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Diskussionsbeitr~ige Versickerungsverhalten yon Pflanzenschutzmitteln Bewertung des Versickerungsverhaltens von Pflanzenschutzmitteln - M6glichkeiten und Grenzen Michael Herrmann Dr. M. Herrmann, Umweltbundesamt, Bismarckplatz 1, D-14193 Berlin Zusammenfassung. Es werden Probleme des Versickerungs- verhaltens von Pflanzenschutzmitteln vor dem Hintergrund des Pflan- zenschutzgesetzes diskutiert. Die hohe Variabilitiit sowohl der geo- logischen Standorte als auch des Klimas zwingen zu konservativen Abschiitzungen, die nur fOr einen fliichenm~if~ig geringen Anteil mit hoher bis sehr hoher Grundwassergef~ihrdung zutreffen. Dies fohrt zu einer Konzentration auf dem Pflanzenschutzmittelmarkt, die aus Erwiigungen der Resistenzbildung unerwiinscht ist. Als L6sung wird eine regional differenzierteZulassung von Pflanzenschutzmitteln vor- geschlagen. 1 Problemstellung Das Gesetz zum Schutz der Kulturpflanzen (Pflanzenschutz- gesetz - PflSchG) in seiner Fassung vom 15.09 1986 ist u.a. dazu konzipiert, Gefahren abzuwehren, die durch die An- wendung yon Pflanzenschutzmitteln oder durch andere Mafl- nahmen des Pflanzenschutzes, insbesondere fiir die Gesund- heit von Mensch und Tier und fiir den Naturhaushalt, ent- stehen kfnnen (5 1) [1]. Um dieser Aufgabe bei der Zulas- sung gerecht zu werden, sind in den Vollzug des Gesetzes neben der Biologischen Bundesanstalt ffir Land- und Forst- wirtschaft auch das Bundesgesundheitsamt und das Umwelt- bundesamt als Einvernehmensbeh6rden bei einzelnen Fra- gestellungen eingebunden. 15 PflSchG schreibt vor, da~ die Zulassung eines Mittels u.a. nur in dem Falle zu erteilen ist, wenn das Pflanzenschutz- mittel bei bestimmungsgemdfler und sachgerechter Anwen- dung oder als Folge einer solchen Anwendung keine schiid- lichen Auswirkungen auf . .. und auf Grundwasser hat (Abs. 3 a) und keine sonstigen Auswirkungen, insbesondere auf den Naturhaushalt hat, die nach dem Stande der wis- senschaftlichen Erkenntnisse nicht vertretbar sind (Abs. 3 b). Auswirkungen akuter und chronischer Art auf Einzelorga- nismen, Populationen bzw. ganze Bioz6nosen sind zu erwar- ten, wenn bei der Exposition durch einen Stoff die Wirkungs- schwel|e auf biologische Systeme ~iberschritten wird. Lang- zeiteffekte im subchronischen Bereich k6nnen aber in aller Regel nur unzureichend aus standardisierten Tests, meist un- ter Laborbedingungen, abgeleitet werden. Aus diesen Griin- den wurde das Prinzip der Vorsorge eingefiihrt, welches ent~ weder mit ausreichenden Sicherheitsabstiinden zu abgesch~itz- ten Expositionskonzentrationen arbeitet oder eine Exposi- tion bestimmter Umweltkompartimente generell verhindern soil. Anhand des .Schutzgutes Grundwasser" l/iflt sich die damit verbundene Problematik besonders deutlich darstellen. 2 Rahmenbedingungen Der im PflSchG verwendete Begriff ,sch~idliche Auswirkun- gen" wird vom Gesetzgeber nicht n~iher erl~iutert. Zwischen Zulassungsbeh6rden, Wissenschaft und Industrie entwickelte sich daher eine intensive Diskussion dar~iber, ob (6ko)toxi- kologische Effekte in irgendeiner Form in die Bewertung m6glicher Grundwasserkontaminationen einfliet~en sollten und daher wirkstoffspezifische Grenzwerte entwickelt wer- den m~it~ten, oder ob jegliche me'bare stoffliche Ver~inde- rung als sch~idliche Auswirkung anzusehen sei. Die letztge- nannte Sichtweise liegt der Trinkwasserverordnung [2] zu- grunde, die eine EG-Direktive [3] in nationales Recht um- setzt. Hier wurde de facto die analytische Nachweisgrenze f6r Einzelwirkstoffe mit 0,1 Lug/l] und mit 0,5 Lug/l] f~ir die Gesamtsumme an Pflanzenschutzmittelwirkstoffen fest- gelegt. In der Bundesrepublik Deutschland werden pro Jahr ca. 30 000 t an Pflanzenschutzmittelwirkstoffen ausgebracht [4], ca. 80 % davon auf landwirtschaftliche Kulturfliichen. Diese Menge an biozid hochwirksamen Stoffen verteilt sich auf ca. die Hfilfte der Fl~che der Bundesrepublik, die agrarisch ge- nutzt wird. Dabei ist nicht von einer Gleichverteilung aus- zugehen, sondern es existieren kulturspezifisch und regional- spezifisch ausgepr~igte Unterschiede. W~ihrend in Gr(inland und Forst der chemische Pflanzenschutz eine eher unterge- ordnete Rolle spielt, werden Sonderkulturen wie Wein, Obst, Hopfen und Gemiise, aber auch zunehmend intensiver Acker- bau mehrmals im Jahr mit chemischen Mitteln behandelt. Die in Tabelle 1 aufgeffihrte Liste der in der Bundesrepu- blik Deutschland zugelassenen Pflanzenschutzmittel (PSM) zeigt, dat~ insbesondere nach dem Inkrafttreten der letzten Novellierung des Pflanzenschutzgesetzes die Zahl der Prii- parate deutlich zurfickgegangen ist. Betroffen ist davon ins- besondere die Gruppe der Herbizide, die meist aufgrund des Verdachts sch~idlicherAuswirkungen ihrer Wirkstoffe auf das Grundwasser nicht zugelassen sind. Neben dem vollst~indi- UWSF- Z.Umweltchem. Okotox. 5 (5) 271 - 274. (1993) 271 ecomed-verlagsgesellschaft mbH & Co KG Landsberg

