Upload
others
View
4
Download
0
Embed Size (px)
Citation preview
Das Längsschnittprojekt Familienentwicklung im Lebenslauf (FIL):
Familienbezogene und individuelle Entwicklungsaufgaben und ihre Bewältigung im
Jugendalter
Brigitte Rollett und Harald Werneck
Forschungsbericht
Universität Wien Fakultät für Psychologie
Institut für Entwicklungspsychologie und Psychologische Diagnostik
2008
2
Familienentwicklung im Lebenslauf (FIL):
Familienbezogene und individuelle Entwicklungsaufgaben
und ihre Bewältigung im Jugendalter
Projektleitung
O.Univ.Prof.em.Dr.BrigitteRollett
Ass.Prof.Dr. Harald Werneck
Projektmitarbeiter/in
Guido Nold (Projektkoordinator)
Mag. Monika Pucher
Diplomandinnen
Karin Brandl
Mag. Judith Gregor
Mag. Evelyn Langthaler
Mag. Anita Lechner
Mag. Monika Pucher
3
Inhaltsverzeichnis
1. Das Gesamtprojekt „Familienentwicklung im Lebenslauf“ (FIL) ..................................... 6 1.1 Überblick über Methodik und Resultate der ersten fünf Erhebungswellen: .............. 7 1.2 Die wichtigen Ergebnisse der ersten fünf Erhebungswellen: ................................... 10
2. Das Projekt „Familienentwicklung im Lebenslauf (FIL): Familienbezogene und individuelle Entwicklungs-aufgaben und ihre Bewältigung im Jugendalter (sechste Erhebungswelle des Gesamtprojekts) ....................................................................................... 15
2.1 Zielsetzungen ............................................................................................................ 15 2.2 Methodisches Vorgehen ........................................................................................... 16
2.2.1 Längsschnittliche Teilnahme der Untersuchungsfamilien ............................... 16 3. Die Familienentwicklung im Jugendalter der Heranwachsenden .................................... 21
3.1 Einleitung ................................................................................................................. 21 3.2 Die Partnerschaft der Eltern ..................................................................................... 21 3.3 Die Einschätzungen der Glücklichkeit in der Partnerschaft durch die Eltern .......... 23 3.4 Die Einstellung der Mütter zur Elternschaft: Skalenbildung und Identifikation von Müttertypen .......................................................................................................................... 24
3.4.1 Müttertypen und Partnerschaftsqualität ............................................................ 28 3.4.2 Die Beziehung der Müttertypen zu ihren Söhnen und Töchtern ...................... 31 3.4.3 Die von den Müttern in den Mütterclustern berichtete Aufteilung der Haushaltstätigkeiten ......................................................................................................... 34 3.4.4 Längsschnittliche Wanderung der Müttertypen ............................................... 36
3.5 Die Einstellung der Väter zur Elternschaft: Skalenbildung und Identifikation von Vätertypen ............................................................................................................................ 42
3.5.1 Vätertypen und Partnerschaftsqualität .............................................................. 45 3.5.2 Die von den Vätern berichtete Aufteilung der Haushaltstätigkeiten ................ 47 3.5.3 Vätertypen und Zufriedenheit mit der Zeitaufteilung zwischen Familie, Freizeit und Beruf .......................................................................................................................... 48 3.5.4 Längsschnittliche Wanderung der Vätertypen ................................................. 49
4. Jugendalter und Temperamentsentwicklung .................................................................... 54 4.1 Einleitung: Ergebnisse und offene Fragen der Temperamentsforschung ................. 54 4.2 Temperamentstypen versus Temperamentsfaktoren: Zwei unterschiedliche Forschungsstrategien ............................................................................................................ 55
4.2.1 Ergebnisse aufgrund des typenorientierten Ansatzes: Die Veränderung der Zugehörigkeit zu den Temperamentstypen des Säuglingsalters in der Adoleszenz ......... 58 4.2.2 Ergebnisse aufgrund des variablenorientierten Ansatzes: Die Entwicklung der Temperamentsfaktoren vom Säuglingsalter bis zur Adoleszenz ...................................... 61
4.3 Zwei zentrale Temperamentskomponenten: „Anpassungsbereitschaft/ Erziehbarkeit“ und „Ärgerneigung/Negative Affektivität“: Befunde zu den lebenslaufbezogenen Entwicklungsbedingungen ................................................................. 67 4.4 Resumée ................................................................................................................... 75
5. Die Zukunftsvorstellungen Jugendlicher .......................................................................... 76 5.1 Einleitung ................................................................................................................. 76 5.2 Die selbst formulierten Lebensziele der Jugendlichen ............................................. 77 5.3 Konstruktion des Zukunftsorientierungsfragebogens ............................................... 78 5.4 Erwartungen einer zukünftigen positiven Lebensgestaltung und aktuell erlebte Problembelastung ................................................................................................................. 79 5.5 Zukunftserwartung und Identitätsstatus der Jugendlichen ...................................... 82
5.5.1 Identitätsstatus und Erwartung einer zukünftigen positiven Lebensgestaltung 82
4
5.5.2 Negative Zukunftskonstruktionen: Die Erwartung einer zukünftigen bedrohten Gesellschaft ...................................................................................................................... 86
5.6 Die lebenslaufbezogene Entwicklung positiver versus negativer Zukunftsorientierungen: Pfadanalysen ................................................................................. 87
5.6.1 Pfadanalyse der längsschnittlichen Entwicklung einer positiven Zukunftsorientierung ........................................................................................................ 91 5.6.2 Längsschnittliche Vorhersage einer negativen Zukunftsorientierung .............. 94
5.7 Typen der Zukunftsorientierung ............................................................................... 96 6. Die Berufsinteressen der Jugendlichen .......................................................................... 104
6.1 Erhebung der Berufsinteressen ............................................................................... 104 6.2 Bevorzugungen von und Abneigungen gegen bestimmte Berufsfelder ................. 105 6.3 Berufsinteressen von männlichen und weiblichen Jugendlichen im Vergleich ..... 106 6.4 Die Bedeutung bestimmter Aspekte der individuellen Soziabilität für die Berufswahl .......................................................................................................................... 107
6.4.1 Methodisches Vorgehen ................................................................................. 108 6.5 Die Bedeutung der beruflichen Interaktions- und Kommunikationsbereitschaft für die beruflichen Interessen ................................................................................................... 109
7. Das jugendtypische Freizeitverhalten ............................................................................. 111 7.1 Zur Methodik: Entwicklung eines Freizeitverhaltens-fragebogens........................ 111 7.2 Häufig und weniger häufig ausgeübte Freizeitaktivitäten ...................................... 112 7.3 Kognitive Kompetenzen und bevorzugtes Freizeitverhalten .................................. 113 7.4 Beziehungen zwischen Anstrengungsvermeidung bzw. Pflichteifer und Freizeitverhalten ................................................................................................................. 115 7.5 Geschlechtstypische Unterschiede im Freizeitverhalten ........................................ 116 7.6 Sozioökonomischer Status ...................................................................................... 117 7.7 Höhe des wöchentlichen Taschengeldes und bevorzugte Freizeitaktivitäten ........ 118 7.8 Computerbesitz, Computernutzung und Freizeitverhalten ..................................... 119 7.9 Freizeitverhalten und Temperamentstypen ............................................................ 123 7.10 Beziehungen zwischen Freizeitverhalten und Persönlichkeit im NEO-FFI ......... 125 7.11 Beziehungen zwischen Freizeitverhalten und Bindung an die Eltern .................... 126 7.12 Freizeitverhalten und Beziehung zu Freunden und Freundinnen ........................... 128 7.13 Familienverhältnisse und Freizeitverhalten ............................................................ 129 7.14 Identitätsstatus der Jugendlichen und Freizeitverhalten ......................................... 130 7.15 Beziehungen zwischen Berufsinteressen und Freizeitverhalten ............................. 131 7.16 Gruppen von Jugendlichen mit ähnlichem Freizeitverhalten ................................. 133
8. Identitätsentwicklung im Jugendalter ............................................................................. 140 8.1 Einleitung ............................................................................................................... 140 8.2 Zur Methode ........................................................................................................... 141
8.2.1 Konstruktion und Testanalyse der IDEA-Y-Skalen ....................................... 141 8.3 Identitätsentwicklung bei weiblichen und männlichen Jugendlichen .................... 144
8.3.1 Geschlechtsunterschiede in den Skalen des Identitätsfragebogens ................ 144 8.3.2 Geschlechtsunterschiede im Identitätsstatusdiagnoseinventar (ISDI) ............ 145
8.4 Unterschiede zwischen den Identitätsstatusgruppen in den Skalen des Identitätsfragebogens (IDEA-Y) ........................................................................................ 146 8.5 Identität und Bindung an die Eltern ........................................................................ 149
8.5.1 Identitätsstatusgruppen nach Marcia und Eltern-Kind Beziehung ................. 150 8.5.2 Bindungsrepräsentationen (nach Ainsworth) und Identität ............................ 152
8.6 Identität und die Beziehung zu den Gleichaltrigen ................................................ 154 8.6.1 Einleitung ....................................................................................................... 154 8.6.2 Methodisches Vorgehen ................................................................................. 155
5
8.6.3 Peerbeziehungen und Identität: Korrelationen ............................................... 156 8.6.4 Unterschiede der Identitätsstatusgruppen in der Beziehung zu Freunden und Freundinnen .................................................................................................................... 156 8.6.5 Identitätsstatusgruppen und Beziehung zum anderen Geschlecht .................. 157
8.7 Identität und Persönlichkeit .................................................................................... 158 8.7.1 Beziehungen zwischen den Skalen des IDEA-Y und den Persönlichkeitsdimensionen des NEO-FFI: Korrelationen ............................................ 158 8.7.2 Identitätsstatus und Persönlichkeit ................................................................. 159
8.8 Pfadanalysen der Identitätsentwicklung ................................................................. 159 8.8.1 Pfadmodell 1: Längsschnittliche Entwicklung der Identität im Jugendalter . 162 8.8.2 Pfadmodell 2: Längsschnittliche Entwicklung der von den Adoleszenten erlebten Belastung im Jugendalter .................................................................................. 164
9. Kurzzussammenfassung ................................................................................................. 167 10. Literaturverzeichnis .................................................................................................... 170 11. Anhang ....................................................................................................................... 176
6
1. Das Gesamtprojekt „Familienentwicklung im Lebenslauf“ (FIL)
Brigitte Rollett und Harald Werneck
Ziel des Gesamtprojektes „Familienentwicklung im Lebenslauf (FIL)“ ist es, die individuelle
Entwicklung von Kindern und ihren Familien vor dem Hintergrund der umfassenden
gesellschaftlichen Veränderungen heute zu untersuchen und von der Geburt bis zum
Erwachsenenalter des Untersuchungskindes zu begleiten, um auf diese Weise Einblick in
günstige und riskante individuelle und familienbezogene Entwicklungen und ihre
Bedingungen zu gewinnen. Längsschnittuntersuchungen sind dafür unumgänglich notwendig,
da nur so Entwicklungslinien und ihre Wechselwirkungen eindeutig feststellbar sind. Die
Untersuchungswellen wurden so angesetzt, dass sie die Auswirkungen charakteristischer
Veränderungen im Entwicklungsverlauf abbilden: Die erste Welle (t1) erfolgte im sechsten
Schwangerschaftsmonat der Mutter, t2, als das Kind drei Monate alt war, um den Übergang
zur Elternschaft zu erfassen. Um die Veränderungen beim Übergang vom Kleinstkindalter
zum Kindergartenalter darstellen zu können, wurde die nächste Untersuchungswelle
durchgeführt (t3), als die Kinder im Mittel drei Jahre alt waren. Zur Untersuchung der
Bewältigung der schulbezogenen Anforderungen, fand die vierte Welle (t4) statt, als die
Kinder acht Jahre alt waren. Die fünfte Erhebungswelle (t5) war schwerpunktmäßig der
Untersuchung der Bewältigung des Übergangs von der Grundschule zu den weiterführenden
Schulen und des Eintritts in die Pubertät gewidmet. Die aktuelle Erhebungswelle hat das Ziel,
den Übergang in das Jugendalter und die Bewältigung der damit verbundenen
Entwicklungsaufgaben zu untersuchen.
Das Gesamtprojekt wurde vom Jubiläumsfonds der Nationalbank wie folgt finanziert:
Jubiläumsfondsprojekt Nr. 3722 „Die Bedeutung von Rollenauffassungen junger Eltern für
den Übergang zur Elternschaft“, Jubiläumsfondsprojekt Nr. 7518 „Familienentwicklung im
Lebenslauf (FIL): Familienentwicklung im Schulalter des Kindes“ und Jubiläumsfondsprojekt
Nr. 9416 „Familienentwicklung im Lebenslauf (FIL): Familienentwicklung beim
Schulübertritt“ und das aktuelle Jubiläumsfondsprojekt Nr. 11671 „Familienentwicklung im
Lebenslauf (FIL): Familienbezogene und individuelle Entwicklungsaufgaben und ihre
Bewältigung im Jugendalter“.
7
Die Vorläuferprojekte führten bereits zu wesentlichen Erkenntnissen über
Bewältigungsformen individueller und familiärer Übergangsphasen von der Geburt des
Kindes bis zu dessen Übertritt in die Sekundarstufe 1 (vgl. dazu die Abschlussberichte von
Rollett & Werneck und die im Literaturverzeichnis angeführten Veröffentlichungen) der
Arbeitsgruppe FIL. Die hier vorgestellten Ergebnisse des Projekts „Familienentwicklung im
Lebenslauf (FIL): Familienbezogene und individuelle Entwicklungsaufgaben und ihre
Bewältigung im Jugendalter“ zeigen die umfassenden Entwicklungen und Neuanpassungen
auf, die beim Eintritt von Heranwachsenden in das Jugendalter zu beobachten sind und stellen
die Bedingungsmuster für positive und negative Entwicklungen dar. Vor diesem Hintergrund
wird auch auf Möglichkeiten der erzieherischen und therapeutischen Einflussnahme sowohl
bei den Jugendlichen als auch ihren Familien eingegangen.
1.1 Überblick über Methodik und Resultate der ersten fünf Erhebungswellen:
Die vorliegende sechste Erhebungswelle des Projekts „Familienentwicklung im Lebenslauf
(FIL): Familienbezogene und individuelle Entwicklungsaufgaben und ihre Bewältigung im
Jugendalter“ baut auf den Ergebnissen der ersten fünf Erhebungswellen der FIL-Studie. Die
dort eingesetzten Erhebungsinstrumente werden daher im Folgenden kurz beschrieben.
Die ersten beiden Erhebungsphasen des Projekts „Familienentwicklung im Lebenslauf“
stellten das österreichische Teilprojekt des von Horst Nickel (Universität Düsseldorf)
geleiteten internationalen Forschungsprojektes „Die Bedeutung von Rollenauffassungen
junger Eltern für den Übergang zur Elternschaft“ dar (Nickel & Quaiser-Pohl, 2001). Die
Untersuchungsstichprobe der ersten Erhebungswelle (t1) umfasste 175 Ehepaare, die ihr
erstes, zweites oder drittes Kind erwarteten. Sie erfolgte im sechsten Schwangerschaftsmonat
der Mutter. Die zweite Erhebungswelle (t2) wurde durchgeführt, als die Kinder drei Monate,
die dritte, als sie drei Jahre (t3), die vierte, als sie acht Jahre (t4) und die fünfte, als sie elf
Jahre alt waren (t5).
Die unter dem Projekttitel „Die Bedeutung von Rollenauffassungen junger Eltern für den
Übergang zur Elternschaft“ durchgeführten ersten beiden Erhebungswellen hatten das Ziel,
die Bewältigung der durch den Übergang zur Elternschaft notwendigen Anpassungen der
8
Eltern an die neue Situation und die Auswirkungen auf das familiäre Zusammensein zu
untersuchen. Besonderes Augenmerk wurde auf die Gestaltung der Partnerschaft der Eltern,
ihre Auseinandersetzungen mit der Elternrolle, die gewählten Formen der familiären
Arbeitsteilung und auf das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern sowie die bestimmenden
Einflussfaktoren gelegt.
Die Phase der Familiengründung bzw. -erweiterung bedeutet für Eltern eine dramatische
Umstellung. Um sie zu erfassen, wurde in der ersten Erhebungswelle (t1) ein umfangreiches
Fragebogeninventar eingesetzt: Der Partnerschaftsfragebogen von Hahlweg (1979) zur
Erhebung der Partnerschaftsqualität, der Elternschaftsfragebogen von Nickel, Grant und
Vetter (1990) zur Ermittlung der elterlichen Rollenauffassungen sowie ein neu entwickelter,
umfangreicher Fragebogen zur Erfassung der Gesamtsituation (soziodemographische Daten,
Geplantheit des Kindes, Geburtsvorbereitung bzw. Geburtsverlauf, Umgang mit dem Kind,
Änderungen durch das Kind, Änderungswünsche bezüglich der neuen familiären Situation,
Änderung des Freizeitverhaltens der Eltern, Bedeutung von Beruf und Familie für Vater und
Mutter, Arbeitsteilung zwischen den Partnern, Verhältnis zur jeweiligen Herkunftsfamilie,
Änderung des Freundeskreises, Wohnsituation, usw.). Diese Instrumente wurden zu allen
Erhebungszeitpunkten (wenn notwendig, in altersadaptierter Form) vorgegeben.
Bei der zweiten Erhebungswelle (t2), die stattfand, als die Kinder drei Monate alt waren,
wurde außer den angeführten Fragebogeninstrumenten zusätzlich weitere eingesetzt, um den
Einfluss der kindlichen Individualität auf die Gestaltung des Familienalltags differenziert zu
erfassen. Im Einzelnen handelte es sich um folgende Verfahren: Die Bayley-Scales of Infant
Development zur Erfassung der mentalen und psychomotorischen Entwicklung des Kindes
und ein in Anlehnung an das Konzept von Thomas und Chess (1977) konstruierter und von
den Müttern auszufüllender Temperamentsfragebogen zur Erfassung des kindlichen
Temperaments. Letzteres wurde in jeweils altersadaptierter Form zu allen weiteren
Erhebungszeitpunkten vorgegeben, um die Entwicklung des kindlichen Temperaments
untersuchen zu können: Hier interessierte vor allem die Stabilität bzw. die Art der
Veränderungen des kindlichen Temperaments und die Auswirkungen auf die
Persönlichkeitsentwicklung der Untersuchungskinder einerseits, die Entwicklung des
familiären Zusammenlebens andererseits.
9
Die dritte Erhebungswelle (t3) erfolgte, als die Kinder drei Jahre alt waren. Sie hatte das Ziel,
die familiären Veränderungen im Zuge des Selbstständiger-Werdens des Kindes zu erfassen.
Außer den bereits erwähnten Instrumenten, die zu allen Erhebungszeitpunkten vorgegeben
wurden, wurden dabei folgende Instrumente verwendet: Um den Entwicklungsstand der
nunmehr Dreijährigen erheben zu können, wurden die „Kaufman Assessment Battery for
Children“ (Kaufman-ABC, Melchers & Preuß, 1991) und der Wiener Entwicklungstest
(WET, Kastner-Koller & Deimann, 1998), sowie ein Erhebungsinstrument zur Erfassung der
Kenntnisse des Kindes über die Gefährdungen in der Wohnumgebung eingesetzt. Letzterer
sind vor allem im Zuge des zunehmenden Selbstständigwerdens von Dreijährigen und der
entsprechend abnehmenden Beaufsichtigung durch die Eltern von Bedeutung.
Die vierte Erhebungswelle (t4) hatte das Ziel, die familiäre und kindliche Entwicklung im
Schulalter des Kindes umfassend abzubilden. Neben der bereits bewährten
Fragebogenbatterie wurden die Hamburger Erziehungsverhaltensliste (HAMEL, Baumgärtel,
1979), die zwei Skalen der Bildversion des Anstrengungsvermeidungstests (AVT, Rollett &
Bartram, 19983) zur Erfassung der Neigung zu schulbezogener Demotivation und
Pflichteifers, der Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Kinder (HAWIK III, Tewes,
Schallberger & Rossmann, 2000), ein neu konstruierter Persönlichkeitsfragebogen zur
Erfassung problematischer Persönlichkeitseigenschaften (Wiener Persönlichkeitsfragebogen
für Kinder, WPK), ein neu entwickeltes Erhebungsinstrument zur Erfassung der
Bindungssicherheit sowie ein Verfahren zur Erhebung der Geschwisterbeziehung mit Hilfe
der Critical Incidents Technique von Flannigan vorgegeben. Auf diese Weise konnte ein
umfassendes Bild der Anpassung des Kindes und seiner Familie an die Schulsituation und die
damit verbundenen Änderungen der familiären Situation sowie günstiger bzw. ungünstiger
Konstellationen gewonnen werden.
In der fünften Erhebungswelle (t5) ging es darum, die familiäre Entwicklung und die
Entwicklung der Kinder in der Zeit des Übergangs zu den weiterführenden Schulen zu
untersuchen. Neben den bereits erwähnten Untersuchungsinstrumenten zur Erfassung der
familiären und Partnerschaftssituation und der kindlichen Persönlichkeitsmerkmale wurde den
Kindern ein von Sirsch (2000) und Ensbacher (2001) entwickelter Fragebogentest über die
Bewältigung des Schulübertritts vorgelegt, der die beiden Aspekte „erlebte Herausforderung“
versus „erlebte Bedrohung“ durch die neue Leistungssituation bzw. soziale Situation erfasst,
außerdem der NEO-FFI von Borkenau und Ostendorf (1993) zur Erfassung der
10
Persönlichkeitseigenschaften Neurotizismus, Extraversion, Offenheit, Gewissenhaftigkeit und
Verträglichkeit. Mit Hilfe einer Übersetzung des „Inventory of Parent and Peer Attachment“
von Armsden und Greenberg (1987) wurde die Bindung an die Eltern und die Beziehung zu
Freunden erhoben. Ein weiterer Fragebogen erfasste jeweils getrennt die Beziehung zur
Mutter, zum Vater und zu den Geschwistern. Außerdem wurde die Fragebogenversion des
AVT (Rollett & Bartram, 19983) administriert, um ein defizitäres bzw. pflichtbewusstes
Leistungsverhalten erfassen zu können.
1.2 Die wichtigen Ergebnisse der ersten fünf Erhebungswellen:
Von der ersten zur zweiten Erhebungswelle, (die im sechsten Schwangerschaftsmonat der
Mutter und im Alter des Kindes von drei Monaten durchgeführt wurden), fielen in erster Linie
die substantiellen Veränderungen im Bereich der Partnerschaftsqualität auf. Vor allem bei
Ersteltern kam es sowohl aus Sicht der Mütter als auch der Väter zu einem Anstieg des
Streitverhaltens und einer Verringerung der Zärtlichkeit und der positiven Kommunikation
bzw. des Gemeinschaftsempfindens der Partner. Interessanterweise war dies vor allem dann
der Fall, wenn es sich bei dem Baby um ein männliches Kind handelte. Hinsichtlich der
Arbeitsaufteilung im Haushalt und bei der Kinderversorgung hatten die Mütter, entgegen den
diesbezüglichen Aussagen der Väter vor der Geburt des Kindes partnerschaftlich mitarbeiten
zu wollen, die Hauptlast zu tragen. Die sozialen Kontakte mit Freunden und Bekannten
nahmen signifikant ab. Dies galt besonders für die Väter, die im Durchschnitt einen kleineren
Freundes- und Bekanntenkreis angaben als die Mütter. Sowohl bei den Vätern als auch bei
den Müttern lag die tatsächliche Belastung durch das Kind zu t2 wesentlich über der von
ihnen zu t1 erwarteten Belastung. Dies war vor allem bei den nicht erwerbstätigen Müttern
der Fall. Der zu beiden Zeitpunkten von den Eltern angegebene Wert des Kindes für sie
veränderte sich allerdings nicht. Durch Pfadanalysen konnte gezeigt werden, dass die
empfundene Belastung durch das Kind einerseits von günstigen Ausprägungen der erhobenen
Partnerschaftsvariablen und der positiven Einschätzung von Kindern durch die Eltern
allgemein abhing, andererseits war die erlebte Belastung durch das Kind vor allem bei den
Müttern von der eingeschätzten Schwierigkeit des Temperaments des Kindes beeinflusst.
Clusteranalytisch wurden zum zweiten Erhebungszeitpunkt sowohl Väter- als auch
Müttertypen ermittelt. Bei den Vätern ließen sich drei Typen nachweisen: „Neue Väter“
(15.9%), „Kinderorientiert Väter“ (31.7%) und „Eigenständige Väter“ (52.4%), die sich von
11
den familiären Aufgaben weitgehend zurückzogen. Bei den Müttern resultierten fünf
Clustergruppen: „Selbstbewusste, kinderliebende Mütter“ (23.8%), die die Kinderbetreuung
als Bereicherung erlebten, „Emanzipierte Mütter, die Kinder nicht als Belastung erleben“
(13.4%), „Emanzipierte Mütter, die ihre Kinder als Belastung erleben“ (31,7%),
„Überforderte Mütter, die Kinder als Belastung erleben“ (9.8%) und „Überforderte Mütter,
die Kinder als starke Belastung erleben“ (21.3%). Da der verwendete Elternfragebogen
prospektiv auch zum ersten Erhebungszeitpunkt vorgegeben worden war, konnten die
Veränderungen von t1 zu t2 untersucht werden. Hinsichtlich der Vätercluster ergab sich z.B.
eine Reduktion der Gruppe der Neuen Väter vom ersten Erhebungszeitpunkt (vor der Geburt
des Kindes) und dem zweiten (als das Kind drei Monate alt war), fast um die Hälfte, während
ein deutlicher Zuwachs des Clusters der Eigenständigen Väter erfolgte. Dieser Trend hielt bei
der folgenden Erhebungswelle weiter an.
Mit Hilfe der Skalen des Temperamentfragebogens konnten außerdem clusteranalytisch
Gruppen von Babys identifiziert werden, die den in der klassischen New Yorker
Längsschnittstudie von Thomas und Chess (1977) ermittelten drei Temperamentstypen
entsprachen: Gut angepasste, pflegeleichte „Easy-Babies“ (47.2%), die auch im Bayley-Test
of Infant Development die besten Werte aufwiesen, die langsam reagierenden „Slow-to-
warm-up-Babies“ (43.6%), die im Test eine mittlere Position einnahmen, und die schwierigen
„Difficult-Babies“ (9.2%), die die niedrigsten Werte zeigten. Zu diesem Zeitpunkt fehlte die
in der Untersuchung von Thomas und Chess ermittelte „Normalgruppe“. Beim dritten
Erhebungszeitpunkt im Alter des Kindes von drei Jahren wurde der Temperamentsfragebogen
in altersadaptierter Form erneut vorgelegt. Hier ergaben sich vier Temperamentstypen:
Introvertierte, kontaktscheue „Zurückgezogene Kinder“ (45.1%), emotional intelligente,
anpassungsbereite „Pflegeleichte Kinder“ (17.7%), schwierige „Dominante Kinder“ (8.8%)
und nunmehr auch eine „Unauffällige Normalgruppe“ (28.3%). Interessant sind in diesem
Zusammenhang die Veränderungen der Zugehörigkeit der Kinder zu den einzelnen
Temperamentsgruppen. So wurden z.B. 90% der ursprünglich schwierigen Babys zum dritten
Zeitpunkten dem Typus der Zurückgezogenen Kinder zugeordnet und fast doppelt so viele
Langsam auftauende Babys, als zu erwarten gewesen wäre, der Gruppe der Dominanten
Kinder. Die Partnerschaftsqualität der Eltern hatte verglichen mit der Reduzierung vom ersten
zum zweiten Erhebungszeitpunkt weiter abgenommen.
12
Im Rahmen der vierten Erhebungswelle, als die Kinder acht Jahre alt waren, zeigten sich
weitere ungünstige Entwicklungen im Partnerschaftsbereich. Insbesondere die Väter gaben im
Vergleich zum letzten Zeitpunkt nochmals deutlich niedrigere Werte in den Skalen
Zärtlichkeit und Gemeinsamkeit/Kommunikation und höhere Werte in der Skala
Streitverhalten des verwendeten Partnerschaftsfragebogens bei der Einschätzung ihrer
Partnerinnen an, als dies zum dritten Erhebungszeitpunkt der Fall gewesen war. Diese
zunehmend ungünstigere Einschätzung des Streitverhaltens durch die Väter wurde allerdings
von den Müttern nicht geteilt: Hier kam es eher zu einer Stabilisierung der Bewertungen.
Unter Umständen kann dies dazu führen, dass Probleme in der Partnerschaft von den Müttern
zu spät erkannt werden, so dass daher auch nicht darauf angemessen reagiert werden kann.
In der vierten Erhebungswelle wurde deutlich, dass problematische kindliche
Persönlichkeitsentwicklungen, wie sie durch den WPK erfasst werden, in dieser Zeit noch
durch ein günstiges elterliches Erziehungsverhalten und vor allem durch eine intakte Bindung
der Kinder an die Eltern aufgefangen werden können. Die Resultate der fünften
Erhebungswelle wiesen dagegen darauf hin, dass im Alter von elf Jahren im Fall einer
negativen Entwicklung der Beziehung zu den Eltern eine Stabilisierung vorhandener
problematischer Persönlichkeitseigenschaften stattfindet. Dasselbe gilt für die Entwicklung
eines durch Anstrengungsvermeidung gekennzeichnetes ungünstiges Leistungsverhaltens. Für
die kinderpsychotherapeutische Praxis kann aus diesen Ergebnissen abgeleitet werden, dass
auf Anzeichen eines kindlichen Problemverhaltens im Grundschulalter nicht nur in Form von
Einzeltherapien, sondern ergänzend auch durch entsprechende familienbezogene
Interventionen reagiert werden sollte, um über eine Besserung der Beziehung zu den Eltern
ungünstigen Entwicklungen vorzubeugen.
Weitere wichtige Ergebnisse betreffen das Trennungs- bzw. Scheidungsrisiko. Bei der fünften
Erhebungswelle elf Jahre nach der Geburt des Kindes waren bereits 18% der Mütter vom
Kindesvater getrennt oder geschieden. Aufgrund der vorliegenden Längsschnittdaten konnten
folgende Risiken für eine Trennung bzw. Scheidung ermittelt werden: Das Risiko ist umso
höher, je jünger die Mütter bzw. Väter bei der Geburt des Kindes waren, je kürzer sich die
Partner vor der Geburt des ersten Kindes kannten und zusammen wohnten und je niedriger
der Schichtindex des Vaters (gebildet aus den Indikatoren der Ausbildung, des beruflichen
Status und des Einkommens) ist, während die Schichtzugehörigkeit der Kindesmutter keinen
Einfluss hat. Eine zu kleine Wohnung bei der Geburt des Kindes erhöht ebenfalls das Risiko
13
einer Scheidung bzw. Trennung. Die Partnerschaftsqualität, erhoben mit Hilfe des
Partnerschaftsfragebogens von Hahlweg (1979) erwies sich allerdings als relativ schlechtes
Vorhersagekriterium des Trennungs- bzw. Scheidungsrisikos. Hier fand sich nur ein
tendenzieller Zusammenhang zwischen dem durch die Väter eingeschätzten Streitverhalten
der Mütter zum zweiten Erhebungszeitpunkt (als die Kinder drei Monate alt waren) und der
späteren Trennung bzw. Scheidung. Wesentlich aussagekräftiger ist eine frühe
Lebensorientierung der Eltern im Alter von 16 Jahren, die retrospektiv zum ersten
Erhebungszeitpunkt abgefragt wurde: Je weniger die Eltern mit 16 Jahren eine gute
Berufsausbildung und eine finanzielle Grundlage für eine spätere Familiengründung
anstrebten, desto eher kam es zur Trennung. Eine negative Beurteilung des Klimas in der
eigenen Herkunftsfamilie durch den Vater bedeutete ebenfalls ein Risiko, während dies bei
den Müttern nicht der Fall war.
Beim fünften Erhebungszeitpunkt stellte die Bewältigung des Übergangs des
Untersuchungskindes in die Sekundarstufe 1 sowohl durch das Kind selbst als auch durch die
Familie einen wichtigen Untersuchungsschwerpunkt dar. Auf Grund der fünf Skalen des
eingesetzten Schulübertrittsfragebogens (1. „Belastung durch den Schulübertritt im
Leistungsbereich“, 2. „Belastung durch den Schulübertritt im sozialen Bereich“, 3.
„Schulübertrittsbewältigung im Leistungsbereich“, 4. „Schulübertrittsbewältigung im sozialen
Bereich“, 5. „Bewältigung der veränderten Unterrichtsorganisation“) konnten vier
„Schulübertrittstypen“ identifiziert werden: „Unauffällige“ Schüler und Schülerinnen
(46.4%), „Herausgeforderte“ (23.2%), „Überforderte“ (18.8%) und durch die Anforderungen
des Schulübertritts „Bedrohte“ Kinder (11.6%). Die Schulübertrittstypen unterscheiden sich
sowohl in den durch den NEO-FFI erfassten Persönlichkeitsdimensionen als auch in ihrer
Bindung an die Eltern und in der Qualität ihrer Beziehung zu ihren Freunden und
Freundinnen. Eine gute Beziehung zu den Eltern stellt dabei einen wichtigen Protektivfaktor
dar. Das Temperament, das im Rahmen der fünften Untersuchungswelle ebenfalls wieder
erhoben worden war, spielt bei der Bewältigung des Schulübertritts nur eine untergeordnete
Rolle.
Bezüglich der Temperamentsentwicklung zeigte sich zu t5 erneut, dass die im Säuglingsalter
ermittelten Temperamentstypen nur eine eingeschränkte Stabilität aufweisen: So besteht bei
der ursprünglichen Gruppe der pflegeleichten Babys nur eine 59-prozentige Chance, dass sie
im Alter von elf Jahren noch zu den Pflegeleichten zu zählen sind. Bei der Gruppe der zu t2
14
„langsam auftauenden“ Babys eine 55-prozentige, dass sie zu t5 noch zum selben Typus
gehören. Bei der Gruppe der schwierigen Kinder erfolgte zu diesem Erhebungszeitpunkt eine
Differenzierung, da nunmehr zwei Untergruppen identifiziert werden konnten und zwar die
„Kontrollierten schwierigen Kinder“ und die „Unkontrollierten schwierigen Kinder“. Die
Gruppe der kontrollierten schwierigen Kinder wiesen im NEO-FFI zwar eine eher geringe
Verträglichkeit und Offenheit auf, waren aber bezüglich ihrer Neurotizismuswerte unauffällig.
Die unkontrollierten schwierigen Kinder fielen dagegen durch erhöhte Neurotizismuswerte
und eine extrem geringe Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit auf. Von den im
Säuglingsalter schwierigen Babys war allerdings nur ein einziges Kind zum fünften
Erhebungszeitpunkt der Gruppe der (unkontrollierten) Schwierigen zuzuordnen. Als neue
Temperamentgruppe trat die Gruppe der „Taktierer“, wie wir sie bezeichneten, auf. Diese
Kinder sind durch eine hedonistische Einstellung, niedrige Extraversions- und extrem geringe
Offenheitswerte charakterisiert und verstehen es, Schwierigkeiten mit ihrer sozialen Umwelt
geschickt zu umschiffen, indem sie ihre eigenen Gedanken für sich behalten und, wenn immer
möglich, ihren eigenen Weg gehen. Von den zu t3, als die Kinder drei Jahre alt waren,
ermittelten Temperamentstypen war zu t5 außerdem noch die Gruppe der Zurückgezogenen
Kinder, wenn auch zum Teil in anderer Besetzung, vorhanden. Insgesamt zeigten die
Temperamentstypen des Säuglingsalters, vor allem, was die Gruppe der „Schwierigen“
betrifft, daher eine eher geringe Stabilität. Diese Resultate sind nicht zuletzt auch für die
Beratungspraxis von Bedeutung, da Befürchtungen von Eltern, dass ein problematisches
Temperament im Säuglingsalter langfristig immer zur Folge habe, dass dieses Kind später zu
der Gruppe der Problemkinder zählen müsse, damit begegnet werden kann. Diese Ergebnisse
widersprechen daher einem strikten Stabilitätskonzept der Temperamentstypen (siehe dazu
z.B. Werneck & Rollett, 2001). Insbesondere im Falle eines schwierigen Temperaments
scheint es daher angebracht, den prädiktiven Wert des Temperaments im Säuglingsalter für
spätere Verhaltenstörungen nicht überzubewerten, sondern als Signal zu nützen, um durch
entsprechende erzieherische bzw. therapeutische Maßnahmen rechtzeitig gegenzusteuern.
15
2. Das Projekt „Familienentwicklung im Lebenslauf (FIL): Familienbezogene und individuelle Entwicklungs-aufgaben und ihre Bewältigung im Jugendalter (sechste Erhebungswelle des Gesamtprojekts)
Brigitte Rollet und Harald Werneck
2.1 Zielsetzungen
Die besondere Zielsetzung der hier berichteten sechsten Erhebungswelle ist es, die
Entwicklungen zum Zeitpunkt des Übergangs der Heranwachsenden in die Adoleszenz zu
erfassen, wobei den Bezügen zu den bereits vorliegenden Längsschnittresultaten aus den
Vorläuferprojekten ein besonderer Stellenwert für die Aufklärung der für die erfolgreiche
Bewältigung relevanten Faktoren zukommt. Vor allem wird in diesem Kontext auf die in der
Adoleszenz zu bewältigenden, charakteristischen „Entwicklungsaufgaben“ eingegangen
(Havighurst, 1982, s. dazu auch Göppel, 2005), die sowohl die Jugendlichen selbst als auch
ihre Familien betreffen. Ihre Bewältigung bzw. Nichtbewältigung hat wesentlichen Einfluss
auf die weitere Entwicklung und damit die zukünftigen Lebenschancen der Betroffenen. Auf
Seiten der Eltern ist vor allem eine Neudefinition ihrer partnerschaftlichen und Erzieherrollen
und die durch die Zunahme der Autonomie der Heranwachsenden notwendige
Umstrukturierung des Familienalltags zu leisten (s. Rollett & Werneck, 2001). Auf Seiten der
Jugendlichen geht es um zentrale Entwicklungsaufgaben, wie die Entwicklung realistischer
Zukunftsvorstellungen, die Vorbereitung auf die Berufswahl bzw. erste Anbahnungen der
Berufs- bzw. Studienwahlentscheidungen, die Neugestaltung der Beziehungen zu
Gleichaltrigen und hier vor allem zum anderen Geschlecht, sowie die sukzessive Loslösung
von den Eltern und die Übernahme der Verantwortung für sich selbst mit dem Ziel der
Entwicklung einer eigenen Identität (s. dazu Marcia, 1993).
16
2.2 Methodisches Vorgehen
2.2.1 Längsschnittliche Teilnahme der Untersuchungsfamilien
Aus der folgenden Tab. 1 sind die Teilnahmequoten der Mütter, Väter und Kinder zu den
sechs Erhebungszeitpunkten ersichtlich. Betrachtet man die Teilnahmequoten, so wird
deutlich, dass die Bereitschaft der Väter, sich an den Untersuchungen zu beteiligen, geringer
ausfiel, als dies bei den Müttern der Fall war. Dies ist ein aus ähnlichen Untersuchungen
bekanntes Phänomen. Interessant war bei der Gewinnung der Teilnehmenden außerdem, dass
erstmals in einigen Fällen Verhandlungen mit den Jugendlichen selbst geführt werden
mussten, um sie zu der Untersuchungsteilnahme zu motivieren, da die Zusage der Mütter von
ihnen nicht ohne weiteres akzeptiert wurde. Dieses Problem dürfte bei der nächsten
Untersuchungswelle verstärkt auftreten.
Tab. 1. (in runden Klammern: Prozente, in Relation zum ersten Testzeitpunkt (175=100%)
Das Forschungsprojekt „Familienentwicklung im Lebenslauf (FIL)“
Stichprobe und Teilnahmequoten(Finanzierung: Forschungsfonds der Österreichischen Nationalbank)
137(78 %)
144(82 %)
143(82 %)
117(67 %)
164(94 %)----Kinder
131(75 %)
135(77 %)
137(78 %)
154(87 )
168(96 %)
175(100 %)Mütter
119(68 %)
120(69 %)
124(71 %)
147(84 %)
167(95 %)
175(100 %)Väter
15. Jahre nach der Geburt
11 Jahre nach der Geburt
8 Jahre nach der Geburt
3 Jahre nach der Geburt
3 Monate nach der Geburt
3 Monate vor der Geburt
Verglichen mit den aus der Fachliteratur bei Längsschnittuntersuchungen bekannten
Teilnahmequoten kann die Teilnahme an dem Projekt als sehr befriedigend eingestuft werden.
17
Wie bereits bei den ersten fünf Erhebungswellen, wurden die Jugendlichen in der
vorliegenden Erhebungswelle erneut im Rahmen von Hausbesuchen untersucht. Auch die
Fragebögen für die Eltern wurden bei dieser Gelegenheit überreicht und darum gebeten, sie
per Post zurückzusenden. Ein Grossteil der eingesetzten Instrumente bestand aus den bereits
in den Vorläuferstudien verwendeten Verfahren, um die Entwicklung des
Untersuchungskindes und seiner Familie darstellen zu können. Gelegentlich mussten
Anpassungen an die veränderte Alterssituation durch entsprechende Umformulierungen der
Items vorgenommen werden (z.B. wurde „Kind“ durch „Sohn/Tochter“ ersetzt).
Zu den Untersuchungsinstrumenten des Gesamtprojekts, die in die sechste
Untersuchungswelle übernommen wurden, gehörten folgende Verfahren: Die bereits
bewährten Skalen zur Erfassung der Gesamtsituation (soziodemographische Daten, Umgang
der Eltern mit dem Kind, Änderungswünsche hinsichtlich des familiären Zusammenlebens,
Freizeitverhalten, Bedeutung von Beruf und Familie, Arbeitsteilung zwischen den Partnern,
Verhältnis zur Herkunftsfamilie, Freundeskreis, berufliche Situation, Wohnsituation usw.),
der Elternschaftsfragebogen von Nickel, Grant und Vetter (1990) zur Erfassung der
elterlichen Rollenauffassungen und Einstellungen, der Partnerschaftsfragebogens von
Hahlweg (1979) zur Erhebung der elterlichen Partnerschaftsqualität, der erstmals zu t4
eingesetzte Wiener Persönlichkeitsfragebogen für Kinder (WPK) zur Erfassung
problematischer kindlicher Entwicklungen sowie der (im Zuge des Gesamtprojekts auf der
Basis des Temperamentsfragebogens von Thomas und Chess entwickelte und laufend an die
Altersgruppe adaptierte) Temperamentsfragebogen zur Untersuchung der kindlichen
Temperamentsentwicklung (siehe dazu Rollett & Werneck, 2005). In der aktuellen Studie
ergaben sich folgende Temperamentsskalen: „Erziehbarkeit“, „Ärgerneigung“,
„Zielstrebigkeit/Kontolliertheit“, „Extraversion vs. Introversion“ (für einige Auswertungen
wurden die Skalen getrennt) und „Offenheit“.
An weiteren Verfahren wurden folgende Instrumente eingesetzt: Zur Einschätzung ihrer
Beziehung zu den Jugendlichen durch die Eltern wurde der Zweierbeziehungsfragebogen von
Cierpka und Frevert (1994) neu aufgenommenen (Skalen: „Aufgabenverhalten“,
„Rollenverhalten“, „Kommunikation“, „Emotionalität“, „Affektive Beziehungsaufnahme“,
„Kontrolle“, „Werte und Normen“). Um den Einfluss der Beziehungsgestaltung der
Jugendlichen zu den Eltern und Freunden einbeziehen zu können, wurde, wie in Welle 5, eine
18
Übersetzung des „Inventory of Parent and Peer Attachment“ von Armsden und Greenberg
(1987), diesmal allerdings getrennt nach Vater und Mutter, in die Testbatterie aufgenommen.
Der Fragebogenteil, der die Beziehung zum Freundeskreis erfasst, blieb unverändert.
Auswirkungen auf die Bereitschaft der Jugendlichen, Anstrengungen in schulrelevante
Tätigkeiten zu investieren bzw. sich pflichteifrig zu verhalten, wurden wie zu t5 mit Hilfe des
Anstrengungsvermeidungstests von Rollett und Bartram (19983) erfasst. Mit Hilfe einer 6-
stufigen Likert-Skala (sehr zufrieden bis sehr unzufrieden) wurde die Zufriedenheit mit der
eigenen Begabung erhoben. Zur Erhebung der verbalen Intelligenz der Jugendlichen wurden
der Zahlenfolgentest und der Wortschatztest des CFT 20 (Weiß, 1987) eingesetzt. Wie in
Welle 5 wurden den Jugendlichen das NEO-Fünf-Faktoren Inventar (Borkenau & Ostendorf,
1993) vorgegeben, um die Persönlichkeitsdimensionen Neurotizismus, Extraversion,
Offenheit, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit zu erfassen.
Eine für die untersuchte Altersstufe besonders wichtige Entwicklungsaufgabe betrifft die
altersangemessene Ausformung der Identität der Jugendlichen. Zu diesem Zweck wurden
zwei neue Verfahren eingesetzt: Das „Inventory of the Dimensions of Emerging Adulthood“
(IDEA-Y; Reifman, Arnett & Colwell, 2003), wobei aufgrund der Testanalysen folgende
Skalen gebildet werden konnten: „Exploration“, „Beziehung zu Freunden/Freundinnen“,
„Belastung“, „Veränderung in Richtung Erwachsenwerden“, „Verantwortung und Freiheit“
und „Selbstbezug“. Außerdem wurde ein von Rollett (2005) entwickeltes
Selbstdiagnoseinstrument zur Erfassung des Identitätsstatus nach Marcia
(Identitätsstatusdiagnoseinventar ISDI, siehe Anhang S. 171) vorgegeben. Letzteres umfasst
die von Marcia (1993) entwickelten Identitätsausprägungen: 1. Übernommene Identität, 2.
Moratorium, 3. Diffuse Identität, 4. Erarbeitete Identität.
Eine weitere zentrale Entwicklungsaufgabe des Jugendalters stellt die Auseinandersetzung mit
der persönlichen Zukunft dar. Es wurde daher ein diesbezügliches Erhebungsinstrument in die
Testbatterie aufgenommen. Es handelt sich um den Fragebogen zur Zukunftsorientierung von
Jugendlichen, der eine Adaptation des entsprechenden Fragebogens von Oser, Horn &
Maiello (2002) darstellt. Auf Grund der im Rahmen des Projektes durchgeführten
Testanalysen konnten folgende Skalen ermittelt werden: „Entwicklung in Richtung
freundliche Gesellschaft“, “Zukünftige gesellschaftliche Probleme“, „Entwicklung in
Richtung bedrohte Gesellschaft“, „Konstanz der eigenen Persönlichkeit“, „Zukünftige
positive Lebensgestaltung“, „Persönliche Problembelastung“, „Konstanz der
19
Lebensumstände“, „Gegenwärtige gesellschaftliche Probleme“ und „Glaube an eine gerechte
Welt“.
Im Laufe der jugendtypischen Entwicklung der eigenen Persönlichkeit und der Ablösung von
den Eltern kommt dem Freizeitverhalten der Jugendlichen eine besondere Rolle zu, da die
Heranwachsenden vor allem in diesem Rahmen Gelegenheit haben, Beziehungen zu anderen
Jugendlichen aufzubauen und im Austausch mit ihnen in die für die aktuelle Jugendkohorte
spezifische Jugendkultur eingeführt zu werden. Das Freizeitverhalten stellt daher ein
wichtiges Aktionsfeld dar, in dem die jugendspezifische Akkulturation stattfindet. Es wurde
daher ein eigener Freizeitfragebogen entwickelt und administriert.
