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B 16 Sportlich kurz Darf es diesmal etwas Besonderes sein? Der exklusive Setra-Midi verwöhnt seine Fahrgäste fast individuell. Der Fahrer, gut motiviert, ist hier eher Chauffeur. Unterwegs in den Bergen zeigt der kurze Hochdecker seine flinken Talente. Test_Setra S 511 HD Hingucker in Hawaiblau: Der kurze und souverän motorisierte Setra-Hochdecker S 511 HD. Unten links: Gute Traktion im Winter – der lange Überhang im Heck belastet die Antriebsachse. Unten rechts: Die optionalen LED-Scheinwerfer sind ihr Geld wert. Bus12_S016_020.indd 16 05.12.17 14:53

Bus12 S016 020 - BUS-Fahrt · Jetzt gibt sich der S 511 HD nicht mehr so exklusiv wie bisher, der Setra-Midi reiht sich heute in der Comfortclass ein, nicht wie sein elitärer Vorfahr,

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Sportlich kurzDarf es diesmal etwas Besonderes sein? Der exklusive Setra-Midi verwöhnt seine Fahrgäste fast individuell. Der Fahrer, gut motiviert, ist hier eher Chauffeur. Unterwegs in den Bergen zeigt der kurze Hochdecker seine flinken Talente.

Test_Setra S 511 HD

Hingucker in Hawaiblau: Der kurze und souverän motorisierte Setra-Hochdecker S 511 HD. Unten links: Gute Traktion im Winter – der lange Überhang im Heck belastet die Antriebsachse. Unten rechts: Die optionalen LED-Scheinwerfer sind ihr Geld wert.

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Auch wenn die Zweiachser jetzt län-ger und schwerer werden dürfen – für den kurzen Setra spielen die

neuen Gewichte nur eine periphere Rolle. 19,5 t Gesamtgewicht? Braucht er nicht, in keiner Lebenslage. Und dennoch darf er heute mehr zuladen, sein Hersteller gibt ihm nun 19 t, eine Tonne mehr zu-lässiges Gesamtgewicht mit auf den Weg. Ob der aktuell kleinste Setra davon profi-tiert? Es ist ja nur eine Folge der Modula-rität: Schließlich rollt er als Benjamin der Comfortclass-Familie auf den stämmigen Reisebus-Achsen der großen Kollegen.

Nicht mehr so exklusivEin wenig Vorfreude darf schon sein, wenn sich ein Setra-Midi im Redaktions-alltag ankündigt. Die Testfahrt, man erin-nert sich gern an legendäre Ausfahrten mit dem Vorgängermodell S 411HD, führt auch diesmal über knifflige Sträßchen in den Alpen. Aber zuerst der obligate Rundgang ums Objekt der Begierde: Rein optisch mag der 511er, fast 3,80 m hoch aufragend mit kurzem Radstand und lan-gem Heck, ein wenig gewöhnungsbedürf-tig sein. Lange Radstände strecken die Omnibus-Proportionen, Midis aus dem Baukasten sehen eben so aus, so kommt der Setra-Midi schon seit jeher daher.

Jetzt gibt sich der S 511 HD nicht mehr so exklusiv wie bisher, der Setra-Midi reiht sich heute in der Comfortclass ein, nicht wie sein elitärer Vorfahr, der noch in der Topclass beheimatet war. Er tickt jetzt normaler, mit mehr Varianten, spielt nicht nur den Part der Großraumli-mousine. Er kann aber, wenn man es will. Schließlich verspricht dieses Fahrzeug-konzept mehr Individualität, die Kommu-nikation kleiner Gruppen. Und den vol-len Komfort großer Reisebusse, wenn an der Ausstattung nicht gespart wird. Vor dem Einsteigen und in Erinnerung an die letzte 411er-Tour hatten uns gleich auf einen frisch gebrühten Espresso gefreut. Ein Kaffee aus der großen Filtermaschi-ne, ja den gäbe es – trifft aber weniger unseren Geschmack.

Der hawaiiblaue S 511 HD fährt mit 30 + 2 Fahrgastsitzen auf den Hof, hier sitzen die Fahrgäste mit 5-Sterne-Kom-fort schon sehr entspannt. Er kann aber auch anders, voll bestuhlt mit den mög-lichen 43 wäre er fast ein Großer. Im Vergleich zum Vorgänger nahm er in der Länge um 36 cm zu, 23 davon stecken im

hinteren Überhang. Denn im Heck muss statt des kurzen V6 jetzt der längere Rei-hensechszylinder untergebracht werden. Mitsamt einem Achtgang-Getriebe, auto-matisiert natürlich, der Kunde kann bei der Anschaffung sparen und das günsti-gere 6-Gang-Handschaltgetriebe wählen.