Bewertung des Versickerungsverhaltens von Pflanzenschutzmitteln

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Diskussionsbeitr~ige Versickerungsverhalten yon Pflanzenschutzmitteln

Bewertung des Versickerungsverhaltens von Pflanzenschutzmitteln

- M6glichkeiten und Grenzen

Michael Herrmann

Dr. M. Herrmann, Umweltbundesamt, Bismarckplatz 1, D-14193 Berlin

Zusammenfassung. Es werden Probleme des Versickerungs- verhaltens von Pflanzenschutzmitteln vor dem Hintergrund des Pflan- zenschutzgesetzes diskutiert. Die hohe Variabilitiit sowohl der geo- logischen Standorte als auch des Klimas zwingen zu konservativen Abschiitzungen, die nur fOr einen fliichenm~if~ig geringen Anteil mit hoher bis sehr hoher Grundwassergef~ihrdung zutreffen. Dies fohrt zu einer Konzentration auf dem Pflanzenschutzmittelmarkt, die aus Erwiigungen der Resistenzbildung unerwiinscht ist. Als L6sung wird eine regional differenzierte Zulassung von Pflanzenschutzmitteln vor- geschlagen.

1 Problemstellung

Das Gesetz zum Schutz der Kulturpflanzen (Pflanzenschutz- gesetz - PflSchG) in seiner Fassung vom 15.09 1986 ist u.a. dazu konzipiert, Gefahren abzuwehren, die durch die An- wendung yon Pflanzenschutzmitteln oder durch andere Mafl- nahmen des Pflanzenschutzes, insbesondere fiir die Gesund- heit von Mensch und Tier und fiir den Naturhaushalt, ent- stehen kfnnen (5 1) [1]. Um dieser Aufgabe bei der Zulas- sung gerecht zu werden, sind in den Vollzug des Gesetzes neben der Biologischen Bundesanstalt ffir Land- und Forst- wirtschaft auch das Bundesgesundheitsamt und das Umwelt- bundesamt als Einvernehmensbeh6rden bei einzelnen Fra- gestellungen eingebunden.