Es ist charakteristisch für die Adoleszenz als Entwicklungsphase, dass zwischen der Kultur
der Eltern und der Jugendkultur bestimmte Differenzen bestehen (die auch zu typischen
Konflikten zwischen Eltern und anderen Erziehungspersonen und den Jugendlichen führen
können). Nicht alle Jugendlichen gelingt eine problemfreie Einbindung in die Mainstream-
Jugendkultur. In Analogie zu den im Akkulturationsmodell von Berry (Berry, 2008; Berry et
al., 2002) unterschiedenen Strategien können folgende Bewältigungsformen auf Seiten der
Jugendlichen unterschieden werden: Langfristig am einflussreichsten auf die weitere
Entwicklung ist die „Integration“ in die Jugendkultur, wobei sowohl Kontakte zur
Gleichaltrigengruppe gepflegt als auch deren Kultur angenommen wird. Je mehr die
Erziehungspersonen die gängige Jugendkultur ablehnen, desto eher kommt es in diesem Fall
zu Konflikten. Die „Assimilation“ ist dadurch gekennzeichnet, dass zwar Kontakt mit der
Gleichaltrigengruppe stattfindet, aber die Jugendkultur nicht oder nur marginal angenommen
wird, da die Kultur der Elterngeneration das Verhalten und die Einstellungen weiter bestimmt,
Differenzen bestehen hier eher zur Gleichaltrigengruppe. „Separation“ findet statt, wenn die
Jugendlichen sich zwar mit der Jugendkultur identifizieren und es auch gelegentlich zu
entsprechenden Diskussionen mit ihren Erziehungspersonen kommen kann, aber beide
Bereiche mehr oder weniger trennen und eine Art „Doppelleben“ führen. Die
„Marginalisation“ führt schließlich zum Außenseitertum, da weder die gängige Jugendkultur
angenommen noch intensivere Kontakte zur sie repräsentierenden Gleichaltrigengruppe
gepflegt werden, die Kultur der Erwachsenengeneration aber häufig ebenfalls abgelehnt wird.
Wie bereits dargestellt, kommt der Berufsvorbereitung in der beginnenden Adoleszenz eine
wichtige Rolle zu. Um die berufliche Orientierung zu erfassen, wurde daher der
20
Berufsinteressentest II von Irle und Allehoff (1988) sowie eine adaptierte Fassung des
Fragebogens zur Berufswahlorientierung von Pollmann (1996) vorgegeben.
Weitere Indikatoren betreffen die Einschätzungen der Jugendlichen der eigenen
Merkfähigkeit für Gesichter und Namen (die eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die
Gestaltung der Sozialkontakte hat), Begabung und körperlichen Entwicklung, ihre
Zufriedenheit mit dem letzten Zeugnis, die Einschätzung ihrer Geschwisterbeziehungen sowie
ihren Umgang mit Suchtmitteln. Bei getrennt lebenden Eltern wurden die Jugendlichen zur
Besuchsregelung befragt.
21
3. Die Familienentwicklung im Jugendalter der Heranwachsenden
Brigitte Rollett, Harald Werneck und Monika Pucher
3.1 Einleitung
Familien mit Kindern werden durch die sich verändernden Bedürfnisse und Kompetenzen der
heranwachsenden Kinder nachhaltig beeinflusst. Im Verlauf der Familienentwicklung kann
man so verschiedene Stadien feststellen, die durch charakteristische Ausprägungen wichtiger
Einflussfaktoren gekennzeichnet sind. Von besonderer Bedeutung sind in diesem
Zusammenhang die sich wandelnde Einstellung der Partner zur Elternschaft, wobei der Faktor
Belastung durch die Heranwachsenden eine besondere Rolle spielt, sowie die
Partnerschaftsqualität und die Glücklichkeit in der Partnerschaft. Das Zusammenspiel dieser
Faktoren prägt die jeweilige Gestaltung des Familienlebens. Beim Übergang von der Pubertät
zur Adoleszenz und der in dieser Altersstufe beginnenden Vorbereitung auf die
Erwachsenenrolle ist die Familie besonders durch die im Zuge der dann notwendigen
Ablösung der Jugendlichen von ihren Eltern und den dabei auftretenden Konflikten gefordert.
3.2 Die Partnerschaft der Eltern Die Partnerschaftsqualität wurde mit dem Partnerschaftsfragebogen (PFB; Hahlweg. 1979)
erhoben. Dieser Fragebogen beinhaltet die Skalen „Streitverhalten“. „Zärtlichkeit“ und
„Gemeinsamkeit/Kommunikation“. Tab. 2 zeigt die Ergebnisse der Überprüfung der
Reliabilitäten der Skalen. Sie liegen alle im sehr guten Bereich.
Tab. 2. Cronbach’s Alpha der Reliabilitätsanalysen der Partnerschaftsfragebögen
Streitverhalten Zärtlichkeit Kommunikation Mütter .892 .911 .881 Väter .918 .937 .884
Da die Partnerschaftsqualität auch in den vorangegangenen fünf Befragungen erhoben wurde,
kann anhand der Daten die Entwicklung der Partnerschaftsqualität aus der Sicht der Mütter
und jener der Väter dargestellt werden.
22
Wie die Abb. 1 zeigt, wird das Streitverhalten der Mütter aus Sicht der Väter insgesamt als
eher selten auftretend bewertet, nimmt aber über die Erhebungszeitpunkte hinweg zu. Sowohl
die Zärtlichkeit als auch die Gemeinsamkeit/Kommunikation nehmen von t1 bis t5
kontinuierlich leicht ab. Zum aktuellen Erhebungszeitpunkt kann eine Stabilisierung
festgestellt werden (s. Abb. 1).
0
0.5
1
1.5
2
2.5
3
3.5
Streitverhalten Zärtlichkeit Gemeinsamkeit/Kommunikation
t1t2t3t4t5t6
Abb. 1. Entwicklung der Partnerschaft (Bewertungen der Partnerinnen durch die Partner): 3 Monate vor (t1) / 3 Mon. nach (t2) / 3 Jahre nach (t3) / 8 J. (t4)/ 11 J. (t5) und 15 J. (t6) nach der Geburt des Kindes Kodierung: 1 = nie, sehr selten 2 = selten 3 = oft 4 = sehr oft
Auch die Mütter stufen das Streitverhalten des Partners im Vergleich zur letzen Erhebung
geringfügig etwas höher ein. Sowohl bei der Zärtlichkeit als auch der Variable
Gemeinsamkeiten/Kommunikation zeigt sich zunächst eine Abnahme. Nach minimalen
Verbesserungen zu t4 und t5 pendeln sich die Bewertungen zu t6 in etwa auf dem Niveau von
t4 ein (siehe Abb. 2).
Werden die Angaben der Eltern miteinander verglichen, ist ersichtlich, dass die Väter zu t6
sowohl ein höheres Streitverhalten (p = <.001) als auch eine geringere Zärtlichkeit (p =
<.001) ihrer Partnerinnen berichten, als die Mütter dies bezüglich des Partners.
23
Tab. 3. Vergleich der Partnerschaftsqualität zwischen Mütter und Väter
Gepaarte Differenzen Partnerschaft N M SD M SD p Streitverhalten Mütter 97 1.61 .505
-.208 .538 <.001 Väter 97 1.82 .625
Zärtlichkeit Mütter 97 2.74 .689 .308 .666 <.001
Väter 97 2.44 .692 Gemeinsamkeit /Kommunikation
Mütter 97 2.82 .582 .005 .541 .927
Väter 97 2.83 .576 N = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau
0
0.5
1
1.5
2
2.5
3
3.5
Streitverhalten Zärtlichkeit Gemeinsamkeit/Kommunikation
t1t2t3t4t5t6
Abb. 2. Entwicklung der Partnerschaft (Bewertungen der Partner durch die Partnerinnen): 3 Monate
vor (t1) / 3 Mon. nach (t2) / 3 Jahre nach (t3) / 8 J. (t4)/ 11 J. (t5) und 15 J. (t6) nach der Geburt des Kindes Kodierung: 1 = nie, sehr selten 2 = selten 3 = oft 4 = sehr oft
3.3 Die Einschätzungen der Glücklichkeit in der Partnerschaft durch die Eltern
Von beiden Partnern wurde die erlebte Glücklichkeit in der Partnerschaft erfragt. Wie Tab. 4
zeigt, geben 76.2% der Partnerinnen und 76.3% der Partner an in ihrer Partnerschaft glücklich
bzw. sehr glücklich zu sein. Es bestehen jedoch in den einzelnen Kategorien geringe
Unterschiede zwischen Partnerinnen und Partnern. So geben mehr Partner als Partnerinnen an,
unglücklich oder eher unglücklich zu sein, wogegen die Partnerinnen im Vergleich häufiger
eher glücklich sind (Abb. 3).
24
Tab. 4. Vergleich der Glücklichkeit in der Partnerschaft (gepaarter T-Test)
Gepaarte Differenzen N M SD M SD p Glücklichkeit in der Partnerschaft
Mütter 102 4.61 1.236 .029 .906 .744
Väter 102 4.58 1.262 N = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau
0
5
10
15
20
25
30
35
40
45
sehrunglücklich
unglücklich eherunglücklich
eherglücklich
glücklich sehrglücklich
PartnerPartnerin
Abb. 3. Häufigkeiten der erlebte Glücklichkeit in der Partnerschaft zu t6
3.4 Die Einstellung der Mütter zur Elternschaft: Skalenbildung und Identifikation von Müttertypen
Für die Qualität der Familienentwicklung stellt die Einstellung der Mütter und Väter zur
Elternschaft eine der wichtigsten, das Familienleben prägenden Komponente dar. Sie wurde
in der vorliegenden Längsschnittstudie daher zu jedem Erhebungszeitpunkt erfasst. Wie in
den Vorläuferstudien wurde dazu der Elternschaftsfragebogen von Nickel, Grant und Vetter
(1990) eingesetzt und (jeweils für Mütter und Väter getrennt) Skalen konstruiert (s. Rollett,
Werneck & Hanfstingl, 2005). Um die Vergleichbarkeit zu sichern, wurde darauf geachtet,
25
die Skalen jeweils nur soweit zu verändern, wie es auf Grund der Entwicklung der
Heranwachsenden unbedingt notwendig war.
Der Elternschaftsfragebogen zur Erfassung der Einstellung der Mütter zur Elternschaft enthält
die in Tab. 5 aufgeführten Skalen:
Tab. 5. Skalen des Elternschaftsfragebogens für Mütter
Skalenbezeichnung Itemanzahl Itemnummer α
Belastung durch Kinder 14 14, 31, 32, 39, 49, 51, 56, 59, 61, 63, 64, 69, 77, 80
.850
Wert von Kindern 15 10, 17, 18, 20, 25,30, 33, 34, 35, 36, 38, 41, 54, 73, 76 .840
Traditionelle Elternrolle 15 1, 2, 5, 11, 22, 28, 37, 42, 47, 60, 62, 65, 68, 78, 82 .852
Reproduktiver Wert der Familie 9 8, 12, 15, 21, 27, 45, 53, 66, 70 .799
„Mutterrolle versus Berufsrolle 8
3, 13, 29, 40, 44, 72, 74, 79
.732
α = Cronbach’s Alpha Die Skala „Belastung durch Kinder“ misst, wie sehr sich Mütter durch die Kinder
eingeschränkt und belastet fühlen. Mit Hilfe der Skala „Wert von Kindern“ wird der
persönliche Wert der Kinder für die Mutter eingeschätzt und erfasst, inwieweit Kinder eine
Sinnerfüllung für sie bedeuten. Durch die Skala „Traditionelle Elternrolle“ wird die
Zustimmung zur traditionellen Rollenaufteilung zwischen Mann und Frau erhoben. Die Skala
„Reproduktiver Wert der Familie“ misst, ob und inwiefern es den Müttern wichtig ist, durch
Kinder ihr Ansehen innerhalb der Großfamilie zu heben und durch sie die Tradition der
Familie fortzuführen. Durch die Skala „Mutterrolle versus Berufsrolle“ wird erhoben, ob die
Mutter meint, dass sich Mutterrolle und Berufsrolle verbinden lassen oder dass sie einander
ausschließen: Hohe Werte bedeuten hier, dass die Mutter es für angebrachter hält, sich ganz
den Kindern zu widmen, niedrige Werte, dass sie der Auffassung ist, dass sich Mutterschaft
und Berufstätigkeit vereinen lassen.
Die z-transformierten Skalen des Elternschaftsfragebogens wurden herangezogen, um auf
clusteranalytischem Wege Müttertypen zu bilden, wobei das Verfahren nach Ward zur
Anwendung kam. Die Clusteranalyse der Elternschaftsfragebogendaten legte eine Fünf-
Clusterlösung nahe (s. Tab. 6 und die Veranschaulichung in Abb. 4). Im Einzelnen handelt es
26
sich um folgende Müttertypen, die sich in den Variablen des Elternschaftsfragebogens in
charakteristischer Weise unterscheiden:
1. Emanzipierte Mütter (12.4%)
Die „Emanzipierten Mütter“ lehnen eine traditionelle Rollenaufteilung ab. Hier ist allerdings
anzumerken, dass die Zustimmung bei allen Müttertypen generell eher gering ist.
Emanzipierte Mütter fühlen sich durch Kinder wenig belastet. Sie schätzen ihren Wert
allerdings signifikant geringer ein, als dies bei den anderen Müttertypen der Fall ist. Dies gilt
sowohl für die Qualität ihrer Partnerschaftsbeziehung als auch den Stellenwert der Kinder
bezüglich der Bereicherung ihres Lebens. Der reproduktive Wert der Familie ist für sie
ebenfalls geringer.
2. Kinderorientierte Mütter (21.4%)
Für die „Kinderorientiertn Mutter“ sind der Wert des Kindes und der reproduktive Wert der
Familie besonders wichtig. In der Skala „Mutterrolle versus Berufsrolle“ liegen sie im
Mittelbereich. Die traditionelle Rollenaufteilung lehnen sie jedoch eher ab. Trotz des großen
Engagements für die Familie fühlen sie sich durch Kinder nur durchschnittlich belastet.
3. Beruforientierte Mütter (14%)
Die „berufsorientierten Mütter“ befürworten am stärksten die Berufstätigkeit von Müttern und
lehnen eine traditionelle Rollenaufteilung eher ab. Dem Wert von Kindern für die Beziehung
und die persönliche Entwicklung stimmen sie eher zu, der reproduktive Wert der Familie wird
von ihnen jedoch eher abgelehnt. Kinder werden als wenig belastend empfunden.
4. Belastete Mütter (26.4%)
Die Mütter dieser Gruppe empfinden die stärkste Belastung durch die Kinder. Sie weisen in
den anderen Bereichen durchschnittliche Ausprägungen auf. So haben sie eine eher
ablehnende Haltung gegenüber einer traditionellen Rollenaufteilung und einer
ausschließlichen Mutterrolle. Dies gilt auch für den reproduktiven Wert der Familie. Dem
emotionalen Wert von Kindern stimmen sie eher zu.
27
5. Traditionelle Mütter (25.6%)
Die „Traditionellen Mütter“ stimmen der traditionellen Rollenaufteilung, verglichen mit den
anderen Müttertypen, signifikant stärker zu. Der Berufstätigkeit von Müttern stehen sie
neutral gegenüber. Durch Kinder fühlen sie sich nur gering belastet.
Tab. 6. Skalenwerte des Elternschaftsfragebogens in den Mütterclustern (ANOVA)
Elternschaftsskalen der Mütter Muttertypen N M SD p
Belastung durch das Kind
Emanzipierte Mütter 16 2.12 .257
<.001
Kinderorientiert Mütter 28 2.58 .337 Berufsorientierte Mütter 18 2.11 .201 Belastete Mutter 34 2.99 .241 Traditionelle Mütter 33 2.35 .399 Gesamt 129 2.50 .449
Wert des Kindes
Emanzipierte Mütter 16 2.43 .330
<.001
Kinderorientiert Mütter 28 3.57 .198 Berufsorientierte Mütter 18 3.09 .309 Belastete Mutter 34 2.97 .328 Traditionelle Mütter 33 3.09 .260 Gesamt 129 3.08 .433
Traditionelle Rollenaufteilung
Emanzipierte Mütter 16 1.37 .335
<.001
Kinderorientiert Mütter 28 1.71 .451 Berufsorientierte Mütter 18 1.38 .249 Belastete Mutter 34 1.53 .297 Traditionelle Mütter 33 2.06 .233 Gesamt 129 1.66 .411
Reproduktiver Wert der Familie
Emanzipierte Mütter 16 1.72 .385
<.001
Kinderorientiert Mütter 28 2.87 .408 Berufsorientierte Mütter 18 1.87 .360 Belastete Mutter 34 2.14 .454 Traditionelle Mütter 33 2.31 .385 Gesamt 129 2.25 .552
Mutterrolle vs. Berufsrolle
Emanzipierte Mütter 16 2.16 .244
<.001
Kinderorientiert Mütter 28 2.49 .523 Berufsorientierte Mütter 18 1.50 .281 Belastete Mutter 34 2.14 .382 Traditionelle Mütter 33 2.13 .382 Gesamt 129 2.12 .483
N = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau
28
-2
-1.5
-1
-0.5
0
0.5
1
1.5
Belastung durchdas Kind
Wert des Kindes Mutter -Traditionelle
Rollenaufteilung
Mutter -Reproduktiver Wert
der Familie
Mutter - Mutterrollevs. Berufsrolle
Emanzpierte MütterKinderorientierte MütterBerufsorientierte MütterBelastete MütterTraditionelle Mütter
Abb. 4. z-transformierte Skalenwerte des Elternschaftsfragebogens in den Mütterrclustern
In der Skala „Belastung durch das Kind“ haben erwartungsgemäß die belasteten Mütter die
höchsten, die emanzipierten und die kinderorientierten Mütter die niedrigsten Werte.
Letzteren gelingt es offenbar, die Belastung durch familiäre Aufgaben in einer für sie
akzeptablen Form in Grenzen zu halten. In das Gesamtbild passen auch die weiteren
Ergebnisse. Kinderorientierte Mütter schätzen den Wert des Kindes und den reproduktiven
Wert der Familie am höchsten ein und bevorzugen die Mutterrolle gegenüber der Berufsrolle.
Emanzipierte Mütter haben den niedrigsten Score in der Skala „reproduktiver Wert der
Familie“ und zeigen die geringste Ausprägung in der Skala „Wert des Kindes“. Sie lehnen
außerdem- ebenso wie die berufsorientierten Mütter- die traditionelle Rollenaufteilung eher
ab. Letztere Müttergruppe hat den niedrigsten Score in der Skala „Mutterrolle versus
Berufsrolle“, was bedeutet, dass sie die Berufsrolle eindeutig bevorzugen.
3.4.1 Müttertypen und Partnerschaftsqualität Zur Erfassung der Partnerschaftsqualität wurde der Partnerschaftsfragebogen von
Hahlweg (1979) eingesetzt. Er umfasst die Skalen Streitverhalten, Zärtlichkeit und
Kommunikation/Gemeinsamkeit. In Tab. 7 werden die diesbezüglichen
Mittelwertsunterschiede zwischen den Müttertypen berichtet.
29
Tab. 7. Müttertypen und Partnerschaftsqualität aus Sicht der Mutter (ANOVA)
Partnerschaft Müttertypen N M SD p
Streitverhalten aus Sicht der Mutter
Emanzipierte Mütter 12 1.31 .254
.002
Kinderorientiert Mütter 23 1.72 .538 Berufsorientierte Mütter 17 1.42 .385 Belastete Mutter 30 1.88 .630 Traditionelle Mütter 18 1.54 .277 Gesamt 100 1.64 .517
Zärtlichkeit aus Sicht der Mutter
Emanzipierte Mütter 12 2.74 .674
.228
Kinderorientiert Mütter 23 2.94 .728 Berufsorientierte Mütter 17 2.92 .729 Belastete Mutter 30 2.54 .757 Traditionelle Mütter 18 2.64 .538 Gesamt 100 2.74 .707
Kommunikation aus Sicht der Mutter
Emanzipierte Mütter 12 3.10 .501
.012
Kinderorientiert Mütter 23 2.98 .537 Berufsorientierte Mütter 17 2.92 .607 Belastete Mutter 30 2.52 .642 Traditionelle Mütter 18 2.79 .476 Gesamt 100 2.81 .597
N = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau Kodierung: 1=nie/sehr selten 2=selten 3=oft 4=sehr oft Anmerkung: Klammern geben signifikante Unterschiede zwischen den betreffenden Müttertypen an Signifikante Unterschiede zwischen den Müttertypen zeigen sich bezüglich des von den
Müttern berichteten Streitverhaltens ihres Partners. Den höchsten Wert des Streitverhaltens
geben belastete Mütter an, gefolgt von den kinderorientierten Müttern. Das geringste
Streitverhalten berichten die emanzipierten Mütter. Es ist nachvollziehbar, dass unter
Belastung die Fähigkeit leidet, einen Streit rasch beizulegen und sich mit dem Partner wieder
zu verständigen. Belastung führt außerdem dazu, dass ärgerliche Äußerungen des Partners
schwerer genommen werden, so dass es leichter zu Eskalationen kommt. Das von den
kinderorientierten Müttern wahrgenommene höhere Streitverhalten könnte u.a. darauf
zurückgehen, dass bei Auseinandersetzungen, die die Jugendlichen betreffen, dazu neigen
deren Partei zu ergreifen.
Auch hinsichtlich der Kommunikationsgestaltung mit dem Partner unterscheiden sich die
Müttertypen signifikant. Hier haben wieder die emanzipierten Mütter, aber auch (mit
geringem Abstand) die kindorientierten Mütter die höchsten Scores. Die belasteten Mütter
fallen durch den geringsten Wert in dieser Skala auf. Auch dieses Ergebnis unterstreicht die
30
problematische Situation der belasteten Mütter, da es zeigt, dass sie sich über ihre schwierige
Situation mit ihrem Partner kaum austauschen, so dass sie mit ihren Problemen allein bleiben.
Zur Erfassung der Glücklichkeit in der Partnerschaft wurde eine sechs-stufige Likertskala
eingesetzt, die von „sehr unglücklich“ bis „sehr glücklich“ reicht. Die Ergebnisse sind in Tab.
8 aufgeführt. Die emanzipierten Mütter beurteilen ihre Partnerschaft in dieser Skala als
signifikant glücklicher, als dies bei den belasteten Müttern der Fall ist. Die Partner der
verschiedenen Müttertypen unterscheiden sich interessanterweise jedoch nicht bezüglich ihrer
Glücklichkeit in der Partnerschaft.
Tab. 8. Müttertypen und die Glücklichkeit der Partnerschaft (ANOVA)
Müttertypen N M SD p
„Glücklichkeit“ der Partnerschaft aus Sicht der Mutter (nach Müttertypen geordnet)
Emanzipierte Mütter 12 5.33 .778
.025
Kinderorientierte Mütter 23 4.74 1.176 Berufsorientierte Mütter 17 4.76 1.200 Belastete Mutter 30 4.03 1.402 Traditionelle Mütter 18 4.56 1.097 Gesamt 100 4.57 1.249
„Glücklichkeit“ der Partnerschaft aus Sicht des Vaters (nach Müttertypen geordnet)
Emanzipierte Mütter 11 5.00 1.183
.584
Kinderorientiert Mütter 22 4.59 1.221 Berufsorientierte Mütter 17 4.82 1.185 Belastete Mutter 27 4.37 1.214 Traditionelle Mütter 18 4.44 1.423 Gesamt 95 4.59 1.242
N = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau Kodierung: 1=sehr unglücklich 2=unglücklich 3=eher unglücklich 4=eher glücklich 5=glücklich 6=sehr glücklich Anmerkung: Klammern geben signifikante Unterschiede zwischen den betreffenden Müttertypen an Es stellt sich die Frage, ob die Auffassung von Elternschaft, wie sie sich in den Müttertypen
widerspiegelt, die Beziehung der Eltern zu ihren Söhnen und Töchtern beeinflusst. Sowohl
den Müttern wie den Vätern wurde daher der Zweierbeziehungsfragebogens von Cierpka und
Frevet (1994) vorgelegt. Die Ergebnisse werden im Folgenden dargestellt.
31
3.4.2 Die Beziehung der Müttertypen zu ihren Söhnen und Töchtern
Der Fragebogen von Cierpka und Frevet umfasst folgende Skalen: „Aufgabenerfüllung“,
„Rollenverteilung“, „Kommunikation“, „Emotionalität“, „affektive Beziehungsaufnahme“,
„Kontrolle“ und „Werte und Normen“. Zur besseren Vergleichbarkeit mit den Angaben in der
Literatur wurde die Kodierung der Items von Cierpka und Frevet übernommen, so dass hohe
Werte eine niedrige Ausprägung in der Skala bedeuten. Dies ist bei der Interpretation der
Ergebnisse zu beachten.
Wie Tab. 9 zeigt, bestehen bezüglich aller Skalen knapp signifikante bis sehr signifikante
Unterschiede zwischen den Müttertypen. So wird die Beziehung zu den Jugendlichen von den
belasteten Müttern in allen Skalen am problematischsten beschrieben: Nicht nur die
Partnerbeziehung, sondern auch die Beziehung zu den Kindern leidet, wenn die Mutter
übermäßig belastet ist.
In den Bereichen „Aufgabenerfüllung“, „Rollenverteilung“, „Kommunikation“ mit dem Sohn
bzw. der Tochter, „Kontrolle“ sowie „Werte und Normen“ beschreiben die emanzipierten
Mütter die Beziehung zu ihren Söhnen und Töchtern am positivsten. Sie sind daher nicht nur
am glücklichsten in ihrer Partnerschaft, sondern es gelingt ihnen auch, eine gute Beziehung zu
Kindern zu verwirklichen.
Die affektive Beziehungsaufnahme wird sowohl von den emanzipierten Müttern als auch von
den kinderorientierten Müttern günstig beschrieben. Die kinderorientierten Mütter bewerten
die Emotionalität in ihrer Beziehung zu ihren Söhnen und Töchtern am positivsten.
32
Tab. 9. Müttertypen und ihre Beziehung zu den Jugendlichen (ANOVA)
Zweierbeziehungs-fragebogen Müttertypen N M SD p
Aufgabenerfüllung
Emanzipierte Mütter 16 3.81 1.72
.001
Kinderorientierte Mütter 27 4.77 1.54 Berufsorientierte Mütter 18 4.22 2.16 Belastete Mutter 34 6.00 1.95 Traditionelle Mütter 33 5.27 1.77 Gesamt 128 5.03 1.95
Rollenverteilung
Emanzipierte Mütter 16 3.00 1.83
.021
Kinderorientiert Mütter 27 4.22 1.85 Berufsorientierte Mütter 18 3.20 2.02 Belastete Mutter 34 4.74 1.86 Traditionelle Mütter 33 4.00 2.22 Gesamt 128 4.01 2.04
Kommunikation
Emanzipierte Mütter 16 1.83 1.71
.051
Kinderorientierte Mütter 26 2.82 2.02 Berufsorientierte Mütter 18 1.94 1.80 Belastete Mutter 34 3.56 1.67 Eher traditionelle Mütter 33 2.91 2.26 Gesamt 127 2.79 2.00
Emotionalität
Emanzipierte Mütter 16 2.19 1.94
.033
Kinderorientierte Mütter 27 1.72 1.51 Berufsorientierte Mütter 18 1.94 1.39 Belastete Mutter 34 3.00 1.61 Traditionelle Mütter 33 2.45 1.72 Gesamt 128 2.34 1.68
affektive Beziehungsaufnahme
Emanzipierte Mütter 16 1.00 1.32
<.001
Kinderorientierte Mütter 27 1.00 1.04 Berufsorientierte Mütter 18 1.56 1.69 Belastete Mutter 34 2.82 1.93 Traditionelle Mütter 33 2.39 1.97 Gesamt 128 1.92 1.83
Kontrolle
Emanzipierte Mütter 16 .75 1.24
.012
Kinderorientierte Mütter 26 1.77 1.63 Berufsorientierte Mütter 18 1.83 1.58 Belastete Mutter 34 2.41 1.69 Traditionelle Mütter 33 2.39 1.92 Gesamt 127 1.98 1.74
Werte und Normen
Emanzipierte Mütter 16 2.48 1.82
<.001
Kinderorientierte Mütter 26 3.94 1.56 Berufsorientierte Mütter 18 3.89 2.11 Belastete Mutter 34 5.39 1.87 Traditionelle Mütter 33 4.73 2.48 Gesamt 127 4.34 2.19
N = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau Anmerkungen: Hohe Werte bedeuten niedrige Ausprägung und umgekehrt. Klammern geben signifikante Unterschiede zwischen den betreffenden Müttern an
33
Um zu überprüfen, ob die Einschätzungen der Mütter bezüglich ihrer Beziehung zu ihren
Kindern sich auch in den Bewertungen ihrer Bindung an ihre Mütter widerspiegelt, werden in
Tab. 10 die Ergebnisse der Jugendlichen im Bindungsfragebogen dargestellt. Hier finden sich
jedoch keine signifikanten Effekte. Es zeigt sich lediglich eine gewisse Tendenz bei der Skala
„Entfremdung“. Die höchsten Werte sind bei den emanzipierten Müttern und etwas
abgeschwächt bei den kinderorientierten Müttern zu beobachten. Die berufsorientierten
Mütter haben hier die niedrigsten Werte.
Tab. 10. Müttertypen und die Bindung der Jugendlichen an die Mutter (ANOVA)
Bindung an die Mütter Müttertypen N M SD p
Vertrauen
Emanzipierte Mütter 16 4.23 .655
.953
Kinderorientiert Mütter 28 4.25 .370 Berufsorientierte Mütter 18 4.35 .512 Belastete Mutter 34 4.29 .456 Traditionelle Mütter 33 4.31 .571 Gesamt 129 4.29 .501
Kommunikation
Emanzipierte Mütter 16 3.45 1.087
.702
Kinderorientiert Mütter 28 3.42 .742 Berufsorientierte Mütter 18 3.67 .853 Belastete Mutter 34 3.67 .683 Traditionelle Mütter 33 3.50 .822 Gesamt 129 3.54 .807
negative emotionale Beziehung
Emanzipierte Mütter 16 2.08 .762
.576
Kinderorientiert Mütter 28 2.33 .621 Berufsorientierte Mütter 18 2.21 .705 Belastete Mutter 34 2.16 .534 Traditionelle Mütter 33 2.07 .659 Gesamt 129 2.17 .638
Entfremdung
Emanzipierte Mütter 16 2.73 .957
.149
Kinderorientiert Mütter 28 2.68 .745 Berufsorientierte Mütter 18 2.12 .835 Belastete Mutter 34 2.51 .763 Traditionelle Mütter 33 2.51 .714 Gesamt 129 2.52 .792
N = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau
34
3.4.3 Die von den Müttern in den Mütterclustern berichtete Aufteilung der Haushaltstätigkeiten
Da es denkbar wäre, dass sich die Müttertypen bezüglich der von ihnen übernommenen
Haushaltsarbeiten unterscheiden, wurde dieser Aspekt in die Auswertung einbezogen. Wie
die Ergebnisse zeigen, ist dies nicht der Fall (s. Tab. 11). Alle Angaben liegen zwischen 3
(„beide zu gleichen Teilen“) und 4 („überwiegend ich“).
Tab. 11. Müttertypen und selbsteingeschätzte Beteiligung an den Haushaltstätigkeiten (ANOVA)
Müttertypen N M SD p
Haushaltstätigkeit der Mutter (nach Müttertypen geordnet)
Emanzipierte Mütter 12 3.82 .688
.611
Kinderorientiert Mütter 27 3.70 .856 Berufsorientierte Mütter 17 3.50 .764 Belastete Mutter 32 3.72 .567 Traditionelle Mütter 26 3.83 .584 Gesamt 114 3.72 .688
N = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau Kodierung: 1=ich nie, 2=ich seltener, 3=beide zu gleichen Teilen, 4=überwiegend ich, 5=immer ich. . Bei der Zufriedenheit der Mütter mit der Haushaltsarbeitsaufteilung sind die Verhältnisse
allerdings etwas anders (s. Tab. 12): Keiner der Mittelwerte erreicht die Bewertung 2 („ja ich
bin so zufrieden“), sondern sie liegen sämtlich noch im Bereich „der Partner sollte sich mehr
darum kümmern“. Zwischen den Müttertypen bestehen allerdings nur tendenzielle
Unterschiede. Am unzufriedensten sind die belasteten Mütter, sie wünschen sich von ihrem
Partner mehr Unterstützung im Haushalt. Am wenigsten kritisch beurteilen die emanzipierten
und berufsorientierten Mütter die väterliche Unterstützung bei der Haushaltsarbeit.
Tab. 12. Müttertypen und Zufriedenheit mit der Aufteilung der Haushaltstätigkeiten (ANOVA)
Müttertypen N M SD p
Zufriedenheit mit Haushaltsaufteilung der Mutter (nach Müttertypen geordnet)
Emanzipierte Mütter 12 1.81 .210
.085
Kinderorientiert Mütter 27 1.73 .287 Berufsorientierte Mütter 16 1.83 .193 Belastete Mutter 32 1.63 .296 Traditionelle Mütter 26 1.78 .309 Gesamt 113 1.74 .282
N = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau Kodierung: 1=der Partner sollte sich mehr darum kümmern, 2=ja, bin so zufrieden, 3=er sollte es mehr mir überlassen.
35
Wird die Zufriedenheit der Mütter in den Mütterclustern mit der Zeitaufteilung zwischen den
Bereichen Familie, Freizeit und Beruf der Müttertypen betrachtet, zeigt sich, dass belastete
Mütter tendenziell am wenigsten zufrieden sind (siehe Tab. 13). Am Zufriedensten sind hier
die traditionellen Mütter. Deutliche Unterschiede finden sich jedoch, wenn man die
Zufriedenheit der Partner mit der Zeitaufteilung für Familie, Freizeit und Beruf erfragt (s.
Tab. 14).
Tab. 13. Zufriedenheit der Mutter mit der Zeitaufteilung für Familie, Freizeit und Beruf in den fünf
Mütterclustern (ANOVA) Müttertypen N M SD p
Zufriedenheit der Mutter mit der Zeitaufteilung für Familie, Freizeit und Beruf (nach Müttertypen geordnet)
Emanzipierte Mütter 16 2.44 .629
.080
Kinderorientiert Mütter 26 2.31 .618 Berufsorientierte Mütter 18 2.39 .502 Belastete Mutter 34 2.12 .591 Traditionelle Mütter 33 2.52 .566 Gesamt 127 2.34 .594
N = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau Kodierung: 1 = überhaupt nicht zufrieden 2 = nicht ganz zufrieden 3 = sehr zufrieden
Tab. 14. Zufriedenheit des Vaters mit der Zeitaufteilung für Familie, Freizeit und Beruf in den fünf Mütterclustern (ANOVA)
Müttertypen N M SD p
Zufriedenheit des Vaters mit der Zeitaufteilung für Familie, Freizeit und Beruf (nach Müttertypen geordnet)
Emanzipierte Mütter 14 2.71 .469
<.001
Kinderorientiert Mütter 25 2.44 .507 Berufsorientierte Mütter 17 2.59 .507 Belastete Mutter 31 2.03 .605 Traditionelle Mütter 27 2.22 .577 Gesamt 114 2.33 .590
N = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau Kodierung: 1 = überhaupt nicht zufrieden 2 = nicht ganz zufrieden 3 = sehr zufrieden
Alle Bewertungen der Partner der Müttertypen liegen zwischen „nicht ganz zufrieden“ und
„sehr zufrieden“. Die niedrigste Ausprägung zeigen jene Väter, die mit belasteten Müttern
verheiratet sind, die höchste, die Partner der emanzipierten Mütter. Auch dieses Ergebnis
unterstreicht, dass die belasteten Mütter eine Risikogruppe darstellen. Den emanzipierten
Müttern ist es dagegen offenbar gelungen, den Familienalltag gut zu organisieren.
Wie die berichteten Ergebnisse zeigen, kommt den Müttertypen eine besondere Bedeutung
bei der Gestaltung des Familienlebens zu. Es ist daher von Interesse, zu untersuchen, ob es
36
sich dabei um stabile Zuordnungen handelt, wenn man die längsschnittliche Entwicklung
berücksichtigt. Dieser Frage wird im nächsten Kapitel nachgegangen.
3.4.4 Längsschnittliche Wanderung der Müttertypen Wie erwähnt, wurde die Einstellung zur Elternschaft im Rahmen dieses Längsschnittprojektes
zu allen Erhebungswellen durch den Elternschaftsfragebogens von Nickel, Grant und Vetter
(1990) erhoben. An Hand dieser Skalen wurden zu jedem Erhebungszeitpunkt Mütter- und
Vätercluster berechnet.
3.4.4.1 Wanderung der Müttertypen vom ersten zum sechsten Erhebungszeitpunkt
Aufgrund der Befragung der Mütter zum ersten Erhebungszeitpunkt konnten clusteranalytisch
die folgenden sechs Müttertypen identifiziert werden: „Selbstbewusste, kinderliebende
Mütter“ (21.9%), „Emanzipierte, durch Kinder nicht belastete Mütter“ (12.4%),
„Emanzipierte, durch Kinder belastete Mütter“ (29.8%), „Überforderte, durch Kinder nicht
belastete Mütter“ (9%), „Überforderte, durch Kinder belastete Mütter“ (20.8%) und
„Pflichterfüllende Mütter“ (2.8%). Die Veränderungen der Clusterzugehörigkeiten vom ersten
Erhebungszeitpunkt zur aktuellen sechsten Erhebung sind in Tab. 15 angeführt, wobei nur
jene Mütter berücksichtigt wurden, von denen Daten zu beiden Erhebungszeitpunkten
vorliegen.
Wie die Analyse zeigt, bestehen kaum Übereinstimmungen. Es zeigt sich z.B., dass nur
38.9% der emanzipierten, durch das Kind nicht belasteten Mütter von t1 auch zu t6 noch zu
den emanzipierten Müttern zählen, die anderen entweder den berufsorientierten oder den
traditionellen Müttern angehören. Ein Drittel der emanzipierten, durch das Kind belasteten
Mütter zu t1 gehören auch zu t6 der belasteten Müttercluster an. Von den überforderten, durch
das Kind nicht belasteten Müttern zu t1 sind zu t6 mehr als die Hälfte der Mütter im
kinderorientierten Müttercluster. Je ein Drittel der zu t1 überforderten, durch das Kind
belasteten Mütter sind auch zu t6, in der Gruppe der belasteten Mütter oder der Gruppe der
traditionellen Mütter zu finden. Weiters zeigt die Analyse, dass die Gruppe der emanzipierten
Mütter zu t6 nur aus Müttern die zu t1 der Gruppe der selbstbewussten kinderliebenden oder
37
der emanzipierten Mütter angehörten. Diese Mütter haben offenbar früh zu einer sie
befriedigenden Rolle in der Familie gefunden, die auch vom Partner akzeptiert wird.
Tab. 15. Wanderung der Müttertypen von t1 nach t6
Müttertypen t6
Müttertypen t1 (drei Monate vor der Geburt)
Selbstbew. Kinderliebe
Emanzipierte Unbelastete
Emanzipierte Belastete
Überfordert Unbelastete
Überforderte Belastete
Pflicht-erfüllende
Gesamt
Emanzipierte Mütter
O 3 7 6 0 0 0 16
E 4.1 2.3 4.7 1.5 3.3 .1 16
% 9.4% 38.9% 16.2% 0% 0% 0% 12.7%
Familien-orientierte Mütter
O 10 0 6 7 5 0 28
E 7.1 4.0 8.2 2.7 5.8 .2 28
% 31.3% 0% 16.2% 58.3% 19.2% 0% 22.2%
Berufs-orientierte Mütter
O 3 4 6 0 4 1 18
E 4.6 2.6 5.3 1.7 3.7 .1 18
% 9.4% 22.2% 16.2% 0% 15.4% 100% 14.3%
Belastete Mutter
O 8 3 12 2 9 0 34
E 8.6 4.9 10.0 3.2 7.0 .3 34
% 25.0% 16.7% 32.4% 16.7% 34.6% 0% 27.0%
Traditionelle Mütter
O 8 4 7 3 8 0 30
E 7.6 4.3 8.8 2.9 6.2 .2 30
% 25.0% 22.2% 18.9% 25.0% 30.8% .0% 23.8%
Gesamt
O 32 18 37 12 26 1 126
E 32 18 37 12 26 1 126
% 100% 100% 100% 100% 100% 100% 100% O= Anzahl E= erwartete Anzahl %=Prozent von Müttertypen t1 Exakter Test nach Fischer p=.004 Um einen anschaulichen Eindruck der Verschiebungen der Zugehörigkeiten zu den
Müttertypen zu vermitteln, werden diese in Abb. 5 dargestellt.
38
Traditionelle n=30
Kinder-orientierte
n =28
Berufs-orientierten
n=18
Belastete n=34
Überforderte Belastete
n=25
Überforderte Unbelastete
n=12
3
3
8
10 8 8
4
4
7
4
7
3
2
6
12
6
6
7
5
8
9
Müttertypen t1
Pflicht-erfüllende
n=1
Müttertypen t6
Emanzipierte n=16
Selbstbewusste Kinderliebende
n=32
1
Emanzipierte Belastete
n=37
Emanzipierte Unbelastete
n=18
Abb. 5. Müttercluster zu t1 und t6 / Verschiebungen
39
Aufgrund der geringen Stabilität der Zuordnung zu den Müttertypen von t1 und t6 stellt sich
die Frage, ob wenigstens Übereinstimmungen zwischen t5, als die Kinder elf Jahre alt waren,
und t6, als sie fünfzehn Jahre zählten, bestehen. Im nächsten Abschnitt wird darauf
eingegangen.
3.4.4.2 Wanderung der Müttertypen vom fünften zum sechsten Erhebungszeitpunkt
Zum fünften Erhebungszeitpunkt hatten sich clusteranalytisch folgende Müttertypen ergeben:
„Traditionelle, belastete Mütter“ (14%), „Traditionelle, unbelastete Mütter“(21.3%), „Wenig
traditionelle, belastete Mütter“ (15.7%), „Emanzipierte, unbelastete Mütter“ (19.7%) und
„Kinderorientierte Mütter“ (5.1%) (siehe Rollett, Werneck & Hanfstingl, 2005).
Die Veränderungen der Clusterzugehörigkeiten der Mütter sind in Tab. 16 aufgezeigt. Wie
sich zeigt, ist auch in diesem Fall die Stabilität gering.
Von den 31 Müttern, die zum fünften Erhebungszeitpunkt zum Typ der emanzipierten,
unbelasteten Mütter zählten, können in der aktuellen Erhebung ein Drittel (n = 10) wieder
dem emanzipierten Typ zugeordnet werden. Dreizehn der Mütter zeichnen sich nun durch
eine besondere Berufsorientierung aus und sechs sind in der Gruppe der belasteten Mütter.
Ein Großteil der traditionellen, belasteten Mütter zu t5 könnten jetzt der Gruppe der belasteten
Mütter (n = 8) und der Traditionellen Mütter (n = 7) zu geteilt werden. 53.6% (n =15) der
traditionellen, unbelasteten Mütter sind auch zu t6 in der Gruppe der Traditionellen Mütter zu
finden und ein Viertel (n=7) wandert zu der Gruppe der Kinderorientierten. Mehr als die
Hälfte der wenig traditionellen, belasteten Mütter empfinden auch zu t6 eine höhere
Belastung. Im Jugendalter kommt es verstärkt zu einer Ablösung der Jugendlichen von den
Eltern und dadurch auch zu einer Verlagerung in der Bedeutung der Elternschaft
40
Tab. 16. Wanderung der Muttertypen von t5 und t6
Müttertypen t5
Müttertypen t6
Emanzipierte unbelastete
Mütter Traditionelle
belastete Mütter
Kinder-orientierte
Mütter
Traditionelle unbelastete
Mütter
Wenig traditionelle
belastete Mütter
Gesamt
Emanzipierte Mütter
O 10 1 0 3 1 15
E 4.1 2.8 1.1 3.7 3.3 15
% 32.3% 4.8% .0% 10.7% 4.0% 13.3%
Familien-orientierte Mütter
O 0 5 7 7 4 23
E 6.3 4.3 1.6 5.7 5.1 23
% .0% 23.8% 87.5% 25.0% 16.0% 20.4%
Berufs-orientierte Mütter
O 13 0 0 2 3 18
E 4.9 3.3 1.3 4.5 4.0 18
% 41.9% 0% 0% 7.1% 12.0% 15.9%
Belastete Mutter
O 6 8 1 1 15 31
E 8.5 5.8 2.2 7.7 6.9 31
% 19.4% 38.1% 12.5% 3.6% 60.0% 27.4%
Traditionelle Mütter
O 2 7 0 15 2 26
E 7.1 4.8 1.8 6.4 5.8 26
% 6.5% 33.3% .0% 53.6% 8.0% 23.0%
Gesamt
O 31 21 8 28 25 113
E 31 21 8 28 25 113
% 100% 100% 100% 100% 100% 100% O= Anzahl E= erwartete Anzahl %=Prozent von Müttertypen t5 Exakter Test nach Fischer p<.001
In Abb. 6 werden die Verschiebungen der Zugehörigkeiten zu den Müttertypen grafisch veranschaulicht.
41
Kinder-orientierte
n=8
Traditionelle n=26
Kinder-orientierte
n=23
Berufs-orientierten
n=18
Emanzipierte n=15
Belastete n=31
Wenig Traditionelle
Belastete n=25
Traditionelle Unbelastete
n=28
Emanzipierte unbelastete
n=31
Traditionelle Belastete
n=21
10
13
8
2
6
7
5
1
1
7
1
3
1
2
7
15
3
4
2
15
Müttertypen t5 Müttertypen t6
Abb. 6. Müttercluster zu t5 und t6 / Verschiebungen
42
Im nächsten Kapitel werden die Ergebnisse der analog zur Auswertung der Mütterdaten
erfolgten Analysen der Väterdaten berichtet. Auch hier wurden clusteranalytisch Vätertypen
gebildet.
3.5 Die Einstellung der Väter zur Elternschaft: Skalenbildung und Identifikation von Vätertypen
Harald Werneck und Monika Pucher Wie bei den Analysen der Mütterdaten wurden die Skalen der väterlichen Einstellung zur
Elternschaft zu t6 von der letzten Erhebung des FIL-Projektes (t5) weitgehend übernommen
und nur bei einzelnen Items adaptiert. Wie in Tab. 17 ersichtlich, sind die Reliabilitäten der
einzelnen Skalen zufriedenstellend.
Tab. 17. Skalen der Elternschaft der Väter
Skalenbezeichnung Itemanzahl Itemnummer α
Belastung durch Kinder 18 11, 14, 29, 32, 39, 49, 51, 52, 56, 57, 59, 61, 63, 64, 69, 77, 80, 81 .91
Funktionaler Wert von Kindern 12 8, 12, 15, 17, 21, 27, 33, 34, 45, 53, 66, 70 .83
Traditionelle Rollenaufteilung 18 1, 2, 5, 22, 28, 31, 40, 42, 46, 47, 58, 60, 62,
68, 71, 78, 79, 82 .88
Emotionaler Wert von Kindern 15 3, 10, 18, 20, 23, 25, 26, 30, 35, 36, 38, 41,
54, 67, 73 .86
α = Cronbach’s Alpha Mit der Skala „Belastung durch Kinder“ wird ermittelt, ob bzw. wie sehr Väter die
Auseinandersetzung und Beschäftigung mit Kindern als Belastung empfinden. Die Skala
„Funktionaler Wert von Kindern“ misst, inwieweit Kinder zum eigenen Selbstverständnis
gehören, aber auch als Quelle sozialer und gesellschaftlicher Anerkennung fungieren.
In der Skala „Traditionelle Rollenaufteilung“ wird erfasst, inwieweit die Einstellungen des
Vaters betreffend die Rollenaufteilung zwischen den Eltern dem traditionellen Muster
entspricht. Mit der Skala „Emotionaler Wert von Kindern“ wird schließlich der Wert an sich,
Kinder zu haben und dessen bereichernde und sinnstiftende Funktion erhoben.
Im nächsten Schritt werden diese vier (z-transformierten) Skalen des Elternschaftfragebogens
von Nickel, Grant und Vetter (1990) einer Clusteranalyse (nach Ward) unterzogen. Im
Folgenden werden die so gewonnenen vier Vätercluster mit ihren typischen Ausprägungen
beschrieben (s. Tab. 18 und Abb. 7).
