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 2/2003 Seelenp ege in Heilpädagogik  und Sozialtherapie Heilpädagogik und Öffentlichkeit Entwicklungslinien und Pioniergestalten der Musik in der Heilpädagogik Drei mal drei sind neune Das Dilemma der Stimulanzienbehandlung

Beilharz Entwicklungslinien 2003

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História dos pioneiros professores Waldorf de música.

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  • 2/2003

    Seelenpfl egein Heilpdagogik

    und Sozialtherapie

    Heilpdagogik und ffentlichkeit

    Entwicklungslinien und Pioniergestalten der Musik in der Heilpdagogik

    Drei mal drei sind neune

    Das Dilemma der Stimulanzienbehandlung

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    In der Pionierphase der anthroposophischen Heilpdagogik haben sichdie seit 1924 entstandenen Heil- und Erziehungsinstitute, ber den heil-pdagogischenArbeitsauftrag hinaus, als Kulturinseln verstanden. Die zu-nchst ziemlich starke Abgeschlossenheit gegenber der Aussenwelt, dieinnere und ussere Stringenz des Zusammenlebens, der hohe StellenwertdesKnstlerischen, habendieHerausbildung einesber Jahrzehnteunver-kennbaren Stils begnstigt. Ein wesentlicher Gestaltungsfaktor und damitauch Stilmerkmal anthroposophischer Heilpdagogik war die Musik, undzwarinfolgendenBereichen:1. lebens- und gemeinschaftsgestaltend (Musik im Tages- und Jahreslauf,Festgestaltung)2.imUnterrichtmitdenKindernundJugendlichen3. in therapeutischerAnwendung, mit Einzelnen oder Gruppen, auch inZusammenhangmit(Heil)-Eurythmie4. als SchulungsfeldderMitarbeiter bzw.der inKursen frdieMitarbeitAuszubildendenIn der allerersten Zeit gebrauchteman fr das instrumentaleMusizieren

    das Klavier und die klassischen Orchesterinstrumente sowie verschiedene

    Gerhard Beilharz

    Acht Jahrzehnte Musik in der anthroposophischen Heilpdagogik.Ein Blick auf Entwicklungslinien und Pioniergestalten

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    DieErdehatunslieb.EinesdererstenLiedervonEdmundPracht.Fotooben::EdmundPracht

    elementarzuhandhabendeSchlaginstrumente.Vieleder jungenMitarbeiterkamen von der Wandervogelbewegung her, so wurden selbstverstndlichauch Lauten und die seit etwa 1925 auch inDeutschlandwieder gebautenBlockfltenbenutzt.DenentscheidendenundfrdiemusikalischeStilbildungfolgenreichen Einschlag brachte jedoch die 1926 von Edmund Pracht kon-zipierteunddurchLotharGrtnergebauteLeier, fortaneinesderzentralenHandwerkszeugedesanthroposophischenHeilpdagogen.

    Die Wirksamkeit von Edmund Pracht

    Der vielfltig talentierte Edmund Pracht (1898 1974) lebte seit 1924 alsMitglied der sogenannten Wchtergruppe im Umkreis des DornacherGoetheanum, betrieb knstlerische und anthroposophische Studien undwar als Klavierbegleiter zur Eurythmie ttig. Im Frhjahr 1926 wurde ererstmals an den Sonnenhof Arlesheim, die heilpdagogische Dpendance

