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BAUSTOFFKUNDE UND KONSTRUKTIONS- BAUSTOFFE SKRIPTUM ZU DEN VORLESUNGEN VON PROF. DR.-ING. HARALD S. MÜLLER UNIVERSITÄT KARLSRUHE (TH) 2005/2006

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BAUSTOFFKUNDE UND

KONSTRUKTIONS- BAUSTOFFE

SKRIPTUM ZU DEN VORLESUNGEN VON

PROF. DR.-ING. HARALD S. MÜLLER

UNIVERSITÄT KARLSRUHE (TH)

2005/2006

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Inhaltsverzeichnis

Baustoffkunde und Konstruktionsbaustoffe Seite

Vorwort

A EINFÜHRUNG 1

1 Zielsetzung 1

2 Einteilung der Werkstoffe des Bauwesens 2

3 Rolle der Werkstoffe in der historischen und technologischen Entwicklung 3

4 Anforderungen an die Werkstoffe in verschiedenen Baukonstruktionen 4

4.1 Beanspruchung durch äußere Lasten 4

4.2 Beanspruchung durch chemische und physikalische Einwirkungen 6

5 Wichtige Werkstoffeigenschaften und deren Charakterisierung 6

5.1 Mechanische Eigenschaften 6

5.1.1 Festigkeit 6

5.1.2 Verformung 7

5.1.3 Spannungs-Dehnungslinien 8

5.1.4 Der Zugversuch an Baustählen 10

5.1.5 Wahre Spannung – Wahre Dehnung 11

5.1.6 Verformungsenergie und Arbeitsvermögen 11

5.1.7 Kriechen, Relaxation und Zeitstandfestigkeit 13

5.1.8 Dauerschwingfestigkeit, Ermüdung 14

5.1.9 Oberflächenhärte 14

5.1.10 Kerbschlagzähigkeit 15

5.2 Physikalische Eigenschaften von Werkstoffen 16

5.2.1 Dichte 16

5.2.2 Volumenstabilität 17

5.2.3 Wärmedehnung 17

5.2.4 Verhalten gegenüber Flüssigkeiten oder Gasen 18

5.2.5 Wärmeleitung 20

5.2.6 Schallleitung 21

5.3 Widerstand gegen chemischen und physikalischen Angriff 21

5.3.1 Korrosion 21

5.3.2 Brandverhalten 22

5.4 Oberfläche, Aussehen und Formbarkeit 22

5.5 Werkstoffe und Umwelt 22

5.6 Kosten und Tragvermögen 25

6 Werkstoffauswahl 25

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- II -

B AUFBAU, STRUKTUR UND HERSTELLUNG DER WERKSTOFFE 27

1 Grobstruktur der Werkstoffe 27

1.1 Homogenität und Isotropie 27

1.2 Phasen und Körner 27

1.3 Porosität 27

1.4 Klassifizierung der Werkstoffe nach ihrer Grobstruktur 28

1.5 Werkstoffeigenschaften, die durch die Grobstruktur beeinflusst werden können 28

2 Mikrostruktur der Werkstoffe 29

2.1 Energieniveau und Ordnung 29

2.2 Erscheinungsformen der Mikrostruktur 29

2.2.1 Die Aggregatszustände 29

2.2.2 Kristalline und amorphe Werkstoffe 29

2.2.3 Sole und Gele 30

2.2.4 Charakteristische Werkstoffeigenschaften als Folge der Mikrostruktur 30

2.3 Grundbausteine der Werkstoffe 30

2.4 Bindungsarten 31

2.4.1 Ionenbindung 31

2.4.2 Metallbindung 31

2.4.3 Kovalente Bindung (Atombindung oder homöopolare Bindung) 32

2.4.4 Molekulare Bindungen 32

2.4.5 Gemischte Bindungen 33

2.4.6 Bindungsenergie und Atomabstand 33

2.5 Charakteristische Werkstoffeigenschaften als Folge von Bindungsart und Bindungsenergie 34

2.5.1 Festigkeit 34

2.5.2 Duktilität und Sprödigkeit 35

2.5.3 Elastizitätsmodul 35

2.5.4 Wärmeleitfähigkeit und elektrische Leitfähigkeit 35

