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Morphologie / Morphology HSK 17.1

Burkhardt Armin - Morphology an International Handbook on Inflection and Word Formation Vol 1

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  • Morphologie / Morphology

    HSK 17.1

  • Handbcher zurSprach- und Kommunikations-wissenschaftHandbooks of Linguisticsand Communication Science

    Manuels de linguistique etdes sciences de communication

    Mitbegrndet vonGerold Ungeheuer

    Herausgegeben von / Edited by / Edites parArmin BurkhardtHugo StegerHerbert Ernst Wiegand

    Band 17.1

    Walter de Gruyter Berlin New York2000

  • MorphologieMorphologyEin internationales Handbuch zur Flexion undWortbildungAn International Handbook on Inflection andWord-Formation

    Herausgegeben von / Edited byGeert Booij Christian Lehmann Joachim Mugdanin collaboration with Wolfgang Kesselheim Stavros Skopeteas

    1. Halbband / Volume 1

    Walter de Gruyter Berlin New York2000

  • Gedruckt auf surefreiem Papier, das dieUS-ANSI-Norm ber Haltbarkeit erfllt.

    Library of Congress Cataloging-in-Publication Data

    Morphologie : ein internationales Handbuch zur Flexion und Wortbil-dung / herausgegeben von Geert Booij, Christian Lehmann, JoachimMugdan, unter Mitarbeit von Wolfgang Kesselheim und Stavros Skope-teas Morphology : an international handbook on inflection and word-formation / edited by Geert Booij, Christian Lehmann, Joachim Mugdanin collaboration with Wolfgang Kesselheim, Stavros Skopeteas.

    p. cm. (Handbcher zur Sprach- und Kommunikationswis-senschaft Handbooks of Linguistics and communication science ;Bd. 17-1)

    German, English, and French.Includes bibliographical references.ISBN 3-11-011128-4

    1. Grammar, Comparative and generalMorphologyHandbooks,manuals, etc. I. Title: Morphology. II. Title: Internationales Handbuchzur Flexion und Wortbildung. III. Title: International handbook on in-flection and word-formation. IV. Booij, G. E. V. Lehmann, Christian. VI.Mugdan, Joachim. VII. Handbcher zur Sprach- und Kommunikations-wissenschaft ; Bd. 17-1

    p241 M599 2000415dc21

    00-063804

    Die Deutsche Bibliothek CIP-Einheitsaufnahme

    Morphologie : ein internationales Handbuch zur Flexion und Wortbil-dung Morphology / hrsg. von Geert Booij . Berlin ; New York :de Gruyter

    (Handbcher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft ; Bd. 17)Halbbd. 1. (2000)

    ISBN 3-11-011128-4

    Copyright 2000 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 BerlinDieses Werk einschlielich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschtzt. Jede Verwertung auerhalb derengen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulssig und strafbar. Dasgilt insbesondere fr Vervielfltigungen, bersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung undVerarbeitung in elektronischen Systemen.Printed in GermanySatz: Arthur Collignon GmbH, BerlinDruck: Hubert & Co, GttingenBuchbinderische Verarbeitung: Lderitz & Bauer-GmbH, BerlinEinbandgestaltung und Schutzumschlag: Rudolf Hbler, Berlin

  • Inhalt / Contents

    1. Teilband / Volume 1

    Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIIIPreface . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXI

    I. Morphologie als DisziplinMorphology as a discipline

    1. Wolfgang U. Wurzel, Der Gegenstand der Morphologie . . . . . . 12. Paul Salmon, The term morphology . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153. Vladimir A. Plungian, Die Stellung der Morphologie im

    Sprachsystem (bersetzung: Robert Hammel) . . . . . . . . . . . . 22

    II. Geschichte der morphologischen Forschung I:von der Antike bis zum 19. JahrhundertHistory of morphological research I:From antiquity to the 19th century

    4. Jeremy Black, The Ancient Near East . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355. George Cardona, Old Indic grammar . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416. Robert H. Robins, Classical Antiquity . . . . . . . . . . . . . . . . . 527. Jonathan Owens, Traditional Arabic grammar . . . . . . . . . . . . 678. Vivien Law, The Middle Ages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 769. Von der Renaissance bis ca. 1800 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

    10. Sabine Ziegler, Das 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91

    III. Geschichte der morphologischen Forschung II:Forschungstraditionen im 20. JahrhundertHistory of morphological research II:Research traditions in the 20th century

    11. Clemens Knobloch, Schulgrammatik als Modell linguistischerBeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104

    12. Henry M. Hoenigswald, Historical-comparative grammar . . . . . 11713. berblick: die europische Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12414. Sebastian Kempgen, Osteuropa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12515. Francoise Kerleroux, France and Switzerland (Translation:

    Rachel Pankhurst) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13816. Even Hovdhaugen, Scandinavia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14517. Francis Katamba, Britain . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

  • VI Inhalt / Contents

    18. Wolfgang Motsch, Germany . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15719. Henk Schultink, The Netherlands (Translation: Geert Booij) . . . 16220. John Fought, American Structuralism . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17021. Ruth M. Brend, Tagmemics . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19122. Mark Aronoff, Generative grammar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194

    IV. GrundbegriffeBasic concepts

    23. Pierre Swiggers, Linguistic sign . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21024. Jaap van Marle, Paradigmatic and syntagmatic relations . . . . . . 22525. Jose Luis Iturrioz Leza & Stavros Skopeteas, Variation und

    Invarianz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23426. Laurie Bauer, Word . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24727. William Croft, Lexical and grammatical meaning . . . . . . . . . . 25728. Andrew Carstairs-McCarthy, Category and feature . . . . . . . . . 26429. Linda R. Waugh & Barbara A. Lafford, Markedness . . . . . . . . 27230. John Haiman, Iconicity . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28131. Wolfgang U. Dressler, Naturalness . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28832. Ferenc Kiefer, Regularity . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29633. Geert Koefoed & Jaap van Marle, Productivity . . . . . . . . . . . 303

    V. Die Rolle der Morphologie in Grammatik undLexikonThe role of morphology in grammar and lexicon

    34. Andrew Spencer, Morphology and syntax . . . . . . . . . . . . . . . 31235. Geert Booij, Morphology and phonology . . . . . . . . . . . . . . . 33536. Mark Aronoff, Morphology between lexicon and grammar . . . . 34437. Pius ten Hacken, Derivation and compounding . . . . . . . . . . . 34938. Geert Booij, Inflection and derivation . . . . . . . . . . . . . . . . . 360

    VI. Einheiten der morphologischen StrukturUnits of morphological structure

    39. Joan Bybee, Lexical, morphological and syntactic symbolization 37040. Hans Basbll, Word boundaries . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37741. Joel A. Nevis, Clitics . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38842. Rochelle Lieber & Joachim Mugdan, Internal structure of words 40443. Elena S. Kubrjakova, Submorphemische Einheiten (bersetzung

    und Bearbeitung: Joachim Mugdan) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41744. Edmund Gussmann & Bogdan Szymanek, Phonotactic

    properties of morphological units . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42745. Henning Bergenholtz & Joachim Mugdan, Nullelemente in der

    Morphologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435

  • VIIInhalt / Contents

    VII. AllomorphieAllomorphy

    46. Hans Christian Luschtzky, Morphem, Morph und Allomorph . 45147. Martin Neef, Phonologische Konditionierung . . . . . . . . . . . . . 46348. Martin Neef, Morphologische und syntaktische Konditionierung 47349. Henriette Walter, Fluctuation and free variation (Translation:

    Marie Landick) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48450. Tsutomu Akamatsu, Generalized representations . . . . . . . . . . . 48951. Edmund Gussmann, Underlying forms . . . . . . . . . . . . . . . . . 49952. Igor Melcuk, Suppletion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510

    VIII. Formale ProzesseFormal processes

    53. Igor Melcuk, Morphological Processes . . . . . . . . . . . . . . . . . 52354. Christopher J. Hall, Prefixation, suffixation and circumfixation . 53555. Edith A. Moravcsik, Infixation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54556. Ellen Broselow, Transfixation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55257. Caroline Wiltshire & Alec Marantz, Reduplication . . . . . . . . . 55758. Rochelle Lieber, Substitution of segments and features . . . . . . . 56759. Thomas Becker, Metathesis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57660. Wolfgang U. Dressler, Subtraction . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58161. Larry M. Hyman & William R. Leben, Suprasegmental

    processes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587

    IX. FlexionInflection

    62. Andrew Carstairs-McCarthy, Lexeme, word-form, paradigm . . . 59563. Aleksandr V. Bondarko, Meaning vs. use in inflection . . . . . . . 60764. Richard Coates, Exponence . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61665. Andrew Carstairs-McCarthy, Inflection classes . . . . . . . . . . . . 63066. Silvia Luraghi, Synkretismus (bersetzung: Simona Fabellini) . . 63867. Fred Karlsson, Defectivity . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64768. Martin Haspelmath, Periphrasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 654

    X. WortartenWord classes

    69. Kjell-Ake Forsgren, Wortart, syntaktische Funktion,syntaktische Kategorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 665

    70. Clemens Knobloch & Burkhard Schaeder, Kriterien fr dieDefinition von Wortarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 674

    71. Barbara Kaltz, Wortartensysteme in der Linguistik . . . . . . . . . 69372. Nicholas Evans, Word classes in the worlds languages . . . . . . . 70873. Christian Lehmann & Edith Moravcsik, Noun . . . . . . . . . . . . 73274. D. N. S. Bhat & Regina Pustet, Adjective . . . . . . . . . . . . . . . 757

  • VIII Inhalt / Contents

    75. Joseph H. Greenberg, Numeral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77076. Linda Schwartz, Pronoun and article . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78377. Joan Bybee, Verb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79478. John M. Anderson, Auxiliary . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80879. Casper de Groot, Minor word classes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 820

    XI. Wortbildung I: GrundproblemeWord formation I: Fundamental problems

    80. Laurie Bauer, System vs. norm: coinage and institutionalization 83281. Wiecher Zwanenburg, Correspondence between formal and

    semantic relations . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84082. Jacob Hoeksema, Compositionality of meaning . . . . . . . . . . . 85183. Geert Booij, Inheritance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85784. Claudio Iacobini, Base and direction of derivation . . . . . . . . . 86585. Franz Rainer, Produktivittsbeschrnkungen . . . . . . . . . . . . . 877

    XII. Wortbildung II: ProzesseWord formation II: Processes

    86. Wolfgang Fleischer, Die Klassifikation vonWortbildungsprozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 886

    87. Susan Olsen, Composition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89788. Marianne Mithun, Incorporation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91689. Bernd Naumann & Petra M. Vogel, Derivation . . . . . . . . . . . . 92990. Jan Don & Mieke Trommelen & Wim Zonneveld, Conversion

    and category indeterminacy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94391. Garland Cannon, Blending . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95292. Charles W. Kreidler, Clipping and acronymy . . . . . . . . . . . . . 95693. Philip Baldi & Chantal Dawar, Creative processes . . . . . . . . . . 963

    2. Teilband (Vorgesehener Inhalt) / Volume 2 (Prospective Contents)

    XIII. Semantische Kategorien und Operationen in derMorphologie I: EntittsbegriffeSemantic categories and operations in morphology I:Entity concepts

    94. Entity concepts95. Deixis and reference96. Person97. Classifiers98. Gender and noun class99. Diminution and augmentation

  • IXInhalt / Contents

    100. Numerus101. Mass and collection102. Case103. Possession

    XIV. Semantische Kategorien und Operationen in derMorphologie II: Sachverhalts-, Eigenschafts- undverwandte BegriffeSemantic categories and operations in morphology II:State-of-affairs, property and related concepts