Vorteil: Mittel- oder Heckeinstieg

Ein Pluspunkt des S 511 HD, den es bei den meisten Wettbewerbern nicht gibt, liegt im optionalen Heckeinstieg. So pro-fitiert der Setra mit einem größeren Kof-ferraum, mit knapp 8 m3 können in dieser Klasse nicht viele dienen. Gut gelöst ist Anordnung der ebenerdig zugänglichen Hecktoilette, die auch mit ihren Maßen nicht kneift. Gleich daneben ein Küchen-block mit Kühlschrank und Arbeitsflä-che, so lässt es sich arbeiten. Selbst die Treppe im Heck bietet nicht Ansatz zu Kritik, etwas schmale, aber ebenmäßige

Stufen führen nach oben – links mangelt es an geeigneten Handläufen, rechts ist keiner.

Es sind nur Details, die leicht zu be-heben wären – die Kritik muss sich ein Omnibus dieser Preisklasse schon ge-fallen lassen. Nach der ersten Begehung darf es endlich losgehen: Platz nehmen hinter dem Steuer, die Fahrerkarte ge-steckt. Auch Langbeiner kommen gut unter, das Lenkrad geht prima zur Hand. Die hängenden Pedale sind ein Gedicht, auch die Feststellbremse links neben dem Sitz wird intuitiv bedient. Ein wenig Orientierung vor dem Start verlangt das Cockpit. Der Setra hat zahlreiche elek-tronische Helferlein und viele Tasten, auch im Menü des Bordrechners klicken wir uns durch. Nachdem die wichtigsten Funktionen verstanden sind, noch ein erster Blick in die Spiegel: Einwandfreie Sicht nach beiden Seiten, jetzt aber los.

Perfektes HandlingSchon auf den ersten Metern lässt sich der 511er fast spielend dirigieren. Man wähnt sich fast auf Sprinter-Niveau, und das wäre ja keine schlechte Referenz. Auf den engen Straßen, dann auf kurvigen

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Regelmäßige Stufen im Heckeinstieg: Auf der rechten Seite gibt es keinen Handlauf.

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Test_Setra S 511 HD

Antrieb durchzugsstarker Sechszylinder-Diesel

verbrauchsoptimierter Antriebsstrang

hohe Fahrleistungen sehr genügsamer Kraftstoffverbrauch

Fahreigenschaften sicheres Fahrverhalten mit gutem Grundkomfort

Geradeauslauf mit Anfälligkeit bei Seitenwind und Spurrillen.

Sicherheit moderne Bremsanlage bärenstarker, feinfühlig regelbarer Wasserretarder

vorbildliche Sicherheit mit ESP, Bremsassistent und DBL serienmäßig, lieferbar mit ART, ABA (Notbremsassistent!), SPA und Attention Assist

LED-Licht mit guter Fahrbahnausleuchtung

Fahrgastkomfort guter Fahrgastkomfort (Heizung/Lüftung/Klima, 19-Zoll-Bildschirme)

sehr leise Geräuschkulisse Rückenlehnen der Voyage-Fahrgastsitze kurz

Neigung zu Nickschwingungen auf unruhiger Fahrbahn

Fahrerarbeitsplatz übersichtlich modernes Cockpit mit optimierter Ergonomie

ausreichend große und kleine Ablagen

gut einsehbar: der Digitacho, das Display und der Navimonitor

Technische Daten: Setra S 511 HD

Motor Reihensechszylinder OM 470 LA, stehend im Heck, 2 obenliegende Nockenwellen, 4 Ventile pro Zylin-der, Turbolader und Ladeluftkühlung, elektronische Common-Rail-Direkteinspritzung, abgasarm nach Euro 6 mit AGR, SCR-Kat und DPF.Hubraum 10.700 cm³Nennleistung 290 kW/394 PS bei 1.800/min Max Drehmoment 1.900 Nm bei 1.100/min

Kraftübertragung

Automatisierte Einscheibentrockenkupplung, au-tomatisiertes 8-Gang-Schaltgetriebe GO 250-8 Powershift, Übersetzungen i = 6,57–0,63, einfach untersetzte Hinterachse, i = 3,583; Tempo 100 bei 1.189/min.