43
Tab. 18. Skalenwerte des Elternschaftsfragebogens (Nickel, Grant & Vetter, 1990) in den Väterclustern (ANOVA)
Elternschaftsfragebogen Vätercluster N M SD p
Belastung durch das Kind
Neue Väter 22 2.10 .351
<.001 Durchschnittliche Väter 50 2.50 .259 Belastete Väter 18 3.21 .351 Distanzierte Väter 28 2.51 .259 Gesamt 118 2.54 .254
Traditionelle Rollenaufteilung
Neue Väter 22 1.44 .569
<.001 Durchschnittliche Väter 50 1.95 .490 Belastete Väter 18 1.96 .224 Distanzierte Väter 28 1.40 .352 Gesamt 118 1.73 .387
Emotionaler Wert von Kindern
Neue Väter 22 3.46 .228
<.001 Durchschnittliche Väter 50 2.83 .407 Belastete Väter 18 3.08 .255 Distanzierte Väter 28 2.56 .336 Gesamt 118 2.92 .353
Funktioneller Wert von Kindern
Neue Väter 22 2.87 .317
<.001 Belastete Väter 50 2.42 .438 Distanzierte Väter 18 2.78 .375 Durchschnittliche Väter 28 1.84 .333 Gesamt 118 2.42 .508
N = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau
-1.5
-1
-0.5
0
0.5
1
1.5
Belastung durch Kinder TraditionelleRollenaufteilung
Emotionaler Wert vonKindern
Funktionaler Wert vonKindern
Neue VäterBelastete VäterDistanzierte VäterDurchschnittliche Väter
Abb. 7. z-transformierte Skalenwerte des Elternschaftsfragebogens (Nickel, Grant & Vetter, 1990) in
den Väterclustern
44
Folgende Vätertypen konnten identifiziert werden:
1) Die „Neuen Väter“ (18.6 %):
Diese Vätergruppe, die in Anlehnung an die einschlägige Literatur am ehesten als „Neue
Väter“ zu bezeichnen ist, zeichnet sich aus durch vergleichsweise geringe Werte in den
Skalen „Belastung durch Kinder“ und „Traditionelle Rollenaufteilung“, hingegen durch
deutliche erhöhte Werte, vor allem in der Skala „Emotionaler Wert von Kindern“, aber auch
in der Skala „Funktionaler Wert von Kindern“.
2) Die „Belasteten Väter“ (42.4 %):
Diese Gruppe von Vätern ist vor allem über ihre vergleichsweise sehr hohen Werte in der
Belastungsskala definiert. Die anderen Skalenwerte, bezüglich des Traditionalismus und des
emotionalen und funktionalen Wertes von Kindern erweisen sich jeweils als leicht
überdurchschnittlich.
3) Die „Distanzierten Väter“ (15.3 %):
Diese Gruppe von Vätern lässt sich neben durchschnittlichen Belastungswerten und der
deutlich unterdurchschnittlicher Wertigkeit, die sie einer traditionellen Rollenaufteilung
beimessen, vor allem durch die vergleichsweise sehr geringen Ausprägungen in den Skalen
emotionaler und funktionaler Wert von Kindern charakterisieren.
4) Die „Durchschnittlichen Väter“ (23.7 %):
Die einzige nennenswerte Abweichung der Väter dieses Clusters von den Skalenmittelwerten
betrifft die leicht überdurchschnittliche Zustimmung zur traditionellen Rollenaufteilung.
Um ein genaueres Bild dieser vier Vätercluster gewinnen zu können, wurden in den nächsten
Schritten Unterschiede zwischen den gebildeten Gruppen hinsichtlich mehrerer interessant
erscheinender Variablen bzw. Konstrukte geprüft.
45
3.5.1 Vätertypen und Partnerschaftsqualität Hinsichtlich der Partnerschaftsqualität wurden dabei die auch zu allen vorigen
Erhebungszeitpunkten verwendeten Skalen aus dem Partnerschaftfragebogen PFB von
Hahlweg (1979) eingesetzt, nämlich Streitverhalten, Zärtlichkeit und
Kommunikation/Gemeinsamkeiten bzw. die zusätzliche Skala zur Erfassung der globalen
Glücklichkeitseinschätzung.
Betrachtet man die Einschätzungen der Väter, so ergeben sich auf der Skala Streitverhalten
signifikante Unterschiede, wobei hier die Werte der „Belasteten Väter“ deutlich höher liegen
als jene der drei anderen Vätergruppen. Hinsichtlich des Kommunikationsverhaltens zeigt
sich eine Tendenz dahingehend, dass die „Belasteten Väter“ ebenso wie die „Distanzierten
Väter“ geringere Werte, hingegen die „Neuen Väter“ höhere Werte erzielen (Details dazu s.
Tab. 19).
Tab. 19. Werte der vier Vätercluster in den Skalen des Partnerschaftsfragebogens PFB (Hahlweg, 1979) / Angaben der Väter (ANOVA)
Partnerschaft Vätercluster N M SD p
Streitverhalten aus Sicht des Vaters
Neue Väter 19 1.75 .749
.007 Durchschnittliche Väter 48 1.74 .505 Belastete Väter 16 2.33 .599 Distanzierte Väter 27 1.73 .671 Gesamt 110 1.82 .635
Zärtlichkeit aus Sicht des Vaters
Neue Väter 19 2.70 .809
.104 Durchschnittliche Väter 48 2.55 .670 Belastete Väter 16 2.28 .674 Distanzierte Väter 27 2.25 .730 Gesamt 110 2.46 .721
Kommunikation aus Sicht des Vaters
Neue Väter 19 3.12 .687
.064 Durchschnittliche Väter 48 2.87 .512 Belastete Väter 16 2.66 .599 Distanzierte Väter 27 2.70 .610 Gesamt 110 2.84 .594
N = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau Klammern geben signifikante Unterschiede zwischen den betreffenden Vätern an
46
Unter Berücksichtigung der Angaben der Partnerinnen ergibt sich insofern ein analoges Bild,
als auch die Partnerinnen der „Belasteten Väter“ das am stärksten ausgeprägte Streitverhalten
in der Partnerschaft erleben. Die trendmäßigen Differenzen zwischen den vier Väterclustern
im Kommunikationsverhalten lassen sich aus den Angaben der Partnerinnen allerdings nicht
bestätigen (s. Tab. 20).
Tab. 20. Werte der vier Vätercluster in den Skalen des Partnerschaftsfragebogens PFB (Hahlweg,
1979) / Angaben der Mütter (ANOVA)
Partnerschaft Vätercluster N M SD p
Streitverhalten aus Sicht der Mutter
Neue Väter 21 1.69 .627
.012 Durchschnittliche Väter 45 1.51 .409 Belastete Väter 16 2.03 .643 Distanzierte Väter 24 1.67 .540 Gesamt 106 1.66 .546
Zärtlichkeit aus Sicht der Mutter
Neue Väter 21 2.88 .860
.776 Durchschnittliche Väter 45 2.70 .674 Belastete Väter 16 2.67 .689 Distanzierte Väter 24 2.69 .712 Gesamt 106 2.73 .718
Kommunikation aus Sicht der Mutter
Neue Väter 21 2.84 .716
.638 Durchschnittliche Väter 45 2.85 .546 Belastete Väter 16 2.66 .548 Distanzierte Väter 24 2.72 .669 Gesamt 106 2.79 .608
N = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau Klammern geben signifikante Unterschiede zwischen den betreffenden Vätern an Insgesamt schätzen sowohl die betroffenen Männer als auch deren Partnerinnen ihre
momentane Glücklichkeit in der Partnerschaft in den vier Vätergruppen nicht signifikant
unterschiedlich ein (s. Tab. 21).
47
Tab. 21. Werte der vier Vätercluster in der Skala „globale Glücklichkeit“ des Partnerschaftsfragebogens PFB (Hahlweg, 1979) / Angaben der Mütter und Väter (ANOVA)
Partnerschaft Vätercluster N M SD p
„Glücklichkeit“ der Partnerschaft aus Sicht der Mutter (nach Vätertypen geordnet)
Neue Väter 21 4.62 1.63
.327 Durchschnittliche Väter 45 4.73 .939 Belastete Väter 16 4.13 1.36 Distanzierte Väter 24 4.33 1.37 Gesamt 106 4.53 1.27
„Glücklichkeit“ der Partnerschaft aus Sicht des Vaters (nach Vätertypen geordnet)
Neue Väter 19 4.68 1.49
.438 Durchschnittliche Väter 48 4.69 1.17 Belastete Väter 16 4.13 1.09 Distanzierte Väter 27 4.67 1.27 Gesamt 110 4.60 1.24
N = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau Kodierung: 1=sehr unglücklich 2=unglücklich 3=eher unglücklich 4=eher glücklich 5=glücklich 6=sehr glücklich
3.5.2 Die von den Vätern berichtete Aufteilung der Haushaltstätigkeiten
Bezüglich der Aufteilung der Haushaltstätigkeiten lassen sich in den vier Vätergruppen keine
signifikanten Unterschiede feststellen (s. Tab. 22).
Tab. 22. Aufteilung der Haushaltstätigkeiten in den vier Väterclustern (ANOVA)
Vätercluster N M SD p
Haushaltstätigkeit des Vaters (nach Vätertypen geordnet)
Neue Väter 19 2.21 .689
.398 Durchschnittliche Väter 48 2.16 .439 Belastete Väter 16 2.16 .481 Distanzierte Väter 25 2.37 .442 Gesamt 108 2.22 .498
N = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau Kodierung: 1=ich nie, 2=ich seltener, 3=beide zu gleichen Teilen, 4=überwiegend ich, 5=immer ich. Ebenso unterscheiden sich die Zufriedenheitswerte der Vätertypen mit der
Hausarbeitsaufteilung nicht signifikant voneinander (s. Tab. 23). Es fällt aber auf, dass sie im
Unterschied zu den Müttern sämtlich im Bereich der Bewertung „ja, ich bin so zufrieden“
liegen.
48
Tab. 23. Zufriedenheit mit der Aufteilung der Haushaltstätigkeiten in den vier Väterclustern (ANOVA)
Vätercluster N M SD p
Zufriedenheit des Vaters mit der Aufteilung der Haushaltstätigkeit (nach Vätertypen geordnet)
Neue Väter 17 2.06 .168
.439 Durchschnittliche Väter 48 1.99 .102 Belastete Väter 16 2.04 .169 Distanzierte Väter 25 2.03 .207 Gesamt 106 2.02 .153
N = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau Kodierung: 1=sie sollte sich mehr darum kümmern, 2=ja, bin so zufrieden, 3=sie sollte es mehr mir überlassen
3.5.3 Vätertypen und Zufriedenheit mit der Zeitaufteilung zwischen Familie, Freizeit und Beruf
Auch hinsichtlich der Zeitaufteilung zwischen den Bereichen Familie, Freizeit und Beruf
lassen sich keine bedeutsamen Unterschiede zwischen den vier Vätergruppen feststellen,
weder nach den Angaben der Väter selbst (s. Tab. 24) noch nach jenen ihrer Partnerinnen (s.
Tab. 25).
Tab. 24. Zufriedenheit des Vaters mit der Zeitaufteilung für Familie, Freizeit und Beruf in den vier Väterclustern / Angaben der Väter (ANOVA)
Vätercluster N M SD p
Zufriedenheit des Vaters mit der Zeitaufteilung für Familie, Freizeit und Beruf (nach Vätertypen geordnet)
Neue Väter 22 2.41 22
.398 Durchschnittliche Väter 50 2.36 .598 Belastete Väter 18 2.00 .594 Distanzierte Väter 28 2.43 .504 Gesamt 118 2.33 .586
N = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau Kodierung: 1 = überhaupt nicht zufrieden 2 = nicht ganz zufrieden 3 = sehr zufrieden
Tab. 25. Zufriedenheit des Vaters mit der Zeitaufteilung für Familie, Freizeit und Beruf in den vier Väterclustern / Angaben der Mütter (ANOVA)
Vätercluster N M SD p
Zufriedenheit der Partnerin mit der Zeitaufteilung für Familie, Freizeit und Beruf (nach Vätertypen geordnet)
Neue Väter 22 2.45 .671
.387 Durchschnittliche Väter 48 2.33 .559 Belastete Väter 16 2.13 .500 Distanzierte Väter 28 2.29 .600 Gesamt 114 2.32 .585
N = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau Kodierung: 1 = überhaupt nicht zufrieden 2 = nicht ganz zufrieden 3 = sehr zufrieden
49
3.5.4 Längsschnittliche Wanderung der Vätertypen
3.5.4.1 Wanderung der Vätertypen vom ersten zum sechsten Erhebungszeitpunkt
Als ein Ansatz einer längsschnittlichen Analyse wurden zusätzlich jene Vätercluster, welche
zum ersten Erhebungszeitpunkt t1 anhand der Werte in den Skalen des
Elternschaftsfragebogens gebildet wurden, herangezogen und analysiert, welche
Veränderungen der Clusterzugehörigkeiten im Erhebungszeitraum von t1 zu t6 feststellbar
sind. Dabei ist vorweg zu erwähnen, dass zu t1 insgesamt drei Vätercluster identifiziert
wurden: die „Neuen Väter“ (zu t1 insgesamt ca. 16 %), die „Kinderorientierten Väter“ (32 %)
und die „Eigenständigen Väter“ (52%) (s. im Detail z.B. Werneck, 1998). Nicht alle von
diesen Vätern konnten über den gesamten Zeitraum von über 15 Jahren (t1 bis t6) befragt
werden, diese Detailanalyse bezieht sich aber dennoch immerhin auf 109 von ursprünglich
166 Vätern.
In Tab. 26 sind die Verschiebungen von t1 nach t6 angegeben (zur Veranschaulichung s. Abb.
8)
Tab. 26. Wanderung Vätertypen t1 zu t6
Vätertypen t1
Vätertypen t6 Neue Väter Familien-orientierte Eigenständige Gesamt
Neue Väter Anzahl 4 12 5 21 Erwartete Anzahl 3.3 6.4 11.4 21 % Vätercluster t1 23.5% 36.4% 8.5% 19.3%
Durchschnittliche Väter
Anzahl 5 13 26 44 Erwartete Anzahl 6.9 13.3 23.8 44 % Vätercluster t1 29.4% 39.4% 44.1% 40.4%
Belastete Väter Anzahl 1 5 11 17 Erwartete Anzahl 2.7 5.1 9.2 17 % Vätercluster t1 5.9% 15.2% 18.6% 15.6%
Distanzierte Väter
Anzahl 7 3 17 27 Erwartete Anzahl 4.2 8.2 14.6 27 % Vätercluster t1 41.2% 9.1% 28.8% 24.8%
Gesamt Anzahl 17 33 59 109 Erwartete Anzahl 17 33 59 109 % Vätercluster t1 100% 100% 100% 100%
Exakter Test nach Fischer p.012
50
Von den Verschiebungen der Clusterzugehörigkeiten scheint vor allem erwähnenswert, dass
12 von 33 zu t1 als „familienorientiert“ bezeichneten Vätern zu t6 im Cluster der „Neuen
Väter“ zu finden sind und nur 3 bei den „Distanzierten Vätern“. Umgekehrt finden sich 7 von
17 Väter, die zu t1 als „Neue Väter“ klassifiziert wurden, zu t6 bei den „Distanzierten“. Von
den „Eigenständigen“ zu t1 finden sich nur 5 von 59 bei den „Neuen Vätern“ zu t6.
Auch wenn sich hier teilweise eine gewisse Kontinuität widerspiegelt, so finden sich für
relativ viele Väter aber auch Hinweise auf bemerkenswerte Veränderungen in ihren
Einstellungen und Grundhaltungen im Beobachtungszeitraum von t1 zu t6.
51
Distanzierte n=27
Belastete n =17
Durch-schnittliche
n=44
Neue Väter n=21
Eigen-ständige
n=59
Neue Väter n=17
4
5
1
7 12
13
5
3
5
26
11
17
Familien-orientierte
n=33
Vätertypen t1 Vätertypen t6
Abb. 8. Vätercluster zu t1 und t6: Verschiebungen
52
3.5.4.2 Wanderung der Vätertypen vom fünften zum sechsten Erhebungszeitpunkt
Zum fünften Erhebungszeitpunkt konnte an Hand der Einstellungen zur Elternschaft der 119
Väter folgenden Vätertypen unterschieden werden: die „Distanzierte Väter“ (21.3%), die
„Belasteten, traditionellen Väter“ (12.4%), die „Kinderorientierten, traditionellen Väter“
(12.9%), die „Neuen Väter“ (10.1%) und die Belasteten, nicht traditionellen Väter“(10.1%) (s.
Rollett, Werneck & Hanfstingl, 2005).
Wie die Tab. 27 zeigt, können 46.7% der „Neuen Väter“ von t5 auch zu t6 den Neuen Vätern
zugeordnet werden. Drei Viertel der „Belasteten, nicht traditionellen Väter“ sind zu t6 in der
Gruppe der „Distanzierten Väter“ zu finden. In der sechsten Erhebung setzt sich die Gruppe
der belasteten Väter vorwiegend aus Vätern der „Belasteten, traditionellen Gruppe“ sowie
jenen der Gruppe der „Kinderorientierten, traditionellen Väter“ zusammen.
Tab. 27. Vätercluster zu t5 und t6: Verschiebungen
Vätertypen t5
Vätertypen t6 Distanzierte
Väter
Belastete traditionelle
Väter
Kinderorientiert traditionelle
Väter Neue Väter
Belastete nicht traditionelle
Väter Gesamt
Neue Väter
O 7 0 3 7 1 18
E 5.5 3.3 3.6 2.7 2.9 18
% 23.3% 0% 15.0% 46.7% 6.3% 18.2%
Durchschnittliche Väter
O 13 9 11 4 3 40
E 12.1 7.3 8.1 6.1 6.5 40
% 43.3% 50% 55% 26.7% 18.8% 40.4%
Belastete Väter
O 1 8 6 1 0 16
E 4.8 2.9 3.2 2.4 2.6 16
% 3.3% 44.4% 30.0% 6.7% .0% 16.2%
Distanzierte Väter
O 9 1 0 3 12 25
E 7.6 4.5 5.1 3.8 4.0 25
% 30% 5.6% 0% 20% 75% 25.3%
Gesamt
O 30 18 20 15 16 99
E 30 18 20 15 16 99
% 100% 100% 100% 100% 100% 100% O= Anzahl E= erwartete Anzahl %=Prozent von Vätertypen t5 Exakter Test nach Fischer p<.001
53
Belastete n=16
Neue Väter n=18
Distanzierte n=25
Distanzierte n=30
Belastete Traditionelle
n=18
Neue Väter n=15
Familien-orientierte
n=20
7
0
4
1
3
6
11
3
7
1
3
0
12
0
1
9
8
13
1
9
Belastete - nicht
Traditionelle n=16
Vätertypen t5 Vätertypen t6
Durch-schnittliche
n=40
Abb. 9. Vätercluster zu t5 und t6 / Verschiebungen
54
4. Jugendalter und Temperamentsentwicklung Brigitte Rollett, Monika Pucher und Guido Nold
4.1 Einleitung: Ergebnisse und offene Fragen der Temperamentsforschung
Eine der auffallendsten Veränderungen im Jugendalter betrifft das Temperament der
Jugendlichen. Ein besonderer Untersuchungsschwerpunkt des vorliegenden Projekts setzt sich
daher mit der Temperamentsentwicklung und ihren Konsequenzen auseinander. Das
individuelle Temperament stellt eine der wesentlichsten Bedingungen des Erlebens und des
darauf bezogenen Verhaltens dar, wobei Persönlichkeitsunterschiede bezüglich des Affekts,
der Aktivierung und der Aufmerksamkeit für Temperamentsunterschiede verantwortlich sind
(Rothbart & Bates, 1998). Wegen der Bedeutung des Temperaments für die individuelle
Lebensgestaltung ist es besonders unbefriedigend, dass die Frage der Stabilität des
Temperaments vom Säuglingsalter bis zum Erwachsenenalter in der einschlägigen Literatur
kontrovers diskutiert wird. Buss und Plomin (1984) gingen davon aus, dass das Temperament
dadurch definiert sei, dass es genetisch bedingt ist, schon im ersten Lebensjahr auftritt und
eine hohe lebenslaufspezifische Stabilität aufweist -eine Definition, die Asendorpf, 2005
zurecht kritisiert, da diese Begriffsbestimmung z.B. auch für die Intelligenz zutrifft. In der
klinisch-psychologischen Literatur wird dennoch häufig der Standpunkt vertreten, dass z.B.
ein früh auftretendes „schwieriges“ Temperament auf Grund seiner genetischen Bestimmtheit
eine hohe Stabilität aufweise, so dass es ein antisoziales Verhalten im Jugendalter
prognostiziert (siehe dazu z.B. Loeber, 1990). Entwicklungspsychologisch orientierte Autoren
betonen dagegen die Vielfalt der auf derselben genetischen Grundlage möglichen
Entwicklungsverläufe in Abhängigkeit von den spezifischen Sozialisationsbedingungen, so
dass die Stabilität der Temperamentsfaktoren nur als „moderat“ bezeichnet wird (Sanson,
Hemphill & Smart, 2004). Ein wesentliches Ziel der vorliegenden Studie ist es daher, einen
Beitrag zur Klärung dieser Frage zu leisten, was auf der Grundlage der erhobenen
Längsschnittdaten möglich ist.
Weitgehende Einigkeit besteht in der Temperamentsforschung darin, dass das jeweilige
individuelle Temperament das Resultat des Zusammenwirkens einer Reihe von verschiedenen
Temperamentskomponenten darstellt, wobei allerdings bezüglich der für relevant gehaltenen
55
Faktoren eine große Varianz besteht. Thomas und Chess gingen ihrer klassischen
Untersuchung von neun Teilkomponenten aus (1977). Die meisten Nachfolgeuntersuchungen
konnten drei bis fünf Komponenten erheben.
In diesem Kapitel wird aufgrund der im Zuge des FIL-Projekts erhobenen umfangreichen
Datensätze, die sowohl die untersuchten Heranwachsendenden als auch ihre Familien
betreffen, der Frage nach den identifizierbaren Temperamentskomponenten, ihrem
erstmaligen Auftreten und ihrem Entwicklungsverlauf sowie den für die Entwicklung
relevanten Einflussbedingungen und ihren lebenslaufspezifischen Auswirkungen
nachgegangen. Von entscheidender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, festzustellen,
welche Komponenten sich bereits im Säuglingsalter identifizieren lassen und welche erst zu
einem späteren Zeitpunkt auftauchen.
4.2 Temperamentstypen versus Temperamentsfaktoren: Zwei unterschiedliche Forschungsstrategien
Untersuchungen zu den Entstehungsbedingungen des Temperaments und den Auswirkungen
auf die individuelle Persönlichkeitsentwicklung können einerseits auf Typen-(Person-)ebene,
andererseits auf Variablenebene durchgeführt werden. Im ersteren Fall wird das Resultat des
Zusammenwirkens der das Temperament konstituierenden Teilkomponenten zu
unterschiedlichen Perioden im Lebenslauf untersucht. Das Ergebnis sind einige wenige,
qualitativ unterschiedliche „Temperamentstypen“. Dies hat den Vorteil, sehr komplexe
Entwicklungsbedingungen und Interaktionen in einer theoretisch begründeten,
praxistauglichen Weise zusammenfassen zu können. Anders ausgedrückt, handelt es sich um
die Makroebene. Im anderen Fall werden die das Temperament in der Lebenslaufentwicklung
konstituierenden Temperamentsfaktoren (bzw. die sie abbildenden Temperamentsvariablen)
in ihren Entstehungsbedingungen, ihrem Verlauf und ihren Auswirkungen auf ein breites
Spektrum von weiteren entwicklungsbezogenen Einflussgrößen untersucht. Hier liegt der
Vorteil darin, dass die Temperamentsentwicklung auf der Mikroebene analysiert werden
kann. In der vorliegenden Studie werden daher beide Wege beschritten.
Bei Darstellungen von Temperamentstypen wird in der Regel auf die Temperamentenlehre
des Hippokrates (ca. 460 bis 370 v.Chr.) hingewiesen, der von vier unterschiedlichen
56
Temperamenten ausging. In der klassischen New Yorker Längsschnittstudie konnten Thomas
und Chess 1977 empirisch im Säuglingsalter drei dieser vier Temperamentstypen ermitteln:
Pflegeleichte, fröhliche Babys, langsam auftauende, mit Verzögerung auf Umweltreize
reagierende Babys, eine vermehrt zu Distress und negativen Gefühlen neigende, „schwierige“
Gruppe sowie eine unauffällige Gruppe.
Vergleicht man die für Erwachsene konzipierte Temperamentslehre des Hippokrates mit den
Temperamentstypen von Thomas und Chess, so lassen sich folgende Analogien vermuten:
Das sanguinische Temperament entspricht weitgehend dem Temperament der
„pflegeleichten“ bei Thomas und Chess, das phlegmatische dem der „langsam auftauenden“
und das cholerische jenem der „schwierigen“ Gruppe, wie im Folgenden noch gezeigt werden
wird. Beim melancholischen Temperament der hippokratischen Typenlehre handelt es sich
am ehesten um das depressive Störungsbild und nicht um eine eigene Gruppe von
Temperamentskomponenten. Depressive Verstimmung kann zwar bei Kindern depressiver
Mütter bereits im Säuglingsalter als Reaktion auf deren wenig kindzentriertes Verhalten
auftreten (vgl. Rollett, 2002), ist aber durch eine entsprechend früh angebotene Intervention
zur Veränderung des mütterlichen Kommunikationsstils mit dem Kind relativ leicht
beeinflussbar, was dagegen spricht, dass es sich um eine echte, angeborene
Temperamentskomponente handelt.
Wie in dem Überblick über die Ergebnisse der Vorläuferstudien zu dem vorliegenden Projekt
(Kap. 1.1) bereits erwähnt, konnten mit Ausnahme der unauffälligen Gruppe die von Thomas
und Chess entdeckten Temperamentstypen auch im Rahmen des FIL-Projektes festgestellt
werden (siehe dazu Rollett & Werneck, 1993). Eine „unauffällige“ Gruppe trat kurzfristig zu
t3 auf, als die Untersuchungskinder drei Jahre alt waren (Rollett & Werneck, 2001d). In den
weiteren Erhebungswellen tauchte sie aber nicht mehr auf. Insgesamt zeigten die Resultate
der Längsschnittstudie, dass auf Typenebene eine eher geringe Stabilität besteht: Nur etwa die
Hälfte der Säuglinge, die typenmäßig der Gruppe der „Pflegeleichten“ angehörten, wurden
mit 11 (t5) bzw. 15 Jahren (t6) noch als pflegeleicht eingeordnet. Bei der Gruppe der
„schwierigen Kinder“ war die Stabilität noch geringer (Werneck & Rollett, 2002).
So konnten wir z.B. zeigen (Werneck & Rollett, 2002), dass drei Monate alte Babys mit einer
hohen Distressneigung, Irritabilität und Reaktionsintensität (die damit zu dieser Zeit dem
Typus der „Schwierigen“ angehörten) im Alter von drei Jahren als Resultat der elterlichen
57
Erziehung mehrheitlich zu einem zurückgezogenen Verhaltensmuster neigten, was dem
„langsam auftauenden“ Typus entspricht. Kinder, die im Alter von drei Jahren ein dominantes
Verhaltensmuster zeigten und damit von den Müttern als „schwierig“ erlebt wurden, waren
dagegen im Säuglingsalter von ihnen eher als langsam Reagierende oder sogar Pflegeleichte
eingestuft worden. Offenbar hatten die Eltern zu spät bemerkt, dass es den Kindern immer
mehr gelang, sich mit ihren Forderungen bei ihnen durchzusetzen. Akzeptieren die
Interaktionspartner eines Kindes nämlich gewohnheitsmäßig die von ihm ärgerlich
eingeforderten Wünsche (z.B. um endlich „Ruhe“ zu haben, kann es langfristig zu
entsprechenden Erwartungen des Kindes und damit zur Entwicklung eines auffällig
dominanten Verhaltens kommen. Natürlich kann dies dazu führen, dass die Eltern ihr zu
nachgiebiges Erziehungsverhalten ändern, wenn ihnen diese Tatsache bewusst wird. Gelingt
ihnen dies in einfühlsamer Weise, so wird langfristig die Anpassungsbereitschaft des Kindes
gestützt, geschieht die Änderung des Erziehungsregimes jedoch in einer Form, die beim Kind
Widerstand hervorruft, wird eher Reaktanz und damit langfristig eine höhere
Ärgerbereitschaft die Folge sein.
Während wie im Folgenden gezeigt wird, auf Typenebene nur eine eher geringe Stabilität
besteht, können auf Variablenebene längerfristige Einflüsse beobachtet werden. So stellt die
negative Emotionalität („Distressneigung“) im Säuglingsalter als Vorläufervariable der
späteren „Ärgerneigung“ zu allen Zeitpunkten einen gewissen Risikofaktor dar. Dies gilt
insbesondere für die geordnete Entwicklung der sozialen Beziehungen, da Ärgerneigung z.B.
ein eher striktes Erziehungsverhalten der Eltern und anderer Erziehungspersonen provozieren
kann. Allgemein beeinflusst eine hohe Ärgerbereitschaft die Reaktionen der sozialen Umwelt
auf die Interaktionen des Kindes in ungünstiger Weise. Auf der anderen Seite erfahren
fröhliche anpassungsbereite Kinder sehr viel Zuwendung von Seiten ihrer Umwelt, was sich
in positiver Weise auf ihre Soziabilität auswirkt.
Wie aus diesen Ausführungen hervorgeht, stellen der Typenansatz und der Variablenansatz
einander ergänzende Zugangsweisen zur Untersuchung des Temperaments und seiner
Entwicklung dar. In der folgenden Darstellung der Resultate der vorliegenden Studie wird
daher auf beide Ansätze eingegangen.
58
4.2.1 Ergebnisse aufgrund des typenorientierten Ansatzes: Die Veränderung der Zugehörigkeit zu den Temperamentstypen des Säuglingsalters in der Adoleszenz
Die Temperamentsentwicklung beruht auf einem hoch komplexen, dynamischen Prozess, bei
dem die Ausgangskomponenten sowohl durch die Höhe ihrer angeborenen Ausprägung,
durch ihre spezifische „Mischung“ sowie ihre Eigendynamik als auch durch die prägenden
Interaktionserfahrungen des Kindes mit seiner sozialen Umwelt geformt und verändert
werden.
Zu sämtlichen Erhebungszeitpunkten wurden mit Hilfe des clusteranalytischen Verfahrens
von Ward Temperamentstypen identifiziert. Wie oben berichtet, konnten zu t2, als die Kinder
drei Monate alt waren, aufgrund der Einschätzungen der Säuglinge durch die Mütter mit Hilfe
der Temperamentsskalen des Verfahrens von Thomas und Chess auch in der FIL-Studie die
von den Autoren ermittelten drei Temperamentstypen aufgefunden werden: 39 Prozent der
Babys hatten ein „pflegeleichtes“, 10 Prozent ein „schwieriges“ und 51 Prozent ein
Temperament, das durch langsames Reagieren auf Außenreize gekennzeichnet war, so dass
sie der Gruppe der „langsam auftauenden“ Babys zuzurechnen waren.
Die Stabilität der Temperamentstypen von Untersuchungszeitpunkt zu
Untersuchungszeitpunkt war jedoch eher mäßig: Manche mit 3 Monaten (t2) pflegeleichten
Babys zeigten z.B. beim nächsten Zeitpunkt ein schwieriges, dominantes Temperament, viele
zu t2 als „schwierig“ beurteilte Babys fielen mit drei Jahren durch ihr zurückgezogenes
Temperament auf u.a.m.. Auch die clusteranalytisch gewonnenen Temperamentstypen selbst
änderten sich von Erhebungszeitpunkt zu Erhebungszeitpunkt bezüglich ihrer Anzahl und
Ausprägung. In der Interaktion mit der zu bestimmten Zeitpunkten im Lauf der Entwicklung
vom Kind erfahrenen sozialen Umwelt können z.B. Ärgerkomponenten zunehmend
zurücktreten, da die Erziehungspersonen es verstehen, dem Kind die Bewältigung der
Anforderungen, die an es gestellt werden, zu erleichtern und so sein Emotionsmanagement zu
verbessern, oder im Gegenteil auf Grund von Überforderung und mangelnde einfühlende
Kontrolle erreichen, dass diese immer stärker hervortreten, was zur Folge hat, dass ein Kind,
das zunächst als pflegeleicht eingestuft wurde, nunmehr als schwierig beurteilt wird.
59
Besonders deutliche Veränderungen zeigten sich zu t5, als die Kinder der
Untersuchungsgruppe durchschnittlich elf Jahre alt waren und sich somit in der Vorpubertät
bzw. Pubertät befanden. Zwar konnten wieder 36 Prozent pflegeleichte Kinder ermittelt
werden, aber nur 53 Prozent von ihnen gehörten zu der im Säuglingsalter als pflegeleicht
eingeschätzten Gruppe. Die schwierige Gruppe legte dramatisch zu (von 10 Prozent zu 21
Prozent). Außerdem konnten nunmehr drei Subgruppen von Kindern mit einem schwierigen
Temperament beobachtet werden: Die „kontrolliert Schwierigen“, die trotz ihres auffälligen,
zu Ärger neigenden Temperaments in Situationen, in denen es ihnen darauf ankam,
Verhaltenskontrolle zeigten, die „unkontrolliert Schwierigen“, bei denen dies nicht der Fall
war und die „Manipulatoren“, denen es aufgrund ihrer sozialen Intelligenz gelang, sich trotz
ihres schwierigen Temperaments bei ihren Erziehungspersonen in „sozial verträglicher“
Weise durchzusetzen. Die Temperamentsgruppe der „langsam Auftauenden“ umfasste zu
diesem Zeitpunkt 43 Prozent der Kinder, wobei sich eine Subgruppe von sehr schüchternen,
introvertierten Kindern zeigte.
In Abb. 10 wird dargestellt, wie sich die Temperamentstypen zwischen t2, als die Kinder 3
Monate alt waren, und zu t6 als sie das Alter von 15 Jahren erreicht hatten, verändert hatten.
Wanderung t2-t6 (N=124)
PflegeleichteBabiesn= 54
SchwierigeBabiesn= 12
Langsamauftauende
Babiesn= 58
PflegeleichteJugendliche
n= 64
IntrovertiertSchwierigeJugendliche
n= 18
Langsam auftauendeJugendliche
n= 25
Extravertiertschwierige
Jugendlichen= 17
31
5
13
57
3
0
2
26
10
12
10
Abb. 10. Wanderung t2–t6, exakter Test nach Fischer: p = .213
60
Wie aus Abb. 10 ersichtlich ist, besteht von t2 zu t6 so gut wie keine Stabilität der
Temperamentstypen: Die ursprünglichen 3 Gruppen verteilen sich auf alle zu t6
clusteranalytisch ermittelten Typen. Aber auch von t5, als die Untersuchungsgruppe 11 Jahre
alt war, zu t6 zeigen sich überraschend mäßige Stabilitäten.
Wanderung t5-t6 Mütter (N=117)
33
1
2
417
4
11
5
12
1
4
1
1
6
1
3
2
5
4
0Taktierer
n= 11
SchwierigeKindern= 11
ZurückgezogeneKindern= 18
Langsam auftauende
Kindern= 37
PflegeleichteKindern= 40
PflegeleichteJugendliche
n= 64
IntrovertiertSchwierige
Jugendlichen= 18
Langsam auftauendeJugendliche
n= 25
Extravertiertschwierige
Jugendlichen= 17
Abb. 11. Wanderung t5–t6, exakter Test nach Fischer: p < .001
In der aktuellen Studie (s. Abb. 11) konnten nur mehr 20 Prozent der Jugendlichen als
„langsam auftauend“ identifiziert werden. Eine Reihe der zu t5 noch in diese Kategorie
fallenden Jugendlichen waren nunmehr zur pflegeleichten Temperamentsgruppe gewechselt,
sie hatten ihre Zurückhaltung aufgegeben und zeigten eine größere Hinwendung zu ihrer
sozialen Umwelt. Die pflegeleichte Temperamentsgruppe legte dagegen zu, sie umfasste zu t6
57 Prozent. Die schwierige Gruppe hatte gegenüber t5 noch einmal zugenommen und
beinhaltete nunmehr insgesamt 28 Prozent der Jugendlichen, wobei zwei Untergruppen
61
identifiziert werden konnten: Eine „Introvertiert schwierige“ und eine „Extravertiert
schwierige Gruppe“, die entweder durch eher internalisierendes oder externalisierendes
Problemverhalten auffielen.
Die Veränderungen in der Zugehörigkeit zu den zu t5 und t6 identifizierten
Temperamentstypen zeigen deutlich, dass zwei unterschiedliche Bewältigungsformen des
Übergangs zur Pubertät und weiter zum Jugendalter existieren: Die Entwicklung ist entweder
durch sozialverträgliche Anpassung an die neuen Anforderungen oder im Gegenteil durch
zunehmende Konfliktbereitschaft bzw. Distanzierung geprägt. Dies lässt bereits vermuten,
dass sich im Gegensatz zu den auf Typenebene festgestellten eher geringen Stabilitäten auf
Variablenebene längsschnittlich gewisse Kontinuitäten der das Temperament konstituierenden
Teilkomponenten nachweisen lassen.
4.2.2 Ergebnisse aufgrund des variablenorientierten Ansatzes: Die Entwicklung der Temperamentsfaktoren vom Säuglingsalter bis zur Adoleszenz
Wie die berichteten Ergebnisse gezeigt haben, bestehen kaum Stabilitäten der
Temperamentstypen über den Lebenslauf hinweg. Temperamentstypen stellen das Resultat
des Zusammenwirkens vielfältiger Einflussgrößen dar und zwar auch solcher, die nicht im
engeren Sinn zur Gruppe der Temperamentskomponenten zählen. Der Vorteil des
Typenansatzes liegt gerade in dieser Tatsache: Er ermöglicht es, komplexe Netzwerke von
Einflussfaktoren auf einige wenige charakteristische Muster zu reduzieren und in ihren
Auswirkungen zu untersuchen.
Auf der anderen Seite ist es von Interesse, die einzelnen Temperamentskomponenten bzw. die
sie erfassenden Variablen in ihrem Entwicklungsverlauf zu untersuchen, da sie die
Konstituenten des zu einem bestimmten Entwicklungszeitpunkt resultierenden Temperaments
darstellen. In einem ersten Auswertungsschritt ist es dazu notwendig, festzustellen, welche
Temperamentskomponenten zu den einzelnen Erhebungszeitpunkten auftreten und welche
Zusammenhänge zwischen den Erhebungswellen bezüglich der verschiedenen Komponenten
bestehen. Dazu wird auf jene Kinder der Stichprobe zurückgegriffen, die ohne Ausnahme an
allen Untersuchungszeitpunkten teilgenommen hatten. Insgesamt handelte es sich um 48% der
Gesamtstichprobe.
62
Um der Entwicklung der einzelnen Temperamentsfaktoren über die Zeit hinweg auf
Variablenebene nachzugehen, wurden die zwischen benachbarten Erhebungszeitpunkten
bestehenden signifikanten positiven Korrelationen der Temperamentskomponenten berechnet.
Tab. 28 gibt die resultierende Struktur der Zusammenhangsmuster der
Temperamentskomponenten von drei Monaten (t2) bis 15 Jahren (t6) wieder. Um die
Ergebnisse an die internationale Literatur anzuschließen, werden in den Tabellen die
englischen Fachtermini benützt. Die Korrelationen selbst werden in Tab. 29 berichtet.
Tab. 28. Längsschnittliches Auftreten der Temperamentsfaktoren
t2 t3 t4 t5 t6
Positive Affectivity (P.Af)
Negative Affectivity/Distress Proneness
(N.Af)
Anger Proneness/Negative Affectivity(APr/N.Af)
Anger Proneness/Negative Affectivity(APr/N.Af)
Anger Proneness/Negative Affectivity(APr/N.Af)
Anger Proneness/Negative Affectivity(APr/N.Af)
Irritability(Irrit)
Introversion/Avoidence of new Situationsand Persons (Intro)
Introversion (Intro)
Sociability (Soc) Sociability (Soc) Sociability (Soc) Sociability (Soc)
Rhythmicity(RH)
Adaptability(Ad)
Adaptability(Ad)
Adaptability(Ad)
Adaptability(Ad)
Intensity of Reaction (I.Rct)
Experiential Openess (ExO)
Experiential Openess (ExO)
Experiential Openess (ExO)
Assiduousness/Effortful Control (Ass/EfC)
Assiduousness/Effortful Control (Ass/EfC)
Assiduousness/Effortful Control (Ass/EfC)
Compliancy(Cpl)
Legende: Abkürzungen, englische Fachtermini und deutschsprachige Bezeichnungen
P.Af = Positive Affectivity (positive Stimmungslage)
N.Af = Negative Affectivity/Distress Proneness (Unruhe/ Schreiverhalten) etc.
Irrit = Irritability (Irritierbarkeit)
Rh = Rhythmicity (Rhythmizität)
I.Rct = Intensity of Reaction (Triebhaftigkeit/Reaktionsintensität)
Ad = Adaptability (Anpassungsbereitschaft/Erziehbarkeit)
Apr/N.Af = Anger Proneness/Negative Affectivity (Ärgerneigung)
Intro = Introversion (Introversionsneigung)
Soc = Sociability (Soziabilität)
ExO = Experiental Openness (Offenheit für Umwelterfahrungen)
Ass/EfC = Assidousness/Effortful Control (Zielstrebigkeit/Kontrolliertheit)
Cpl = Compliance (Folgsamkeit)
63
Tab. 29. Signifikante positive Korrelationen der Temperamentsvariablen von t2 bis t6
t2 t3 t4 t5 t6
P.Af (Ad): .381 (Ad): .335(ExO): .295
(Ad): .306(ExO): .178, ns
(Ad): .273(ExO): .230
N.Af APr/N.Af: .274 APr/N.Af: .355 APr/N.Af: .623 APr/N.Af: .640
Irrit (AD): -.243
Intro Intro: .246 (APr/N.Af): .232 (APr/N.Af): .298
Soc Soc: .411(Ad): .324(ExO): .277
Soc: .372(Ad): .298
Soc: .237(Ad): .298(ExO): .246
Rh Ad: .338 Ad: .455 Ad: .721 Ad: 610
I.Rct (Intro): .348 (APr/N.Af): .326
ExO ExO: .549(Ad): .278(Ass/EfC): .615(Soc): .402
ExO: .600(Ad): .312(Ass/EfC): .289(Soc): .411
Ass/EfC Ass/EfC: .461(Ad): .354
Ass/EfC: .261
Cpl (Ad): .481 (Ad): .304
Erläuterung: Die Pfeile (Zeichen) bezeichnen das erstmalige Auftreten einer Temperamentskomponente. In der Zeile der nächsten Spalte wird die Korrelation der betreffenden Variable zu den beiden Zeitpunkten angegeben.
Legende: Abkürzungen, englische Fachtermini und deutschsprachige Bezeichnungen P.Af = Positive Affectivity (positive Stimmungslage) N.Af = Negative Affectivity/Distress Proneness (Unruhe/ Schreiverhalten) etc. Irrit = Irritability (Irritierbarkeit) Rh = Rhythmicity (Rhythmizität) I.Rct = Intensity of Reaction (Triebhaftigkeit/Reaktionsintensität) Ad = Adaptability (Anpassungsbereitschaft/Erziehbarkeit) Apr/N.Af = Anger Proneness/Negative Affectivity (Ärgerneigung) Intro = Introversion (Introversionsneigung) Soc = Sociability (Soziabilität) ExO = Experiental Openness (Offenheit für Umwelterfahrungen) Ass/EfC = Assidousness/Effortful Control (Zielstrebigkeit/Kontrolliertheit) Cpl = Compliance (Folgsamkeit)
Zur Ermittlung der Struktur der Temperamentskomponenten von t2 bis t6 wurde wie folgt
vorgegangen: Entscheidend für die Annahme, dass es sich um die weitere Entwicklung
derselben Variable (bzw. ihrer Vorläufervariable) handelt, waren die im Vergleich jeweils
höchsten Korrelationen der zu t2 beobachteten Temperamentsfaktoren mit jenen der weiteren
Erhebungswellen. Bei Faktoren, die erst zu einem späteren Zeitpunkt auftraten, wurde in
ähnlicher Weise vorgegangen. Für diese Analysen wurden nur signifikante bis sehr
signifikante positive Korrelationen berücksichtigt. (Tatsächlich bestätigen auch die negativen
Korrelationen die ermittelte Struktur). Die resultierende Gesamtstruktur der
64
Entwicklungsverläufe der Temperamentsfaktoren ist in Tab. 28 dargestellt. In Tab. 29 werden
die entsprechenden Korrelationen berichtet. Zusätzlich zu den die einzelnen
Temperamentskomponenten abbildenden Korrelationen werden in Klammer die
Korrelationen mit jenen Variablen genannt, zu denen ebenfalls (wenn auch in geringerem
Ausmaß) von Erhebungszeitpunkt zu Erhebungszeitpunkt signifikante bis sehr signifikante
Korrelationen bestehen.
Wie die in Tab. 29 angeführten fortlaufenden Korrelationen zeigen, beeinflusst eine positive
Stimmungslage (Positive Affectivity) im Säuglingsalter zwar langfristig die
Anpassungsbereitschaft/Erziehbarkeit (Korrelation zu t6 .273) und ab t4 die Offenheit für
Umwelterfahrungen (Korrelation zu t6 .230), lässt sich aber als eigene
Temperamentskomponente „positive Stimmungslage“ zu den späteren Zeitpunkten nicht mehr
darstellen. Die durch erhöhte Unruhe und Neigung zu Schreiverhalten gekennzeichnete
Temperamentskomponente „negative Affektivität“ (Negative Affectivity/Distress Proneness)
zu t2 korreliert ab t3 in über die Erhebungszeitpunkte hinweg zunehmend mit der
(gefühlsmäßig negativ besetzten) Ärgerneigung (Anger Proneness/Negative Affectivity). Die
diesbezüglichen Korrelationen steigen bis zu t6 fortlaufend an und weisen so auf eine über die
Zeit sehr stabile Temperamentskomponente hin: Zwischen t5 und t6 beträgt die Korrelation
mit der negativen Affektivität zu t2 bereits .640. Wie noch zu zeigen sein wird, handelt es sich
um eine für die weitere Entwicklung in vielen Bereichen sehr einflussreiche
Temperamentskomponente, die mit mehreren negativen Entwicklungen im Zusammenhang
steht.
Die Temperamentskomponente „Irritierbarkeit“ (Irritability) zu t2 scheint in diesem Kontext
vor allem eine Besonderheit des Säuglingsalters darzustellen. Im weiteren Verlauf zeigten
sich in dieser Stichprobe keine signifikanten positiven Korrelationen zu späteren
Temperamentsvariablen. (Auch bei den negativen Korrelationen findet sich lediglich zu t3
eine signifikante Korrelation mit der Variable Anpassungsbereitschaft/Erziehbarkeit von -
.243). Eine weitere, bereits von Thomas und Chess 1977 identifizierte
Temperamentskomponente zu t2 ist die Rhythmizität der biologischen Funktionen
(Rhythmicity). Neben der positiven Affektivität zählt sie zu den günstigen
Temperamentsfaktoren, wie die lebenslaufbezogenen Zusammenhangsmuster an vielen
Stellen ergaben. Bildet man eine latente Variable der verschiedenen Temperamentsskalen zu
t2, geht sie im Fall einer positiven Polung der latenten Variable regelmäßig (wie auch die
65
positive Stimmungslage) mit einer positiven Ladung in sie ein, während die anderen
Komponenten negative Ladungen zeigen. Bei der Rhythmizität handelt es sich um eine
entwicklungspsychologisch sehr interessante Variable, da sie aus einem Zusammenwirken
angeborener Regelmäßigkeiten der biologischen Abläufe (Schlafen, Bedürfnis nach
Nahrungsaufnahme, Ausscheidungen) und einem einfühlsamen Eingehen und Modifizieren
dieser Abläufe im Sinn eines geordneten Tages- und Nachtprogramms durch die Mutter bzw.
Pflegeperson besteht. Das in Tab. 29 wiedergegebene Korrelationsmuster zeigt, dass die
Rhythmizität die direkte Vorläufervariable der Temperamentskomponente
„Anpassungsbereitschaft/Erziehbarkeit“ (Adaptability) darstellt. Diese ist durch die
Bereitschaft des Kindes charakterisiert, den elterlichen Erziehungsmaßnahmen und den
Anforderungen anderer Personen durch entsprechende Bemühungen entgegenzukommen,
wobei eine erfolgreiche, die Anpassungsbereitschaft des Kindes stützende Erziehung dadurch
gekennzeichnet ist, dass sie auf seine Bedürfnisse und Kompetenzen angemessen Rücksicht
nimmt. Es handelt sich um einen Austauschprozess zwischen Kind und Erziehungspersonen,
der es für beide Parteien lohnend erscheinen lässt, bei der Durchsetzung von notwendigen
Anforderungen aufeinander zuzugehen. Auch bei der Temperamentskomponente
Anpassungsbereitschaft/Erziehbarkeit handelt es sich, wie die fortlaufenden Korrelationen in
Tab. 29 zeigen, um eine äußerst stabile Komponente, die für die weitere Entwicklung und hier
vor allem für die soziale Eingebundenheit der Heranwachsenden von größter Bedeutung ist.
Die Korrelation der Variable Rhythmizität mit der Anpassungsbereitschaft beträgt zu t3 .338,
zu t4 .455 und zu t5 .721, um zu t6 mit .610 etwas abzusinken (was aber durch das
zunehmende Autonomiestreben der Jugendlichen in diesem Alter bedingt sein dürfte).