    104. State-of-affairs concepts105. Property concepts106. Circumstance concepts107. Valency change108. Voice109. Aspect and aktionsart110. Tense111. Mood and modality112. Interclausal relations113. Negation114. Comparison and gradation

    XV. Morphologische Typologie und UniversalienMorphological typology and universals

    115. Approaches to morphological typology116. Types of morphological structure117. Quantitative Typologie118. Cross-linguistic generalizations and their explanation

    XVI. Systeme morphologischer Struktur: SprachskizzenSystems of morphological structure: Illustrative sketches

    119. English (Indo-European: Germanic)120. Deutsch (Indogermanisch: Germanisch)121. French (Indo-European: Romance)122. Russisch (Indogermanisch: Slavisch)123. Altgriechisch (Indogermanisch)124. Finnish (Finno-Ugric)125. Hebrew (Semitic)126. Trkisch (Turk)127. Hunzib (North-East Caucasian)128. Ketisch (Jenisseisch)129. West Greenlandic (Eskimo)130. Koyukon (Athapaskan)131. Montagnais (Algonquian)

  • X Inhalt / Contents

    132. Guaran (Tup-Guaran)133. Nahuatl (Uto-Aztecan)134. Quechua (Quechua)135. Yagua (Peba-Yaguan)136. Tagalog (Austronesian)137. Diyari (Pama-Nyungan)138. Wambon (Awyu)139. Turkana (Cushitic)140. Twi (Kwa)141. Rwanda (Bantu)142. Vietnamesisch (Viet-Muong)143. Deutsche Gebrdensprache144. Plansprachen

    XVII. Morphologischer Wandel I: Theoretische ProblemeMorphological Change I: Fundamental Issues

    145. Fundamental concepts146. Grammaticalization: from syntax to morphology147. Morphologisierung: von der Phonologie zur Morphologie148. Analogical change149. Remotivation and reinterpretation150. Lexicalization and demotivation151. Change in productivity152. Morphologische Entlehnung und Lehnbersetzung153. Pidginization, creolization and language death154. Morphological reconstruction

    XVIII. Morphologischer Wandel II: FallstudienMorphological Change II: Case studies

    155. From Old English to Modern English156. Vom Althochdeutschen zum Neuhochdeutschen157. From Latin to French158. From Vedic to modern Indic languages159. From Archaic Chinese to Mandarin160. From Classical Arabic to the modern Arabic vernaculars161. Tok Pisin

    XIX. Psycholinguistische PerspektivenPsycholinguistic perspectives

    162. Mentale Reprsentation morphologischer Strukturen163. Speech production and perception164. Speech errors165. First language acquisition166. Second language acquisition167. Sprachstrungen

  • XIInhalt / Contents

    XX. Morphologie in der PraxisMorphology in practice

    168. Field work169. Interlinear morphemic glossing170. Grammaticography171. Lexicography172. Computational linguistics

    XXI. Morphologie und NachbardisziplinenMorphology and related fields

    173. Etymologie174. Schriftsysteme175. Terminology in Special Languages176. Sprachunterricht

  • I. Morphologie als DisziplinMorphology as a discipline

    1. Der Gegenstand der Morphologie

    1. Allgemeine Morphologie2. Morphologie in der Linguistik3. Morphologische Form in der Sprache4. Zitierte Literatur

    1. Allgemeine Morphologie

    1.1. FormAuf den Begriff der Form trifft man allenthal-ben, nicht nur im Bereich der Wissenschaft,sondern auch im Sprachgebrauch des Alltags.In der Alltagssprache bezeichnet Form be-kanntermaen die sichtbare, uere Gestaltoder Ausprgung von Dingen; man verglei-che etwa die Form eines Baums oder dieForm eines Tisches. Diese Verwendungsweisebildet auch den Ausgangspunkt fr den Ge-brauch des Begriffs in der Wissenschaft.Doch in der Wissenschaft, genauer in denWissenschaften, wird der Terminus Form(wie ja auch viele andere Termini) nicht ineinheitlicher Weise benutzt. Vielmehr trittForm, in Abhngigkeit vom Faktenbereichund von der Spezifik der jeweiligen Wissen-schaft, aber auch von der jeweils zugrundegelegten Theorie, in einer Vielzahl unter-schiedlicher Bedeutungen auf; man denkehier nur an die Linguistik! Bei all ihrer Unter-schiedlichkeit lassen sich diese Bedeutungenjedoch (zumindest im Prinzip) auf dreiHauptbedeutungen zurckfhren, die ihrer-seits nicht unverbunden nebeneinanderste-hen, sondern als drei Stufen eines einheitli-chen Abstraktions- und Generalisierungspro-zesses auszumachen sind:

    Erstens bezeichnet Form (noch in starkerAnlehnung an die Alltagssprache) die sinn-lich zugngliche, d. h. in den meisten Fllensichtbare, in bestimmten Fllen auch hrbareGestalt von Objekten, ihre uere Seite. Indiesem Sinne spricht man beispielsweise inder Botanik von der Form von Blten, in derGeologie von der Form von Bergen und inder Linguistik von der lautlichen oder gra-

    phischen Form sprachlicher Zeichen. So ha-ben z. B. die sprachlichen Zeichen bunt undBund die gemeinsame lautliche Form [bwnt].

    Zweitens bezeichnet Form die Gesamtheitder Relationen, die zwischen den Einheitenoder Elementen eines Systems existieren. DerTerminus steht damit fr die nicht unmittel-bar beobachtbare innere Organisation einesSystems und die Wechselwirkung seiner Ele-mente, mit anderen Worten fr die Strukturdes Systems. In diesem Sinne kann man z. B.von der Form von Sternensystemen, Wirt-schaftssystemen oder eben auch von Flexions-systemen sprechen. Auf dieser Stufe der Ab-straktion (und nicht auf der vorangehenden)ist auch die Anwendung des Terminus Formauf solche Einheiten anzusiedeln, denen ihrerelevanten Eigenschaften nicht per se, son-dern durch ihre Stellung in einem System zu-kommen. Hier ist damit faktisch der auf demSystem beruhende Formbegriff auf das vomSystem geprgte Element projiziert. DieseVerwendungsweise ist typisch fr die Lingui-stik, wo der Begriff der Flexionsform fr einElement des Flexionssystems mit all seinenformalen und inhaltlichen Eigenschaftensteht, so da z. B. Hund als Nominativ undHund als Akkusativ Singular trotz gleicherphonologischer Struktur zwei unterschiedli-che Flexionsformen darstellen. Auf dieserEbene ist es wichtig, im Rahmen welches Sy-stems eine Form betrachtet wird. So kannman beispielsweise eine Form wie (den) Hundals Element des entsprechenden Flexions-paradigmas, im Rahmen smtlicher substan-tivischer Akkusativformen, im Rahmen dessubstantivischen Deklinationssystems oderim Rahmen des gesamten Flexionssystemsdes Deutschen betrachten, wobei sich relatio-nal zum zugrunde gelegten System jeweils un-terschiedliche Eigenschaften ein und dersel-ben Form ergeben.

    Drittens schlielich bezeichnet Form eineStruktur, ein Relationsgefge, die bzw. das

  • 2 I. Morphologie als Disziplin

    eine andere Struktur abbildet, widerspiegelt.In diesem Sinne spiegeln Denkformen, alsoBegriffe, Aussagen, Theorien usw., Erschei-nungen der existierenden oder vorgestelltenWelt wider. Das gilt speziell fr wissenschaft-liche Gesetze und Theorien, wobei (wasebenso trivial wie wichtig ist) ein und das-selbe Faktensystem einer gegebenen Formdurch Theorien sehr unterschiedlicher Aus-prgung abgebildet werden kann, ganzgleich, ob es sich um ein Sternsystem, einWirtschaftssystem oder ein Sprachsystemhandelt (vgl. dazu auch Krber & Warnke1974: 409ff.). Ein Blick auf die hchst ver-schiedenen Theorien, die grammatische Sy-steme in hchst unterschiedlicher Weise wi-derspiegeln, belegt das deutlich.

    Der Begriff der Form, in welcher spezifi-schen Bedeutung auch immer, macht eigent-lich nur dann Sinn, wenn er sich auf eine an-dere Gre bezieht, der die Form zukommt.Diese Gre wird im allgemeinen als Inhalt(bzw. Gehalt) oder als Stoff (bzw. Substanz)bezeichnet. Den Inhalt kann man kurz als dieGesamtheit der einem Ding innerlich zu-kommenden Eigenschaften im Gegensatz zudessen uerer Gestalt (Warnke 1974: 524)fassen. Form und Inhalt (im folgenden seieinfachheitshalber dieser Terminus benutzt)setzen sich gegenseitig voraus; sie bilden einedialektisch-widersprchliche Einheit im Sinnevon Hegel und Marx: Form ist immer Formeines Inhalts, und Inhalt existiert immer ineiner bestimmten Form. Es gibt, worauf be-reits Aristoteles hinweist, weder Form ohneInhalt noch Inhalt ohne Form. Zugleich ste-hen sich Form und Inhalt nicht beziehungslosgegenber, sondern beeinflussen sich gegen-seitig. Eine gegebene Form kann nicht durchjeden beliebigen Inhalt ausgefllt werden,und ein gegebener Inhalt kann nicht jede be-liebige Form ausfllen. Primr ist die Formdurch den Inhalt bestimmt, aber die Formkann auch auf den Inhalt zurckwirken.Doch mu festgehalten werden, da die ge-genseitige Zuordnung von Form und Inhaltnicht absolut und unvernderlich ist. Mankann also durchaus von einer relativen Au-tonomie der Form gegenber dem Inhaltsprechen, was vor allem Konsequenzen frden Verlauf von Vernderungsprozessen hat.Unter entsprechenden Umweltbedingungenknnen sich Form und Inhalt relativ unab-hngig voneinander verndern, so da sichneue Formen mit alten Inhalten und neue In-halte mit alten Formen ergeben knnen. Frkomplexere Systeme ist dabei charakteri-

    stisch, da sich bei Vernderungen nicht dieGesamtform oder der Gesamtinhalt des Sy-stems wandelt, sondern jeweils nur Elementeder Form oder des Inhalts. Wenn in einemSystem Vernderungen eingetreten sind, dieForm und Inhalt ber ein gewisses Ma hin-aus voneinander entfernen, dann setzen imallgemeinen Vernderungen ein, die nicht ex-tern durch die Umwelt, sondern intern durchdie solcherart entstandenen Widersprchezwischen den beiden Seiten bedingt sind unddie diese Widersprche wieder beseitigen.Beispiele fr das Verhltnis von Form undInhalt im Wandel lassen sich aus den ver-schiedensten Wissenschaftsbereichen beibrin-gen: Wenn sich in einem Wirtschaftssystemdie Produktion als sein Inhalt in einer Weiseentwickelt hat, da seine Form zum Hinder-nis fr die Produktion geworden ist, dannmu die Form des Wirtschaftssystems wiederan den Stand der Produktion angepat wer-den; wenn sich in einem Sprachsystem (etwadurch phonologische Vernderungen) Formund Semantik von Flexionsformen (!) in ei-nem bestimmten Mae auseinanderentwik-kelt haben, dann treten in der Regel kompen-satorische Anpassungen der Form an die Se-mantik ein usw. usf.

