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Räumliche Ökonomie Theoretische Grundlagen René L. Frey, Stefan Schaltegger und Markus Gmünder CREMA Center for Research in Economics, Management and the Arts Basel/Zürich www.crema-research.ch 2010

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  • Räumliche Ökonomie Theoretische Grundlagen

    René L. Frey, Stefan Schaltegger und Markus Gmünder

    CREMA Center for Research in Economics, Management and the Arts

    Basel/Zürich www.crema-research.ch

    2010

  • II René L. Frey, Stefan Schaltegger, Markus Gmünder

    1. Auflage Januar 2010

    © 2010 CREMA, Basel

    Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die Verwendung im Rahmen der Aus- und Weiterbildung an Hochschulen ist unter genauer An-gabe der Quelle gestattet. ISBN 978-3-935630-83-2 Centre for Sustainability Management (CSM), Leuphana Universität Lüneburg CREMA – Center for Research in Economics, Management and the Arts Gellertstrasse 18, CH-4052 Basel / Schweiz www.crema-research.ch [email protected] [email protected] [email protected]

  • Räumliche Ökonomie III

    Autoren René L. Frey

    war von 1970 bis 2004 ordentlicher Professor für Nationalökonomie an der Uni-versität Basel. Seine Spezialgebiete in Lehre, Forschung und Beratung sind die all-gemeine und schweizerische Wirtschaftspolitik, die öffentlichen Finanzen und die räumliche Wirtschaft (Regional-, Stadt-, Verkehrs- und Umweltökonomie). Seit 2004 leitet er zusammen mit seinem Bruder, Prof. Bruno S. Frey (Universität Zü-rich), CREMA – Center for Research in Economics, Management and the Arts. Unter anderem war René L. Frey Präsident des Nationalen Forschungsprogramms «Stadt und Verkehr» (1986-1994) und des vom schweizerischen Bundesrat einge-setzten Rats für Raumordnung (2004-2007) sowie Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Akademie für Raumforschung und Landesplanung ARL (Hannover). Von 1996 bis 1998 war er Rektor der Universität Basel. 2004 verlieh ihm die Uni-versität Freiburg/Ue. den Titel eines Ehrendoktors.

    Stefan Schaltegger

    ist Ordinarius für Betriebswirtschaftslehre, insbes. Nachhaltigkeitsmanagement, Leiter des Centre for Sustainability Management (CSM; www.leuphana.de/csm) und des weltweit ersten MBA Studiengangs zu Nachhaltigkeitsmanagement (MBA Sustainability Management) sowie Vizepräsident Forschung an der Leuphana Uni-versität Lüneburg (2006-2010). Von 1996 bis Ende 1998 war er Assistenzprofessor für Nationalökonomie am Wirtschaftswissenschaftlichen Zentrum (WWZ) der Universität Basel, wo er während zwei Jahren die Abteilung Wirtschaftspolitik stellvertretend für Prof. René L. Frey geleitet hat. Stefan Schaltegger ist Mitglied der Herausgeberbeiräte von sieben wissenschaftlichen Fachzeitschriften. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen verschiedene Gebiete des Nachhaltigkeitsma-nagements.

  • IV René L. Frey, Stefan Schaltegger, Markus Gmünder

    Markus Gmünder

    hat an der Universität Basel Geografie, Nationalökonomie und Meteorologie stu-diert und eine Dissertation zu anreizorientierten Instrumenten in der Raumplanung verfasst. Seine Arbeits- und Forschungsgebiete umfassen nebst der Regional- und Stadtentwicklung beziehungsweise -ökonomie raumplanerische und umweltpoliti-sche Fragestellungen. Er ist seit 2004 Projektleiter bei der Firma B,S,S. Volkswirt-schaftliche Beratung AG in Basel. Zudem ist er Lehrbeauftragter für räumliche Ökonomie an der ETH Zürich sowie an der Hochschule Luzern.

  • Räumliche Ökonomie V

    Vorwort Landschafts- und Stadtstrukturen sind das Resultat natürlicher Gegebenheiten, wirtschaftlicher Aktivitäten und staatlicher Massnahmen. Die räumliche Struktur beeinflusst umgekehrt die Wettbewerbsfähigkeit von Volkswirtschaften und die Funktionsfähigkeit von politischen Gebietskörperschaften.

    Dieses Buch befasst sich mit den theoretischen Grundlagen der räumlichen Ökonomie. Zentrale Fragestellungen sind: Welche räumlichen Strukturen entste-hen, wenn alle Wirtschaftssubjekte sich ökonomisch rational verhalten und ihren optimalen Standort beziehungsweise Wohnort wählen? Wie funktionieren die grundlegenden Prozesse des Standortwettbewerbs und welche Folgen haben sie auf die räumliche Entwicklung? Wie beeinflussen staatliche Instanzen die räumliche Entwicklung?

    Angesichts des Bevölkerungs-, Wirtschafts- und Siedlungswachstums wird der Lebensraum immer mehr zum knappen Gut, weshalb die Bedeutung solcher Fra-gen in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen hat. Die gestiegene Nut-zungsintensität des Raums hat auch zu einer vermehrten Konkurrenz um dessen Nutzung geführt. Die Vielzahl zum Teil konfligierender Nutzungsvorstellungen äussert sich in der Pluralität und Zunahme von Ansprüchen an die politischen Ge-bietskörperschaften. Politische Programme müssen den Ansprüchen vieler Interes-sengruppen gerecht werden, um durchsetzbar zu sein. In der Folge sinken die Ef-fektivität und die Effizienz der staatlichen Politik. Sind Gebietskörperschaften aber nicht mehr in der Lage, attraktive Lebens- und Standortbedingungen anzubieten, so beginnen die Bevölkerung und die Unternehmungen, alternative Standorte in Be-tracht zu ziehen. Oder sie üben Druck auf die Verantwortlichen aus, um die Situa-tion zu verbessern. Wer solche Reaktionen verstehen will, muss die Bestimmungs-faktoren und die Beeinflussungsmöglichkeiten der räumlichen Struktur kennen. Mit diesen Fragen befasst sich dieses Buch, und zwar allgemein und am Beispiel der Schweiz.

    Unsere Einführung in die Theorie der räumlichen Ökonomie richtet sich vor al-lem an drei Leserkreise:

  • VI René L. Frey, Stefan Schaltegger, Markus Gmünder

    • an Ökonomen, die mit der wirtschaftswissenschaftlichen Methodik vertraut sind und sich für Fragen der Raumentwicklung und Raumordnung interessie-ren;

    • an Fachleute anderer Disziplinen (Geografen, Verkehrs-, Raum- und Infra-strukturplaner, Ingenieure, Juristen, Naturwissenschaftler usw.), die sich mit den Grundlagen der räumlichen Ökonomie vertraut machen wollen;

    • an Praktiker und Politiker, die sich vertieft mit raumordnungspolitischen Fra-gen befassen und die wirtschaftlichen Triebkräfte verstehen möchten.

    Kapitel 1 führt in die Theorie der räumlichen Ökonomie (engl. spatial economics) ein. Kapitel 2 zeigt, mit welchen Instrumenten regionalwirtschaftliche Strukturen und Entwicklungen analysiert werden können. Kapitel 3 behandelt die regionale Makroökonomie, Kapitel 4 die regionale Mikroökonomie. Kapitel 5 behandelt be-triebswirtschaftliche Aspekte, insbesondere das Standortmanagement und das Standortmarketing.

    Nur am Rande eingegangen wird in diesem Buch auf die Raumordnung und die Raumentwicklungspolitik. Diese Aspekte sind von René L. Frey in seinem kürz-lich erschienenen Buch Starke Zentren – Starke Alpen: Wie sich die Städte und ländlichen Räume der Schweiz entwickeln können (Zürich: Verlag Neue Zürcher Zeitung 2008) vertieft behandelt worden. Dieses Buch besteht lediglich in elektronischer Form und wird laufend ergänzt. Es darf unter Angabe der Quelle

    René L. Frey, Stefan Schaltegger und Markus Gmünder: Räumliche Ökonomie. Theoretische Grundlagen (www.crema-research.ch / Datum)

    für Zwecke der Aus- und Weiterbildung an Hochschulen verwendet werden.

    Basel und Lüneburg, im Januar 2010 René L. Frey Stefan Schaltegger Markus Gmünder

  • Räumliche Ökonomie

    VII

    Inhalt 1. Räumliche Ökonomie als Gegenstand und Methode 1 1.1 Die Wirtschaft – keine Einpunktwirtschaft 2 1.2 Was ist räumliche Ökonomie? 3 1.3 Kurze Geschichte der räumlichen Ökonomie 5 1.4 Regionstypen 6 Literatur 11

    2. Erfassung räumlicher Strukturen und Entwicklungen 12 2.1 Fragestellung 13 2.2 Strukturanalyse 14 2.3 Shift-Share-Analyse 16 2.4 Regionale Buchhaltung 19 2.5 Regionale Input-Output-Analyse 23 2.6 Regionale Inzidenzanalyse 27 2.7 Indikatoren der regionalen Lebensqualität 30 2.8 Rating, Ranking und Benchmarking 31 Literatur 34

    3. Regionale Makroökonomie 35 3.1 Fragestellung 37 3.2 Regionale Multiplikatoren und regionale Konjunkturtheorie 38 3.3 Regionale Wachstumstheorie 47 3.4 Regionale Mobilität der Produktionsfaktoren 63 3.5 Regionale Disparitäten 69 Literatur 73

  • René L. Frey, Stefan Schaltegger, Markus Gmünder

    VIII

    4. Regionale Mikroökonomie 75 4.1 Fragestellung 77 4.2 Standorttheorie 77 4.3 Bodentheorie 96 4.4 Landschaftsstruktur 102 Literatur 108

    5. Standortmanagement und Standortmarketing 110 5.1 Fragestellung 111 5.2 New Public Management 112 5.3 Standortmanagement 116 Literatur 124

  • Räumliche Ökonomie als Gegenstand und Methode

    1

    Kapitel 1 Räumliche Ökonomie als Gegenstand und Methode

    1.1 Die Wirtschaft – keine Einpunktwirtschaft 2 1.2 Was ist räumliche Ökonomie 3 1.3 Kurze Geschichte der räumlichen Ökonomie 5 1.4 Regionstypen 6 Literatur 11

  • René L. Frey, Stefan Schaltegger, Markus Gmünder

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    1.1 Die Wirtschaft – keine Einpunktwirtschaft In den meisten ökonomischen Lehrbüchern wird die Wirtschaft als «Ein-punktwirtschaft» dargestellt: als eine Wirtschaft ohne räumliche Dimension, ohne Distanzen, ohne geografische Lage und ohne topografische Strukturen. Der Begründer der modernen Regionalökonomie, Walter Isard, bezeichnete diese Wirtschaft als «wonderland of no spatial dimension».

    Für zahlreiche wirtschaftliche Fragestellungen kann diese Sichtweise durchaus zweckmässig sein, beispielsweise für die Analyse von Inflation, Konjunktur, Wechselkursen oder Finanzmärkten. Für andere – zurzeit teilwei-se sehr brisante – Probleme kommt der räumlichen Dimension jedoch grosse Bedeutung zu:

    • Verlust an Standortattraktivität und Wettbewerbsfähigkeit bestimmter

    Regionen (z.B. schwindende Attraktivität für Investoren); • Entwicklung von boomenden Wirtschaftszentren, die sich mit Kapazi-

    tätsengpässen der Infrastruktur, hohen Immobilienpreisen, steigender Kriminalität und Umweltbelastung konfrontiert sehen;

    • Entstehung von Problemräumen in ärmeren oder peripheren Gebieten oder von Regionen mit starken Arbeitsplatzverlusten und schrumpfender Wertschöpfung als Folge des sektoralen Strukturwandels und der Desin-dustrialisierung;

    • Abhängigkeit einzelner Regionen von einer einzigen Unternehmung oder Branche (Klumpenrisiko);

    • Auswirkungen des Tourismus auf Landschaft und Natur; • Neuausrichtung der Land- und Forstwirtschaft zwischen Nahrungsmit-

    telproduktion, Marktwirtschaft, Landschafts- und Umweltschutz; • Verkehr als Bindeglied von Produktions-, Versorgungs- und Konsumak-

    tivitäten; • Umsetzung von Umwelt- und Landschaftsschutz; • Nachhaltige Entwicklung (sustainable development).

    Der Zweck dieses Buches besteht im

  • Räumliche Ökonomie als Gegenstand und Methode

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    • Aufzeigen, wie allgemeine wirtschaftswissenschaftliche Theorieansätze auf regionalökonomische Fragestellungen übertragen werden können (Regionalökonomie als angewandte Wirtschaftswissenschaft);

    • Darstellen spezifisch raumökonomischer Analysekonzepte; • Diskutieren aktueller raumökonomischer Probleme und Lösungsansätze.

