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Coulometrische Titrationen zur Bestimmung des Homogenitätsbereiches von festem Silbersulfid, Silberselenid und Silbertellurid

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Page 1: Coulometrische Titrationen zur Bestimmung des Homogenitätsbereiches von festem Silbersulfid, Silberselenid und Silbertellurid

Zeitschrift für Physikalische Chemie Neue Folge, Bd. 70, S. 113-127 (1970)

Coulometrische Titrationen zur Bestimmungdes Homogenitätsbereiches von festem Silbersulfid,

Silberselenid und SilbertelluridVon

Nilo Valverde

Max-Planck-Institut für physikalische Chemie, GüttingenMit 3 Abbildungen

(Eingegangen am 2. März 1970)

Mit Hilfe coulomotrischer Titrationen unter Benutzung von AgnRbJs alsfestem Elektrolyt wurden die Homogenitätsbereiche der Phasen <x-Ag2Se bei150°C, LX-AgzTe bei 160°C, ß-Ag2S bei 150°C sowie ß-Ag2Se und ß-Ag2Te bei100°C bestimmt. Ferner wurde die Konzentration von Silberionen auf Zwischen-gitterplätzen bzw. Kationenleerstellen sowie die Konzentration von Uberschuß

-elektronén bzw. Defektelekronen in ß-Ag2S, <x-Ag28e, ß-Ag2Se und oc-Ag2Te beiidealer stöchiometrischer Zusammensetzung berechnet bzw. abgeschätzt.

I. EinleitungAufgabe der vorliegenden Untersuchungen ist, die Abweichungen

von der idealen stöchiometrischen Zusammensetzung der Phasenß-Ag2S, a-Ag28e, ß-Ag2Se, <x-Ag2Te und ß-Ag2Te und die hierfür maß-gebenden Konzentrationen der Fehlordnungsstellen als Funktion derSilberaktivität soweit als möglich zu bestimmen.

Von den Verbindungen Ag2S, Ag28e und Ag2Te kennt man jeweils eineHochtemperatur-Modifikation (»-Phase) und eine Tieftemperatur-Modifikation(/3-Phase). Die Umwandlungspunkte liegen bei etwa 176°C für Ag2S 1, 133°Cfür Ag2Se 2 und 132-145°C für Ag2Te 3. Diese Phasen haben folgende Gitter-stukturen :

1 F. C. Kracek, Trans. Amer, geophysic. Union 27 (1946) 364.- Y. Baeb, G. Busch, C. Fröhlich und E. Steigmeier, Z. Naturforsch. 17a

(1962) 886.3 F. C. Kracek und C. J. Ksanda, Trans. Amer, geophysic. Union (1940)

363.

Z. physik. Chem. Neue Folge, Bd. 70, Heft 3/i 8

Page 2: Coulometrische Titrationen zur Bestimmung des Homogenitätsbereiches von festem Silbersulfid, Silberselenid und Silbertellurid

114 Nilo Valverde

1. (x-AgzS und cc-AgzSe: Kubisch raumzentrierte Teilgitter der Schwefel-bzw. Selenionen mit zwei Molekülen in der Elementarzelle4'5.

2. a-AgzTe : Kubisch flächenzentrierte Teilgitter der Tellurionen. Im Gegen-satz zu a-AgiS und a-Ag%Se sind in oc-Ag^Te nicht alle Kationen statistischverteilt, sondern vier Silberionen pro Elementarzelle befinden sich in derPunktlage 4d und bilden zusammen mit den Tellurionen eine Zinkblende-struktur. Die übrigen Kationen sind dagegen statistisch über eine große Anzahlvon Gitterplätzen verteilt4.

3. ß-AgzS: Monoklin mit acht Molekülen in der Elementarzelle4'6.

4. ß-AgzSe: Orthorhombisch7.

5. ß-AgzTe: Wahrscheinlich orthorhombisch mit 48 „Molekülen" in derElementarzelle4.8'9.