2.5.5 Siedepunkt und Temperaturausdehnung 36

2.5.6 Zusammenfassung 36

2.6 Aufbau und Eigenschaften kristalliner Werkstoffe 37

2.6.1 Die Kugelpackungen 38

2.6.2 Wichtige Kristallstrukturen 38

2.6.3 Begriffe und Kenngrößen von Kristallen 40

2.6.4 Charakteristische Werkstoffeigenschaften als Folge der Kristallstruktur der Werkstoffe 41

2.7 Amorphe Werkstoffe – Stoffe aus langen Kettenmolekülen 41

2.7.1 Kettenpolymere – Thermoplaste 42

2.7.2 Elastomere 42

2.7.3 Dreidimensionale Netzwerke – Duroplaste 42

2.7.4 Charakteristische Werkstoffeigenschaften als Folge des Vernetzungsgrades 43

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- III -

2.8 Sole und Gele 43

2.8.1 Entstehung 43

2.8.2 Oberflächenspannung - Oberflächenenergie 43

2.8.3 Die Struktur von Solen und Gelen 44

3 Herstellung und Formgebung von Werkstoffen 45

3.1 Mischen von Werkstoffkomponenten 45

3.2 Phasendiagramme 45

3.2.1 Mischung von zwei Komponenten mit voller Löslichkeit 46

3.2.2 Mischung von zwei Komponenten, die nicht ineinander löslich sind 48

3.2.3 Mischung von zwei Komponenten mit beschränkter Löslichkeit 48

3.2.4 Weitere Begriffe 50

3.2.5 Stahl und Gusseisen 50

3.3 Formgebungsmethoden 55

3.3.1 Formgebung durch Schmelzen und Erstarren 55

3.3.2 Formgebung durch Kalt- oder Warmverformung 56

3.4 Nachbehandlung 57

3.4.1 Definitionen 57

3.4.2 Strukturveränderungen während des Glühens 58

3.5 Diffusionsvorgänge – Sintern 58

3.6 Temperaturabhängige Prozesse 59

3.6.1 Fragestellungen 59

3.6.2 Arrheniusgleichung 59

3.6.3 Aktivierungsenergie 60

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- IV -

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Vorwort

Das vorliegende Skriptum begleitet die Vorlesungen "Baustoffkunde" bzw. "Konstruk-

tionsbaustoffe" im 2. bzw. 3. Semester für Studierende des Bauingenieurwesens an

der Universität Karlsruhe.

Die Vorlesung vermittelt zunächst elementare physikalische und chemische bzw.

werkstoffwissenschaftliche Grundkenntnisse. Diese bilden gemeinsam mit dem Lehr-

stoff zum mikrostrukturellen Aufbau der Werkstoffe die wissenschaftliche Basis zum

Verständnis des Festigkeits- und Verformungsverhaltens sowie der Dauerhaftigkeit

der Baustoffe.

Der Lehrstoff ist im Skriptum in einer dem Ingenieur verständlichen Form aufbereitet.

Das Skriptum ist jedoch kein Lehrbuch. Wissenschaftliche Hintergründe und Erläute-

rungen werden vor allem in der Vorlesung vermittelt. Damit ergibt sich die Vollstän-

digkeit des Lehr- und Prüfungsstoffes im Fach "Baustoffkunde" ausschließlich in

Verbindung mit dem Inhalt der gehaltenen Vorlesungen und den dazugehörigen

Übungen. Das Skriptum kann und soll beide nicht ersetzen. Es soll vielmehr die den

Studentinnen und Studenten empfohlene Vorlesungsmitschrift ergänzen.

Die Teilgebiete "Baustoffkunde" und "Konstruktionsbaustoffe" bilden eine inhaltliche

Einheit. Der dort vermittelte Stoff gehört zu dem unabdingbaren Wissen eines wis-

senschaftlich ausgebildeten Bauingenieurs.