15 PflSchG schreibt vor, da~ die Zulassung eines Mittels u.a. nur in dem Falle zu erteilen ist, wenn das Pflanzenschutz- mittel bei bestimmungsgemdfler und sachgerechter Anwen- dung oder als Folge einer solchen Anwendung keine schiid- lichen Auswirkungen auf . . . und auf Grundwasser hat (Abs. 3 a) und keine sonstigen Auswirkungen, insbesondere auf den Naturhaushalt hat, die nach dem Stande der wis- senschaftlichen Erkenntnisse nicht vertretbar sind (Abs. 3 b). Auswirkungen akuter und chronischer Art auf Einzelorga- nismen, Populationen bzw. ganze Bioz6nosen sind zu erwar- ten, wenn bei der Exposition durch einen Stoff die Wirkungs- schwel|e auf biologische Systeme ~iberschritten wird. Lang- zeiteffekte im subchronischen Bereich k6nnen aber in aller Regel nur unzureichend aus standardisierten Tests, meist un- ter Laborbedingungen, abgeleitet werden. Aus diesen Griin- den wurde das Prinzip der Vorsorge eingefiihrt, welches ent~ weder mit ausreichenden Sicherheitsabstiinden zu abgesch~itz-

ten Expositionskonzentrationen arbeitet oder eine Exposi- tion bestimmter Umweltkompartimente generell verhindern soil. Anhand des .Schutzgutes Grundwasser" l/iflt sich die damit verbundene Problematik besonders deutlich darstellen.

2 Rahmenbedingungen

Der im PflSchG verwendete Begriff ,sch~idliche Auswirkun- gen" wird vom Gesetzgeber nicht n~iher erl~iutert. Zwischen Zulassungsbeh6rden, Wissenschaft und Industrie entwickelte sich daher eine intensive Diskussion dar~iber, ob (6ko)toxi- kologische Effekte in irgendeiner Form in die Bewertung m6glicher Grundwasserkontaminationen einfliet~en sollten und daher wirkstoffspezifische Grenzwerte entwickelt wer- den m~it~ten, oder ob jegliche me'bare stoffliche Ver~inde- rung als sch~idliche Auswirkung anzusehen sei. Die letztge- nannte Sichtweise liegt der Trinkwasserverordnung [2] zu- grunde, die eine EG-Direktive [3] in nationales Recht um- setzt. Hier wurde de facto die analytische Nachweisgrenze f6r Einzelwirkstoffe mit 0,1 Lug/l] und mit 0,5 Lug/l] f~ir die Gesamtsumme an Pflanzenschutzmittelwirkstoffen fest- gelegt.

In der Bundesrepublik Deutschland werden pro Jahr ca. 30 000 t an Pflanzenschutzmittelwirkstoffen ausgebracht [4], ca. 80 % davon auf landwirtschaftliche Kulturfliichen. Diese Menge an biozid hochwirksamen Stoffen verteilt sich auf ca. die Hfilfte der Fl~che der Bundesrepublik, die agrarisch ge- nutzt wird. Dabei ist nicht von einer Gleichverteilung aus- zugehen, sondern es existieren kulturspezifisch und regional- spezifisch ausgepr~igte Unterschiede. W~ihrend in Gr(inland und Forst der chemische Pflanzenschutz eine eher unterge- ordnete Rolle spielt, werden Sonderkulturen wie Wein, Obst, Hopfen und Gemiise, aber auch zunehmend intensiver Acker- bau mehrmals im Jahr mit chemischen Mitteln behandelt.

Die in Tabelle 1 aufgeffihrte Liste der in der Bundesrepu- blik Deutschland zugelassenen Pflanzenschutzmittel (PSM) zeigt, dat~ insbesondere nach dem Inkrafttreten der letzten Novellierung des Pflanzenschutzgesetzes die Zahl der Prii- parate deutlich zurfickgegangen ist. Betroffen ist davon ins- besondere die Gruppe der Herbizide, die meist aufgrund des Verdachts sch~idlicher Auswirkungen ihrer Wirkstoffe auf das Grundwasser nicht zugelassen sind. Neben dem vollst~indi-

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Versickerungsverhalten yon Pflanzenschutzmitteln Diskussionsbeitr/ige

Tabelle 1: Entwicklung der vonder BBA in verschiedenen Bereichen zu- gelassenen PSM i

1970 1980 1984 1985 1986 1987 1988 1989 19922

Herbizide 476 735 817 744 748 627 645 415 273 Fungizide 304 225 278 248 195 191 168 144 203 Insektizide 448 414 354 341 345 329 295 264-]221 Akarizide 25 16 14 14 16 7 6 4_l- Molluskizide 36 58 45 42 44 46 45 46 39 Repellents 42 47 34 46 47 46 38 40 31 Wachstums- 42 47 51 51 49 45 40 62 r e g l e r " " "