    1.2 Was ist räumliche Ökonomie? Die räumliche Ökonomie befasst sich mit der Analyse räumlicher Wirkungen, die sich aus dem Handeln von Unternehmungen, privaten Haushalten und kol-lektiven Institutionen ergeben. Räumliche Ökonomie kann in zweierlei Hin-sicht umschrieben werden: • als Gegenstand, das heisst als Zweig der Wirtschaftswissenschaft, der

    sich mit räumlichen Wirkungen wirtschaftlicher und politischer Aktivitä-ten beschäftigt;

    • als Methode, das heisst als Anwendung wirtschaftswissenschaftlicher Analysemethoden auf Fragestellungen, bei denen räumliche Strukturen und Distanzen eine Rolle spielen.

    Wie die allgemeine Wirtschaftswissenschaft kann auch die räumliche Öko-nomie auf drei Fragestellungen ausgerichtet sein (Tab. 1-1): Erfassung, Erklä-rung und Beeinflussung. Thematisch gehören zur räumlichen Ökonomie (spa-tial economics) insbesondere:

    • die Standortökonomie (locational economics), die die wirtschaftliche

    Entwicklung von Standorten und die Standortattraktivität untersucht; • die Regionalökonomie (regional economics) als Zweig der Wirtschafts-

    wissenschaft, der sich mit Teilräumen einer Volkswirtschaft und ihren Beziehungen zueinander beschäftigt;

    • die Stadtökonomie (urban economics), die sich mit spezifischen Fragen des urbanen Raums (Stadtzentren, Agglomerationen, Metropolregionen) auseinandersetzt;

    • die Raumordnungspolitik (spatial policy), wozu einerseits die Regional-politik (regional policy) als politische Beeinflussung der Entwicklung

  • René L. Frey, Stefan Schaltegger, Markus Gmünder

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    von Teilräumen (Regionen) und andererseits die ökonomische Theorie der Raumplanung (spatial planning) als eine Anwendung der ökonomi-schen Methodik auf die Analyse der Auswirkungen raumplanerischer Massnahmen gehören;

    • das Regional- und Standortmanagement zur Sicherung und Steigerung der Standortattraktivität vor dem Hintergrund des globalen Standortwett-bewerbs.

    Diese fünf Bereiche zählen zur räumlichen Ökonomie im engeren Sinn. Sie befassen sich explizit und schwergewichtig mit Raumordnungsfragen. Raum-wirtschaftliche Themen werden aber auch im Rahmen anderer Subdisziplinen der Ökonomie behandelt: Boden-, Verkehrs-, Umwelt-, Tourismus- und Ag-rarökonomie. Sie gehören zur räumlichen Ökonomie im weiteren Sinn. Tabelle 1-1: Gegenstand der räumlichen Ökonomie

    Fragestellungen Bereiche Analysemethoden

    Erfassung der räumlichen Struk-tur und Entwicklung

    Regional-, Stadt-, Ver-kehrskunde usw.

    Shift-Share-Analyse Regionale Buchhaltung Regionale Input-Output-Analyse Regionale Inzidenzanalyse Lebensqualitätsanalyse Regionsrating/Benchmarking

    Erklärung der räumlichen Struk-tur und Entwicklung

    Regional-, Stadt-, Ver-kehrs-, Umwelttheorie usw.

    Regionale Makroökonomie Regionale Mikroökonomie Bodenökonomie Umweltökonomie Infrastrukturökonomie Verkehrsökonomie Stadtökonomie

    Beeinflussung der räumlichen Struk-tur und Entwicklung

    Raumordnungspolitik Regionalpolitik Raumplanung Bodenpolitik Umweltpolitik Infrastrukturpolitik Verkehrspolitik Stadtpolitik

    Das Anliegen der räumlichen Ökonomie besteht erstens im Analysieren von Ursachen und Wirkungen. Die Ergebnisse der ökonomischen Untersuchungen dienen zweitens dem Herausschälen von Problemen, um sie zu politischen Themen zu machen (sog. agenda setting). Drittens unterstützt die räumliche

  • Räumliche Ökonomie als Gegenstand und Methode

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    Ökonomie die Erarbeitung von Problemlösungen (Politikdesign). Bei letzte-rem stehen Fragen im Vordergrund wie: • Warum drängen sich raumordnungspolitische Massnahmen auf? • Welche Ziele könnten verfolgt werden? • Welche Lösungsmöglichkeiten (Strategien, Instrumente, Massnahmen)

    stehen zur Verfügung? • Welche Alternativen sind aus ökonomischer Sicht zu bevorzugen? • Wer sollte welchen Beitrag zur Umsetzung leisten?

    Es versteht sich von selbst, dass die räumliche Ökonomie bei der Beantwor-tung dieser Fragen auf Erkenntnisse der Nachbardisziplinen (Geografie, Rechts-, Ingenieur-, Planungs-, Umweltwissenschaft usw.) angewiesen ist. Die Gesamtheit dieser Disziplinen wird oft als Regionalwissenschaften (re-gional sciences) bezeichnet.

    1.3 Kurze Geschichte der räumlichen Ökonomie Obwohl die räumliche Ökonomie in der Vergangenheit innerhalb der Öko-nomie eher ein Schattendasein führte, gab es doch immer wieder prominente Ökonomen, die sich mit räumlichen Fragen beschäftigten und wichtige Bei-träge dazu leisteten. Für die Theorie der räumlichen Ökonomie haben sich vor allem verdient gemacht: • David Ricardo zur Bodenökonomie und insbesondere der Grundrente; • Johann Heinrich von Thünen als Begründer sowie August Lösch und

    Walter Christaller als wichtige Vertreter und Weiterentwickler der Grenznutzentheorie zur älteren Standorttheorie und Landschaftsstruktur;

    • Bertil Ohlin, John Stuart Mill, James E. Meade und Paul Krugman zum internationalen und interregionalen Handel sowie zur internationalen Ar-beitsteilung.

    Bis zum 2. Weltkrieg lagen die Schwerpunkte der Forschung in Deutschland und in Skandinavien. Diese Beiträge beschränkten sich vor allem auf die Standort- und Landschaftsstrukturtheorie. Die moderne Regionalökonomie

  • René L. Frey, Stefan Schaltegger, Markus Gmünder

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    entstand nach dem 2. Weltkrieg in den USA mit der Gründung der Regional Science Association durch Walter Isard. Dieser Ansatz kennzeichnet sich durch die systematische Anwendung der allgemeinen Wirtschaftstheorie – vor allem der neoklassischen Mikroökonomie und der keynesianischen Makro-ökonomie – auf räumliche Fragestellungen.

    Wesentliche Fortschritte in der räumlichen Ökonomie erfolgten in neuerer Zeit durch die Analyse des Standortwettbewerbs (bes. Horst Siebert) sowie den verstärkten Einbezug makroökonomischer (bes. Paul Krugman) und be-triebswirtschaftlicher Konzepte (bes. Michael Porter und Philip Kotler).

    In der Schweiz wurden in den letzten Jahrzehnten dank mehrerer Nationa-ler Forschungsprogramme (NFP) des Schweizerischen Nationalfonds beträch-tliche Fortschritte in der räumlichen Ökonomie gemacht:

    • NFP 5 «Regionalprobleme», Abschluss 1984; • NFP 22 «Boden», Abschluss 1991; • NFP 25 «Stadt und Verkehr», Abschluss 1995; • NFP 41 «Verkehr und Umwelt», Abschluss 1995; • NFP 48 «Landschaften und Lebensräume der Alpen», Abschluss 2007; • NFP 54 «Nachhaltige Siedlungs- und Infrastrukturentwicklung», Beginn

    2005. 1.4 Regionstypen Wie der Begriff «Regionalökonomie» besagt, hat diese Subdisziplin der Wirt-schaftswissenschaft mit dem Gegenstand «Region» zu tun. Regionen sind Teilräume einer Volkswirtschaft, zum Beispiel:

    • Ländergruppen (Blöcke) als Teile der Weltwirtschaft: zum Beispiel EU,

    NAFTA, ASEAN oder LAFTA; • Untereinheiten von Kontinenten: zum Beispiel EU, EFTA oder Mittel-

    meerländer; • Unterteilungen von nationalen Volkswirtschaften: zum Beispiel Kanto-

    ne, IHG-Regionen, Agglomerationen sowie Metropolregionen als subna-tionale Einheiten eines Staates oder transnationale Regionen wie die

  • Räumliche Ökonomie als Gegenstand und Methode

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    Øresundregion oder RegioTriRhena und MetroBasel als Teilräume zwei-er oder mehrerer Staaten.

    Die Auswahl sinnvoller Kriterien zur Definition und Abgrenzung von Regio-nen ist abhängig von der Fragestellung. So werden im Strukturatlas der Schweiz (BFS 1997), im Zusammenhang mit der Bildung von statistischen Grossregionen (BFS und ARE 1999) und im Atlas des räumlichen Struktur-wandels der Schweiz (Schuler u.a. 2007) unterschiedlichste Regionstypen ver-wendet. Die in der Praxis im Vordergrund stehenden Regionstypen sind in Tabelle 1-2 aufgeführt. Tabelle 1-2: Regionstypen

    Typen Merkmale Fragestellungen Charakteristika

    Natürliche Region

    Topografie: Gewässer, Wasserscheiden, Hö-henlage usw.)

    Raumplanung, Boden-nutzung, Umweltschutz, Tourismus

    Starr, Abgrenzung häufig ein-deutig

    Homogene Region

    Raumprägende Fakto-ren: Wohlstand, Wachstum

    Regionalpolitik, Wirt-schaftsförderung, Aus-gleich, Stabilisierung

    «Spaceless», Abgrenzung willkürlich, aber definierbar

    Funktional-region

    Erfüllung einer Aufgabez.B. Trinkwasserversor-gung

    Angebot von (öffentli-chen) Gütern durch den Staat

    Räumliche Abgrenzung variabel

    Nodalregion Ergänzung: Zentrum - Peripherie/Umland (Stadt, Agglomeration)

    Raumplanung, Boden-nutzung, Standortfragen

    «Spaceful» (Distanzen), Abgrenzung rel. eindeu-tig

    Planungs-region

    Gleiche Problemlage Raumplanung, Infra-strukturplanung

    Flexibel

    Politische Region

    Administrative Grenzen Umsetzung, Raumord-nungspolitik: Entscheid, Vollzug, Finanzierung

    Eindeutig, starr

    • Werden topografische Merkmale wie der Verlauf von Gewässern oder

    Bergkämmen zur Abgrenzung einer Region herangezogen, so spricht man von natürlichen Regionen. Solche starr definierten, häufig eindeutig abgrenzbaren Regionen sind insbesondere für die Raumplanung, den Tourismus und den Umweltschutz nützlich.

  • René L. Frey, Stefan Schaltegger, Markus Gmünder

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    • Zur Analyse regionalpolitischer Themen wie Wirtschaftsförderung, Sta-bilisierung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung oder Abbau von regionalen Disparitäten werden sogenannte homogene Regionen ge-bildet. Das Kriterium der Homogenität ist frei wählbar und nicht a priori mit einer bestimmten räumlichen Dimension versehen. Solche Regionen brauchen nicht aneinanderzugrenzen. Reiche und arme Regionen zum Beispiel gibt es in unterschiedlichen Gegenden eines Landes. Homogen können raumprägende Faktoren wie Wohlstand, Konjunkturlage (z.B. Arbeitslosigkeit, vgl. Abb. 1-1), Wirtschaftswachstum oder soziokultu-relle Faktoren (wie Sprache oder Religion) sein.

    Abbildung 1-1: Homogene Regionen am Beispiel der Arbeitslosigkeit nach Kantonen,

    2008

    Quelle: Schweizerische Arbeitsmarktstatistik (www.amstat.ch).

    • Werden Regionen nach der räumlichen Ausdehnung einer zu erfüllenden

    öffentlichen Aufgabe (z.B. Trinkwasserversorgung, Abwasserreinigung, Hochwasserschutz) oder aufgrund besonders starker wirtschaftlicher Verflechtungen (z.B. Region Nordwestschweiz) definiert, so spricht man von Funktionalregionen. Funktionalregionen kennzeichnen sich durch

  • Räumliche Ökonomie als Gegenstand und Methode

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    eine im Zeitablauf ändernde räumliche Abgrenzung (z.B. Anschluss neuer Quartiere an eine bestehende Kläranlage oder Einbezug auslän-discher Einzugsgebiete von Grenzregionen im Zuge der europäischen In-tegration).

    • Nodalregionen werden durch das Einzugsgebiet eines Kerns (z.B. einer Stadt) und die Distanz zum Zentrum definiert (vgl. Abb. 1-2). Die Bil-dung von Nodalregionen bietet sich vor allem für Fragen der Raumpla-nung und für Standortfragen an. Ihre Abgrenzung ergibt sich aufgrund der Anziehungskraft eines Zentrums. Die Grenze zwischen Nodalregio-nen liegt dort, wo die Anziehungskraft zweier Zentren gleich stark ist.

    • Planungsregionen werden gebildet, um gemeinsame Probleme leichter angehen zu können. Sie dienen der Entscheidungsvorbereitung und sind insofern flexibel, als ohne besondere rechtliche Grundlagen und ohne grossen Aufwand Lösungen gesucht werden können.