II. Coulometrische Titrationskurven

1. Allgemeine TheorieFür die gestellte Aufgabe haben sich coulometrische Titrations-

kurven10 als besonders aufschlußreich erwiesen. Als Elektrolyt wurdedie Verbindung AgtJibJs benutzt, die auch bei Raumtemperatur nocheine Leitfähigkeit von der Größenordnung 0,1 Ohm-1 cm-1 bei prak-tisch ausschließlich Silberionenleitung hat11-12. Bei Stromfluß von

links nach rechts durch die Kette

Ag I AgiRbJ51 Ag2+ôX | Graphit (X = S, Se oder Te) (I)wandern Silberionen durch Ag^RbJ^, und Elektronen aus Graphit indie Silberchalkogenid-Phase, so daß der Silberüberschuß in Ag2+âXerhöht wird. Im Falle eines Silberdefizits ist negativ. Bei Umkehrder Stromrichtung wird der Silberüberschuß erniedrigt. Die Änderungdes Silberüberschusses ist gegeben zu

= . (1)4 P. Rahles, Z. physik. Chem., Abt. 31 (1936) 157.6 L. S. Ramsdell, Amer. Mineralogist 28 (1943) 401.ß H. WiLMAN und A. P. B. Sinha, Acta Crystallogr. 7 (1954) 682.7 M. D. Banus, Science 147 (1965) 732.8 V. Kobrn, Naturwissenschaften 27 (1939) 432.9 J. F. Rowland und L. G. Berry, Amer. Mineralogist 36 (1951) 471.

10 C. Wagner, J. chem. Physics 21 (1953) 1819.11 J. . Bradley und P.D.Greene, Trans. Faraday Soc. 63 (1967) 424.12 . . Owens und G. R. Argue, Science 157 (1967) 308.

Page 3: Coulometrische Titrationen zur Bestimmung des Homogenitätsbereiches von festem Silbersulfid, Silberselenid und Silbertellurid

Der Homogenitätsbereich von Ag2S, Ag2Se und Ag2Te 115

wobei / die Stromstärke, t die Zeit des Stromflusses, die Zahl dergr-Atome Chalkogen und die Faraday-Konstante bedeutet. Imstromlosen Zustand ist die EMK A der Kette (I) gleich

=

-

(µ ß- µ%)ß =

-

(RT/F) In aÄg (2)wobei µ ß das ehemische Potential des reinen Silbers, µ ß das chemi-sche Potential des Silbers in der Silberchalkogenid-Probe und a¿g diezugehörige Aktivität ist.

Eine Auftragung von A gegen ( )—

( = 0) wird als coulo-metrische Titrationskurve bezeichnet. Methoden zur Ermittlung desPunktes ( —0), bei dem die ideale stöchiometrische Zusammen-setzung vorliegt, sowie zur Ermittlung des Silberüberschusses (E = 0)für Silberchalkogenid im Gleichgewicht mit Silber sind unten ange-geben13.

Für die Aufstellung von Gleichungen für den Zusammenhangzwischen E und sind folgende Grenzfälle zu unterscheiden:

a) Die Ionenfehlordnung ist verhältnismäßig hoch und praktischunabhängig von .

b) Die Konzentrationen an Überschußelektronen und Defekt-elektronen sind verhältnismäßig hoch und praktisch unabhängig von .

Folgende Symbole werden eingeführt :

Vm Molvolumen von Aq%X\,ne',nn- Zahl der Überschuß- bzw. Defektelektronen

pro Volumeinheit,Ao Avogadro'sche Zahl,xe' = xh- Molenbruch an Überschußelektronen = Molen-

bruch an Defektelektronen für = 0,xe',xh- Molenbruch der Überschuß- bzw. Defektelek-

tronen,m Elektronenmasse,m* effektive Elektronenmasse,k Boltzmann-Konstante,h Planck'sche Konstante,F Fermi-Dirac-Funktion,E° EMK der Kette (I) für 0 = 0,Ew EMK der Kette (I) beim Wendepunkt der

Titrationskurve,C. Wagneb, Progress in Solid State Chemistry, Bd. 6 (1971), (im Druck).