Rodendizide 126 151 110 111 112 107 111 72 78 sonstige 132 133 124 139 148 140 126 119 13

zusammen 1589 1821 1823 1736 1706 1542 1479 1144 914

gen Anwendungsverbot fOr einige bereits h/iufiger im Grund- wasser analytisch nachgewiesenen Wirkstoffe [5] (z.B. Atra- zin, 1,3-Dichlorpropen, Clopyralid) wurden auch ffir eine Reihe weiterer Wirkstoffe Anwendungsbeschr~inkungen er- lassen [6]. Die Herbizide stellen im Hinblick auf die Grund- wasserproblematik naturgem~it~ die wichtigste Gruppe an Wirkstoffen, da vide Mittel entweder absichtlich - z.B. als Vorauflaufherbizide - direkt auf die Bodenoberfl/iche ge- langen (z.T. eingearbeitet werden), oder v.a. in Reihenkul- turen (Mais, Rfiben) in hohen Anteilen ebenfalls direkt auf den Boden treffen.

Auf der anderen Seite ist nicht zu verkennen, dat~ mit der Reduktion der Gesamtzahl zugelassener Wirkstoffe auch eine verst~irkte Konzentration auf weniger Wirkstoffe verbunden ist, die dann mengenmiigig verst~irkt eingesetzt werden. Diese Entwicklung induziert wiederum einen Selektionsdruck in Richtung phythopathogener Resistenzbildung, und dies wie- derum birgt die tendenzielle Gefahr eines erh6hten Mittelauf- wandes.

Der m6gliche Einwand im Hinblick auf den Rfickgang der yon der BBA zugelassenen Pr~iparate (~ Tabelle 1), dat~ aus wirtschaftlichen Erw~igungen kein Antrag auf eine Folgezu- lassung fOr viele Priiparate gestellt wurde, trifft sicher zu. Die Aufwendungen for die Untersuchungen, die als Vorausset- zung for einen Folgeantrag notwendig gewesen w~iren, sind zeitlich und finanziell betr/ichtlich (z.B. Freiland-Lysimeter- Studien). In vielen F~illen (Triazin-Herbizide) ist der Riick- gang jedoch auf die Verweigerung der Zulassung durch die Beh6rden zuriickzufohren. So dfirften allein ca. 70 Atrazin- haltige Mittel vom Markt verschwunden sein.

3 Absch~itzung von Grundwassergef/ihrdungs- potentialen

Das Risiko des Eintrags eines Pflanzenschutzmittelwirkstoffs in das Grundwasser ist prinzipiell eine Funktion verschiede- ner Variablen, die sich grob in drei Klassen einteilen lassen:

1 aus: Daten zur Umwelt 1990/1991, Umweltbundesamt 2 Stand 15. Juni 1992, aus: Nachrichtenblatt Deutscher Pflanzenschutzd. 44

(1992)

1. Substanzspezifische Eigenschaften: - Adsorptionseigenschaften an verschiedenen B6den - Abbaubarkeit durch biotische (enzymatische) und abio-

tische (hydrolytische, photolytische) Prozesse - physikalisch-chemische Eigenschaften (Wasserl6slichkeit,

Dampfdruck, pK)

2. Applikationsspezifische Bedingungen: - Applikationszeitpunkt - Aufwandshiiufigkeit (innerhalb einer Vegetationsperiode,

innerhalb einer Fruchtfolge, innerhalb eines geographi- schen Raumes)

3. Spannnbreite 6kologischer Randbedingungen:

- ldimatische Bedingungen (Temperatursumme und -ver- lauf, Niederschlagsvolumen und -verteilung)

- Bodenbeschaffenheit (Bodenart, M~ichtigkeit der Deck- schicht(en), Bewirtschaftungsmat~nahmen)

Eine valide Expositionsanalyse fordert somit umfassende Kenntnisse fiber alle o.g. Punkte. Die in der Rubrik ,sub- stanzspezifisch" genannten Parameter lassen sich im Labor relativ leicht erfassen, da es sich entweder um stoffimmanente Eigenschaften handelt oder die Tests, vergleichsweise gut in Richtlinien gefat~t, standardisierbar sind. Das Umwehbun- desamt als Einvernehmensbeh6rde verfolgt bei der Bewer- tung des Versickerungspotentials ein stufenweises Testkon- zept ( - Abb. 1). Ausgehend yon Labordaten zu Abbau, Ad- sorption und Wasserl6slichkeit werden im Falle des Uber- schreitens dieser SchweUenwerte Modellsimulationsrechnun- gen durchgeffihrt, um Hinweise auf das Versickerungsver- halten des Wirkstoffs unter verschiedenen 6kologischen Be- dingungen (Szenarien) zu erreichen.