    Im Verhltnis von Form und Inhalt ist zubeachten, da die Entgegensetzung beiderSeiten keine absolute, sondern eine relativeist. Was unter einem Gesichtspunkt Form ist,kann unter einem anderen Gesichtspunktdurchaus Inhalt sein und umgekehrt. Das er-gibt sich zum einen aus den unterschiedlichenAbstraktionsstufen bei der Verwendung desTerminus Form. So erfat der Terminus inder ersten Bedeutung wie gesagt nur die sinn-lich wahrnehmbare, uere Gestalt von Ob-jekten, also z. B. einer Blte; alles andere, soauch die nicht sichtbaren Elemente ihrerStruktur, ist Substanz (um den hier angemes-sensten Begriff zu whlen). Dagegen beziehtsich Form in der zweiten Bedeutung aufdie Struktur der Blte insgesamt, also ihreuere und innere Struktur. Zum anderenresultiert die Relativitt der Entgegenset-zung daraus, da die Bedeutung der zweitenStufe recht unterschiedlich groe Systeme(bzw. Teilsysteme) betreffen kann. So wer-den bekanntlich in verschiedenen traditionel-len grammatischen Konzepten innerhalb desSprachsystems phonologische, morphologi-sche und syntaktische Form als Ausdrucks-ebene und Bedeutung als Inhaltsebeneeinander gegenbergestellt. Dagegen unter-scheidet die strukturalistische Richtung der

  • 31. Gegenstand der Morphologie

    Glossematik auf beiden genannten Ebenenzwischen Form und Substanz. Die Substanzder Ausdrucksebene bilden die Laute als pho-netische Ereignisse, die Form das sprachspe-zifische phonologische System. Die Substanzder Inhaltsebene wird von der ungeordnetenMenge von Gedanken und Vorstellungen ge-bildet, ihre Form vom sprachspezifischen Sy-stem der abstrakten Bedeutungsrelationen,die die Bedeutungssubstanz ordnen (Hjelms-lev 1943).

    Die Form steht nicht nur im Gegensatzzum Inhalt, sondern auch zur Funktion. Un-ter Funktion versteht man zunchst ganz all-gemein die Fhigkeit eines dynamischen Sy-stems, bestimmte Verhaltensweisen hervorzu-bringen (Klaus 101974: 437). Diese Fhigkeitwird durch die Struktur des Systems (alsoseine Form in der zweiten Bedeutung des Ter-minus), d. h. durch die Relationen zwischenseinen Elementen bestimmt. Dabei werden inkomplexeren Systemen Teilfunktionen vonihren Elementen wahrgenommen; man denkean die Organe hherer Lebewesen oder an dieverschiedenen Institutionen in einem Staat.In genau diesem Sinne kommen auch denverschiedenen Einheiten des Sprachsystems,seinen Formen, unterschiedliche Funktionenzu. Funktion meint dann Aufgabe oder Lei-stung im Rahmen des gegebenen Sprachsy-stems. So hat beispielsweise das Formativ /st/im Rahmen des deutschen Flexionssystemsdie Funktionen der Symbolisierung der 2.Person Singular. Ganz wie es generell der Fallist, gibt es auch in der Sprache keine einein-deutige Zuordnung von Form (Struktur) undFunktion. Gleiche Formen knnen unter-schiedliche Funktionen haben, denn das For-mativ /st/ symbolisiert auch den Superlativ,und gleiche Funktionen knnen durch unter-schiedliche Formen wahrgenommen werden,wie die verschiedenen Pluralformen des deut-schen Substantivs zeigen.

    1.2. In welchen Faktenbereichen existiertForm? In welchen Bereichen gibt eseine Morphologie?

    Die Beantwortung der Frage, wo berallForm existiert, ergibt sich plausiblerweise ausder Bestimmung dessen, was Form ist. Des-halb ist hier auf die eben explizierten unter-schiedlichen Bedeutungen von Form zurck-zukommen.

    In seiner ersten, noch sehr konkreten Be-deutung bezieht sich Form auf sichtbare bzw.hrbare, also materielle Objekte. Es ist evi-dent, da solchen Objekten eine Form zu-

    kommt. So gesehen ist die uns umgebene ma-terielle Welt eine Welt der Formen. Die ent-sprechenden Objekte gehren in den Bereichvon Natur, Technik und Sprache. Doch Formin diesem Sinne ist (zumindest heute) fr dieWissenschaft nur von eingeschrnktem Inter-esse, da der Begriff hier nur die uere Ge-stalt der Dinge erfat.

    In seiner zweiten, demgegenber strkerabstrahierenden Bedeutung bezieht sich Formauf objektiv, d. h. unabhngig von ihrerwissenschaftlichen Untersuchung existierendeSysteme wie organische Systeme, Stern-systeme, Wirtschaftssysteme, soziale Systemeund Sprachsysteme. Form in diesem Sinnegehrt in die Domne von Naturwissenschaf-ten, technischen Wissenschaften, Sozialwis-senschaften bis hin zu Geisteswissenschaftenwie der Linguistik, denn sie alle haben es mitder Struktur solcher Systeme zu tun.

    In seiner dritten, am strksten abstrahie-renden Bedeutung schlielich bezieht sichForm auf Systeme, die andere Systeme wider-spiegeln. Das sind Systeme, die von allge-meinen Strukturwissenschaften wie Mathe-matik, Logik und Systemtheorie untersuchtwerden.

    Wenn man alle Bedeutungen einbezieht,die der Formbegriff abdeckt, so lt sich sa-gen, da Form in der gesamten materiellenund ideellen Erfahrungswelt des Menschenexistiert; es gibt keinen Bereich, der sich derGeformtheit grundstzlich entzieht. Darauskann man schlufolgern, da alle Wissen-schaften, wollen sie ein angemessenes Bild ih-res jeweiligen Faktenbereichs vermitteln, sichauch mit Form befassen mssen. Dem kom-men sie auch nach, aber doch in recht unter-schiedlicher Weise. berprft man, wie es dieWissenschaften im einzelnen mit der Formhalten, so stellt man fest, da der TerminusForm in den modernen Wissenschaftenauerhalb der Linguistik nicht allzu hufigauftritt; vgl. etwa Formen der Erdoberflchein der Geologie und Geographie, Kristallfor-men in der Kristallographie, Staatsformen inden politischen Wissenschaften, Formen derProduktionsweise in der konomie und so-ziale Form in der Soziologie (hier geht derTerminus auf Simmel zurck, der Form undInhalt der Gesellschaft gegenberstellt; vgl.Simmel 41958 passim). Im allgemeinen er-scheint in der ersten Bedeutung von Formder Terminus Gestalt, so etwa in der Biologie.In der zweiten Bedeutung treten normaler-weise die Termini Struktur oder Aufbau auf,so wiederum in der Biologie (wo daneben

  • 4 I. Morphologie als Disziplin

    auch der Terminus Anatomie zu finden ist),in der Physik und in der Chemie. Auch in derdritten Bedeutung von Form tritt heute ge-meinhin Struktur auf, so (natrlich) in denallgemeinen Strukturwissenschaften.

    Die Wissenschaft von der Form ist dieMorphologie. Sie wurde vor annhernd zwei-hundert Jahren von J. W. von Goethe, derauch den Terminus Morphologie prgte (vgl.Art. 2), als eine Wissenschaft begrndet, diesowohl die speziellen als auch die allgemeinenStrukturgesetzmigkeiten der von den ande-ren Wissenschaften behandelten Gegenstndeerfassen sollte (vgl. Wildgen 1984: 3f.). Diemoderne Wissenschaft folgt dem bekanntlichnur sehr bedingt. Eine allgemeine Morpholo-gie, so wie Goethe sie konzipierte, gibt es imheutigen System der Wissenschaften nicht.An ihre Stelle sind die eben erwhnten allge-meinen Strukturwissenschaften getreten, Dis-ziplinen, die sich von Goethes allgemeinerMorphologie durch ihre konsequente Mathe-matisierung unterscheiden. Aber auch dieAnzahl der modernen Wissenschaften, die alsTeildisziplin eine spezielle Morphologie auf-weisen, ist recht gering. Es sind im wesentli-chen nur die Biologie (Zoologie und Bota-nik), die Geologie/Geographie, die Kristallo-graphie und die Linguistik. In der Biologie istdie Morphologie die Lehre vom inneren undueren Bau der Organismen, in der Geolo-gie/Geographie ist sie die Lehre von den For-men der Erdoberflche und in der Kristallo-graphie die Lehre von den geometrischenFormen der Kristalle. (In der moderneren So-ziologie nicht durchgesetzt hat sich Durk-heims Terminus soziale Morphologie, dener z. B. fr die Demographie verwendet.)Diese Gruppe von Wissenschaften erscheintsehr heterogen. Sie haben aber zumindest ge-meinsam, da sich erstens in allen Fllen diejeweiligen Strukturaspekte als Gegenstandder Morphologie relativ gut aus dem Ge-samtgegenstand der Wissenschaft ausgliedernlassen (z. B. in der Physik, deren Gesamtge-genstand ja die Struktur der unbelebten Ma-terie ist, wre das nicht mglich) und dazweitens die jeweiligen Strukturen in relativstarkem Mae geordnet und berschaubarsind (was z. B. nicht fr die konomie gilt).Weiterreichende Gemeinsamkeiten hinsicht-lich von Stellung und Aufgaben der Morpho-logie in den unterschiedlichen Wissenschaftenlassen sich am ehesten fr die Biologie unddie Linguistik finden: Sowohl die biologischeals auch die linguistische Morphologie unter-sucht die Struktur, nicht einfach die uereGestalt (die ltere Biologie unterschied hier

    noch zwischen Morphologie als der Lehrevom ueren Bau und der Anatomie als derLehre vom inneren Bau), von komplexen,hochgradig organisierten und integrierten so-wie sich verndernden Systemen, d. h. vonOrganismen bzw. Sprachen. Sie setzen dieTeilsysteme oder Elemente der Systeme mitderen Funktion in Beziehung, sie fhren diescheinbar uneingeschrnkte Vielzahl der un-terschiedlichen vorkommenden Strukturenauf durch Abstraktion gewonnene morpholo-gische Bauplantypen zurck (fr die Biologievgl. Voigt 1978: 320), und sie erforschen dieBedingungen der Vernderung der von ihnenbetrachteten Objekte.

    2. Morphologie in der Linguistik

    2.1. In welchem Sinne befat sich dielinguistische Morphologie mit Form?

    Die Linguistik betrachtet ihren Gegenstand,die natrliche Sprache, bekanntlich unterverschiedenen Aspekten. Der zentrale, weilauf das Wesen der Sprache gerichtete Aspektist der grammatische. Die Betrachtung derSprache unter dem grammatischen Aspektkonstituiert die linguistische Disziplin derGrammatik im weiteren Sinne als die Wissen-schaft vom Sprachsystem. Ihr Gegenstand istdamit die gegenseitige Zuordnung von Be-deutungseinheiten und Lauteinheiten in dennatrlichen Sprachen. Da es die Grammatikimmer mit Form bzw. mit Formen zu tun hat,ist unbestritten. Wie aber soll der Formbe-griff in der Grammatik genauer gefat wer-den, und auf welche Gegebenheiten ist er zubeziehen?

    Ganz offensichtlich dem Gegenstand nichtangemessen sind doch recht verbreitete Auf-fassungen, in deren Rahmen der Bedeutungsprachlicher Zeichen als ihrem Inhalt eineeinheitliche, vorgeblich rein sinnlich erfa-bare Form gegenbergestellt wird, in derphonetische, phonologische, morphologischeund syntaktische Charakteristika undifferen-ziert zusammengefat sind (so u. a. Meier1961: 15f.). Hier wird erstens Form im Sinnevon uerer Form von Objekten auf einkomplexes System bezogen, dem eine Formim Sinne von Struktur zukommt. Zweitensist dieser Formbegriff nicht geeignet, die un-terschiedlichen Strukturschichten sprachli-cher Formbildung in ihrer relativen Eigenge-setzlichkeit und ihrer Interaktion zu erfassen.Drittens schlielich wird vernachlssigt, daja auch semantische Formen oder Struktu-ren existieren.