Harald S. Müller

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- 1 -

A EINFÜHRUNG

A.1 ZIELSETZUNG

Die Zielsetzung der Vorlesungen Baustoffkunde und Konstruktionsbaustoffe be-steht in der

- Beschreibung der mechanischen, physikalischen und chemischen Eigen-schaften sowie der Dauerhaftigkeit der Werkstoffe des Bauwesens

- Behandlung grundlegender werkstoffwissenschaftlicher Prozesse, Vorgänge und Mechanismen

- Charakterisierung der Mikro- und Makrostruktur dieser Werkstoffe

- Darstellung des Zusammenhanges zwischen Eigenschaften und Struktur der Werkstoffe.

Dies bildet die Grundlage

- für das Verständnis des Verhaltens von Werkstoffen des Bauwesens,

- zur optimalen Auswahl von Werkstoffen für bestimmte Anwendungsgebiete,

- zur Weiterentwicklung der Werkstoffe des Bauwesens.

Die nachfolgende Darstellung benennt die wichtigsten Themengebiete der Vorle-sungen Baustoffkunde und Konstruktionsbaustoffe und visualisiert die vorhande-nen Zusammenhänge. In der Vorlesung können nicht alle in der Praxis vorkommenden Baustoffe ange-sprochen werden. Aber es werden neben den wichtigsten Baustoffen insbesonde-re die wissenschaftlichen Grundlagen aller Werkstoffgruppen behandelt. Dieses Wissen ist die Voraussetzung, um das Verhalten aller Werkstoffe/Baustoffe ver-stehen und im Wesentlichen vorhersagen zu können.

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- 2 -

A.2 EINTEILUNG DER WERKSTOFFE DES BAUWE-SENS

Man unterscheidet üblicherweise in

- metallische Werkstoffe,

- anorganische nicht-metallische Werkstoffe

- organische Werkstoffe

- Verbundwerkstoffe

Werkstoff-gruppe

Metallische Werkstoffe Anorganische nicht-metallische Werkstoffe

keramische Werkstoffe

anorganische Gläser hydraulisch gebundene Werkstoffe

Beispiele Stahl Aluminium Ziegel, Stein-zeug, einige Natursteine

Tafelglas Glasfasern Zementstein

typische schwer leichter Eigen-schaften

zug- und druckfest druckfest druckfest druck- und sehr zugfest

druckfest

zäh und formbar spröde und nicht formbar

spröde und nicht formbar bei Raumtemperatur

spröde und nicht formbar

korrosionsanfällig erhöhter Korro-sionswiderstand

dauerhaft dauerhaft meist durchsichtig

hohe Temperaturabhängig-keit der Eigenschaften

meist dauerhaft

Werkstoff-gruppe

organische Werkstoffe Verbundwerkstoffe

Beispiele Kunststoffe Bitumen und Teer

Holz Mörtel und Beton

Stahlbeton Mauerwerk glasfaser-bewehrte

Kunststoffe

typische leicht leicht Eigen-schaften

zug- und druckfest

zug- und druckfest

druckfest druck- und zugfest

druckfest druck- und zugfest

zäh oder spröde

zäh nieder-fest

zäh spröde duktil meist spröde duktil

alternd alternd bedingt dauerhaft

meist dau-erhaft

meist dau-erhaft

meist dau-erhaft

meist dau-erhaft

begrenzter Temperaturwiderstand

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- 3 -

A.3 ROLLE DER WERKSTOFFE IN DER HISTORI-SCHEN UND TECHNOLOGISCHEN ENTWICK-LUNG

Die Bedeutung der Werkstoffe für die kulturelle, technologische und wirtschaftliche Entwicklung der Menschheit ist schon daran zu erkennen, dass bestimmte Zeitalter nach den Werkstoffen benannt sind, die in dieser Zeit dominierten (z. B.: Steinzeit, Bronzezeit, etc.).

Um 200000 v. Chr.: Beginn der Bearbeitung von Steinen; Entwicklung einfacher Steinwerkzeuge; Wohnstätten vorzugsweise im Freien oder in Höhlen.