8*

Page 4: Coulometrische Titrationen zur Bestimmung des Homogenitätsbereiches von festem Silbersulfid, Silberselenid und Silbertellurid

116 Nilo Valverde

= EF/RT reduzierte EMK der Kette (I), = ( = 0)F/RT reduzierte EMK der Kette (I) für à — 0, Wert von beim Wendepunkt der Titrations-

kurve,µ ' chemisches Potential der Elektronen pro Mol,

deren Energie für ne> -> 0 und -> 0 defini-tionsgemäß gleich null gesetzt ist,,

= µß'/RT dimensionslose Variable in der Fermi-Dirac-Punktion,

° Wert von beim Äquivalcnzpunkt, + Wert von in Ag%X im Gleichgewicht mit

Silber, =

( = 0) Silberüberschuß relativ zu einer Probe imGleichgewicht mit Silber,

aAg+> ae' Aktivität von Silberionen bzw. Elektronen.

a) Im Falle vollständiger Ionisation ist der Silberüberschuß gleichder Differenz der Molenbrüche an Überschuß- und Defektelektronen

' Ym (3)

In den Hochtemperatur-Modifikationen der Silberchalkogenide mithoher Fehlordnung der Silberionen ist die Aktivität der .4<7+-Ionenpraktisch unabhängig von der Zusammensetzung. Ohne merklicheEntartung von Elektronen und Defektelektronen gilt daher :

aAg = aAg+ae' — Xe' Wsowie ferner

xe, xh-—

constane. (5)Bei der idealen stöchiometrischen Zusammensetzung sind die

Molenbrüche an Überschuß- und Defektelektronen gleich

av(d = 0) = ,.( = 0) ^x°e,. (6)

Nach Einführung der Hilfsgrößen = EF/RT (7)

= EOF/RT = E(Ô = 0)F/RT (8)

Page 5: Coulometrische Titrationen zur Bestimmung des Homogenitätsbereiches von festem Silbersulfid, Silberselenid und Silbertellurid

Der Homogenitätsbereich von Ag%S, AgzSe und Ag^Te 117

folgt aus Gl. (2) und (4) bis (6)xe, = ° exp [— (e

e0)] (9a)xh. = ° exp [(

0)]. (9b)Einsetzen von Gl. (9a) und (9b) in Gl. (3) ergibt:

= tx^BÜAi— (« — 0)]. (10)Gl. (10) ergibt eine ^-förmige Titrationskurve mit einem Wende-

punkt an der Stelle —

0, = °, d.h. an der Stelle idealer stöchio-metrischer Zusammensetzung.

Durch Differentiation von nach am Wendepunkt erhält man

aus Gl. (10) eine Gleichung zur Ermittlung des Molenbruchs der Über-schußelektronen bei idealer stöchiometrischer Zusammensetzung

x° =

~ (^.«.,¿=0 ·

Im Falle merklicher Entartung der Überschußelektronen trittanstelle von (9 a)14

X° No m 2ä3 No [V> " { '

In Gl. (12) ist F ( ) die Fermi-Dirac-Eunktion, definiert durch dieGleichung

CO

,.

/' u1'2 duF ( ) =

exp (tí—

) + 1ü

mit dem Argument ?y = µß,/ , wobei die Energie der Elektronen fürne, -> 0 und -> 0 definitionsmäßig gleich null gesetzt ist. Zahlen-werte der Funktion F ( ) sind von McDougall und Stoner15 be-rechnet worden.

Aus Gl. (2), (7) und (8) sowie der Hilfsgleichungf-Ag = Pa<j+ + /V = constans + µß, (13)

folgt mit ° = µ„,{ = Ó)/BTo F [ °

( —

0)] „ *V = <' FW) (14)14 . Sommerfeld, . Physik 47 (1928) 1.15 J. McDougall und E. C. Stoner, Philos. Trans. Roy. Soc. London, Ser.

A 237 (1938) 67.

Page 6: Coulometrische Titrationen zur Bestimmung des Homogenitätsbereiches von festem Silbersulfid, Silberselenid und Silbertellurid

118 Nilo Valverde

Einsetzen von Gl. (14) für xe, und (9b) für xh- unter Annahmevernachlässigbarer Entartung der Defektelektronen in Gl. (3) ergibt

0 = <> I f[1í°f¡^ E°)]—

exP ( — e°)J = d · A(?7+

e)—

A · es, (15)wobei zur Abkürzung gesetzt ist :

+ = 4- (16a)

A=x°JF(V°) (16b) = x°e, exp (- e°) (16 c)

Falls <—

1 ist, so gilt mit guter Näherung15F( ) ^ i ^ß7»

d.h. die Entartung der Elektronen fällt nicht wesentlich ins Gewichtund Gl. (15) geht in Gl. (10) über. Mit <

1, m/m* = 0,3 undVm = 37 cm3/Mol für <x-Ag2Se folgt aus Gl. (12), daß hierfür ^<l,3x10~4 entsprechend einer Konzentration von 2 1018 Elektronen/cm3sein muß.