Auch die im Säuglingsalter für die Reaktionen der Betreuungspersonen auf das Kind wichtige
Temperamentseigenschaft „Triebhaftigkeit/ Reaktionsintensität“ (Intensity of Reaction) setzt
sich nicht als eigene Variable in der weiteren Entwicklung durch, doch bestehen signifikante
Korrelationen zur späteren Introversionsneigung (t3: .348) und zur Ärgerneigung (t6: .326).
Zu t3 treten zwei Temperamentskomponenten auf, die keine Vorläufervariablen zu t2 haben.
Es handelt sich einerseits um die Introversionsneigung (Introversion), die sich in einer
Neigung zur Vermeidung neuer Situationen und Personen manifestiert. In der
Temperamentsliteratur wird die „Introversion“ entweder breit angelegt unter diesem Namen
behandelt oder eingeschränkt auf die Teilkomponente „Schüchternheit“, das heißt, die
Vermeidung von Personen, wobei häufig die Angst vor Zurückweisung und damit die
66
Sozialisationserfahrung des Heranwachsenden eine Rolle spielen. Entsprechend niedrig ist die
Korrelation zwischen Introversion zu t3 und t4 (.246). Die zweite neu auftretende Variable ist
die Soziabilität (Sociability), die die bedeutendste Teilkomponente der Extraversion darstellt
(Asendorpf, l.c.). Auch hier nehmen die Korrelationen zu den weiteren Erhebungswellen
fortlaufend ab. Zwischen t3 und t4 beträgt die Korrelation noch .411, zwischen t5 und t6
jedoch nur mehr .237. Zu den späteren Zeitpunkten wird die Neigung zur Extraversion
zunehmend von anderen Faktoren, vor allem von den Erfahrungen im sozialen Umfeld,
gestützt.
Zu t4, als die Kinder acht Jahre alt waren, lassen sich drei zusätzliche
Temperamentskomponenten nachweisen: Entwicklungspsychologisch ist die Freude am
Erobern neuer Lebensumwelten charakteristisch für das Grundschulalter. Dies spiegelt sich
im Auftreten einer neuen Variable, welche die Offenheit für unternehmungslustiges Erkunden
der eigenen Lebenswelt erfasst: Wie die Korrelation dieser Variable mit der Dimension
„Offenheit für Erfahrungen“ (Openness for Experience, s. z.B. Costa & McCrae, 1992) im
NEO-FFI zeigt (s.u.), handelt es sich dabei jedoch nicht um dieselbe Dimension. Letztere
erfasst nämlich ausschließlich die Offenheit für „kulturelle Erfahrungen“ im weitesten Sinn,
wie die entsprechenden Items ausweisen. Typische Itembeispiele sind „Wenn ich Literatur
lese oder ein Kunstwerk betrachte, empfinde ich manchmal ein Frösteln oder eine Welle der
Begeisterung“ oder „Mich begeistern Motive, die ich in der Kunst und in der Natur finde“.
Um die Temperamentskomponente „Offenheit“, wie sie in dem von uns entwickelten
Temperamentsfragebogen erfasst wird, von der (auf kulturelle Erfahrungen eingeschränkte)
NEO-FFI Persönlichkeitsdimension „Offenheit für Erfahrungen“ zu unterscheiden, haben wir
sie als „Offenheit für Umwelterfahrungen“ bezeichnet. Zwischen den beiden Formen von
Offenheit besteht zu t6 lediglich eine sehr geringe, nicht signifikante Korrelation von .155 (p
= .073), was darauf hinweist, dass es sich um unterschiedliche Inhaltskategorien der Offenheit
handelt.
Eine weitere Temperamentskomponente, die zu t4 erstmals erscheint, ist die
Zielstrebigkeit/Kontrolliertheit (Assiduoussness/Effortful Control). Es handelt sich um die
emotionelle Bereitschaft, Tätigkeiten auch dann auszuüben, wenn sie nicht unbedingt den
eigenen Bedürfnissen entsprechen. Eine dritte neue Temperamentskomponente, die
ausschließlich zu t4 zu beobachten war, ist die Folgsamkeit (Compliance), die durch das mehr
67
oder weniger fraglose Befolgen elterlicher Regeln und Anweisungen gekennzeichnet ist. Im
weiteren Verlauf existieren zwischen Folgsamkeit zu t4 und Variablen der folgenden
Erhebungszeitpunkte nur Korrelationen zur Anpassungsbereitschaft/Erziehbarkeit (zu t5 .481
und zu t6 .304). Wie oben dargestellt wurde, ist letztere durch einen Austauschprozess
zwischen den Forderungen der Erwachsenen und den Bedürfnissen des Kindes und nicht
durch einseitige Regelübernahme gekennzeichnet, wobei für die Abnahme der Korrelation
hier ebenfalls die zunehmende Unabhängigkeit der Jugendlichen verantwortlich sein dürfte.
4.3 Zwei zentrale Temperamentskomponenten: „Anpassungsbereitschaft/ Erziehbarkeit“ und „Ärgerneigung/Negative Affektivität“: Befunde zu den lebenslaufbezogenen Entwicklungsbedingungen
Wie die oben vorgestellten Analysen gezeigt haben, bestimmen zwei zentrale
Temperamentsfaktoren die Temperamentsentwicklung zwischen drei Monaten und 15 Jahren:
Wie die vorliegende Längsschnittstudie gezeigt hat, unterstützt die Anpassungsbereitschaft,
die sich zunächst vor allem als Erziehbarkeit manifestiert in vielen Bereichen eine positive
Entwicklung. Das Gegenteil ist beim Temperamentsfaktor Negative Affektivität/Ägerneigung
der Fall, der zu Problemen in vielen Lebensbereichen führen kann. Im nächsten
Auswertungsschritt wird daher der längsschnittlichen Entwicklung dieser beiden
Temperamentskomponenten nachgegangen.
Zu diesem Zweck werden im Folgenden zwei Pfadanalysen berichtet. Zur Berechnung wurde
das PLS-Verfahren von Wold und Lohmöller (s. dazu auch Rollett, 2000) verwendet.
Für die Analysen wurden die in Tab. 30 aufgelisteten Variablen berücksichtigt. In der ersten
Spalte der Tabelle werden die Variablen in der Reihenfolge angegeben, in der sie in die
Pfadanalysen aufgenommen wurden. Es handelt sich entweder um latente (mehrere manifeste
Variablen zusammenfassende) oder manifeste Variablen. In der nächsten Spalte werden für
die latenten Variablen die sie konstituierenden Variablen angegeben. Mit Ausnahme des für
die kindliche Temperamentsentwicklung äußerst wichtigen elterlichen Streitverhaltens (zu t2,
t4, t5 und t6, Bewertung der Mutter durch den Vater) und den beiden Zielvariablen
„Anpassungsbereitschaft“ bzw. „Ärgerneigung“, die ebenfalls als manifeste Variable
einbezogen wurden, handelt es sich in allen Fällen um latente, aus mehreren Skalen
68
bestehende Variablen. Die letzten beiden Spalten geben die Ladungen an: Diese zeigen, in
welchem Ausmaß die einzelnen manifesten Variablen die zugehörige latente Variable in dem
jeweils untersuchten Wirkzusammenhang erklären können. Aus ihrer Höhe ergibt sich ihr
Beitrag, aus ihrem Vorzeichen kann erschlossen werden, wie die resultierende latente
Variable gepolt ist. Dies kann sich zu den verschiedenen Zeitpunkten, die in der Pfadanalyse
modelliert werden, durchaus ändern. So zeigt sich sowohl in der Pfadanalyse der
Anpassungsbereitschaft als auch jener der Ärgerneigung, dass die latente Variable
„Temperament“ im Alter von drei Monaten das negative, schwierige Temperament abbildet,
im Alter von acht und von elf Jahren dagegen das positive Temperament.
Tab. 30. Latente und manifeste Variablen sowie ihre Ladungen in den Pfadanalysen (Die Ladung
gibt an, in welchem Maß eine latente Variable die Variation der manifesten Variable erklären kann)
(Latente) Variablen Konstituierende manifeste Variablen Ladungen
a/+ b/-
1 Streitverhalten t2
2 Temperament t2 Stimmungslage -77 -76
Unruhe 87 87
Irritierbarkeit 54 57
Rhythmizität -36 -37
Triebhaftigkeit/Reaktionsintensität 74 74
3 Erziehungsverhalten t4 Unterstützung 94 94
Strenge 21 26
Zuwendung 80 79
4 Streitverhalten t4
5 Persönlichkeit t4 Neigung zu überaktiv-unaufmerksamen
Verhalten
86 85
Neigung zu oppositionellem und
Risikoverhalten
52 47
Prüfungsangst 52 57
Dominanzneigung 48 47
69
Ängstlichkeit 73 76
Traurigkeit -3 -1
6 Temperament t4 Erziehbarkeit 81 80
Ärgerneigung/negative Stimmung -71 -71
Offenheit gegenüber Erfahrungen 64 65
Introversion -44 -43
Extraversion 59 58
Zielstrebigkeit 53 55
Folgsamkeit 56 56
7 Streitverhalten t5
8 Persönlichkeit t5 Neigung zu überaktiv-unaufmerksamen
Verhalten
89 90
Neigung zu oppositionellem und
Risikoverhalten
83 81
Prüfungsangst 18 24
Dominanzneigung 81 81
Ängstlichkeit 60 63
Traurigkeit -4 3
9 Temperament t5 Erziehbarkeit 85 84
Ärgerneigung -77 -79
Extraversion 52 49
Zielstrebigkeit/Kontrolliertheit 57 60
Offenheit 61 59
10 Streitverhalten t6
11 Persönlichkeit t6 Neigung zu überaktiv-unaufmerksamen
Verhalten
72 74
Neigung zu oppositionellem und
Risikoverhalten
78 75
Prüfungsangst -7 3
Dominanzneigung 80 81
70
Ängstlichkeit 20 29
Traurigkeit -39 -30
12 Bindung Vertrauen -78 -77
Kommunikation -89 -88
Negative emotionale Bindung 80 80
Entfremdung 79 80
13a Anpassungsbereitschaft
13b Ärgerneigung
In Tab. 31 werden die quadrierten multiplen Korrelationen der einzelnen Variablen in den
beiden Pfadanalysen in der Reihenfolge ihres Auftretens berichtet. Mit ihrer Hilfe gelingt es
im Fall der Anpassungsbereitschaft 49%, im Fall der Ärgerneigung sogar 57% der Varianz
aufzuklären. Dies zeigt, dass vergleichsweise wenige Vorläufervariablen für die Ausprägung
dieser für die Entwicklung bedeutenden Temperamentseigenschaften verantwortlich sind.
Dieses Ergebnis ist nicht nur für die Aufklärung der Temperamentsentwicklung und damit die
Theorienbildung von Belang, sondern stellt auch einen wichtigen Hinweis für die
Erziehungspraxis dar.
71
Tab. 31. Anpassungsbereitschaft und Ärgerneigung: Quadrierte mutiple Korrelation
Anpassungsbereitschaft: Quadrierte multiple Korrelationen R²
Ärgerneigung: Quadrierte multiple Korrelationen R²
Legende der Variablen in den Pfadanalysen (mit Ausnahme des elterlichen Streitverhaltens handelt essich immer um latente Variablen):
01. Elterliches Streitverhalten t2 08. Probl. kindl. Persönlichkeitsdimensionen t502. (Negatives) kindliches Temperament t2 09. Positives Temperament t503. Positives mütterliches Erziehungsverhalten t4 10. Elterliches Streitverhalten t604. Elterliches Streitverhalten t4 11. Probl. kindl. Persönlichkeitsdimensionen t605. Probl. kindl. Persölichkeitsdimensionen t4 12. Negative Bindung an die Mutter t606. Positives Temperament t4 13a. Zielvariable Anpassungsbereitschaft07. Elterliches Streitverhalten t5 13b. Zielvariable Ärgerneigung
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13b
1 0 1 7 50 12 42 67 38 61 72 54 29 57
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13a
1 0 2 7 50 11 42 67 37 61 72 55 29 49
Aus den in Abb. 12 und Abb. 13 dargestellten Pfadanalysen ist die längsschnittliche Struktur
der Einflussbeziehungen der einzelnen Variablen auf die Entwicklung der
Anpassungsbereitschaft bzw. Ärgerneigung zu entnehmen. Da es sich um relativ komplexe
Zusammenhangsmuster handelt, werden die Pfadanalysen hier in Form von Grafiken
dargestellt. Der Übersichtlichkeit halber werden Pfade unter .15, die nur einen sehr geringen
Einfluss abbilden, nicht aufgeführt.
72
13.Anpassungs-bereitschaft(t6)
-.25
.17
1. Elt. Streitv. (t2)
3. Pos. mütterl.Erziehungsv. (t4)
6. Pos.Temperament
(t4)
-.20
Anpassungsbereitschaft
9. Pos.Temperament
(t5)
4. Elt. Streitv. (t4) 7. Elt. Streitv. (t5).61
2. Neg. kindl.Temperament
(t2)
11. Probl.kindl. Persönl.dimensionen
(t6)
-.36
-.37
-.24
-.23
-.19
.32
.15
-.49
.59
.36
.31
10. Elt. Streitv. (t6)
.17
-.22
-.30
.59
5. Probl.kindl. Persönl.dimensionen
(t4)
.23 .37
.46
8. Probl.kindl. Persönl.dimensionen
(t5)
-.17
-.16.55
-.22
-.30
.42
12. Neg. Bindungan die Mutter
(t6)
-.28.22-.26
-.31
Abb. 12. Modell 1, Pfadanalyse der Entwicklung der Anpassungsbereitschaft (Legende siehe Tab. 31)
13.Ärgerneigung
(t6)
-.25
.17
1. Elt. Streitv. (t2)
3. Pos. mütterl. Erziehungsv. (t4)
6. Pos.Temperament
(t4)
-.20
Ärgerneigung
9. Pos.Temperament
(t5)
4. Elt. Streitv. (t4) 7. Elt. Streitv. (t5).61
2. Neg. kindl.Temperament
(t2)
11. Probl.kindl. Persönl.dimensionen
(t6)
-.35
-.37
.25
-.23
-.19
.32
-.15
.59
.36
.31
10. Elt. Streitv. (t6)
-.23
-.30
.58
.22.38
.46
8. Probl.kindl. Persönl.dimensionen
(t5)
-.18
-.17.53
-.23
-.28
-.33
12. Neg. Bindungan die Mutter
(t6)
.23.30
-.30
-.15-.50
-.16
5. Probl.kindl. Persönl.dimensionen
(t4)
.15
Abb. 13. Modell 2, Pfadanalyse der Entwicklung der Ärgerbereitschaft (Legende siehe Tab. 31)
Wie in der Einleitung zu diesem Kapitel ausgeführt wurde, handelt es sich bei der
Temperamentsentwicklung um einen hoch komplexen, dynamischen Prozess, der bewirkt,
dass unterschiedliche Ausprägungsgrade und Kombinationen von Faktoren zu sehr
73
verschiedenen Endresultaten führen können. In den Pfadanalysen manifestiert sich dies
einerseits in den zu beobachtenden Unterschieden in den direkten Pfaden der verschiedenen
Vorläufervariablen zu den beiden Zielvariablen, andererseits in den Mustern der über andere
Einflussvariablen vermittelten Pfade.
Wie aus den Pfadanalysen hervorgeht, besteht eine direkte, wenn auch nicht sehr ausgeprägte
Beziehung zwischen einem negativen, durch häufiges Schreien, leichte Irritierbarkeit und
hohe Reaktionsintensität beziehungsweise gering ausgeprägte positive Stimmung und
Rhythmizität charakterisierten Temperament im Säuglingsalter und den Zielvariablen
„Anpassungsbereitschaft“ bzw. „Ärgerneigung“ im Alter von 15 Jahren: Zu ersterer besteht
erwartungsgemäß ein negativer Pfad von -.24 (Abb. 12) und zu letzterer ein positiver von .25
(Abb. 13). Ein ungünstiges Temperament im Säuglingsalter verringert daher bis zu einem
gewissen Ausmaß die Anpassungsbereitschaft und verstärkt die Ärgerneigung im Jugendalter.
Auf der Variablenebene existiert mithin durchaus eine Relation zwischen dem frühkindlichen
und dem späteren Temperament, die sich auf Typenebene nur in Ausnahmefällen zeigt.
Wie die Pfadmodelle weiters nachweisen, besteht ein für das Verständnis der
längsschnittlichen Temperamentsentwicklung aufschlussreiches Zusammenspiel der weiteren
Variablen in den Pfadanalysen, wobei sowohl stützende wie auch hemmende Beziehungen
zwischen den einzelnen Variablengruppen zu beobachten sind. Es geht bei der
Temperamentsentwicklung daher nicht um einfache Kausalbeziehungen, sondern um das
Resultat des Zusammenwirkens von komplexen Mustern von Vorläufervariablen.
Ein negatives Temperament im Säuglingsalter weist, wie zu erwarten, eine negative
Beziehung zum positiven Temperament im Alter von acht Jahren auf (-.37 in beiden
Modellen). Zwischen dem positiven Temperament im Grundschulalter und jenem im Alter
von elf Jahren (t5) zeigt sich eine sehr deutliche Relation in beiden Pfadmodellen (.59 bzw.
.58). Der Pfad vom positiven Temperament zu t5 zur Anpassungsbereitschaft im Jugendalter
(.42) deutet an, dass eine günstige Temperamentsausprägung zu t5 eine höhere
Anpassungsbereitschaft mit 15 Jahren erwarten lässt. Ein positives Temperament mit elf
Jahren stellt offenbar einen gewissen Schutzfaktor dar, da in diesem Fall auch eine geringere
Ärgerneigung zu t6 resultiert, wie der negative Pfad von -.33 im zweiten Pfadmodell zeigt.
Eine von den Jugendlichen negativ beurteilte Bindung an ihre Mutter zu t6 beeinträchtigt
dagegen die Anpassungsbereitschaft (-.26) und stützt die Ärgerneigung (.30). In geringerem
74
Maße zeigt sich diese Beziehung auch, wenn anstelle der Bindung an die Mutter jene an den
Vater in die Pfadanalysen aufgenommen wird.
Negative Persönlichkeitseigenschaften der Jugendlichen, die mit Hilfe des WPK erfasst
wurden, sind zwischen elf und fünfzehn Jahren schon sehr stabil, wie die Pfade von .55 bzw.
von .53 in den beiden Modellen zeigen. Sie wirken sich nicht direkt, sondern nur über die
negative Bindung auf die beiden Zielvariablen aus. Die Entwicklung problematischer
Persönlichkeitseigenschaften wird durch elterliches Konfliktverhalten zu t5 verstärkt, wie aus
den entsprechenden Pfaden in beiden Modellen hervorgeht (.37 bzw. .38). Interessant ist in
diesem Zusammenhang, dass Streitverhalten der Eltern zu t4, als die Kinder acht Jahre alt
waren, sich noch nicht negativ auswirkt. Elterliches Streitverhalten zu t6 beeinträchtigt
dagegen direkt die Anpassungsbereitschaft (-.28) und verstärkt, wenn auch nur geringfügig,
die Ärgerneigung (.15).
Ein vor allem durch Unterstützung und Zuwendung charakterisiertes mütterliches
Erziehungsverhalten im Alter von acht Jahren wirkt sich -allerdings nur in geringem Ausmaß-
positiv auf die Anpassungsbereitschaft im Jugendalter aus (.15). Zur Ärgerneigung im
Jugendalter bestehen dagegen keine Beziehungen. Zwischen dem Erziehungsverhalten zu t4
und der negativ charakterisierten Bindung zu t6 existiert in beiden Pfadanalysen ein Pfad von
.32, was zunächst überrascht. Dies kann jedoch dahingehend interpretiert werden, dass in der
Adoleszenz Erziehungsbemühungen, die mit acht Jahren noch akzeptiert werden, eher
negative Auswirkungen im Sinne eines „Schläfereffektes“ haben können.
Wie die Pfade im Zusammenhang mit dem elterlichen Streitverhalten erhellen, stellt dieses
eine über die Zeit hinweg äußerst stabile und einflussreiche Variable dar. Die Ausprägung im
Säuglingsalter beeinflusst sogar noch das Erziehungsverhalten im Alter des Kindes von acht
Jahren in ungünstiger Weise in beiden Modellen (-.25). Offenbar handelt es sich um eine
Wechselwirkung, wie der Pfad von -.23 vom Erziehungsverhalten zu t4 zum Streitverhalten
zu t5 zeigt. Zu diesem Zeitpunkt gelingt es Kindern noch, sich in gewisser Weise dagegen
abzugrenzen, wie der Pfad von -.15 zeigt. Die ungünstigen Persönlichkeitseigenschaften
werden aber zunehmend zu Selbstläufern: Zwischen t4 und t5 besteht zwar noch ein negativer
Pfad von -.23. Im Alter von elf Jahren beginnen sich jedoch die betreffenden
Persönlichkeitseigenschaften zu stabilisieren, wie die hohen Pfade von t5 zu t6 von .55 bzw.
.53 zeigen. Sie wirken sich jedoch nicht direkt, sondern über die Bindung auf die
75
Anpassungsbereitschaft bzw. Ärgerneigung im Alter von 15 Jahren aus. Dass erst zwischen
elf und 15 Jahren entscheidende Veränderungen in der Persönlichkeitsentwicklung auftreten,
die im Alter von acht Jahren noch nicht zu beobachten sind, zeigt auch der Pfad von -.35 von
t4 zu t6. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich das Zeitfenster für erzieherische
Einwirkungen der Eltern auf das Kind zwischen acht und elf Jahren zu schließen beginnt. Was
bis zu diesem Zeitraum nicht erreicht wurde, kann nur über aufwendige pädagogische oder
therapeutische Maßnahmen erzielt werden.
4.4 Resumée
Lebenslaufbezogen stellen elterliche Konflikte ein nicht zu unterschätzendes Risiko für die
kindliche Temperamentsentwicklung dar, wie sich an vielen Stellen im Entwicklungsverlauf
zeigt. Dieser Befund hatte sich bereits in den Analysen der fünften Erhebungswelle
angedeutet (siehe Rollett, Werneck & Hanfstingl, 2005). Während der personenorientierte
Ansatz nur eine geringe Stabilität der Temperamentstypen zeigte, konnte mit Hilfe des
variablenorientierten Ansatzes ein klares Bild der Entstehung eines günstigen, durch effiziente
Formen der Auseinandersetzung mit der sozialen Umwelt gekennzeichneten Temperaments
im Unterschied zu einer durch negative Affektivität und Ärgerbereitschaft bestimmten
Temperamentsausprägung ermittelt werden. Das Muster der jeweiligen Vorläufervariablen
gibt einen Einblick in die spezifischen Entstehungsbedingungen und damit Hinweise auf
Ansatzpunkte für erzieherische bzw. therapeutische Interventionen.
76
5. Die Zukunftsvorstellungen Jugendlicher
Brigitte Rollett, Harald Werneck, Monika Pucher und Guido Nold
5.1 Einleitung
Vorstellungen über die eigene Zukunft haben wichtige handlungsleitende Funktionen im
Jugendalter, da sie mit darüber entscheiden, wie sehr Jugendliche bereit sind, sich für
fernliegende Ziele aktiv zu engagieren und dafür unter Umständen auch auf unmittelbare
Gratifikationen zu verzichten. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, wie
positiv sie den Prozess des Erwachsenwerdens sehen oder im Gegenteil der Zukunft mit
Sorge entgegenblicken, aber auch wie sinnvoll sie ihr gegenwärtiges Leben sowie ihre
zukünftige Entwicklung sehen beziehungsweise wie problembelastet ihnen dieser Prozess
erscheint.
Die Qualität der Zukunftsvorstellungen hat Einfluss auf viele Entscheidungen, die im
Jugendalter getroffen werden müssen, so die Art der Integration in die Gleichaltrigengruppe
und ihre Kultur, die Berufswahl, den Umgang mit den neuen Beziehungen zum anderen
Geschlecht, die Gestaltung der Ablösung von den Eltern und die Bereitschaft zur Übernahme
neuer, mit dem Erwachsenwerden verbundener Verantwortlichkeiten. Die Qualität der
Zukunftsorientierung stellt damit einen wichtigen Faktor bei der Gestaltung des zukünftigen
beruflichen und sozialen Lebensweges dar, wie z.B. Oser, Horn und Maiello (2002) in einer
groß angelegten Studie zeigen konnten.
Die hohe Bedeutung der subjektiven Konstruktionen einer für möglich gehaltenen
befriedigenden oder mit Sorge erwarteten Zukunft für die Bereitschaft, aktuell Anstrengung in
das Gelingen des eigenen künftigen Lebens zu investieren, wurde bisher in der einschlägigen
Literatur viel zu wenig berücksichtigt. Für langfristige Planungen und die entsprechenden
Entscheidungen über das persönliche Investment in die Zukunft sind Zukunftskonstruktionen
von besonderer Wichtigkeit. Curdes, Jahnke-Klein, Lohfeld und Pieper-Seier (2004)
untersuchten die Lebensentwürfe von über 700 weiblichen und männlichen
Mathematikstudierenden und konnten feststellen, dass negative subjektive Bewertungen der
zukünftigen Realisierbarkeit einer wissenschaftlichen Karriere bereits zu einem frühen
77
Zeitpunkt dazu führen, dass von den Betroffenen keine Anstrengungen mehr in diese
Richtung unternommen werden.
Untersuchungen zu inhaltlich spezifizierten kurzfristigen Zukunftskonstruktionen wurden von
Oettingen (1997) durchgeführt. Sie konnte zeigen, „dass positive Zukunftsphantasien eine
notwendige Vorraussetzung für ein starkes Engagement in Richtung Phantasierealisierung
sind“. Und sie führt fort: „Positive Zukunftsphantasien sind allerdings nicht hinreichend. Sie
müssen mit Reflexionen über die widersprechende negative Realität kontrastiert werden,
damit angesichts positiver Erfolgserwartungen eine entsprechend starke Motivation zur
Phantasierealisierung entstehen kann“ (1997, S. 306).
Ein wesentlicher Schwerpunkt der vorliegenden Untersuchung behandelt daher die Frage,
welche Zukunftsvorstellungen die Jugendlichen der Untersuchungsgruppe entwickelt hatten
und durch welche Bedingungskonstellationen diese determiniert sind. Bei der Weiterführung
des Längsschnittprojektes ist geplant, auf die Art der Realisierungen der zum aktuellen
Untersuchungszeitpunkt entwickelten Zukunftsvorstellungen besonders einzugehen, um den
langfristigen Auswirkungen der Zukunftsplanungen in der Adoleszenz auf die spätere
Lebensgestaltung und ihr Gelingen nachgehen zu können.
5.2 Die selbst formulierten Lebensziele der Jugendlichen
Als Einstieg in die Fragestellung soll zunächst auf die im Zuge der Studie erhobenen, von den
Jugendlichen frei formulierten Lebensziele eingegangen werden, da sie den inhaltlichen
Rahmen abstecken, den sie sich für ihre eigene Zukunft vorstellen. Die Adoleszenten wurden
daher gebeten, drei eigene Lebensziele, geordnet nach ihrer Wichtigkeit, zu benennen. Bis auf
einige wenige Jugendliche, die nur ein bzw. zwei Ziele angaben, kamen die Jugendlichen
dieser Aufforderung nach.
Auf Grund einer Inhaltsanalyse wurden die Antworten zunächst in 15 Kategorien eingeteilt,
um die Zukunftserwartungen der Jugendlichen abzubilden. Im Einzelnen handelt es sich um
die folgenden Gebiete bzw. Zielsetzungen: „Familie“, „Beziehung“, „Arbeit/Beruf“,
„Ausbildung“, „Gesundheit“, „Freunde“, „Altruistische Ziele“, „Gezielte
Berufsvorbereitung“, „Glück/Zufriedenheit“, „Erfolg“, „Hedonistische Ziele“, „Pläne für
78
Aktivitäten“, „Entwicklungen“, „Materielle Güter“ und „Reichtum/Vermögen“. Eine
Überprüfung der Kodierung durch zwei unabhängige Beurteiler ergab einen Kappa-Wert von
.925 (s. Gregor, 2007). Die Kategorien wurden für die hier berichtete Auswertung
anschließend zu zehn inhaltlichen Bereichen zusammengefasst (s. Tab. 32).
Tab. 32. Die drei wichtigsten Lebensziele der Jugendlichen nach Bereichen
1.Lebensziel 2.Lebensziel 3.Lebensziel insgesamt n % n % n % n % Familie 37 28.7 30 23.6 15 12.1 82 21.6 Beziehung 11 8.5 15 11.8 5 4 31 8.2 Erfolg 5 3.9 2 1.6 10 8.1 17 4.5 Arbeit/ Arbeitsvorbereitung
38 29.4 42 33.1 19 15.3 99 26.1
Glück/Zufriedenheit/ Hedonismus
17 13.2 9 7.1 20 16.1 46 12.1
Gesundheit 6 4.7 5 3.9 10 8.1 21 5.5 Freunde 5 3.8 7 5.5 23 18.6 35 9.2 Altruistische Ziele 0 3 2.4 4 3.2 7 1.8 Reichtum/Vermögen/ Materielle Güter
4 3.1 8 6.3 12 9.7 24 6.3
Pläne für Aktivitäten/ Entwicklungen
6 4.7 6 4.7 6 4.8 18 4.7
129 127 124 380
In den Zielsetzungen drücken sich eher konservative Zukunftskonstruktionen aus: Die beiden
wichtigsten Lebensziele betreffen die Realisierung eines befriedigenden künftigen Berufs und
die Gründung einer Familie. Altruistische Zielsetzungen werden kaum genannt, Pläne, einen
Beitrag für die Verwirklichung einer „postmaterialistischen Gesellschaft“ (Inglehart, 1977) zu
leisten, fehlen völlig. Allerdings treten auch einseitig selbstbezogene Zielsetzungen nur
vereinzelt auf. Diese Ergebnisse bestätigen den z.B. auch beim Wahlverhalten von
Jugendlichen in Österreich bestehenden Trend zu eher traditionelleren Einstellungen.
5.3 Konstruktion des Zukunftsorientierungsfragebogens
Der in der vorliegenden Studie eingesetzte Zukunftsorientierungsfragebogen stellt eine
Adaptation des Zukunftsfragebogens von Oser, Horn und Maiello (2002) dar. Aufgrund einer
Faktorenanalyse konnten die folgenden Skalen konstruiert werden.
79
Tab. 33. Skalen des Zukunftsfragebogens
Skalen Item-anzahl α Trennschärfen Beispielitem
1. Entwicklung in Richtung freundliche Gesellschaft 6 .893 .647 - .808
In Zukunft werden die Menschen mehr Zeit aufwenden um anderen Menschen zu helfen.
2. Zukünftige gesellschaftliche Probleme 11 .859 .350 - .693
Was glaubst du, wie groß werden in Zukunft die Probleme mit folgenden Themen sein? Drogen, Sucht.
3.Entwicklung in Richtung bedrohte Gesellschaft 7 .886 .503 - .786 In Zukunft wird es mehr Kriminalität und
Gewalt geben. 4. Konstanz der eigenen Persönlichkeit und Lebensumstände
6 .822 .438 - .700 In 20 Jahren werde ich noch dieselbe Person sein wie heute.
5. Zukünftige positive Lebensgestaltung 10 .807 .306 - .712 In 20 Jahren werde ich mit meinem Leben
zufrieden sein. 6. Persönliche Problembelastung 6 .784 .425 - .642 Ich finde, dass ich zu viele persönliche
Probleme habe. 7. Konstanz der eigenen Lebensumstände 8 .700 .311 - .551 In meinem zukünftigen Leben werde ich
immer denselben Beruf ausüben. 8. Gegenwärtige gesellschaftliche Probleme 2 .732 .578 Ich finde, dass es zu viele gesellschaftliche
Probleme gibt.
9. Gerechte Welt 6 .738 .351 - .597 Ich bin sicher, dass in der Welt immer die Gerechtigkeit siegt.
α= Cronbach`s Alpha
Im Folgenden wird zunächst auf die längsschnittliche Entwicklung der
Zukunftsorientierungen der Jugendlichen der Untersuchungsstichprobe eingegangen.
Anschließend wird über Gruppen von Jugendlichen mit ähnlichen Zukunftsorientierungen
berichtet.
5.4 Erwartungen einer zukünftigen positiven Lebensgestaltung und aktuell erlebte Problembelastung
Zunächst ist von Interesse, zu untersuchen, welche Faktoren mit einer positiven Zukunftssicht
einhergehen. Da angenommen werden kann, dass die von den Jugendlichen erlebte
Problembelastung dabei von Bedeutung ist, wird diesem Einfluss im Besonderen
nachgegangen. Auf Seiten der familienbezogenen Einflüsse ist vor allem die von den
Jugendlichen selbst eingeschätzte Qualität ihrer Beziehungen zu ihren Eltern zu nennen. Auf
Seiten der Jugendlichen kann davon ausgegangen werden, dass ihre Einschätzung ihrer
eigenen Begabung (und damit ihrer Zukunftschancen) und ihre individuelle Persönlichkeit für
die Konstruktion einer positiven Zukunftserwartung eine Rolle spielen könnten, werden in
den Tab. 34 und Tab. 35 die entsprechenden Korrelationen berichtet.
80
Das familiäre Umfeld und hier vor allem der durch die Beziehung der Jugendlichen zu ihren
Eltern geschaffene emotionelle Rahmen ist nicht ohne Einfluss auf die Zukunftskonstruktion
der Jugendlichen. Wie aus Tab. 34 entnommen werden kann, ist vor allem die positive
Bindung und damit die gute Beziehung zur Mutter für eine positive Zukunftssicht wesentlich.
Sie ist durch Vertrauen und eine gute Kommunikationsbasis sowie die Abwesenheit negativer
emotionalen Beziehungskomponenten und das Fehlen von Gefühlen der Entfremdung
charakterisiert. In der Beziehung zum Vater ist hier nur die gute Kommunikation mit ihm für
die Entwicklung einer positiven Zukunftskonstruktion von Bedeutung.
Ein eindrucksvolles, diese Ergebnisse ergänzendes Bild zeigt das Muster der – insgesamt auch
wesentlich höheren - Korrelationen der Bindung an die Mutter bzw. den Vater mit der
aktuellen Problembelastung (s. Tab. 34): Je geringer das Vertrauen zu den Eltern ist und je
schlechter sich die Kommunikationsbasis mit ihnen gestaltet, sowie eine je größere Rolle
negative emotionale Beziehungscharakteristika und Entfremdung spielen, desto höher ist die
von den Jugendlichen berichtete Problembelastung.
Tab. 34. Bindung an die Eltern und Zufriedenheit mit der eigenen Begabung: Korrelationen mit der
Erwartung einer positiven zukünftigen Lebensgestaltung und der aktuellen Problembelastung
,575**-,228**Entfremdung,661,**-,276**Neg. emot. Beziehung
-,488**,328**Kommunikation-,580**,321**Vertrauen
Problembelast.Pos. Leb.Gest.Bindung Mutter
,565**-,214Entfremdung,605**-,169Neg. emot. Beziehung
-,489**,246**Kommunikation-,576**,160Vertrauen
Problembelast.Pos. Leb.Gest.Bindung Vater
Einen Hinweis auf den Einfluss der Zufriedenheit mit der eigenen Begabung auf die
Erwartung einer positiven zukünftigen Lebensgestaltung einerseits und die erlebte aktuelle
Problembelastung andererseits zeigen die Korrelationen von -,299 bzw. ,291. Das Vertrauen
81
auf die eigene Kompetenz scheint mithin eine gewisse Bedeutung für die Erwartung einer
günstigen Zukunft zu haben, während Problembelastung diese einschränkt.
Eine weitere Frage betrifft die Rolle der individuellen Persönlichkeit der Heranwachsenden
bei der Entwicklung positiver Zukunftsvorstellungen bzw. die der aktuellen Belastung durch
Probleme. In Tab. 35 werden die entsprechenden Korrelationen mit den
Persönlichkeitsdimensionen des NEO-FFI berichtet.
Tab. 35. Persönlichkeitsdimensionen des NEO-FFI: Korrelationen mit der Erwartung einer positiven zukünftigen. Lebensgestaltung und der aktuellen Problembelastung
,447**-,143Neurotizismus
-,197*,246**Extraversion
-,087,230**Offenheit
-,250**,058Verträglichkeit
-,257**,330**Gewissenhaftigkeit
PersönlicheProblembelastung
Zukünftige positive
LebensgestaltungNEO-FFI
Wie aus den Korrelationen ersichtlich ist, geht eine höhere Gewissenhaftigkeit, Offenheit für
kulturelle Erfahrungen und Extraversion mit der Erwartung einer positiven
Zukunftsentwicklung einher: Wer sich gewissenhafter um die Erledigung wichtiger Aufgaben
bemüht und sowohl den kulturellen Angeboten seiner Zeit als auch anderen Menschen
gegenüber eine größere Aufgeschlossenheit zeigt, neigt offenbar dazu, auch die eigene
Zukunft günstiger einzuschätzen. Die aktuelle persönliche Problembelastung korreliert
dagegen mit einer geringeren Gewissenhaftigkeit und Extraversion, was zur Folge haben
kann, dass Probleme bei der Alltagsbewältigung und im sozialen Umgang mit Anderen
entstehen können. Eine höhere Verträglichkeit wirkt offenbar in gewisser Weise als
Schutzfaktor, wie die negative Korrelation von -.250 mit der Problembelastung zeigt: Wer
82
sich verträglicher gibt, erspart sich eher Konflikte mit der sozialen Umwelt. Die mittlere
Korrelation von .447 zwischen persönlicher Problembelastung und Neurotizismus deutet
schließlich darauf hin, dass eine allgemeine persönliche Labilität vermehrt zu Problemen in
der Alltagsbewältigung führt und umgekehrt.
5.5 Zukunftserwartung und Identitätsstatus der Jugendlichen
Wie in Kapitel 8 ausführlich berichtet wird, stellt die Entwicklung einer neuen Identität die
zentrale Entwicklungsaufgabe des Jugendalters dar. Der Übergang von der Kindheit in die
Adoleszenz bedeutet einerseits größere Freiheiten, bringt aber andererseits die Verpflichtung
mit sich, zunehmend Entscheidungen selbstverantwortlich zu treffen und dazu schrittweise die
notwendigen Kompetenzen zu erwerben. Nicht alle Jugendlichen wollen sich auf diesen
Prozess einlassen. Hinzu kommt, dass auch nicht alle Eltern bzw. Erziehungspersonen dazu
bereit sind, die Zügel zunehmend lockerer zu lassen und den Jugendlichen – natürlich jeweils
entsprechend ihren bereits erworbenen Kompetenzen zu einer selbstverantwortlichen
Lebensgestaltung - mehr Verantwortung zu übertragen. Aber nicht nur eine zu
einschränkende Erziehung kann sich ungünstig auf die Identitätsbildung auswirken. Auch ein
zu rascher Rückzug der Eltern aus der Erziehungsverantwortung (Rollett, 1999) ist
kontraproduktiv, da er die betroffenen Jugendlichen in der Regel überfordert.
5.5.1 Identitätsstatus und Erwartung einer zukünftigen positiven Lebensgestaltung
Nach Marcia (1966, 1980) können vier Stadien der Identitätsentwicklung im Jugendalter
unterschieden werden: Die individuelle Identität kann einfach von den Eltern und anderen
wichtigen Bezugspersonen übernommen werden. Dieser Status wird von ihm als
„Übernommene Identität“ bezeichnet. Dieser birgt allerdings die Gefahr in sich, dass sich die
Jugendlichen ihrer eigenen Alterskohorte und deren Werten, Normen, Einstellungen und
Verhaltensweisen entfremden. In der aktuellen Situation der Jugendlichen bedeutet die
Übernahme der elterlichen Identitätsvorgaben aber zunächst einmal Verhaltenssicherheit, die
allerdings auf längere Sicht zur Isolation von der Gleichaltrigengruppe und den damit
zusammenhängenden Problemen führen kann. Langfristig kann dies z.B. zu einer geringeren
83
Eingebundenheit in das kollegiale Team in der Ausbildung und am Arbeitsplatz führen oder
Probleme beim Finden von gleichgesinnten Partnern bzw. Partnerinnen zur Folge haben.
Der Identitätsstatus „Moratorium“ dagegen ist durch eine intensive Erprobung verschiedener
Möglichkeiten der Identitätskonstruktion durch die Betroffenen charakterisiert. Es stellt ein
zielführendes Durchgangsstadium von der Kindheit zum Erwachsenwerden dar und ist
dadurch gekennzeichnet, dass in vielen Bereichen der Lebensführung mögliche Alternativen
recherchiert werden und gezielt an der Entwicklung der eigenen Persönlichkeit und
Kompetenzen gearbeitet wird.
Im Gegensatz dazu verweigern sich Jugendliche im Status der „Diffusen Identität“ diesen
Entwicklungsprozessen. Sie neigen dazu, die mit der Identitätssuche verbundenen
Entscheidungen und die sich daraus möglicherweise ergebenden Probleme abzuschieben und
sich einem eher hedonistischen Gegenwartsgenuss hinzugeben.
Jugendliche im Status der „Erarbeiteten Identität“ haben die für das Jugendalter
charakteristische Entwicklungsaufgabe des Findens einer neuen (erwachsenen) Identität
gelöst, sie sind mit sich weitgehend im Reinen. Dies bedeutet natürlich nicht, dass nicht zu
einem späteren Zeitpunkt weitere Anpassungen notwendig werden, wenn es sich z.B.
herausstellt, dass der gewählte Berufsweg doch nicht den eigenen Bedürfnissen entspricht und
neue Orientierungen gefunden werden müssen.
Aus diesen Beschreibungen geht bereits hervor, dass die Identitätsstadien in einem engen
Zusammenhang mit den Zukunftserwartungen stehen. Im Folgenden wird daher den
Unterschieden zwischen den verschiedenen Identitätsstatusgruppen im Hinblick auf die
Erwartungen einer zukünftigen positiven Lebensgestaltung nachgegangen. Außerdem wird
der Einfluss der von den Jugendlichen angenommenen Konstanz ihrer Lebensumstände
betrachtet, da angenommen werden kann, dass eine höhere Konstanzerwartung auf Grund der
dadurch gebotenen Sicherheit mit günstigeren Zukunftserwartungen kovariiert.
Die in Tab. 36 angegebenen Häufigkeiten zeigen, dass die Identitätsstatusgruppen signifikant
unterschiedlich stark besetzt sind. Am häufigsten tritt, wie zu erwarten, das Moratorium als
der für das Jugendalter charakteristischste Identitätsstatus auf: Rund 44% der Jugendlichen
84
befinden sich in diesem Übergangsstadium, in dem es darauf ankommt, Vieles zu erproben,
um schließlich eine neue Identität zu finden.
Wie aus den in Tab. 36 berichteten Varianzanalysen der Unterschiede zwischen den
Identitätsstatusgruppen hervorgeht, unterscheiden sich diese sehr signifikant bezüglich ihrer
Erwartung einer positiven Lebensgestaltung in der Zukunft und der von den betreffenden
Jugendlichen angenommenen Konstanz ihrer Lebensumstände.
Tab. 36. Unterschiede zwischen den Identitätsstatusgruppen hinsichtlich der Erwartung einer
künftigen positiven Lebensgestaltung und der angenommenen Konstanz der Lebensumstände
4,67 ,57 4,20 ,65137X² < .00
Gesamt
4,86 ,61 4,48 ,64
4,72 ,49 4,10 ,66
4,32 ,55 3,97 ,58
4,83 ,57 4,53 ,54
24
61
31
21
A Erarbeitete Identität
B Moratorium
C Diffuse Identität
D Übernommene Identität
Mittelwert Streuung Mittelwert StreuungN
Zukünftige positive Lebensgestaltungp < .000 (ANOVA)
Konstanz der Lebensumständep < .000 (ANOVA)
Legende: _____ signifikante Differenzen (nach Tamhane) zwischen den Gruppen
------- Tendenz
Es zeigt sich, dass Jugendliche mit einer erarbeiteten (18% der Untersuchungsgruppe) und
einer übernommenen Identität (15%) die höchsten Ausprägungen bezüglich der Erwartung
einer positiven Zukunft haben. Dies gilt auch für die von ihnen angenommene Konstanz ihrer
eigenen Lebensumstände. Jugendliche, die sich in ihrer Identitätskonstruktion an den Eltern
orientieren, haben sich offenbar in den von den Eltern und anderen Erziehungspersonen
85
übernommenen Vorstellungen über sich selbst und ihre Zukunft eingerichtet. Wie für die
Jugendlichen mit einer erarbeiteten Identität bedeutet dies für sie, dass sie auf ihre Zukunft
mit Optimismus blicken können. Wie oben dargestellt wurde, besteht ihr Problem allerdings
darin, dass die von den Eltern übernommenen Werte, Normen, Einstellungen und
Verhaltensweisen ihnen zunächst zwar Sicherheit in ihrer Rolle als Heranwachsende
vermitteln, sie sich aber zunehmend ihrer eigenen Altersgruppe entfremden, was bei den
Jugendlichen mit einer erarbeiteten Identität weniger wahrscheinlich ist.
Wie zu erwarten, haben Adoleszente mit einer diffusen Identität (23%) die niedrigsten
positiven Zukunftserwartungen, was auf die besondere Problematik dieser Gruppe
zurückzuführen ist: Erwachsen werden bedeutet für sie nicht den Übergang in eine freudig
erwartete selbstgestaltete Zukunft, deren Anforderungen sie sich gewachsen fühlen, sondern
die Konfrontation mit Aufgaben, die von ihnen nur als Belastung erlebt werden. Im
ungünstigsten Fall wehren sie sich gegen alle mit der Planung ihrer Zukunft
zusammenhängenden Anforderungen. Sie müssen daher in Kauf nehmen, dass ihnen die
Mitwirkung an den sie betreffenden Entscheidungsprozessen für die Gestaltung ihrer Zukunft
aus der Hand genommen wird. Wie z.B. Pollmann (1996) in einer groß angelegten frühen
Studie feststellen konnte, gelingt es Jugendlichen, die sich nicht aktiv um die Planung ihrer
Berufslaufbahn bemühen, sondern dies den „Umständen“ überlassen, z.B. weit seltener, einen
ihren Wünschen entsprechenden Berufweg zu realisieren.
Jugendliche im Stadium des Moratoriums nehmen bezüglich ihrer positiven
Zukunftserwartungen eine Zwischenstellung ein. Interessant ist, dass ihre
Konstanzerwartungen im Hinblick auf ihre zukünftigen Lebensumstände nahezu ähnlich
niedrig sind wie jene der Gruppe mit einer diffusen Identität. Für diese Jugendlichen ist der
Prozess der Suche nach neuen Orientierungen noch nicht abgeschlossen, sie sind aber im
Gegensatz zu den Jugendlichen mit einer diffusen Identität bereit, sich den neuen
Herausforderungen zu stellen.
86
5.5.2 Negative Zukunftskonstruktionen: Die Erwartung einer zukünftigen bedrohten Gesellschaft
Die Skala „Erwartung einer zukünftigen bedrohten Gesellschaft“ wurde in den
Zukunftsfragebogen aufgenommen, um massivere Zukunftsängste zu erfassen. Während
niedrige Werte in der Skala „Erwartung einer zukünftigen positiven Lebensgestaltung“ im
individuellen Fall bereits auf gewisse Probleme bei der Konstruktion der persönlichen
Zukunft hinweisen, stellt die ausdrückliche Erwartung einer zukünftigen bedrohten
Gesellschaft eine wesentlich stärkere Einschränkung der für möglich gehaltenen eigenen
Zukunftschancen dar. Wie die in Tab. 37 dargestellten varianzanalytischen Ergebnisse zeigen,
differenziert jedoch weder die Erwartung einer zukünftigen bedrohten Gesellschaft noch die
persönliche Problembelastung zwischen den Identitätsstatusgruppen. Offenbar bildet der
Identitätsstatus nach Marcia ausschließlich die positive Auseinandersetzung mit der
Konstruktion der eigenen Zukunft ab.