Um 20000 v. Chr.: Verfeinerte Steinbearbeitung; erste Anfänge des Arbeitens mit Ton; Beginn der Töpferei.

Dies ist ein wesentlicher Schritt in der Entwicklung der Menschheit: Durch das Brennen von Ton beginnt der Mensch, die natürlichen Eigenschaften von Stoffen zu verändern.

Um 10000 v. Chr.: Erste Holzkonstruktionen.

Um 8000 v. Chr.: In Mesopotamien erste Kupferfunde: das Rohkupfer wird ge-hämmert und geschmolzen.

Um 6000 v. Chr.: In Mesopotamien Häuser aus luftgetrockneten Lehmziegeln; Weiterentwicklung der Tonbrennerei und des Glasierens von Kunstgegenständen; erste Entwicklung von Mörteln.

Um 4000 v. Chr.: In Mesopotamien erste Hütten aus Steinmauerwerk mit und ohne Mörtel; Straßen aus Pflastersteinen; Pyramidenbau (Gi-zeh: 2600 - 2500), hier Verwendung von Gipsmörteln; Bau von Bewässerungsanlagen unter Verwendung von natürli-chem Bitumen als Dichtungsmittel.

In Mesopotamien Entwicklung von Kupferlegierungen (Bronze = Kupfer + Zinn; Messing = Kupfer + Zink) durch die Sumerer.

Um 2600 v. Chr.: In Mesopotamien durch die Sumerer Entwicklung regulierba-rer Brennöfen (Tone, Keramik) und Schmelzöfen zur Bearbei-tung von Kupfer und Kupferbarren (werden als Tauschge-genstände verwendet = Geld).

Um 2000 v. Chr.: In Ägypten und Mesopotamien Beginn von Import und Export, neben Nahrungsmitteln sind Werkstoffe die hauptsächlichen Güter.

Um 1400 v. Chr.: Beginn der Verwendung von Eisen durch die Assyrer in Me-sopotamien: Eisen wird mit Holzkohle aus dem Erz geschmol-zen. Dadurch entstehen Stahllegierungen. Wegen der schwe-ren Verarbeitbarkeit jedoch nur Kaltverformung durch Häm-mern.

Um 900 v. Chr.: Beginn der Wärmebehandlung von Stahl durch Römer und Griechen: Härten durch Erhitzen und Abschrecken.

Um 600 v. Chr.: Massenproduktion von keramischen Werkstoffen durch die Römer; Weiterentwicklung der Mörtelarten.

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- 4 -

Um 100 v. Chr.: Entwicklung hydraulischer Bindemittel (wasserbeständig); Voraussetzung für den Bau von Aquädukten und Hafenbau-ten.

Um 0: Römischer Beton mit puzzolanischen Bindemitteln (opus caementitium); Entwicklung und Verwendung von Blei, Mes-sing und anderer Legierungen.

Mittelalter: Keine wesentlichen neuen Entwicklungen; Zeitalter der Al-chemie.

Um 1500: Anfänge der Chemie; Entwicklung des Gusseisens.

1774: Erkenntnis, dass Kohlenstoff ein wesentlicher Bestandteil von Stahl bzw. Gusseisen ist; Entdeckung der chemischen Be-deutung des Sauerstoffes.

Um 1850: Anfang des modernen Betons; Verbesserungen in der Her-stellung von Stahl und Stahllegierungen, z. B. durch Entfernen des Phosphors.

Um 1900: Beginn der Entwicklung neuer oder verbesserter Werkstoffe durch systematische Anwendung wissenschaftlicher Erkennt-nisse.

Um 1930: Wirtschaftliche Ausnutzung von Aluminiumlegierungen; Ent-wicklung des Spannbetons.

Um 1940: Beginn der Verwendung von Kunststoffen im Bauwesen.

Ab ca. 1960: Beginn der systematischen Entwicklung moderner Verbund-werkstoffe, z. B. faserverstärkter Werkstoffe; Fortentwicklung insb. der keramischen Werkstoffe.