  • 51. Gegenstand der Morphologie

    Alle Teildisziplinen der Grammatik unter-suchen die Form die Struktur sprachli-cher uerungen, nur jeweils unter spezifi-schen Gesichtspunkten; die Phonologie un-tersucht die Lautstruktur, die Morphologiedie Wortstruktur, die Syntax die Satzstrukturund die Semantik die Bedeutungsstruktur.Doch wenn damit faktisch alle grammati-schen Teildisziplinen Formenlehren sind, inwelchem Sinne befat sich dann die Morpho-logie mit sprachlicher Form?

    Die Morphologie untersucht die Form desWortes, wodurch sie sich klar von der Syntaxunterscheidet, deren Domne die Form desSatzes ist. Doch eine solche Bestimmungreicht ganz offensichtlich noch nicht aus,wenn man die anderen beiden grammati-schen Teildisziplinen, die Phonologie und dieSemantik, in die Betrachtung einbezieht.Auch die Phonologie untersucht ja, wennauch nicht ausschlielich, die Form des Wor-tes; es gibt eine spezielle Wortphonologie, de-ren Gegenstand die Lautstruktur des Wortesist. Ebenso hat es die Semantik u. a. auch mitder semantischen Form des Wortes zu tun,die den Gegenstand der Wortsemantik kon-stituiert. Diese beiden grammatischen Teildis-ziplinen untersuchen die Wrter ohne Be-rcksichtigung der jeweils anderen Seite.Hieraus ergibt sich ein weiteres Abgrenzungs-kriterium fr die Morphologie, denn derenSpezifik besteht gerade darin, da sie die Be-deutungsstruktur und die Lautstruktur desWortes in ihrer Interrelation betrachtet. Siebefat sich mit der Form des Wortes unterdem Gesichtspunkt der gegenseitigen Zuord-nung von Bedeutungs- und Lauteinheiten.Anders gesagt, sie betrachtet das Wort als einsprachliches Zeichen, das eine Bedeutungund einen Ausdruck hat. Gegenstand derMorphologie ist damit nicht (wie soeben ver-einfachend konstatiert) die Form des Wortesschlechthin, sondern die semiotische Formdes Wortes. Genau das ist gemeint, wenn scheinbar pleonastisch von morphologi-scher Form gesprochen wird.

    Mit dieser Einordnung der Morphologiewird zugleich auch deutlich, wo sich Pro-bleme der Abgrenzung zu ihren Nachbardis-ziplinen ergeben knnen. Das betrifft erstensden bergangsbereich zur Syntax. Hier istdie Abgrenzung der Morphologie von derEntscheidung darber abhngig, ob eine ge-gebene grammatische Einheit (schon) als einWort oder aber (noch) als eine syntaktischeKonstruktion zu werten ist. Als relevanteFlle knnen etwa Klitisierungen wie engl.

    Ive (been) und (the man of) yesterdays(mother in law) genannt werden. Zweitensbetrifft das den bergangsbereich zur Pho-nologie, wo die Abgrenzung davon abhngt,ob eine Lautalternation (schon) eine Bedeu-tung symbolisiert, also Zeichencharakter hat,oder aber (noch) durch die phonologischeUmgebung bedingt ist. Einschlgige Flle,die in dieser Hinsicht kaum eindeutig klassifi-ziert werden knnen, sind viele Umlauter-scheinungen in den lteren germanischenSprachen. Man vergleiche dazu den fr die-sen bergangsbereich geprgten TerminusMorphonologie (vgl. Art. 3 und 35).

    Die Vorstellungen darber, wie die Mor-phologie zu definieren oder einzugrenzen ist,sind in der Linguistik durchaus nicht einheit-lich. Es gibt eine groe Anzahl unterschiedli-cher Definitionen von Morphologie, die sichteils auf die Wissenschaftsdisziplin, teils aufihre Faktendomne beziehen. Dabei wird diewichtige Gegebenheit, da es in der Morpho-logie um die Form (des Wortes) unter demspezifischen Gesichtspunkt des Zusammen-hangs von Bedeutung und Ausdruck geht, invielen Fllen vorausgesetzt und nur partiellexpliziert. Doch die eigentlichen sachlichenUnterschiede zwischen den Definitionen lie-gen woanders. Es ist evident, da man fak-tisch nicht bestimmen kann, was Morpholo-gie ist, ohne auf den Wortbegriff Bezug zunehmen, was auch alle vorliegenden Defini-tionen von Morphologie und Eingrenzungenihrer Domne zeigen. Doch die Bezugnahmeauf das Wort erfolgt in recht unterschiedli-cher Weise.

    Die meisten der einschlgigen Arbeiten be-trachten das Wort (vgl. Art. 26) als die Basis-einheit der Morphologie und bauen ihre De-finitionen von Morphologie unmittelbar aufdem Wortbegriff auf. Dafr nur wenige Bei-spiele. So wird die Morphologie gefat alsknowledge of word structure (Spencer1993: 7) oder als der Bereich der forms ofwords in different uses and constructions(Matthews 1992: 3). Die etwas detailliertenDefinitionen unterscheiden sich im wesentli-chen nur darin, da sie unterschiedlicheAspekte des Wortbegriffs hervorheben. Dasist zum einen die Unterscheidung der mor-phologischen von der phonologischen Formdes Wortes. Morphologie ist dann

    the study of the shapes of words; not the phono-logical shape (which can be assumed to be fairlyarbitrary) but rather the systematic changes inshape related to changes in meaning. (Bauer1988: 4)

  • 6 I. Morphologie als Disziplin

    Zum zweiten werden die syntagmatischenund paradigmatischen Bezge der Wrter alswesentlich fr die Morphologie hervorgeho-ben:

    The object of study in morphology is the structureof words, and the ways in which their structure re-flects their relation to other words relations bothwithin some larger construction such as a sentenceand across the total vocabulary of the language.(Anderson 1992: 7)

    Zum dritten wird die Abgrenzung der Mor-phologie zur Syntax betont:

    Die Morphologie einer Sprache wird durch dieFakten und Zusammenhnge konstituiert, die dieStruktur der Wrter und Wortformen betreffen.Die Domne der Morphologie ist das Wort; gram-matische Erscheinungen, die die Grenzen des Wor-tes berschreiten, gehren in den Bereich der Syn-tax. Eine morphologische Theorie ist eine Theorieder Prinzipien der Wortstruktur. (Wurzel 1984:35)

    Anders verfahren Arbeiten, die in der Tra-dition des amerikanischen Strukturalismusstehen, fr den in seiner konsequentestenAusprgung berhaupt keine Wrter, son-dern nur Morpheme (vgl. Art. 46) und Mor-phemkombinationen existieren, wobei nichtunterschieden wird, ob letztere Wrter odersyntaktische Konstruktionen darstellen (u. a.Harris 1946). Wenn solche Arbeiten natrlichauch nicht ohne Rckgriff auf das Wort alsObergrenze des Bereichs der Morphologieauskommen, so gehen sie doch in ihren Defi-nitionen vom Morphem als der morphologi-schen Basiseinheit aus. So etwa, wenn Mor-phologie als the study of morphemes andtheir arrangement in forming words gefatwird (Nida 1949: 1) oder wenn sie als Be-schreibung von morphemes and their pat-terns of occurrence within the word charak-terisiert wird (Alerten 1979: 47). Die einzel-nen Definitionen, so unterschiedlich sie auchsind, zeigen, da man Morphologie ohne jeg-liche Bezugnahme auf den Wortbegriff nichtbestimmen kann.

    2.2. Zur Geschichte des Formbegriffs in derSprachwissenschaft

    Der Begriff der Form spielt in der Linguistikseit der Antike eine wichtige Rolle. In ganzbesonderem Mae gilt das fr die deutscheSprachwissenschaft des 19. Jahrhunderts, inder sich aufgrund von sprachwissenschaftli-chen, aber auch von weitergehenden geistes-wissenschaftlichen Entwicklungen Fragennach der Form in der Sprache und von Spra-

    che gleichsam bndeln. Da es nicht mglichist, hier eine umfassendere Geschichte desFormbegriffs in der Sprachwissenschaft zugeben, soll wenigstens auf diesen Zeitraumetwas detaillierter eingegangen werden.

    Das Interesse der Sprachwissenschaft ander sprachlichen Form nimmt bereits zu An-fang des 19. Jahrhunderts stark zu. Dafrsind im wesentlichen drei Grnde zu nennen.

    Zum ersten entwickelt sich in dieser Zeitin Deutschland mit der Strkung des brger-lichen Selbstbewutseins auch das Interessean der eigenen Geschichte, speziell am deut-schen Altertum bis zurck zur indoeuropi-schen Periode. In der Sprachwissenschaftuert sich das in der Erarbeitung umfangrei-cher Kompendien der germanischen (vgl. J.Grimm 18181837) und der indoeuropi-schen Sprachen (vgl. Bopp 1833). Die Verfas-ser dieser Kompendien betrachteten unterdem weiterwirkenden Einflu der scholasti-schen Traditionen des Mittelalters die Be-schftigung mit dem Wort als entscheidendfr das Verstndnis des Funktionierens vonSprache berhaupt. So rckt die Form desWortes ins Zentrum des grammatischen In-teresses, wobei im brigen die damit verbun-denen Fragestellungen den heute als Mor-phologie verstandenen Bereich der Gramma-tik weit berschreiten und auch syntaktischeund phonologische Phnomene umfassen(Anderson 1992: 7).

    Zum zweiten werden aufgrund der Kolo-nialisierung und des zunehmenden Welthan-dels bisher unbekannte, exotische Spra-chen ferner Lnder mit vom europischenMuster stark abweichenden Strukturen auchin Deutschland bekannt. Das frdert auchdie wissenschaftliche Beschftigung mit sol-chen Sprachen, mit ihren Formen und ihrerForm insgesamt.

    Zum dritten wchst mit der Entwicklungder einzelnen Wissenschaften das Interesse,diese Wissenschaften in einen theoretischenZusammenhang zu bringen, ihre Gemein-samkeiten und Unterschiede herauszuarbei-ten. In diesen Kontext gehrt nicht zuletztauch der bereits erwhnte Versuch Goethes,eine Hierarchie der Naturwissenschaften zuschaffen, in der der von ihm konzipierten all-gemeinen Morphologie eine bergreifende,generalisierende Funktion zukommt. Ihr Ob-jektbereich ist Gestalt in ihren Teilen und inihrem Ganzen, bereinstimmungen, Abwei-chungen (Goethe 1955: 122f.). Dieses Kon-zept einer Morphologie als allgemeiner For-menlehre stimulierte in besonderem Mae die

  • 71. Gegenstand der Morphologie

    Beschftigung mit der Form, nicht nur mitFormen in der Sprache.