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    dervon ItaWegman (vgl.Zeylmans1992)begrndetenKlinikgerufen,umfrdieKinder zurEurythmie zu spielen.DasEmpfinden einerDiskrepanzzwischendemKlavierklangunddemHrenderKinderverdichtetePrachtsschon lnger gehegte Plne zur Schaffung eines neuen Saiteninstruments.So kam es im Herbst 1926, in Zusammenarbeit mit Lothar Grtner (1902 1979), zur Entwicklung einer modernen Leier, von den Heilpdagogenund rzten um Ita Wegman begeistert aufgenommen. Schon im Sommer1926 hatte Pracht eine musikalisch-heilpdagogische Studiengruppe insLeben gerufen, um im Zusammenwirken von Musikern, Heilpdagogenund rzten (heil)pdagogisch-therapeutische Grundfragen der Musik zubearbeiten(Beilharz1998/99).IndenvonItaWegmanseitden1920erJahreneingerichteten rztlichen, heilpdagogischen und heileurythmischen Fort-bildungskursen bekamPracht danndieAufgabe,mit denKursteilnehmernknstlerische und musikalisch-menschenkundliche Grundlagen zu er-arbeiten, wobei die Leier als zentrales Medium fungierte. Mit PrachtsArteiner grndlichen phnomenologischen Bearbeitung der musikalischenElemente wurden die Grundzge einer bis heute fr anthroposophischarbeitende musikalische Studiengnge charakteristischen Arbeitsweisevorgezeichnet. Da die Arlesheimer Fortbildungskurse bis zum Beginn des2. Weltkriegs das massgebliche Schulungszentrum der sich internationalausbreitenden anthroposophischen Heilpdagogik waren, wurden vieleMitarbeiter durch die Begegnungmit Pracht und seinermusikalischenAr-beitsweise zu spteren eigenen musikalischen oder musiktherapeutischen

    Das von Pracht und GrtnerentwickelteLeierensemble.

    Unten:LotharGrtner

    Beitrge

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    Ausarbeitungen impulsiert.Bis in seine letztenLebensjahre standPracht inregeminternationalemAustauschmitMusikern,Heilpdagogenundrzten,bereistedieheilpdagogischen Institute inhalbEuropa, spter auch indenUSA,schrieb,komponierte,hieltKurseundVortrge.

    Alois Knstler

    VongnzlichandererArtwardieWirksamkeitAloisKnstlers (1905-1991),der sich imGegensatz zuPracht niemals schriftlichundwohl kaum inVortrgen zu musikalischen oder anthro-posophischen Fragestellungen geusserthat.SeinWirkensfeldwarvon1929bis1940im heilpdagogischen Institut Gerswalde(Uckermark), nach dem 2. Weltkrieg frkurzeZeit imInstitutEckwldenunddann,bis 1977, im Landschulheim Benefeld.ber Jahrzehnte hinweg schuf er in allerStille seine zahlreichen Kinder- und Feier-lieder sowie Leierkompositionen, die inder anthroposophischen Heilpdagogikund in denWaldorfkindergrten weite Ver-breitung gefunden haben. Von allen deranthroposophischen Heilpdagogik ver-bundenen Komponisten der ersten Gene-ration hat er am berzeugendsten einenneuen Ton getroffen, der den Bedrfnissender Schul- und Heimgemeinschaften ent-sprach:eineimbestenSinnedesWortesdie-nende Musik, in deren unverwechselbarem lapidaren Gestus subjektives

    AloisKnstler

    AnfangdesLiedes:ONacht,DuSternenbronnen,vonAloisKnstler

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    kompositorisches Ausdrucksbedrfnis gnz-lich zurckgenommen scheint (Beilharz 1984,2003,Lampson1985,1993).

    Musik in der Gestaltung des Gemeinschaftslebens

    Schon in den Anfangsjahren anthroposophi-scher Heilpdagogik hat sich die bewussterhythmische Durchgestaltung des Tages-,Wochen- und Jahreslaufes als verbindlichesund verbindendes Element herausgeprgt1.Hier hatte die Musik entscheidende Ak-zente zu setzen, ob im Morgen- undAbendkreis (Morgen- und Abendlied), beiWeckmusik oder Musik zum Einschlafen,bei Sonntagsmusiken (oft in der Art vonWerkstatt- oder Gesprchskonzerten), zuden Jahresfesten oder den sonntglichen re-ligisen Feiern. Sieht man einmal von deneinschlgigen Kompositionen von Prachtund Knstler (und vielleicht noch Johanna

    Russ)ab,dierascheineberregionaleVerbreitungfanden,gabes innerhalbder grossen Stilgemeinschaft durchaus unterschiedlich akzentuierte lokaleTraditionen, abhngig von den jeweils prgenden und komponierendenPersnlichkeiten,wiez.B.GotthardStarkeinBingenheimoderMichaelWilsoninSunfield/England.