A.4 ANFORDERUNGEN AN DIE WERKSTOFFE IN VERSCHIEDENEN BAUKONSTRUKTIONEN

Baukonstruktionen müssen ausreichend tragfähig und steif sowie widerstandsfähig gegen chemische und physikalische Angriffe sein.

A.4.1 Beanspruchung durch äußere Lasten

Je nach Art der Tragkonstruktion und dem statischen System muss ein Werkstoff verschiedene Anforderungen bzgl. seiner Festigkeit und seines Verformungsver-haltens erfüllen.

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- 5 -

Beispiele:

Balken:

Biegebeanspruchung: DruckZug

SchubSpannungen

⎬⎪

⎭⎪

Anforderungen an den Werkstoff: druck-, zug-, schubfest, steif

Fachwerk:

Druck

ZugSpannungen

⎫⎬⎭

reduziertes Gewicht bei gleicher Bauhöhe Anforderungen: druck-, zugfest

Bogen:

vorwiegend Druckbeanspruchung

Anforderungen: druckfest

Stützen und Rahmen:

Druckspannungen DruckBiege

Spannungen⎫⎬⎭

Anforderungen: druckfest druck-, zug-, schubfest

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- 6 -

Schalen und Behälter:

vorwiegend Druckspannungen radiale Zugspannungen

Anforderungen: vorwiegend druckfest druck-, zugfest

A.4.2 Beanspruchung durch chemische oder physikalische Einwir-kungen

Je nach Nutzung einer Konstruktion müssen die Werkstoffe widerstandsfähig ge-gen bestimmte Beanspruchungen sein:

• physikalische Beanspruchung: z. B. durch Frost, hohe Temperaturen, Feuer, Schall,

• chemische Beanspruchung: z. B. durch Säuren, Öle, Gase.

Anforderungen: beständig bzw. dauerhaft

A.5 WICHTIGE WERKSTOFFEIGENSCHAFTEN UND DEREN CHARAKTERISIERUNG

A.5.1 Mechanische Eigenschaften

A.5.1.1 Festigkeit

Die Festigkeit eines Werkstoffes bezeichnet die von ihm aufnehmbare maximale Spannung.

Für die Beanspruchung durch eine Normalkraft gilt:

Spannung: σ = F/A

Festigkeit: β = Fu/A

mit: F = Kraft FU = größte aufnehmbare Kraft A = Querschnittsfläche β = Festigkeit bei axialer Beanspruchung

Für eine Biegebeanspruchung gilt:

Spannung: σ = M/W

Festigkeit: βBZ = Mu/W

mit: M = Biegemoment W = Widerstandsmoment MU = größtes aufnehmbares Biegemoment βBZ = Biegezugfestigkeit

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- 7 -

Die Festigkeit eines Werkstoffes hängt ab

• von der Art der Beanspruchung: Biegung

γ

b

Δl

l0

Δlq/2 Zug Druck

Δlq/2

Δl

b

Schub

f

Zugfestig- Druckfestig- Schubfestig- Biegezugfes- keit βZ keit βD keit τu tigkeit βBZ

• vom Spannungszustand:

1-achsig 3-achsig 2-achsig

βZ; βD β3Z; β3D β2Z; β2D

• von der Art der Lastaufbringung:

z. B.: Belastungsgeschwindigkeit konstante Dauerlast (siehe 5.1.7) wiederholte Beanspruchung (siehe 5.1.8)

• von Struktur- und Umgebungsparametern, die die Festigkeit maßgeblich be-einflussen:

Umwelteinflüsse, z. B. Temperatur, rel. Feuchte Zusammensetzung des Werkstoffes Bindungsart, Struktur Porosität

A.5.1.2 Verformung

Folgende wesentlichen Definitionen und Größen kennzeichnen die Verformung von Werkstoffen:

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- 8 -

Dehnung ε: 0llΔ

mit Δl = Längsverformung l0 = Ausgangslänge Δlq = Querverformung b = Ausgangsbreite

Querdehnung εq: blq

Poisson'sche Zahl ν: ε

ε−=ν q

Weiterhin unterscheidet man folgende wesentlichen Verformungsarten:

- elastische Verformung: reversibel - plastische Verformung: irreversibel - viskose Verformung: irreversibel-zeitabhängig

Unter einer reversiblen Verformung versteht man eine unter Last eintretende Ver-formung, die nach Entlastung vollständig zurückgeht.