    • Werden für die Abgenzung institutionelle (staatliche, administrative) Grenzen verwendet, so lassen sich eindeutige, relative starre politische Regionen bilden. Solche Regionen erlangen hohe Bedeutung für die poli-tische Entscheidfindung, die Finanzierung und die Umsetzung.

    Abbildung 1-2: Nodalregion Zürich

    ZÜRICH Schlieren

    Zug

    Pfäffikon (SZ)/ Lachen

    Winterthur

    Schaffhausen

    Dietikon

    Brugg

    Rapperswil/ Jona

    Adliswil

    Wallisellen Dübendorf

    Baden

    Thalwil

  • René L. Frey, Stefan Schaltegger, Markus Gmünder

    10

    In der EU hat das statistische Amt Eurostat mit dem dreistufigen NUTS-Sys-tem (Nomenclature des Unités Territoriales Statistiques) ein regionalstatisti-sches System für Europa aufgebaut. Seit 1971 werden regionalstatistische Veröffentlichungen für diese in den sechziger Jahren geschaffenen Raumein-heiten publiziert. Die drei Regionaltypen (NUTS 1, NUTS 2, NUTS 3) wur-den nach folgenden Kriterien gebildet (BFS 1994): • In einem flächendeckenden Ansatz der mehrstufigen Regionalisierung

    ordnet sich jede tiefere Stufe (z.B. NUTS 3) in eine höhere ein (NUTS 2), wobei die Regionen geografisch geschlossen sind (keine Enklaven).

    • Aus Gründen der einfacheren Datengewinnung oder der regionalpoliti-schen Umsetzung wird auf bestehende institutionelle Raumeinheiten ab-gestellt.

    • Die Regionstypen sollen den internationalen Vergleich ermöglichen. • Die Zuordnung der politischen Regionen zu den NUTS-Regionen wird

    für jedes Land individuell gelöst. Tabelle 1-3: NUTS-Regionen der EU und Schweizer Kantone Europäische Union (1987)

    NUTS 1 NUTS 2 NUTS 3

    Schweiz (1990)

    Verwaltungseinheiten - Deutschland - Frankreich - Italien

    Länder Zeat* Gruppi di regioni

    Reg.bezirke Régions Regioni

    Kreise Départements Province

    Kantone

    Gesamtzahl der Ge-bietskörperschaften

    71

    183

    1 044

    26

    Fläche (1000 km2)

    - Durchschnitt - Maximum - Minimum

    35,6 215,0 0,2

    13,3 94,2

    0,03

    2,8 91,0

    0,01

    1,6 7,1 0,037

    Einwohner (1000)

    - Durchschnitt - Maximum - Minimum

    4 904 17 318 372

    1 839 10 290 87

    390 6 770 21

    264 1 179 14

    * Zones économiques d'aménagement du territoire

    Quelle: EG-Kommission 1991, BFS 1999.

  • Räumliche Ökonomie als Gegenstand und Methode

    11

    Tabelle 1-3 vermittelt einen Vergleich der NUTS-Regionen des EU-Raums Ende der 1980er Jahre mit den schweizerischen Kantonen. Es zeigt sich da-bei, dass die Kantone am ehesten der NUTS 3-Ebene entsprechen, im Durch-schnitt sogar noch kleiner als diese sind.

    Literatur Akademie für Raumforschung und Landesplanung (2005): Handwörterbuch der Raumord-

    nung. Hannover: ARL. Blöchliger, Hansjörg (2005): Baustelle Föderalismus. Zürich: Verlag Neue Zürcher Zei-

    tung (Herausgeber: Avenir Suisse). Bundesamt für Statistik (Hrsg.) (1997): Strukturatlas der Schweiz. Zürich: Verlag Neue

    Zürcher Zeitung. Bundesamt für Statistik (Hrsg.) (2005): Eidgenössische Volkszählung 2000. Die Raum-

    gliederungen der Schweiz. Neuchâtel: BFS. Bundesamt für Statistik & Bundesamt für Raumentwicklung (1999): Die Grossregionen

    der Schweiz. Die Schweiz im NUTS-Regionalsystem. Neuchâtel: BFS. Fischer, Georges & Ernst A. Brugger (Hrsg.) (1985): Regionalprobleme in der Schweiz.

    Bern: Haupt. Frey, René L. (2005): Föderalismus – zukunftstauglich?! Zürich: Verlag Neue Zürcher

    Zeitung. Frey, René L. (2008): Starke Zentren – Starke Alpen. Wie sich die Städte und ländlichen

    Räume der Schweiz entwickeln können. Zürich: Verlag Neue Zürcher Zeitung. Isard, Walter (1975): Introduction to Regional Science. Englewood Cliffs: Prentice-Hall. Krugman, Paul R. (1997): Development, Geography, and Economic Theory. Cambridge:

    MIT Press. Kulke, Elmar (2008): Wirtschaftsgeographie. 3. Auflage. Paderborn: Schöningh. Maier, Gunther & Franz Tödtling (2006): Regional- und Stadtökonomik. Standorttheorie

    und Raumstruktur. Wien/New York: Springer, 4. Auflage.. Mills, Edwin S. & Nijkamp, Peter (Eds.) (1987): Handbook of Regional and Urban Eco-

    nomics. 2 vols. Amsterdam: North-Holland. Schuler, Martin, Pierre Dessemontet, Christophe Jemelin, Alain Jarne, Natacha Pasche &

    Werner Haug (2007): Atlas des räumlichen Wandels der Schweiz. Zürich: Verlag Neue Zürcher Zeitung.

  • René L. Frey, Stefan Schaltegger, Markus Gmünder

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    Kapitel 2 Erfassung räumlicher Strukturen und Entwicklungen

    2.1 Fragestellung 13 2.2 Strukturanalyse 14 2.3 Shift-Share-Analyse 16 2.4 Regionale Buchhaltung 19 2.5 Regionale Input-Output-Analyse 23 2.6 Regionale Inzidenzanalyse 27 2.7 Indikatoren der regionalen Lebensqualität 30 2.8 Rating, Ranking und Benchmarking 31 Literatur 34

  • Erfassung räumlicher Strukturen und Entwicklungen

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    2.1 Fragestellung Kapitel 2 behandelt die Erfassung und den Vergleich von Regionen. Dafür kommen in Frage: die Strukturanalyse (Abschnitt 2.2), die Shift-Share-Analy-se (Abschnitt 2.3), die regionale Buchhaltung (Abschnitt 2.4), die regionale Input-Output-Analyse (Abschnitt 2.5), die Inzidenzanalyse (Abschnitt 2.6), Indikatoren der Lebensqualität (Abschnitt 2.7) sowie das Rating, Ranking und Benchmarking von Regionen (Abschnitt 2.8).

    Um Regionen miteinander vergleichen (Querschnittsvergleich), im Zeitab-lauf (Längsschnitt- oder Zeitreihenvergleich) oder bezüglich ihrer Verflech-tung analysieren zu können, müssen sie statistisch erfasst werden. Hierfür braucht es ein Messkonzept und Daten. Wie konkret vorgegangen werden sollte, hängt von der Fragestellung, aber auch von der Verfügbarkeit der stati-stischen Informationen ab.

    Voraussetzung für den sinnvollen Einsatz wirtschaftspolitischer Massnah-men ist das Erkennen eines Handlungsbedarfs. Das Erfassen räumlicher Strukturen bildet auch die Grundlage für die Beurteilung der Wirkung staatli-cher Massnahmen. Untersuchungsobjekt sind dabei Gebiete im Sinne von homogenen Regionen.

    Die Fragestellung dieses Kapitels lautet: Wie können für Zwecke der regio-nalen Makroökonomie und der Regionalpolitik Regionen erfasst und analy-siert werden? Die Erfassung regionaler Merkmale kann sich entweder auf re-gionale Einzelgrössen oder auf Interdependenzen zwischen Regionen bezie-hen.

    Zur Erfassung raumrelevanter Eigenschaften von Regionen kommen grundsätzlich in Frage:

    • zählen (z.B. Anzahl Einwohner, Anzahl Beschäftigte); • messen und bewerten (z.B. Einkommen, Wertschöpfung); • befragen und beurteilen (z.B. von Lebensqualität).

    Die einfachste Erfassungsmethode ist die Zählung, wie sie in der Schweiz seit bald 160 Jahren der Volkszählung zugrunde liegt. Schwieriger gestalten sich Befragungen und Beurteilungen von qualitativen und subjektiv empfundenen Grössen wie Lebensqualität, Wohnqualität usw. Am anspruchsvollsten sind Bewertungen, weil, wie die Bezeichnung bereits sagt, explizit Wertungen vor-

  • René L. Frey, Stefan Schaltegger, Markus Gmünder

    14

    genommen werden müssen. Diese bedingen subjektive Urteile, die auf be-stimmten gesellschaftlichen Normen beruhen. 2.2 Strukturanalyse Strukturanalysen bezwecken die Erfassung wichtiger Eigenschaften von Re-gionen zu einem bestimmten Zeitpunkt (Querschnittsanalyse). Vergleiche zwischen Regionen können auf Mengengrössen oder auf Wertgrössen beru-hen. Mengengrössen haben den Vorteil der leichten Erhebung, während In-formationen über Wertgrössen einen hohen Erfassungsaufwand verursachen und daher seltener sind.

    Tabelle 2-1 illustriert die Methode der Strukturanalyse am Beispiel der sek-toralen Beschäftigungsstruktur der schweizerischen Kantone. Mit diesem Ver-fahren können die Kantone nach ihrer Wirtschaftsstruktur in eine Ordnung gebracht und Gruppen von Kantonen mit ähnlichen Charakteristika gebildet werden.

    Die Erfassung der Beschäftigungsstruktur zeigt, dass die Schweiz heute ei-ne Dienstleistungsgesellschaft ist. Rund 70 Prozent aller Beschäftigten sind im tertiären Sektor tätig. Die entsprechenden Ausprägungen sind jedoch von Kanton zu Kanton unterschiedlich. Für 2005 lassen sich folgende Gruppen bilden:

    • Agrarkantone: Die zwei noch am stärksten landwirtschaftlich geprägten

    Kantone (Anteil des im primären Sektor Beschäftigten > 12%) sind Ap-penzell Innerrhoden (19,6%) und Obwalden (12,7%).

    • Industriekantone: Vier Kantone sind stark industriell bestimmt (Anteil der Beschäftigten im sekundären Sektor > 35%): Glarus (41,9%), Jura (39,4%), Thurgau (35,4).

    • Dienstleistungskantone: In elf Kantonen dominiert der Dienstleistungs-sektor (Anteil der Beschäftigten im tertiären Sektor > 64%), wobei Un-terschiede im Schwergewicht der Ausrichtung bestehen:

    - Tourismus: TI (gesamter Dienstleistungsanteil 70,9%), GR (67,4%) und VS (64,5%);

    - höhere Dienstleistungen: GE (83,1%), ZH (78,7%), BS (77,2%), VD (74,7%), ZG (70,3%) und BE (68,0%).

  • Erfassung räumlicher Strukturen und Entwicklungen

    15

    • Mischkantone: Keiner der drei obigen Kategorien entsprechen die restli-chen Kantone.

    Tabelle 2-1: Beschäftigte nach Grossregion, Kanton und Wirtschaftssektor, 1985 und

    2005 (in %)

    Primär Sekundär Tertiär Primär Sekundär Tertiär

    Total CH 8.9 34.4 56.7 5.3 25.5 69.2

    Genferseeregion 9.4 26.4 64.2 4.7 19.5 75.8Genf 1.9 22.0 76.0 1.1 15.8 83.1Wallis 20.5 29.3 50.3 9.6 25.9 64.5Waadt 10.1 28.5 61.4 5.6 19.7 74.7

    Espace Mittelland 12.2 35.5 52.3 7.6 27.4 65.0Bern 13.2 31.6 55.2 8.0 23.9 68.0Freiburg 17.0 33.7 49.3 10.1 27.8 62.2Jura 14.9 45.2 39.9 10.3 39.4 50.2Neuenburg 5.9 43.2 50.9 3.9 34.8 61.3Solothurn 7.2 46.1 46.7 4.8 34.0 61.2

    Nordwestschweiz 5.3 41.2 53.5 3.4 30.2 66.4Aargau 8.6 45.1 46.3 5.1 34.1 60.7Basel-Landschaft 5.5 45.7 48.8 3.7 31.3 65.0Basel-Stadt 0.4 32.7 66.9 0.1 22.7 77.2

    Zürich 3.7 30.7 65.6 2.3 19.0 78.7

    Ostschweiz 12.2 40.2 47.6 7.4 32.8 59.8Appenzell A. Rh. 14.9 37.5 47.6 9.5 33.3 57.2Appenzell I. Rh. 30.1 30.3 39.7 19.6 30.3 50.1Glarus 11.3 50.0 38.7 6.9 41.9 51.2Graubünden 14.9 27.6 57.5 8.4 24.2 67.4St. Gallen 9.4 42.3 48.3 5.8 34.3 59.9Schaffhausen 8.7 46.8 44.5 6.0 34.7 59.3Thurgau 15.5 45.3 39.2 9.2 35.4 55.4

    Zentralschweiz 13.6 35.5 50.9 7.9 28.0 64.1Luzern 14.2 33.6 52.2 8.9 26.4 64.7Nidwalden 14.5 33.0 52.5 8.0 30.5 61.5Obwalden 20.7 33.5 45.7 12.7 35.8 51.4Schwyz 15.3 39.5 45.2 8.6 30.4 61.0Uri 17.3 39.3 43.4 11.6 32.7 55.7Zug 6.0 38.1 55.9 3.0 26.7 70.3

    Tessin 4.8 36.1 59.1 2.3 26.7 70.9

    1985 2005

    I Primärer Sektor: Landwirtschaft, ohne Forstbetriebe II Sekundärer Sektor: Industrie und Bau III Tertiärer Sektor: Handel, Dienstleistungen, Verwaltung

    Quelle: BFS 2008 (Betriebszählung / Landwirtschaftszählung 1985 und 2005).

