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„Burnout“: Prävalenz und diagnostische Probleme Prof. Dr. Frank Jacobi Psychologische Hochschule Berlin und TU Dresden (Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie) 7. Hessischer Psychotherapeutentag Frankfurt, 12.-13.4.2013 „Weiche“ psychische Diagnosen: Kein Problem, wenn klar nachvollziehbar definiert und reliabel erfasst! Psychische Störungen gehören zum normalen Leben dazu… Warum können wir keine robusten Angaben zur Prävalenz von „Burnout“ liefern? Rolle von Burnout in der Debatte um die Zunahme psychischer Diagnosen DEGS: Prävalenz von Burnout-Diagnosen in der Bevölkerung Versorgungs-Aspekte Überblick Besonderheiten psychischer Störungen

Besonderheiten psychischer Störungen - lppkjp.de · Mental retardation (F10.2) ... mit „Mental Health“-Modul incl. 65+ incl. kognitive Leistungsfähigkeit Längsschnitt 1: Wieder-Untersuchung

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„Burnout“: Prävalenz und diagnostische Probleme

Prof. Dr. Frank Jacobi

Psychologische Hochschule Berlin und TU Dresden (Institut für Klinische Psychologie

und Psychotherapie)

7. Hessischer PsychotherapeutentagFrankfurt, 12.-13.4.2013

„Weiche“ psychische Diagnosen: Kein Problem, wenn klar nachvollziehbar definiert und reliabel erfasst!

Psychische Störungen gehören zum normalen Leben dazu…

Warum können wir keine robusten Angaben zur Prävalenz von „Burnout“liefern?

Rolle von Burnout in der Debatte um die Zunahme psychischer Diagnosen

DEGS: Prävalenz von Burnout-Diagnosen in der Bevölkerung

Versorgungs-Aspekte

Überblick

Besonderheiten psychischer Störungen

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Übertreibung vs.Bagatellisierung??? Psychische Störungen umfassen ein breites Spektrum an

Leidenszuständen und sind meist extreme Ausprägung an sich normalen Erlebens (z.B. übersteigerte Angst oder Traurigkeit)

Diese sind prinzipiell auch für Nicht-Betroffene nachvollziehbar (d.h. ein Gleichsetzen psychischer Störungen mit „verrückt“ ist in der Regel irreführend)

Psychische Störungen führen bereits bei leichter bis moderater Ausprägung zu Partizipationsstörungen (ICF) –möglicherweise verstärkt in moderner Arbeitswelt

Besonderheiten psychischer Störungen

Psychische Störungen sind besonders kostenträchtig, weil viele Betroffene im (re-) produktiven Alter (bei unter 35jährigen ist 12-Monats-Prävalenz >30%, zum Vergleich: KHK, Diabetes, Krebs jeweils <1%)

Diagnostisch muss weitgehend auf subjektiv-verbale Indikatoren sowie Beobachtung des offenen Verhaltens zurückgegriffen werden.

Fortlaufende Weiterentwicklung der international gebräuchlichen Klassifikationssysteme (ICD-10, DSM-IV)

Besonderheiten psychischer Störungen

„XY ist geistesgestört“

vs.

„XY erfüllt die Kriterien einer psychischen Störung“

Dies hat zunächst einmal nichts mit „Unnormal-Sein“ zu tun! (vgl. DSM-5 Debatte)

Diagnosen sind Konstrukte

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Beispielfrage: Was bedeutet Beispielfrage: Was bedeutet „„Jeder 10. ist depressiv?Jeder 10. ist depressiv?““

Populationsbezogenheit

Allgemeinbevölkerung vs. Behandelte (Setting)

Region

Spezielle Gruppen

Alter, Geschlecht

Exakte Falldefinition

dimensional vs. kategorial

Syndrom vs. Diagnose (Welche? Wie spezifisch? Umgang mit Komorbidität?)

Wie erhoben? (z.B. screening vs. Interview)

Zeitfenster?

„Weiche“ psychische Diagnosen:

Kein Problem, wenn klar nachvollziebar

definiert und reliabel erfasst!