    Heilmusik

    Schon Ende der 1920er Jahre gab es am Sonnenhof in Arlesheim gezieltemusiktherapeutische Bestrebungen (Bort 1927, Pracht 1927) man sprachdamalsvonHeilmusiksowierhythmische2undheileurythmischebun-genmitMusik.Die vongrossemEnthusiasmusundPioniergeist beflgeltemusikalischeundmusiktherapeutischeArbeitjenerJahrewurdeinVortrgenund ffentlichen heilpdagogischen oder anthroposophischen Tagungenmehr-fachdargestellt.3DochschonnachwenigenJahrenstagniertedieseArbeitausbishernochweitgehendungeklrtenGrnden.Pracht selbst, zudessenIntentionen die weitere Entfaltung einer gezielten musiktherapeutischenArbeitsweisegehrte,zogsichausdiesemArbeitsfeldzurckundbeschrnktesichfortanaufdasKomponieren,aufseinemusikalisch-menschenkundliche

    Aus einem frhenProspekt ber die anthro-posophischeHeilpdagogik

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    Kurs-undVortragsttigkeitundaufdieweitereAusbreitungdesLeierspiels.SelbstverstndlichwurdenindenheilpdagogischenInstitutentherapeutischeWirksamkeitenderMusikweiterhingehandhabt:ImBereichdesUnterrichts,sowie in der differenzierten rhythmischen Durchgestaltung des Tages-,Wochen-undJahreslaufshattedieMusikalsheilpdagogischesWerkzeugeine grundlegendeAufgabe, vor allem hinsichtlich ihrer harmonisierendenWirkungen.4 Dabei gab es durchaus auch Einzelmassnahmen, wie z.B.individuellgestalteteWeckmusiken,umepileptischeAnfllebeimAufwachenzu vermeiden.Mitmusikalischen Elementen in diesem Sinne umgehen zuknnen, anders gesagt: einmusikalisiertes, harmonisierendes Lebensmilieuschaffen zu knnen, gehrte selbstverstndlich zu den Kompetenzen einesgutenHeilpdagogen.5So kann man fr die 1930er und 1940er Jahre von einer vielfltig

    ausdifferenziertenmusikalisch-heilpdagogischenKulturindenanthroposo-phischenEinrichtungensprechen.OftauchhattengeradedieandeneinzelnenArbeitsorten fhrendenPersnlichkeiten,dieHeimgrnder,gewichtigemu-sikalischeImpulse.Soschrieb,umnurzweiBeispielezunennen,derArztundHeilpdagogeBernardLievegoed, der 1931 das InstitutZonnehuis inZeistbegrndete, seinemedizinischeDissertation ber einmusiktherapeutischesThema (Lievegoed 1939). Gotthard Starke, der Begrnder des InstitutsRittershain (spter Bingenheim), war Arzt und professioneller Musiker inPersonalunion.AlsHerausgeberderZeitschriftDasSeelenpflege-bedrftigeKind,von1954bis1971zentralesPublikationsorganderanthroposophischenHeilpdagogik,undalsVerlegergaber,untersttztdurchJuliusKnierim(s.weiterunten),denmusikalischenBelangenbreitenRaum.