Im Falle merklicher Entartung ergibt Gl. (15) eine asymmetrische -förmige Titrationskurve. Der Wendepunkt ist gegen den Punkt = 0 zu Werten > 0 verschoben.

Experimentell wird nicht <5, sondern d —

( )—

( = 0) erhalten.Für die Auswertung von Versuchsdaten hat man daher

= A F(V+- )- ee- ( = 0). (17)

Weitere Angaben über die Auswertung der vorstehenden Glei-chungen finden sich unten im Zusammenhang mit den Versuchs-ergebnissen für a-Ag2Se und <x-Ag2Te.

b) Wie in 16 berichtet, ist die Elektronen-Teilleitfähigkeit von

ß-Ag2Se bei 100 °C in einem größeren Bereich der Silberaktivitätpraktisch konstant. In diesem Bereich kann mit praktisch konstantenKonzentrationen an Überschuß- und Defektelektronen gerechnetwerden, während die Molenbrüche an Silberionen aus Zwischengitter-plätzen und Silberionenleerstellen, XAg, und xv'Ae, variabel sind. Analogzu Gl. (3) hat man

= XAg\—

Xv'A, (18)10 N. Valverde, Z. physik. Chem. Neue Folge 70 (1970) 128.

Page 7: Coulometrische Titrationen zur Bestimmung des Homogenitätsbereiches von festem Silbersulfid, Silberselenid und Silbertellurid

Der Homogenitätsbereich von Ag2S, Ag2Se und Ag2Te 119

und ferner analog zu Gl. (5) und (6)

%Aq\ \ = constans (19)

* ß,( = 0) = xy'JÒ =0)-s . (20)Im Hinblick auf die praktische Konstanz der Konzentration der

Überschußelektronen erhält man anstatt Gl. (4)

a>Ag = aAg+ae, ~ xAg\ (21)Nach entsprechender Zwischenrechnung erhält man die zu Gl. (10)

analoge Beziehung = 2xAg\ sink [- (

-

")]. (22)Wie im Falle von Gl. (10) ergibt sich eine ^-förmige Titrationskurve

mit einem Wendepunkt an der Stelle = 0, = °. Durch Differentia-tion von nach am Wendepunkt erhält man eine Gleichung zur

Ermittlung des Molenbruchs an Silberionen auf Zwischengitterplätzenbei idealer stöchiometrischer Zusammensetzung,

xo. . (23)

Aus Gl. (22) und (23) erhält man die Beziehung

-

(dôll)e^ = sinÄ(s -£ )· <24)

Bei Auftragung von experimentellen Werten

= ( )- ( = 0)gegen (dôlds)B=ew=eo

und Auftragung von theoretisch berechneten Werten

-

= sinA(8—

°) gegen —

1

(dô/deU

erhält man daher Kurven vom gleichen Typ, die durch Parallel-verschiebung in Richtung der Abszissen- und Ordinatenachse zur

Deckung gebracht werden können. Aus dem Betrag der Verschiebungin Richtung der Abszissenachse erhält man ° und damit nach Gl. (8)die EMK der Kette (I) für 0 = 0.

Page 8: Coulometrische Titrationen zur Bestimmung des Homogenitätsbereiches von festem Silbersulfid, Silberselenid und Silbertellurid

120 Nilo Valverde

2. Gegenseitige Zuordnung der bei verschiedenenTemperaturen erhaltenen Titrationskurven

Wenn in der Kette (I) ein bestimmter Anfangszustand bei 100 °Cim Bereich von ß-Ag2Se mit einer EMK Eß eingestellt ist, so kannman die Kette ohne Verbindung mit einem äußeren Stromkreis, alsobei konstantem Silberüberschuß <5, auf 150 °C erhitzen und die EMKEa messen. Zur Kontrolle kann man die Kette wieder auf 100 °Cabkühlen und prüfen, ob der Ausgangswert Eß wieder erreicht wird,d.h. die Zusammensetzung der Probe konstant geblieben ist. Mankann den Versuch bei verschiedenen Ausgangswerten von Eß wieder-holen, um weitere Information über die gegenseitige Zuordnung derTitrationskurven bei 100° und 150 °C zu gewinnen.