Exposition Grundwasser (Stufenkonzept)

A d s o r p t i o n K (D) < 10 Abbau im Boden T/2 > 21 [ d ]

Wasserl6sl. > 30 [mg/I] funden

An 2 hydrogeologisch ver- schiedenen Orten im Grundwasser bereits ge-

I Modellrechnungen mit PELMO

Freilandlysimeterstudie

Abb. 1: Schema des Ablaufs bei der Analyse der Exposition des Grund- wassers dutch PSM im Rahmen des Vollzugs des Pflanzen- schutzgesetzes (PELMO = Pesticide Leaching Model)

4 Stellenwert der Modellrechnungen

Mathematische Modelle sind definitionsgemfig Abstraktio- nen und Idealisierungen komplexer Systeme. Sie dienen dazu, unter m6glichst genauer Beschreibung des Systems dieses in

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Diskussionsbeitr~ge Versickerungsverhalten yon Pflanzenschutzmitteln

seinen Auswirkungen verstfindlich zu machen. Daher sind die Modelle sowohl in der Auswahl der Systemvariablen und Parameter als auch der quantitativen Beschreibung der Pro- zesse (Interaktion PSM/Boden) notwendigerweise unvoll- st/indig und mit Fehlern behaftet:

1. Je nach pedologischem Parameter handelt es sich um mehr oder weni- ger exakte Ann~iherungen an die r/iumliche und zeitliche Variabili- t~t der B6den. Beispielsweise ist das Ausmaf des preferential flow in Matrix-Makroporen verschiedener B6den bzw. Bodenstruktur- zustfinden (unterschiedliche Gare, nach Bodenbearbeitungsmaflnah- men) nicht quantifizierbar und wird in der modellhaften Betrach- tung iiberhaupt nicht ber/icksichtigt [7]. Einige Autoren schreiben dieser Art des Vertikaltransports eine h6here Bedeutung zu als der Migration durch die Meso- und Mikroporen [8].

2. Einerseits soll mit den Modellen eine komplexe Realitfit in ihren Ein- zelkomponenten bzw. deren jeweiligen Interdependenzen m6glichst genau simuliert werden; andererseits steigt aber mit der Zahl der berficksichtigten Systemparameter unweigerlich der systematische Fehler, da bei der Erfassung jedes Einzelparameters ein individueller statistischer Fehler entsteht, der in das Gesamtmodell einflieft. So ist jedem Modell eine unausweichliche ,Unsch~irfe" immanent.

3. Modelle sind mit empirischen Daten zu validieren. Da aber einige Modellparameter nicht direkt meflbar sind, muff eine Anpassung an die empirischen Daten erfolgen, bis sie diese richtig beschreiben (fitting). Diese Phase soil bei den verwendeten Modellen insbeson- dere dutch die Daten der Freilandlysimeter-Studien erfolgen.

4. Die Daten, die in das System eingegeben werden, sind meist selbst in einer mehr oder weniger artifiziellen Umwelt gemessen women. Besonders gilt dies fiir die batch-Versuche der Adsorption, wo eine Verteilung in einer Bodenaufschl/immung nach Gleichgewichtsein- stellung gemessen wird. Die Modelle beriicksichtigen auch keine Hysteresis-Effekte, sondern setzen vollst'~indige Desorbierbarkeit vor- aus. Beides sind typische Idealisierungen. Die Modelle idealisieren auch die Matrix Boden. Es sind Konvektions-Dispersionsmodelle mit lokaler Gleichgewichtsannahme sowie der Annahme einer homogenen Bodenmatrix (z.B. Porung, Verteilung organischer Bestandteile).

5. Die in den Modellen verarbeiteten Eingabedaten (Adsorption, Bio- abbau) sind nur ungeniigend zu beschreiben. Uberaus sensitive Be- reiche wie tiefenabh/ingiger Bioabbau und Adsorption verschiede- ner Horizonte mfissen teilweise durch ,expert judgement" abgesch/itzt werden. Vergleichbares gilt auch fiir landwirtschaftlich-produktions- technische Werte (z.B. Interzeption in verschiedenen Kulturen/Kul- turstadien, Evapotranspirationsraten).