  • René L. Frey, Stefan Schaltegger, Markus Gmünder

    16

    2.3 Shift-Share-Analyse Zur Erfassung der zeitlichen Entwicklung des Strukturwandels von Regionen dient die Shift-Share-Analyse. Die Shift-Share-Analyse ist ein Instrument der kombinierten Querschnitts- und Zeitreihenanalyse.

    Tabelle 2-1 zeigt, dass in allen Kantonen von 1985 bis 2005 die Tertiari-sierung deutlich vorangeschritten ist. Mithilfe der Shift-Share-Analyse kann dieser sich über die Zeit hinweg abspielende Strukturwandel genauer unter-sucht werden. Dabei wird das relative Wachstum der Beschäftigten der Re-gionen, der Regionalfaktor (RF), zerlegt in

    • einen Branchenstrukturfaktor (BF): Wie hätten sich die einzelnen Re-

    gionen entwickelt, wenn die Beschäftigung insgesamt konstant geblieben wäre und sich nur die Branchenstruktur verändert hätte? Regionen mit hohem Anteil rasch wachsender Branchen weisen aufgrund dieses Fak-tors ein überdurchschnittliches Beschäftigungswachstum auf;

    • einen Standortstrukturfaktor (SF): Wie hätten sich die einzelnen Regio-nen entwickelt, wenn keine branchenmässigen Strukturverschiebungen eingetreten wären? Der SF widerspiegelt alle anderen Einflussfaktoren als die Branchenstrukturveränderungen. Im SF ist also mehr enthalten, als das Wort «Standort» suggeriert.

    Die Berechnungsformel lautet:

    )()(

    /

    )(/)(

    //

    ,1,0

    ,1,1

    ,0,1

    ,0,0,1,0

    01

    01

    ∑∑

    ∑ ∑∑∑

    ⋅⋅

    ⋅⋅=

    jj

    jj

    jj

    jjjj

    BcBc

    BB

    BcBc

    BBbb

    wobei b = Beschäftigte in Region i, B = Beschäftigte im Gesamtraum, 0,1 = Zeitindizes, j = Branche oder Sektor, cj = bj / Bj

    Tabelle 2-2 enthält die Anleitung zur Interpretation dieser Formel. Tabelle 2-3 ordnet die Kantone für die Periode 1995 bis 2005 den verschiedenen Kom-binationen von RF, BF und SF zu. Auf diese Weise können Gruppen von

    RF BF SF

  • Erfassung räumlicher Strukturen und Entwicklungen

    17

    Kantonen gebildet werden, die sich wirtschaftlich mit ähnlichen Problemen konfrontiert sehen.

    Tabelle 2-2: Aussage und Interpretation der Shift-Share-Analyse

    Regionalfaktor RF Branchenfaktor BF Standortfaktor SF

    Aussage Beschäftigungs-wachstum einer Re-gion im Vergleich zum Gesamtraum

    Konstanthaltung der re-gionsspezifischen Ein-flüsse = Isolierung des Einflusses der Bran-chenstruktur

    Konstanthaltung der branchenspezifischen Einflüsse = Isolierung des Einflusses der Standortbedingungen

    Interpretation Ein überdurchschnitt-liches Beschäfti-gungswachstum ist zurückzuführen auf ...

    ... einen überdurch-schnittlichen Anteil an Wachstumsbranchen

    ... günstige Standortbe-dingungen (und sonstige Einflüsse)

    Tabelle 2-3: Shift-Share-Analyse der sektoralen Beschäftigung, Schweiz, 1995-2005

    RF BF SF

    < 1 < 1 < 1

    Sowohl ungünstige Branchenstruktur als auch ungünstige Standortbedingungen, daher unterdurchschnittliches Beschäfti-gungswachstum. BE UR GL SO SH AR GR VS NE

    < 1 < 1 > 1

    Ungünstige Branchenstruktur, aber günstige Standortbedingun-gen. Der Branchenfaktor dominiert, daher unterdurchschnittli-ches Beschäftigungswachstum. OW AG TG JU

    < 1 > 1 < 1

    Günstige Branchenstruktur, aber deutlich ungünstige Standort-bedingungen (z.B. fehlende Expansionsräume). Der Standort-faktor dominiert, daher unterdurchschnittliches Beschäftigungs-wachstum. BS TI

    > 1 < 1 > 1

    Günstige Standortbedingungen überkompensieren die ungünsti-ge Branchenstruktur, sodass das Beschäftigungswachstum überdurchschnittlich ausfällt. LU SZ NW FR BL AI SG

    > 1 > 1 < 1

    Günstige Branchenstruktur überkompensiert ungünstige Stand-ortvoraussetzungen, daher überdurchschnittliches Beschäfti-gungswachstum. ZH VD

    > 1 > 1 > 1

    Sowohl günstige Branchenstruktur als auch günstige Standort-bedingungen, daher überdurchschnittliches Beschäftigungs-wachstum. GE ZG

    Quelle: Eigene Berechnung aufgrund der Daten von Tab. 2-1.

  • René L. Frey, Stefan Schaltegger, Markus Gmünder

    18

    Genauere Hinweise über die Ausprägung des Strukturwandels liefert ein Scat-ter-Plot mit den kantonalen Branchenstruktur- und Standortstrukturfaktoren (vgl. Abb. 2-1). Dabei zeigt sich beispielsweise, dass das überdurchschnittli-che Beschäftigungswachstum des Kantons Zug vor allem dem guten Standort (Nähe zu Zürich) zu verdanken ist, während das Wachstum von Genf vor al-lem auf die günstige Branchenstruktur zurückzuführen ist. Andererseits wei-sen die Kantone Glarus und Uri sowohl eine ungünstige Branchenstruktur als auch eine ungünstige Standortstruktur auf. Abbildung 2-1: Branchenstruktur- und Standortstrukturfaktor der Kantone, 1995-2005

    ZH

    BELU

    URSZ

    OW

    NW

    GL

    ZG

    FRSO

    BS

    BLSH

    AR

    AI

    SG

    GR

    AG

    TG

    TI

    VD

    VSNE

    GE

    JU

    0.95

    1

    1.05

    0.8 1 1.2Standortstrukturfaktor

    Bra

    nche

    nstru

    ktur

    fakt

    or

    Quelle: Eigene Berechnung aufgrund der Daten von Tab. 2-1.

  • Erfassung räumlicher Strukturen und Entwicklungen

    19

    2.4 Regionale Buchhaltung

    Die regionale Buchhaltung stellt eine Desaggregation der nationalen Buchhal-tung (sog. Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung) dar. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten: • interregionale Buchhaltung: Alle Regionen werden vollständig darge-

    stellt, ebenso die interregionalen Beziehungen (vgl. Tab. 2-3).

    Tabelle 2-3: Interregionale Buchhaltung (2-Regionen-Beispiel)

    Region A Region B

    P Y K P Y K

    P 0 CAA IAA XAB 0 0 A Y XAA 0 0 YAB GAB 0 K DAA SAA 0 0 0 BAB

    P XBA 0 0 0 CBB IBB

    B Y YBA GBA 0 YBB 0 0 K 0 0 BBA DBB SBB 0

    P = Produktion, Y = Einkommensverteilung, K = Vermögensbildung Y = Faktorentgelte, C = Konsum, I = Investitionen, D = Abschreibungen, S = Ersparnisse, X = Exporte, G = Transfers, B = Kredite

    • regionale Buchhaltung: Es wird nur eine Region (A), die nach aussen of-

    fen ist, abgebildet. Wie bei der nationalen Buchhaltung interessiert hier nicht, wie die internen Wirtschaftskreisläufe der anderen Regionen sind (vgl. Tab. 2-4).

    Die interregionale Buchhaltung sieht sich einer Reihe von Problemen gegen-übergestellt:

    Region A

    Region B

    Region A

    Region C …

    Aussenwelt

  • René L. Frey, Stefan Schaltegger, Markus Gmünder

    20

    • Gewisse Matrix-Felder können aufgrund der Datenlage statistisch nicht gefüllt werden. (z.B. fehlen die Daten, um in Tab. 2-3 die Produktions-beziehung (XBA) zwischen den Regionen A und B zu spezifizieren. Die Daten erlauben lediglich die Beschreibung der Beziehung zur gesamten Aussenwelt (nur XAW, nicht XAB, wobei W = Aussenwelt)

    • Die Aktivitäten der Zentralregierung (R) lassen sich kaum auf die ein-zelnen Regionen aufteilen.

    • Gleiches gilt für «multiregionale» Unternehmungen (z.B. Grossverteiler, Grossbanken, SBB, Swisscom).

    • Gewisse Grössen wie Investitionen und Kredite stehen nur als Nettogrös-sen zur Verfügung und können somit nicht einzelnen Regionen zugeteilt werden.

    Mit der Erstellung einer regionalen Buchhaltung wird die Betrachtung auf je-weils nur eine Region mit ihren Aussenbeziehungen beschränkt. Dabei kön-nen Datenmängel zur Beschreibung der Beziehungen durch die Schaffung der Kategorien «Zentralregierung (R)» und «Aussenwelt (W)» umgangen werden (vgl. Tab. 2-4).

    Tabelle 2-4: Regionale Buchhaltung mit den Kategorien «Zentralregierung» und

    «Aussenwelt»

    Region A Zentralregierung (R) Aussenwelt (W)

    P Y K P Y K P Y K

    P 0 CAA IAA 0 CAR 0 XAW 0 0

    A Y YAA 0 0 0 GAR 0 YAW GAW 0

    K DAA SAA 0 0 0 B’AR 0 0 B’AW

    P 0 0 0 0 0 0 0 0 0

    R Y TAR TAR 0 0 0 0 YRW 0 0

    K 0 0 0 0 SRR 0 0 0 B’RW

    P 0 0 0 0 CWW IWR 0 0 0

    W Y 0 0 0 0 GWR 0 MWW 0 0

    K 0 0 0 0 0 0 0 NWW 0

    P = Produktion, Y = Einkommensverteilung, K = Vermögensbildung, Y = Faktorentgelte, C = Konsum, S = Ersparnisse, X = Exporte, G = Transfers, B = Kredite, I’ = Nettoinvestitionen, B’ = Nettokredite, T = Steuern, MWW = Saldo Leistungsbilanz, NWW = Saldo Kapitalverkehrsbilanz, SRR = Rechnungssaldo

  • Erfassung räumlicher Strukturen und Entwicklungen

    21

    Für die Schweiz gibt es keine umfassende regionale, geschweige denn eine in-terregionale Buchhaltung. Die Erhebung verschiedener Elemente einer regio-nalen Buchhaltung wurde jedoch etappenweise verbessert: • Postcheck-Umsätze: Josef Rosen versuchte in den 1960er Jahren eine

    Schätzung der regionalen Volkseinkommen aufgrund der Postcheck-Umsätze. Die Ungenauigkeit war beträchtlich, weil von der Annahme ausgegangen wurde, dass in allen Regionen die gleichen Zahlungsge-wohnheiten herrschen.

    • Steuereinnahmen: Die Schweizerische Bankgesellschaft schätzte im fol-genden Jahrzehnt die kantonalen Volkseinkommen aufgrund der Wehr-steuereinnahmen. Die Berechnungen liegen bereits näher an der Realität als bei Rosen. Die Unterschiede zwischen den Kantonen dürften jedoch eher überzeichnet worden sein.

    • Pilotstudie kantonales Volkseinkommen: Georges Fischer nahm im Auf-trag des Bundesamts für Statistik (BFS) eine Schätzung der kantonalen Volkseinkommen nach Komponenten vor (Fischer 1980 und 1981). Die Ermittlung erfolgte ähnlich wie beim nationalen Volkseinkommen auf-grund von Sekundärstatistiken.

    • Offizielle kantonale Volkseinkommen: Seit den 1980er Jahren führt das BFS offizielle Schätzungen der kantonalen Volkseinkommen durch (vgl. Abb. 2-2 für das Jahr 2005).