    Die fhrenden Vertreter der historisch-ver-gleichenden Sprachwissenschaft des begin-nenden 19. Jahrhunderts wie J. Grimm, R.Rask und F. Bopp stehen, was ihren Begriffvon Form betrifft, noch weitgehend in denTraditionen der mittelalterlichen Grammatik.Form ist bei ihnen Bezeichnung fr ein ein-zelnes grammatisches Wort; die Auffassungvon Form als Element eines Sprachsystems,die die Grundlage fr eine sprachtypologi-sche Klassifizierung bildet (wie spter beiA. W. von Schlegel und Humboldt), ist beiGrimm noch nicht zu finden. Formen sindfr Grimm immer nur Formen von etwas,in erster Linie die Abwandlungen, die einStamm oder ein Wort aufgrund der Wort-biegung (partiell auch aufgrund der Deriva-tion, vgl. die Verkleinerungsform) anneh-men kann. Hier zeigt sich ein vierter Begriffvon Form, der hnlich dem oben expliziertenersten Formbegriff dem alltagssprachlichenGebrauch recht nahe steht (vgl. 1.1). Er un-terscheidet sich von diesem allerdings darin,da er sich nicht nur auf die uere Gestaltvon sprachlichen Einheiten bezieht, sondernauch ihren Inhalt d. h. die jeweiligen Ka-tegorien bercksichtigt. Damit sind bei-spielsweise gleichlautende Nominativ- undAkkusativformen eines Wortes fr Grimmverschiedene Formen. Sein Formbegriff ent-spricht im wesentlichen der Terminologie derscholastischen Sprachbetrachtung; so ver-wendet z. B. Thomas von Erfurt (Anfang des14. Jahrhunderts) im gleichen Sinne den latei-nischen Terminus figurationes vocum Ab-wandlungen/Formen der Wrter (vgl. Arens1969: 48). Grimm erweitert allerdings diesenGebrauch von Form, indem er z. B. auch vonden Formen eines Kasus also einer Ka-tegorie spricht, was meint Formen, in de-nen ein Kasus erscheinen kann. Den wich-tigen Schritt, den Terminus Form ohne Bezugauf ein Wort/einen Stamm oder eine Kate-gorie anzuwenden, hat dann (offenbar alseiner der ersten) Bopp (1816) getan, der ge-m dem heutigen diesbezglichen Sprach-gebrauch verallgemeinernd alle Wortformenals grammatische Formen der Sprache be-zeichnet.

    Ein weiterer wichtiger Punkt verdient Er-whnung: Bei den Begrndern der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft bleibt derFormbegriff strikt auf morphologische Ein-heiten eingeschrnkt. Die Formen sind im-mer grammatische Wortformen. So bezeich-

    net z. B. Grimm die Lautform der Wrter alsderen Aussprache und die Form der Buch-staben als deren Gestalt.

    Ein wesentlich weiterer und zugleich kom-plexerer Begriff von Form in der Sprache fin-det sich demgegenber bei W. von Hum-boldt. Zwar sind Humboldt die Traditionen,in denen die historisch-vergleichenden Sprach-wissenschaftler stehen, keineswegs fremd,doch prgend fr seinen Formbegriff wirdGoethes (in 1.2) erwhntes Konzept einer all-gemeinen Morphologie sowie auch dessen(leider nie systematisch dargestellte) Sprach-auffassung, die ihrerseits stark von Herdergeprgt ist (vgl. dazu Wildgen 1984). Vorallem auf dieser Grundlage entwickelt erseine durchaus als bahnbrechend zu charak-terisierenden Auffassungen von der Form derSprache (vgl. Coseriu 1972).

    Entscheidend ist, da fr Humboldt eineSprache nicht nur einzelne Formen, von ihmverstanden als geformte Elemente, aufweist,sondern da sie auch selbst als Ganzes eineForm hat. Dieser Begriff von Form entsprichtim wesentlichen dem modernen Systembe-griff und insofern auch dem oben (in 1.1)darstellten zweiten Formbegriff. Die Form ei-ner Sprache steht nicht beziehungslos nebender Form anderer Sprachen. Humboldt un-terscheidet zwischen der Form der einzelnenSprache, der allgemeineren Form, die meh-rere Sprachen gemeinsam haben knnen (vonihm auch Sprachform genannt) und derallgemeinsten Form, die allen Sprachen ge-meinsam ist (Herders und Goethes allge-meiner Sprache entsprechend). Damit wirdzwischen drei Schichten sprachlicher Struk-tur differenziert, die die Einzelsprache, denSprachtyp und die sprachlichen Universalienreflektieren. An dieser Stelle soll wenigstenserwhnt werden, da Humboldts linguisti-sches Interesse nicht zuletzt auch der all-gemeineren Form der Sprachen, d. h. ihrertypologischen Klassifizierung galt, wobei erspeziell die Anstze von F. von Schlegel, demeigentlichen Begrnder der Sprachtypologie,und dessen Bruder A. W. von Schlegel weiter-fhrte (vgl. u. a. Schlegel 1818).

    Die Form der Sprache ist in ganz entschei-dendem Mae durch die fr sie charakteristi-sche innere Sprachform bestimmt: Dieserihr ganz innerer und rein intellectueller Theilmacht eigentlich die Sprache aus (Hum-boldt 1836: 107). Die innere Sprachformuert sich sowohl in der Bildung der einzel-nen Begriffe und in dem verhltnismigverschiedenen Reichthum der Sprache in Be-

  • 8 I. Morphologie als Disziplin

    griffen gewisser Gattung (114), also grob ge-sagt in der jeweiligen spezifischen Ausgestal-tung des Lexikons, als auch in ihrer intellec-tuellen Technik, ihrer spezifischen Gramma-tik:

    Die intellectuelle Technik begreift dagegen das inder Sprache zu Bezeichnende und zu Unterschei-dende. Zu ihr gehrt es also z. B., wenn eine Spra-che Bezeichnung des Genus, des Dualis, der Tem-pora durch alle Mglichkeiten der Verbindung desBegriffs der Zeit mit dem des Verlaufs der Hand-lung u. s. f. besitzt. (105)

    Auer der inneren Sprachform besitzt jedeSprache ihre eigene Lautform. Die Laut-form ist der Ausdruck, welchen die Sprachedem Gedanken schafft (100). Aus der Ver-bindung von innerer Sprachform undLautform ergibt sich die Form der Sprache.Dabei ist wichtig, da die Lautform der Spra-che fr Humboldt nicht einfach eine der in-neren Sprachform zugeordnete uere Hlledarstellt. Sie ist im Gegenteil wesentlich ver-antwortlich fr die jeweilige Ausprgung derinneren Sprachform, was im Sprachwandeldeutlich zum Ausdruck kommt (102f.). Dasbedeutet, da die innere Sprachform einerSprache historisch vernderlich ist. Die Be-deutung der Lautform fr die Form der Spra-che ergibt sich auch daraus, da sie haupt-schlich dasjenige ist, wodurch der Unter-schied der Sprachen begrndet wird (102).

    Damit ist Humboldts komplexer Formbe-griff noch nicht erschpft. Zustzlich zu dendargestellten verschiedenen Aspekten sprach-licher Form, die die Sprache als Ganzes be-treffen, sind fr ihn auch die einzelnen Ele-mente der Sprache Formen. Dabei unter-scheidet er zwischen grammatischen Formenund Lautformen. Doch die einzelnen Formenhaben bei ihm einen grundlegend anderenStatus als bei Grimm oder Bopp. Sie sind frihn Formen einer Sprache, die ganz im Sinnevon Goethes allgemeiner Morphologie vonder Form der Sprache insgesamt geprgtsind:

    Die charakteristische Form der Sprachen hngtan jedem einzelnen ihrer kleinsten Elemente; jedeswird durch sie, wie unerklrlich es im Einzelnen sei,auf irgend eine Weise bestimmt. (59)

    So ist bei Humboldt auch der strukturalisti-sche Begriff der einzelnen grammatischenForm als Form eines Systems faktisch vor-weggenommen.

    Der Form stellt Humboldt den Stoff ge-genber. Sein Verstndnis des Verhltnissesvon Form und Stoff mutet ebenfalls sehr mo-

    dern an (und wird in diesem Jahrhundert vonder Glossematik wieder aufgegriffen; vgl.1.1): Innerhalb der Sprache

    lt sich etwas nur beziehungsweise gegen etwasanderes als Stoff betrachten, z. B. die Grundwrterin Beziehung auf die Declination. In anderer Bezie-hung aber wird, was hier Stoff ist, wieder als Formerkannt []. Absolut betrachtet, kann es innerhalbder Sprache keinen ungeformten Stoff geben, daalles in ihr auf einen bestimmten Zweck, den Ge-dankenausdruck, gerichtet ist, und diese Arbeitschon bei ihrem ersten Element, dem articuliertenLaute, beginnt, der ja eben durch Formung zumarticulierten wird. Der wirkliche Stoff der Spracheist auf der einen Seite der Laut berhaupt, auf deranderen die Gesamtheit der sinnlichen Eindrckeund selbstthtigen Geistesbewegungen, welche derBildung des Begriffs mit Hlfe der Sprache voraus-gehen. (61)

    Whrend in der deutschen Sprachwissen-schaft nach Humboldt wieder ein Formbe-griff dominiert, der sich im Anschlu an dieVertreter der historisch-vergleichenden Schulenur auf die einzelnen morphologischen For-men bezieht, findet der umfassendere Begriffvon sprachlicher Form in A. Schleicher einenwichtigen Proponenten. Schleichers Formbe-griff ist nicht nur durch die sprachwissen-schaftlichen Traditionen, sondern vor allemauch durch die zeitgenssische Naturwissen-schaft und speziell durch Darwin geprgt.Fr Schleicher ist die Sprache wie ein Kri-stall, eine Pflanze und ein Tier ein natrli-cher Organismus; die Wissenschaft von derSprache, die Linguistik oder Glottik, stellt(anders als die geisteswissenschaftliche Philo-logie) entsprechend eine Naturwissenschaftdar. Entscheidend fr das Verstndnis vonSprache ist ihr Wesen, das sich aus dem We-sen des Wortes als ihrer Grundeinheit ergibt:

    das Wesen des Wortes und damit das Wesen derSprache beruht im lautlichen Ausdrucke von Be-deutung und Beziehung; das Wesen einer jeden ein-zelnen Sprache wird bestimmt durch die Art undWeise, wie in ihr Bedeutung und Beziehung lautlichausgedrckt wird. (Schleicher 1869: 9f.)

    Bedeutung und Beziehung, d. h. konzep-tuelle und relationale Bedeutungen, bildenzusammen die Function. Function undLaut (die lautliche Struktur) sind nicht di-rekt aufeinander bezogen, sondern vermitteltdurch die Form. Eine Form in SchleichersSinne haben sowohl die Sprachen insgesamtals auch die einzelnen Wrter. Interessant ist,da dabei Form bezogen auf das einzelneWort nicht dessen konkrete morphologischeStruktur einschlielich deren phonologischer

  • 91. Gegenstand der Morphologie

    Ausprgung meint, sondern deren abstrak-tere morphologisch-typologische Struktur.Gleich strukturierte Wortformen (im moder-nen Sprachgebrauch) unterschiedlicher Wr-ter haben also die gleiche Form, Schlei-chers morphologische Form ist also derFormtyp. Die konkreteren Formaspekte wer-den durch den Laut, genauer durch denBedeutungslaut und den Beziehungslaut(1869: 7), reflektiert. Form bezieht sich hierimmer auf die morphologische Form derWrter; fr ihre phonologische Form verwen-det Schleicher den Begriff der lautlichenWortform (1859: 2). Die Wissenschaft, diesich mit der Form der Sprache und in derSprache befat, ist die Morphologie, wobeidie allgemeine Morphologie zu ermittelnhat, welche Sprachformen berhaupt mg-lich sind, und die specielle Morphologie dieFormen der gegebenen Sprache darzustellenhat (127). Mit der Wahl von Goethes Termi-nus Morphologie, den Schleicher aus den Na-turwissenschaften bernimmt, grenzt er sichganz bewut von der Formenlehre der hi-storischen und beschreibenden Grammatikseiner Zeit ab:

    Fr die lere von der wortform wle ich das wortmorphologie, nach dem vorgange der naturwis-senschaften, weil formenlere fr specielle morpho-logie verbunden mit functionslere der beziehungs-laute bereits im gebrauche ist. (1859: 35)

    Die Unterschiede in der Form der einzelnenSprachen beruhen fr Schleicher in ganz ent-scheidendem Mae auf dem Fehlen undVorhandensein der Beziehungsausdrcke undauf der Stellung, welche Bedeutungs- und Be-ziehungsausdruck zu einander einnehmen(1869: 9). Das heit, sie ergeben sich aus derForm der Wrter in den einzelnen Sprachen,die Schleicher durch entsprechende Struktur-formeln reprsentiert. Aufgrund der in denEinzelsprachen vorliegenden Formen derWrter lassen sich diese zu Classen, d. h.Sprachtypen, zusammenfassen. Ganz imSinne seines Jahrhunderts ist fr Schleicherdas Wort und nicht der Satz die prgende lin-guistische Einheit. Die Form des Wortes unddie Form der Sprache stehen in einem engenWechselverhltnis. Schleichers Konzept vonsprachlicher Form ist (wie das Humboldts)dem in 1.1 aufgefhrten zweiten Formbe-griff zuzuordnen.