Kennt man die Absolutwerte von für die Titrationskurve von

ß-Ag2Se bei 100 °C, so erhält man nach diesem Verfahren auch dieAbsolutwerte von für oc-Ag2Se bei 150°C; vgl. Abschnitt II.3b.

Im Falle von Ag2Te kann man analog verfahren, um die ó-Wertefür ß-Ag2Te bei 100 °C aus anderweit bestimmten Werten für a-Ag2Tebei 160°C zu erhalten; vgl. Abschnitt II.3c.

3. Herstellung der Präparate und VersuchsanordnungAg2S, Ag2Se und Ag2Te mit einem geringen Überschuß an Chalkogen

wurden aus den Elementen in einem evakuierten Pyrexglasrohr bei 450 °Chergestellt. Silber, Selen und Tellur wurden von der Firma HEK GmbH,Lübeck, mit einer Reinheit von 99,999% bezogen. Schwefel wurde nach vonWartenberg17 gereinigt. Anschließend wurden Ag2S, Ag2Se und Ag2Te zuTabletten gepreßt und in Kontakt mit Ag bei 400°C mehrere Stunden getem-pert. Ag4RbJ¡ wurde von D. O. Raleigh, North American Rockwell Corp.,Thousand Oaks, California, erhalten.

Die -4<7-Elektroden der Kette (I) wurden vor dem Gebrauch kathodischvorversilbert, um die Polarisation an der Phasengrenze Ag/Ag4RbJs herabzu-setzen. Hierzu wurde die Kette

Ag\Ag4RbJ5\Ag (II)

benutzt. Die links stehende Elektrode wurde als Kathode geschaltet undanschließend als Arbeitselektrode in Kette (I) benutzt.

Die einzelnen Tabletten der Kette (I) wurden in eine von Schmalzried 18

angegebene Halterung eingebaut. Die elektrische Schaltung wurde von Wag-ner10 übernommen. Alle Untersuchungen wurden in vorgereinigtem Stickstoffausgeführt.

17 H. von Wartenbebg, Z. anorg. allg. Chem. 286 (1956) 243.18 H. Schmalzbied, Z. physik. Chem. Neue Folge 25 (1960) 178.

Page 9: Coulometrische Titrationen zur Bestimmung des Homogenitätsbereiches von festem Silbersulfid, Silberselenid und Silbertellurid

Der Homogenitätsbereich von Ag2S, Ag2Se und Ag2Te 121

Im Falle von ß-Ag2Se und ß-Ag2Te sind Wartezeiten von einigen Stundennach jedem Stromdurchgang notwendig, um eine konstante EMK entsprechendeiner gleichförmigen Zusammensetzung der Proben zu erhalten, da der Inter-diffusionskoefflzient in diesen Phasen nur von der Größenordnung 10-6 cm2/secist.

a) ß-AgzSAbb.l zeigt die Titrationskurve von ß-AgzS bei 150°C mit einem

sehr kleinen Homogenitätsbereich und einem Wendepunkt beiE = 0,085 Volt. Nach Jost und Kubaschewski19 ist der Molenbruch

Abb. 1. Titrationskurve von ß-Ag2S bei 150°C

an Silberionen auf Zwischengitterplätzen bzw. Silberionenleerstellenvon der Größenordnung 5 10^4 bei 175 °C, somit wesentlich höherals der Variationsbereich von , so daß die Voraussetzungen fürGl. (11) zutreffen. Aus der Steigung der Titrationskurve beim Wende-punkt entsprechend dö/de =

2,4 · 10~6 folgt nach Gl. (11)x% = 1,2 · lO^inß-d^Ä bei 150°C (25)

entsprechend ne,(d = 0) = 2,1 · 1016 Elektronen/cm3. Die Vernach-lässigung einer möglichen Entartung der Überschußelektronen ist