Tab. 37. Unterschiede zwischen den Identitätsstatusgruppen hinsichtlich einer zukünftig
bedrohten Gesellschaft und der persönlichen Problembelastung
3,66 ,94 2,81 ,97137X² < .00
Gesamt
3,69 1,04 3,08 1,13
3,69 ,91 2,78 ,95
3,47 ,92 2,81 ,92
3,86 ,93 2,62 ,86
24
61
31
21
A Erarbeitete Identität
B Moratorium
C Diffuse Identität
D Übernommene Identität
Mittelwert Streuung Mittelwert StreuungN
Zukünftige bedrohte Gesellschaftp < .511 (ANOVA)
Persönliche Problembelastungp < .426 (ANOVA)
87
5.6 Die lebenslaufbezogene Entwicklung positiver versus negativer Zukunftsorientierungen: Pfadanalysen
Wie die bisher berichteten Ergebnisse gezeigt haben, stellt die aktive Auseinandersetzung mit
den eigenen Zukunftsvorstellungen eine wichtige Voraussetzung für die Integration der
diesbezüglichen Konzepte in die eigene Lebensplanung dar. Im nächsten Schritt soll daher
untersucht werden, welche bedeutenden lebenslaufspezifischen Faktoren zusammenwirken
müssen, um die Entwicklung einer positiven, von Optimismus getragenen bzw. einer
negativen, durch Vorstellungen über eine bedrohliche gesellschaftliche Zukunft geprägten
Zukunftsperspektive geht.
Um derartige übergreifende Entwicklungseinflüsse modellieren zu können, werden im
nächsten Schritt Variablen, die sich in den verschiedenen Erhebungswellen des FIL-Projekts
als relevant erwiesen haben, zur Vorhersage einer positiven bzw. negativen
Zukunftsorientierung der Jugendlichen herangezogen. Als Methode werden auch hier
Pfadanalysen mit Hilfe des PLS-Verfahrens von Wold (1979) und Lohmöller (1987)
durchgeführt, um die Entwicklung einer positiven im Gegensatz zu einer negativen
Zukunftskonstruktion abzubilden. Es wird je eine Pfadanalyse zur Vorhersage positiver und
negativer Zukunftserwartungen berechnet. Auch in diesen Analysen werden aus Gründen der
Übersichtlichkeit sehr geringe Pfade (< .15) weggelassen.
In Tab. 38 werden zunächst die bei diesen Analysen berücksichtigten manifesten bzw.
latenten Variablen und die Ladungen der die latenten Variablen konstituierenden manifesten
Variablen dargestellt. Die Bezeichnung (a/+) in der Tabelle bezieht sich dabei auf die
positive, (b/-) auf die negative Zukunftsorientierung.
Die latente Zielvariable „Positive Zukunftsorientierung“ wird durch die manifesten Variablen
„Glaube an eine gerechte Welt“, „Zukünftige positive Lebensgestaltung“ und „Entwicklung in
Richtung positiver Gesellschaft“ gebildet, die latente Zielvariable „Negative
Zukunftsorientierung“ durch die manifesten Variablen „Gegenwärtige gesellschaftliche
Probleme“, „Entwicklung in Richtung bedrohte Gesellschaft“ und „Zukünftige
gesellschaftliche Probleme“.
88
An manifesten Vorhersagevariablen wird (wie bereits bei der Darstellung der
Temperamentsentwicklung) das elterliche Streitverhalten (aus der Sicht der Mutter) zu t2, t4,
t5 und t6 in die Pfadanalysen einbezogen, da es sich als besonders wichtige, das
Familienleben und die kindliche Entwicklung beeinträchtigende Variable erwiesen hat. Es
stellt überdies eine lebenslaufspezifisch außerordentlich stabile Variable dar, die ihren
Einfluss auf die kindliche Entwicklung langfristig geltend macht. Weiters wurde die aktuelle
Problembelastung (t6) in die Pfadanalysen aufgenommen, um den Einfluss der gegenwärtig
erlebten Belastungen auf die Zukunftsorientierung erfassen zu können. An latenten Variablen
zur Beschreibung des Entwicklungsverlaufs wurden einbezogen: Das Temperament zu t2
(manifeste Variablen: „Positive Stimmung“, „Unruhe“, „Irritierbarkeit“, „Rhythmizität“,
„Triebhaftigkeit/Reaktionsintensität“), das mütterliche Erziehungsverhalten zu t4 (manifeste
Variablen: „Unterstützung“, „Strenge“, „Zuwendung“), die latente Variable „problematische
Persönlichkeit“ der Jugendlichen zu t6 (manifeste Variablen: „Neigung zu
überaktiv/unaufmerksamem Verhalten“, „Neigung zu oppositionellem Verhalten und
Risikobereitschaft“, „Prüfungsangst“, „Dominanzverhalten“, „Ängstlichkeit“, „Traurigkeit“)
und die Bindung an den Vater bzw. die Mutter zu t6 (manifeste Variablen: „Vertrauen“,
„Kommunikation“, „Negative emotionale Beziehung“, „Entfremdung“). Da, wie die oben
berichteten Ergebnisse zeigten, die Überzeugung, dass sich die Lebensumstände und die
eigene Persönlichkeit in der Zukunft nicht wesentlich ändern werden, offenbar einen gewissen
Schutzfaktor darstellt, da sie das Vertrauen in die positive Gestaltung der persönliche Zukunft
stützt, wurde weiters die latente Variable „Konstanz“ in die Berechnung miteinbezogen
(manifeste Variablen: „Konstanz der Lebensumstände“, „Konstanz der eigenen
Persönlichkeit“).
Ein Blick auf die Ladungen im Fall der positiven im Gegensatz zu jenen bei der negativen
Zukunftsorientierung (s. Tab. 38) weist bereits auf einige interessante Aspekte hin: Zunächst
zeigt sich, dass die Ladungen in den beiden Analysen bis auf wenige Ausnahmen in ihrer
Höhe nur geringfügig voneinander abweichen. Unterschiedliche Auswirkungen werden daher
in erster Linie durch Unterschiede in den Vorzeichen abgebildet. Wie das Ladungsmuster des
Temperaments zu t2, als die Kinder drei Monate alt waren, erhellt, ist sowohl für die positive
wie für die negative Zukunftsorientierung im Jugendalter ein ungünstiges Temperament im
Säuglingsalter von Einfluss. Für das mütterliche Erziehungsverhalten zu t4, als die Kinder 8
Jahre alt waren, sind vor allem die Bereitschaft zur Unterstützung und die Zuwendung von
Bedeutung. Die latente Dimension „Problematische kindliche Persönlichkeit“ wird zum
89
aktuellen Untersuchungszeitpunkt (t6) vor allem durch die Neigung zu
überaktiv/unaufmerksamen Verhalten (Ladungen .78 und .76) und das Dominanzverhalten
(jeweils .79) bestimmt. Depressive Verstimmungen spielen keine Rolle, wie die belanglosen
Ladungen der manifesten Variable „Traurigkeit“ zeigen (Ladungen: .09 bzw. .07). Wichtig ist
dagegen die Gestaltung der Bindung an die Eltern. Im Fall einer positiven
Zukunftsorientierung haben die manifesten Variablen „Vertrauen“ und „Kommunikation“, die
eine günstige Beziehung erfassen, sowohl beim Vater wie bei der Mutter ein positives, jene,
die eine ungünstige Beziehung charakterisieren („Negative emotionale Beziehung“ und
„Entfremdung“) ein negatives Vorzeichen. Das Umgekehrte ist bei der negativen
Zukunftsorientierung der Fall. Mit anderen Worten, eine gute, durch Vertrauen und eine
intakte Gesprächsbasis gekennzeichnete Gestaltung der Bindung an die Eltern und die
Abwesenheit negativer Beziehungskomponenten führt dazu, dass die Jugendlichen ihre
Zukunft eher in positiver Weise konstruieren. Eine negative Zukunftsorientierung wird
dagegen durch schwierig erlebte emotionale Beziehungen zu beiden Elternteilen, geringes
Vertrauen und fehlende Kommunikationsbereitschaft begünstigt.
Tab. 38. Latente und manifeste Variablen in den Pfadanalysen der positiven und negativen
Zukunftsorientierung
Konstituierende Variablen Ladungen
a/+ b/-
1 Streitverhalten t2
2 Temperament t2 Positive Stimmungslage -81 -80
Unruhe 68 68
Irritierbarkeit 11 12
Rhythmizität 16 16
Triebhaftigkeit/Reaktionsintensität 56 57
3 Streitverhalten t4
4 Erziehungsverhalten t4 Unterstützung 93 93
Strenge 26 23
Zuwendung 81 82
90
5 Streitverhalten t5
a/+ b/-
6 Streitverhalten t6
7 Persönlichkeit t6 Neigung zu überaktiv/unaufmerksamem Verhalten
78 76
Neigung zu oppositionellem Verhalten und Risikobereitschaft
59 62
Prüfungsangst 23 20
Dominanzverhalten 79 79
Ängstlichkeit 48 50
Traurigkeit 09 07
8 Bindung Vater t6 Vertrauen 88 -87
Kommunikation 91 -91
Negative emotionale Beziehung -82 83
Entfremdung -74 75
9 Bindung Mutter t6 Vertrauen 83 -82
Kommunikation 90 -89
Negative emotionale Beziehung -77 78
Entfremdung -75 76
10 Problembelastung t6
11 Konstanz Konstanz der Lebensumstände 80 86
Konstanz der eigenen Persönlichkeit 80 73
12a Zielvariable: Positive Zukunftsorientierung
Gerechte Welt 84
Zukünftige positive Lebensgestaltung 65
Entwicklung in Richtung positive Gesellschaft 68
12b Zielvariable: Negative Zukunftsorientierung
Gegenwärtige gesellschaftliche Probleme
69
Entwicklung in Richtung bedrohte Gesellschaft
70
Zukünftige gesellschaftliche Probleme
76
91
Zunächst interessiert, welche Varianzanteile jeweils durch die fortlaufend in die Pfadanalysen
aufgenommenen Variablen aufgeklärt werden und wie umfassend die Varianzaufklärung
bezüglich der Zielvariablen „positive Zukunftsorientierung“ bzw. „negative
Zukunftsorientierung“ gelingt (s. dazu Tab. 39 und Tab. 40).
Tab. 39. Positive Zukunftsorientierung: Quadrierte multiple Korrelationen R²
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12a
1 0 .08 .49 .18 .66 .70 .19 .26 .73 .59 .17 .39
Tab. 40. Negative Zukunftsorientierung: Quadrierte multiple Korrelationen R²
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12b
1 0 .07 .49 .18 .66 .70 .19 .26 .74 .59 .18 .24
Legende: 01. Streitverhalten t2 09. Bindung Mutter t6 02. Temperament t2 10. Problembelastung 03. Streitverhalten t4 11. Konstanz 04. Erziehungsverhalten t4 12a. Positive Zukunftsorientierung 05. Streitverhalten t5 12b. Negative Zukunftsorientierung 06. Streitverhalten t6 07. Probl. Persönlichkeitseigenschaften 08. Bindung Vater t6
Wie aus den Angaben in Tab. 39 und Tab. 40 hervorgeht, können durch die in die
Pfadanalysen einbezogenen Variablen im Fall der negativen Zukunftsorientierung 24%, im
Fall der positiven Zukunftsorientierung sogar 39% der Varianz aufgeklärt werden. Wie die
einzelnen Einflussvariablen dabei aufeinander wirken, ist aus den in Tab. 41 und Tab. 42
dargestellten PLS-Pfadkoeffizientenmatrizen ersichtlich.
5.6.1 Pfadanalyse der längsschnittlichen Entwicklung einer positiven Zukunftsorientierung
In Tab. 41 ist die Pfadkoeffizientenmatrix der positiven Zukunftsorientierung wiedergegeben.
Die letzte Zeile gibt die direkten Pfade der einzelnen Variablen zur Zielvariable „positive
Zukunftsorientierung“ und damit die direkten Auswirkungen der betreffenden Variable auf
die Zielvariable an.
92
Tab. 41. Modell 1, Pfadanalyse der Positiven Zukunftsorientierung: PLS-Pfadkoeffizientenmatrix
Pfade von:
Str t2
Tp t2
Str t4
Erz t4
Str t5
Str t6
PrP t6
BV t6
BM t6
Pb t6
Ko t6
a
Nach: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
1 t2 Elt. Streitverhalten 0
2 t2 Temperament neg
27
3 t4 Elt. Streitverhalten 62 20
4 t4 Erz.Verh. . -18 -33
5 t5 Elt. Streitverhalten 17 . 65 .
6 t6 Elt. Streitverhalten . . 35 . 42
7 t6 Probl.Persönl. . . . . 46 .
8 t6 P.Bind.Va. (positiv)
. . . -43 . -20 -30
9 t6 P.Bind.Mu. (positiv)
. . -31 . . . . 83
10 t6 Probl.Belast. . -24 -15 . 27 . 26 -40 -20
11 t6 Konstanz 31 . -33 . 16 . . -18 34 .
12 t6 Positive ZukunftserwartungDirekte Pfade
. 28 27 . -16 -32 . 28 28 26 26 PZO
PZO = positive Zukunftsorientierung
Ein schwieriges Temperament des Kindes im Alter von drei Monaten (t2) hat
überraschenderweise gewisse günstige Auswirkungen auf die positive Zukunftsorientierung
im Jugendalter (.28). Dies könnte dadurch begründet sein, dass diese Kinder zunächst mehr
Unterstützung durch die Eltern einfordern und auch erhalten. Wie die pfadanalytischen
Auswertungen der Längsschnittdaten weiters zeigen, wird eine positive Zukunftsorientierung
durch eine durch Streitverhalten gekennzeichnete Partnerschaftsbeziehung der Eltern im Alter
des Kindes von 8 Jahren (t4) zunächst gestützt, wie der positive Pfad von .27 zeigt. Eine
mögliche Erklärung wäre, dass zu diesem Zeitpunkt beide Elternteile noch um die Gunst des
Kindes konkurrieren und es entsprechend stützen. Zu t5 und t6 wirkt sich das elterliche
93
Streitverhalten jedoch zunehmend negativer auf die Erwartung einer positiven Zukunft durch
die Heranwachsenden aus, wie die Pfade von -.16 und -.32 zeigen.
Der direkte Pfad von der selbst eingeschätzten persönlichen Problembelastung zur positiven
Zukunftsorientierung (.26) weist darauf hin, dass aktuelle Probleme zu diesem Zeitpunkt die
Zukunftskonstruktion noch nicht beeinträchtigen. Eine positive Bindung an den Vater (.28)
und die Mutter (.28) und eine höhere Einschätzung der Konstanz der eigenen Persönlichkeit
und Lebensumstände (.26) unterstützen eine positivere Zukunftsorientierung.
Das Muster der vermittelten Pfade erhellt das längsschnittliche Bedingungsgefüge, das diesen
direkten Einflüssen zugrunde liegt. Die entsprechenden Angaben sind den weiteren Werten in
der Pfadkoeffizientenmatrix zu entnehmen. Elterliches Streitverhalten zu t4 beeinträchtigt
besonders die Bindung zur Mutter zu t6 (-.31). Auch die Annahme der Konstanz der eigenen
Persönlichkeit und Lebensumstände wird hierdurch in negativer Weise (-.33) beeinflusst. Sie
wirkt sich daher nur vermittelt über die Bindung auf die positive Zukunftsorientierung aus.
Nicht unerwartet ist die Beziehung des elterlichen Streitverhaltens zu t5, als die Kinder 11
Jahre alt waren, zur erlebten Problembelastung im Jugendalter (.27). Die positive Bindung an
den Vater geht einerseits mit einer positiven Bindung an die Mutter einher (.83), andererseits
führt sie zu einer geringeren Problembelastung (-.40). Das Vertrauen auf die Konstanz steht
jedoch in einer, wenn auch niedrigen, negativen Beziehung zur Bindung an den Vater (-.18).
Die Bindung an die Mutter hat (wie auch die Bindung an den Vater) eine niedrigere
Problembelastung zur Folge (-.20) und einen ausgeprägten positiven Einfluss auf die
Annahme der Konstanz der eigenen Persönlichkeit und Lebensumstände (.34). Wie diese
Befunde zeigen, werden die für die positive Zukunftsorientierung relevanten Einflussgrößen,
die sich in den direkten Pfaden abbilden, durch ein Netzwerk günstiger und ungünstiger
Vorläuferbedingungen gestützt.
Die berichteten Ergebnisse haben neben theoretischen vor allem auch wichtige praktische
Konsequenzen, wenn es z.B. darum geht, bei Jugendlichen eine positive Zukunftsorientierung
aufzubauen: Ohne Aufarbeitung der Entwicklungsgeschichte der Beziehung des betroffenen
Jugendlichen zu beiden Elternteilen und ohne Berücksichtigung der möglicherweise
vorhandenen elterlichen Konflikte wird eine derartige Intervention nicht erfolgreich sein
können. Auch der Befund, dass sich individuelle Faktoren wie das frühe Temperament und
aktuelle Problemlagen wie die zu t6 eventuell vorhandenen problematischen
94
Persönlichkeitseigenschaften nicht direkt auf eine positive Zukunftskonstruktion auswirken,
sondern über die in diesem Alter erlebte Problembelastung wirksam werden, ist von
Wichtigkeit: Im Zuge einer therapeutischen Intervention ist es daher angezeigt, neben
konkreten Problemlösestrategien zur Reduzierung aktueller Belastungen die Arbeit an den
tiefer liegenden emotionalen und sozialen Problemen des Jugendlichen in den
Behandlungsplan einzubeziehen. Diese Vorgangsweise wird durch die im nächsten Abschnitt
berichteten Ergebnisse der Pfadanalyse der Bedingungsfaktoren einer negativen
Zukunftsorientierung ebenfalls nahe gelegt.
5.6.2 Längsschnittliche Vorhersage einer negativen Zukunftsorientierung
Das in der Pfadkoeffizientenmatrix (s. Tab. 42) abgebildete längsschnittliche
Bedingungsmuster einer negativen Zukunftsorientierung ist wesentlich einfacher strukturiert
als jenes der positiven Zukunftskonstruktion: Es finden sich nur 4 direkte Pfade vor.
Vom Temperament des Kindes im Alter von drei Monaten (t2) führt ein direkter Pfad von -
.29 zur negativen Zukunftsorientierung. Dies deutet auf den nachhaltigen Einfluss eines
frühen, durch eine negative Stimmungslage, Unruhe und Reaktionsintensität
gekennzeichneten Temperaments auf die weitere individuelle Entwicklung hin, die schließlich
zu einer eher negativen Zukunftsorientierung Anlass geben kann. Es muss allerdings daran
erinnert werden, dass dies nicht für die typenmäßige Charakterisierung der Heranwachsenden
als „schwierig“ gilt, die eine sehr geringe Stabilität aufweist, wie in Kapitel 2 ausführlich
dargestellt wurde. Elterliches Streitverhalten zu t5 wirkt sich noch nicht verstärkend auf eine
negative Zukunftsorientierung aus (-.27), sondern führt im Gegenteil zu einer Verringerung
der Neigung, sich negativen Zukunftserwartungen hinzugeben. Den betroffenen Kindern
gelingt es im Alter von elf Jahren offenbar noch, trotz der elterlichen Konflikte bedrohliche
Zukunftskonstruktionen zu vermeiden. Zum aktuellen Untersuchungszeitpunkt (t6) hat das
Streitverhalten jedoch einen deutlichen Einfluss auf die Erwartung einer negativen
Zukunftsentwicklung (.40). In dieser Entwicklungsperiode kommt es in vielen Familien zu
einer zum Teil sehr ausgeprägten Verschlechterung der familiären Kommunikation, wie
Kreppner in einer Längsschnittuntersuchung der Kommunikationsformen zwischen Eltern
und ihren Söhnen und Töchtern zeigen konnte (s. Rollett, 2000). Die Art der Kommunikation
95
verändert sich zwischen elf und fünfzehn Jahren nachhaltig in Richtung eines aggressiveren
Umgangs miteinander. Diese negative Entwicklung zeigt auch der Vergleich der Variable
„Kommunikation“ aus dem Bindungsfragebogen zwischen t5 und t6: Sowohl bezüglich des
Vaters als auch der Mutter kommt es zu einer sehr signifikanten Verschlechterung. Es kann
daher vermutet werden, dass die negativen Auswirkungen des elterlichen Streitverhaltens zu
t6 auf die Zukunftskonstruktionen der Jugendlichen unter anderem durch ein allgemein
ungünstigeres, von mehr „Expressed Emotion“ (Neigung zum Ausdruck negativer Gefühle)
charakterisiertes Gesprächsklima zustande kommen. Ein Blick auf die Vorzeichen der
manifesten Variablen, welche die beiden latenten Variablen „Bindung an die Mutter“ und
„Bindung an den Vater“ konstituieren (s. Tab. 42) bestätigt diese Vermutung: Anders als bei
der Vorhersage der positiven Zukunftsorientierung spielen bei der negativen
Zukunftsorientierung eine ungünstig beurteilte Kommunikation und ein mangelndes
Vertrauen sowie eine negativ eingeschätzte emotionale Beziehung und das Erleben von
Entfremdung die entscheidende Rolle. Dementsprechend geht elterliches Streitverhalten zu t6
auch mit einer negativen Einschätzung der Bindung an den Vater einher, wie der Pfad von .21
zeigt. Im Gegensatz zur positiven Zukunftsorientierung spielt eine problematische
Persönlichkeit der Jugendlichen bei der negativen Zukunftskonstruktion eine wichtige Rolle,
wie der direkte Pfad von .32 ausweist. Für die längsschnittliche Entwicklung einer
ungünstigen Persönlichkeit ist vor allem das elterliche Streitverhalten beim Übergang in die
Pubertät (t5) von Einfluss, wie der Pfad von .45 zeigt.
96
Tab. 42. Negative Zukunftsorientierung: PLS-Pfadkoeffizientenmatrix
Pfade von: Str t2
Tp t2
Str t4
Erz t4
Str t5
Str t6
PrP t6
BV t6
BM t6
Pb t6
Ko t6
b
Nach: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
1 t2 Elt. Streitverhalten 0
2 t2 Temp. neg
27
3 t4 Elt. Streitverhalten 62 20
4 t4 Erz.Verh. . -18 -34
5 t5 Elt. Streitverhalten 17 . 64 .
6 t6 Elt. Streitverhalten . . 35 . 42
7 t6 Probl.Persönl. . . . . 45 .
8 t6 N.Bind.Va. (positiv)
. . . 42 . 21 31
9 t6 N.Bind.Mu. (positiv)
. . 31 . . . . 82
10 t6 Probl.Belast. . -24 -15 . 28 . 26 40 20
11 t6 Konstanz 31 . -35 . 19 . . 19 -34 .
12 t6 Negative ZukunftsorientierungDirekte Pfade
. -29 . . -27 40 32 . . . . NZO
Legende: NZO = negative Zukunftsorientierung
Das Befundmuster deutet insgesamt auf eine zunehmend ungünstigere Gestaltung der
Entwicklung der eigenen Zukunftsorientierung hin, wenn ein durch die beschriebenen
Einflussfaktoren initiierter negativer Entwicklungsprozess einmal in Gang gekommen ist.
5.7 Typen der Zukunftsorientierung
Die pfadanalytischen Resultate haben gezeigt, dass die Entwicklung positiver im Gegensatz
zu negativen Zukunftsorientierungen unterschiedlichen Entwicklungslinien folgt. Um diese
allgemeinen Ergebnisse auf konkrete Typen von Jugendlichen beziehen zu können, soll im
nächsten Auswertungsschritt auf den typenorientierten Ansatz zurückgegriffen werden. Dazu
ist es notwendig, Gruppen von Jugendlichen mit charakteristischen Zukunftsorientierungen zu
97
identifizieren. Zu diesem Zweck wurden Clusteranalysen nach dem Verfahren von Ward
durchgeführt, wobei sämtliche Skalen des Zukunftsorientierungs in die Analyse einbezogen
wurden. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Skalen: 1. Entwicklung in Richtung
freundliche Gesellschaft, 2. Zukünftige gesellschaftliche Probleme, 3. Entwicklung in
Richtung bedrohte Gesellschaft, 4. Konstanz der eigenen Persönlichkeit, 5. Zukünftige
positive Lebensgestaltung, 6. Persönliche Problembelastung, 7. Konstanz der
Lebensumstände, 8. Gegenwärtige gesellschaftliche Probleme und 9. Glaube an eine gerechte
Welt.
Die Resultate der Clusteranalyse legten eine 5-Clusterlösung nahe. Die resultierenden fünf
Zukunftsorientierungstypen unterscheiden sich in charakteristischer Weise hinsichtlich der
Bewertung ihrer gegenwärtigen und zukünftigen Lebenssituation und der Erwartung einer
positiven im Gegensatz zu einer negativen Zukunftsgestaltung, wie aus Abb. 14 zu
entnehmen ist.
98
Abb. 14. Unterschiede zwischen den Zukunftsorientierungsclustern in den Skalen des Zukunftsfragebogens
0
1
2
3
4
5
6
Entwicklungin
Richtung
freundlicheG
esellschaft
Zukünftigegesellschaftliche
Probleme
Entwicklung in
Richtung bedrohteG
esellschaft
Konstanz der
eigenenPersönlichkeit
Zukünftige positiveLebensgestaltung
PersönlicheProblem
belastung
Konstanz derLebensum
stände
Gegenw
ärttigegesellschaftliche
Probleme
Gerechte W
elt
Zukunftspesimistische,GegenwartsproblemebagatellisierendeGruppe
RealistischeNormalgruppe
Auf Konstanz bauende,problemsensitiveGruppe
Allgemeinpesimistische,problembelasteteGruppe
Optimistische,unbelastete Gruppe
Die zahlenmäßigen Angaben zu den folgenden Beschreibungen der fünf
Zukunftsorientierungstypen können den Tab. 43 bis Tab. 46 entnommen werden. In diesen
sind die Mittelwerte und Streuungen sowie die Signifikanz der Unterschiede zwischen den
Clustern in den Skalen des Zukunftsorientierungsfragebogens und jenen des NEO-FFI
aufgeführt sind. Erstere Unterschiede sind sämtlich höchst signifikant. In den
Persönlichkeitsdimensionen unterscheiden sich die Zukunftsorientierungstypen zum Großteil
signifikant. Im Fall der Extraversion wird die Signifikanzgrenze knapp verfehlt (p= .054).
Signifikante Differenzen zwischen den einzelnen Zukunftsorientierungsclustern wurden mit
Hilfe des Verfahrens von Tamhane berechnet. In Tab. 43 bis Tab. 46 geben ausgezogene
Klammern signifikante Differenzen zwischen den Clustern an, punktierte tendenziell
signifikante Differenzen.
Die positivste Zukunftsorientierung, sowohl was die Gegenwarts- als auch die Zukunftssicht
betrifft, zeigt die (neun Prozent der Jugendlichen umfassende) „Optimistische, unbelastete
Gruppe“ (Gruppe O), wie wir sie bezeichnet haben. Diese Jugendlichen weisen außerdem die
niedrigste Problembelastung auf und glauben am ehesten an eine gerechte Welt. Im NEO-FFI
99
fallen sie durch die höchsten Ausprägungen in den Dimensionen Gewissenhaftigkeit,
Verträglichkeit, Offenheit, Extraversion und den geringsten Neurotizismuswert auf.
Den Gegensatz dazu bildet die „Allgemein pessimistische, problembelastete Gruppe“ (Gruppe
AP, 12%), für die alle Charakteristika einer negativen Zukunftsorientierung zutreffen. Diese
Jugendlichen haben außerdem die niedrigste Gewissenhaftigkeit, Verträglichkeit und
Extraversion und den höchsten Neurotizismuswert, verfügen aber über die zweithöchste
Offenheit für (kulturelle) Erfahrungen.
Der Gruppe der „Gesellschaftsbezogen zukunftspessimistischen, Gegenwartsprobleme
bagatellisierenden“ Jugendlichen (Gruppe ZP, 20%) gelingt es zwar weitgehend, ihren
gegenwärtigen Alltag und ihre persönliche Zukunft günstig wahrzunehmen, sie haben aber die
niedrigste Erwartung einer Entwicklung der Gesellschaft in eine freundliche Richtung. In der
Skala „Erwartungen zukünftiger gesellschaftlicher Probleme“ zeigen sie eine ähnlich
ungünstige Ausprägung, wie dies bei der Allgemein pessimistischen Gruppe der Fall ist. Sie
fallen außerdem durch den niedrigsten Wert in der NEO-FFI-Skala „Offenheit für
Erfahrungen“ auf und unterscheiden sich diesbezüglich tendenziell von der Allgemein
pessimistischen Gruppe in charakteristischer Weise.
Die „Realistische Normalgruppe“ liegt in den Werten des Zukunftsorientierungsfragebogens
im Mittelbereich. Sie bildet mit 41% die größte Gruppe (Gruppe R). Diese Jugendlichen
sehen zwar gegenwärtige und zukünftige Probleme in durchaus realistischer Weise, lassen
sich jedoch dadurch ihre positive Zukunftssicht nicht beeinträchtigen. Auch bezüglich der
NEO-FFI-Persönlichkeitsdimensionen liegen sie, verglichen mit den anderen Gruppen, im
Mittelbereich.
Eine interessante Zukunftsorientierungsgruppe bildet die „Auf Konstanz bauende,
problemsensitive Gruppe“ (Gruppe K, 18%), die Probleme zwar wahrnimmt, aber auf die
Konstanz der eigenen Persönlichkeit und Lebensumstände als Ressource vertraut, um mit
ihnen fertig zu werden. Sie weisen eine sehr optimistische Sicht ihrer zukünftigen
Lebensgestaltung auf. Jugendliche dieser Gruppe zeigen den zweithöchsten Wert in der
Variable Extraversion. Sie sind zwar an Sozialkontakten interessiert, neigen aber zu
aggressivem Durchsetzungsverhalten in Konfliktsituationen. Von der optimistischen Gruppe
100
unterscheiden sie sich durch eine signifikant niedrigere Verträglichkeit. Möglicherweise
resultiert daher ihre von ihnen selbst höher eingeschätzte aktuelle Problembelastung.
Tab. 43. Unterschiede der Zukunftsorientierungscluster in den Skalen 1-3 des
Zukunftsorientierungsfragebogens
p<000,61,69,86,72,50,94
ZP 3,92R 3,42K 4,35PP 4,25O 2,01
3,66
Entwicklung in 1 N = 28Richtung bedrohte 2 N = 56Gesellschaft 3 N = 25
4 N = 165 N = 12
Gesamt N = 137
p<000,48,82,73,34,54,82
ZP 4,54R 3,69K 4,41PP 4,56O 3,11
4,05
Zukünftige 1 N = 28gesellschaftliche 2 N = 56Probleme 3 N = 25
4 N = 165 N = 12
Gesamt N = 137
p<000,89,74,97
1,04,37
1,01
ZP 3,13R 4,04K 4,29PP 3,29O 5,17
3,90
Entwicklung in 1 N = 28Richtung freundliche 2 N = 56Gesellschaft 3 N = 25
4 N = 165 N = 12
Gesamt N = 137
SignifikanzStandardab-weichung
MittelwertZO-Skalen
Legende: _____ signifikante Differenzen (nach Tamhane) zwischen den Gruppen
------- Tendenz
Tab. 44. Unterschiede der Zukunftsorientierungscluster in den Skalen 4-6 des Zukunftsorientierungsfragebogens
101
p<000,91,71
1,04,94,62,97
ZP 2,53R 2,75K 3,02PP 3,92O 1,89
2,81
Persönliche 1 N = 28Problem- 2 N = 56belastung 3 N = 25
4 N = 165 N = 12
Gesamt N = 137
p<000,48,51,50,50,31,57
ZP 4,65R 4,59K 4,91PP 4,09O 5,34
4,67
Zukünftige 1 N = 28positive 2 N = 56Lebensgestaltung 3 N = 25
4 N = 165 N = 12
Gesamt N = 137
p<000,63,51,72,46,80,73
ZP 3,65R 3,77K 4,67PP 4,32O 4,67
4,05
Konstanz 1 N = 28der eigenen 2 N = 56Persönlichkeit 3 N = 25
4 N = 165 N = 12
Gesamt N = 137
SignifikanzStandardab-weichung
MittelwertZO-Skalen
Legende: _____ signifikante Differenzen (nach Tamhane) zwischen den Gruppen
------- Tendenz
Tab. 45. Unterschiede der Zukunftsorientierungscluster in den Skalen 7-9 des
Zukunftsorientierungsfragebogens
p<000,64,63,81
1,06,86,77
ZP 3,37R 3,56K 3,60PP 3,21O 4,12
3,54
Gerechte 1 N = 28Welt 2 N = 56
3 N = 254 N = 165 N = 12
Gesamt N = 137
p<0001,291,031,121,191,461,32
ZP 2,96R 4,24K 4,64PP 4,94O 3,62
4,08
Gegenwärtige 1 N = 28gesellschaftliche 2 N = 56Probleme 3 N = 25
4 N = 165 N = 12
Gesamt N = 137
p<000,50,56,47,55,50,65
ZP 4,23R 3,91K 4,83PP 3,73O 4,75
4,20
Konstanz der 1 N = 28Lebensumstände 2 N = 56
3 N = 254 N = 165 N = 12
Gesamt N = 137
SignifikanzStandardab-weichung
MittelwertZO-Skalen
Legende: _____ signifikante Differenzen (nach Tamhane) zwischen den Gruppen
------- Tendenz
102
Tab. 46. Unterschiede der Zukunftsorientierungscluster in den Persönlichkeitsdimensionen des NEO-FFI
0,0079,387,447,096,425,817,89
ZK 29,36R 31,80K 30,20PP 35,37O 25,08
30,84
Neurotizismus 1 N = 282 N = 563 N = 254 N = 165 N = 12
Gesamt N = 137
0,0547,686,845,266,564,146,68
ZK 46,29R 47,41K 49,32PP 44,62O 51,08
47,53
Extraversion 1 N = 282 N = 563 N = 254 N = 165 N = 12
Gesamt N = 137
0,0287,087,216,095,036,206,86
ZK 40,11R 44,46K 42,64PP 45,06O 45,92
43,44
Offenheit 1 N = 282 N = 563 N = 254 N = 165 N = 12
Gesamt N = 137
0,0175,584,724,455,992,945,05
ZK 41,96R 43,37K 41,48PP 39,87O 45,58
42,53
Verträglichkeit 1 N = 282 N = 563 N = 254 N = 165 N = 12
Gesamt N =137
0,0297,007,268,24
10,217,157,97
ZK 44,32R 42,68K 43,24PP 37,75O 46,83
42,91
Gewissenhaftigkeit 1 N = 282 N = 563 N = 254 N = 165 N = 12
Gesamt N =137
Sign.(ANOVA)
Standardab-weichung
MittelwertNEO-FFI Skala
Legende: _____ signifikante Differenzen (nach Tamhane) zwischen den Gruppen
------- Tendenz
Für die Beratungspraxis sind vor allem die berichteten Ergebnisse zur Lage der allgemein
pessimistischen Clustergruppe und der Gruppe der „Gesellschaftsbezogen
103
zukunftspessimistischen, Gegenwartsprobleme bagatellisierenden“ Jugendlichen von
Bedeutung. Auf sie soll daher kurz eingegangen werden. Wie die hohen Neurotizismuswerte
der pessimistischen Gruppe zeigen, handelt es sich um sehr labile Jugendliche. Ihre geringen
Extraversionswerte lassen vermuten, dass sie dazu neigen, sich sozialen Erfahrungen zu
entziehen, was ihre Problematik zusätzlich verstärken dürfte, da die Gefahr besteht, dass sie
sich zunehmend immer mehr isolieren. Unterstützt wird diese ungünstige Entwicklung noch
dadurch, dass sie ebenfalls nur über eine vergleichsweise gering ausgeprägte Verträglichkeit
verfügen. Auch ihre niedrigen Werte in der Skala Gewissenhaftigkeit stellen einen gewissen
Risikofaktor dar, da dies bedeuten kann, dass sie ihnen übertragene Aufgaben eher
mangelhaft erledigen, was zu Konflikten mit ihrer sozialen Umwelt Anlass geben kann.
Die Jugendlichen, die der Gruppe der „Gesellschaftsbezogen zukunftspessimistischen,
Gegenwartsprobleme bagatellisierenden“ Adoleszenten angehören, stellen vor allem deshalb
eine Risikogruppe dar, weil sie einseitig auf die Gegenwart fokussiert sind, gleichzeitig aber
die Zukunft in einer negativen Perspektive sehen. Diese Diskrepanz kann langfristig zu
Problemen Anlass geben, wenn sie dazu führt, dass die Betroffenen zu wenig in die
Gestaltung ihrer eigenen Zukunft investieren.
In beiden Fällen ist es notwendig, Jugendliche, bei denen derartige Entwicklungen zu
befürchten sind, möglichst früh zu identifizieren, um ihnen entsprechende Hilfen anbieten zu
können. Die in der vorliegenden Studie eingesetzten Diagnoseinstrumente können dabei eine
Entscheidungsgrundlage darstellen.
104
6. Die Berufsinteressen der Jugendlichen Brigitte Rollett und Monika Pucher
6.1 Erhebung der Berufsinteressen
Eine wichtige „Entwicklungsaufgabe“ in der Adoleszenz besteht in der Auswahl eines den
eigenen Interessen und Kompetenzen entsprechenden Berufsweges. Den Jugendlichen der
Untersuchungsstichprobe wurde daher der Berufsinteressentest von Irle und Allehoff (1984)
vorgelegt. Bei diesem Verfahren werden die Jugendlichen danach gefragt, wie gern bzw.
ungern sie eine bestimmte berufliche Tätigkeit ausüben würden, wobei eine fünf-stufige Skala
benützt wird (Beispielitem: „In der Fabrik Produktionskosten berechnen“).
Für die individuenbezogene Auswertung werden die Summenwerte der einzelnen Probanden
in Prozentränge umgewandelt. Nach den Auswertungsrichtlinien des Tests bedeutet ein
Prozentrang von 15 und weniger bezüglich des Interesses an einem Berufsfeld „Abneigung“,
ein Prozentrang von 85 bis 94 „hohes Interesse“ und ein Prozentrang von 95 und höher „sehr
hohes Interesse“. Für die folgenden Auswertungen wurden zwei weitere Kategorien gebildet,
um eine größere Differenzierung zu erreichen: Prozentrang 16 bis 50 wurde als „eher
Abneigung“ gegen das betreffende Berufsfeld bezeichnet, Prozentrang 51 bis 84 mit „eher
Interesse“ an dem Berufsfeld. Da sich nur vereinzelt Jugendliche mit einem Prozentrang von
95 und mehr vorfanden, wurden sie für die folgenden Auswertungen zur Kategorie „hohes
Interesse“ dazugezählt. Tab. 47 gibt die resultierenden Häufigkeiten für die verschiedenen
Ausprägungen des Interesses der Jugendlichen an den einzelnen Berufen an.
Tab. 47. Berufsinteressen der Jugendlichen: Häufigkeiten der Ausprägungen
Berufsinteresse TH EH VB GH LF LG TN KB SE Abneigung 47 38 54 58 75 36 54 53 34 eher Abneigung 56 47 44 32 32 39 44 49 57 eher Interesse 23 35 18 25 20 31 25 18 33 hohes Interesse 11 17 21 22 10 31 13 17 13 TH = Technisches Handwerk EH = Ernährungs-Handwerk VB = Verwaltende Berufe GH =Gestaltendes Handwerk LF = Land- und forstwirtschaftliche Berufe TN = Technische und naturwissenschaftliche Berufe
LG = Literarische und geisteswissenschaftliche Berufe
SE = Sozialpflege und Erziehung KB = Kaufmännische Berufe
105
In den folgenden Auswertungen wird je nach Fragestellung entweder auf die individuellen
Prozentrangkategorien oder die Originaldaten zurückgegriffen.
6.2 Bevorzugungen von und Abneigungen gegen bestimmte Berufsfelder
Wie bereits aus Tab. 47 ersichtlich ist, sind die Abneigungen gegen die einzelnen Berufsfelder
wesentlich ausgeprägter als die Interessensbekundungen. Zur besseren Veranschaulichung
werden in Abb. 15 die Angaben der Jugendlichen über ihre Bevorzugung bzw. Abneigung
gegenüber den im Berufsinteressentest abgefragten Berufen in Prozent wiedergegeben.
05
1015202530354045
Tec
hnis
ches
Han
dwer
k
Ernä
hrun
gs-H
andw
erk
Ver
wal
tend
e B
eruf
e
Ges
talte
ndes
Han
dwer
k
Land
- und
Fors
twirt
scha
ftlic
heB
eruf
e
Lite
raris
che
und
Gei
stes
wis
sens
chaf
tlich
e B
eruf
e
Tech
nisc
he u
ndN
atur
wis
sens
chaf
tlich
eB
eruf
e
Kau
fmän
nisc
he B
eruf
e
Sozi
alpf
lege
und
Erzi
ehun
g
Proz
ent
Abneigungeher Abneigungeher Interessehohes Interesse
Abb. 15. Berufsinteressen: Prozentangaben
Wie Abb. 15 zeigt, finden sich klare Bevorzugungen einer bestimmten Berufskategorie nur
bei 6% (Technisches Handwerk) bis höchstens 17% (Literarische und
Geisteswissenschaftliche Berufe) der Jugendlichen der Studie. Zwischen 10% und 20% der
Jugendlichen haben an den abgefragten Berufen zumindest „eher Interesse“. Dies bestätigt
Erfahrungen aus der Beratungspraxis, die zeigen, dass viele Jugendliche dieser Altersgruppe
über klare Vorstellungen über den von ihnen gewünschten Berufsweg verfügen. Dies kann im
Einzelfall zu unüberlegten Entscheidungen bezüglich der Berufswahl bzw. der
eingeschlagenen Ausbildungswege führen. Bei jenen Jugendlichen, die bereits nach
Absolvierung der neunjährigen Schulpflicht in das Berufsleben eintreten, ist daher häufig ein
Wechsel, entweder schon während der Berufsausbildung oder nach ihrem Abschluss, zu
beobachten.
106
6.3 Berufsinteressen von männlichen und weiblichen Jugendlichen im Vergleich
Im nächsten Auswertungsschritt wurden Unterschiede in den Berufsinteressen zwischen
männlichen und weiblichen Jugendlichen varianzanalytisch überprüft, wobei die Rohwerte
verwendet wurden (s. Tab. 48).
Tab. 48. Berufsinteressen und Geschlecht der Jugendlichen (ANOVA)
Berufsinteressen N M SD p
Technisches Handwerk weiblich 71 1.62 .639
.001 männlich 66 2.20 .932 Gesamt 137 1.90 .843
Ernährungs-Handwerk weiblich 71 2.77 .621
.032 männlich 66 2.51 .765 Gesamt 137 2.64 .703
Verwaltende Berufe weiblich 71 1.91 .745
.002 männlich 66 2.35 .848 Gesamt 137 2.13 .824
Gestaltendes Handwerk weiblich 71 3.02 .846
<.001 männlich 66 1.95 .737 Gesamt 137 2.51 .957
Land- und Forstwirtschaftliche Berufe weiblich 71 2.37 .895
.374 männlich 66 2.24 .876 Gesamt 137 2.31 .885
Literarische und Geisteswissenschaftliche Berufe
weiblich 71 2.84 .877 <.001 männlich 66 2.20 .858
Gesamt 137 2.53 .923
Technische und Naturwissenschaftliche Berufe
weiblich 71 2.00 .756 <.001 männlich 66 2.47 .784
Gesamt 137 2.23 .803
Kaufmännische Beruf weiblich 71 2.25 .608
.274 männlich 66 2.38 .807 Gesamt 137 2.31 .711
Sozialpflege und Erziehung weiblich 71 3.08 .812
<.001 männlich 66 2.31 .789 Gesamt 137 2.71 .887
Kodierung: 1= sehr ungern 2= ungern 3 = weder gerne och ungern 4 = gern 5 = sehr gern
Die erzielten Resultate entsprechen weitgehend den unterschiedlichen
Geschlechtsrollenbildern: Die männlichen Jugendlichen zeigen signifikant höhere
Ausprägungen beim technischen Handwerk, den verwaltenden Berufen sowie den technischen
107
und naturwissenschaftlichen Berufen, die weiblichen Jugendlichen beim
Ernährungshandwerk, dem gestaltenden Handwerk, den literarischen und
geisteswissenschaftlichen Berufen und der Sozialpflege und Erziehung. Keine Unterschiede
fanden sich bei den land- und forstwirtschaftlichen sowie den kaufmännischen Berufen. Aus
Abb. 16 sind die unterschiedlichen Bevorzugungen ersichtlich.
Sozialpflege und Erziehung
Kaufmännische Berufe
Technische und N
aturwissenschaftliche
Berufe
Literarische und G
eisteswissenschaftliche
Berufe
Land- und Forstw
irtschaftliche Berufe
Gestaltendes H
andwerk
Verwaltende Berufe
Ernährungs-Handw
erk
Technisches Handw
erk
4
3
2
1
0
männlichweiblich
Abb. 16. Berufsinteresse nach Geschlecht Kodierung: 1= sehr ungern 2= ungern 3 = weder gerne och ungern 4 = gern 5 = sehr gern
6.4 Die Bedeutung bestimmter Aspekte der individuellen Soziabilität für die Berufswahl
Im Zuge der Berufsberatung ist es wichtig, nicht nur festzustellen, ob die Ratsuchenden sich
für bestimmte Berufsgruppen interessieren, sondern auch, ob sie in diesem Rahmen eher
Umgang mit Menschen suchen oder diesen lieber vermeiden möchten. Dies hat wesentliche
108
Auswirkungen auf die Zufriedenheit im Beruf. Dieselbe Berufskategorie kann Positionen
anbieten, bei denen man ständig mit Menschen zu tun hat und andere, bei denen dies kaum
der Fall ist. Aus diesem Grund wurde zusätzlich zu dem Berufsinteressentest der F-BIL von
Pollmann (1996) administriert, der die Bereitschaft erfasst, im Beruf mit Kunden aktiv
Kontakt aufzunehmen bzw. Gespräche zu führen.
6.4.1 Methodisches Vorgehen
In einem ersten Auswertungsschritt wurden die Items des F-BIL einer Faktorenanalyse
(Hauptkomponentenanalyse mit Varimax-Rotation) unterzogen. Es ergaben sich zwei klar
unterschiedene Faktoren mit einem Eigenwert über 1. Die Trennschärfen der resultierenden
Skalen liegen zwischen .534 und .634. Der erste Faktor beinhaltet 5 Items, die Tätigkeiten
umfassen, bei denen zwar Kontakt mit Menschen notwendig ist, die Intensität der
Interaktionen mit ihnen aber selbst gestaltet werden kann (Beispielitem: „In einem Hotel
Gäste betreuen“, Cronbach`s Alpha = .81). Der zweite Faktor besteht aus Items, in denen vom
Akteur intensive Gesprächskontakte verlangt werden (Beispielitem: „Eine Diskussion in der
Schule leiten“, Cronbach`s Alpha = .76).
Zur Überprüfung der Validität wurden die Skalen der Persönlichkeitsdimensionen des NEO-
FFI (s. Tab. 49) und die Skalen „Extraversion“ und „Introversion“ aus dem
Temperamentsfragebogen (s. Tab. 50) herangezogen. Die Korrelationen sind zwar nicht sehr
hoch, liegen aber in der erwarteten Richtung.
Tab. 49. Korrelation nach Pearson: F-BIL-Skalen und NEO-FFI zu t6
NEO-FFI Skalen Berufliche Interaktionsbereitschaft Berufliche Kommunikationsbereitschaft Offenheit ,240** ,334** Extraversion ,242** ,327** ** Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,01 (2-seitig) signifikant.
Tab. 50. Korrelation nach Pearson: F-BIL-Skalen und Temperament der Jugendlichen zu t6 Temperament Berufliche Interaktionsbereitschaft Berufliche Kommunikationsbereitschaft Extraversion ,242** ,327** Introversion -.169 -.215* ** Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,01 (2-seitig) signifikant. *Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,05 (2-seitig) signifikant.
109
6.5 Die Bedeutung der beruflichen Interaktions- und Kommunikationsbereitschaft für die beruflichen Interessen
Um ermitteln zu können für welche Berufsinteressen die selbsteingeschätzte berufliche
Interaktions- und Kommunikationsbereitschaft von Bedeutung sind, wurden Korrelationen
berechnet. Hier zeigen sich interessante Ergebnisse. Jugendliche, die sich für das technische
Handwerk interessieren, geben nur eine geringe berufliche Interaktions- und
Kommunikationsbereitschaft an. Bei den verwaltenden Berufen sowie den technischen und
naturwissenschaftlichen Berufen besteht eine ähnliche Lage bezüglich der beruflichen
Interaktionsbereitschaft, jedoch sehr signifikante, wenn auch niedrige Korrelationen im
Hinblick auf die beruflichen Kommunikationsbereitschaft (.312 bzw. .227).
Jugendliche, die Probleme beim Kontakt mit Menschen haben, neigen offenbar dazu, sich für
Berufe zu interessieren, bei denen diese Kompetenzen nicht bzw. nicht in exzessiver Form
gefordert werden.