    Schleichers Komplementrbegriff zur Formist nicht wie bei Humboldt der des Stoffs, son-dern der des Inhalts. In seinem wissenschaft-lichen Denken steht eine Form immer fr

    einen Inhalt. Form und Inhalt sind untrenn-bar und stets zugleich vorhanden (1869: 6).Das gilt natrlich auch fr die Sprache. DerInhalt der Sprache ist die Function, alsodie Semantik. Dieser wird eine Form imumfassenderen, morphonologischen Sinne,ein Ausdruck entgegengesetzt, der aus der(morphologischen) Form und dem Lautbesteht (1869: 127f.).

    Doch auch Humboldts Konzept der inne-ren Form wirkt in der deutschen Sprachwis-senschaft des 19. Jahrhunderts fort. Hier sindbesonders A. F. Pott, H. Steinthal und G.von der Gabelentz zu nennen. Besonders be-merkenswert ist, da fr Gabelentz zu einerZeit, wo die Junggrammatiker mit ihrematomistischen Formbegriff lngst die lingui-stische Szene beherrschen, der Begriff derinneren Sprachformen [] zugleich einer derschwierigsten und der fruchtbarsten ist (Ga-belentz 21901: 327). Die innere Sprachformist bei Gabelentz klar bestimmt; auf ihrerGrundlage wird festgelegt, was Grammatikist:

    Sprache ist gegliederter Ausdruck des Gedankens,und Gedanke ist Verbindung von Begriffen. Diemenschliche Sprache will aber nicht nur die zu ver-bindenden Begriffe und die Art ihrer logischen Be-ziehungen ausdrcken, sondern auch das Verhlt-nis des Redenden zur Rede; ich will nicht nur etwasaussprechen, sondern auch mich aussprechen, undso tritt zum logischen Faktor, diesen vielfltigdurchdringend, ein psychologischer. Ein dritterFaktor kann hinzukommen: die rumlichen undzeitlichen Anschauungsformen. Die innere Sprach-form ist in ihrem grammatischen Theile nichts wei-ter als die Auffassung dieser drei Beziehungsarten:der logischen, der psychologischen und der raum-zeitlichen. Die Art und Weise, wie diese drei zumAusdrucke gebracht werden, nennen wir denSprachbau. Grammatik ist nun die Lehre vomSprachbau, mithin von der Sprachform, der usse-ren, das heisst der Ausdrucksform fr jene Bezie-hungen, und also mittelbar insoweit zugleich derinneren Form, das heisst der dem Sprachbaue zuGrunde liegenden Weltanschauung. (81)

    Auch bei Gabelentz gibt es einen Gegenpolzur Form der Sprache, gefat als Einheit voninnerer und uerer Form. Das ist (wie beiHumboldt) der Stoff. Der Stoff der Sprachebesteht kurz gesagt in Allem was des Men-schen Denken erregt (324). Die einzelnenSprachen unterscheiden sich darin, auf wel-che spezifische Weise sie den sprachlichenStoff formen, Sprachen, die gnzlich form-los sind, kann es nicht geben (327).

    Doch ein solch umfassender Begriff dersprachlichen Form ist fr diese Zeit unty-

  • 10 I. Morphologie als Disziplin

    pisch. Fr die bereits erwhnten Junggram-matiker, darunter auch solche fhrendenSprachwissenschaftler wie K. Brugmann, H.Osthoff und H. Paul, gibt es, voll im Ein-klang mit ihrem empiristischen Verstndnisvon Wissenschaft, keine Form der Sprachemehr, sondern nur noch Formen in der Spra-che (vgl. dazu etwa Paul 1880). Der BegriffForm wird ausschlielich fr morphologischeWortformen, primr fr Flexionsformen, ver-wendet. Diesen Formen kommt dann jeweilsauch eine Lautform zu. Die einzelne Formsteht dabei in bestimmten Zusammenhngen;sie ist vor allem Form eines Paradigmas,doch zugleich auch Form einer bestimmtenKategorie (z. B. Pluralform), was das Auftre-ten von Analogien zwischen den Formenmglich macht, die ja entweder zwischen denFormen eines Paradigmas oder zwischen denFormen einer Kategorie wirken. Der darberhinausgehende Zusammenhang der einzelnenForm mit dem Gesamtsystem der Sprache,wie er von Humboldt und Schleicher thema-tisiert wird, findet kaum Beachtung. EineAusnahme dazu bildet eigentlich nur der beiden Junggrammatikern vereinzelt auftre-tende, nicht genauer ausgearbeitete Begriffdes Systemzwangs (Paul 1879: 128ff.), dersich zumindest partiell auf Eigenschaften desmorphologischen Systems bezieht. Im groenund ganzen aber drckt sich in der Einen-gung des Formbegriffs auf die einzelne mor-phologische Form nicht nur eine vernderteTerminologie aus; diese geht Hand in Handmit einer Einengung des sprachwissenschaft-lichen Interesses. Die Sicht auf die Spracheals Gesamtheit, als Organismus, als Systemwird ersetzt durch die Sicht auf die einzelnenmorphologischen Formen und Paradigmen.

    Gegen Ende des Jahrhunderts hat da-mit die junggrammatische Formenlehre dieMorphologie im Sinne von Goethe undSchleicher (und faktisch auch von Hum-boldt) aus dem Feld geschlagen. Im 20. Jahr-hundert wird von der Linguistik der umfas-sende Formbegriff, wie er im 19. Jahrhundertausgearbeitet wurde, in zweifacher Weise wie-der aufgenommen und weitergefhrt, erstensvon der strukturalistischen Grammatik, diedie einzelnen Formen (nicht nur die morpho-logischen) in ihrer Relation zum gesamtenSprachsystem untersucht, und zweitens vonder Sprachtypologie, die sich mit der Formder unterschiedlichen Sprachsysteme und ih-rer Elemente befat.

    2.3. Form und Funktion in der SpracheWie im Zusammenhang mit der Bestimmungvon Morphologie festgestellt, weisen smt-liche Komponenten des Sprachsystems ihrespezifische Form auf. Im folgenden wird derBegriff der sprachlichen Form jedoch im Ein-klang mit den kurz skizzierten sprachwissen-schaftlichen Traditionen ausschlielich alsmorphologische Form verstanden. Das Ver-hltnis von morphologischer Form undFunktion soll am Beispiel der Flexionsmor-phologie dargestellt werden.

    Die flexionsmorphologische Form derSprache insgesamt manifestiert sich in derStruktur des Flexionssystems. Hier liegt da-mit eine Form im Sinne des in 1.1 expliziertenzweiten Formbegriffs vor. Die Elemente desFlexionssystems sind die einzelnen Flexions-formen mit ihren durch ihre Stellung im Sy-stem geprgten formalen (ausdrucksseitigen)und inhaltlichen Eigenschaften. Doch willman der Form die Funktion gegenberstel-len, so ist eine solche Gegenberstellung nursinnvoll, wenn man sie auf die Form imengeren Sinne, d. h. auf die Ausdrucksseitedes morphologischen Systems bzw. der ein-zelnen morphologischen Einheiten, bezieht.Die Funktion der Flexionsmorphologie imSprachsystem, also ihre Leistung, bestehtin der Symbolisierung von grammatischenKategorien wie Numerus, Kasus, Tempus,Modus und Person usw. am Wort durch des-sen formale Modifizierung. Die Funktion deseinzelnen morphologischen Markers (oderFlexivs) als Formelement besteht entspre-chend in der Symbolisierung wenigstens einergrammatischen Teilkategorie wie Plural, Ge-nitiv, Prteritum, Konjunktiv und 1. Person.In der Flexionsmorphologie schlgt sich dasVerhltnis von Form und Funktion im Zei-chenverhltnis von Marker (Ausdruck) undKategorie (Inhalt) innerhalb der Grenzen desWortes nieder (vgl. Art. 6466).

    Zunchst ist klarzustellen, in welchemSinne die morphologischen Marker Formsind oder Form aufweisen. Es gibt sehr unter-schiedliche Marker, die sich jedoch dreiHaupttypen zuordnen lassen. Additive Mar-ker resultieren aus der Hinzufgung phono-logischer Substanz an das Wort (Affixe allerArt, Reduplikation), modifikatorische Mar-ker aus der qualitativen Vernderung derphonologischen Substanz des Wortes (alleAlternationen) und subtraktive Marker ausder Tilgung phonologischer Substanz desWortes (Alternationen mit null); vgl. dazujeweils dt. Schwester Plural Schwestern, dt.

  • 111. Gegenstand der Morphologie

    Mutter Plural Mtter und isl. sonur Ak-kusativ Singular son. Additive Marker sindinnerhalb des Wortes segmental abtrennbar,bilden Morpheme, die die grammatischenKategorien direkt symbolisieren. Modifikato-rische Marker symbolisieren die Kategoriendagegen indirekt durch eine formale Vern-derung des Basismorphems, und dieses Mor-phem steht dann sowohl fr die lexikalischeBedeutung als auch fr die entsprechendenKategorien. Subtraktive Marker schlielichsymbolisieren die Kategorien ebenfalls indi-rekt, durch das Fehlen eines Morphems, dasin der Grundform des Wortes vorhanden ist;es existiert berhaupt kein abtrennbarer Teildes Wortes, der fr die Kategorien steht. Frzwei der Markertypen gilt also, da sie keineeigene segmentale Form haben, sondern sichlediglich in der Form des Wortes ausdrcken.Sie haben keinen Morphem-, sondern Pro-zecharakter. Dennoch sind sie natrlichformale Einheiten der Morphologie, Aus-druckselemente. Auch in diesem Sinne istalso die Form der Wrter mehr als derenuere Gestalt, denn sie reflektiert zugleichauch das formale Verhltnis zur jeweiligenparadigmatischen Grundform (vgl. Kap.VII).