    • Regionale und kantonale Wertschöpfung: BAK Basel Economics nimmt seit ein paar Jahren eine Schätzung der regionalen und kantonalen Wert-schöpfung (Bruttoinlandprodukt) vor. Diese wird durch Aufschlüsselung der spezifisch regionalen beziehungsweise kantonalen Beschäftigungs-struktur nach Branchen ermittelt.

    • Unternehmensbefragungen: Die Wertschöpfung einzelner Kantone oder Regionen wird aufgrund von Vollerhebungen oder Stichproben bei Be-trieben geschätzt. Dabei kann auf zwei Arten vorgegangen werden: 1. Umsätze abzüglich Vorleistungen, über alle Firmen aufsummiert. 2. Summe aller Löhne und Gewinne. Beide Wege ergeben nach ge-wissen Bereinigungen das Volkseinkommen (z.B. seit Ende der 1970er Jahre für die Nordwestschweiz im Rahmen der Regio Wirtschaftsstudie Nordwestschweiz).

  • René L. Frey, Stefan Schaltegger, Markus Gmünder

    22

    Abbildung 2-2: Pro-Kopf-Einkommen der Kantone, 2005 (1000 CHF)

    Quelle: Die Volkswirtschaft 2008/9, S. 112 f.

    Die offiziellen Statistiken beschränken sich auf das Volkseinkommen und das Pro-Kopf-Einkommen. Um tatsächlich aussagekräftige kantonale oder re-gionale Vergleiche vornehmen zu können, wären noch folgende Lücken zu schliessen: • Bruttoinlandprodukt (BIP): Um die Wettbewerbsfähigkeit von Kantonen

    (oder Wirtschaftsregionen) beurteilen und vergleichen zu können, wären Zahlen zum BIP beziehungsweise zur Wertschöpfung und Produktivität nötig.

    • Bruttosozialprodukt (BSP): Um Aussagen über die Verwendung des Volkseinkommens machen zu können, müsste das kantonale oder regio-nale Bruttosozialprodukt zur Verfügung stehen.

    • Volkseinkommen nach Wirtschaftsräumen: Interkantonale Vergleiche sind insofern problematisch, als die einzelnen Kantone ganz unterschied-lich abgegrenzt sind. Zum Beispiel verfügen die Kernstädte über unter-schiedlich viel «kantonales Umland». Tabelle 2-5 zeigt eine Schätzung des Pro-Kopf-Einkommens für die Wirtschaftsräume Zürich und Basel (aufgeteilt in Basel-Stadt und Basel-Landschaft) im Vergleich zum schweizerischen Durchschnitt.

    • Reales Volkseinkommen: Die Kaufkraft und die Präferenzen variieren in den verschiedenen Regionen, sodass die implizite Annahme, dass ein

    0

    20

    40

    60

    80

    100

    120

    140

    BS ZG NW GL

    ZH GE

    SH BL

    VD SZ NE

    GR

    AG SO AI UR BE TG SG AR LU TI

    OW FR VS JU

    Durchschnitt gesamte Schweiz 54

  • Erfassung räumlicher Strukturen und Entwicklungen

    23

    Franken Volkseinkommen in allen Regionen den gleichen Nutzen oder Wohlstand «produziert», in Frage zu stellen ist. Stephan Hill (1984) ver-suchte, das nominelle regionale Wohlstandsgefälle von damals grob 2:1 zwischen dem reichsten und dem ärmsten Kanton kaufkraftmässig zu be-reinigen. Er kam auf eine Relation von ungefähr 1½:1. Hieraus lässt sich folgern, dass die nominellen Volkseinkommen die realen Disparitäten überzeichnen.

    Tabelle 2-5: Volkseinkommen nach Wirtschaftsräumen (ZH, BS, BL), 2005 Kanton Region

    Räumlicher Umfang Pro-Kopf-Einkommen (CHF)

    Index (CH = 100)

    CH 54’031 100

    ZH Kern + Umland 68’804 127

    BS Nur Kern 115’178 213 BL Nur Umland 53’502 99 BS + BL Kern + Umland 79’319 147

    Quelle: Eigene Berechnung aufgrund Die Volkswirtschaft 2008/9, S. 112 f.

    2.5 Regionale Input-Output-Analyse Die Input-Output-Analyse zeigt die interindustrielle Verflechtung einer Volkswirtschaft. Wie die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung kann auch sie auf zwei Arten regionalisiert werden: • Interregional: Die Input-Output-Beziehungen aller Regionen werden

    umfassend abgebildet (Tab. 2-6). • Regional: Nur eine Region wird bezüglich aller Input-Output-Beziehun-

    gen voll dargestellt (Tab. 2-7).

    Hauptsächlicher Verwendungszweck der interregionalen und regionalen In-put-Output-Analyse ist die Untersuchung von Wirkungen autonomer Verän-derungen: Was würde passieren, wenn in einer Region eine autonome Verän-derung einer makroökonomischen Grösse eintreten würde, zum Beispiel ein «Export»-Schub oder eine Zunahme der Staatsausgaben oder Staatseinnah-

  • René L. Frey, Stefan Schaltegger, Markus Gmünder

    24

    men? Wie pflanzt sich eine solche Veränderung über die Branchen innerhalb einer Region und zwischen Regionen fort?

    Tabelle 2-6: Interregionale Input-Output-Tabelle

    Output → Region A Region B Region C Gesamtoutput

    Input ↓ Sektor 1 2 ... n ΣA 1 2 ... n ΣB 1 2 ... n ΣC

    Reg. A

    1 2 . n ΣA

    Reg. B

    1 2 . n ΣB

    Reg. C

    1 2 . n ΣC

    Gesamtinput schattiert: intraregionale Beziehungen

    Im Vergleich zur regionalen Buchhaltung sind die Schwierigkeiten bei der Er-stellung einer regionalen Input-Output-Analyse um ein Vielfaches grösser. Besondere Probleme bereiten der Mangel an statistischen Daten und die feh-lende Konstanz der technischen Koeffizienten, das heisst die Annahme einer unveränderten branchenmässigen und regionalen Wirtschaftsstruktur über die Zeit hinweg.

    Diese Mängel haben zur Folge, dass es in der Schweiz für Kantone oder Regionen keine Input-Output-Tabellen gibt. Ja, es gibt kaum Input-Output-Analysen für die gesamte Volkswirtschaft, bestenfalls Schätzungen für einzel-ne Jahre und ganz bestimmte Fragestellungen.

  • Erfassung räumlicher Strukturen und Entwicklungen

    25

    Tabelle 2-7: Regionale Input-Output-Tabelle für Region A Output → Region A

    Vorleistungen Endnach-frage

    Exporte an Region

    Gesamt- output

    1 2 .. n Σ B C .. W Region A 1 Vorleistungen 2 ..

    n Σ

    Primäre Inputs A Importe aus B Region C

    .. W

    Gesamtinput

    Eine Ausnahme stellt die Wirtschaftsregion Nordwestschweiz dar. Für 2008 wurde mittels einer Befragung von Unternehmungen und eines Berechnungs-modells in Anlehnung an eine Input-Output-Analyse untersucht, wie sich die Life Sciences-Branche auf die gewerbliche KMU-Wirtschaft der Nordwest-schweiz auswirkt (Abb. 2-3). Oder anders formuliert: Wie stark hängt die re-gionale KMU-Wirtschaft von den dominanten Unternehmungen der Wirt-schaftsregion Basel ab? Gemäss der Studie von B,S,S. erzeugt die Life Scien-ces-Industrie einen direkten Umsatzstrom von rund 2,5 Milliarden Franken zugunsten der KMU-Wirtschaft. Die Life Sciences-Haushalte – das heisst, die Beschäftigten der Life Sciences-Industrie – generieren bei der KMU-Wirt-schaft einen indirekten Umsatzstrom in der Höhe von 712 Millionen CHF. Durch die vom Staat vergebenen Aufträge an die KMU-Wirtschaft, welche über Steuerzahlungen durch die Life Sciences-Industrie und ihre Beschäftig-ten induziert werden, entsteht ein indirekter Umsatzstrom von 376 Millionen Franken. Die ehemaligen Beschäftigten der Life Sciences-Industrie, die Life Sciences-Rentnerhaushalte, fragen bei der KMU-Wirtschaft Güter und Dienstleistungen nach und erzeugen auf diese Weise einen indirekten Um-satzstrom im Umfang von 477 Millionen Franken. Über Aufträge der übrigen regionalen Wirtschaft erhält die KMU-Wirtschaft indirekt einen durch die Li-fe Sciences-Industrie induzierten Umsatzstrom in der Höhe von 733 Millio-nen Franken. Insgesamt profitieren die KMU-Unternehmungen der Nordwest-

  • René L. Frey, Stefan Schaltegger, Markus Gmünder

    26

    schweiz im Umfang von 4,8 Milliarden Franken von der Life-Sciences-Industrie. Dies entspricht fast 19 Prozent ihres Umsatzes. Abbildung 2-3: Life Sciences als Motor für die KMU-Wirtschaft der Nordwestschweiz: Di-

    rekte und indirekte Umsatzströme (in CHF, 2005)

    Life Sciences-Industrie

    KMU-Wirtschaft

    Life Sciences-Haushalte

    Pensions-kassen

    Staat

    übrige regionale Wirtschaft

    2496 Mio.

    376 Mio.

    712

    Mio

    .

    733

    Mio

    . Life Sciences-

    Rentnerhaushalte

    AHV / Vermögen

    734

    Mio

    .

    2279 Mio.

    1820 Mio.

    549

    Mio

    .

    421 Mio.

    Region Nordwestschweiz

    123 Mio.

    477 Mio.

    1 5 2

    3

    4

    Life Sciences-Industrie

    KMU-Wirtschaft

    Life Sciences-Haushalte

    Pensions-kassen

    Staat

    übrige regionale Wirtschaft

    2496 Mio.

    376 Mio.

    712

    Mio

    .

    733

    Mio

    . Life Sciences-

    Rentnerhaushalte

    AHV / Vermögen

    734

    Mio

    .

    2279 Mio.

    1820 Mio.

    549

    Mio

    .

    421 Mio.

    Region Nordwestschweiz

    123 Mio.

    477 Mio.

    11 55 22

    33

    44

    Quelle: B,S,S. 2009, S. 3.

    Eine Untersuchung über den Beitrag des Tourismus zur Entwicklung einer Region nahm Paul Tschurtschenthaler 1993 vor. Er stützte sich dabei auf eine vereinfachte Input-Output-Analyse. In einem ersten Schritt wurde die direkte Wertschöpfung erhoben, die unmittelbar dort entsteht, wo die Gäste ihre Aus-gaben tätigten. Im zweiten Schritt untersuchte er, wie die Erstempfänger die Einnahmen verwendeten, ob sie sie sparten, für den Erwerb von Gütern der eigenen Region oder für den Import von Gütern aus anderen Regionen ausga-ben (Abb. 2-4).

    Die gesamte regionale Wertschöpfung ergibt sich durch Addition der Wert-schöpfung der einzelnen Runden:

    • Direkte Wertschöpfung: Wertschöpfung, die unmittelbar dort entsteht,

    wo die Gäste ihre Ausgaben tätigen (z.B. in Hotels).

  • Erfassung räumlicher Strukturen und Entwicklungen

    27

    • Indirekte Wertschöpfung: Wertschöpfung, die bei den Zulieferern (z.B. den Bäckern oder Bauern) entsteht, das heisst bei den Unternehmungen, die den Gästen Güter verkaufen und dafür Geld erhalten.

    Abbildung 2-4: Durch den Tourismus erwirtschaftete direkte und indirekte Wertschöpfung

    einer Region

    Tourist.Ausgabe

    1. Runde 2. Runde 3. Runde 4. Rundeetc

    Ausgabe des Gastes

    Import"verluste" (Versickerung)

    Wertschöpfung in der Region

    Vorleistungen

    Direkte undindirekteregionaleWertschöpfung

    2.6 Regionale Inzidenzanalyse Unter einer regionalen Inzidenzanalyse versteht man die Erfassung der regio-nalen Verteilungswirkungen einer wirtschafts- oder regionalpolitischen Mass-nahme.

    Regionale Inzidenzanalysen bilden die Grundlage für die Erfolgskontrolle von wirtschaftspolitischen Massnahmen (Abb. 2-5). Die Erfolgskontrolle ih-rerseits besteht aus drei Elementen: Vollzugs-, Wirkungs- und Zielerrei-chungskontrolle. Bei der Vollzugskontrolle wird untersucht, inwiefern der tat-sächliche dem beschlossenen Mitteleinsatz entspricht. Bei der Wirkungskont-rolle geht es um die Analyse der tatsächlichen Haupt- und Nebenwirkungen,

    Indirekte Wirkungen

  • René L. Frey, Stefan Schaltegger, Markus Gmünder

    28

    während mit der Zielerreichungskontrolle ein Vergleich der tatsächlichen mit den gewünschten Wirkungen vorgenommen wird.