19 W.Jost und P. Kubaschewski, Z. physik. Chem. Neue Folge 60 (1968) 69.

Page 10: Coulometrische Titrationen zur Bestimmung des Homogenitätsbereiches von festem Silbersulfid, Silberselenid und Silbertellurid

122 Nilo Valverde

somit gerechtfertigt. Die Genauigkeit der Angabe in Gl. (25) ist aller-dings relativ gering, da die Bestimmung des Steigungsmaßes imWendepunkt der Titrationskurve bei so kleinem Homogenitätsbereichder ß-^g^-Phase einigermaßen unsicher ist.

b) oc-AgzSe und ß-Ag%SeTitrationskurven von <x-Ag%Se wurden bei 150°C und von ß-AgzSe

bei 100°C aufgenommen; vgl. Abb.2. Für ß-Ag^Se bei 75°O wurdeeine Kurve ähnlich wie bei 100 °C, jedoch mit etwas steilerem Verlauferhalten.

- Ô-103Abb.2. Titrationskurven von Ag2Se: a) a-AgySebei 150°C; 6) ß-Ag2Se bei 100°C

Da die Elektronen-Teilleitfähigkeit von ß-Ag^Se bei 100 °C beiSilberaktivitäten entsprechend E = 0,1—0,3 Volt angenähert konstantist le, so kann die Auswertung mit Hilfe von Gl. (18) bis (23) erfolgen.Der Punkt (5 = 0 ist durch den Wendepunkt der Titrationskurvegegeben. Aus dem Steigungsmaß kann man nach Gl. (23) den Molen-bruch an Silberionen auf Zwischengitterplätzen bei = 0 berechnen.Der Wert E° wurde graphisch nach dem in Anschluß an Gl. (24)ermittelten Verfahren ermittelt. Die erhaltenen Daten sind in Tab. 1mitgeteilt.

Nachdem Absolutwerte von für 100 °C aus dem Wendepunkt derTitrationskurve in Abb. 2 eingetragen sind, können auch die Absolut-werte von für 150 °C aus EMK-Messungen bei 100° und 150 °C bei

Page 11: Coulometrische Titrationen zur Bestimmung des Homogenitätsbereiches von festem Silbersulfid, Silberselenid und Silbertellurid

Der Homogenitätsbereich von Ag2S, Agi.Se und Ag2Te

Tabelle 1. Auswertung der Titrationskurven von ß-Ag2Se

123

Temp.°C

Ew = E°(Volt) (d(5/de)e=s. xAg\

75100

0,1920,195 -

1,2

10-5

-

2,8 · 10-56 · 10-«

1,4 · 10-5

konstanter Zusammensetzung nach Abschitt II.2 erhalten werden;vgl. Abb.2. Es ergibt sich, daß im ganzen Homogenitätsbereich der -Phase <5 positiv ist. Der Wert = 0 entspricht einem Gemenge derPhasen a-Ag2Se und festem Selen. Durch eine geringfügige Extrapola-tion erhält man die EMK A° = 0,273 V für oc-Ag28e(ö = 0) als meta-stabile Phase (übersättigt in bezug auf Selen). Der zugehörige Wert 0 = A<>F/AT ist gleich 7,5.

Für den Verlauf der Titrationskurve von a-Ag2Se zwischen E = 0bis 0,2 Volt sind im wesentlichen die Überschußelektronen bestimmend.Daher kann Gl. (15) für < 5 in der vereinfachten Form

Die Werte von (d /d ) =0 und ( = 0) sind experimentell bekannt.Die Funktionswerte von A und F' sind durch die Tabellen vonMcDougall und Stoner15 gegeben. Somit ist Gl. (28) eine trans-zendente Gleichung für + als Unbekannte, deren Wert numerischzu ermitteln ist. Alsdann kann man den Wert von A aus Gl. (26)für = 0 berechnen. Weiter kann man ° aus Gl. (16a), x°, ausGl. (16b) und aus Gl. (16c) berechnen. Schließlich kann aus Gl. (12)für xe, = x° und = ° das Verhältnis der effektiven Masse ra* zurMasse m des freien Elektrons berechnet werden,

= · { +-

(26)benutzt werden.