    Die Situation nach 1950

    Zu einer gezielteren Ausarbeitung musiktherapeutischer Anstze kam eserstinden1950erJahren.HieristzunchstdervielfltiginitiativeArztundHeilpdagoge Karl Knig (1902-1966), der Begrnder der Camphill-Be-wegung,zunennen.ErundseineMitarbeiterinCamphillAberdeen(spterauchananderenOrten) entwickelten eineReihevonmusiktherapeutischenVorgehensweisen, zunchst vor allem in Form von Gruppentherapien frKinder mit bestimmten heilpdagogischen Krankheitsbildern. Dabei wur-den auch heileurythmische Elemente (Mller-Wiedemann 1955, 1989) oderdieAnwendung von farbigem Licht (Rascher 1969) einbezogen.6 Eine aus-fhrliche,berEinzelaspektehinausgehendeDokumentationdieserArbeitenstehtbisheuteaus.7Einen neuen Einschlag bekam die von Karl Knig angestossene musik-

    therapeutischeArbeitdurchdasZusammenwirkendesArztesHansHeinrich

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    Engel, der schon seitAnfang der 50er Jahre inCamphill Aberdeen mit-gearbeitet hatte, und desMusikwissenschaftlersHermannPfrogner(Engel1999,Pfrogner1976,1978,1985,1989).Siebegegnetensich zum erstenmal 1963im heilpdagogischenHeim Christophorus inBosch en Duin/Nieder-lande. Es entstand eineintensive, fruchtbare Zu-sammenarbeit. Durchmehrere Jahre hindurchwurden inChristophorusregelmssig musikthera-

    peutische Studientage abgehalten, stark geprgt durch die IntuitionskraftEngelsunddie ForschungsergebnissePfrogners,der sichvor allemumeinmenschenkundlichesVerstndnisder Intervallbewegungenbemhte.DieserArbeitskreis, demrzte,Heilpdagogen undMusiker angehrten, bestandnurwenigeJahre,hatjedochdieanthroposophischeMusiktherapiebisindieGegenwartstarkgeprgt(vgl.auchStckert1997).ZudenmusiktherapeutischarbeitendenTeilnehmerndieserGruppe,diedieAnregungenvonEngelundPfrognerindennchstenJahrzehnten(bisindieGegenwart)weiterentwickeltenundinKursenundAusbildungsstttenweitergaben,gehren-VeronikaBay,1974Mitbegrnderineinesbis1981bestehendenmusikthera-peutischenAusbildungsgangesinChistophorus,-ChristofAndreasLindenberg,einederfhrendenMusikerpersnlichkeitenderCamphill-Bewegung,1970MitbegrnderderFreienMusikSchule(Wan-derstudium fr Kunst, Pdagogik, Therapie), 2001 Grndung der DorianSchoolofMusicTherapy,Glenmoore,PA,USA,-MariaSchppel,dieschon1963inBerlindieersteanthroposophischeMusik-therapieausbildungbegrndeteundbis1993leitete,-JohannaSpalinger,wieLindenberginderCamphill-BewegungalsMusikerinundMusiktherapeutinmassgeblichttig,ebenfallszumGrndungskollegiumder FreienMusik Schule gehrig, 1997 Grndung der Orpheus-Schule frMusiktherapieinBeitenwil/Bern.