6. Die Mefdaten, die bei der Zulassung eingereicht werden, weisen oft eine erhebliche Variabilit~it auf, insbesondere beim Bioabbau z.T. im Bereich einer Gr6fenordnung.

Den Simulationsmodellen werden auch in Zukunft die ge- nannten Restriktionen anhaften. Trotzdem liefert ihre An- wendung eine - nach vorgegebenen Funktionen - Ver- knfipfung von komplexem Datenmaterial (Adsorption, Ab- bau, Wasserregime, Aufgabemengen, -h~iufigkeiten und -zeitpunkte) zu objektiven Informationen. Qualitative Ver- gleiche verschiedener Mittel sind dadurch m6glich [9]. Mo- delle stellen somit ein wichtiges Hilfsmittel dar, k6nnen aber keinesfalls Wissensdefizite im Bereich struktureller und quan- titativer Prozesse des Abbaus und der Adsorption yon Che- mikalien im Boden ausgleichen oder ersetzen.

Die Ergebnisse der Modellrechnungen bilden zumindest zum jetzigen Zeitpunkt noch keine hinreichende Basis zur Ver- weigerung der Zulassung eines Pr~parates. Falls sich Hin- weise aus der Modellierung verschiedener Szenarien auf po- tentielle Grundwassereintriige verdichten, so sind zur Uber- prfifung des Verdachts Freilandlysimeterstudien nach einem festgelegten Versuchsdesign [10] erforderlich. Sie werden au-

ferdem in solchen Ffillen obligatorisch, wenn der Wirkstoff an mindestens zwei hydrogeologisch unterschiedlichen Stand- orten im Grundwasser bereits eindeutig nachgewiesen wurde.

5 Bewer tung des Grundwassergef~hrdungs- potent ia ls

Den relativ aufwendigen Prfifverfahren zur Absch~itzung des Eintrags yon PSM-Wirkstoffen ins Grundwasser stehen noch immer Defizite bei der Bewertung solcher Eintr/ige gegen- fiber. Der Begriff ,sch~idliche Auswirkungen", die durch das Zulassungsgesetz ausgeschlossen werden sollen, ist quanti- tativ nicht klar definiert. Selbst ein H6chstmafl an integrier- tem Versuchsdesign, wie sie eine mehrj/ihrige Freilandlysi- meterstudie mit ungest6rtem Bodenkern darstellt, l~ift sich nur in weiten Bereichen standardisieren, da die klimatischen Einfluffaktoren auf Mobilit~t und Abbauverhalten standort- undjahresspezifisch nicht vorhersehbar und auch nicht re- produzierbar sind. Eine Exposition des Grundwassers ist in vielen Fiillen auch nur mit einer mehr oder weniger hohen Wahrscheinlichkeit des Zusammentreffens ungfinstiger Rah- menbedingungen zu erwarten. Im Mittelpunkt der Diskussion stehen daher die 6kologischen Rahmenbedingungen, die als realistic worst case gelten k6n- nen. Werden z.B. Niederschlagsmengen, wie sie ffir Mittel- gebirgslagen typisch sind, herangezogen, bezieht man sich dabei auf langj~ihrige Durchschnittswerte oder besonders re- genreiche Jahre? Sind bei der Absch~tzung flachgrfindige B6- den auf Kluftgestein und Schottermaterial (Schw~ibische Alb, Mfinchner Schotterebene) oder extrem sandige B6den (Geest, norddeutsche Sanderfl~chen) in die Betrachtung mit einzu- beziehen?

Problematisch ist ferner die geographische Bezugseinheit, in- nerhalb derer eine Kontamination als solche anzusehen ist. Oft schwanken die Bodenverh~ilmisse innerhalb eines Schla- ges in weiten Bereichen [11]. W~ihrend man fiir eine Bewer- tung die Konzentration von PSM auf die Grundwasserneu- bildungsraten bezieht, also keine Verdfinnung durch unbe- lastetes oder geringer belastetes Wasser des Aquifers in Rech- nung stellt, ist die Frage der zu betrachtenden r/iumlichen Ausdehnung von Grundwassereintriigen noch nicht festge- legt. Das heift aber in der bisherigen Praxis, da f fl~ichen- deckend sehr geringe Konzentrationen in der Regel gfinsti- ger bewertet werden, als wenige lokale Punktquellen, die an- dererseits aber bedeutend h6here Einzelkonzentrationen auf- weisen. In diesem Zusammenhang wird eine simple Kausalit/it klar: einige PSM-Wirkstoffe sind v.a. auch des- halb im Grundwasser zu finden, weil sie am PSM-Markt fiberdurchschnittlich erfolgreich sind und h/iufig eingesetzt werden, nicht weil sie besonders persistent oder im Boden mobil sind.

