jedoch keine stützenden Nachweise für die

Partizipationsstruktur Konsenszeiten erbracht werden. Ferner lagen auch keine Hinweise für

einen Hintergrundfaktor 2. Ordnung für das Interaktionsverhalten der Patientinnen vor. Aus

diesem Teilergebnis kann die Schlußfolgerung gezogen werden, daß die spezifizierten

Modelle für Therapeut und Patientin der Einzelfallstudie keine unmittelbare Gültigkeit über

drei verschiedene Dyaden hinweg besitzen. In einem zweiten Analysedurchlauf wurden die

Modelle der Therapeuten und Patientinnen im Rahmen einer Modellmodifikation respezi-

fiziert und reparametrisiert. Innerhalb dieses Teilschrittes wurden statistisch errechnete

Parameter, die eine zutreffendere Anpassung des Modells an die empirischen Daten

begünstigen, beiden Modellen hinzugefügt. Diese respezifizierten und regeschätzten Modelle

wiesen eine erheblich günstigere Modellanpassung aus. Trotz der zahlreichen signifikanten

Pfadkoeffizienten der modifizierten Modelle können diese Teilergebnisse nicht als statistisch

gesichert angesehen und als methodisch „sorgfältiger“ Nachweis für eine Invarianz über drei

therapeutische Dyaden hinweg herangezogen werden. Die Bedeutung der modifizierten

Modelle ist vorerst ausschließlich explorativer Natur, da an einem Datensatz auch zunächst

nur ein Modell überprüft werden kann. Ein Nachweis der modifizierten Modelle für das

Verhalten von Therapeuten und Patientinnen könnte mit Hilfe eines anderen Datensatzes

Gültigkeit erhalten. Diese Überprüfung ist künftigen Untersuchungen vorbehalten, da sie den

Rahmen der vorliegenden Arbeit wesentlich erweitern würde.

Wie stellt sich nach dieser umfassenden Auswertung und Erklärung die Beantwortung der

Hypothesen dar?

In Hypothese 1 wurde unterstellt, daß sich über den Verlauf der Psychotherapie hinweg sie-

ben Strukturmerkmale der psychotherapeutischen Interaktion extrahieren lassen. Für diese

Hypothese wurden deutliche Hinweise auf eine Bestätigung erbracht. Für das Interaktions-

verhalten des Therapeuten und der Patientin wurden sieben Dimensionen ermittelt und

bewertet.

Mit der Hypothese 2 wurde die Annahme aufgestellt, daß sich für diese sieben

Partizipationsstrukturen signifikante Unterschiede im Vergleich der drei Therapiephasen des

Dimensionsmodells der psychotherapeutischen Interaktion nachweisen lassen. Für diese

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Hypothese konnte keine vollständige statistische Bestätigung erbracht werden. In einem

globalen multivariaten Analyseverfahren wurde eine eindeutige statistische Signifikanz für

alle Dimensionen festgestellt. Im Rahmen eines univariaten Analyseverfahrens wurden diese

Unterschiede jedoch nicht vollständig als signifikant ermittelt. Folgende Dimensionen für das

Interaktionsverhalten des Therapeuten waren in der univariaten Analyse statistisch nicht

signifikant:

• Beziehungszeiten,• Konsenszeiten,• Zeiten des nonverbalen Ausdrucks.

Hinsichtlich des Interaktionsverhaltens der Patientin wurde für folgende Partizipationsstruktu-

ren im Rahmen der univariaten Analyse keine statistische Absicherung erbracht:

• Beziehungszeiten,• Konfliktzeiten,• Konsenszeiten.

In Hypothese 3 wurde postuliert, daß sich die sieben extrahierten Partizipationsstrukturen

über den Verlauf der Psychotherapie hinweg als invariant nachweisen lassen. Diese

Hypothese wurde mit Hilfe der konfirmativen Faktorenanalyse (Strukturgleichungs-

modellierung) bestätigt. Damit wurde nachgewiesen, daß die nach Hypothese 1 extrahierten

Partizipationsstrukturen statistisch signifikante Anpassungen an die empirischen Daten

darstellen.

Die vierte Hypothese enthielt die Aussage, daß sich die sieben Partizipationsstrukturen für

Therapeut und Patientin auch über unterschiedliche psychotherapeutische Dyaden hinweg

nachweisen lassen. Für diese Hypothese konnte keine unmittelbare Bestätigung erbracht

werden. Im Rahmen einer weiterführenden statistischen Analyse konnte demhingegen eine

gute Modellanpassung ermittelt werden. Dieses Ergebnis besitzt jedoch nur explorativen

Wert, da die Modellstruktur durch Redesign modifiziert und der gleiche Datensatz zur

Prüfung herangezogen wurde.

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