    Abbildung 2-5: Erfolgskontrolle wirtschaftspolitischer Massnahmen

    Vollzugskontrolle

    Wirkungskontrolle

    Zielerreichungskontrolle

    GewünschteWirkungen

    TatsächlicheWirkungen

    Tatsächlicher Mitteleinsatz

    Geplanter/beschlossener Mitteleinsatz

    Erfolgskontrolle

    Inzidenzanalysen können bezüglich folgender Dimensionen unterschieden werden (Abb. 2-6): • Wirkungsebene

    I. Monetäre Wirkungen: Einkommens- und Kaufkraftströme II. Reale Wirkungen: Güterversorgung III. Nutzenwirkungen: subjektiv empfundene Vorteile (Nutzen) und Nachteile (Kosten)

    • Fristigkeit 1. Kurzfristig: ohne Berücksichtigung von Anpassungsprozessen 2. Mittelfristig: unter Berücksichtigung von marktwirtschaftlichen Anpassungsprozessen (Überwälzung) 3. Langfristig: unter Berücksichtigung von Kreislaufeffekten und Standortanpassungen

    • Verbindlichkeit A. Formal: aufgrund von gesetzlichen Kompetenzen

  • Erfassung räumlicher Strukturen und Entwicklungen

    29

    B. Beabsichtigt: als Ziel formuliert C. Effektiv: tatsächlich erzielte Haupt- und Nebenwirkungen.

    Abbildung 2-6: Inzidenzwürfel

    Ver

    bind

    lichk

    eitF

    ristig

    keit

    Wirkungsebene

    3. Langfristig

    2. Mittelfristig

    1. Kurzfristig

    I. Ka

    ufkr

    aft:

    mon

    etär

    II. G

    üter

    : rea

    l

    III. N

    utze

    n

    A. Fo

    rmal

    C. E

    ffekti

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    B. B

    eabs

    ichtig

    t

    Die Möglichkeiten der Inzidenzanalyse können anhand einiger Beispiele il-lustriert werden: • Formale, kurzfristige Kaufkraftinzidenz (Würfel IA1 in Abb. 2-6): Aus

    welchen Kantonen stammen die Einnahmen des Bundes? In welche Kan-tone fliessen seine Ausgaben? Ist ein bestimmter Kanton per saldo Net-tozahler oder Nettoempfänger?

    • Effektive, mittelfristige Kaufkraftinzidenz (Würfel IC2): Fragestellungen zur effektiven sekundären Kaufkraftinzidenz betreffen zum Beispiel den Umstand, dass gewisse Kantone Zahlungen, die sie an den Bund leisten, auf andere Kantone (oder das Ausland) überwälzen können, während andere Kantone nicht notwendigerweise die tatsächlichen Empfänger von Bundesausgaben sind. Wie sieht die regionale Inzidenz nach Be-rücksichtigung dieser Überwälzungsvorgänge aus?

  • René L. Frey, Stefan Schaltegger, Markus Gmünder

    30

    • Effektive, mittelfristige Güterinzidenz (Würfel IIC2): Welche Bundeslei-stungen nehmen die Angehörigen eines Kantons tatsächlich in Anspruch und wieviel zahlen sie dafür nach der Überwälzung?

    • Effektive, langfristige Güterinzidenz (Würfel IIC3): Welche Bundeslei-stungen nehmen die Angehörigen eines Kantons in Anspruch, wenn zu-sätzlich noch die langfristigen Anpassungsprozesse (vor allem Kreislauf-wirkungen und Standortanpassungen) berücksichtigt werden?

    • Effektive, langfristige Nutzeninzidenz (Würfel IIIC3): Welcher Nutzen stiften die in Anspruch genommenen monetären und realen Bundesleis-tungen der Bevölkerung der verschiedenen Kantone?

    Es versteht sich von selbst, dass die Erfassung von Informationen zur Beant-wortung von Fragen im Bereich der formalen monetären Inzidenzwirkungen (Würfelecke IA1) viel einfacher ist als die realen und erst recht die nutzen-mässigen. Interessant für wirtschafts- und regionalpolitische Fragestellungen wären jedoch vor allem Inzidenzen in der Nähe der Würfelecke IIIC3 (effekti-ve, langfristige Nutzeninzidenz). 2.7 Indikatoren der regionalen Lebensqualität Raumordnungspolitische Massnahmen sind letztlich auf die Verbesserung der Lebensqualität ausgerichtet. Dabei ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit (gemessen als Bruttoinlandprodukt pro Arbeitsplatz) lediglich ein Bestim-mungsfaktor der Lebensqualität oder des Glücks. Es stellt sich daher die Fra-ge, ob und wie regionale Unterschiede in der Lebensqualität erfasst werden können.

    Mögliche Indikatoren zur Messung der Lebensqualität sind: • Pro-Kopf-Einkommen (PKE): Der wirtschaftliche Wohlstand gemessen

    als Pro-Kopf-Einkommen ist bei einem tiefen bis mittleren Entwick-lungsstand recht gut mit der Lebensqualität korreliert. Bei hohem Wohl-stand ist das Pro-Kopf-Einkommen nur bedingt aussagekräftig, weil im-mer mehr nicht-monetäre und nicht-ökonomische Faktoren eine Rolle spielen.

  • Erfassung räumlicher Strukturen und Entwicklungen

    31

    • Soziale Indikatoren: Soziale Indikatoren sind Grössen, die nach allge-meiner Auffassung mit der Lebensqualität korreliert sind, beispielsweise die Lebenserwartung, der Alphabetisierungsgrad, die Selbstmordrate. Die Aussagekraft von sozialen Indikatoren ist umstritten. Ist zum Bei-spiel eine hohe Selbstmordrate ein Zeichen für tiefe Lebensqualität (grosse Hoffnungslosigkeit) oder für hohe Lebensqualität (grosse Auto-nomie der Person)? Die Hoffnungen, mit Sozialindikatoren die Lebens-qualität gut abbilden zu können, konnten bis heute nicht erfüllt werden.

    • Befragungen zur subjektiven Einschätzung objektiver Tatbestände oder zur Ermittlung von Zufriedenheit, Glück u.dgl. sind im Rahmen der em-pirischen Sozialforschung schon seit längerem durchgeführt worden und erleben neuerdings einen Aufschwung (vgl. B.S. Frey & C. Frey Marti 2010).

    • Revealed preferences: Aus dem effektiven Verhalten der Wirtschaftssub-jekte können Schlüsse auf die Lebensqualität und die Zufriedenheit der Bevölkerung einer Region gezogen werden. Beispielsweise kann aus Netto-Abwanderungen auf eine relativ schlechte Lebensqualität und aus Netto-Zuwanderungen auf eine eher gute Lebensqualität geschlossen werden. Das Problem bei dieser Erfassungsart ist, dass bei den Wande-rungen noch viele andere Faktoren eine Rolle spielen, beispielsweise die Konjunkturlage (Gibt es überhaupt offene Stellen in der Wunschre-gion?), der Lebenszyklus (Jüngere Personen wandern häufiger als ältere) oder die Verfügbarkeit von Wohnraum. Insbesondere Kernstädte sind diesbezüglich gegenüber dem Agglomerationsgürtel und den ländlichen Gebieten im Nachteil.

    2.8 Rating, Ranking und Benchmarking In den letzten Jahren ist es Mode geworden, nicht nur Unternehmungen, son-dern auch Regionen zu evaluieren und in eine Rangordnung zubringen. So heisst es dann beispielsweise in den Medien: «Zug top, Wallis flop», dies auf-grund einer mehr oder weniger grossen Zahl von Indikatoren, zum Beispiel Finanzen, Steuern, Wirtschaft, öffentliches Angebot, Befindlichkeit, Umwelt-qualität. Einem solchen Vorgehen liegt das Benchmarking, das heisst der Ver-gleich mit dem «Klassenbesten», zugrunde.

  • René L. Frey, Stefan Schaltegger, Markus Gmünder

    32

    Die Ergebnisse hängen von der Auswahl der Kriterien und deren Gewich-tung ab. Beides ist mehr oder weniger willkürlich, jedenfalls willkürlicher als

    • das BIP oder das BSP, bei dem grösstenteils auf die effektive Zahlungs-

    bereitschaft der Bevölkerung und auf das reale Gewichtungssystem Markt abgestellt wird.

    • Umfragen, bei denen die Befragten die Möglichkeit haben, ihre eigene Einschätzung direkt abzugeben, das heisst, die Bewertung nicht durch Experten vorgenommen wird.

    Das wohl umfassendste Benchmarking erfolgt durch BAK Basel Economics (BAK 2005 ff.). Aus der Fülle von Ergebnissen sind in Tabelle 2-8 das Wachstum des realen BIP, der Anteil hoch qualifizierter Arbeitskräfte sowie die Ausgaben für Forschung und Entwicklung als Indikatoren für die Wett-bewerbsfähigkeit von Regionen dargestellt.

    Häufig erfolgt das Benchmarking auch mit dem Ziel, die Standorte hin-sichtlich einer bestimmten Branche, beispielsweise der Life-Sciences-Indu-strie, miteinander zu vergleichen (vgl. Abb. 2-7). Die Life Sciences umfassen nebst dem Pharmabereich (Medikamente, Wirkstoffe, Diagnostika) auch die Agrobranche (Saatgut, Dünger, Pflanzenschutz) und den Medizinaltechnikbe-reich (medizinische, chirurgische und orthopädische Produkte) und weisen ei-ne hohe Wertschöpfung pro erwerbstätige Person auf. So betrug die Arbeits-produktivität in der grenzüberschreitenden Region Metrobasel im Jahr 2006 rund 219'000 USD.

  • Erfassung räumlicher Strukturen und Entwicklungen

    33

    Tabelle 2-8: Indikatoren der Wettbewerbsfähigkeit ausgewählter Regionen

    Land, Region

    Wachstum des realen BIP

    Durchschnitt 2000–2004

    Anteil Erwerbstätige mit tertiärer Ausbil-

    dung Durchschnitt 1980–2003

    Anteil Ausgaben für F&E am BIP

    Durchschnitt 1980–2003

    Slowakei 4.6% 6.5% 1.5% USA 2.5% 30.7% 2.6% UK 2.3% 20.3% 2.1% Finnland 2.3% 20.8% 2.2% Basel (BS, BL) 2.1% 20.4% 5.9% France 1.4% 18.7% 2.2% Aargau 1.0% 19.6% 2.9% Ostschweiz 0.9% 14.5% 2.8% Italia 0.9% 9.0% 1.1% Espace Mittelland 0.8% 16.6% 2.0% Schweiz 0.7% 18.5% 2.7% Bassin Lémanique 0.6% 23.7% 1.7% Deutschland 0.6% 22.2% 2.5% Ticino 0.1% 16.0% 1.8% Zürich -0.3% 21.7% 1.8%

    Quelle: BAK 2005.

    Abbildung 2-7: Arbeitsproduktivität von Life-Sciences-Standorten

    Quelle: BAK 2007, S. 22.

  • René L. Frey, Stefan Schaltegger, Markus Gmünder

    34

    .Literatur

    BAK Basel Economics (2005): Internationaler Benchmark Report 2005. Basel: BAK. BAK Basel Economics (2007): Metrobasel Report 2007. Basel: BAK. Brugger, Ernst A. & Frey, René L. (Hrsg.) (1985): Sektoralpolitik vs. Regionalpolitik.

    Grüsch: Rüegger. B,S,S. (2009): Life Sciences als Motor für die KMU-Wirtschaft. Eine Studie zur Bedeu-

    tung der Life Sciences-Industrie für die KMU-Wirtschaft der Nordwestschweiz. Basel: B,S,S.

    Bundesamt für Statistik (1999): Die Grossregionen der Schweiz. Die Schweiz im NUTS-Regionalsystem. Neuchâtel: BFS.

    Bürgin, Alfred (Hrsg.) (1980ff.): Regio Wirtschaftsstudie Nordwestschweiz. Basel. Regio Basiliensis/Helbing & Lichtenhahn.

    Fischer, Georges (1980). Der Wohlstand der Kantone. Bern: Haupt. Fischer, Georges (1981). Die Entwicklung der kantonalen Volkswirtschaften seit 1965.

    Bern: Haupt. Frey, Bruno S. & Claudia Frey Marti (2010): Glück – die Sicht der Ökonomie. Zürich/

    Chur: Rüegger. Frey, René L. & Ernst A. Brugger (Hrsg.) (1984): Infrastruktur, Spillovers und Regional-

    politik. Grüsch: Rüegger. Gerfin, Harald (1964): «Gesamtwirtschaftliches Wachstum und regionale Entwicklung».

    Kyklos Vol. 17. Hill, Stephan (1984): Regionale Lebenshaltungskosten in der Schweiz. Bern: Haupt. Simmen, Helen & Felix Walter (2006): Die Alpen und der Rest der Schweiz: Wer zahlt –

    wer profitiert? Zürich: vdf. Tschurtschenthaler, Paul (1993): «Methoden zur Berechnung der Wertschöpfung im Tou-

    rismus». In: Günther Haedrich u.a. (Hrsg.): Tourismus-Management, Tourismus-Mar-keting und Fremdenverkehrsplanung. Bern: Haupt.