Auf der anderen Seite bestehen deutlich ausgeprägte Korrelationen in jenen Berufsfeldern, die
mit Menschen zu tun haben, wie den kaufmännischen Berufen und im Berufsfeld Sozialpflege
und Erziehung. Die vergleichsweise hohen Korrelationen bei den Berufsfeldern
Ernährungshandwerk und gestaltendes Handwerk könnten dadurch begründet sein, dass diese
Berufsgruppen auf einen Abnehmerkreis hinzielen, der von der Qualität der Produkte
überzeugt werden muss.
Überraschend sind die relativ hohen Korrelationen bei den land- und forstwirtschaftlichen
Berufen. Möglicherweise sehen die Jugendlichen, die sich für dieses Berufsfeld interessieren,
darin unter anderem eine Chance, in Teams zu arbeiten. Eine Reihe der Items dieser Skala
weisen in diese Richtung (z.B. „Nutzholzforste anpflanzen“ oder „neue Tiergattungen in
Waldgebieten ansiedeln“), da es sich um Tätigkeiten handelt, die nicht in Einzelarbeit zu
erledigen sind, sondern Interaktionen im Team erfordern. Interesse für die literarisch-
geisteswissenschaftliche Berufsgruppe geht eher mit der Bereitschaft, zu kommunizieren
einher und weniger mit jener zur Interaktion, obwohl auch zu letzterer signifikante, wenn
auch deutlich niedrigere Korrelationen bestehen.
110
Tab. 51. Berufsinteressen und Interaktions- bzw. Kommunikationsbereitschaft: Korrelationen
Berufsinteressen Berufliche Interaktionsbereitschaft
Berufliche Kommunikationsbereitschaft
Technisches Handwerk .090 .167 Ernährungshandwerk .651** .461** Verwaltende Berufe .164 .312** Gestaltendes Handwerk .666** .558** Land- und forstwirtschaftliche Berufe .506** .408** Literarische und geisteswissenschaftliche Berufe .364** .507** Technische und naturwissenschaftliche Berufe .144 .227** Kaufmännische Berufe .503** .547** Sozialpflege und Erziehung .651** .660** ** Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,01 (2-seitig) signifikant. *Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,05 (2-seitig) signifikant. Die Ergebnisse bestätigen die Bedeutung der individuellen Interaktions- und
Kommunikationsbereitschaft für die interessensgeleitete Berufswahl. Welche Beziehungen
zwischen den Berufsinteressen und den bevorzugten Freizeitaktivitäten bestehen, wird im
nächsten Kapitel in Abschnitt 7.15 dargestellt.
111
7. Das jugendtypische Freizeitverhalten Brigitte Rollett, Karin Brandl, Monika Pucher und Harald Werneck
Nicht nur die Auseinandersetzung mit der Berufswahl, sondern auch die Gestaltung eines
angemessenen jugendlichen Freizeitverhaltens stellt eine bedeutende Entwicklungsaufgabe
des Jugendalters dar. Das jugendliche Freizeitverhalten liefert außerdem den Rahmen für die
jugendliche Ablösung von den Eltern und die Integration in gleichgesinnte (in diesem Alter
zunehmend gemischt geschlechtlich zusammengesetzte) Peergruppen. Es eröffnet
Möglichkeiten, sich selbst in verschiedenen selbst gewählten Kontexten besser kennen zu
lernen und zu erproben. Bei diesem Prozess spielen sowohl individuelle
persönlichkeitsbezogene als auch familiäre und peergruppenbezogene Rahmenbedingungen
eine Rolle.
7.1 Zur Methodik: Entwicklung eines Freizeitverhaltens-fragebogens
Für die vorliegende Untersuchung wurde ein neuer Freizeitverhaltensfragebogens entwickelt.
Die Items wurden in Form einer vierstufigen Likertskala (von „nie“ bis „sehr häufig“
abgefragt. Faktorenanalytisch konnten sechs Skalen ermittelt werden: 1. „Kulturelles
Freizeitverhalten“, 2. „Jugendtypisches gesellschaftliches Freizeitverhalten“, 3. „Praktisch-
kreatives Freizeitverhalten“, 4. Medienorientiertes Freizeitverhalten“, 5. „Sportbezogenes
Freizeitverhalten“ und 6. „Traditionelles Freizeitverhalten“. In Tab. 52 findet sich ein
Überblick über die Skalen.
112
Tab. 52. Skalen des Freizeitverhaltensfragebogens
Skala Item-anzahl α Trennschärfen Beispielitem
1. Kulturelles Freizeitverhalten 11 .82 .367 - .607 „Theater, Museen, Galerien besuchen“
2. Jugendtypisches gesellschaftliches Freizeitverhalten
9 .80 .351 - .568 „In die Disco gehen“
3. Praktisch kreatives Freizeitverhalten
4 .66 .352 - .589 „Basteln, Heimwerken, o. ä.“
4. Medienorientiertes Freizeitverhalten 5 .59 .248 - .517 „Im Internet surfen“ 5. Sportbezogenes Freizeitverhalten 2 .70 .434 - .541 „Sport/sportliche Betätigung,
Fitness“ 6. Traditionelles Freizeitverhalten 5 .53 .253 - .377 „Gesellschaftsspiele spielen“ α = Cronbach`s Alpha
Mit Ausnahme der Skala „Traditionelles Freizeitverhalten“ liegen alle Reliabilitäten im
akzeptablen bis guten Bereich.
7.2 Häufig und weniger häufig ausgeübte Freizeitaktivitäten Wie aus Abb. 17 hervorgeht, in der die Bevorzugungen der einzelnen Freizeitbetätigungen
dargestellt werden, wird das medienorientierte Freizeitverhalten am häufigsten ausgeübt,
gefolgt vom sportbezogenen und traditionellen Freizeitverhalten, am seltensten die praktisch-
kreativen Freizeitaktivitäten.
113
3
2
1
0 traditionelles Freizeitverhalten
sportbezogenes Freizeitverhalten
medienorientiertes
Freizeitverhalten
praktisch-kreatives Freizeitverhalten
jugendtypisches gesellschaftliches Freizeitverhalten
kulturelles Freizeitverhalten
Abb. 17. Bevorzugtes Freizeitverhalten Legende: 1=nie, 2=gelegentlich, 3=häufig, 4=sehr häufig
Im Folgenden wird verschiedenen Fragestellungen nachgegangen, die sich auf die
Bevorzugung bestimmter Freizeitbeschäftigungen beziehen.
7.3 Kognitive Kompetenzen und bevorzugtes Freizeitverhalten
Da zu vermuten war, dass bestimmte Freizeitinteressen und damit auch die Ausübung dieser
Freizeitformen mit den kognitiven Kompetenzen der Jugendlichen in Beziehung stehen,
wurden diese mit Hilfe des Wortschatztests und des Zahlenfolgentests aus dem CFT-20
erhoben. Hier zeigt sich, dass jenes Viertel der Jugendlichen, die in beiden Fällen die
geringsten Fähigkeiten aufweisen, sehr signifikant häufiger medienorientiertes
Freizeitverhalten ausüben als das Quartil mit den besten Leistungen im CFT-20 (s. Tab. 53
und Tab. 54). Beim kulturellen Freizeitverhalten zeigt die Gruppe mit den besten Ergebnissen
114
im Wortschatztest des CFT-20 tendenziell eine höhere Bevorzugung. Das Ergebnis verfehlt
die Signifikanzgrenze nur sehr knapp.
Tab. 53. Freizeitverhalten und Leistungen im Wortschatztest (ANOVA)
FV-Skala Prozentrang im Wortschatztest N M SD p
Kulturelles FV¹ 0-24 PR 8 1.78 0.38
.053 25-74 PR 85 1.85 0.52 75-100 PR 44 2.07 0.52
Jugendtypisches gesellschaftliches FV¹
0-24 PR 8 2.19 0.54 .835 25-74 PR 85 2.29 0.58
75-100 PR 44 2.32 0.55
Praktisch-kreatives FV² 0-24 PR 8 2.13 0.60
.220 25-74 PR 85 1.76 0.59 75-100 PR 44 1.78 0.61
Medienorientiertes FV¹ 0-24 PR 8 3.05 0.55
.044 25-74 PR 85 2.76 0.52 75-100 PR 44 2.58 0.58
Sportbezogenes FV¹ 0-24 PR 8 2.50 1.10
.233 25-74 PR 85 2.67 0.74 75-100 PR 44 2.41 0.94
Traditionelles FV¹ 0-24 PR 8 2.45 0.61
.654 25-74 PR 85 2.49 0.50 75-100 PR 44 2.58 0.61
Legende: ¹= einfaktorielle Varianzanalyse; ²= Kruskal-Wallis-Test; PR= Prozentrang; N= Stichprobengröße; M= Mittelwert; SD= Standardabweichung; p= Signifikanz (Quelle: Brandl,2008)
115
Tab. 54. Freizeitverhalten und Leistungen im Zahlenfolgentest (ANOVA)
FV-Skala Prozentrang im Zahlenfolgentest N M SD p
Kulturelles FV 0-24 PR 23 2.02 0.54
.429 25-74 PR 78 1.93 0.56 75-100 PR 36 1.84 0.42
Jugendtypisches gesellschaftliches FV
0-24 PR 23 2.49 0.54 .065 25-74 PR 78 2.31 0.59
75-100 PR 36 2.15 0.47
Praktisch-kreatives FV 0-24 PR 23 1.98 0.72
.235 25-74 PR 78 1.76 0.58 75-100 PR 36 1.72 0.54
Medienorientiertes FV 0-24 PR 23 3.07 0.46
.001 25-74 PR 78 2.70 0.56 75-100 PR 36 2.52 0.50
Sportbezogenes FV 0-24 PR 23 2.52 0.96
.769 25-74 PR 78 2.62 0.80 75-100 PR 36 2.51 0.83
Traditionelles FV 0-24 PR 23 2.55 0.59
.946 25-74 PR 78 2.52 0.50 75-100 PR 36 2.50 0.60
Legende: PR= Prozentrang; N= Stichprobengröße; M= Mittelwert; SD= Standardabweichung; p= Signifikanz (Quelle: Brandl,2008)
7.4 Beziehungen zwischen Anstrengungsvermeidung bzw. Pflichteifer und Freizeitverhalten
Die Tendenz zur Anstrengungsvermeidung in Leistungssituationen wurde mit dem AVT von
Rollett und Bartram (1998³) erhoben. Hier besteht eine, wenn auch nur geringfügige,
signifikante negative Korrelation von -.189 zwischen Anstrengungsvermeidung und dem
kulturellem Freizeitverhalten, aber eine positive Korrelation von .269 mit dem
medienorientierten Freizeitverhalten. Erstere Freizeitaktivitäten sind eher mit Mühen
verbunden, während letztere passive Formen der Freizeitgestaltung darstellen und daher einer
Neigung zur Vermeidung von Anstrengungen mehr entgegen kommen.
Beim Pflichteifer bestehen dagegen signifikante positive Korrelationen zum kulturellen
(.255), zum praktisch kreativen (.263) und zum traditionellen Freizeitverhalten (.259), deren
Ausübung allgemein mit einem gewissen Aufwand verbunden ist.
116
Tab. 55. Korrelationen zwischen AVT-Skalen und Freizeitverhaltens-Skalen
Skala Anstrengungs-vermeidung Pflichteifer
Kulturelles FV r= -.189* p= .029
r= .255** p= .003
Jugendtypisches Gesellschaftliches FV r= -.012 p= .889
r= .036 p= .680
Praktisch-kreatives FV r= -.022 p= .805
r= .263** p= .002
Medienorientiertes FV r= .263** p= .002
r= .027 p= .753
Sportbezogenes FV r= -.007 p= .932
r= -.153 p= .078
Traditionelles FV r= -.162 p= .061
r= .259** p= .003
Legende: r= Korrelationskoeffizient; p= Signifikanz ; **=signifikant auf dem Niveau von 0.01 (zweiseitig); *= signifikant auf dem Niveau von 0.05 (zweiseitig); pairwise N= 134 (Quelle: Brandl,2008)
7.5 Geschlechtstypische Unterschiede im Freizeitverhalten
Ein wichtiger Fragenkreis betrifft die Geschlechtsunterschiede beim Freizeitverhalten. Wie
aus Abb. 18 hervorgeht - bestehen mit Ausnahme des medienorientierten Freizeitverhaltens -
in allen Skalen Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Jugendlichen.
00,5
11,5
22,5
33,5
kultu
relles
FV
jugen
dtyp.
Gesell
scha
ftl. FV
prak
tisch
-krea
tives
FV
medien
orien
tierte
s FV
sport
bezo
gene
s FV
tradit
ionell
es F
V
männlichweiblich
Abb. 18. Bevorzugung der Freizeitbeschäftigungen nach Geschlechtern: Häufigkeiten (Quelle:
Brandl, 2008)
117
Aus Tab. 56, die die Mittelwertsvergleiche enthält, ist ersichtlich, dass jugendtypisches
gesellschaftliches Freizeitverhalten von den weiblichen Jugendlichen, sportliches
Freizeitverhalten von den männlichen Jugendlichen sehr signifikant häufiger ausgeübt wird.
In diesem Ergebnis manifestieren sich offenbar geschlechtstypische Rollenbilder. Mit
Ausnahme des medienorientierten Freizeitverhaltens haben jeweils die Mädchen bei den
anderen Freizeitbeschäftigungen sehr signifikant höhere Ausprägungen als die männlichen
Jugendlichen. Weibliche Jugendliche sind danach in der Freizeit nicht nur allgemein
engagierter, sondern an vielfältigeren Aktivitäten interessiert. Bei der Beschäftigung mit
Medien zeigen sich dagegen keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern.
Tab. 56. Geschlechtsunterschiede in den Freizeitverhaltens-Skalen
Skalen Weibliche Jugendliche N = 71
Männliche Jugendliche N = 66
M SD M SD p Kulturelles FV¹ 2.09 0.51 1.73 0.48 <.001 Jugendtypisches gesellschaftliches FV¹ 2.53 0.51 2.04 0.53
<.001
Praktisch-kreatives FV² 1.93 0.65 1.63 0.49 .006
Medienorientiertes FV¹ 2.76 0.57 2.67 0.53 .320
Sportbezogenes FV² 2.27 0.79 2.90 0.76 <.001
Traditionelles FV² 2.68 0.50 2.34 0.53 <.001 Legende: ¹= t-Test für unabhängige Stichproben; ²= Mann-Whitney-Test; N= Stichprobengröße; M= Mittelwert; SD= Standardabweichung; p= Signifikanz (Quelle: Brandl, 2008)
7.6 Sozioökonomischer Status
Auch bezüglich des sozio-ökonomischen Status (wobei sowohl der Status der Mutter als auch
des Vaters untersucht wurde) konnten vereinzelt gewisse Unterschiede im Freizeitverhalten
der Jugendlichen festgestellt werden: Jugendliche, deren Mütter der oberen
Mittelschicht/Oberschicht angehören, zeigen ein signifikant höheres Interesse an kulturellen
Freizeitaktivitäten. Tendenziell gilt dies auch für das traditionelle Freizeitverhalten (p = .068).
Sie unterscheiden sich diesbezüglich von Jugendlichen, deren Mütter der Unterschicht
zuzuzählen sind. Der sozio-ökonomische Status des Vaters hat hier keinen Einfluss, was
darauf hindeutet, dass für diese Freizeitaktivitäten die Sozialisation durch die Mutter
entscheidend ist.
118
7.7 Höhe des wöchentlichen Taschengeldes und bevorzugte Freizeitaktivitäten
Da angenommen werden konnte, dass das den Jugendlichen zur Verfügung stehende
Taschengeld einen gewissen Einfluss auf die Zugänglichkeit bestimmter Freizeitangebote und
damit das Freizeitverhalten haben könnte, wurde auch die Höhe des wöchentlichen
Taschengeldes abgefragt. Es zeigte sich, dass das Taschengeld tatsächlich nicht ohne
Auswirkungen auf das von den Jugendlichen bevorzugte Freizeitverhalten ist (s. Abb. 19)
0
0,5
1
1,5
2
2,5
3
0-5€ >5-10€ >10-20€ >20€
Kulturelles FV
Jugendtypisches gesellschaf t. FV
Praktisch-kreatives FV
Medienorientiertes FV
Sportbezogenes FV
Traditionelles FV
Abb. 19. Grafische Darstellung der Skalen-Mittelwerte der 4 Taschengeldgruppen
Signifikante Unterschiede zwischen den „Taschengeldgruppen“ bestehen bezüglich des
kulturellen, des jugendtypisch gesellschaftlichen und des traditionellen Freizeitverhaltens.
Kulturelles und traditionelles Freizeitverhalten wird von Jugendlichen mit einem hohen
Taschengeld (20€ und mehr) sehr signifikant bzw. signifikant seltener ausgeübt. Jugendliche,
die nur über ein geringes Taschengeld verfügen (0-5€) beteiligen sich am wenigsten an
jugendtypischem Freizeitverhalten wie z.B. „Ausgehen“, „Shoppen“, „Telefonieren“ etc. (s.
dazu Tab. 57).
119
Tab. 57. Unterschiede im Freizeitverhalten aufgrund der Höhe des Taschengeldes
Skala Taschengeld/Woche N M SD p
Kulturelles FV¹
0-5€ 45 2.03 0.50
.003 >5-10€ 46 1.84 0.54
>10-20€ 30 2.06 0.50 >20€ 16 1.55 0.38
Jugendtypisches gesellschaftliches FV¹
0-5€ 45 2.11 0.42
.036 >5-10€ 46 2.35 0.59
>10-20€ 30 2.48 0.63 >20€ 16 2.33 0.58
Praktisch-kreatives FV²
0-5€ 45 1.96 0.65
.099 >5-10€ 46 1.78 0.63
>10-20€ 30 1.62 0.42 >20€ 16 1.64 0.52
Medienorientiertes FV¹
0-5€ 45 2.70 0.57
.691 >5-10€ 46 2.67 0.58
>10-20€ 30 2.75 0.55 >20€ 16 2.85 0.42
Sportbezogenes FV²
0-5€ 45 2.53 0.86
.195 >5-10€ 46 2.77 0.77
>10-20€ 30 2.38 0.84 >20€ 16 2.50 0.89
Traditionelles FV²
0-5€ 45 2.64 0.57
.016 >5-10€ 46 2.50 0.55
>10-20€ 30 2.55 0.49 >20€ 16 2.16 0.36
Legende: ¹=einfaktorielle Varianzanalyse; ²= Kruskal-Wallis-Test; N= Stichprobengröße; M= Mittelwert; SD= Standardabweichung; p= Signifikanz (Quelle: Brandl, 2008)
7.8 Computerbesitz, Computernutzung und Freizeitverhalten
Um den Einfluss des Computerbesitzes auf das Freizeitverhalten untersuchen zu können,
wurden die Jugendlichen danach gefragt, ob sie über einen eigenen Computer verfügen. 64%
der Jugendlichen gaben an, einen Computer zu besitzen. Interessant war in diesem
Zusammenhang, dass nach wie vor weibliche Jugendliche seltener einen eigenen Computer
zur Verfügung haben (s. Tab. 58): Nur 54% der Mädchen, aber 76% der Burschen besitzen
einen eigenen Computer.
120
Tab. 58. Besitz eines eigenen PCs nach Geschlecht
Chi-Quadrat= 7.362 df= 1 p= .007 (Quelle: Brandl, 2008)
Der Besitz eines Computers entscheidet unter anderem über die bevorzugte
Freizeitbeschäftigung mit, wie die folgenden Ergebnisse zeigen (s. Tab. 59): Praktisch-
kreatives und traditionelles Freizeitverhalten wird weniger häufig, medienorientiertes
Freizeitverhalten dagegen, wie zu erwarten, häufiger ausgeübt, wenn die Jugendlichen über
einen eigenen Computer verfügen.
Tab. 59. Unterschiede im Freizeitverhalten zw. PC-Besitzern und Nicht-Besitzern
Skala Ja
M SD Nein
M SD p
Kulturelles FV¹ 1.86 0.54 2.01 0.49 .117 Jugendtypisch gesellschaftliches FV ¹ 2.28 0.58 2.32 0.53 .724
Praktisch-kreatives FV² 1.72 0.57 1.92 0.63 .049 Medienorientiertes FV ¹ 2.80 0.52 2.56 0.57 .013 Sportbezogenes FV ¹ 2.57 0.87 2.58 0.77 .959 Traditionelles FV² 2.41 0.52 2.71 0.52 .002 Legende: ¹= t-Test für unabhängige Stichproben; ²= Mann-Whitney-Test; M= Mittelwert; SD= Standardabweichung; p= Signifikanz (Quelle: Brandl, 2008)
Weitere interessante Aufschlüsse ergaben sich hinsichtlich der Stunden, die die Jugendlichen
pro Tag, (unabhängig davon, ob es sich um einen eigenen Computer handelt), vor dem
Computer verbringen. Geht man von den Häufigkeitsangaben der Jugendlichen aus, ergibt
sich folgendes Bild: 40% der Jugendlichen verbringen 0-1 Stunde, 39% >1-2 Stunden, 11%
>2-3 Stunden, 6% >3-4 Stunden und 4% >5 Stunden pro Tag vor dem Computer.
In Tab. 60 sind die Zeitangaben für die Computernutzung nach Geschlechtern
aufgeschlüsselt: 0-1 Stunden pro Tag werden sehr viel häufiger von den weiblichen, höhere
Stundenangaben eher von den männlichen Jugendlichen berichtet.
Beobachtete Anzahl Erwartete Anzahl
nein ja Gesamt
weiblich 33 25,4
38 45,6
71
männlich 16 23,6
50 42,4
66
Gesamt 49 88 137
121
Tab. 60. Geschlechtsunterschiede und Dauer der PC-Nutzung
Beobachtete Anzahl Erwartete Anzahl
0-1 Stunden/Tag
>1-2 Stunden/Tag
>2-3 Stunden/Tag
>3-4 Stunden/Tag
>5 Stunden/Tag
Gesamt
weiblich 38 28,4
22 27,3
5 7,9
3 4,2
3 3,2
71
männlich 16 25,6
30 24,7
10 7,1
5 3,8
3 2,8
64
Gesamt 54 52 15 8 6 135 Signifikanz Gart’s 2i= 10.943 df= 4 p=.0272 (Quelle: Brandl, 2008)
Wie Tab. 61 zeigt, bestehen sehr signifikante Unterschiede zwischen häufig den Computer
nutzenden Jugendlichen und den anderen in folgenden Bereichen: Kulturelles
Freizeitverhalten wird von Jugendlichen signifikant häufiger ausgeübt, die nur 0-1 Stunde pro
Tag am Computer verbringen, am seltensten dagegen von jenen, die 3 und mehr Stunden pro
Tag den Computer nutzen. Tendenziell ist dies auch beim traditionellen Freizeitverhalten der
Fall (p = .07). Beim medienorientierten Freizeitverhalten liegen die Verhältnisse
erwartungsgemäß umgekehrt.
122
Tab. 61. Tägliche PC-Nutzung in Stunden und Freizeitverhalten
Skalen Std. PC/Tag N M SD p
Kulturelles FV¹
0-1 Std./Tag 54 2.09 0.49
.010 >1-2 Std. /Tag 52 1.85 0.49 >2-3 Std./Tag 15 1.89 0.66 >3-4 Std./Tag 8 1.56 0.46
>5 Std./Tag 6 1.59 0.40
Jugendtypisches gesellschaftliches FV¹
0-1 Std./Tag 54 2.33 0.52
.857 >1-2 Std. /Tag 52 2.31 0.63 >2-3 Std./Tag 15 2.30 0.55 >3-4 Std./Tag 8 2.08 0.42
>5 Std./Tag 6 2.28 0.67
Praktisch-kreatives FV²
0-1 Std./Tag 54 1.93 0.67
.133 >1-2 Std. /Tag 52 1.69 0.52 >2-3 Std./Tag 15 1.85 0.59 >3-4 Std./Tag 8 1.72 0.69
>5 Std./Tag 6 1.42 0.30
Medienorientiertes FV¹
0-1 Std./Tag 54 2.49 0.47
<.001 >1-2 Std./Tag 52 2.75 0.55 >2-3 Std./Tag 15 3.08 0.53 >3-4 Std./Tag 8 3.20 0.48
>5 Std./Tag 6 3.00 0.33
Sportbezogenes FV²
0-1 Std./Tag 54 2.59 0.83
.822 >1-2 Std. /Tag 52 2.60 0.84 >2-3 Std./Tag 15 2.63 0.81 >3-4 Std./Tag 8 2.25 0.96
>5 Std./Tag 6 2.67 0.98
Traditionelles FV²
0-1 Std./Tag 54 2.66 0.55
.073 >1-2 Std. /Tag 52 2.51 0.52 >2-3 Std./Tag 15 2.35 0.50 >3-4 Std./Tag 8 2.28 0.59
>5 Std./Tag 6 2.20 0.40 Legende: ¹= einfaktorielle Varianzanalyse; ²= Kruskal-Wallis-Test; N= Stichprobengröße; M= Mittelwert; SD= Standardabweichung; p= Signifikanz (Quelle: Brandl, 2008)
Um festzustellen, ob auch der Fernsehkonsum mit dem bevorzugten Freizeitverhalten in
Beziehung steht, wurde die Dauer des Fernsehkonsums pro Tag abgefragt. Hier zeigte sich
varianzanalytisch der erwartete Effekt: Jugendliche, die medienorientiertes Freizeitverhalten
bevorzugen, geben an, 2 und mehr Stunden pro Tag fernzusehen.
123
Tab. 62. Täglicher Fernsehkonsum in Stunden und Freizeitverhalten
Skalen Std. PC/Tag N M SD p
Kulturelles FV¹
0-1 Std./Tag 52 1.98 0.57
.285 >1-2 Std. /Tag 60 1.93 0.49 >2-3 Std./Tag 14 1.67 0.47 >3-4 Std./Tag 7 1.73 0.56
>5 Std./Tag 3 2.00 0.57
Jugendtypisches gesellschaftliches FV¹
0-1 Std./Tag 52 2.34 0.53
.118 >1-2 Std. /Tag 60 2.19 0.56 >2-3 Std./Tag 14 2.62 0.56 >3-4 Std./Tag 7 2.24 0.80
>5 Std./Tag 3 2.48 0.17
Praktisch-kreatives FV²
0-1 Std./Tag 52 1.78 0.60
.871 >1-2 Std. /Tag 60 1.79 0.60 >2-3 Std./Tag 14 1.70 0.56 >3-4 Std./Tag 7 1.96 0.77
>5 Std./Tag 3 2.00 0.50
Medienorientiertes FV¹
0-1 Std./Tag 52 2.55 0.59
.009 >1-2 Std. /Tag 60 2.74 0.49 >2-3 Std./Tag 14 3.04 0.48 >3-4 Std./Tag 7 3.03 0.48
>5 Std./Tag 3 3.07 0.61
Sportbezogenes FV²
0-1 Std./Tag 52 2.56 0.78
.996 >1-2 Std. /Tag 60 2.61 0.86 >2-3 Std./Tag 14 2.57 0.76 >3-4 Std./Tag 7 2.57 1.13
>5 Std./Tag 3 2.50 1.32
Traditionelles FV²
0-1 Std./Tag 52 2.50 0.56
.691 >1-2 Std. /Tag 60 2.55 0.52 >2-3 Std./Tag 14 2.43 0.56 >3-4 Std./Tag 7 2.49 0.63
>5 Std./Tag 3 2.87 0.42 Legende: ¹= einfaktorielle Varianzanalyse; ²= Kruskal-Wallis-Test; N= Stichprobengröße; M= Mittelwert; SD= Standardabweichung; p= Signifikanz (Quelle: Brandl, 2008)
7.9 Freizeitverhalten und Temperamentstypen
Eine weitere interessante Frage bezieht sich darauf, ob das bevorzugte Freizeitverhalten mit
den Temperamentstypen in Beziehung steht. Wie in Kapitel 4 dargestellt, konnten zu t6
folgende Temperamentsgruppen unterschieden werden: „Pflegeleichte Jugendliche“,
124
„Introvertiert schwierige Jugendliche“, „Extravertiert schwierige Jugendliche“ und „Langsam
auftauende Jugendliche“. Der Vergleich der Temperamentstypen hinsichtlich ihres
Freizeitverhaltens zeigte, dass signifikante Unterschiede bezüglich des jugendtypischen
gesellschaftlichen Freizeitverhaltens bestehen. Es wird von den extravertiert schwierigen
Jugendlichen am häufigsten, den introvertiert schwierigen am seltensten ausgeübt.
Tab. 63. Unterschiede zwischen den Temperamentstypen im Freizeitverhalten
Skala Temperamentstypen N M SD p
Kulturelles FV¹
Pflegeleichte Jugendliche 71 1.96 0.52
.105 Introvertiert schwierige Jugendliche 20 1.76 0.51 Langsam auftauende Jugendliche 26 1.80 0.54 Extravertiert schwierige Jugendliche 17 2.12 0.51
Jugendtypisches gesellschaftliches FV¹
Pflegeleichte Jugendliche 71 2.28 0.52
.003 Introvertiert schwierige Jugendliche 20 2.03 0.45 Langsam auftauende Jugendliche 26 2.28 0.58 Extravertiert schwierige Jugendliche 17 2.72 0.69
Praktisch-kreatives FV²
Pflegeleichte Jugendliche 71 1.79 0.66
.065 Introvertiert schwierige Jugendliche 20 1.60 0.52 Langsam auftauende Jugendliche 26 2.00 0.55 Extravertiert schwierige Jugendliche 17 1.72 0.42
Medienorientiertes FV²
Pflegeleichte Jugendliche 71 2.71 0.49
.249 Introvertiert schwierige Jugendliche 20 2.60 0.60 Langsam auftauende Jugendliche 26 2.65 0.71 Extravertiert schwierige Jugendliche 17 2.96 0.48
Sportbezogenes FV¹
Pflegeleichte Jugendliche 71 2.72 0.81
.054 Introvertiert schwierige Jugendliche 20 2.23 0.73 Langsam auftauende Jugendliche 26 2.37 0.84 Extravertiert schwierige Jugendliche 17 2.71 0.94
Traditionelles FV¹
Pflegeleichte Jugendliche 71 2.54 0.55
.524 Introvertiert schwierige Jugendliche 20 2.36 0.55 Langsam auftauende Jugendliche 26 2.59 0.54 Extravertiert schwierige Jugendliche 17 2.52 0.52
Legende: ¹=einfaktorielle Varianzanalyse; ²= Kruskal-Wallis-Test; N= Stichprobengröße; M= Mittelwert; SD= Standardabweichung; p= Signifikanz (Quelle: Brandl, 2008)
Bei sportbezogenem Freizeitverhalten wird die Signifikanzgrenze nur ganz knapp verfehlt (p
= .054). Hier zeigen introvertiert schwierige Jugendliche die niedrigste, pflegeleichte und
extravertiert schwierige Jugendliche die höchste Präferenz. Ein tendenzieller Unterschied (p =
.065) findet sich bei praktisch-kreativem Freizeitverhalten: Dieses wird von langsam
auftauenden Jugendlichen am meisten, von introvertiert schwierigen am wenigsten bevorzugt.
125
7.10 Beziehungen zwischen Freizeitverhalten und Persönlichkeit im NEO-FFI
Zwischen den mit Hilfe des NEO-FFI erhobenen Persönlichkeitsfaktoren und dem
Freizeitverhalten bestehen einige aufschlussreiche Beziehungen. Bemerkenswert ist die hohe
Korrelation (r = .636) zwischen dem kulturellen Freizeitverhalten und der NEO-FFI-
Dimension „Offenheit“. Die persönlichkeitsspezifische Aufgeschlossenheit für kulturelle
Erfahrungen führt offenbar auch zu einem entsprechenden Verhalten. Der Befund stützt
außerdem die in Kapitel 8 dargelegte These, dass die Persönlichkeitsdimension Offenheit im
NEO-FFI in erster Linie die Offenheit für kulturelle Erfahrungen und nicht die Offenheit für
lebensweltbezogene Erfahrungen erfasst: Die Korrelation mit dem jugendtypisch
gesellschaftlichen Freizeitverhalten ist mit .276 sehr deutlich niedriger. In dieselbe Richtung
weist die signifikante Korrelation von r = .322 zwischen Offenheit und dem traditionellen
Freizeitverhalten, das Freizeitbeschäftigungen umfasst, die der traditionellen Kultur
entsprechen.
Nicht überraschend ist weiters, dass die Dimension Extraversion mit der Skala
Jugendtypisches gesellschaftliches Freizeitverhalten, wenn auch nicht sehr hoch, korreliert (r
= .316). Zwischen Neurotizismus und dem kulturellen Freizeitverhalten besteht eine zwar
sehr signifikante, aber nur niedrige Korrelation von .231, sowie signifikante geringe
Korrelationen mit dem praktisch-kreativen und dem medienorientierten Freizeitverhalten.
Möglicherweise ist dies durch eine gewisse Neigung zu Rückzug bei dieser Personengruppe
bestimmt, die sich, wenn auch nur marginal, im Freizeitverhalten zeigt.
126
Tab. 64. Freizeitverhalten und Persönlichkeitseigenschaften: Korrelationen
Skala Neuro- tizismus¹
Extra- version¹
Offenheit¹
Verträglichkeit¹
Gewissenhaftigkeit¹
Kulturelles FV¹ r= .231** p= .007
r= .088 p= .308
r= .636** p< .000
r= -.007 p= .939
r= .103 p= .229
Jugendtypisches gesell-schaftliches FV¹
r= .049 p= .572
r= .316** p< .000
r= .276** p= .001
r= -.186* p= .029
r= .013 p= .885
Praktisch-kreatives FV² r= .195* p= .022
r= .155 p= .071
r= .209* p= .014
r= .016 p= .849
r= .139 p= .105
Medienorientiertes FV¹ r= .176* p= .040
r= .097 p= .260
r= -.047 p= .586
r= -.169* p= .048
r= -.103 p= .231
Sportbezogenes FV² r= -.160 p= .062
r= .193* p= .024
r= -.048 p= .578
r= .025 p= .772
r= -.004 p= .959
Traditionelles FV² r= .052 p= .544
r= .193* p= .024
r= .322** p< .000
r= .123 p= .151
r= .138 p= .109
Legende: r= Korrelationskoeffizient; p= Signifikanz; ¹= Korrelation nach Pearson; ²= Korrelation nach Spearman; **= Korrelation ist auf dem Niveau von 0.01 (zweiseitig) signifikant; *= Korrelation ist auf dem Niveau von 0.05 (zweiseitig) signifikant; pairwise N= 137 (Quelle: Brandl, 2008)
7.11 Beziehungen zwischen Freizeitverhalten und Bindung an die Eltern
Wie die Korrelationen zwischen den einzelnen Freizeitverhaltens-Skalen mit den Skalen des
Fragebogens zur Erfassung der Bindung an die Mutter bzw. den Vater (nach Armsden &
Greenberg, 1987) zeigen, bestehen hier einige, allerdings nur sehr niedrige signifikante
Korrelationen: Bezüglich der Bindung an die Mutter korrelieren die Freizeitverhaltensskalen
„Kulturelles Freizeitverhalten“, „Jugendtypisches gesellschaftliches Freizeitverhalten“ und
„Traditionelles Freizeitverhalten“ mit der Skala „Vertrauen“, die Skala „Traditionelles
Freizeitverhalten“ außerdem mit der Skala „Kommunikation“ des Bindungsfragebogens. Bei
der Bindung an den Vater ergeben sich (mit Ausnahme der Skala Jugendtypisches
gesellschaftliches Freizeitverhalten) ähnlich gelagerte korrelative Beziehungen wie bei der
Bindung an die Mutter. Interessant ist, dass bezüglich der Bindungen an den Vater zusätzlich
niedrige signifikante Korrelationen zwischen der Skala „Negative emotionale Beziehung“ und
dem jugendtypischen und medienorientierten Freizeitverhalten vorhanden sind, was auf eine
gewisse Ausweichtendenz schließen lässt.
127
Tab. 65. Bindung an die Mutter und Freizeitverhalten: Korrelationen
Legende: r= Korrelationskoeffizient; p= Signifikanz; ¹=Korrelation nach Pearson; ²= Korrelation nach Spearman; **= Korrelation ist auf dem Niveau von 0.01 (zweiseitig) signifikant; *= Korrelation ist auf dem Niveau von 0.05 (zweiseitig) signifikant; N= 136 (Quelle: Brandl, 2008)
Tab. 66. Bindung an den Vater und Freizeitverhalten: Korrelationen
Legende: r= Korrelationskoeffizient; p= Signifikanz; ¹=Korrelation nach Pearson; ²= Korrelation nach Spearman; **= Korrelation ist auf dem Niveau von 0.01 (zweiseitig) signifikant; *= Korrelation ist auf dem Niveau von 0.05 (zweiseitig) signifikant; pairwise N= 134 (Quelle: Brandl, 2008)
Skalen Vertrauen² Kommunikation¹ Negative
emotionale Beziehung²
Entfremdung¹
Kulturelles FV¹ r= .179* p= .037
r= .109 p= .206
r= .008 p= .926
r= -.034 p= .694
Jugendtypisches gesellschaftl. FV¹
r= .169* p= .050
r= .030 p= .727
r= .159 p= .065
r= .063 p= .467
Praktisch-kreatives FV²
r= .064 p= .458
r= .051 p= .559
r= .059 p= .496
r= -.008 p= .929
Medienorientiertes FV¹
r= -.024 p= .781
r= -.141 p= .101
r= .133 p= .124
r= .157 p= .067
Sportbezogenes FV² r= -.018 p= .836
r= -.038 p= .664
r= -.013 p= .884
r= .099 p= .250
Traditionelles FV² r= .240** p= .005
r= .181* p= .035
r= -.014 p= .873
r= -.130 p= .132
Skalen Vertrauen² Kommunikation² Negative emotionale Beziehung¹
Entfremdung¹
Kulturelles FV¹ r= .184* p= .033
r= .130 p= .136
r= .013 p= .880
r= -.030 p= .733
Jugendtypisches gesellschaftl. FV¹
r= .121 p= .165
r= .080 p= .359
r= .179* p= .039
r= .018 p= .833
Praktisch-kreatives FV²
r= .038 p= .666
r= .095 p= .275
r= .072 p= .411
r= -.019 p= .830
Medienorientiertes FV¹
r= -.130 p= .135
r= -.150 p= .083
r= .276** p= .001
r= .127 p= .142
Sportbezogenes FV² r= -.007 p= .932
r= -.018 p= .834
r= .003 p= .969
r= .055 p= .525
Traditionelles FV² r= .209* p= .016
r= .193* p= .026
r= -.010 p= .989
r= -.081 p= .353
128
7.12 Freizeitverhalten und Beziehung zu Freunden und Freundinnen
Da zu vermuten war, dass die Beziehung zur Peergroup nicht ohne Auswirkung auf das
bevorzugte Freizeitverhalten ist, wurden auch diese Korrelationen berechnet (s. Tab. 67).
Zwischen der mit Hilfe des Verfahrens von Armsden und Greenberg erhobenen Beziehung
der Jugendlichen zu ihren Freunden und Freundinnen zeigte sich vor allem eine ausgeprägte
positive Korrelation zwischen dem jugendtypischen gesellschaftlichen Freizeitverhalten und
der Skala Kommunikation (.585): Eine gute Gesprächsbasis mit den Peers scheint für diese
Form des Freizeitverhaltens wesentlich zu sein. Dies bestätigt Erfahrungen aus der
Beratungspraxis, die zeigen, dass Jugendliche, die über Kontaktprobleme mit den
Gleichaltrigen berichten, nicht selten unter bestimmten Formen der Schüchternheit leiden,
aber durch ein entsprechendes Kontakt- und Kommunikationstraining gut erreichbar sind. In
zweiter Linie ist das Vertrauen zu den Freunden und Freundinnen nicht ohne eine gewisse
Bedeutung für die Bevorzugung des jugendtypischen gesellschaftlichen Freizeitverhaltens.
Tab. 67. Freizeitverhaltens-Skalen und Beziehung zur Peergruppe: Korrelationen
Skala Vertrauen ² Kommun-ikation ¹
Negative emotionale Beziehung ²
Entfremdung ²
Kulturelles FV¹ r= -.039 p= .650
r= .186* p=.029
r= .055 p= .524
r= -.046 p= .597
Jugendtyp. Ges. FV ¹ r= .296** p< .000
r= .585** p< .000
r= -.085 p= .325
r= -.161 p= .061
Praktisch-kreatives FV ²
r= -.041 p= .632
r= .062 p= .475
r= .062 p= .470
r= .071 p= .407
Medienorientiertes FV ¹ r= .014 p= .867
r= .114 p= .184
r= .095 p= .271
r= .093 p= .280
Sportbezogenes FV ² r= -.002 p= .980
r= -.128 p= .135
r= .027 p= .752
r= .115 p= .180
Traditionelles FV ² r= .158 p= .066
r= .152 p= .076
r= -.159 p= .063
r= -.097 p= .260
Legende: r= Korrelationskoeffizient; p= Signifikanz; ¹= Korrelation nach Pearson; ²= Korrelation nach Spearman; **= Korrelation ist auf dem Niveau von 0.01 (zweiseitig) signifikant; *= Korrelation ist auf dem Niveau von 0.05 (zweiseitig) signifikant; pairwise N= 137 (Quelle: Brandl, 2008)
129
7.13 Familienverhältnisse und Freizeitverhalten
Es stellt sich die Frage, ob Jugendliche aus Scheidungsfamilien andere Freizeitbevorzugungen
haben, als Jugendliche aus intakten Familien. Bezüglich des jugendtypischen
gesellschaftlichen Freizeitverhaltens ist dies tatsächlich der Fall, wie aus Tab. 68 hervorgeht:
Es wird von Jugendlichen, deren Eltern getrennt leben, häufiger ausgeübt. Tendenziell gilt
dasselbe für das medienorientierte Freizeitverhalten. Beides deutet auf eine gewisse Neigung
hin, sich von den Eltern in eine eigene Lebenswelt zurückzuziehen. Resultate, die in diese
Richtung gehen, finden sich auch in anderen Zusammenhängen: Jugendliche aus
Scheidungsfamilien lösen sich tendenziell früher von den Eltern als Heranwachsende, die in
Nichtscheidungsfamilien leben. Einzelkinder und Jugendliche mit Geschwistern
unterscheiden sich dagegen nicht bezüglich ihres Freizeitverhaltens (s. Tab. 69).
Tab. 68. Unterschiede im Freizeitverhalten aufgrund des Familienstandes der Eltern
Skala Familienstand N M SD p
Kulturelles FV¹ Eltern zusammen 104 1.94 0.52
.431 Eltern getrennt 31 1.85 0.54
Jugendtypisches gesellschaftliches FV¹
Eltern zusammen 104 2.20 0.52 <.001
Eltern getrennt 31 2.62 0.60
Praktisch-kreatives FV² Eltern zusammen 104 1.82 0.61
.325 Eltern getrennt 31 1.69 0.56
Medienorientiertes FV¹ Eltern zusammen 104 2.66 0.55
. 055 Eltern getrennt 31 2.88 0.54
Sportbezogenes FV² Eltern zusammen 104 2.57 0.86
. 947 Eltern getrennt 31 2.58 0.78
Traditionelles FV² Eltern zusammen 104 2.50 0.57
.361 Eltern getrennt 31 2.61 0.42
Legende: ¹= t-Test für unabhängige Stichproben; ²= Mann-Whitney-Test; N= Stichprobengröße; M= Mittelwert; SD= Standardabweichung; p= Signifikanz (Quelle: Brandl, 2008)
130
Tab. 69. Unterschiede im Freizeitverhalten bzgl. Geschwister
Skala Geschwister N M SD p
Kulturelles FV¹ Einzelkinder 14 1.82 0.47
.488 Geschwister 123 1.93 0.53
Jugendtypisches gesellschaftliches FV¹
Einzelkinder 14 2.52 0.47 .125
Geschwister 123 2.27 0.57
Praktisch-kreatives FV² Einzelkinder 14 1.71 0.53
.886 Geschwister 123 1.80 0.61
Medienorientiertes FV¹ Einzelkinder 14 2.94 0.65
.103 Geschwister 123 2.69 0.53
Sportbezogenes FV² Einzelkinder 14 2.25 0.89
.124 Geschwister 123 2.61 0.82
Traditionelles FV² Einzelkinder 14 2.46 0.40
.668 Geschwister 123 2.52 0.55
Legende: ¹= t-Test für unabhängige Stichproben; ²= Mann-Whitney-Test; N= Stichprobengröße; M= Mittelwert; SD= Standardabweichung; p= Signifikanz (Quelle: Brandl, 2008)
7.14 Identitätsstatus der Jugendlichen und Freizeitverhalten
Weitere bemerkenswerte Befunde betreffen die Beziehung zwischen dem Identitätsstatus der
Jugendlichen nach Marcia (siehe dazu Kap. 5 und 8) und dem Freizeitverhalten.
Signifikante Mittelwertsunterschiede zwischen den vier Statusgruppen bestehen bei den
Skalen „Kulturelles Freizeitverhalten“, „Jugendtypisches gesellschaftliches Freizeitverhalten“
und „Praktisch-kreatives Freizeitverhalten“, wie aus Tab. 70 hervorgeht: Jugendliche mit
einer diffusen Identität zeigen hier die niedrigsten Ausprägungen, während Jugendliche im
Übergangsstadium „Moratorium“ in diesen Skalen die höchsten Werte haben. Diese
Ergebnisse weisen einmal mehr auf die besonderen Probleme der Jugendlichen mit einer
diffusen Identität hin: Sie zeigen ein weitgehendes Desinteresse an den
Freizeitbeschäftigungen, die mit einem bestimmten Aufwand verbunden sind. Sie verweigern
sich aber auch den jugendtypisch gesellschaftlichen Freizeitaktivitäten, die ihnen den
Anschluss an die besonders aufgeschlossene jugendtypische Gleichaltrigengruppe erleichtern
würden. Dass Jugendliche im Moratorium im Gegensatz dazu gerade in diesen
Freizeitbereichen die höchsten Werte erreichen, unterstreicht diese Interpretation: Jugendliche
im Moratorium zeichnen sich vor allem durch eine hohe Bereitschaft aus, zu explorieren und
aktiv Neues auszuprobieren.
131
Bezüglich des jugendtypischen gesellschaftlichen Freizeitverhaltens haben die Jugendlichen
mit einer übernommenen Identität die zweitniedrigsten Werte, was auf eine gewisse
Absonderung von der „Mainstream-Gleichaltrigengruppe“ hinweist.
Tab. 70. Unterschiede im Freizeitverhalten aufgrund unterschiedlicher Identitätsstadien
Skala Identitätsstadien N M SD p
Kulturelles FV¹
Erarbeitete Identität 24 1.96 0.51
.002 Moratorium 61 2.03 0.50 Diffuse Identität 31 1.61 0.45 Übernommene Identität 21 1.99 0.57
Jugendtypisches gesellschaftliches FV¹
Erarbeitete Identität 24 2.32 0.54
.001 Moratorium 61 2.48 0.57 Diffuse Identität 31 2.01 0.47 Übernommene Identität 21 2.16 0.50
Praktisch-kreatives FV²
Erarbeitete Identität 24 1.83 0.61
.050 Moratorium 61 1.87 0.63 Diffuse Identität 31 1.54 0.46 Übernommene Identität 21 1.87 0.61
Medienorientiertes FV¹
Erarbeitete Identität 24 2.69 0.61
.265 Moratorium 61 2.81 0.51 Diffuse Identität 31 2.67 0.59 Übernommene Identität 21 2.54 0.51
Sportbezogenes FV²
Erarbeitete Identität 24 2.77 0.85
.584 Moratorium 61 2.55 0.79 Diffuse Identität 31 2.47 0.86 Übernommene Identität 21 2.60 0.92
Traditionelles FV²
Erarbeitete Identität 24 2.47 0.46
.445 Moratorium 61 2.50 0.55 Diffuse Identität 31 2.48 0.56 Übernommene Identität 21 2.70 0.56
Legende: ¹= einfaktorielle Varianzanalyse; ²= Kruskal-Wallis-Test; N= Stichprobengröße; M= Mittelwert; SD= Standardabweichung; p= Signifikanz (Quelle: Brandl, 2008)
7.15 Beziehungen zwischen Berufsinteressen und Freizeitverhalten
Zwischen dem Freizeitverhalten und den mit Hilfe des Berufsinteressentests von Irle und
Allehoff (1984) erhobenen Berufsinteressen bestehen ebenfalls Beziehungen, was darauf
hindeutet, dass berufliche Interessensfaktoren auch beim bevorzugten Freizeitverhalten eine
132
Rolle spielen. Am höchsten korreliert mit .624 das kulturelle Freizeitverhalten mit dem
Interesse für literatur- und geisteswissenschaftliche Berufe, was auf eine einheitliche, sowohl
den Beruf als auch die Freizeit betreffende Ausrichtung hindeutet. Gelingt es den Betroffenen,
eine derartige berufliche Tätigkeit zu verwirklichen, haben sie den großen Vorteil, dass ihr
Beruf für sie gleichzeitig ihr Hobby darstellt. Das sportbezogene Freizeitverhalten kovariiert
dagegen kaum mit den durch den BIT erfassten Interessensrichtungen. Es findet sich lediglich
eine niedrige negative Korrelation mit dem Interesse für gestaltendes Handwerk und eine
niedrige positive zum Interesse für verwaltende Berufe. Die anderen Befunde sind weniger
eindeutig. Beschränkt man sich auf die Interpretation jener Korrelationen, die über .300
liegen, zeigt sich eine Beziehung zwischen dem kulturellen Freizeitverhalten und den
Berufsrichtungen gestaltendes Handwerk sowie Sozialpflege und Erziehung. Das praktisch-
kreative Freizeitverhalten korreliert positiv mit den ein Interesse an praktischer Arbeit
voraussetzenden Berufen (Ernährungshandwerk, gestaltendes Handwerk und land- und
forstwirtschaftlichen Berufe). Im BIT wird in erster Linie das Interesse für gut eingeführte
Berufsrichtungen abgefragt. Die Bevorzugung traditioneller Freizeitaktivitäten korreliert
daher zwar zwischen .176 und .357 mit allen erhobenen Berufsfeldern, die höchsten
Korrelationen finden sich jedoch in jenen Fällen, die eine besonders traditionsgeleitete
Berufsrichtung betreffen: Gestaltendes Handwerk, land- und forstwirtschaftliche Berufe,
literatur- und geisteswissenschaftliche Berufe sowie Sozialpflege und Erziehung.