What is mental illness?Psychische Störungen vs. Befindlichkeit

Ziel der Klassifikationssysteme ist,

Gesundheitsstörungen („mit Krankheitswert“)

zu definieren

Gleichwohl ist „angeschlagene psychische Gesundheit“ eine anthropologische Konstante

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ECNP and European Brain Council (EBC) Project 2011

ECNP and European Brain Council (EBC) Project 2011

Zentrale Ergebnisse: Psychische Störungen sind…

häufig! 165 Millionen (38%) Betroffene in EU

stark beeinträchtigend! Großer Anteil an gesamterKrankheitslast

teuer! Große direkte und indirekte Kosten (800 Milliarden Euro; soviel wie für Diabetes, Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungenzusammen)

www.psychologie.tu-dresden.de/i2/klinische/sizeandburden.html

Mental and behavioural dis. (F00-F99)

Mental retardation (F10.2) Hyperkinetic disorder/ADHD (F90.x) Conduct disorders (F91.x) Autism/pervasive developmental dis. (F84.x) Substance use disorders (alcohol, opiate and

cannabis dependence (F10.2, F11.2, F12.2) Dementias (F00-F03) Schizophrenia, psychotic disorders (F2x) Mood disorders (Depression and Bipolar

Disorders) (F32, F33, F30, F31) Anxiety disorders (e.g. Panic disorder, Generalized

Anxiety disorder, Phobias) (F40x, F41x) Obsessive-compulsive disorders (F42) Trauma- and stress-related disorders (F43.1) Somatoform disorders (F45) Sleep disorders (i.e. insomnia) (F51x, G47) Eating disorders (F50.0, F50.1, F50.2, F50.3) Personality disorders (F60.2, F60.3)

Neurological disorders (G00-G99)

Neuromuscular disorders (Muscular Dystrophies, Acquired Neuropathies, Autoimmune Disorders of muscle and of the neuromuscular junction)

• Parkinson’s Disease (G22x)• Alzheimer’s dementia (G30x)• Multiple Sclerosis (G35x)• Epilepsy (G40x) Migraine (G43x), other headaches (G44x)• Stroke (G45x)• Traumatic brain injury (TBI) (GS00-S09) Brain Tumors (malignant, benign, of unknown

origin) (C70, C71, C72; D32, D33; D42, D43)

ECNP and European Brain Council (EBC) Project 2011

Insgesamt 31 psychische und 62 neurologische Diagnosen (gruppiert in insgesamt 19 diagnostischen Gruppen)

Aggregierte Schätzung:38% Gesamtprävalenz

Einbezogene Diagnosen Epidemiologische Perspektive

Psychische Störungen gehören zum normalen Leben dazu…

…also auch in der Arbeitswelt,

…ebenso wie körperliche Erkrankungen auch.

Dies bedeutet aber nicht, dass wir eine „psychisch kranke Gesellschaft“ sind!

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Hat „Burnout“ Störungswert?

Oder sollte eine solche „Diagnose“vermieden werden (unnötig oder gar gefährlich)?

Abgesehen von solchen Fragen: Wie häufig ist „Burnout“ eigentlich?

Warum können wir keine robusten

Angaben zur Prävalenz von „Burnout“

liefern?

Keine „richtige“ Diagnose sensu ICD-10 – dies bedeutet aber nicht, dass das Phänomen nicht existiert!

Überlappung inbes. mit Diagnose Depression – dies ist problematisch! (Begriffsverwirrung, wissenschaftliche Probleme, Verhinderung adäquater Diagnostik)

Starker (Erwerbs-) Arbeits-Bezug – auch dies behindert sachliche Diskussion! (Interessengeleitete Instrumentalisierung, Debatte um Anerkennung als Berufskrankheit)

„Burnout“: Diagnostische Probleme (1)

Arbeitsweltbezogenes Syndrom – Problem: „total workload“(auch jenseits Arbeit) und individuelle Variation (z.B. Resilienz)vernachlässigt

Kardinalsymptome Erschöpfung und Leistungsminderung –Probleme: unspezifisch, subjektiv vs. objektiv

Psychische Veränderungen / Stadien – Problem (aller Prozessmodelle): postulierte Abfolge wirklich nötig? (hier: Over-Comitment, Distanzierung, Zynismus)

„Burnout“: Diagnostische Probleme (2)

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Keine Klarheit über Operationalisierung und Erfassungsinstrumente – Maslach Burnout Inventory (diverse Versionen und Übersetzungen) vs. Olbi vs. Copenhagen etc….

Keine anerkannten Falldefinitionen (cut-offs) und Überinterpretation von Mittelwertsunterschieden –Vernachlässigung a) klinischer Signifikanz und b) qualitativen Sprüngen („point of no return“: psychphysiologischeRegulationsstörung)

Überinterpretation von einzelnen Items (z.B. in Umfragen) –rein psychometrischer Effekt: 30% bejahen einzelnes Item, aber aggregiert erfüllen nur 3% Syndromkriterien

„Burnout“: Diagnostische Probleme (3)

Impliziert „caseness“ automatisch Behandlungsbedarf?