  • Regionale Makroökonomie

    35

    Kapitel 3 Regionale Makroökonomie 3.1 Fragestellung 37 3.2 Regionale Multiplikatoren und regionale Konjunkturtheorie 38

    3.2.1 Regionale Multiplikatoranalyse 38 3.2.2 Interregionaler «Zahlungsbilanz»-Ausgleich 43 3.2.3 Nationale und regionale Konjunkturzyklen 45 3.3 Regionale Wachstumstheorie 47

    3.3.1 Fragestellung 47 3.3.2 Regionalisierung globaler Wachstumstheorien 49 3.3.2.1 Neoklassischer Wachstumsansatz 49 3.3.2.2 Postkeynesianischer Wachstumsansatz 51 3.3.2.3 Neuere Wachstumstheorien 52 3.3.3 Spezifisch regionale Wachstumskonzepte 54 3.3.3.1 Sektor- und Branchenansatz 54 3.3.3.2 Exportbasisansatz 55 3.3.3.3 Wachstumspolansatz 56 3.3.3.4 Zentrum-Peripherieansatz 58 3.3.3.5 Ansatz der komparativen Vorteile 60 3.3.3.6 Stufen- und Produktionszyklenansatz 61 3.4 Regionale Mobilität der Produktionsfaktoren 63

    3.4.1 Fragestellung 63 3.4.2 Wanderung von Arbeitskräften 64 3.4.3 Kapitalbewegungen 66

  • René L. Frey, Stefan Schaltegger, Markus Gmünder

    36

    3.4.4 Know-how-Flüsse 67 3.4.5 Hauptergebnisse der Mobilitätsanalyse 68 3.5 Regionale Disparitäten 69

    3.5.1 Fragestellung 69 3.5.2 Empirische Schätzungen 69 3.5.3 Erklärungsansätze 71 Literatur 73

  • Regionale Makroökonomie

    37

    3.1 Fragestellung Die regionale Makroökonomie befasst sich mit der Stabilität und dem Wachs-tum von Regionen sowie mit den regionalen Disparitäten.

    Kein Land der Welt verfügt über Regionen, die alle die gleichen Eigen-schaften aufweisen. Gewisse Regionen haben hinsichtlich Lage, Erreichbar-keit, Ausstattung mit natürlichen Ressourcen usw. bessere Voraussetzungen für wirtschaftliche Erfolge, sind attraktiver für mobile Produktionsfaktoren. Sie weisen daher ein höheres Wachstum auf oder sind wohlhabender als ande-re. Die regionale Makroökonomie sucht nach den Ursachen für solche Unter-schiede. Der Analyse werden homogene Regionen zugrunde gelegt. Das heisst, regionsinterne Unterschiede werden nicht beachtet. Im Vordergrund stehen gesamtwirtschaftliche Aggregate wie Einkommen und Beschäftigung, nicht die Mikroebene und nicht das Verhalten der einzelnen Wirtschaftssub-jekte. Mit letzterem beschäftigt sich die regionale Mikroökonomie; diese ist Gegenstand von Kapitel 4.

    In Kapitel 3 werden die wichtigsten Ansätze zur Erklärung der wirtschaft-lichen Struktur und Entwicklung von Regionen vorgestellt, und zwar für:

    • die Konjunkturentwicklung und die Übertragung von konjunkturellen

    Impulsen von einer Region auf andere (Abschnitt 3.2); • das regionale Wachstum und die Übertragung von Wachstumsimpulsen

    (Abschnitt 3.3); • die interregionalen Wanderungen der Produktionsfaktoren (Abschnitt

    3.4); • die regionale Einkommensverteilung, das heisst die regionalen Disparitä-

    ten (Abschnitt 3.5). Methodisch geht es bei der regionalen Makroökonomie um die Übertragung makroökonomischer Konjunktur-, Wachstums- und Verteilungstheorien auf die subnationale Ebene sowie um spezifisch regional ausgerichtete Erklä-rungsansätze.

  • René L. Frey, Stefan Schaltegger, Markus Gmünder

    38

    3.2 Regionale Multiplikatoren und regionale Konjunkturtheorie Die Multiplikatortheorie untersucht, wie sich konjunkturelle Impulse einer Region (z.B. ein Anstieg oder Rückgang der Staatsausgaben, der Steuererträ-ge, des Konsums, der Investitionen oder des Exports) kurz- und mittelfristig auf die nationale Volkswirtschaft als Ganze sowie auf andere regionale oder lokale Volkswirtschaften fortpflanzen.

    Die Diskussion regionaler Multiplikatoren und regionaler Konjunkturtheo-rien geht von folgenden konjunkturellen Fragestellungen aus:

    • Interregionale Multiplikatoranalyse: Wie werden konjunkturelle Verän-

    derungen einer Region auf andere Regionen übertragen? • «Zahlungsbilanz»-Ungleichgewichte: Wie werden konjunkturbedingte

    regionale Ungleichgewichte ausgeglichen? • Zusammenspiel regionaler Konjunkturentwicklungen: Welche Zusam-

    menhänge bestehen zwischen nationalen und regionalen Konjunkturzyk-len?

    3.2.1 Regionale Multiplikatoranalyse Die Multiplikatoranalyse untersucht, was bei einem autonomen oder politisch ausgelösten Einkommensanstieg (oder Einkommensrückgang) mit dem Ein-kommen der betreffenden Region und jenem anderer Regionen kurz- und mit-telfristig geschieht. Wanderungen von Produktionsfaktoren werden hier aus-geklammert. Sie sind Gegenstand der Abschnitte 3.3 und 3.4.

    Es können drei Multiplikatoren unterschieden werden: • Fall 1: regionsinterner Multiplikator einer geschlossenen Region (d.h.

    kein Import, kein Export); • Fall 2: Multiplikator einer offenen Regionen (d.h. mit Import) ohne

    Rückwirkungen auf die betrachtete Region; • Fall 3: Multiplikator einer offenen Region mit Rückwirkungen (d.h. mit

    Import und Export, sog. repercussion). Die Wirkungsweise der Mulitiplikatoren kann an einem einfachen Modell mit zwei Regionen (Regionen 1 und 2) gezeigt werden. Das Sozialprodukt der Region 1 kann für Konsumzwecke (C1), für autonome Ausgaben (A1) sowie

  • Regionale Makroökonomie

    39

    für Importe (M1) verwendet werden. Die autonomen Ausgaben setzen sich aus privaten Investitionen (Ipr 1) und Staatsausgaben (G1) zusammen. Die Ex-porte von Region 1 (X1) entsprechen den Importen von Region 2 (M2) und umgekehrt.

    Y1 = C1 + A1 + X1 - M1 wobei C1 = b1 + c1Y1 A1 = Ipr 1 + G1 X1 = m2Y2 = M2 M1 = m1Y1 = X2

    Y = Einkommen, C = Konsum, A = autonome Ausgaben, Ipr = private Investitionen, G = Staatsausgaben, X = Export, M = Import, b = Grundkonsum (Existenzminimum), c = marginale Konsumquote, m = Importquote.

    Fall 1: Geschlossene Region Wird Region 1 als geschlossene Region behandelt (kein Export, kein Import), hängt der Multiplikator ausschliesslich von der Höhe der marginalen Kon-sumquote ab, also davon, wie viel der zusätzlichen autonomen Ausgaben in der Region 1 ausgegeben (nicht gespart) wird und zusätzliches Einkommen in der Region 1 generiert. Bei einer Konsumquote (c1) von zum Beispiel 0,8 be-trägt der Multiplikator (dY1/dA1) 5, das heisst, eine einmalige Ausgabenerhö-hung von einer Geldeinheit erhöht das regionale Sozialprodukt insgesamt um 5 Geldeinheiten, bei einer jährlich wiederkehrenden Ausgabenerhöhung jähr-lich um 5 Geldeinheiten.

    11

    1

    11cdA

    dY−

    = = 5, wenn c1 = 0,8

    Region 1 Autonome Erhöhung der Nachfrage

    Regionsinterner Multiplikator

  • René L. Frey, Stefan Schaltegger, Markus Gmünder

    40

    Fall 2: Offene Regionen ohne Rückwirkungen Wird Region 1 als offene Region betrachtet und werden die Rückwirkungen von Region 2 auf Region 1 vernachlässigt, so verkleinert sich die Multiplika-torwirkung gegenüber Fall 1 beträchtlich. Grund: Region 1 gibt einen Teil der autonomen Ausgaben für Importe aus, was zu einem Abfluss von Kaufkraft in die andere Region führt und statt in der eigenen Region dort eine Einkom-menserhöhung auslöst. Bei einer Konsumquote von 0,8 und einer Importquote von 0,3 beispielsweise reduziert sich in Region 1 der Multiplikator auf 2:

    1111

    1 11

    1kmcdA

    dY=

    +−= = 2, wenn c1 = 0,8 und m1 = 0,3

    Für die Einkommenserhöhung in Region 2, die sich aus den autonomen Aus-gaben in Region 1 ergibt, berechnet sich der Multiplikator wie folgt:

    1

    1

    11

    1

    1

    2

    1 km

    mcm

    dAdY

    =+−

    = = 0,6, wenn c1 = 0,8 und m1 = 0,3.

    Der Multiplikatoreffekt, der sich für Region 2 aus der Veränderung der auto-nomen Ausgaben von Region 1 ergibt, ist in diesem Fall 0,6. Fall 3: Offene Regionen mit Rückwirkungen Bei zwei gleich grossen offenen Regionen und unter Berücksichtigung von Rückwirkungen der autonomen Ausgaben berechnet sich der Multiplikator für Region 1 folgendermassen:

    2121

    2

    1

    1

    mmkkk

    dAdY

    −= wobei k1 = (1 - c1 + m1) und k2 = (1 - c2 + m2)

    Region 1 Region 2 Kaufkraftabfluss durch Importe

  • Regionale Makroökonomie

    41

    Für die übrigen Multiplikatoren gelten die Formeln:

    2121

    2

    2

    1

    mmkkm

    dAdY

    −=

    2121

    1

    1

    2

    mmkkm

    dAdY

    −=

    Kleine offene Regionen (z.B. Gemeinden) haben ceteris paribus eine grössere Importquote als grosse Regionen oder Länder (z.B. USA). Wird die Grösse der Regionen anhand unterschiedlicher Importquoten berücksichtigt, so erge-ben sich die in Tabelle 3-1 zusammengestellten Multiplikatoren. Tabelle 3-1: Multiplikatoren bei unterschiedlicher Grösse der Regionen (Annahme: gleiche Konsumneigung c1 = c2 = 0,8)

    Region 1 Region 2 Gleich

    Gross Klein

    Klein Gross

    m1 0,3 0,1 0,6

    m2 0,3 0,6 0,1

    1

    1

    dAdY 3,125 4,444 1,667

    2

    1

    dAdY

    1,875 3,333 0,555

    1

    2

    dAdY

    1,875 0,555 3,333

    Die theoretische Analyse der regionalen Multiplikatoren führt zu folgenden Haupterkenntnissen:

    • Die Versickerung von Konjunkturimpulsen (z.B. in Form autonomer

    Staatsausgaben) ist umso grösser, je kleiner eine Region ist. • Die Rückgewinnung von Konjunkturimpulsen ist umso grösser, je grös-

    ser eine Region im Vergleich zu den anderen Regionen ist.

    Region 1 Region 2 Kaufkraftrückfluss (repercussion) durch Importe der Region 2 = Export der Region 1

  • René L. Frey, Stefan Schaltegger, Markus Gmünder

    42

    • Der effektive Nutzen von konjunkturpolitischen Anstrengungen ist für kleine Regionen sehr gering. Sie verpuffen, sind jedoch umso grösser, je mehr diesbezüglich die anderen Regionen unternehmen.

    Diese theoretisch dargelegten Erkenntnisse werden sowohl auf internationaler als auch auf nationaler Ebene durch empirische Untersuchungen bestätigt: • Verhältnismässig kleine Länder wie Belgien und die Niederlande reali-

    sieren nur eine schwache Zunahme ihres eigenen Bruttosozialprodukts, wenn sie ihre Staatsausgaben erhöhen beziehungsweise ihre Steuern sen-ken. In Tabelle 3-2 sind die Werte dieser kleinen Länder in den Diagona-len tiefer als jene der grösseren Länder Frankreich, Deutschland und Ita-lien.

    • Kleine Regionen innerhalb der Schweiz erfahren bei Infrastrukturinvesti-tionen prozentual eine geringere einkommenserhöhende Wirkung in der eigenen Region als grössere Regionen (vgl. Tab. 3-3, Mitte).