Durch Differentiation von Gl. (26) folgt

(27)Durch Division von Gl. (26) und (27) folgt

E' ( +)-

(dôjde)e~oF ( +) 0( = 0) (28)

TO* 1 2h3x'e,N0 12/3 (29)m SmkT [nVmF(v")Die Daten zur Auswertung der Titrationskurve von <x-Ag2Se bei

150 °C sind in Tab. 2 zusammengestellt.

Page 12: Coulometrische Titrationen zur Bestimmung des Homogenitätsbereiches von festem Silbersulfid, Silberselenid und Silbertellurid

124 Nilo Valverde

Tabelle 2. Auswertung der Titrationskurven von a-Ag-¿Se bei 150°C

dô, experimentellde /e=o

°, extrapoliert { = 0) aus Abb. 2

Aif™oxe, m* Im

aus Gl. (28)aus Gl. (26)aus Gl. (16a)aus Gl. (16b)aus Gl. (16c)aus Gl. (29)

-

7,5 · IO-»

7,537,2

·

IO-4

-

7,252,8

-

0,281,58,10,33

IO"4

lO-iio-*

c) a-Ag?,Te und ß-Ag^TeTitrationskurven von a-Ag2Te bei 160°C und ß-Ag2Te bei 100°C

sind in Abb. 3 wiedergegeben. Da die Kurven konkav gegen dieAbszissenachse gekrümmt sind, so hat man in Ag%Te im Gegensatzzu AgzS und Ag^Se im wesentlichen ein Silberdefizit ( < 0).

Für Werte von , die wesentlich größer als e° sind, kann man denBeitrag der Überschußelektronen vernachlässigen und somit anstattGl. (17) schreiben

= e" + <5( = 0) für > ° (30)

Bei Auftragung von — ( ) gegen ee erhält man als Asymptote fürhohe Werte von eine Gerade mit dem Steigungsmaß

d~dec (31)

Der auf ee = 0 extrapolierte Ordinatenwert der Asymptote istgleich <5( = 0). Derart erhält man ( = 0) =

1 ( ± 1) · IO"4 für -AgzTe bei 160 °C.

Eine Abschätzung von x° kann man in folgender Weise erhalten.Durch Differentiation von Gl. (15) für = 0 folgt

dôde = <·

F' (rf)F{v°) + 1 (32)

Durch Multiplikation entsprechender Seiten von Gl. (12) für = °, = ° und von Gl. (32) folgt

ATo / dôVm \ de /

(8m* IcTf (33)

Page 13: Coulometrische Titrationen zur Bestimmung des Homogenitätsbereiches von festem Silbersulfid, Silberselenid und Silbertellurid

Der Homogenitätsbereich von Ag2S, Ag2Se und Ag2Te 125

Da ( = 0) =

1 ( ± 1) IO-4 ist, also der Punkt 0 = 0 inunmittelbarer Nähe des Fußpunktes der Titrationskurve für a-Ag2Teliegt, so kann man in Gl. (33) näherungsweise ( / ) = 0 gleich( / ) =0 setzen. Ferner kann man als Näherung in Gl. (33) füra-Ag2Te dieselbe effektive Elektronenmasse wie für c<-Ag2Se einsetzen(m*/m = 0,33). Dann ist Gl. (33) eine transzendente Gleichung für ° als Unbekannte. Numerische Auswertung ergibt ° =

2,8. NachEinsetzen von ° =

2,8 in Gl. (32) kann man x\, berechnen; vgl.Tab. 3. Somit sind die Elektronen in a-Ag2Te praktisch nicht entartet.

-74 -12 -10 -ß -6 -4 -2 ±0 +2-- 6-10'

Abb. 3. Titrationskurven von ^2Te: a) x-Ag2Te bei 160°C; 6) ß-Ag2Tc bei 100°C

Durch Zuordnung der für x-Ag2Te und ß-Ag2Te erhaltenen Titra-tionskurven nach dem in Abschnitt II.3 beschriebenen Verfahrenergibt sich für ß-Ag2Te bei 100°C ( = 0) 1,8 · 10~4 undA° = 0,045 V; vgl. Abb.3. Somit weist ß-Ag2Te bei 100°C im Gleich-

Tabelle 3. Auswertung der Titrationskurve von x-Ag2Te bei 160° G

( / ) =0expej'im.