Bei der Abschiitzung des Grundwassergefiihrdungspotentials eines PSM sind zweifellos konservative Annahmen notwen- dig. Dies kann jedoch nicht bedeuten, daft die jeweils un- gfinstigste Auspriigung jedes einzelnen Parameters herange- zogen und zu einem multiple worst case Szenarium kombi- niert wird. Ein Konzept des realisitic worst case orientiert sich vielmehr an Bereichen yon 5 %-gen Perzentilen der Ein-

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V e r s i c k e r u n g s v e r h a l t e n y o n P f l a n z e n s c h u t z m i t t e l n Di skuss ionsbe i t r~ ige

flufgr/Sfen, d.h., daft etwa 95 % der zu erwartenden rea- len Gegebenheiten gfinstiger liegen. Ein solches Vorgehen be- deutet aber gleichzeitig, daft wiederum bei etwa 95 % der Falle kein Grundwassereintrag erwartet wird, das Praparat aber mangels Zulassung auch fOr diese Flachen nicht zur Ver- ffigung steht. Der einzige Ausweg aus dem Dilemma, einer- seits Wirkstoffe nicht mehr zuzulassen, weil sie in einigen Fallen als grundwassergef~ihrdend gelten und andererseits die damit verbundene Konzentration auf einige wenige Wirk- stoffe, kann nur in einer nach regionalen Gegebenheiten dif- ferenzierenden Zulassung gesucht werden.

6 Konzept fiir regional differenzierten Einsatz von PSM

Bisher sieht das Zulassungsverfahren von Pflanzenschutzmit- teln die M6glichkeit einer Kennzeichnungsauflage vor, die den Einsatz des Mittels im Einzugsbereich yon Trinkwas- sergewinnungsanlagen untersagt. Da jedoch Grundwasser an sich, also ohne die unmittelbare Option einer menschlichen Nutzung (z.B. zur Trinkwassergewinnung) als Schutzgut gel- ten mut~, kann die jetzige Situation einer Reduktion auf be- kannte Trinkwasserschutzgebiete nicht befriedigen. Es ergibt sich die Notwendigkeit, Strategien ffir eine nach hydrogeo- logischen Gesichtspunkten regional differenzierende Zulas- sung von PSM zu entwickeln.

Elementare Bedeutung hat dabei der Grad an raumlicher Auf- 16sung, da bekannt ist, daf selbst innerhalb einzelner Schl~ige z.B. die Bodenzusammensetzung starken Schwankungen un- terliegen kann [11 ]. Kleinraumige Standortbewertungen las- sen sich schon mangels flachendeckend vorhandener grof- mafstabiger Karten (1 : 25 000) im bundesdeutschen Mat~- stab nicht realisieren. Daher m/issen als Einheit ausreichend grofe Grundwasserlandschaften betrachtet werden, die eine Heine Restwahrscheinlichkeit punktf6rmigen Eintrags von PSM relativieren.

Auf der Mafstabsebene der Landkreise wurde der Ansatz ei- ner multivariaten Regionalisierung nach Grundwassergefahr- dungsklassen (for die alten Bundesl/inder) bereits beschrie- ben [12]. Die Standortempfindlichkeiten werden dabei aus der additiven Verknfipfung yon Hauptkriterien zu verschie- denen Standorttypen ermittelt, wobei die Primardaten for sol- che regionale Bewertungsrahmen durch Punktdigitalisierung von Boden-, Ausgangsgesteins- und Klimakarten gewonnen wurden. Die Lagekoordinaten enthalten dabei die verschie- denen spezifischen Informationen, die sich fiber mathemati- schen Operationen multivariat zu Klassen kombinieren las- sen. Ausgewahlte Indikatorvariabien, die mit Hilfe von Wer- tezahlen (scores) quantifiziert werden, sind:

- Teilkriterium Grundwasserneubildungsrate (bestimmt durch Nieder- schlagsmenge, Verdunstungsraten, Oberfliichenabflufl, Durchl~is- sigkeit)