Muss Behandlungsbedürftigkeit automatisch mit F-Diagnose belegt werden?

Diese Fragen gelten auch für „etablierte“ psychische Störungen (und andere Beeinträchtigungen der psychischen Gesundheit)!

„Burnout“: Diagnostische Probleme (4)

Rolle von „Burnout“ im Rahmen der

Zunahme psychischer Erkennens- und

Behandlungsraten?

Psychische Störungen haben an Bedeutung gewonnen (ohne dass dies notwendigerweise einer realen Zunahme entspricht)

Höhere Aufmerksamkeit wegen Krankheitsstatistiken

Höhere Aufmerksamkeit wegen epidemiologischer Befunde

Psychische Störungen im Arbeitskontext besonders relevant

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Die Entwicklung der AU-Tage aufgrund psychischer Diagnosen bedeutet keine „Kostenexplosion“!

Die scheinbar dramatische Entwicklung häufigerer Krankschreibungen aufgrund psychischer Störungen (links) in Deutschland entspricht der Vergrößerung des Anteils an allen AU-Tagen (rechts; aktuell ca. 10-15%)

Die Entwicklung der Frühberentungen und der Anteil psychischer Diagnosen

Auch hier Verdoppelung des Anteils psychischer Diagnosen (1995: 19%, 2010: 39%) bei insgesamt absolutem Rückgang der Erwerbsminderungsrenten in Deutschland (1995: 295.000, 2010: 181.000)

1995 201020052000

Zunahme psychosozialer Belastungen moderner Gesellschaften?

Gesellschaft Arbeitswelt

Individualisierung/

Singualisierung, Anonymität

Mehrfachbelastungen/

Zeitmangel

Werte-/Autoritätskrise

Bildungsexpansion

Migration

Entpersönlichte

Kommunikation, neue Medien

Schwinden traditioneller

Unterstützungssysteme (z.B.

Familienstruktur)

Zunehmende Kluft zwischen

biologischer und sozialer

Reifung

Globalisierung/Wettbewerb

Dienstleistungs-/Informationszeitalter

Vermehrte „Emotionsarbeit“ bei

personenbezogenen Dienstleistungen,

erhöhte Anforderungen an Servicequalität

Arbeitsverdichtung

„Freiheit und Leistungsdruck“

Erosion der Normalarbeit/

diskontinuierliche Erwerbskarrieren

Flexibilität/Präsentismus, permanente

Erreichbarkeit

Arbeitsplatzunsicherheit („hire and

fire“), Zeit-/Leiharbeit

„Gratifikationskrisen“

„Diktatur der Ökonomie“

Instabilität

Mobilität

Keine/zu viel Arbeit

Demografie

(modifiziert nach Weber, 2007)

„Noch nie war die Welt so stressig wie heute“„Noch nie war die Welt so stressig wie heute“

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Versachlichung kommt oft nicht an:

Bspl. DAK-Report 2013: 5% Fälle bzw. 15% Anteil an Gesamt-Fehltagen; „ständige Erreichbarkeit“ trifft nur für relativ wenige zu und ist für diese auch nur für wenige ein echter Belastungsfaktor

Headlines:

„Psychische Leiden erreichen neuen Höchststand!“„Lassen Sie das Handy ausgeschaltet!“

Aber auch Botschaft „Burnout ist kein Massenphänomen“ wurde berichtet…

Medienhype

Versachlichung kommt oft nicht an:

Bspl. Stress-Report (baua):

1.als belastend nehmen Erwerbstätige „Termin- und Leistungsdruck“ (34%), „Arbeitsunterbrechungen und Störungen“ (26%), „Multitasking“ (17%) und „Monotonie“ (9%) wahr; 4% befürchten Entlassung in nächsten sechs Monaten

2.Ressourcen am Arbeitsplatz: „gute Zusammenarbeit“ (88%), „am Arbeitsplatz Teil einer Gemeinschaft“ (80%), „erhalte Hilfe und Unterstützung von Kollegen“ (80%)

Wirkt doch eigentlich nicht alarmierend, wird aber medial reißerisch aufbereitet („Neue Studien belegen: Wir Deutschen sind gestresst“; „Macht Arbeit psychisch krank?“)