133
Tab. 71. Berufsinteressen und Freizeitverhalten: Korrelationen
Skala Kulturelles FV¹
Jugendtyp. Ges. FV ¹
Prakt.-kreatives FV ²
Medienorientiertes FV¹
Sportbe- zogenes FV ²
Traditionelles FV ²
Technisches Handwerk ²
r= .056 p= .516
r= .141 p= .100
r= .274** p= .001
r= .059 p= .491
r= .037 p= .665
r= .176* p= .040
Ernährungs-Handwerk²
r= .078 p= .363
r= .190* p= .026
r= .378** p< .000
r= .085 p= .322
r= .055 p= .520
r= .261** p= .002
Verwaltende Berufe² r= .119 p= .165
r= -.013 p= .884
r= .034 p= .696
r= -.030 p= .731
r= .209* p= .014
r= .186* p= .029
Gestaltendes Handwerk²
r= .371** p< .000
r= .234** p= .006
r= .378** p< .000
r= -.048 p= .576
r= -.225** p= .008
r= .335** p< .000
Land- u. Forstwirtschaftl. Berufe ²
r= .202* p= .018
r= -.008 p= .926
r= .315** p< .000
r= -.074 p0 .391
r= .055 p= .520
r= .329** p< .000
Literatur- u. Geisteswissenschaftl. Berufe ²
r= .624** p< .000
r= .284** p= .001
r= .178* p= .037
r= .020 p= .820
r= -.058 p= .504
r= .338** p< .000
Techn. u. Naturwissenschaftl. Berufe ²
r= .161 p= .061
r= -.074 p= .395
r= .217* p= .011
r= -.190* p= .027
r= .037 p= .665
r= .223* p= .009
Kaufmännische Berufe ²
r= .141 p= .099
r= .119 p= .168
r= .123 p= .151
r= .007 p= .933
r= .158 p= .064
r= .220** p= .010
Sozialpflege u. Erziehung ¹
r= .396** p< .000
r= .224** p= .009
r= .261** p= .002
r= .042 p= .625
r= .050 p= .560
r= .357** p< .000
Legende: r= Korrelationskoeffizient; p= Signifikanz ; ¹= Korrelation nach Pearson; ²= Korrelation nach Spearman **=signifikant auf dem Niveau von 0.01 (zweiseitig); *= signifikant auf dem Niveau von 0.05 (zweiseitig); pairwise N= 137 (Quelle: Brandl, 2008)
7.16 Gruppen von Jugendlichen mit ähnlichem Freizeitverhalten
Da davon ausgegangen werden kann, dass die Jugendlichen mehrere Freizeitaktivitäten
bevorzugen können, werden im nächsten Schritt, (wie bereits in anderen hier berichteten
Auswertungen) clusteranalytisch Gruppen von Jugendlichen bezüglich ihres
Freizeitverhaltens gebildet (s. Tab. 72).
134
Tab. 72. Skalenmittelwerte und Standardabweichung der Freizeitverhaltenscluster in den Freizeitverhaltensskalen
Cluster 1 Cluster 2 Cluster 3 Cluster 4 Cluster 5 p M SD M SD M SD M SD M SD
Kulturelles FV ¹ 1.70 0.40 1.63 0.40 2.02 0.53 2.40 0.50 2.01 0.46 <.000 Jugendtypisches gesellschaftl. FV¹ 1.98 0.37 2.00 0.41 2.74 0.58 2.19 0.36 2.92 0.42 <.000
Praktisch-kreatives FV² 1.64 0.41 1.45 0.37 1.78 0.39 2.63 0.60 1.55 0.35 <.000
Medienorientiertes FV¹ 2.62 0.46 2.52 0.49 3.26 0.37 2.53 0.59 2.90 0.54 <.000
Sportbezogenes FV² 2.24 0.61 3.52 0.44 1.44 0.34 2.58 0.58 2.78 0.63 <.000 Traditionelles FV² 2.07 0.34 2.29 0.41 2.57 0.44 3.15 0.36 2.76 0.34 <.000 N 38 30 18 26 25 Legende: ¹= einfaktorielle Varianzanalyse; ²= Kruskal-Wallis-Test; M= Mittelwert; SD= Standardabweichung; p= Signifikanz; N= Stichprobengröße (Quelle: Brandl, 2008)
Es ergab sich eine Fünf-Clusterlösung. Die einzelnen Gruppen unterscheiden sich höchst
signifikant bezüglich ihres Freizeitverhaltens (s. Tab. 72). Zur Benennung der einzelnen
Freizeitverhaltensgruppen wurde jeweils die auffälligste Freizeitaktivität gewählt. Die
Ausprägungen bei den weiteren Freizeitaktivitäten können aus Tab. 72 entnommen werden.
Im einzelnen handelt es sich um folgende Freizeitverhaltensgruppen: 1. Jugendliche mit
durchschnittlichem Freizeitverhalten (28%), die in keinem Freizeitverhaltensbereich
ausgeprägtere Bevorzugungen bzw. Ablehnungen zeigen, 2. Jugendliche mit sportlichem
Freizeitverhalten (22%), die die höchste Ausprägung in diesem Bereich und die niedrigste auf
dem Gebiet des praktisch-kreativen Freizeitverhaltens aufweisen, 3. Unsportliche,
medieninteressierte Jugendliche (13%), die ihre Freizeit einerseits mit Medienkonsum
verbringen, andererseits aber auch den zweithöchsten Wert beim jugendtypischen
gesellschaftlichen Freizeitverhalten haben, 4. Jugendliche mit traditionellem Freizeitverhalten
(19%), die sowohl bei diesem als auch beim praktisch-kreativen Freizeitverhalten die
höchsten Werte von allen Gruppen zeigen, und 5. Jugendliche, die vor allem jugendtypisch
gesellschaftliches Freizeitverhalten pflegen (18%) sich in der Freizeit aber auch den Medien
widmen und praktisch-kreative Freizeitbeschäftigungen eher ablehnen.
Zwischen den ermittelten Freizeittypen zeigten sich keine Unterschiede bezüglich ihrer
Bindung an den Vater bzw. die Mutter oder ihrer Beziehung zur Peergroup (s. Tab. 73, Tab.
74 und Tab. 75).
135
Tab. 73. Unterschiede der Freizeitverhaltenscluster bzgl. der Bindung an die Mutter
Bindungs-Skalen FV-Cluster N M SD p
Vertrauen
Durchschnittlich Interessierte 38 4.16 .42
.501 Sportlich Interessierte 29 4.33 .44 Unsportlich, multimedial Interessierte 18 4.34 .73 Traditionell Interessierte 26 4.36 .46 Jugendtypisch Interessierte 25 4.33 .55
Kommunikation
Durchschnittlich Interessierte 38 3.40 .82
.572 Sportlich Interessierte 29 3.62 .71 Unsportlich, multimedial Interessierte 18 3.65 .91 Traditionell Interessierte 26 3.69 .66 Jugendtypisch Interessierte 25 3.45 .90
Negative Emotionen
Durchschnittlich Interessierte 38 2.11 .51
.157 Sportlich Interessierte 29 2.14 .59 Unsportlich, multimedial Interessierte 18 2.32 .81 Traditionell Interessierte 26 2.05 .59 Jugendtypisch Interessierte 25 2.46 .88
Entfremdung
Durchschnittlich Interessierte 38 2.67 .78
.337 Sportlich Interessierte 29 2.37 .70 Unsportlich, multimedial Interessierte 18 2.30 .91 Traditionell Interessierte 26 2.48 .75 Jugendtypisch Interessierte 25 2.66 .84
Legende: N= Stichprobengröße; M= Mittelwert; SD= Standardabweichung; p= Signifikanz (Quelle: Brandl, 2008)
136
Tab. 74. Unterschiede der Freizeitverhaltenscluster bzgl. Bindung an den Vater
FV-Skalen FV-Cluster N M SD p
Vertrauen²
Durchschnittlich Interessierte 37 3.89 .67
.101 Sportlich Interessierte 30 4.18 .51 Unsportlich, multimedial Interessierte 17 4.12 .82 Traditionell Interessierte 26 4.23 .63 Jugendtypisch Interessierte 24 4.09 .98
Kommunikation¹
Durchschnittlich Interessierte 37 3.00 .96
.277 Sportlich Interessierte 30 3.35 .68 Unsportlich, multimedial Interessierte 17 3.38 .88 Traditionell Interessierte 26 3.43 .83 Jugendtypisch Interessierte 24 3.23 .92
Negative Emotionen¹
Durchschnittlich Interessierte 37 2.22 .67
.564 Sportlich Interessierte 30 2.15 .64 Unsportlich, multimedial Interessierte 17 2.35 .74 Traditionell Interessierte 26 2.17 .69 Jugendtypisch Interessierte 24 2.43 .85
Entfremdung¹
Durchschnittlich Interessierte 37 2.84 .82
.291 Sportlich Interessierte 30 2.48 .72 Unsportlich, multimedial Interessierte 17 2.40 .79 Traditionell Interessierte 26 2.64 .78 Jugendtypisch Interessierte 24 2.64 .87
Legende: ¹= einfaktorielle Varianzanalyse; ²= Kruskal-Wallis-Test; N= Stichprobengröße; M= Mittelwert; SD= Standardabweichung; p= Signifikanz (Quelle: Brandl, 2008)
137
Tab. 75. Unterschiede der Freizeitverhaltenscluster bzgl. der Beziehung zur Peer Group
FV-Skalen FV-Cluster N M SD p
Vertrauen²
Durchschnittlich Interessierte 38 4.41 .47
.762 Sportlich Interessierte 30 4.38 .56 Unsportlich, multimedial Interessierte 18 4.47 .35 Traditionell Interessierte 26 4.53 .33 Jugendtypisch Interessierte 25 4.39 .32
Kommunikation²
Durchschnittlich Interessierte 38 4.05 .59
.346 Sportlich Interessierte 30 4.04 .75 Unsportlich, multimedial Interessierte 18 3.98 .65 Traditionell Interessierte 26 4.04 .46 Jugendtypisch Interessierte 25 3.80 .44
Negative Emotionen¹
Durchschnittlich Interessierte 38 1.80 .66
.669 Sportlich Interessierte 30 1.73 .56 Unsportlich, multimedial Interessierte 18 1.59 .53 Traditionell Interessierte 26 1.68 .42 Jugendtypisch Interessierte 25 1.64 .46
Entfremdung¹
Durchschnittlich Interessierte 38 2.11 .75
.701 Sportlich Interessierte 30 2.01 .63 Unsportlich, multimedial Interessierte 18 2.15 .75 Traditionell Interessierte 26 2.13 .72 Jugendtypisch Interessierte 25 2.28 .57
Legende: ¹= einfaktorielle Varianzanalyse; ²= Kruskal-Wallis-Test; N= Stichprobengröße; M= Mittelwert; SD= Standardabweichung; p= Signifikanz (Quelle: Brandl, 2008) Die Gestaltung der aktuellen sozialen Beziehungen hat offenbar keinen Einfluss auf die
Entwicklung der individuellen Freizeitinteressen bzw. die entsprechenden
Freizeitbeschäftigungen. Dies legt die Frage nahe, ob dafür die Persönlichkeit der
Jugendlichen ausschlaggebend ist (s. dazu Tab. 76).
138
Tab. 76. Unterschiede der Freizeitverhaltenscluster im NEO-FFI
NEO-FFI-Skalen FV-Cluster N M SD p
Neurotizismus¹
Durchschnittlich Interessierte 38 30.68 8.26
.044
Sportlich Interessierte 30 27.23 6.97 Unsportlich, multimedial Interessierte 18 32.17 7.97 Traditionell Interessierte 26 33.19 7.48 Jugendtypisch Interessierte 25 32.00 7.78
Extraversion¹
Durchschnittlich Interessierte 38 43.32 5.68
<.001
Sportlich Interessierte 30 49.37 6.25 Unsportlich, multimedial Interessierte 18 48.67 7.82 Traditionell Interessierte 26 49.15 6.15 Jugendtypisch Interessierte 25 49.20 5.86
Offenheit²
Durchschnittlich Interessierte 38 41.13 6.74
<.001
Sportlich Interessierte 30 40.20 6.26 Unsportlich, multimedial Interessierte 18 43.11 8.34 Traditionell Interessierte 26 47.81 4.20 Jugendtypisch Interessierte 25 46.52 5.45
Verträglichkeit¹
Durchschnittlich Interessierte 38 42.18 5.38
.147
Sportlich Interessierte 30 43.30 3.34 Unsportlich, multimedial Interessierte 18 40.83 6.22 Traditionell Interessierte 26 44.15 4.74 Jugendtypisch Interessierte 25 41.52 5.35
Gewissenhaftigkeit¹
Durchschnittlich Interessierte 38 42.92 9.55
.141
Sportlich Interessierte 30 41.30 7.30 Unsportlich, multimedial Interessierte 18 39.94 8.54 Traditionell Interessierte 26 44.65 6.82 Jugendtypisch Interessierte 25 45.12 6.08
Legende: ¹=einfaktorielle Varianzanalyse; ²= Kruskal-Wallis-Test; N= Stichprobengröße; M= Mittelwert; SD= Standardabweichung; p= Signifikanz (Quelle: Brandl, 2008)
Bezüglich der mit Hilfe des NEO-FFI erfassten Persönlichkeitsdimensionen ergaben sich
tatsächlich höchst signifikante bzw. signifikante Unterschiede zwischen den Freizeittypen,
und zwar in den Skalen Extraversion, Offenheit und Neurotizismus. Bei letzterer zeigten die
sportlich Interessierten die niedrigsten, die traditionell Interessierten die höchsten Werte. In
der Skala Extraversion hatte die Gruppe der sportlich Interessierten den höchsten und die der
durchschnittlich Interessierten den niedrigsten Score. Der höchste Wert in der Skala
(kulturelle) Offenheit konnte in der Gruppe der traditionell Interessierten beobachtet werden,
der niedrigste bei den sportlich Interessierten. Die Mittelwertsdifferenzen zwischen den
Freizeitgruppen in den Skalen Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit waren nicht signifikant.
139
Es stellt sich die Frage, ob das von den Müttern eingeschätzte Temperament der Jugendlichen
mit den identifizierten Freizeitverhaltensclustern in Beziehung steht (s. Tab. 77). Jugendliche
die ein durchschnittliches oder sportliches Freizeitverhalten zeigen, werden von den Müttern
häufiger, als zu erwarten wäre, der Gruppe der introvertiert Schwierigen zugeordnet, während
die unsportlichen, an multimedialen Freizeitaktivitäten interessierten Jugendlichen sowie die
Jugendlichen, die ein traditionelles oder ein jugendtypisch gesellschaftliches Freizeitverhalten
bevorzugen, von ihren Müttern vor allem als „pflegeleichte Jugendliche“ erlebt werden.
Auffällig ist außerdem, dass langsam auftauende Jugendliche aus Sicht ihrer Mütter eher ein
durchschnittliches Profil an Freizeitaktivitäten zeigen. Die analoge Berechnung aus Vätersicht
zeigte kein signifikantes Ergebnis und damit auch keine interpretierbaren Abweichungen der
beobachteten Werte von den Erwartungswerten.
Tab. 77. Freizeitverhaltensgruppen und Temperamentstypen aus Müttersicht
Tempera-mentstypen
Jugendliche mit durch-schnittlichem FV
Jugendliche mit sport-lichem FV
Unsportliche Jugendliche mit medien-bezogenem FV
Jugendliche mit traditionellemFV
Jugendliche mit jugendtypischem gesellschaftlichen FV
Gesamt
Pflegeleichte Jugendliche
10 19,1
8 15,9
16 9,0
19 13,8
18 13,2
71
Introvertiert schwierige Jugendliche
9 5,4
8 4,5
0 2,5
0 3,9
3 3,7
20
Langsam auftauende Jugendliche
12 7,0
8 5,8
1 3,3
3 5,0
2 4,9
26
Extravertiert schwierige Jugendliche
5 4,6
6 3,8
0 2,2
4 3,3
2 3,2
17
Gesamt 36 30 17 26 25 134 Signifikanz Gart’s 2i= 32.898 df= 12 p= .001 Legende: df= Anzahl der Freiheitsgrade; p= Signifikanz (Quelle: Brandl, 2008)
140
8. Identitätsentwicklung im Jugendalter Monika Pucher, Brigitte Rollett und Harald Werneck
8.1 Einleitung
Die Identitätsbildung stellt eine zentrale Entwicklungsaufgabe der Adoleszenz dar. Sie
erreicht in dieser Phase einen Höhepunkt. Dass die Beschäftigung mit dem Selbst und die
Auseinandersetzung mit der eigenen Identität gerade in der Adoleszenz eine besondere
Bedeutung bekommt, hat mehrere Gründe. Einerseits ist die kognitive Entwicklung nun so
weit fortgeschritten, dass die Gemeinsamkeiten mit und Unterschiede zu den Anderen eher
erfasst werden können, und dass erkannt werden kann, dass die subjektiv wahrgenommene
Wirklichkeit nur eine unter vielen möglichen Sichtweisen darstellt. In der Adoleszenz wächst
aber andererseits der Druck der Familie und der Gesellschaft, sich mit der eigenen Zukunft
und hier vorrangig der Berufswahl, auseinander zu setzen. Aber auch die auffälligen
körperlichen und psychischen Veränderungen führen zu einer Fokussierung auf die eigene
Person und es stellt sich für die Jugendlichen die Frage, was sie angesichts dieser
Veränderungen an persönlicher Identität besitzen, behalten oder erreichen wollen (Fuhrer &
Trautner, 2005).
Trotz ihrer großen Bedeutsamkeit für die Adoleszenz stellt die Identitätsbildung als solche
eine „lebenslange Entwicklung, die für das Individuum und seine Gesellschaft weitgehend
unbewusst verläuft“ dar (Erikson, 1973, S. 141). Sie beginnt im Säuglingsalter, in dessen
Verlauf das Kind im günstigen Fall Vertrauen in seine soziale Umwelt aufbaut, zieht sich
durch die gesamte Lebensspanne und bekommt je nach neuen Lebenssituationen,
Herausforderungen und Lebensabschnitten immer wieder neue Präsenz (Erikson, 1973). Sie
kann als „Ergebnis einer aktiven Suche, Definition oder Konstruktion des Selbst“ (Flammer
& Alsaker, 2002, S.157) bezeichnet werden.
141
8.2 Zur Methode
In der vorliegenden Studie wurden die Aspekte der Identitätsentwicklung der Jugendlichen
anhand einer übersetzten, altersadaptierten und erweiterten Version des Fragebogens IDEA
(Inventory of the Dimensions of Emerging Adulthood, Reifman, Arnett & Colwell, 2003)
erhoben, der ursprünglich für junge Erwachsene erstellt wurde. Die resultierende in dieser
Studie eingesetzte Version für Jugendliche wurde als IDEA-Y bezeichnet. Außerdem wurde
das Identitätsstatusdiagnoseinventar (ISDI, Rollett, 2005, zur Beschreibung siehe Kap. 5.5)
vorgegeben, das die Identitätsstadien nach Marcia erfasst.
8.2.1 Konstruktion und Testanalyse der IDEA-Y-Skalen
Im Zuge der Anpassung der Items des IDEA an die Altersstichprobe der Studie, war es
notwendig, das für das Jugendalter unpassende Item 13 („Youth is“) „a time of settling down“
zu eliminieren. Der Fragebogen wurde um fünf neue Items (Item 13, 30, 32, 33 und 36)
erweitert und anschließend faktorenanalytisch überprüft (Hauptkomponentenanalyse mit
Varimaxrotation). Aufgrund des Scree-Tests wurde eine Fünf-Faktorenlösung gewählt. Aus
inhaltlichen Gründen wurde der erste Faktor in die zwei Skalen „Exploration“ und
„Beziehungen zu Freunden/Freundinnen“ geteilt, so dass insgesamt 6 Skalen entstanden
(siehe Tab. 78 - Tab. 83). Diese erklären 43.05% der Gesamtvarianz. Es handelt sich um
folgende Skalen:
1.) Die Skala Exploration (s. Tab. 78) beschreibt das Ausmaß des Suchens und des Erprobens
neuer Lebensformen der Jugendlichen.
142
Tab. 78. Items der Skala Exploration des Identitätsfragebogens (α = .822)
Itemnr. Item Itemtrenn- schärfe
4 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit des Experimentierens .622 12 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit des Herausfindens, wer ich bin .617 21 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit des Ausprobierens neuer Dinge .604 2 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit des Suchens und Erprobens .587
24 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit, in der man erkennt, wer man eigentlich ist .543
17 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit unvorhersehbarer Ereignisse und Entwicklungen .529
1 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit vieler Möglichkeiten .454
2.) Mit Hilfe der Skala „Beziehung zu Freunden/Freundinnen“ (s. Tab. 79) wird erhoben, wie
wichtig Beziehungen zu den Peers allgemein bzw. wie bedeutend romantische Beziehungen
für die Jugendlichen sind, aber auch wie sehr die Beziehungen zur Gleichaltrigengruppe nun
ein größeres Gewicht als die Beziehung zu den Eltern erhält.
Tab. 79. Items der Skala Beziehung des Identitätsfragebogens (α = .602)
Itemnr. Item Itemtrenn-schärfe
33 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit, in der der Freundeskreis besonders wichtig ist .524
23 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit der Ablösung von den Eltern .370
13 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit, in der man einen festen Freund/eine feste Freundin hat .364
30 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit, in der man neue Leute kennenlernen möchte .324
3.) Die Skala „Belastung“ (s. Tab. 80) misst das Ausmaß der Belastung, welche die
Jugendlichen durch die Veränderungen in der Jugendphase empfinden.
143
Tab. 80. Items der Skala Belastung des Identitätsfragebogens (α = .774)
Itemnr. Item Itemtrenn- schärfe
11 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit in der man hohem Druck ausgesetzt ist .584 3 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit des Durcheinanders .580 8 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit des sich gestresst Fühlens .548 9 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit der Instabilität .524
20 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit vieler Sorgen .483 6 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit des Gefühls des Eingeschränktseins .419
4.) Die Skala „Veränderung“ (s. Tab. 81) bezieht sich auf die Veränderungen, die die
Jugendlichen auf ihrem Weg in das Erwachsenenalter empfinden, wobei die Sinnsuche, die
Entwicklung eigener Wertvorstellungen und die Zukunftsplanung eine wichtige Rolle spielen.
Tab. 81. Items der Skala Veränderung des Identitätsfragebogens (α = .702)
Itemnr. Item Itemtrenn- schärfe
27 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit, in der man sich nicht sicher ist, ob man schon erwachsen ist .507
26 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit der Sinnsuche .441
28 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit, in der man lernt, sich eine eigene Meinung zu bilden .412
34 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit, in der man schrittweise erwachsen wird .402
29 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit, in der man sich teilweise erwachsen fühlt und teilweise nicht .402
35 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit, in der man seine eigenen Wertvorstellungen entwickelt .377
25 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit der Zukunftsplanung .351
5.) Die Skala „Verantwortung und Freiheit“ (s. Tab. 82) zeigt, wie sehr die Jugendzeit für die
Jugendlichen mit Freiheit und Unabhängigkeit, aber auch mit Verantwortung für sich selbst
und für andere verbunden ist.
144
Tab. 82. Items der Skala Verantwortung/Freiheit des Identitätsfragebogens (α = 618)
Itemnr. Item Itemtrenn- schärfe
15 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit der Unabhängigkeit .415 7 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit der Verantwortung für mich selbst .405
14 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit der Verantwortung für andere .400 18 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit des Engagements für andere .299
31 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit, in der man selbst darüber entscheidet, was man für gut und richtig hält .272
10 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit des Optimismus .254 5 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit der persönlichen Freiheit .248
16 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit von Wahlmöglichkeiten .226
6.) Die Skala „Selbstbezug“ (s. Tab. 83) beschreibt, wie sehr sich die Jugendlichen
gegenwärtig auf sich selbst konzentrieren und ihre Aufmerksamkeit auf sich selbst lenkt.
Tab. 83. Items der Skala Selbstbezug des Identitätsfragebogens (α = .620)
Itemnr. Item Itemtrenn- schärfe
22 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit, in der man sich auf sich selbst konzentriert .520
32 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit, in der man vor allem mit sich selbst beschäftigt ist .467
19 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit der Selbstgenügsamkeit .311
8.3 Identitätsentwicklung bei weiblichen und männlichen Jugendlichen
8.3.1 Geschlechtsunterschiede in den Skalen des Identitätsfragebogens
Wie Tab. 84 zeigt, haben weibliche Jugendliche in den IDEA-Y-Skalen Exploration,
Belastung und Veränderung signifikant höhere Werte als männliche Jugendliche. Der bei
weiblichen Jugendlichen häufig beobachtete Entwicklungsvorsprung im Jugendalter
gegenüber männlichen Jugendlichen könnte für ihre höheren Ausprägungen bei den Skalen
Exploration und Veränderung verantwortlich sein. Dementsprechend könnte eine der
Ursachen für die stärkere Belastung der weiblichen Jugendlichen in ihrer vermehrten
Auseinandersetzung mit sich und der Umwelt liegen. Aber auch eine höhere Sensibilität von
145
weiblichen Jugendlichen gegenüber Belastungsfaktoren könnte diese Differenz mit
verursachen.
Tab. 84. Geschlechtsunterschiede in den Skalen des IDEA-Y (ANOVA)
Skalen des IDEA-Y Weibl. Jugendliche (n = 71) Männ. Jugendliche (n = 66)
p M SD M SD
Exploration 3.29 .484 3.01 .560 .002 Beziehung zu den Feunden/Freundinnen 3.37 .442 3.23 .557 .109
Belastung 2.68 .629 2.45 .549 .025 Veränderung 3.30 .396 3.04 .453 <.001 Verantwortung/Freiheit 2.95 .402 2.86 .360 .166 Selbstbezug 2.61 .539 2.68 .612 .467 M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau n = Anzahl
8.3.2 Geschlechtsunterschiede im Identitätsstatusdiagnoseinventar (ISDI)
Im Kapitel 5.5 wurden die Identitätsstadien nach Marcia, die das
Identitätsstatusdiagnoseinventar erfasst, ausführlich inhaltlich beschrieben.
Wie Tab. 85 zeigt, befinden sich die weiblichen Jugendlichen signifikant häufiger als die
männlichen im Stadium des „Moratoriums“, das der Suche und Erprobung neuer
Einstellungen und Verhaltensweisen gewidmet ist, die männlichen Jugendlichen einerseits
häufiger im Stadium der „diffusen Identität“, andererseits noch im Stadium
der „übernommenen Identität“. Bezüglich des Anteils der Jugendlichen, die sich bereits im
Stadium der selbst erarbeiteten Identität befinden, bestehen zwischen den Geschlechtern keine
Unterschiede.
Im Zuge der Identitätsentwicklung im Jugendalter kommt es am häufigsten zu einem Wechsel
von der übernommenen Identität über das Moratorium zur erarbeiteten Identität (Dunkel &
Anthis, 2001). Es kann davon ausgegangen werden, dass diese Unterschiede zwischen
männlichen und weiblichen Jugendlichen unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die
Jugendlichen aufgrund des Aufbaus der Längsschnittuntersuchung eine altershomogene
Stichprobe bilden, in erster Linie auf den allgemeinen Entwicklungsvorsprung der weiblichen
146
Jugendlichen zurückgeführt werden können und somit als Zeichen der fortgeschritteneren
Identitätsentwicklung der Mädchen zu sehen sind.
Tab. 85. Identitätsstadien und Geschlecht
Geschlecht Identitätsstadien Gesamt Erarbeitet Identität
Moratorium Diffuse Identität
Übernom. Identität
weiblich Anzahl 11 43 11 6 71 Erwartete Anzahl 12.4 31.6 16.1 10.9 71 % der weiblichen Jugendlichen
15.5% 60.6% 15.5% 8.5% 100%
männlich Anzahl 13 18 20 15 66 Erwartete Anzahl 11.6 29.4 14.9 10.1 66 % der männlichen Jugendlichen
19.7% 27.3% 30.3% 22.7% 100%
gesamt Anzahl 24 61 31 21 137 Erwartete Anzahl 24.0 61.0 31.0 21.0 137 % der Jugendlichen 17.5% 44.5% 22.6% 15.3% 100%
χ² = 16.72, df = 3 p = .001
Im Folgenden wird den Unterschieden zwischen den Identitätsstatusgruppen nach Marcia
bezüglich der Skalen des Identitätsfragebogens (IDEA-Y) nachgegangen.
8.4 Unterschiede zwischen den Identitätsstatusgruppen in den Skalen des Identitätsfragebogens (IDEA-Y)
Wie Abb. 20 veranschaulicht, unterscheiden sich die Identitätsstatusgruppen deutlich
bezüglich der im IDEA-Y erfassten Dimensionen voneinander.
147
2
2.2
2.4
2.6
2.8
3
3.2
3.4
3.6
Exlporie
ren
Beziehu
ng
Belastu
ng
Veränd
erung
Verantw
ortun
g
Selbstb
ezug
erarbeitete IdentitätMoratoriumdiffuse Identitätübernommene Identität
Abb. 20. Identitätsstadien und Skalen des IDEA-Y
Allgemein zeigt sich, dass die Antworten der Jugendlichen sich im Bereich der mehr oder
weniger deutlichen Zustimmung zu den Aussagen der sechs Skalen des Identitätsfragebogens
liegen. In Tab. 86 werden dazu neben den Mittelwerten und Streuungen der
Identitätsstatusgruppen in den Skalen des IDEA-Y die Ergebnisse univariater
Varianzanalysen berichtet. Mit Ausnahme in der Skala Belastung unterscheiden sich die
einzelnen Identitätsstatusgruppen in den verbleibenden Skalen signifikant voneinander. Wie
weiters ersichtlich ist, haben die Jugendlichen im Stadium der diffusen Identität in allen
Skalen des IDEA-Y die niedrigsten Werte. Das heißt, dass diese Jugendlichen signifikant
weniger explorieren, den Peers weniger Bedeutung beimessen, sich weniger mit den Werten
der Gesellschaft und der Gestaltung ihrer Zukunft auseinandersetzen, weniger Verantwortung
übernehmen und signifikant weniger Selbstbezug aufweisen.
Die Jugendlichen im Moratorium haben erwartungsgemäß die höchste Ausprägung in der
Skala Exploration. Für Jugendliche der untersuchten Altersgruppe ist die Erkundung ihrer
eigenen Möglichkeiten in verschiedensten Bereichen und damit die Bereitschaft zur
Exploration von großer Bedeutung. Dies gilt zum Beispiel für die Freizeitgestaltung und die
Entscheidung für eine den eigenen Wünschen entsprechende Berufslaufbahn. Im letzteren
Bereich haben allerdings die Eltern und zum Teil die Lehrkräfte einen nicht zu
148
unterschätzenden Einfluss. In anderen Bereichen sind die Jugendlichen weit mehr gefordert,
eigene Entscheidungen zu treffen. Wie in Kapitel 7 dargestellt, stellt daher Freizeitbereich
eine besonders wichtige Möglichkeit der Exploration der eigenen Bedürfnisse dar.
Jugendliche im Stadium der diffusen Identität weisen erwartungsgemäß die niedrigsten Werte
in der Skala Exploration auf, da sie den mit dem Erwachsenwerden verbundenen
Entscheidungen auszuweichen trachten. Heranwachsende im Stadium der übernommenen
Identität und Jugendliche im Stadium der erarbeiteten Identität zeigen mittlere Ausprägungen.
Bezüglich der Beziehung zu Freunden und Freundinnen bestehen signifikante Unterschiede
zwischen den Jugendlichen mit einer erarbeiteten Identität sowie jenen im Moratorium auf der
einen und den Jugendlichen mit einer diffusen Identität auf der anderen Seite, die hier die
niedrigste Ausprägung zeigen. Sie können sich daher auch wenig auf ihren Freundeskreis
verlassen. Auch bezüglich der Skala, die das Bewusstsein über die Veränderungen in
Richtung Erwachsenwerden erfasst, unterscheiden sich die Jugendlichen mit einer diffusen
Identität signifikant von jenen im Moratorium und der übernommenen Identität: Sie sind sich
des Veränderungsprozesses am wenigsten bewusst. Entsprechend gering ist im Vergleich zu
den anderen Identitätsstatusgruppen ihre Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme. In
dieselbe Richtung eines eher eskapistischen Lebensstils weisen ihre niedrigen Werte in der
Skala Selbstbezug, die die Selbstreflexion erfasst. Hier unterscheiden sie sich signifikant von
den Jugendlichen mit einer übernommenen Identität, die auf Grund ihrer weitgehend von den
Eltern stammenden Identitätskonstruktion und der damit verbundenen Sicherheit Reflexionen
über sich selbst nicht gewohnheitsmäßig ausweichen, wie dies bei Jugendlichen mit einer
diffusen Identität der Fall ist.
149
Tab. 86. Skalen des IDEA-Y und Identitätsstadien (ANOVA)
Skalen des IDEA-Y Identitätsstadien n M SD p
Exploration
Erarbeitete Identität 24 3.15 0.449
.002 Moratorium 61 3.31 0.474 Diffuse Identität 31 2.86 0.667 Übernommene Identität 21 3.19 0.463
Beziehung zu Freunden/Freundinnen
Erarbeitete Identität 24 3.45 0.361
<.001 Moratorium 61 3.45 0.402 Diffuse Identität 31 2.95 0.604 Übernommene Identität 21 3.29 0.504
Belastung
Erarbeitete Identität 24 2.69 0.562
.650 Moratorium 61 2.57 0.543 Diffuse Identität 31 2.48 0.640 Übernommene Identität 21 2.57 0.754
Veränderung
Erarbeitete Identität 24 3.12 0.328
<.001 Moratorium 61 3.32 0.380 Diffuse Identität 31 2.92 0.528 Übernommene Identität 21 3.24 0.438
Verantwortung
Erarbeitete Identität 24 2.99 0.341
.006 Moratorium 61 2.94 0.386 Diffuse Identität 31 2.71 0.393 Übernommene Identität 21 3.02 0.318
Selbstbezug
Erarbeitete Identität 24 2.64 0.667
.045 Moratorium 61 2.66 0.530 Diffuse Identität 31 2.46 0.542 Übernommene Identität 21 2.92 0.567
n = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau
8.5 Identität und Bindung an die Eltern
Marcia (1989) ging davon aus, dass eine sichere Bindung an die Eltern das Erreichen der
erarbeiteten Identität langfristig fördert, da sich Jugendliche dadurch frei für die Exploration
fühlen. Eine sichere Bindung stellt auch im Jugendalter eine notwendige Basis für entspannte
Diskussionen über eigene Erfahrungen und Einstellungen dar, die deren Bewertung erleichtert
und so die Integration der neuen Erkenntnisse in die sich entwickelnde neue Persönlichkeit
ermöglicht.
150
Zur Erfassung der Beziehung zu den Eltern wurde, wie bereits zu t5, der Bindungsfragebogen
von Armsden und Greenberg, allerdings getrennt nach Mutter und Vater, eingesetzt.
8.5.1 Identitätsstatusgruppen nach Marcia und Eltern-Kind Beziehung
Eine Überprüfung der Unterschiede zwischen den vier Identitätsstatusgruppen nach Marcia
im Hinblick auf die Qualität der Bindung der betreffenden Jugendlichen an ihre Mutter ergab
kein signifikantes Ergebnis, wohl aber der Vergleich der Identitätsstatusgruppen bezüglich der
von ihnen erlebten negativen emotionalen Beziehung zum Vater. Die entsprechenden
Mittelwerte sind aus Tab. 87 zu entnehmen: Jugendliche im Status der übernommenen
Identität haben hier die niedrigsten Werte. Jugendliche mit einer erarbeiteten Identität die
höchsten. Letztere haben zwar bereits im Unterschied zu den Jugendlichen mit einer
übernommenen Identität eine eigene Identität gefunden, doch scheint dies mit einer gewissen
Entfremdung vom Vater einher zu gehen. Dies lässt sich auch dahingehend interpretieren,
dass bei ihnen die jugendtypische Ablösung weiter fortgeschritten ist.
Tab. 87. Identitätsstadien und Bindung an den Vater (ANOVA)
Bindung an den Vater Identitätsstadien n M SD p
negative emotionale Beziehung
Erarbeitete Identität 23 2.56 .948
.044 Moratorium 60 2.23 .640 Diffuse Identität 30 2.23 .686 Übernommene Identität 21 1.96 .531
n = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau
Um den Ablösungsprozess auch von Seiten der Eltern betrachten zu können, werden im
nächsten Auswertungsschritt die Ergebnisse bezüglich des von den Eltern ausgefüllten
Zweierbeziehungsfragebogens (Cierpka & Frevet,1994) zur Erfassung der von den Eltern
erlebten Beziehung zu ihrem Sohn bzw. ihrer Tochter berichtet. Der Fragebogen erfasst nach
Cierpka und Frevet die folgenden Dimensionen: „Aufgabenerfüllung“ (wobei die positive
Erfüllung familienbezogener Aufgaben erfasst wird), „Rollenverhalten“ (Akzeptieren der
familiären Rollenzuweisungen), (positive) „Kommunikation“, (adequate) „Emotionalität“,
(positive) „Affektive Beziehungsaufnahme“, „Kontrolle“ des Verhaltens des
Interaktionspartners/der Interaktionspartnerin, Übereinstimmung bezüglich der „Werte und
151
Normen“. In den folgenden Auswertungen wurde von den von den Autoren konstruierten
Skalen ausgegangen. Bei der Interpretation der in Tab. 88 aufgeführten Befunde ist zu
beachten, dass im Fragebogen von Cierpka und Frevert hohe Werte niedrige Ausprägungen
der entsprechenden Dimension bedeuten und umgekehrt.
Bezüglich der Aufgabenerfüllung verfehlen die Unterschiede zwischen den Identitätsstadien
nur knapp die Signifikanzgrenze. Keine Unterschiede bestehen bei den Dimensionen
Rollenverteilung und Kommunikation, signifikante bzw. sehr signifikante jedoch hinsichtlich
der Emotionalität, affektiven Beziehungsaufnahme und Kontrolle sowie tendenzielle
Unterschiede bei den Werten und Normen.
Hier fällt zunächst besonders auf, dass sich die Mütter von Jugendlichen mit einer
übernommenen Identität in der Bewertung ihrer Beziehung zu den Jugendlichen in fast allen
Bereichen von Müttern von Jugendlichen mit einer diffusen Identität unterscheiden, wobei
erstere jeweils die günstigsten, letztere die ungünstigsten Einschätzungen zeigen. Die
Sonderstellung der Jugendlichen mit einer diffusen Identität zeigt sich daher nicht nur darin,
dass sie sich, wie oben dargestellt, der Entwicklungsaufgabe der „Identitätsfindung“
weitgehend verweigern, sondern auch in der Beziehung ihrer Mütter zu ihnen. Sie ist
besonders durch eine geringe Emotionalität, eine defizitäre affektive Beziehungsaufnahme
und durch Kontrolle gekennzeichnet. Auch die Beurteilung der Erfüllung familiärer Aufgaben
durch die Mütter geht in dieselbe Richtung. Dies verdeutlicht, dass die Ablehnung der
Auseinandersetzung mit der eigenen Identität und den damit verbundenen Anforderungen mit
einer problematischen Beziehung zwischen den Müttern und diesen Jugendlichen einhergeht.
Bezüglich der Dimension „Werte und Normen“ besteht zwar nur ein tendenzieller
Unterschied zwischen den Identitätsgruppen, doch zeigen die Mütter der Jugendlichen mit
diffuser Identität auch hier die niedrigste Übereinstimmung mit ihren Söhnen und Töchtern.
Die Beziehung zu den Jugendlichen im Stadium der übernommenen Identität wird von ihren
Müttern dagegen am positivsten beurteilt, was als Folge der Übernahme der durch die Eltern
geprägten Vorstellungen von Identität interpretiert werden kann. Auch in den Untersuchungen
von Marcia (1993) zeichneten sich die Jugendlichen im Stadium der übernommenen Identität
durch ihre harmonischen Familienbeziehungen, ihren Gehorsam und ihre Nachgiebigkeit
elterlichen Wünschen gegenüber aus.
152
Tab. 88. Zweierbeziehung (Mutter und Jugendliche) und Identitätsstadien (ANOVA)
Beziehung zw. Mutter und Jugendlichen Identitätsstadien n M SD p
Aufgabenerfüllung
Erarbeitete Identität 21 49.19 6.91
.054 Moratorium 60 48.48 8.43 Diffuse Identität 30 52.47 7.91 Übernommene Identität 21 46.76 6.99
Rollenverteilung
Erarbeitete Identität 22 46.95 6.69
.568 Moratorium 59 47.36 8.48 Diffuse Identität 30 49.23 6.96 Übernommene Identität 21 46.76 6.43
Kommunikation
Erarbeitete Identität 20 50.45 11.75
.482 Moratorium 60 50.48 10.47 Diffuse Identität 29 54.69 10.66 Übernommene Identität 21 50.24 11.56
Emotionalität
Erarbeitete Identität 22 48.64 7.25
.009 Moratorium 60 51.28 9.51 Diffuse Identität 30 53.27 10.37
Übernommene Identität 21 44.86 7.25
affektive Beziehungs-aufnahme
Erarbeitete Identität 22 45.50 8.52
.020 Moratorium 60 48.20 10.11 Diffuse Identität 30 51.20 11.35 Übernommene Identität 21 43.57 8.24
Kontrolle
Erarbeitete Identität 21 44.81 7.25
.004 Moratorium 60 49.02 10.04 Diffuse Identität 30 52.03 10.01 Übernommene Identität 21 43.48 6.21
Werte und Normen
Erarbeitete Identität 21 43.29 8.03
.069 Moratorium 59 45.78 9.80 Diffuse Identität 29 48.97 9.38 Übernommene Identität 21 45.14 8.11
n = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau
8.5.2 Bindungsrepräsentationen (nach Ainsworth) und Identität
Wie die berichteten Ergebnisse zeigen konnten, kommt der Bindung der Jugendlichen an ihre
Müttern eine besondere Bedeutung beim Übergang in das Erwachsenenalter und seinen
Anforderungen zu. Im nächsten Auswertungsschritt wurden daher mit Hilfe der Skalen des
Bindungsfragebogens von Armsden und Greenberg (IPPA) clusteranalytisch (nach Ward)
Bindungstypen gebildet (siehe Werneck & Rollett, 2007). Die Resultate ergaben, dass sich
153
drei Bindungsmuster unterscheiden lassen, die den klassischen Bindungstypen von Ainsworth
(s. Ainsworth, Blehar, Waters & Wall, 1978) entsprechen: 1. Sichere Bindung, 2. Unsicher-
vermeidende Bindung und 3. Unsicher- ambivalente Bindung (s. Abb. 21)
1
1.5
2
2.5
3
3.5
4
4.5
5
Vertrauen Kommunikation negativeemotionaleBeziehung
Entfremdung
sicherunsicher-ambivalentunsicher-vermeidend
Abb. 21. Mittelwerte der Bindungscluster (Bindung zur Mutter im IPPA)
Jugendliche mit „sicherer“ (autonomer) Bindungsrepräsentation weisen hohe Werte in den
Skalen Vertrauen und Kommunikation und niedrige Werte in den Skalen negative emotionale
Beziehung und Entfremdung auf. Jugendliche mit einer „unsicher-ambivalenten“
Bindungsrepräsentation (die sowohl durch positive als auch durch negative Aspekte
gekennzeichnet ist), haben zwar noch etwas Vertrauen zu ihrer Mutter, im Vergleich zu den
anderen Gruppen jedoch die schlechteste Kommunikationsbasis und die negativsten
Ausprägungen in den Skalen „Negative emotionale Beziehung“ und „Entfremdung“.
Jugendliche mit einer „unsicher-vermeidenden“ Bindung an die Mutter zeigen, verglichen mit
den anderen Bindungsgruppen, ein mittleres Vertrauen, aber nur eine durchschnittliche
Kommunikationsbasis. Ihre Beziehung zur Mutter ist weiters durch ein mittleres Ausmaß
bezüglich der Entfremdung und der negativen emotionalen Beziehung charakterisiert. Da
angenommen werden kann, dass sich diese Bindungsmuster auch auf die Identitätsbildung
auswirken, werden in Tab. 89 die Unterschiede der Bindungstypen in den Skalen des IDEA-Y
berichtet. Wie daraus hervorgeht, kommt es in den Bereichen der Exploration und der
154
Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung zu signifikanten Unterschieden zwischen den
Bindungstypen. Jugendliche mit unsicher-ambivalenter Bindungsrepräsentationen widmen
sich signifikant stärker dem Explorieren als Jugendliche mit unsicher-vermeidender Bindung.
Weiters zeigen Jugendliche mit sicheren Bindungsrepräsentationen eine größere Bereitschaft
zur Übernahme von Verantwortung als Jugendliche mit einer unsicher- vermeidenden
Bindung und tendenziell mehr Bereitschaft zur Akzeptanz von Veränderungen, die im
Jugendalter angesagt sind.
Tab. 89. Bindungsrepräsentationen in den Skalen des IDEA-Y
Skalen des IDEA-Y Bindungsrepräsentationen n M SD p
Exploration sicher 62 3,21 0,534
.051 unsicher-vermeidend 65 3,07 0,534 unsicher-ambivalent 9 3,51 0,521
Veränderung sicher 62 3,27 0,421
.092 unsicher-vermeidend 65 3,10 0,418 unsicher-ambivalent 9 3,22 0,682
Verantwortung/ Freiheit
sicher 62 3,01 0,387 .009 unsicher-vermeidend 65 2,81 0,360
unsicher-ambivalent 9 2,88 0,375 Pillai-Spur, p = .004, F = 2.47, df = 12
n = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau
8.6 Identität und die Beziehung zu den Gleichaltrigen
8.6.1 Einleitung
Positive Beziehungen zu den Peers stellen gerade in der Adoleszenz eine wertvolle Ressource
dar. Sie können in vieler Hinsicht zur Bewältigung der neuen Aufgaben förderlich sein.
Freundschaften bieten emotionale Unterstützung und Sicherheit, können besonders in
schwierigen Übergangsphasen wichtig werden und dienen zum Teil auch als Puffer gegen
unangenehme Erfahrungen (Siegler et al., 2005, S. 712-713). Ausgegrenzte Jungendliche
bzw. Jugendliche mit wenigen Freundschaften weisen mehr internale und externale Probleme
auf (Burk & Laursen, 2005).