- Teilkriterium Boden (Retentionsverm6gen von Bodentypen und -arten, bewertet nach Sorptionskapazit~iten, Lagerungsdichten und Tiefgrfin- digkeit)

- Teilkriterium Deckschichten (Differenzierung nach gut abdichten- den Tonen und Mergeln, nach Lockergesteinen sowie Fest- und Kluft- gesteinen inkl. Grobschotter)

- Teilkriterium Grundwassedeiter (Grundwasserlandschaften nach ho- rizontaler Transmissivit~it)

7 Schluflfolgerungen

Solange nicht praktisch vollst~indig auf den Einsatz chemi- schen Pflanzenschutzes verzichtet werden kann oder soil, kann jeglicher Eintrag (zeitlich und r~iumlich) von Pflanzen- schutzmitteln in grundwasserfiihrende Schichten nicht ganz- lich ausgeschlossen werden. Will man dem Problem des Grundwasserschutzes in Zukunft besser gerecht werden, ohne gleichzeitig die Palette der PSM-Wirkstoffe drastisch zu reduzieren, so muff der Schutz zusammenhangender Grundwassergebiete in den Vordergrund der Betrachtung ge- langen. Der Einsatz yon PSM-Wirkstoffen sollte differenziert auf solchen Flachen untersagt werden, auf denen bei der An- wendung mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit der H~iufig- keit und Massivitiit des Eintrags zu rechnen ist. Zur Ausar- beitung einer solchen Strategie ist die interdisziplinare Zu- sammenarbeit von Geowissenschaftlern, Hydrologen und Agrarwissenschaftlern notwendig, um Lfsungsansatze auf einer breiten wissenschaftlichen Basis zu erarbeiten, die eine nicht zuletzt auch politisch tragf~ihige Lfsung anbietet.

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Literatur

Gesetz zum Schutz der Kulturpflanzen (Pflanzenschutzgesetz- PflSchG). Bundesgesetzblatt I Z 5702 A Nr. 49, Bonn 19.09. 1986 Verordnung fiber Trinkwasser und fiber Wasser ffir Lebensmit- telbetriebe (Trinkwasserverordnung - TrinkwV) vom 22. 05. 1986; BGBI. I S. 760

[3] Council of European Communities. Directives relating to the qua- lity of water intended for human consumption. No. 80/778/EEC (1980)

[4] Daten zur Umwelt 1990/91. Erich Schmidt Verlag GmbH Berlin [5] Pflanzenschutzmittel im Trinkwasser. Mitteilung XVI der Kom-

mission fOr Pflanzenschutz-, Pflanzenbehandlungs- und Vorrats- schutzmittel. VCH Verlagsgesellschaft mbH (1990)

[6] Erste Verordnung zur .~nderung der Pflanzenschutz-Anwendungs- verordnung vom 22.03 . 1991. BGB1. I S. 796

[7] Evaluierung yon Rechenmodellen zur Mobilit~itsabschfitzung yon PSM in ausgewiihlten Referenzb6den. UBA FuE-Bericht 126 05 078 (1992)

[8] Vergleichende Untersuchungen zur Mobilit~it von Umweltchemi- kalien aus seuchenhygienisch unbedenklichen Kliirschliimmen in unterschiedlich genutzten Okosystemen. UBA FuE-Bericht 107 01 016/03 (1991)

[9] H. DIBBER/q; W. PESTEMER: Anwendbarkeit yon Simulationsmo- dellen zum Einwaschungsverhalten von Pflanzenschutzmitteln im Boden. Nachrichtenbl. Deut. Pflanzenschutzd. 44 (6) 134 - 143 (1992)

[10] BBA-Richflinien for die Priifung von Pflanzenschutzmitteln im Zu- lassungsverfahren, Teil IV 4- 3 ,Lysimeteruntersuchungen zur Verlagerung yon Pflanzenschutzmitteln in den Untergrund" (1990); bzw. Modifizierung (1991)

[11] H. ELABD; W. A. JURY; M. M. CLIATH: Spatial variability of pes- ticide adsorption parameters. Environ. Sci. Technol. Vot 20, No. 3, 256- 260 (1986)

[12] Namrwissenschaftliche Anforderungen an die Sanierung kontami- nierter Standorte. 8tandortspezifische Klassifikation im Hinblick auf die Migration yon Stoffen im Untergrund. UBA FuE-Bericht 102 03 405/2 (1987)

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