A.5.1.3 Spannungs-Dehnungslinien

Der graphisch dargestellte Zusammenhang zwischen einer einachsigen Spannung (Ordinate) und der dadurch in Spannungsrichtung ausgelösten Dehnung (Abszis-se) wird als Spannungs-Dehnungslinie oder Spannungs-Dehnungsdiagramm be-zeichnet. Typische Spannungs-Dehnungslinien kennzeichnen folgendes Werkstoffverhalten:

• linear-elastisch

σ

arctgE ε

Hooke’sches Gesetz: σ = E ⋅ ε E = tg α = Elastizitätsmodul

• nicht linear-elastisch

σ σ

oder

ε ε

σ = E(σ) ⋅ ε

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- 9 -

• elastisch-plastisch

• Ver- und Entfestigung

σ

ε

σ

ε

oder

irreversibel (plastisch)

σ

ε

σ

ε

Verfestigung

Entfestigung

nicht linear

linear

Wesentliche Werkstoffeigenschaften: Elastizität: Die Eigenschaft eines Werkstoffes, nach einer Belastung und darauf folgen-

der Entlastung auf seine Ausgangsform zurückzukehren, d.h. die Verfor-mungen sind reversibel.

Plastizität: Die Eigenschaft eines Werkstoffes, auch nach der Entlastung die Form bei-zubehalten, die ihm durch eine äußere Kraft aufgezwungen wurde, d.h. die Verformungen sind bleibend bzw. irreversibel.

Sprödigkeit: Ein Werkstoff wird als spröde bezeichnet, wenn bei einer Belastung der Bruch plötzlich eintritt und nicht durch große Verformungen unmittelbar vor dem Bruch angekündigt wird.

Zähigkeit oder Duktilität:

Ein Werkstoff ist zäh oder duktil, wenn bei einer Belastung bis zum Versa-gen der Bruch allmählich eintritt und sich durch große plastische Verformun-gen ankündigt.

Wichtigste Einflussparameter: Umwelteinflüsse, z. B. Temperatur, rel. Feuchte Zusammensetzung des Werkstoffes Bindungsart, Struktur Porosität

Spannungs-Dehnungsdiagramme verschiedener Werkstoffe:

300

200

100

0 0 5 10 15

Zug

ε

σ

ε

σ 60

30

0 0 0,2 0,4

Druck Druck

0 0,2 0,4 0,6

20

40

σ Zug 6

3

00 400 800 ε

σ

Spannung in N/mm²

Dehnung in %Stahl naturhart

Beton B50 Ziegel Gummi Beton C45/50

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- 10 -

Festigkeiten und Elastizitätsmoduln verschiedener Werkstoffe:

Werkstoff βD [N/mm²] βZ [N/mm²] E-Modul [N/mm²]

Stahl 200 - 2000 1,9.105 - 2,1.105

Beton 5 - 150 1 - 10 1.104 - 5.104

Ziegel 5 - 100 0,5 - 10 5.103 - 3.104

Aluminium 50 - 250 7,2.104

Gips 5 - 40 0,1 - 4,0 1.103 - 1.104

Plexiglas 50 - 150 40 - 120 3.103 - 4.103

A.5.1.4 Der Zugversuch an Baustählen

Versuchsdurchführung an sog. Proportionalstäben:

l0

d0

lv- kurzer Proportionalstab: l0/d0 = 5 - langer Proportionalstab: l0/d0 = 10

Elastische Verformung (A), Fließen (B), Verfestigung (C), Einschnürung (D)

A C D

U

β Z

β u β 0 , 2

σ

δ g δ ε

A C D

U

δ g δ ε

B

keine ausgeprägte Streckgrenze ausgeprägte Streckgrenze

βZ βu βSo

σ

βSu

Die Bezeichnungen bedeuten:

βSo = obere Streckgrenze βSu = untere Streckgrenze β0,01 = technische Elastizitätsgrenze: Spannung, bei der nach Entlastung

eine bleibende Dehnung von 0,01 % auftritt β

0,2 = 0,2-Dehngrenze entsprechend einer bleibenden Dehnung von 0,2 %

βZ = Zugfestigkeit = Spannung bei Höchstlast βu = Zerreißfestigkeit εL = Lüders-Dehnung (Fließdehnung)

eg δ+δ=δ

mit δ = bleibende Dehnung nach dem Bruch der Probe δg = Gleichmaßdehnung: bleibende Dehnung außerhalb des Einschnür-

bereiches δe = Einschnürdehnung: Dehnung im Einschnürbereich

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- 11 -

% 100A

AA

0

u0 ⋅−

mit Ψ = Brucheinschnürung A

0 = Ausgangsquerschnitt vor der Belastung

Au = kleinster Querschnitt an der Einschnürung nach dem Bruch der

Probe

A.5.1.5 Wahre Spannung - Wahre Dehnung

Bei der technischen Spannung oder technischen Dehnung werden Kraft und Län-genänderung auf die Ausgangsfläche A0 bzw. -länge l0 bezogen:

0A

F=σ

0llΔ

Unter der Last verändern sich jedoch Querschnitt und Länge. Dies kann mit Hilfe der wahren Spannung bzw. wahren Dehnung berücksichtigt werden:

Wahre Spannung: Wahre Dehnung:

iw A

F=σ ∫=ε

i

0

l

lw l

dl

wobei Ai, li die Fläche bzw. die Länge zum betrachteten Zeitpunkt i sind.

Für plastische Verformungen bleibt das Volumen des verformten Körpers nahezu konstant, so dass gilt:

A0.l0 = Ai

.li

mit li = l0 + Δl folgt daraus für Ai:

ε+

=1AA 0

i und

( ) ( )ε+⋅σ=ε+⋅=σ 11AF

0w

Für die wahre Dehnung gilt:

( )ε+=⎟⎟⎠

⎞⎜⎜⎝

⎛ Δ+===ε ∫ 1ln

lll

lnllln

ldl

0

0

0

il

lw

i

0

A.5.1.6 Verformungsenergie und Arbeitsvermögen

Definition: Zur Verformung eines Werkstoffes aufgewandte Arbeit. Auf das ver-formte Volumen bezogen wird sie als spezifisches Arbeitsvermögen bezeichnet. Sie entspricht der Fläche unter dem σ-ε-Diagramm. Das Arbeitsvermögen ist ein Maß für die zum Bruch des Werkstoffes er-forderliche Energie. Es kann auch als Maß für die Duktilität eines Werkstoffes herangezogen werden.

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- 12 -

Linear-elastischer Werkstoff:

ε

σ1 σ

Δl Δl F

F

l

F

Die in einem Zugversuch geleistete Arbeit ist

∫Δ

Δ⋅=l

0)l(dFW

Da Δl = ε.l und F = σ.A ist, erhält man:

∫ε

εσ⋅⋅=0

dlAW

Bei linear-elastischem Verhalten ist ε = σ/E und

∫σ

σσ

⋅⋅=0

dE

lAW bzw. E2

VW2

1

⋅σ

⋅= und

E2

w 1

⋅σ

=2

Spez. Arbeitsvermögen: VWw =

Elastisch-plastischer Werkstoff:

wel

σ

σs

ε εu

wpl

ss

upl

2s

el

Ew

E2w

σ⋅⎟⎟⎠

⎞⎜⎜⎝

⎛ σ−ε=

⋅σ

=

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- 13 -

A.5.1.7 Kriechen, Relaxation und Zeitstandfestigkeit

l + Δl

Relaxation: l + Δl = konst. Kriechen: M = konst.

l

Δl

F

M

Kriechen: Anstieg der Verformung mit der Zeit bei konstanter Spannung.