Medienhype

„Burnout“ hat zur vermehrten (vermutlich korrekten bzw. immer noch zu niedrigen) Diagnoseraten beigetragen

erhöhte Awareness psychischer Störungen, Akzeptanz (z.B. bei somatisch orientierten Ärzten, Arbeitgebern, Betroffenen mit Vorurteilen)

Auswüchse (z.B. Medienhype, unseriöse Behandlungsangebote)

„unsachlicher Diskurs“ vs. „gar kein Diskurs“

als Spezifikationsmerkmal (z.B. Z-Codierung in der ICD) prinzipiell gut brauchbar (Optimierung von Prävention und Intervention, Entwicklung störungsspezifische Behandlungsmodule) – aber Definition und Diagnostik müssten noch entscheidend verbessert werden

Popularität von „Burnout“: Effekte

Haben psychische Erkrankungen tatsächlich zugenommen –

oder werden sie nur häufiger diagnostiziert?

Fazit zur vermehrten Bedeutung

Änderung im Diagnoseverhalten ist

kein Artefakt!

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DEGS: Eine aktuelle deutsche Gesundheitsstudie

DEGS1-MH: 12 Jahre nach erstem gesamtdeutschen Gesundheitssurveymit „Mental Health“-Modul

incl. 65+

incl. kognitive Leistungsfähigkeit

Längsschnitt 1: Wieder-UntersuchungTeilstichprobe BGS98

Längsschnitt 2: Aufbau Kohorte/Monitoring

Aktuell Beginn der Auswertungsphase

Die neue Studie zur Gesundheit erwachsener in Deutschland (DEGS1; Nachfolge Bundesgesundheitssurvey)

und das Modul „Psychische Störungen“

DEGS1 enthält eine Reihe von allgemeinen Indikatoren mit Relevanz für psychische Gesundheit. Diese ermöglichen aber keine Aussage über psychische Störungen.

Die diagnostische Beurteilung psychischer Störungen erfordert zeitaufwändige, methodisch komplexe, klinisch –diagnostische Untersuchungsverfahren.

Deshalb wurde für DEGS ein eigenständiges Modul „psychische Störung/Gesundheit“ (DEGS1-MH) durchgeführt. Dieses ergänzt - in Form einer eigenständigen Untersuchung - den DEGS1 Kernsurvey.

ModulDEGS1-MH

DEGS1(Kernsurvey)

Diagnosen psychischer Störungen in DEGS1-MH (nach DSM-IVTR mit korrepondierenden ICD- (10 Code)

• Körperlich-/substanzbedingte psychische Störungen (F06.x)

• Mißbrauch und Abhängigkeit von Substanzen

• Nikotin (F17.2x)• Alkohol (F10.1/2)• Medikamente (F11/13/15.1/2)

• Psychotische Störungen (F2x.x)• Angststörungen

• Panikstörung (F41.0, F40.01)• Agoraphobie (F40.00)• Generalisierte Angststörung (F41.1)• Soziale Angststörung (F40.1)• Spezifische Phobien (F40.2x)

• Zwangsstörungen (F42.x)

• Posttraumatische Belastungsstörung F43.1)• Affektive Störungen

• Unipolare depressive Störungen• Major Depression

•Einzelne Episode (F32.x)•Wiederkehrende Episoden (F33.x)•Dysthymie (F34.1)

• Bipolare Störungen I und II• Hypomanie (F30/31.0)• Manie (F30.1/2, F31.1-9)

• Essstörungen (F50.x)• Somatoforme Störungen

• Somatisierung (F45.0)• Schmerzstörung (F45.4)

Diagnosen erfordern Vorliegen aller Dauer-, Intensitäts-, Merkmals-, Schwere- und differentialdiagnostischen Kriterien sowie Leiden/Einschränkung/Behinderung in sozialen Rollen

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„Burnout“ in DEGS (RKI; U. Hapke, U. Maske et. al)

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Unklare Definition von Syndrom, Fallkriterium und Stichproben (führt zu Schätzungsschwankungen um Faktor 10)

Sich wandelnde Diagnosepraxis im klinischen Alltag in Abhängigkeit von neuen Erkenntnissen, aber auch von „Stimmungsbildern“

Knapp 5% der Erwachsenen berichten (2008-2011), jemals „Burnout“ diagnostiziert bekommen zu haben

Außerdem: Grundsätzliche Frage, ob auch Risikofaktoren und Vorstadien in den Rang einer Diagnose gehoben werden sollen (vgl. DSM-5 Debatte, z.B. MCI)

Zusammenfassung Häufigkeit & diagnostische Probleme von „Burnout“

Versorgungs-Aspekte

Es gibt eher „Passungsprobleme“ als „absolute Gründe“ für Krankschreibungen

Verhaltensprävention und Verhältnisprävention müssen sich ergänzen!