    SchlerorchestermitLeiern

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    Julius Knierim

    Die wohl einflussreichste Musikerpersn-lichkeit innerhalbder anthroposophischenHeilpdagogik seitden 1950er JahrenwarJulius Knierim (1919-1999). Sein KonzeptstandinbestimmterHinsichtdenvonKnigundEngelimpulsiertenAnstzendiametralentgegen. Rckte dort die, hufig auchrezeptive,musiktherapeutischeInterventionin die Nhe einer medikamentsen Be-handlung,musikalischeElementeimSinnevonWirk-Stoffenwohldosierend,wirkteKnierimimGrundealsLehrerundKnstler.Die von ihm am Heil- und Erziehungsinstitut Michaelshof Hepsisau seit1947bis indie90er JahrehineinentfaltetemusikalischeArbeitrechnetevorallemmitdenpersnlichkeitsstrkendenundseelischordnendenKrftenderknstlerischen Ttigkeit. ImUnterrichtmit den Kindern und Jugendlichenwaren es nicht zuletzt improvisatorische bungen, die in diesem Sinne(heutewrdemanvonSalutogenesesprechen)gesundendwirkten.Dieweitber den Unterricht hin-ausgehende unablssigemusikalische Durchflutungdes Heimlebens schuf frdieKinderundJugendlichenein usserst entwicklungs-begnstigendes Milieu.Schonalleindasbestndige,sehr anspruchsvolle benam Hrprozess steigerteihre Konzentrations- undInteressefhigkeitenorm.Be-stimmteimTages-,Wochen-oder Jahreslauf rhythmischwiederkehrendemusikalischgestaltete Ereignisse gabenseelischen Halt und Sicherheit, whrend diesen Grundrhythmus immerwieder durchbrechende grosse musikalische Projekte, wie Oratorien- undOpernauffhrungen, andenendie ganzeHeimgemeinschaftmitwirkteundvorallemdielterenSchleraktiveinbezogenwaren,denKinderneinenun-schtzbarenseelischenWachstums-undEntfaltungsraumerffnete.8

    JuliusKnierimmitdemPosaunenchor

    JuliusKnierimmitSchlernbeimLeierspiel

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    Durchseine jahrzehntelangeMitarbeit inheilpdagogischenAusbildungs-sttten, bei internationalen Fachtagungen und Kursen wirkte Knierimusserst stilprgend und durch seine eigene exemplarische Arbeit amMichaelshofHepsisauhoheMassstbesetzend.Auchdervonihm1961 ini-tiierte internationaleKreisder lehrendenLeierspielerunddieschonobenerwhnte 1970 gegrndete FreieMusik Schule, deren Motor er durch 20Jahrehindurchwar, trugensehrstarkzurVerbreitungseinerArbeitsanstzebei(Beilharz1996,2003,Knierim1988).

    Gegenwrtige Lage

    Betrachtet man nun die derzeitige Lage der Musik in anthroposophischarbeitenden heilpdagogischen Heimen und Schulen, ergibt sich ein vombisherbeschriebeneninmancherHinsichtabweichendesBild.Standnochbisetwa1990wennauchinabnehmendemMassederprgendeEinflussein-zelner charismatischer Musikerpersnlichkeiten im Vordergrund, befindetsichdieMusikinderanthroposophischenHeilpdagogikseitherineineroffe-nenLandschaftmitneuenFreirumen.Etwaszugespitzt:WofrherdieArbeitdesEinzelnenvoneinembreitenTraditionsstromgetragenwar,mussheutejederkleinsteSchrittindividuellfundiertundverantwortetwerden.Frher(damitmeineich,starkvereinfachend,dieEntwicklungsphasender

    anthroposophischenHeilpdagogik bis in die 70er und, in abgeschwchterForm,bisindie80erJahredesletztenJahrhundertshinein.)kamderMusikeine zentrale Rolle innerhalb der Arbeit zu, herrschte ein musikalischesGrundklima. In dem Masse, wie die heilpdagogischen GemeinschaftensichalsKulturinselnverstanden,wurdeauchdieMusik,weitberdie reinfachlichen Belange hinaus, als Kulturerneuerungsimpuls begriffen. Ausdieser Bewusstseinshaltung herauswurde ein unverwechselbarerMusikstilentfaltet und jahrzehntelang gewahrt, der bei aller Unterschiedlichkeit derdurchdiejeweiligenMusikerpersnlichkeitengeprgtenlokalenTraditionenalseinheitlicherlebtwurde.DabeiwardieLeierdaszentraleInstrument,seitEndeder1960erJahregehrtenauchdienachundnachentwickeltenChoroi-InstrumentezumErscheinungsbild.9InnerhalbdernochweniggeschiedenenArbeitsbereicheverstandsichderMusikeralsKnstler,LehrerundTherapeutinPersonalunion.DabeigabesdurchauspersnlicheSchwerpunktsetzungen,aberkaumreinesSpezialistentum.HeuteistdieseseinstsotragfhigemusikalischeKlimavielfachgeschwcht,