Fahrwerk

Luftfederanlage mit elektronisch geregelter Fahr-werkregulierung durch Wegsensoren; vorne Einzel-radaufhängung ZF RL 75 E mit Doppelquerlenkern und zwei Luftbälgen, zwei Stoßdämpfer und Stabi-lisator, max. Achslast 7,5 t; hinten starre Antriebs-achse RO 440, vier Luftbälge, vier wegabhängige Stoßdämpfer, Stabilisator, max. Achslast 11,5 t; Rei-fen 295/80 R 22,5.

Lenkung

ZF-Kugelmutterlenkung Typ Servocom 8098, Über-setzung variabel 17,0–21,0:1.

Maße und GewichteLänge/Breite/Höhe 10.465/2.550/3.770 mmRadstand 5.005 mmÜberhang vorn 2.265 mmÜberhang hinten 3.195 mmWendekreis 17.468 mmKofferraumvolumen max. 8 m³ (Heckeinstieg mit Toilette)Leergewicht lt. Hersteller 12.325 kgZul. Gesamtgewicht 19.000 kg

NettopreisTestfahrzeug: 307.000,00 Euro

Messwerte Testbedingungen: 0,5 bis 10°C, nasse Straßen, Wind

Gefahrene Kilometer: 66,8 kmDurchschnittlicher Kraftstoffverbrauch 20,43 l/100 km

Kraftstoffverbrauch der einzelnen EtappenKonstantverbrauch bei 100 km/h 18,52 l/100 km

Autobahn mittelschwer 18,53 l/100 km Durchschnittsgeschwindigkeit bei 97,44 km/h

Landstraße 19,38 l/100 km Durchschnittsgeschwindigkeit bei 63,09 km/h

Bergwertung (durchschn. 10 % Steigung) 108,11 l/100 km Durchschnittsgeschwindigkeit bei 55,72 km/h

FahrdynamikBeschleunigung 0–50/60/80/100 km/h 14,8/17,7/27,1/38,5 sElastizität 80–100 km/h, 12. Gang 12,0 s

Innengeräusche in dB(A) 80 km/h Front/Mitte/Heck 61,1/59,8/58,7 100 km/h in dB(A) 68,3/66,1/67,4

Was unser Tester sagtWolfgang Tschakert

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Landstraßen ist der kurze Setra in sei-nem Element. Er dreht fast auf der Stelle und zirkelt haargenau um jede kniffli-ge Kehre. Er hat aber auch den nötigen Dampf, um nach einer Bremsung sofort wieder in Schwung zu kommen – nichts stockt, nichts hemmt, beinahe fließend bewegt sich der kurze Setra im hekti-schen Verkehr.

Hat er jetzt mehr Leistung? Nein, es bleibt bei fast 400 PS und 1.900 Nm, es gibt nur diese Leistung. Aber statt des domestizierten V6-Diesel sitzt jetzt ein kräftiger Reihensechszylinder mit 10,7 l Hubraum im Heck. Der zweitgrößte Om-nibusmotor des Hauses tritt ohne Tur-boloch recht kräftig an und setzt auch feinnervig um, was der Fahrer von ihm verlangt. Kein Wunder: Hier treffen 394 PS auf 15 t Gesamtgewicht, mehr wer-den es selten. Er beschleunigt zügig, aber nicht fulminant, die Techniker ha-ben den Reihensechser mit einer langen Spritspar-Übersetzung an die kurze Lei-ne gelegt. Der Erfolg gibt ihnen Recht, der 511er ist kein Spritverschwender. Bei konstant Tempo 100 und 1.190 Touren zieht der Diesel durchschnittlich 18,5 Ll

aus dem Tank, hier machen sich die aero-dynamischen Qualitäten bemerkbar. Wie alle aktuellen Setra-Modelle duckt sich auch der Midi ab 95 km/h per Niveaure-gulierung noch ein wenig näher an die Fahrbahn.

Eine absolute Empfehlung ist uns das automatisierte Powershift-Getriebe wert. Zwei Gänge mehr als das Hand-schaltgetriebe sind dann ein Segen, wenn es knüppelhart kommt – wie eben an unserem Testberg, den der 511er fast in Rekordzeit hinaufstürmt. Jede Schal-tung sitzt, auch auf steilen Passstraßen. Man kann auch manuell eingreifen. Ein Fingertipp nur am Lenkstockhebel, man macht nur selten davon Gebrauch. Vor al-lem im städtischen Verkehr fährt es sich mit Automatik so viel einfacher – und kuppeln mit dem linken Fuß? Ein Relikt von gestern, wir denken nicht daran.