    Tabelle 3-2: Prozentuale Zunahme des nationalen Bruttosozialprodukts

    aufgrund von Ausgabenerhöhungen bzw. Steuersenkungen

    Massnahme des Landes Belgien Frankreich Deutschland Italien Niederlande

    Wirkung auf BSP in Erhöhung der Staatsausgaben (um 5%)

    Belgien Frankreich Deutschland Italien Niederlande

    0,81 0,31 0,14 0,21 0,16

    0,34 2,57 0,88 0,69 0,20

    0,49 1,53 1,64 0,56 0,24

    0,28 1,07 0,47 1,81 0,22

    0,30 0,67 0,30 0,86 0,92

    Senkung der Steuern (um 5%)

    Belgien Frankreich Deutschland Italien Niederlande

    0,67 0,25 0,11 0,18 0,13

    0,32 2,44 0,84 0,66 0,19

    0,61 1,92 2,05 0,70 0,30

    0,32 1,21 0,53 2,04 0,25

    0,38 0,86 0,39 1,10 1,18

    Quelle: Resnick 1968, S. 193.

  • Regionale Makroökonomie

    43

    Da (subnationale) Regionen im Vergleich zum Rest der Welt immer klein sind, haben sie geringe Anreize für konjunkturpolitische Massnahmen. Alle Regionen warten daher bei der konjunkturellen Stabilisierung auf Massnah-men Dritter und zeigen ein Trittbrettfahrerverhalten. Im Bundesstaat kann es deshalb hinsichtlich Konjunkturpolitik zu einem Föderalismusversagen kom-men. Konjunkturpolitik muss deshalb Aufgabe des Bundes beziehungsweise der übergeordneten Gebietskörperschaft (z.B. EU) sein. Anders formuliert: In der heutigen globalisierten Welt müssen konjunkturpolitische Massnahmen international koordiniert werden, wenn sie Erfolg haben sollen. Tabelle 3-3: Auswirkungen von Grossinvestitionen auf die Einkommenslage

    von Bergregionen im Vergleich zu Agglomerationen

    Berggebiet Agglomeration

    Albula- Land- wasser Kraftwerk

    San Ber-nardino- Tunnel

    Meiringen-Hasliberg-Bahnen

    Einkaufs-zentrum Regens-dorf

    Wasser-werk Hardhof Zürich

    Reussport-tunnel Luzern

    Bauzeit in Jahren Einwohner im Projektgebiet Bausumme in Mio. CHF

    7

    12'000

    125

    7

    8'000

    178

    1

    8'000

    18

    4

    719'000

    123

    5

    719'000

    133

    7

    156'000

    44

    Einkommenswirkung im Projektgebiet in Prozent der Bausumme

    Direkte Wirkung Direkte + indirekte Wirkung Induzierte Wirkung Gesamte Wirkung

    9

    4 7 12

    6

    3 7 10

    33

    15 7 22

    82

    42 25 66

    77

    39 23 62

    89

    38 23 61

    Pro Baujahr und pro Kopf in CHF

    Direkte + indirekte Wirkung Induzierte Wirkung Gesamte Wirkung

    74

    129 203

    110 268 378

    346 154 500

    18 11 28

    14 9 23

    16 9 25

    Quelle: Oswald 1980 (Rundungsdifferenzen).

    3.2.2 Interregionaler «Zahlungsbilanz»-Ausgleich Einkommensabflüsse und -zuflüsse haben Auswirkungen auf die Leistungs-bilanz von Regionen. Steigt das Volkseinkommen in Region 1 (Y1), so neh-

  • René L. Frey, Stefan Schaltegger, Markus Gmünder

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    men die Importe aus anderen Regionen (z.B. Region 2) zu (M1 steigt). Die dadurch bewirkte Erhöhung des Einkommens in Region 2 (Y2) führt nun auch dort zu einer Erhöhung der Importe (M2). Da ein Teil der Importe aus Region 1 stammt, nimmt der Export der Region 1 ebenfalls zu. Y1 ↑ M1 ↑ = X2 ↑ Y2 ↑ M2 ↑ = X1 ↑ Da die durch den Einkommensanstieg bedingten zusätzlichen Importe grösser sind als die indirekt zusätzlich bewirkten Exporte (dM1 > dX1), kommt es zu einer Leistungsbilanzverschlechterung, die irgendwie ausgeglichen werden muss.

    Folgende Ausgleichsmechanismen kommen hierfür in Frage: • Spontane Reaktionen: Einkommens- und Multiplikatoreffekte oder

    Preiseffekte (Änderungen der Preisstruktur); • Private Kapitaltransfers: Ausgleich innerhalb überregional tätiger Ban-

    ken, Verschuldung der Defizitregion auf dem Kapitalmarkt, Finanzie-rung von Investitionen in der Defizitregion durch Überschussregionen;

    • Abwanderung: Wegzug von Individuen und Betrieben (Standortverlage-rungen);

    • Staatliche Massnahmen, vor allem solche des Bundes, die zu einem Kaufkraftzufluss in die Defizitregion führen. Dazu zählen Beschaffungs-aufträge der Zentralregierung, Verlagerung von Teilen der Verwaltung, Subventionen, Finanzausgleichszahlungen, Kredite und Bürgschaften zur Förderung von durch ausserregionale Geldgeber finanzierte Investitionen oder direkte staatliche Investitionen in Defizitregionen. In der EU kom-men dem Strukturfonds und dem Kohäsionsfonds diese Ausgleichsfunk-tionen zu.

    Die politischen Konsequenzen dieses Zahlungsbilanzeffekts bezüglich eines integrierten Wirtschaftsraums sind, dass entweder Ausgleichsmassnahmen zu-gelassen (z.B. Abwanderung aus Problemräumen) oder bewusst geschaffen werden müssen (z.B. durch Finanzausgleich).

    «Leistungsbilanzsalden treten nicht nur bei Volkswirtschaften auf, sondern lassen sich auch in hochintegrierten Wirtschaftsräumen, wie

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    sie nationale Volkswirtschaften darstellen, nachweisen. Anders aber als im internationalen Bereich, in dem anhaltende Leistungsbilanzsal-den eine ständige Störungsquelle sind, da sie zu Liquiditätsschwie-rigkeiten der Defizitländer führen und protektionistische Tendenzen fördern, verursachen regionale Leistungsbilanzsalden innerhalb von Volkswirtschaften keine sichtbaren Schwierigkeiten. Die nationalen Volkswirtschaften lösen ihre interne Leistungsbilanzproblematik, in-dem sie die Salden der Defizitregionen – wenn auch mehr oder weni-ger unbewusst – hinnehmen und die Defizite einiger Regionen durch Mittelzufluss aus den Überschussregionen finanzieren. Dabei ist ein wesentliches Kennzeichen dieses interregionalen Finanzierungsme-chanismus, dass die Mittel den Defizitregionen teilweise «à fonds perdu», d.h. also ohne Rückzahlungsverpflichtung, bereitgestellt wer-den [z.B. im Rahmen des Finanzausgleichs].

    Wenn es Ziel internationaler Integrationsbemühungen ist, im Integ-rationsraum quasi binnenwirtschaftliche Verhältnisse zu schaffen [wie in der EU], müssten konsequenterweise [ähnliche Ausgleichsmass-nahmen ergriffen werden]. ... Sofern die Integration gewünscht wird und die Salden nicht verhindert werden können, muss die Bereitschaft der Überschussregionen des Integrationsverbandes sein, den Defizit-regionen Mittel zur Finanzierung ihrer Defizite bereitzustellen.» (Pohl 1971, S. 177 f.).

    3.2.3 Nationale und regionale Konjunkturzyklen Bei der Betrachtung regionaler Konjunkturzyklen stellt sich die Frage, inwie-fern sie mit nationalen oder internationalen Konjunkturschwankungen gekop-pelt sind (bzw. ob sie synchron verlaufen) und ob das Ausmass der Schwan-kungen gleich gross ist.

    Grundsätzlich verlaufen Zyklen umso synchroner, je kleiner eine Region ist. Hohe Import- und Exportquoten führen zu einer starken Übereinstimmung der Konjunkturentwicklung. Zudem sind die Möglichkeiten einer kleinen Re-gion, sich abzuschirmen, gering, da die Geldpolitik national ist (gleiche Wäh-rung) und auch sonst wenig «Filter» bestehen (keine internen Zölle, hohe Fak-tormobilität).

    Regionale Zyklen können sowohl hinsichtlich der Amplituden als auch der Wendepunkte der Konjunkturzyklen von den nationalen abweichen. Gründe sind:

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    • unterschiedliche Branchenstruktur mit einer jeweils unterschiedlichen Konjunkturabhängigkeit (z.B. Investitionsgüterindustrie, Tourismus);

    • unterschiedliche «Auslands»-Abhängigkeit (z.B. stark exportorientierte Regionen, unterschiedliche Absatzräume mit unterschiedlichen Zyklen).

    Folgende Reaktionsmöglichkeiten auf unterschiedliche Konjunkturverläufe von Nation und Regionen lassen sich beobachten: • Randregionen haben mehr Filialbetriebe (sog. verlängerte Werkbänke),

    die im Abschwung meist zuerst redimensioniert oder geschlossen und im Aufschwung zuletzt ausgebaut werden (Schrumpfung zuerst, Expansion zuletzt).

    • Die in Randregionen dominierenden Klein- und Mittelunternehmungen (KMU) weisen in der Regel eine grössere Anpassungsfähigkeit auf.

    • Die Möglichkeit und die Bereitschaft, Beschäftigungsprobleme durch Abwanderung zu lösen, sind unterschiedlich. So findet aus konjunkturel-len Gründen kaum eine Abwanderung aus reichen Problemregionen statt.

    • Die politische Macht, Hilfe des Bundes zu mobilisieren, ist je nach Re-gion unterschiedlich.

    Hieraus lässt sich folgern, dass selbst für kleine Gebietskörperschaften die re-gionalen Konjunkturzyklen nicht einfach Abgüsse der nationalen Entwick-lung sind. Die politischen Folgerungen für die Regierungen kleiner Regionen und des Bundes sind dementsprechend unterschiedlich.

    Im Hinblick auf die Nutzung des Aufschwungs ist regionale Spezialisie-rung günstig. Im Hinblick auf die möglichst gute Bewältigung des Ab-schwungs ist jedoch Diversifikation von Vorteil, weil damit tendenziell eine tiefere Importquote verbunden ist.

    Zur Überwindung des Trittbrettfahrerverhaltens (vgl. 3.2.1) muss die Kon-junkturpolitik auf nationaler – und zunehmend auf internationaler – Ebene konzipiert, koordiniert und finanziert werden. Soweit dies vom Instrumenta-rium her möglich ist, sollte der Massnahmeneinsatz jedoch den regionalen Unterschieden Rechnung tragen, das heisst, regional differenziert erfolgen.

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    3.3 Regionale Wachstumstheorie 3.3.1 Fragestellung Dieser Abschnitt stellt Theorien vor, die das Wirtschaftswachstum von Re-gionen und die Wachstumsunterschiede zwischen Regionen zu erklären ver-suchen. Die im letzten Abschnitt behandelte Konjunkturtheorie beschäftigt sich mit den kürzerfristigen Schwankungen um den langfristigen Trend, die Wachstumstheorie mit dem Trend als Langfristphänomen. Damit wird zu-gleich die theoretische Grundlage geschaffen für die Diskussion, warum es zu regionalen Disparitäten kommt (Abschnitt 3.5).

    Zur Wachstumsanalyse von Regionen gibt es grundsätzlich zwei Ansätze: • regionalisierte globale Wachstumstheorien; • spezifisch regionale Wachstumstheorien.

    Der Fokus beider Ansätze ist auf die Erklärung der langfristigen Einkom-mensentwicklung von Regionen ausgerichtet. Diese Fragestellung ist umso relevanter, je ärmer Regionen sind. Für reiche Volkswirtschaften muss die Optik ausgeweitet werden. Namentlich müssen Umweltfaktoren, der mögli-cherweise abnehmende Grenznutzen von Wertschöpfung und Einkommen so-wie die Lebensqualität mit ihren zahlreichen nichtmonetären Elementen mit-berücksichtigt werden.

    Für die regionale Wachstumsanalyse ist es sinnvoll, vier unterschiedliche Regionstypen zu unterscheiden (vgl. Tab. 3-4). Beispiele für die entspre-chenden Regionstypen sind oder waren: • Problemregionen: Teile von Graubünden, Wallis, Jura und Obwalden; • Entwicklungsregionen: Freiburg und Teile von Bern, Wallis und Grau-

    bünden; • Potenzielle Problemregionen: Neuenburg, Solothurn und Glarus (z.B. als

    Folge der Desindustrialisierung); • Hochentwickelte Wachstumsregionen: Zürich, Zug, Genf und Basel.

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    Tabelle 3-4: Regionstypen nach Wohlstand- und Wachstumsniveau

    Wirtschaftswachstum

    Tief Hoch

    Tief

    Typ 1 Problemregionen

    Typ 2 Entwicklungsregionen

    Wohlstandsniveau, Entwicklungsstand

    Hoch Typ 3 Potenzielle Problemregionen

    Typ 4 Hochentwickelte W