    mancherortsvielleichtsogarzerstrt.DafrlassensichverschiedeneUrsachenfeststellen: Zunehmende behrdlicheReglementierungenunddaraus resul-tierende Sparzwnge; vernderte (musikalische) Lebensbedingungen undBedrfnisse von Kindern undMitarbeitern. Bedeutung undMglichkeiten

    Beitrge

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    der Musik werdenvielfach unterschtzt;musikalische Kompe-tenz droht nicht erstseit PISA zur echtenMangelwarezuwerden.Auch anthroposo-

    phisch fundierte heil-pdagogische Arbeitversteht sich heutein erster Linie ganznchtern als profes-sionelle Dienstleis-tung. Verglichen mitdem oft moralisch

    hochfliegendenImpetusderPionierewerdenheutemeistkleinereBrtchengebacken. Was damit allgemein gewonnen oder verloren sein mag, sollhier nicht diskutiertwerden. In Bezug auf unsere Fragestellungen ist einesjedenfallsdeutlich:AusdenschonerwhntenGrnden,darberhinausdurchzunehmende institutionelle Differenzierung und durch die Angleichung imsteigernden,aberauch imbeschrnkendenSinneanallgemeinblichefachlicheStandardsistdieRollederMusikmarginalisiert,sieselbstmehrundmehrdenSpezialisten(soweitsiefinanzierbarsind)berlassenworden.Klaus-Benedikt Mller, ein renommierter Schweizer Heilpdagoge und

    Musiktherapeut, hat jngst formuliert: Musik in der Heilpdagogik wirdsich in Zukunft zu einem Basiselement heilpdagogischer Ausbildungenund zu einem Basiselement heilpdagogischer Praxis entwickeln. (Mller2001, S. 11) Was hier als emphatisch vorgetragene Zukunftsvision ertnt,kann schmerzlichberhren,wennmanbedenkt,dass genaudies innerhalbanthroposophisch heilpdagogischerArbeit schon einmal in breitemMasseerreichtund jahrzehntelangzumWohlunzhligerKinderund JugendlichermitEntwicklungshemmnissengepflegtwordenist.DochsollhierkeinemPessimismusdasWortgeredetwerden!Auchheute

    wird invielenanthroposophischenEinrichtungenweltweitgute,manchmalhervorragende musikalische (knstlerische, pdagogische, therapeutische)Arbeitgeleistet.DiesgeschiehtwenigerselbstverstndlichundflchendeckendwieindenPionierzeiten,unddieMusiker(Musiklehrer,-therapeuten),dieineinerdemHrennichtsehrgeneigtenZeitsichmanchmalwieEinzelkmpferfhlenmgen,habenkeineleichteAufgabe.Wassiehten,istkostbar;wassie,aufoftdrremBoden,zurEntfaltungundzumBlhenbringen,kannimmerwiedererstaunen.

    Die Kinderharfe, eine Entwicklung aus dem Choroi-Instrumentarium

    Beitrge

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    Anmerkungen

    DieserBeitragisteinVorabdruckeinesBeitragsauseinemimEntstehenbegriffenenSammelwerkzurMusikinderHeilpdagogik,dasvonGerhardBeilharzherausgegeben,imnchstenJahrimVerlagFreiesGeistesleben,Stuttgart,erscheinenwird.DiefolgendenAnmerkungenbeziehensichzumTeilaufBeitrge,dieindiesemBanderscheinenwerden.