    Das Verhltnis von Form und Funktion inder Flexionsmorphologie stellt sich keines-falls als trivial dar. Die Flexionssysteme dermeisten Sprachen (aller nicht strikt aggluti-nierenden) sind nicht nach dem Prinzip derEineindeutigkeit von Marker und grammati-scher Kategorie aufgebaut. Erstens reprsen-tieren formal identische Marker oft unter-schiedliche Kategorien, und identische Kate-gorien werden oft durch unterschiedlicheMarker reprsentiert. So symbolisiert einer-seits der Marker -i in der russischen Formknig-i entweder den Genitiv Singular oderden Nominativ Plural, und andererseits wirdder russische Genitiv Singular in der Formknig-i durch den Marker -i und in der Formstol-a durch den Marker -a symbolisiert.(Nicht so im Trkischen: hier symbolisiertz. B. der Marker -lar/-ler stets den Plural, undder Plural wird stets durch -lar/-ler symboli-siert.) Zweitens reprsentiert ein Marker oftmehrere Kategorien zugleich, und eine Kate-gorie wird durch mehrere Marker zugleich re-prsentiert. Vgl. einerseits die lateinischeVerbform put-o, wo der Marker -o die Kate-gorien 1. Person, Singular, Prsens, Indikativund Aktiv zugleich symbolisiert, und ande-rerseits die deutsche Verbform ge-sung-en, wodie Kategorie Partizip Perfekt durch das Pr-fix ge-, das Suffix -en und den Ablaut zu-

    gleich symbolisiert wird. (Demgegenbersymbolisiert im Trkischen ein Marker stetsgenau eine Kategorie, und eine Kategoriewird stets durch genau einen Marker symbo-lisiert.)

    In einzelnen Sprachen finden sich mituntersehr komplexe Ausprgungen des Verhltnis-ses von Marker und Kategorien; vgl. dieSymbolisierungsverhltnisse in den deutschen(starken) Verbformen:

    er wirf -t

    3. PERS SG PRS IND

    Abb. 1.1: Er wirft

    Noch komplexer stellt sich das Verhltnisvon Markern und Kategorien in den analyti-schen Verbformen dar, wo nach dem Tempusflektierte Verbstmme zusammen mit denmorphologischen Markern eines zweiten (in-finiten) Verbs syntaktische Tempusmarkerbilden:

    er wird (-t) werf -en

    3. PERS IND SG PRS INF

    FUT

    Abb. 1.2: Er wird werfen

    Das Verhltnis von Form und Funktion inder Flexionsmorphologie (und in der Mor-phosyntax), das sich im Verhltnis zwischenden Markern und den grammatischen Kate-gorien ausdrckt, zeigt auf diese Weise deut-lich die Spezifik der natrlichen Sprache ge-genber allen anderen semiotischen Syste-men.

    3. Morphologische Formin der Sprache

    Wie eben festgestellt, sind die natrlichenSprachen semiotische Systeme einer besonde-ren Spezifik. Sie beruhen auf der dem Men-schen eigenen, angeborenen Sprachfhigkeit.

  • 12 I. Morphologie als Disziplin

    Ihr Wesen besteht in der gegenseitigenZuordnung von Bedeutungsstrukturen undLautstrukturen, die jeweils nach grundlegendunterschiedlichen Prinzipien aufgebaut sind.Die Bedeutungsstrukturen stellen vieldimen-sionale, nichtlinear organisierte Komplexevon Konzepten mit logischen Verknpfungendar, die eng an das Denken gebunden sind.Ihr Aufbau ist determiniert durch die Be-dingungen der menschlichen Kognition. DieLautstrukturen bilden demgegenber zeitlich-linear gegliederte Abfolgen von zu Silben zu-sammengefaten Lauten mit entsprechendensuprasegmentalen Eigenschaften. Ihr Aufbauist determiniert durch die Bedingungen dermenschlichen Artikulation und Perzeption.

    Zwischen den Einheiten der beiden Ebenender natrlichen Sprache gibt es (anders als inallen knstlichen Zeichensystemen) keine un-mittelbare Zuordnung; die Zuordnung ge-schieht durch einen komplexen Umkodie-rungsmechanismus, das Sprachsystem. Einwesentlicher Schritt der Umkodierung be-steht dabei darin, da semantischen Konzep-ten Wortschatzeinheiten, lexikalische Wrter,zugewiesen werden, die das Lexikon der je-weiligen Sprache bereitstellt. Wrter sind diekleinsten relativ selbstndigen sprachlichenEinheiten, in deren Rahmen eine Bedeutungund eine Lautform einander zugeordnet sind,d. h. die kleinsten relativ selbstndigen sprach-lichen Zeichen. Hier liegt dann eine lexikali-sche Kodierung von Bedeutungseinheitenvor. Die Wrter werden nach den Regeln derSyntax zu Stzen zusammengefat, die ihrer-seits die grten grammatisch einheitlichstrukturierten sprachlichen Zeichen darstel-len, in deren Rahmen eine Bedeutung undeine Lautform einander zugeordnet sind. Das(lexikalische) Wort und der Satz sind dieGrundeinheiten der Grammatik.

    Nicht alle semantischen Konzepte werdenin der Form von lexikalischen Wrtern ko-diert. Es existiert eine spezielle Klasse vonKonzepten, die sich beziehen:

    auf bestimmte allgemeine Eigenschaftenund Sachverhalte der in den uerungenwidergespiegelten objektiven Realitt, diein der menschlichen Perzeption eine aus-gezeichnete Rolle spielen und darber hin-aus fr die gesamte kognitive und prakti-sche Auseinandersetzung des Menschenmit seiner Umwelt von Bedeutung sind(z. B. die Zahligkeit von Objekten und dieAktantenrollen);

    auf die allgemeinsten Faktoren der sprach-lichen Kommunikation wie die Kommuni-

    kationspartner, die Kommunikationssitua-tion, die Kommunikationsintention usw.(z. B. die Personen der Rede und die zeitli-che Fixierung von Handlungen bezogenauf die Zeit der uerung).

    Solche Konzepte tendieren aufgrund ihrerGeneralitt zur nichtlexikalischen, d. h. zurgrammatischen Kodierung. Die grammati-sche Kodierung basiert auf den beiden gram-matischen Grundeinheiten. So ergeben sichzwei Mglichkeiten: Die Konzepte knnenentweder im Satz, d. h. als syntaktische Kate-gorien, oder aber im Wort, d. h. als morpho-logische Kategorien, kodiert werden. Diesyntaktische Kodierung erfolgt durch dieReihenfolge der syntaktischen Konstituentenoder durch die Verwendung von grammati-schen Wrtern, die morphologische Kodie-rung durch formale Vernderungen am Wort.Man spricht hier auch vom analytischenbzw. vom synthetischen Verfahren in derGrammatik. Beide Verfahren leisten das glei-che, nur mit unterschiedlichen Mitteln (Hum-boldt 1836).

    Whrend alle Sprachen das analytischeVerfahren zur Kodierung grammatischer Ka-tegorien verwenden (auch die mit den amstrksten ausgeprgten Flexionssystemen),findet sich das synthetische Verfahren nur ineiner Teilklasse der Sprachen, den Sprachenmit fusionierender (flektierender) und agglu-tinierender Strukturbildung. Anders gesagt,nur ein Teil der Sprachen hat eine gramma-tische Morphologie, eine Flexionsmorpho-logie. Diese Bevorzugung des analytischenVerfahrens resultiert aus der spezifischenWeise der Herausbildung grammatischer Ein-heiten im Laufe der Sprachgeschichte in deneinzelnen Sprachen, der Grammatikalisie-rung: Wrter mit einer ursprnglichen lexika-lischen Bedeutung entwickeln sich in einemersten Schritt zunchst zu grammatischenWrtern, also zu syntaktischen Kategorien-markern. Diese tendieren dann lngerfristigdazu, sich unter entsprechenden Bedingun-gen in einem zweiten Schritt mit ihrem jewei-ligen Trger formal zu einem einheitlichenWort zu verbinden, sich also zu morphologi-schen Markern weiterzuentwickeln (Leh-mann 1995; Art. 145). Wenn man bercksich-tigt, da es aufgrund des unterschiedlichenAlters der syntaktischen Marker faktischnicht mglich ist, da zu einem bestimmtenZeitpunkt alle syntaktischen Marker einerSprache zugleich in morphologische Markerbergehen, so ergibt sich, da das Vorhan-

  • 131. Gegenstand der Morphologie

    densein morphologischer Kategorienmarkerin einer Sprache immer auch das Vorhanden-sein syntaktischer Kategorienmarker voraus-setzt. Synchron gesehen lt sich sagen, daimmer dann in einer Sprache Flexionsmor-phologie existiert, wenn lexikalische undgrammatische Kodierung innerhalb des Wor-tes miteinander kombiniert auftreten.

    Das Vorkommen bzw. Fehlen von mor-phologischen Kategorienmarkern bildet dieGrundlage fr die typologische Klassifizie-rung der Sprachen in fusionierende und ag-glutinierende Sprachen (flektierende im allge-meineren Sinne von Flexion aufweisend) ei-nerseits und isolierende Sprachen andrerseits.Doch auch die Sprachen, die ber eine Fle-xionsmorphologie verfgen, differieren be-trchtlich darin, in welchem Mae sie von ihrGebrauch machen, welche Rolle die Mor-phologie im Vergleich zur Syntax im Rahmender grammatischen Strukturbildung jeweilsspielt. So unterscheidet man unter ihnen hu-fig zwischen synthetischen Sprachen wieLatein bzw. Ungarisch und analytischenSprachen wie Englisch bzw. den (meisten)Kreolsprachen. Das reicht jedoch nicht aus,um die wirklichen Verhltnisse adquat zu er-fassen, denn tatschlich unterscheiden sichdie existierenden Sprachen in der Auspr-gung ihrer Flexionsmorphologie nicht binr,sondern graduell. Beispielsweise weisen dienormalerweise gleichermaen als fusionie-rend klassifizierten modernen germanischenSprachen von Islndisch ber Deutsch, Fest-landsskandinavisch/Niederlndisch und Eng-lisch bis hin zum Afrikaans eine graduell ab-nehmende Ausprgung der Flexionsmorpho-logie auf.

    Will man erklren, weshalb die Sprachendie Flexionsmorphologie in so unterschiedli-chem Mae zur Kodierung von grammati-schen Kategorien nutzen, so mu man sichwiederum auf die Grammatikalisierung unddamit auf die diachronen Verhltnisse bezie-hen. Die quantitative Ausprgung der Fle-xionsmorphologie in einer Sprache ergibtsich aus dem Entwicklungsstand der in ihrsich vollziehenden Grammatikalisierungspro-zesse. Diese verlaufen in der Regel so, dalexikalische Wrter zunchst zu analytisch-isolierenden Kategorienmarkern grammati-kalisiert werden und sich im Laufe derSprachgeschichte dann zu synthetisch-agglu-tinierenden und synthetisch-fusionierendenMarkern weiterentwickeln, um schlielichwieder abgebaut zu werden. Sie werden dannin der Regel durch neu herausgebildete analy-

    tisch-isolierende Marker ersetzt usw. (vgl.Lehmann 1995: 1216).

    Bleiben wir beim genannten Beispiel. DasIslndische ist eine nahezu klassische fusio-nierende Sprache. Seit dem Beginn seinerberlieferung hat es nicht nur keine Fle-xionsmorphologie abgebaut, sondern durchMorphologisierung (Art. 146), d. h. durch dieEntwicklung von syntaktischen Fgungen zumorphologischen Formen, neue Morphologieherausgebildet. Beispiele dafr sind die Her-ausbildung der bestimmten Substantivfor-men (mit Schluartikel), vgl. hinn hundr je-ner Hund > der Hund > hundr hinn > aisl.hundr-inn > nisl. hundur-inn, der medialenVerben, vgl. kalla sik sich nennen, genanntwerden (zu kalla rufen) > aisl. kallask >nisl. kallast heien, und der Imperative mitinkorporiertem Pronomen, vgl. aisl. kallaruf > kalla pu ruf (du) > nisl. kalla-du.Dagegen hat das Deutsche seit dem Althoch-deutschen viel Morphologie eingebt, spe-ziell im Bereich der substantivischen Kasus-flexion und in der Konjunktivbildung (Art.155). Die festlandsskandinavischen Sprachenhaben zwar wie das Islndische bestimmteSubstantivformen und mediale Verben her-ausgebildet, aber nahezu die gesamte Kasus-morphologie der Substantive und Adjektivesowie die gesamte Personalmorphologie derVerben verloren. Diese Entwicklung ist imEnglischen bekanntlich noch wesentlich wei-ter vorangeschritten; es existiert nur nocheine rudimentre Flexionsmorphologie. ImAfrikaans schlielich ist die Flexion noch instrkerem Mae abgebaut worden als imEnglischen, speziell im verbalen Bereich. Sogibt es berhaupt keine Personalflexion undnicht einmal mehr ein synthetisches Prteri-tum (hy het gewerk er arbeitete). Die vor-handenen grammatischen Kategorien werdenfast ausschlielich syntaktisch symbolisiert.Abgesehen von seiner recht komplexen Plu-ralbildung der Substantive tendiert dasAfrikaans stark zu einer isolierenden Spra-che.