155
Aber auch für den Prozess der Individuation kann eine gute Beziehung zu Gleichaltrigen eine
Stütze sein, um die nötige Distanzierung von den Eltern zu bewältigen und neue
Beziehungserfahrungen sammeln zu können. Diese bieten darüber hinaus die Möglichkeit, die
eigene Beziehungsfähigkeit auszubauen. Die Gruppe der Freunde und Freundinnen stellt den
geeigneten Rahmen zur Verfügung, um soziale Regeln zu erproben und Konflikte lösen zu
lernen. Fend (1998) zieht in seinen Ausführungen zu diesem Themenkreis „die zentrale
Schlussfolgerung“, „dass die Identitätsbildung u.a. in der Adoleszenz im Medium der
Aushandlungen und Abgrenzungen in den Peer-Beziehungen geschieht. Hier wird
experimentell und in ernsthaften Gesprächen unter Freunden das ‚Eigene’ und das ‚Fremde’
ausgetestet, wird Abgrenzung erprobt und Identifikation durchgespielt, wird ein Lebensstil
erarbeitet, wird der Kern des eigenen Selbst konstruiert und mit anderen Feldern der
Identitätsbildung balanciert“ (S. 241). Selbstverständlich gelten diese Charakterisierungen nur
für echte, von gegenseitiger Wertschätzung und Rücksichtnahme getragene Freundesgruppen,
nicht für Jugendgruppen allgemein. In dem vorliegendem Projekt wurde daher die Beziehung
zu den Peers an Hand des IPPA getestet, der auch die Qualität der Beziehung zu
Gleichaltrigen erfasst. Er wurde bereits zu t5 eingesetzt, als die Heranwachsenden elf Jahre alt
waren (zur Skalenkonstruktion siehe Rollett & Hanfstingl, 2004).
8.6.2 Methodisches Vorgehen
Um einen längsschnittlichen Vergleich zu ermöglichen, wurden die zu t5 für die Erfassung
der Peerbeziehungen ermittelten Skalen des IPPA aufgrund der Daten der aktuellen Erhebung
einer Reliabilitätsanalyse unterzogen. Die Cronbach’s Alphas erwiesen sich als nahezu ident
mit jenen zu t5, so dass die Skalen der letzten Testung übernommen werden konnten (s. Tab.
90).
Tab. 90. Beziehung zu den Peers (t6): Skalen des IPPA
Skalenbezeichnung Itemanzahl Item Cronbachs Alpha
Vertrauen 6 6, 8, 13, 17, 20, 21 .844 Kommunikation 11 1, 2, 3, 7,12, 14, 15, 16, 19, 24, 25 .895 Neg. emotionale Beziehung 3 5, 11, 18 .672 Entfremdung 4 4, 10, 22, 23 .722
156
8.6.3 Peerbeziehungen und Identität: Korrelationen
Neben der Bindung an die Eltern spielen die Beziehungen zu den Gleichaltrigen im Prozess
des Übergangs in das Erwachsenenalter eine wichtige Rolle. Um einen Überblick über die
Befundlage zu erhalten, sollen zunächst Korrelationen zwischen dem IPPA und IDEA-Y,
getrennt nach männlichen und weiblichen Jugendlichen, berichtet werden.
In der weibliche Stichprobe geht eine gute Gesprächskultur mit den Peers mit einer höheren
Bereitschaft, zu explorieren (r = .248) sowie einem höheren Stellenwert der Beziehungen zu
den Freunden und Freundinnen einher (r = .269). Erhöhte Belastung durch die Jugendphase
korreliert mit negativen emotionalen Beziehungen zu den Peers (r = .286) und dem Gefühl der
Entfremdung von ihnen (r = .414). Weiters bestehen positive Zusammenhänge zwischen dem
Vertrauen zu den Freunden und Freundinnen (r = .310), einer guten Kommunikation
(r = .278) und dem Fehlen einer negativen emotionalen Beziehung (r =-.305) mit der Skala
„Verantwortung und Freiheit“ im IDEA-Y einher.
Bei den männlichen Jugendlichen zeigen sich wesentlich weniger Zusammenhänge zwischen
der durch den IPPA erfassten Beziehung zu den Freunden und Freundinnen und den Skalen
des Identitätsfragebogens: Die Skala „Kommunikation mit den Peers“ des IPPA weist
erwartungsgemäß eine positive Korrelation mit der Skala Beziehung (zu den Freunden und
Freundinnen) des IDEA-Y auf (r = .445). Eine weitere positive Korrelation besteht zwischen
der positiven Gesprächsbasis mit den Peers und der Bereitschaft zur Exploration (r = .400).
Offenbar bedeutet das Eingebundensein in die Peergroup für die Jugendlichen eine ähnlich
sichere Basis, wie dies in den frühen Alterstufen die Bindung an die Eltern darstellt.
8.6.4 Unterschiede der Identitätsstatusgruppen in der Beziehung zu Freunden und Freundinnen
Wie aus Tab. 91 hervorgeht, weisen die Identitätsstatusgruppen in der Skala Kommunikation
des IPPA signifikante Unterschiede auf. Jugendliche mit einer erarbeiteten Identität und jene
im Moratorium berichten eine signifikant bessere Kommunikationskultur mit ihren Freunden
und Freundinnen, als Jugendliche im Stadium der diffusen Identität. Dies deutet darauf hin,
157
dass eine konstruktive, zu einem ersten Abschluss der Identitätsbildung führende
Auseinandersetzung mit sich und der Umwelt mit einer konstruktiven Gesprächskultur in der
Jugendgruppe einhergeht. Bei den übrigen Skalen des IPPA bestehen keine Unterschiede
zwischen den Identitätsstatusgruppen.
Tab. 91. Identität und die Beziehung zu den Peers (ANOVA)
Beziehung zu den Peers Identitätsstadien N M SD p
Kommunikation
Erarbeitete Identität 24 4.1439 .50575
.002 Moratorium 61 4.1341 .55858 Diffuse Identität. 31 3.7243 .62874 Übernom. Identität 21 3.7749 .55493
M = Mittelwert SD = Standardabweichung n = Anzahl p = Signifikanzniveau
8.6.5 Identitätsstatusgruppen und Beziehung zum anderen Geschlecht
Eine wichtige zukunftsweisende Entwicklungsaufgabe des Jugendalters, die das
Erwachsensein vorbereitet, ist die – in diesem Alter in der Regel zeitlich begrenzte - Bindung
an einen festen Partner- bzw. eine feste Partnerin. In Tab. 92 wird daher der Zusammenhang
zwischen den vier Identitätsstadien und der Angabe, ob die Jugendlichen bereits über einen
festen Freund oder eine feste Freundin verfügen, untersucht. Es zeigte sich zwar nur eine
tendenzielle Signifikanz, die Ergebnisse gehen aber in die erwartete Richtung: Jugendliche im
Moratorium haben häufiger und Jugendliche mit einer diffusen oder einer übernommenen
Identität seltener als zu erwarten einen festen Partner bzw. eine feste Partnerin. Die
Jugendlichen im Moratorium sind auf der Suche nach neuen Lebensformen, zu denen auch
die Partnersuche gehört, während Jugendliche mit einer diffusen Identität den
Entwicklungsaufgaben, die das Erwachsenenalter vorbereiten, ausweichen. Jugendliche mit
einer übernommenen Identität bleiben länger an die Eltern gebunden und haben aus diesem
Grund weniger Interesse an neuen Bindungen.
158
Tab. 92. Feste Freundin/festen Freund in den Identitätsstadien
Identitätsstadien
Ich habe einen festen Freund/
eine feste Freundin Gesamt
nein ja nein
Erarbeitete Identität Anzahl 20 4 24Erwartete Anzahl 19.4 4.6 24% von Identitätsstadien 83.3% 16.7% 100%
Moratorium Anzahl 44 17 61Erwartete Anzahl 49.4 11.6 61% von Identitätsstadien 72.1% 27.9% 100%
diffuse Identität Anzahl 28 3 31Erwartete Anzahl 25.1 5.9 31% von Identitätsstadien 90.3% 9.7% 100%
übernommene Identität Anzahl 19 2 21Erwartete Anzahl 17 4 21% von Identitätsstadien 90.5% 9.5% 100%
Gesamt Anzahl 111 26 137Erwartete Anzahl 111 26 137% von Identitätsstadien 81% 19% 100%
Exakter Test nach Fischer p = .546
8.7 Identität und Persönlichkeit
8.7.1 Beziehungen zwischen den Skalen des IDEA-Y und den Persönlichkeitsdimensionen des NEO-FFI: Korrelationen
Die individuelle Identität kann als einzigartiger Aspekt der Persönlichkeitsstruktur verstanden
werden, die sowohl mit dem Bild, das sich andere von dieser Struktur machen als auch mit
dem eigenen Verständnis der persönlichen Identität verbunden ist (vgl. Oerter & Dreher,
2002). Die Identitätsentwicklung erfolgt daher nicht unabhängig von der
Persönlichkeitsentwicklung. Diesen Beziehungen wird im Folgenden nachgegangen.
Wie zu erwarten, bestehen Relationen zwischen der Persönlichkeitsdimension „Offenheit“ im
NEO-FFI und den Skalen des IDEA-Y „Explorieren“ (r = .404), „Veränderungen“ (r = .225),
„Übernahme von Verantwortung“ (r = .333) und „Beziehungen zu Freunden/Freundinnen“
(r = .290). Zwischen Extraversion und Exploration besteht eine geringe positive Korrelation
(r = .197), eine etwas höhere Korrelation mit der Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme
159
für sich und andere (r = .337). Zwischen Neurotizismus und der Skala „Belastung“ im IDEA-
Y besteht erwartungsgemäß eine mittlere Korrelation von .433.
8.7.2 Identitätsstatus und Persönlichkeit
In Bezug auf die vier Identitätsstatusgruppen nach Marcia zeigen Jugendlichen im Stadium
der diffusen Identität signifikant niedrigere Werte in der Skala „Gewissenhaftigkeit“ des
NEO-FFI, als dies bei den Jugendlichen in den anderen Identitätsstadien der Fall ist, was auf
die allgemeine Neigung dieser Jugendlichen hinweist, sich Anforderungen eher zu entziehen.
Die höchsten Ausprägungen haben Jugendliche im Stadium der erarbeiteten Identität.
Jugendliche in den Stadien der erarbeiteten Identität und im Moratorium weisen tendenziell
eine höhere Offenheit als die Jugendlichen im Stadium der diffusen Identität auf (siehe Tab.
93). Bei den weiteren Persönlichkeitsdimensionen des NEO-FFI zeigten sich keine
signifikanten Unterschiede zwischen den Statusgruppen.
Tab. 93. NEO-FFI Skalen und Identitätsstadien (ANOVA)
NEO-FFI Skalen Identitätsstadien n M SD p
Gewissenhaftigkeit
Erarbeitete Identität 24 44.62 6.72
.005 Moratorium 61 43.49 7.62 Diffuse Identität. 31 38.67 8.52 Übernom. Identität 21 45.47 7.60
Offenheit
Erarbeitete Identität 24 44.54 5.66
.061 Moratorium 61 44.70 6.62 Diffuse Identität. 31 41.09 7.24 Übernom. Identität 21 41.95 7.47
M = Mittelwert SD = Standardabweichung n = Anzahl p = Signifikanzniveau
8.8 Pfadanalysen der Identitätsentwicklung
Eine wichtige Frage betrifft die Entwicklung der Identitätsbildung von t4, als die Kinder acht
Jahre alt waren, bis zum aktuellen Zeitpunkt. Zu diesem Zweck werden im Folgenden
Pfadanalysen nach dem Modell von Wold (1979) und Lohmöller (1987) berichtet. Nach
Marcia bestimmen die Faktoren Exploration und Commitment die Identitätsentwicklung. Als
Zielvariable des ersten Pfadmodells wurde daher eine latente Variable aus den beiden
manifesten Variablen des IDEA-Y „Exploration“ und „Verantwortung/Freiheit“ (die gewisse
160
Aspekte des Commitment abbildet) konstruiert (Modell 1). Eine weitere Pfadanalyse wurde
für die Zielvariable „Belastung“ aus dem IDEA-Y berechnet, um negative Entwicklungen
modellieren zu können (Modell 2).
In die Pfadanalysen wurden Variablen aufgenommen, die bei den vorangegangenen Analysen
einen Einfluss auf die Identitätsbildung zeigten. Als latente Variablen wurden das
Temperament zu t4 (manifeste Variablen: Erziehbarkeit, Ärgerneigung/ negative Stimmung,
Offenheit gegenüber Erfahrungen, Introversion, Extraversion, Zielstrebigkeit, Folgsamkeit),
die Persönlichkeit zu t6 (manifeste Variablen: Gewissenhaftigkeit, Verträglichkeit, Offenheit,
Extraversion, Neurotizismus) und das Erziehungsverhalten der Mutter zu t4 (manifeste
Variablen: Unterstützung, Zuwendung, Vertrauen) in die Berechnung einbezogen. In
verschiedenen Auswertungen hatte sich die Bindung, und hier vor allem die Bindung an die
Mutter als wichtige Einflussvariable erwiesen. Sie wurde (wie auch die in ähnlicher Weise
erhobene Beziehung zu den Peers) als latente Variable in die Pfadanalyse aufgenommen
(manifeste Variablen: Vertrauen, Kommunikation, negative emotionale Beziehung und
Entfremdung). Als weitere manifeste Variablen wurden die Belastung der Mutter durch das
Kind zu t6 und die von der Mutter beurteilte Kommunikation mit ihrem Partner zu t5
berücksichtigt.
In Tab. 94 sind die jeweiligen Ladungen der manifesten Variablen auf den latenten Variablen
angeführt. Wie die Ladungsmuster des Temperaments zu t4 in beiden Modellen erkennen
lassen, ist sowohl für die Exploration und Verantwortungsübernahme als auch für die
Belastung in der Jugendphase ein positives Temperament von Einfluss, welches vor allem
durch Erziehbarkeit (Ladungen .83 und .84), fehlende Ärgerneigung (jeweils .-80),
Zielstrebigkeit (.63 und .64) und Folgsamkeit (jeweils .60) bestimmt wird.
Das Erziehungsverhalten der Mutter zu t4 ist durch Zuwendung, Unterstützung und fehlende
Strenge charakterisiert. Die Bindung an die Mutter bzw. die Beziehung zu den Peers ist für
die Zielvariable Exploration/Verantwortung durch eine vertrauensvolle Beziehung und eine
gute Kommunikationsbasis sowie durch fehlende Entfremdung und Abwesenheit einer
negativen emotionalen Beziehung gekennzeichnet. Für die Zielvariable Belastung dagegen ist
eine negativ ausgeprägte Bindung an die Mutter sowie eine schlechte Beziehung zu den Peers
charakteristisch, wie die unterschiedlichen Vorzeichen der Ladungen der manifesten
Variablen zeigen. Die latente Variable Persönlichkeit, welche aus den Skalen des NEO FFI
gebildet wurde, ist im ersten Modell vor allem durch Verträglichkeit und Extraversion und in
161
zweiter Linie durch Gewissenhaftigkeit und Offenheit sowie die Abwesenheit von
Neurotizismus bestimmt. Ein gegensätzliches Ladungsmuster findet sich bezüglich des
zweiten Modells. Hier schlägt vor allem der Neurotizismus mit einer positiven Ladung durch,
während die anderen Ladungen ein negatives Vorzeichen aufweisen.
Tab. 94. Latente und Manifeste Variablen in den Pfadanalysen mit Mütterdaten
Konstituierende Variablen Ladungen
Modell 1 Exploration/ Verantwortung
Modell 2 Belastung
1 Temperament des Kindes/t4 Erziehbarkeit 83 84
Ärgerneigung/neg. Stimmung
-80 -80
Offenheit gegenüber Erfahrungen
57 56
Introversion -27 -25
Extraversion 34 32
Zielstrebigkeit 63 64
Folgsamkeit 60 60
2 Mütterliches Erziehungsverhalten/t4
Unterstützung 55 62
Strenge -60 -51
Zuwendung 81 83
3 Bewertung der Kommunikation in der Partnerschaft durch die Mutter/t5
4 Belastung der Mutter durch Sohn/Tochter/t6
5 Bindung an die Mutter/t6
Vertrauen 88 -86
Kommunikation 91 -90
Negative emotionale Beziehung -81 82
Entfremdung -78 79
6 Beziehung zu den Peers/t6 Vertrauen 90 -90
Kommunikation 82 -77
Negative emotionale Beziehung -79 82
Entfremdung -84 85
7 Persönlichkeit im NEO – FFI/t6 Gewissenhaftigkeit 53 -52
Verträglichkeit 64 -68
162
Offenheit 45 -19
Extraversion 65 -56
Neurotizismus -59 76
8a Zielvariable Identität: Exploration und Verantwortungsübernahme für sich selbst und andere
Exploration (IDEA-Y)
66
Verantwortung/Freiheit (IDEA-Y) 94
8b Zielvariable Belastung Belastung (IDEA-Y)
Wie Tab. 95 und Tab. 96 zeigen, können mit Hilfe der in die Pfadanalysen aufgenommenen
Variablen in Modell 1 (Zielvariable Exploration/Verantwortung) 37%, im Modell 2
(Zielvariable Belastung) 26% der Varianz aufgeklärt werden.
Tab. 95. Exploration und Verantwortung: Quadrierte multiple Korrelation R²
1 2 3 4 5 6 7 8a R² 0 12 9 21 9 21 53 37
Legende:
1 = Temperament des Kindes/t4 2 = Mütterliches Erziehungsverhalten/t4 3 = Bewertung der Kommunikation in der Partnerschaft durch die Mutter/t5 4 = Belastung der Mutter durch Sohn/Tochter/t6 5 = Bindung an die Mutter/t6
6 = Beziehung zu den Peers/t6 7 = Persönlichkeit im NEO-FFI/t6
8a = Zielvariable Exploration und Verantwortung 8b = Zielvariable Belastung
Tab. 96. Belastung: Quadrierte multiple Korrelation R²
1 2 3 4 5 6 7 8b R² 0 12 9 21 10 21 54 26
Legende: siehe oben
8.8.1 Pfadmodell 1: Längsschnittliche Entwicklung der Identität im Jugendalter
Wie oben ausgeführt, stellen die Explorationsbereitschaft und die Bereitschaft zur
Verantwortungsübernahme für sich selbst und andere den Kern der Identitätsentwicklung im
Jugendalter dar. Diese beiden Variablen aus dem IDEA-Y wurden daher zur Konstruktion der
163
latenten Variable „Identität“ benützt. Die folgende Abb. 22 veranschaulicht das resultierende
Beziehungsmuster.
Ärgerneigung
n = 94
Zielstrebigkeit
Offenheit Erziehbarkeit
.35
VertrauenKommunikation
Negative emotionaleBeziehung
Entfremdung
Unterstützung
Zuwendung
Strenge
MütterlicherErziehungsstil
t4 (HAMEL)
Temperamentdes Kindes t4
Folgsamkeit
Vertrauen
Kommunikation
Negative emotionaleBeziehung
Entfremdung
Beziehungzu den Peers
t6
Belastung der Mutter durch Sohn/Tocher t6
Exploration
Verantwortung/Freiheit
Offenheit
Gewissenhaftigkeit
Extraversion
Verträglichkeit
Persönlichkeitt6 (NEO-FFI)
Neurotizismus
.18
-.24
.16
.17
.18
-.21
.23
-.17
.27
.24
.31
.50
.35
.15
.54
.83-.80.57
.34
.63
.60
.55
.81
-.60
.88
.91
-.81
-.78
.90.82
-.79
-.84
.53
.64
.45
.65
-.59
.66
.94
-.27
-.23
.23
Bindung an die Mutter
t6
KommunikationsbewertungMutter über Vater t5 (PFB)
Identität
Extraversion
Introversion
Abb. 22. Modell 1, Pfadanalyse der Zielvariable „Identität“
Wie daraus hervorgeht, fördert eine von der Mutter positiv bewertete Kommunikation mit
ihrem Partner zu t5 die Identitätsentwicklung der Jugendlichen, wie der direkte Pfad von .31
zeigt. Eine zu positive Bindung an die Mutter zu t6 ist allerdings der Identitätsentwicklung
nicht förderlich, wie aus dem Pfad von -.23 ersichtlich ist, begünstigt aber andererseits eine
positive Entwicklung der Beziehung zu den Peers (.23) und wirkt sich fördernd auf eine
positive Persönlichkeitsentwicklung der Jugendlichen zu t6 aus (.50), die ihrerseits mit einem
sehr ausgeprägten direkten Pfad von .54 die Entwicklung der Identität unterstützt. Ein
geringfügiger direkter Pfad von .15 führt außerdem von der Beziehung zu den Peers zur
Identitätsentwicklung, was auf den Anteil der Gleichaltrigen an der Identitätsbildung der
164
Jugendlichen hinweist. Eine positive Persönlichkeit der Jugendlichen wird durch ein
günstiges frühes Erziehungsverhalten der Mutter (.23) und eine intakte Beziehung zu den
Peers im Jugendalter (.35) unterstützt.
Ein positives Temperament im Alter von acht Jahren unterstützt einen positiven
Erziehungsstil der Mutter zum selben Erhebungszeitpunkt (.35) und mindert die von der
Mutter zu t6 empfundene Belastung durch den Sohn bzw. die Tochter (.-24): Wurden die
Kinder zu t4 von ihren Müttern temperamentmäßig als erziehbar, folgsam, zielstrebig und
wenig zu Ärger neigend beschrieben, dann kommt es nicht nur zu einem positiven, durch
Zuwendung Unterstützung und geringe Strenge gekennzeichneten mütterlichen
Erziehungsverhalten, sondern langfristig zu einer Belastungsreduktion der Mütter. Positive
Temperamentseigenschaften der Kinder tragen weiters, wenn auch nur geringfügig, zu einer
positiven Kommunikation der Mütter mit ihren Partnern zu t5 bei (.18). Sie fördern außerdem
in gewisser Hinsicht sowohl eine positive Bindung an die Mutter im Jugendalter (.16) als
auch positive Beziehungen zu den Peers (.17) zu t6.
Ein günstiger Erziehungsstil zu t4 geht mit einer positiven Kommunikation in der
Partnerschaft zu t5 einher (.18), trägt zu einer geringeren Belastung der Mutter zu t6 bei (-.20)
und hat einen positive Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung (.23) der Jugendlichen.
Eine günstige Partnerschaftskommunikation fördert außerdem eine positive Gestaltung der
Bindung des Jugendlichen an ihre Mutter (.27) sowie eine günstige Beziehung zu den Peers
(.24) und verringert die von der Mutter empfundene Belastung durch den Sohn bzw. die
Tochter zu t6 (-.17). Wie diese Darstellung zeigt, sind es vor allem die positiven
individuellen, familiären und sozialen Entwicklungsbedingungen, welche die
Identitätsbildung unterstützen.
8.8.2 Pfadmodell 2: Längsschnittliche Entwicklung der von den Adoleszenten erlebten Belastung im Jugendalter
Um auch den Bedingungen einer durch Belastung gekennzeichneten Jugendphase nachgehen
zu können, wurde ein Pfadmodell mit der Zielvariable „Belastung“ (IDEA-Y) gerechnet (s.
Abb. 23). Die direkten Pfade von den Vorläufervariablen zur Zielvariable Belastung bilden
einige überraschende Ergebnisse ab: Ein positives Erziehungsverhalten der Mutter zu t4
165
verringert die Belastung des Jugendlichen zu t6 (.23). Den stärksten Einfluss hat eine durch
hohen Neurotizismus gekennzeichnete Persönlichkeit auf das Belastungserleben: der Pfad
beträgt .45. Dies bedeutet, dass emotional labile Jugendliche schwieriger die Belastungen der
Jugendzeit bewältigen können. Weiters lässt es darauf schließen, dass Jugendliche mit
geringer Verträglichkeit häufiger in Konflikt mit ihrem sozialen Umfeld geraten und dadurch
ihr Umfeld für die Anforderungen des Jugendalters als weniger unterstützend erleben und
somit das Jugendalter als belastender empfinden.
Überraschend ist zunächst, dass eine von der Mutter als positiv bewertete Kommunikation mit
ihren Partner zu t5 zu einer höheren Belastung des Jugendlichen in der Adoleszenz Anlass
gibt (.24). Möglicherweise ist die von der Mutter berichtete gute Kommunikationsbasis mit
dem Vater Ausdruck einer gewissen Distanzierung von dem mit Schwierigkeiten kämpfenden
Sohn bzw. der Tochter. Die resultierende Isolierung des Jugendlichen könnte sehr wohl die
Ursache für das aktuelle erhöhte Belastungserleben sein.
Die durch mangelndes Vertrauen, fehlende Kommunikation, Entfremdung und durch negative
Emotionen charakterisierten negativen Beziehungen zur Mutter und zu den Peers haben in
diesem Modell keine direkten Pfade zu der Zielvariable Belastung, sondern beeinflussen
jeweils mit Pfaden von .51 bzw. .37 über die (negative) Persönlichkeit das Ausmaß der
Belastung. Eine als schwierig erlebte Bindung an die Mutter wirkt sich außerdem ungünstig
auf die Qualität der Beziehungen zu den Peers aus (.25). Sie stellt damit ein Risiko für die
Persönlichkeitsentwicklung dar.
Ein positives Temperament zu t4 erweist sich auch im Modell 2 als eine Variable, der eine
gewisse Schutzfunktion im Entwicklungsverlauf zukommt: Sie steht mit einem günstigen
Erziehungsstil und einer guten Partnerschaftskommunikation in positiver (.35 bzw. .18), mit
einer defizitären Bindung an die Mutter (-.17), ihrer Belastung durch den Sohn bzw. die
Tochter (-.25) und einer ungünstigen Beziehungsgestaltung zu den Peers (-.17) in negativer
Beziehung.
166
Extraversion
Ärgerneigung
n = 94
Zielstrebigkeit
Offenheit Erziehbarkeit
.35
VertrauenKommunikation
Negative emotionaleBeziehung
Entfremdung
Unterstützung
Zuwendung
Strenge
MütterlicherErziehungsstil
t4 (HAMEL)
Temperamentdes Kindes t4
Folgsamkeit
Vertrauen
Kommunikation
Negative emotionaleBeziehung
Entfremdung
Belastung der Mutter durch Sohn/Tochter t6
Offenheit
Gewissenhaftigkeit
Extraversion
Verträglichkeit
Neurotizismus
.18
-.25
-.17
-.17
.19
-.20
-.19
-.17
-.27
-.23
.24
.51
.37
.45
.84-.80.56
.32
.64
.60
.62
.83
-.51
-.86-.90
.82
.79
-.90-.77
.82
.85
-.52
-.68
-.19
-.56
.76
Introversion -.25
.25
.23
Belastung(IDEA)
Persönlichkeitt6 (NEO-FFI)
Bindung andie Mutter
t6
KommunikationsbewertungMutter über Vater t5 (PFB)
Beziehungzu den Peers
t6
Abb. 23. Modell 2, Pfadanalyse der Zielvariable „Belastung“
Wie die berichteten Untersuchungsergebnisse darlegen, stellt die Identitätsentwicklung
tatsächlich eine zentrale Entwicklungsaufgabe des Jugendalters dar, die mit anderen
Entwicklungslinien in vielfältigen Beziehungen steht. Bei pädagogischen bis hin zu
therapeutischen Interventionen bei auffälligen Jugendlichen sollte daher die Förderung der
Identitätsentwicklung einen besonderen Schwerpunkt bilden.
167
9. Kurzzussammenfassung Das Forschungsprojekt „Familienentwicklung im Lebenslauf (FIL): Familienbezogene und
individuelle Entwicklungsaufgaben und ihre Bewältigung im Jugendalter“ stellt die sechste
Erhebungswelle einer Längsschnittstudie dar, die begonnen wurde, als die Mütter der
Untersuchungsstichprobe im sechsten Schwangerschaftsmonat waren (t1). Weitere
Erhebungswellen wurden durchgeführt, als die Kinder drei Monate (t2), drei Jahre (t3), acht
Jahre (t4) und elf Jahre (t5) alt waren. Zum aktuellen Untersuchungszeitpunkt (t6), im Alter
der Kinder von fünfzehn Jahren, konnten von den ursprünglich 175 Familien noch 134
erreicht werden. Zu jedem Untersuchungszeitpunkt wurde eine sehr umfangreiche Batterie
von Erhebungsinstrumenten vorgegeben, um einerseits die Veränderungen der familiären
Situation zu erfassen, andererseits eine differenzierte Darstellung der längsschnittlichen
Entwicklung der Kinder im Kontext der verschiedenen familiären Rahmenbedingungen zu
ermöglichen.
Eine zentrale Untersuchungsfrage des Projekts „ Familienentwicklung im Lebenslauf (FIL)“
betrifft die Entwicklung der Partnerbeziehung vor dem Hintergrund der durch die Elternschaft
sich ergebenden Verpflichtungen. Über die sechs Erhebungswellen hinweg zeigte sich z.B.
zunächst, dass die Glücklichkeit der Paare von Untersuchungszeitpunkt zu
Untersuchungszeitpunkt zunächst abnahm, sich aber zum gegenwärtigen
Untersuchungszeitpunkt stabilisierte bzw. leicht verbesserte. Unter anderem spielt dabei der
Grad der Belastung durch die Kinder bzw. Jugendlichen eine nicht unbedeutende Rolle.
Entsprechende Variablen wurden daher zu jedem Untersuchungszeitpunkt berücksichtigt. Auf
Seiten der Eltern stellt die Neigung zu Streitverhalten in den betroffenen Familien eine über
alle Erhebungswellen hinweg äußerst stabile Variable dar, die nicht nur eine Belastung für das
Familienleben allgemein darstellt, sondern viele Facetten der kindlichen Entwicklung
beeinträchtigt. Vermittelt über die resultierende Verschlechterung der Beziehung der
Heranwachsenden zu ihren Eltern kommt es z.B. zu einer zunehmenden Verstärkung
problematischer kindlicher Persönlichkeitseigenschaften, zu einer größeren Neigung zur
Leistungsverweigerung und, wie die aktuelle sechste Erhebungswelle gezeigt hat, zu
vermehrten Konflikten mit den Eltern. Betroffene Jugendliche werden immer weniger durch
erzieherische Maßnahmen der Eltern erreichbar. Im Fall einer günstigen Gestaltung des
Familienlebens resultiert dagegen eine gute Beziehung zwischen Eltern und Kindern, die eine
168
positive Entwicklung sowohl der familiären Situation als auch der Heranwachsenden
unterstützt.
Auf Seiten der Jugendlichen stellt das bereits im Alter von drei Monaten beobachtbare
individuelle, verschiedene Komponenten umfassende Temperament einen Faktor dar, der
schon früh die Entwicklung der Art der Integration des Kindes in die Familie beeinflusst. Im
Jugendalter bestimmt es die erfolgreiche Auseinandersetzung mit den dafür spezifischen
Entwicklungsaufgaben mit. Überraschend ist in diesem Zusammenhang, dass sich bei einem
personenorientierten Zugang nur eine sehr mäßige Stabilität der im Alter von drei Monaten
ermittelten Temperamentstypen (nach Thomas & Chess, 1977) in der weiteren Entwicklung
zeigt: So wiesen z.B. nur etwa 50% der im Säuglingsalter von ihren Müttern als „pflegeleicht“
bezeichneten Kinder mit 15 Jahren noch ein pflegeleichtes Temperament auf. Bei einem
variablenorientierten Zugang ließen sich jedoch aufschlussreiche Beziehungen der einzelnen
Temperamentskomponenten über die Zeit hinweg feststellen. So konnten aufgrund der
Resultate der Längsschnittstudie zwei über die Zeitpunkte hinweg immer stabiler werdende,
für die kindliche Entwicklung und die Reaktionen der sozialen Umwelt auf es besonders
bedeutsame Temperamentskomponenten ermitteln: Die (soziale) „Anpassungsbereitschaft“
unterstützt in vielen Bereichen eine günstige Entwicklung, während die „Ärgerbereitschaft“
sie beeinträchtigt. Hier bieten sich Ansatzpunkte für präventive Maßnahmen.
Eine zentrale Entwicklungsaufgabe des Jugendalters besteht in der Erarbeitung einer neuen,
die Gestaltung der eigenen Zukunft einbeziehenden und durch zunehmende
Verantwortungsübernahme für sich selbst und andere gekennzeichneten Identität. Die
Mehrzahl der Jugendlichen befand sich nach Marcia (1966, 1980) im Stadium des
„Moratoriums“, das durch eine verstärkte Exploration von gegenwärtigen und zukünftigen
Möglichkeiten gekennzeichnet ist. Bei den Jugendlichen im Stadium der „übernommenen
Identität“ fand sich die engste Beziehung zur Familie. Es ließen sich aber auch gewisse
Probleme bei der Integration in die Gleichaltrigengruppe feststellen. Die günstigste
Entwicklung zeigten Jugendliche mit einer „erarbeiteten Identität“, da bei ihnen die
Entwicklungsaufgabe, für sich eine neue, dem Übergang zum Erwachsenenalter angenäherte
Identität zu finden, bereits zu einer ersten Lösung geführt hatte. Jugendliche im Stadium der
„diffusen Identität“ erwiesen sich dagegen in vieler Hinsicht als Risikogruppe.
169
Weitere, vor allem auch praxisrelevante Resultate konnten durch die Einbeziehung der
beruflichen Orientierung der Jugendlichen in die Analysen erzielt werden, da sich zeigte, dass
nur unter Einbeziehung individueller bzw. persönlichkeitsspezifischen Variablen eine
angemessene Berufsberatung erfolgen kann. Die ebenfalls durchgeführten Untersuchungen
des Freizeitverhaltens wiesen auf die Bedeutung dieses Bereichs für die Identitätsentwicklung
hin, da die Jugendlichen hier die Chance haben, unabhängig von den Eltern Neues zu
erproben und ihren sozialen Horizont auszuweiten. Ein in der Forschung bisher wenig
beachtetes, für die Entwicklung der Erwachsenenpersönlichkeit aber äußerst wichtiges Gebiet
stellt die Qualität der Zukunftsorientierung der Jugendlichen dar. Sie bildete daher einen
weiteren Schwerpunkt der vorliegenden Studie. So konnte z.B. nachgewiesen werden, dass
zukunftspessimistische Jugendliche auch in anderer Hinsicht eine Problemgruppe darstellen,
da sie hohe Neurotizismuswerte zeigen und zu sozialer Isolation neigen. Eine frühzeitige
Identifikation betroffener Jugendlicher, wie sie z.B. durch die in dem Projekt entwickelten
Diagnoseinstrumente möglich ist, stellt eine wichtige Vorraussetzung für ein Angebot
entsprechender Hilfen dar. Die Ergebnisse der Studie sind daher in vielfacher Hinsicht
geeignet, Möglichkeiten für eine Frühprävention aufzuzeigen und entsprechende Hinweise für
die Entwicklung von Interventionsprogrammen bereitzustellen.
170
10. Literaturverzeichnis
Ainsworth, M. D. S., Blehar, M. C., Waters, E. & Wall, S. (1978). Patterns of attachment:A psychological study of the strange situation. Hillsdale, NJ: Erlbaum.
Armsden, G. C. & Greenberg, M. T. (1987). The inventory of parent and peer attachment:
Individual differences and their relationship to psychological well-being in adolescence. Journal of Youth and Adolescence, 16, 427-454.
Asendorpf, J. B. (2005³). Psychologie der Persönlichkeit. Heidelberg: Springer Medizin. Baumgärtel, F. (1979). Hamburg-Erziehungsverhaltensliste für Mütter (HAMEL). Göttingen:
Hogrefe. Berry, J. W., Poortinga, Y. H., Segall, M. H. & Dasen, P. R. (1992/2002²). Cross-cultural
psychology: Research and applications. New York: Cambridge University Press. Berry, J. W. (2008). Ask a different question, get a different answer. Vortrag gehalten auf dem
29th International Congress of Psychology, 2008, Berlin. Borkenau, P. & Ostendorf, F. (1993). NEO-Fünf-Faktoren Inventar (NEO-FFI). Göttingen:
Hogrefe. Brandl, K. (2008). Das Freizeitverhalten Jugendlicher. Unveröffentlichte Diplomarbeit,
Universität Wien. Burk, W. J. & Laursen, B. (2005). Adolescent perceptions of friendship and their associations
with individual adjustment. International Journal of Behavioural Development, 29, 156-164.
Buss, A. H. & Plomin, R. (1984). Temperament: Early developing personality traits.
Hillsdale, NJ: Lawrence Erlbaum Associates. Cierpka, M. & Frevert, G. (1994). Die Familienbögen: Ein Inventarzur Einschätzung von
Familienfunktionen. Göttingen: Hogrefe.
171
Curdes von, B., Jahnke-Klein, S., Lohfeld, W. & Pieper-Seier, I. (2004). Mathematikstudentinnen und –studenten- Studienerfahrungen und Zukunftsvorstellungen. Berlin: Books on Demand.
Costa, P. T. Jr. & McCrae, R. R. (1992). Revised NEO Personality Inventory and NEO Five
Factor Inventory professional manual. Odessa, FL: Psychological Assessment Resources
Dunkel, C. S. & Anthis, K. S. (2001). The role of possible selves in identity formation: a
short-term longitudinal study. Journal of Adolescence,24, 765-776. Ensbacher, U. M. (2001). Bewältigung des Übertritts von der Grundschule in die
Sekundarstufe 1. Unveröff. Diplomarbeit. Wien: Universität. Erikson, E. H. (1973). Identität und Lebenszyklus. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Flammer, A. & Alsaker, F. (2002). Entwicklungspsychologie der Adoleszenz. Bern: Hans
Huber. Fend, H. (1998). Eltern und Kinder. Bern: Hans Huber. Fuhrer, U. & Trautner, H. M. (2005). Entwicklung und Identität. In B. Asendorpf (Hrsg),
Enzyklopädie der Psychologie. Soziale, emotionale und Persönlichkeitsentwicklung (Themenbereich C, Serie 5, Band 3) (S. 335-424). Göttingen: Hogrefe.
Göppel, R. (2005). Das Jugendalter: Entwicklungsaufgaben, Entwicklungskrisen,
Bewältigungsformen. Stuttgart: Kohlhammer. Gregor, J. (2007). Zukunftsorientierung in der Adoleszenz. Unveröffentlichte Diplomarbeit,
Universität Wien. Hahlweg, K. (1979). Konstruktion und Validierung des Partnerschaftsfragebogens (PFB).
Zeitschrift für Klinische Psychologie, 8, 17-40. Havighurst, R. J.(1982). Developmental tasks and education. (Original 1948). New York:
Longman.
172
Inglehart, R.. 1977. The Silent Revolution: Changing Values and Political Styles among Western Publics. Princeton: Princeton University Press.
Irle, M. & Allehoff, W. (1984). Berufs-Interessen-Test II (B-I-T II). Göttingen: Hogrefe. Kastner-Koller, U. & Deimann, P. (1998). Wiener Entwicklungstest (WET). Göttingen:
Hogrefe. Loeber, R. (1990). Development and risk factors of juvenile antisocial behaviour and
delinquency. Clinical Psychology Review, 10, 1-41. Lohmöller, J. B. (1987). LVPLS 1.8 programm manual: latent variables path analysis with
partial least squares estimation. Köln. Zentralarchiv für empirische Sozialforschung der Universität Köln.
Melchers, P.& Preuß, U. (1991) K-ABC, Kaufman Assessment Battery for Children. Frankfurt
a.M.: Lisse. Marcia, J. E. (1966). Development and validation of ego identity status. Journal of
Personality and Social Psychology, 3, 551-558. Marcia, J. E. (1980). Identity in adolescence. In J. Adelson (Ed.), Handbook of adolescent
psychology (pp. 159-187.) New York, NY: Wiley. Marcia, J. E. (1993). The ego identity status approach to ego identity. In A. S. Waterman, D.
R. Matteson, S. L. Archer & J. L. Orlofsky, (Eds.), Identity: a handbook for psychological research (pp. 3-21). New York: Springer.
Nickel, H., Grant, H.-B. & Vetter, J. (1990). Fragebogen zur Elternschaft. Düsseldorf:
Universität, Institut für Entwicklungs- und Sozialpsychologie. Nickel, H., Quaiser-Pohl, C., Rollett, B. & Werneck, H. (2001). Bedeutung von
Herkunftsfamilie und mütterlicher Berufstätigkeit für die partnerschaftliche Zufriedenheit in Deutschland, Österreich, Südkorea und Georgia/USA. In H. Nickel & C. Quaiser-Pohl (Hrsg.), Junge Eltern im kulturellen Wandel – Untersuchungen zur Familiengründung im internationalen Vergleich. Weinheim: Juventa.
173
Oerter, R. & Dreher, E. (2002). Jugendalter. In R. Oerter & L. Montada (Hrsg.), Entwicklungspsychologie (S. 258-317). Weinheim: Beltz.
Oettingen, G. (1997). Psychologie des Zukunftsdenkens. Göttingen: Hogrefe. Oser, F., Horn H. & Maiello, C. (2002). „Wenn ich groß bin, dann werde ich…“ -
Zukunftsvorstellungen von Kindern und Jugendlichen. Wissenschaftlicher Abschlussbericht (Forschungsprojekt Nr. 5004-047768, Schweizerischer Nationalfonds). Universität Fribourg.
Ostendorf, F. & Angleitner, A. (2003). NEO –Persönlichkeitsinventar (revidierte Form, NEO-
PI-R) nach Costa und McCrae. Göttingen: Hogrefe. Pollmann, T. A (1996). Zur Messung der beruflichen Präferenzen jugendlicher
Pflichtschulabgänger: Der „Fragebogen zur Berufs-Interessen-Lage“ (F-BIL). Unveröffentlichte Dissertation, Universität Wien.
Reifman, A., Arnett J. J. & Colwell, M. J. (2003). The IDEA: inventory of the Dimensions of
Emerging Adulthood“. Presentation at the 111th Annual Convention of the American Psychological Association, Toronto, Canada.
Rollett, B. (1999). Der Rückzug der Eltern aus der Erziehungsverantwortlichkeit als Problem
der Schule - Ursachen und Interventionsmöglichkeiten. In R. Olechowski & K. Garnitschnig (Hrsg.), Humane Schule, S. 257-271. Frankfurt: Lang.
Rollett, B. (2000). Diskussion zu Kurt Kreppners "Entwicklung von Eltern-Kind-
Beziehungen" In Schneewind, K. (Hrsg.), Themen der Familienpsychologie: Brückenschläge zwischen Theorie und Anwendung", S. 196-202.
Rollett, B. (2002). Frühe Kindheit, Störungen, Entwicklungrisiken, Förderungsmöglichkeiten.
In R. Oerter & L. Montada (Hrsg.), Entwicklungspsychologie, S.713-739. Weinheim: Beltz.
Rollett, B. (2005). Das Identitätsstatusdiagnoseinventar (ISDI). Wien: Universität, Fakultät
für Psychologie, Institut für Entwicklungspsychologie und Psychologische Diagnostik. Rollett, B. & Bartram, M. (19983). Anstrengungsvermeidungstest. Göttingen: Hogrefe.
174
Rollett, B, & Hanfstingl, B. (2004). Die kindlichen Temperamentstypen und ihre Charakterisierung. In B. Rollett, H. Werneck & B. Hanfstingl (Hrsg.). Das Längsschnittprojekt Familienentwicklung im Lebenslauf (FIL): Familienentwicklung beim Schulübertritt, S.41-66. Forschungsbericht. Fakultät für Psychologie, Institut für Entwicklungspsychologie und Psychologische Diagnostik, Universität Wien.
Rollett, B. & Werneck, H. (1993). Die Bedeutung von Rollenauffassungen junger Eltern für
den Übergang zur Elternschaft (Forschungsbericht). Wien: Universität, Institut für Psychologie, Abteilung für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie.
Rollett, B. & Werneck, H. (2001d). Difficult temperament at 3 months of age and
temperament at 3 years. Results of a longitudinal study. In K. W. Kallus, N. Posthumus & P. Jiménez (Eds.), Current psychological research in Austria. Proceedings of the 4th scientific conference of the Austrian Psychological Society (ÖGP). Graz: Akademische Druck- und Verlagsanstalt.
Rollett, B., Werneck, H. & Hanfstingl, B. (2005). Das Längsschnittprojekt
Familienentwicklung im Lebenslauf (FIL): Familienentwicklung beim Schulübertritt. Forschungsbericht. Fakultät für Psychologie, Institut für Entwicklungspsychologie und Psychologische Diagnostik, Universität Wien.
Rollett, B. & Werneck, H. (2006). Elterliche Partnerschaft und kindliches Leistungsverhalten.
In M. Endepohls-Ulpe & A. Jesse (Hrsg.), Familie und Beruf – weibliche Lebensperspektiven im Wandel, (S. 121-138). Bern: Peter Lang.
Rollett, B. & Werneck, H. (2008). Familienbeziehungen und ihr Einfluss auf die
Zukunftsvorstellungen von Jugendlichen. Vortrag gehalten auf der 8. Tagung der Österreichischen Gesellschaft für Psychologie, 2008, Linz.
Rollett, B., Werneck, H. & Hanfstingl, B. (2006). Elterliche Partnerschaft und kindliche
Leistungsbereitschaft. In B. Gula, R. Alexandrowicz, S. Strauß, E. Brunner, B. Jenull-Schiefer & O. Vitouch (Hrsg.), Perspektiven psychologischer Forschung in Österreich (S. 173-179). Lengerich: Pabst.
Rollett, B., Werneck, H., Hanfstingl, B., Pucher, M. & Nold, G. (2008). Continuity and
Discontinuity of Temperament between 3 Months and 15 Years of Age: Results of a longitudinal Study. Paper presented at the XXIX International Congress of Psychology, 2008, Berlin.
175
Rollett, B., Werneck, H. & Hanfstingl, B. (in Druck). Elterliche Partnerschaftsqualität und die Entwicklung der Neigung zum Neurotizismus bei den Kindern: Ergebnisse eines Längsschnittsprojekts. Psychologie in Erziehung und Unterricht.
Rothbart, M. K. & Bates, J. E. (1998). Temperament. In N. Eisenberg (Ed.), Handbook of
Childpsychology (Bd. 3, 5th edition, pp 105-176). New York: Wiley. Sanson, A., Hemphill, S. A. & Smart, D. (2004). Connections between Temperament and
Social Development: A Review. Social Development, 13 (1), 142-170. Siegler, R., DeLoache, J. & Eisenberg, N. (2005). Entwicklungspsychologie des Kindes- und
Jugendalters. Heidelberg: Elsevier. Sirsch, U. (2000). Probleme beim Schulwechsel. Münster: Waxmann. Tewes, U., Schallberger, U. & Rossmann, K. (2000). Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für
Kinder-III. Göttingen: Hogrefe. Thomas, A. & Chess, S. (1977). Temperament and Development. New York: Bruner/Mazel. Weiss, R. H. (1987). Grundintelligenztest Skala 2 CFT 20 mit Wortschatztest(WS) und
Zahlenfolgentest (ZF). Göttingen: Hogrefe. Werneck, H. (1998). Übergang zur Vaterschaft. Auf der Suche nach den „Neuen Vätern“.
Wien: Springer. Werneck, H. & Rollett, B. (2002). Die Rolle der kindlichen Temperamentsentwicklung für die
Familienentwicklung nach dem Übergang zur Elternschaft. In B. Rollett & H. Werneck (Hrsg.), Klinische Entwicklungspsychologie der Familie (S.98-117). Göttingen: Hogrefe.
Wold, H. (1979). Model construction and evaluation when theoretical knowledge is scarce:
An example of the use of Partial Least Squares. Cahier 79.06 du départment d’économétrie, faculté des sciences économiques et socials, Université de Genève.
176
11. Anhang
Identitätsstatusdiagnoseinventar (ISDI, Rollett 2005)
Bitte lies dir die folgenden vier Aussagen über dich selbst erst einmal genau durch und
überlege, welche Aussage für dich zutreffen könnte.
A Ich habe bereits viel über mich und meine Zukunft nachgedacht und weiß
nun genau, wie ich bin und wie ich mein Leben gestalten werde.
B Ich probiere im Augenblick viele verschiedene Dinge aus, um
herauszufinden, wie ich bin und wie ich mein späteres Leben gestalten
möchte.
C Es ist mir eher unangenehm, mir schon jetzt Gedanken über mich und mein
späteres Leben machen zu müssen und lasse daher alles auf mich
zukommen.
D Durch meine Eltern, Lehrer und andere für mich wichtige Personen habe ich
bereits klare Vorstellungen über mich selbst und meinen weiteren
Lebensweg und weiß daher schon, wie ich mein späteres Leben gestalten
werde.
Vergleiche bitte diese Aussagen paarweise miteinander und kreuze an, welche von den
beiden für dich eher zutrifft. Wenn notwendig, lies dir bitte die Aussagen noch einmal durch.
Was trifft für dich eher zu?
1. A oder B 4. B oder C
2. C oder D 5. A oder C
3. A oder D 6. B oder D
Entscheide dich nun bitte endgültig für eine der vier Aussagen über dich und kreuze sie an.
Für mich trifft die folgende von den vier Aussagen am besten zu:
A
B
C
D