    1Siehe:MusikimTages-undJahreslaufindiesemBand

    2HiersindvorallemdieBall-undReifenspielevonJohannaRuss(dazuimvorliegendenBandder Beitrag von Barbara Ruths) oder die Marjatta-bung (vgl. den Beitrag von YoshiakiKitazume) zu nennen. Johanna Russ (1901-1986)wirkte bis ins hoheAlter alsMusikerin und(Heil)-Eurythmistin fr die anthroposophische Heilpdagogik und verffentlichte zahlreicheLied-undLeierkompositionen.

    3 So wurden z.B. 1928 zu einer internationalen ffentlichen Tagung, der von Ita WegmaninitiiertenWorld Conference,ganzeKindergruppensamtLeierorchesterausdemSonnenhofunddendeutschenInstitutennachLondongebrachtumtherapeutischebungenzudemonstrieren.

    4Vgl.auchdenBeitragvonStefanPtzschindiesemBand

    5Das reiche diesbezgliche Erfahrungswissenwurde kaum schriftlich dokumentiert, sonderninnerhalb der Heime und der Ausbildungskurse lebendig weitergegeben. In den letzten ca.15 Jahren istdieser einst sehrbreiteErfahrungsstromsprbar ausgednntworden.Dafrgibtes verschiedene Grnde: zunehmendes Spezialistentum innerhalb des Gesamtarbeitsfeldes,behrdlicheReglementierungenundSparzwnge (wievielMusikkannmansich leisten?),eineallgemeine Entmusikalisierung des Lebens (die Verschttung des Zugangs zu den subtilerenSchichtenderMusikdurcheinbermassvonApparate-HrenhatauchvoranthroposophischenHeilpdagogennichthaltgemacht).

    6DieEntwicklungdererwhntenTherapiengeschah in intensivemKontaktmit therapeutischorientiertenMusikern wie Edmund Pracht und ValborgWerbeck-Svrdstrm, die sich in derfraglichenZeitaufEinladungKnigsinAberdeenaufhielten.VonbeidenliegenKompositionenfrbestimmteGruppentherapienvor.DergesangstherapeutischeAnsatzvonWerbeck-Svrdstrm(vgl.Felber/Reinhold/Stckert2000)istallerdingserstnachihremTode,vermitteltdurchihrenSchlerJrgenSchriefer,frdieanthroposophischeMusiktherapieundHeilpdagogikweltweitfruchtbargeworden.Vgl.auchdieBeitrgevonAndreaStckertindiesemBand.

    7 Einige grundlegende Einsichten hat Knig in dem 1958 von H.R. Teirich herausgegebenenSammelwerkMusikinderMedizindargelegt.UnterdenbisEndeder1980erJahreinsgesamtsehr sprlichen schriftlichen Verlautbarungen zur anthroposophischen Musiktherapie warKnigs ausgezeichneteDarstellungdie einzige, die inder Fachffentlichkeit in breitemMassewahrgenommenundimmerwiederzitiertwurde.

    8 Knierims mannigfache Innovationen und Initiativen auf verschiedenen musikalischenArbeitsfelderndarzustellen,wrdedenRahmendiesesBeitragssprengen.

    9 Im Rahmen dieses Beitrags knnen nur grobe Linien skizziert werden. Insofern ist dasErscheinungsbildstarkvereinfachtundzeigtnichtdieFlleder(vorallemimtherapeutischenBereich)sonstnochverwendetenInstrumente.

    Literatur

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    Beitrge

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    Gerhard Beilharz ist als Musiker freiberuflich ttig und unterrichtet u.a. am Rudolf-Steiner-Seminar fr Heilpdagogik, Bad Boll, und an der Freien Musik Schule (Kunst Pdagogik Therapie). Der vorliegende Beitrag ist ein Vorabdruck aus einem vom Autor herausgegebenen, im Februar 2004 im Verlag Freies Geistesleben erscheinenden Sammelbandes zur Musik in der anthroposophischen Heilpdagogik.

    Beitrge