    Synchronische Erklrungen dafr, weshalbbestimmte Sprachen viel, andere dagegen nurwenig oder berhaupt keine Flexionsmor-phologie aufweisen, gibt es nicht. Natrlichexistieren offensichtliche und plausible Zu-sammenhnge zwischen dem Auftreten vonmorphologischen und dem Nichtauftretenvon syntaktischen Kategorienmarkern sowieumgekehrt; man vgl. etwa die morphologi-sche Kodierung der Aktanten im Lateini-schen und ihre syntaktische Kodierung im

  • 14 I. Morphologie als Disziplin

    Englischen. Doch das ist eine Faktenbe-schreibung und keine Erklrung, mit welchentheoretischen Mitteln man solche Zusam-menhnge auch zu erfassen trachtet. Auer-dem ist zu bercksichtigen, da die einzelnenSprachen unterschiedlich viele grammatischeKategorien, unabhngig davon, ob morpho-logisch oder syntaktisch realisiert, aufweisen,so da das Vorhandensein vieler morphologi-scher Marker nicht automatisch auch dasVorhandensein weniger oder gar keiner syn-taktischer Marker bedeutet und umgekehrt.Des weiteren zeigt sich bei nherer Betrach-tung, da aus dem Auftreten morphologi-scher bzw. syntaktischer Marker fr eine Ka-tegorie keine strikten Schlufolgerungen berdas Auftreten von Markern des jeweils ande-ren Typs gezogen werden knnen. So ltsich beispielsweise die hufig postulierte An-nahme nicht halten, da die Kategorien derPerson und des Numerus in Sprachen mit ei-ner ausgeprgten verbalen Personalmorpho-logie nicht durch obligatorische Personalpro-nomen symbolisiert werden, whrend sie inSprachen mit einer wenig ausgeprgten oderganz fehlenden verbalen Personalmorpholo-gie durch Personalpronomen symbolisiertwerden mssen. Zwar weisen erwartungsge-m viele Sprachen mit einer ausgeprgtenPersonalmorphologie wie Lateinisch und Ita-lienisch in ihren Verbparadigmen keine obli-gatorischen Personalpronomen auf, whrendviele Sprachen mit schwach ausgeprgterbzw. ohne Personalmorphologie wie Englischund Schwedisch obligatorische Personalpro-nomen haben. Doch andererseits existierenentgegen dieser Annahme nicht nur Sprachenmit einer ausgeprgten Personalmorphologieund obligatorischen Personalpronomen wieRussisch und Deutsch, sondern sogar auchSprachen ohne jede Personalmorphologieund ohne obligatorische Personalpronomenwie Japanisch (Comrie 1990: 141f.). Welchemorphologischen Kategorien eine Sprache imRahmen der universell gegebenen Mglich-keiten auswhlt, resultiert aus dem Verlaufihrer Geschichte.

    Das alles bedeutet jedoch nicht, da dieSprachen mit ausschlielich isolierendergrammatischer Strukturbildung berhauptkeine Morphologie aufweisen. Alle Sprachensind aufgrund der gesellschaftlichen Weiter-entwicklung mit der Notwendigkeit einer Er-weiterung ihres Lexikons konfrontiert, umneue Begriffe ausdrcken zu knnen. Abgese-hen von der (nicht immer gegebenen) Mg-lichkeit der Entlehnung kann das nur da-

    durch geschehen, da aus bereits vorhande-nen Wrtern (oder Stmmen) neue Wrtergebildet werden. Hier liegt ein der Grammati-kalisierung paralleler Proze vor, den manals Komposition bezeichnen kann. Zunchstwerden zwei Wrter zu einem Kompositumzusammengefat. Unter entsprechenden Be-dingungen kann sich eines der Glieder desKompositums dann im Laufe der Sprachge-schichte zum Derivativ weiterentwickeln. DasVorkommen von Derivation in einer Sprachesetzt das Vorkommen von Komposition vor-aus. Da alle Sprachen zur Aufrechterhaltungeiner effektiven Kommunikation ihr Lexikonerweitern mssen (wenn auch in unterschied-lichem Ausma), weisen auch alle Spracheneine Wortbildungsmorphologie, eine lexika-lische Morphologie auf. Das gilt fr Spra-chen jeder grammatischen Struktur, so auchfr solche mit strikt isolierender gramma-tischer Strukturbildung wie beispielsweiseVietnamesisch. Sprachen ohne jede Morpho-logie, also ohne Wrter mit innerer Struktur,gibt es demzufolge nicht.

    4. Zitierte Literatur

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  • 152. The term morphology

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    2. The term morphology

    1. Introduction2. Morphology in German biology3. Morphology in French biology4. Early use of the term morphology in

    linguistics5. Some linguistic acceptations of morphology6. Conclusion7. References

    1. Introduction

    The term morphology has been used in lin-guistics for well over a hundred years as ageneral description for the phenomena of ac-

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    Wolfgang Ullrich Wurzel, Berlin(Deutschland)

    cidence and word-formation. The term wasborrowed from the biological sciences, andreflects, consciously or unconsciously, theview of language as an organism charac-terized by systems susceptible to synchronicand diachronic analysis.

    It was in German that the term was firstused, and it is in a German work of referencethat it is first glossed, with no details ofsource or date, as the umfassende Lehre vonNaturformen, and the equivalent of Anato-mie (Pierer 1835: 152). The Deutsches Wr-terbuch, however, has no entry for the word

  • 16 I. Morphologie als Disziplin

    (Grimm & Grimm 18591960), which is alsoabsent from many 19th- and 20th-centuryGerman dictionaries; but a recent Etymolo-gisches Wrterbuch des Deutschen defines itas being concerned with forms and their de-velopment (Pfeifer 1989: 128).

    The first French dictionary definition ofmorphologie is that by Barre (1842: 806) asHistoire des formes que peut revetir la ma-tie`re, wording repeated verbatim by Littre(1863: 630 c), with further definitions, includ-ing one in which it is described as lorgano-graphie expliquee par les transformationsauxquelles sont soumises les parties des vege-taux (St.-Hilaire 1841: 17). Littres entrycontinues with a note of the use of morpholo-gie in linguistics, and glosses it as doctrinede la forme des mots et de leurs trans-formations. A further entry under morpho-logique notes morphological classification asthe distinction of languages into isolative, ag-glutinative and inflective types.

    St.-Hilaire was not, however, the firstFrench biologist to use the term; it had beenused some twenty years earlier by Blainville(1822: 25, also titlepage). This is noted by theGrand Larousse de la langue francaise, whichalso gives a useful survey of the use of theterm in linguistics (1975: 36453648).

    In English, morphology is glossed by theOED as the science of form, which givesacceptations in biology and philology. Thedefinition of biological usage is comprehen-sive, covering structures, homologies andmetamorphoses in animals and plants.

    The earliest citation, dated 1830, ascribedto R. Knox, Cloquets Anat[omy], derivesfrom a French work (see below, 3). After fur-ther instances of the use of the term in bio-logy, indicating a rather varied usage in the19th century, there follow three citations forthe use of morphology in English linguisticcontexts. The earliest is a footnote statingthat By the morphology of a language wemean the general laws of its grammaticalstructure (Farrar 1870: 160 n). The next cita-tion, only a year later, divides morphologyinto flexion, derivation and composition, of-fering the alternative term Wordlore, derivedperhaps from the relatively infrequentWortlehre (Kennedy 1871: 21). A third entry,from a London literary magazine, previewsJoseph Wrights Historical German Grammar(Wright 1907), the first volume of which wasto deal with phonology, morphology and in-

    flections, so that morphology implicitly ex-cludes accidence; in the published work,Wright uses the terms phonology, word-forma-tion and accidence.

    2. Morphology in German biology

    The word Morphologie was unrecorded be-fore Goethe used it in a diary entry for 25September 1796; it occurs again a few weekslater (12 November) in a letter he wrote toSchiller, and in Schillers reply the followingday. Goethe also used it as the heading of aloose-leaf fragment of about the same date(Matthaei & Troll & Wolf 1964, eds.: 128;Kuhn & Engelhardt 1986, eds.: 418420).The conclusion of this fragment indicatesclearly what Goethe understood by the term:Die Gestalt ist ein bewegliches, ein ver-gehendes, Gestaltenlehre ist Verwandlungs-lehre. Die Lehre der Metamorphose ist derSchlssel zu allen Zeichen der Natur (Mat-thaei & Troll & Wolf 1964, eds.: 128).Goethes interest in metamorphosis foundpractical expression as early as 1790 in hisVersuch die Metamorphose der Pflanzen zuerklren, first published in 1817 in a collec-tion of papers entitled Zur Morphologie. Inan introductory essay he speaks of a new dis-cipline, welche wir die Morphologie nennenmchten, and makes it clear in his ensuingremarks that he was ever conscious of themutability of natural phenomena (Mat-thaei & Troll & Wolf 1954, eds: 7). In thelater 19th century this insight was perhapstoo readily interpreted as an anticipation ofevolutionism, but it is also consistent withontogenetic development. However Goethesviews are interpreted, it is clear that he sawthe underlying principle of morphology asdynamic rather than static. (On Goethes useof morphology see, for example, Altner 1986;Brady 1987; Kuhn 1987).

    While the date 1796 gives Goethe a strongclaim to have coined the term, his first use ofit in print (1817) has been shown, in a fullydocumented study (Schmid 1935), to havebeen antedated by the craniologist KarlFriedrich Burdach. Burdach used it as earlyas 1800, in a footnote in his Propdeutik zumStudium der gesammten Heilkunst, and sev-eral more times in other writings, before itappeared in the title of Ueber die Aufgabe derMorphologie, an address he gave on the occa-sion of the opening of the Anatomical Insti-

  • 172. The term morphology

    tute of the University of Knigsberg in 1817,shortly after Goethes Zur Morphologie ap-peared. He sent a copy of the work toGoethe, who acknowledged it with gratitude,da ich es durchaus mit meiner Sinnesweisestimmend fand (Schmid 1935: 601, 603 f.,609). Burdach described morphology as thestudy not so much of product (Gewordenes)as of process (Werden); his conception ofmorphology may therefore, like Goethes, beconsidered to imply development.

    While Burdachs priority in print is as-sured, it is likely that Goethes use of theword Morphologie was far more influential ingiving it currency. This is particularly notice-able in the writings of such a prominent evo-lutionist as Ernst Haeckel, who devoted awhole book to a comparison of Darwin,Goethe and Lamarck (Haeckel 1882). ButBurdach was not entirely forgotten in hisown day: two years after his 1817 paper hisname appears conjointly with Goethes as asource, in which the subject, histology, is de-scribed as running parallel der Lehre vondem rumlichen Verhltni, von der For