Komplette SicherheitsausstattungIn der Stadt, auf kniffligem Geläuf, sam-melt der kurze Setra zuhauf Sympathie-punkte. Wie liegt ihm die Autobahn, die Langdistanz? „Länge läuft“, sagen die Fahrzeugtechniker, und wir müssen

Attraktive Voyage-Ambassador-Sitze: Mit 30er-Bestuhlung lässt es sich trefflich reisen. Stehküche mit großer Arbeitsfläche. Coach MediaRouter von Bosch: Der mobile WLAN-Access darf in einem Reisebus heute nicht fehlen.

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ihnen mit Blick auf unseren Setra bei-pflichten. Nein, so stoisch wie ein langer Omnibus läuft er nicht geradeaus. Er re-agiert auch feinfühliger auf Spurrillen und starken Seitenwind, dann fordert er ein wenig Aufmerksamkeit und ein paar Korrekturen. Mit der straffen und präzi-sen Lenkung hat man ihn sofort wieder im Griff. Geht es über ondulierte Land-straßen mit Senken und Kuppen, nickt der kurze Setra kräftiger als die langen Kollegen. Die kräftigen Stabilisatoren an beiden Achsen können es allein nicht

richten – sonst würde der Federungskom-fort des sportlich straffen Setra zu sehr darunter leiden. Vielleicht eine Frage des Fahrwerk-Setups – wie wär’s mit adapti-ven Dämpfern?

Zur Ehrenrettung unseres 511ers muss hier stehen, dass wir uns in kei-ner Situation unwohl gefühlt haben. Und schon gar nicht, wenn es um das Thema Sicherheit ging. Der kurze CC 500 bietet alles auf, vom Abstandsregeltempomaten bis zum Notbremsassistenten, der einen Auffahrunfall verhindern kann. Auch die passive Sicherheit kommt nicht zu kurz, selbst im verkürzten Vorbau des Midi sitzt ein Front Collision Guard. Natürlich darf der viel gepriesene intelligente GPS-Tem-pomat nicht fehlen. Er heißt bei Daimler PPC oder Predictive Powertrain Control und soll für besonders niedrige Kraftstoff-verbräuche sorgen. Unsere Versuche bei dichten Verkehr auf der Autobahn waren nur wenig erfolgreich, vorausschauend mit dem Pedal fahren brachte hier besse-re Ergebnisse.

Auf dem Weg zurück, wo wir zum Fahrgasttester mutieren, fällt uns die Ab-lösung ungewohnt schwer. So viel Spaß am Omnibusfahren wie heute erleben wir nur selten. Dabei winkt jetzt das Wohlge-fühl eines sehr leisen Innenraums, die perfekte Klimatisierung, ein wohlver-

dientes Kaltgetränk. Sich wohlig in den feinen Sitzen räkeln, wo nur zu kurze Rückenlehnen stören. Wenn der relativ steifbeinige Setra mal über Querfugen poltert, dann klappert nichts, nichts zirpt. Nur die City-Plus-Bereifung (Continental) singt ihren Blues, je länger, desto lauter – und nervt vor allem auf den hinteren Sitzreihen.

Unter dem StrichSo ein Setra-Midi ist ja kein billiges Ver-gnügen. Mit mindestens 280.000 Euro ist man dabei, da bekommt man bei an-deren Anbietern schon ausgewachsene Reisebusformate. Gewiss gäbe es auch billigere Fahrzeuge, mit schmalspurigen Fahrwerken, mit schwächlichen oder lär-migen Motoren. Der Erfolg der kurzen Setras hat auch andere Hersteller nicht ruhen lassen. Bei van Hool, bei VDL oder beispielsweise Scania verfolgt man das gleiche Konzept: großzügiges Fahrwerk, stämmiger Motor und großer Komfort. Die Luft wird dünner, und doch bleibt der kurze Setra das Original. Sein Mehrpreis fließt durch die hohe Wertschätzung der Gebrauchtwagenkunden beim Verkauf wieder zurück. Zumindest teilweise, den Rest rechtfertigt das beinahe lückenlose Servicenetz des Herstellers.

Wolfgang Tschakert

Attraktives Setra-Cockpit: stimmige Ergonomie, viele Tasten mit guter Grundordnung.

Laden und streamen: USB-Steckdosen an den Außenwänden, für jeden Sitzplatz eine.

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