(Aber immer bedenken: Krankheit kann man auch nicht „weggestalten“)

Risikokonstellationen in der Arbeitswelt

Psychotherapie ist Behandlungsoption erster Wahl in nationalen und internationalen Leitlinien, aber kommt häufig nicht zur Anwendung

Unterstützung/Ermutigung Betroffener, sich in Behandlung zu begeben

(Entstigmatisierung)

Strukturen für schnelleren und breiteren Zugang schaffen

auch bei Berentung im Vorfeld vermehrt nutzen

verstärkt auch klinisch-psychologische Interventionen im Rahmen

„zuwendungsorientierter Medizin“ (niederschwelliger) einsetzen

Behandlung psychischer Störungen

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Insbesondere ambulante Psychotherapie hat oft keinen Bezug zu spezifischen Arbeitsproblemen (bis hin zu Berührungsängsten)

mehr Arbeitspsychologie und mehr case-management-Kompetenzen

in die Psychotherapie! (z.B. spezieller Baustein in Ausbildung,

Arbeitspsychologen in psychotherapeutische

Behandlungseinrichtungen)

Behandlung psychischer Störungen Vulnerabilitäts-Stress-Modelle als integrative Perspektive

Zentrale Komponenten:

Vulnerabilität/ Diathese

Stress/Exposition

Resilienz/Belastbarkeit

Coping/Bewältigung

Jede Zeit hat ihre vulnerablen Individuen, die in bestimmten Konstellationen auf bestimmten

Stress mit bestimmten psychischen Störungen reagieren (erkannt oder unerkannt)

Psychotherapie und sonstige Heilmaßnahmen können hier nur begrenzt Einfluss nehmen!

Problem in erster Linie der Arbeitswelt (und weniger der Gesundheitsversorgung)

Ansatzpunkte:

1.Psychoedukation („Nachhilfe“) zu Stressreduktion und Krankheitslehre

2.Arbeitsplatzspezifische Prävention

3.(stepped care) Versorgungsbausteine und -Ketten (incl. Entwicklung störungsspezifischer Behandlung von arbeitsplatzverursachten Störungen)

Positionspapier DGPPN (Berger et al., 2012)

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• Arbeitsschutz modernisieren (Thema psychische Fehlbelastungen/Fehlbeanspruchung verstärkt einbeziehen)

• Gefährdungsbeurteilung hinsichtlich psychischer Fehlbelastung muss einforderbar werden, und zwar auch individualisiert (nicht nur für „Normbeschäftigten“)

• Arbeitsplatzanalyse in Relation zu Beeinträchtigungsanalysen bewerten• Restrukturierungen besser begleiten, damit sie nicht zu Verwerfungen werden• „Inklusion“ erweitern (Linden: „leidensgerechte Arbeitsplätze“; betr. kollektive Risikoübernahme)• Arbeitgeber und Beschäftigtenvertreter müssen aus (politischer) Rolle heraustreten und

Expertenrolle einnehmen (gemeinsam Lösungen finden)• Anreizsysteme für Versorger: Beteiligung an Wiedereingliederung/Gesundschreibung fördern,

Kurzzeitinterventionen ermöglichen• Clevere Unternehmen weichen den Regelversorgungs-Problemen aus indem sie selbst

entsprechende Strukturen schaffen und organisieren• Transparentes Risikomanagement kann funktionieren, z.B. EU-Sozialpartnervereinbarung (Bspl.

Dänemark)• (Selbst-) Besinnung, Sinnfindung besser als „Glück“ Priorisierung von Bedürfnissen• Gesundheitskompetenz des Einzelnen / Eigenanteile sind zentraler Ansatzpunkt• Spezielle „stepped care“ Angebote, z.B. EAP, tagklinische Konzepte• Mehr längsschnittliche Forschung mit klar differenzierten Outcomes und Einbezug von persönlichen

Merkmalen und „total workload“• etc…

Lösungsansätze könnten auf verschiedensten Ebenen evaluiert und umgesetzt werden… „Burnout“:

Prävalenz und diagnostische Probleme

Prof. Dr. Frank Jacobi

Psychologische Hochschule Berlin und TU Dresden (Institut für Klinische Psychologie

und Psychotherapie)

7. Hessischer PsychotherapeutentagFrankfurt, 12.-13.4.2013