-

7,S

IO-5

graph.

1,4 · 10--

( = 0)graph.

-

1,0 · IO-*

Gl. (33)

-2,8

4Gl. (32)

3,9 · 10-5

Page 14: Coulometrische Titrationen zur Bestimmung des Homogenitätsbereiches von festem Silbersulfid, Silberselenid und Silbertellurid

126 Nilo Valverde

gewicht mit Silber einen kleinen Silberüberschuß auf, währendoí-Ag<¿Te bei 160 °C im Gleichgewicht mit Silber ein geringes Silber-defizit aufweist.

III. DiskussionDie wesentlichen Ergebnisse dieser Untersuchung sind in Tab. 4

und 5 zusammengestellt. Gemäß Tab. 4 haben a-Ag<i8 und o<,-Ag<¿Seim ganzen Homogenitätsbereich einen Silberüberschuß, währenda-Ag2Te ein Metalldefizit aufweist. Ein Metalldefizit ist zwangsläufig

Tabelle 4. Homogenitätsbereich der Silberchalkogenide

Phase Temp.°C

<5

104 Zitat

a-AgzSß-AguSa-AgzSeß-AgySea-AgzTeß-AgzTe

200150150100160100

0 bis0,35 bis0 bis2,0 bis

14,0 bis11,3 bis

22+ 0,18+ 36,5+ 6,5-

1,0+ 1,8

10

Abb.lAbb. 2Abb. 2Abb. 3Abb. 3

Tabelle 5. Molenbrüche von Silberionen auf Zwischengitterplätzen bzw. Kationen-leerstellen (x°Ag¡. = Xylg) und von Überschußelektronen bzw. Defektelektronen

(x°, = x°.J in Silberchalkogeniden bei idealer Zusammensetzung ( = Û)Phase Temp.

'Agi · Zitat Zitat

ß-AgiSoí-Ag-¡Seß-Ag%Se

a-AgzTe

15015010075

160

~ 5 10"4~ 11,4 · IO-5

6 · 10-6

19

4

Tab. 1Tab. 1

1,21,5

io-io-

4

10-

Gl.(25)Tab. 2

Tab. 3

mit dem Vorhandensein von Defektelektronen verbunden, d.h. ent-weder mit dem Auftreten von Metallionen in einer höheren Wertig-keitsstufe, z.B. Ag2+, oder mit dem Auftreten von Anionen in einerniederen Wertigkeitsstufe, z.B. neutralen Bromatomen in AgBr. Dader Übergang von ^4gr+-Ionen in j4gr2+-Ionen eine Energie von 21,4Elektronenvolt erfordert, so erscheint das Auftreten von Anionen ineiner niedrigeren Wertigkeitsstufe, also z.B. Ter, wahrscheinlicherals das Auftreten von ^4gf2+-Ionen. Im Einklang mit dem allgemeinenVerhalten der Chalkogene nimmt die Tendenz zur Bildung von ein-wertigen Anionen beim Übergang von Schwefel zu Selen und Tellur zu.

Page 15: Coulometrische Titrationen zur Bestimmung des Homogenitätsbereiches von festem Silbersulfid, Silberselenid und Silbertellurid

Der Homogenitätsbereich von Ag2S, Ag^Se und Ag%Te 127

Die Abstufung in der Lage der Homogenitätsbereiche der drei Silber-chalkogenide ist somit qualitativ verständlich.

Die in Tab. 5 zusammengestellten Konzentrationen an Fehl-ordnungsstellen bei idealer stöchiometrischer Zusammensetzung sindmit erheblichen Unsicherheiten belastet, da zur Auswertung eineReihe von Näherungsannahmen benutzt worden sind. Dennocherscheint es wertvoll, wenigstens die Größenordnung angeben zu

können.

Herrn Professor Dr. Carl Wagner danke ich herzlich für dieAnregung zu dieser Arbeit und für ständig fördernde Unterstützung.Herrn Dr. D.O. Raleigh danke ich für die Überlassung von Äg/JibJ^.