Relaxation: Abfall der Spannung mit der Zeit bei konstanter Dehnung.

Kriechgrenze: Spannung, unterhalb der bei Dauerlast keine messbaren zeitab-hängigen Verformungen eintreten.

Zeitstandfestigkeit: Maximale Spannung, die ein Werkstoff während eines festgeleg-ten Zeitraumes ohne Bruch ertragen kann.

Dauerstandfestigkeit: Maximale Spannung, die ein Werkstoff unendlich lange ohne Bruch ertragen kann.

Die wichtigsten Einflussparameter:

Werkstoffstruktur Belastungsdauer Spannung Umwelteinflüsse, z. B. Temperatur

ε el = σ 1 / E

σ 1

σ 2

σ 3

Zeit

Dehnung

T = konstant Kriechen

σ1

σ2

σ3

Zeit

Spannung

Relaxation

Anfangsspannung

ε k

σ 3 > σ 2 > σ 1

σ3 > σ 2 > σ 1 σt

Beschreibung des Kriechens durch:

Kriechzahl: )t(

)t()t(0el

k

εε

Kriechmodul: )t(1

)t(E)t()t(

)t(E 0

k0el

kk ϕ+

=ε+ε

σ=

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- 14 -

Kriechfunktion: { }kelk

1 J ε+ε⋅σ

=

mit εk(t) = Kriechdehnung zum Zeitpunkt t εel(t0) = elastische Dehnung bei Belastung zum Zeitpunkt t0 E(t0) = Elastizitätsmodul zum Zeitpunkt t0 σk = kriecherzeugende, konstante Spannung

A.5.1.8 Dauerschwingfestigkeit, Ermüdung

Wiederholte Be- und Entlastungen eines Werkstoffes können zu einer fortschrei-tenden Schädigung bis zum Bruch des Werkstoffes führen. Dieser Vorgang wird mit Ermüdung bezeichnet.

Die wichtigsten Einflussparameter: σ

Zeit

σm

σa

mittlere Spannung σm

Spannungsamplitude σa

Werkstoffstruktur

Beschaffenheit der Oberfläche

Umwelteinflüsse, z. B. Temperatur oder korrosive Medien

Ermüdungsverhalten eines Baustahls (Wöhlerlinie):

10 1 10 2 10 3 10 4 10 5

106 10 7 N

Lastspiele bis zum Bruch

0

100

200

300

σ m = 0 N/mm 2

σ m = - 100 N/mm 2

σ m = +100 N/mm 2

σ a [ N/mm ² ]

Kennwerte: Dauerfestigkeit; Wechselfestigkeit (siehe Abschnitt C.5.6)

A.5.1.9 Oberflächenhärte

Härte ist der Widerstand eines Werkstoffes gegen das Eindringen eines wesentlich härteren Körpers.

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- 15 -

Beispiel: Brinell-Härte F

d

D

Kugel, Durchmesser D, wird mit einer Kraft F in eine Oberfläche eingedrückt.

d = Durchmesser des Eindruckes nach der Entlastung

Brinell-Härte: ⎟⎠⎞⎜

⎝⎛ −−⋅⋅π⋅

==22 dDDD5,0

FOFHB

Die Härte von Metallen wird durch deren Streckgrenze, Verfestigungsverhalten sowie deren Elastizitätsmodul bestimmt.

für Baustähle

0 0 800600400200

1000

2000

3000 HB [N/mm2]

βZ [N/mm2]

A.5.1.10 Kerbschlagzähigkeit

Sie ist ein Maß für den Widerstand eines Werkstoffes gegen Schlagbeanspru-chung.

Eine gekerbte Probe wird durch einen Fallhammer zerschlagen. Die vom Hammer geleistete Arbeit, bezogen auf die Restfläche an der Kerbe, ist die Kerbschlagzähig-keit αk. G

h

h

Widerlager Prob

L b

dd r

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- 16 -

Kerbschlagzähigkeit: bd

)hh(G

k

21k ⋅

−⋅=α

Die wichtigsten Einflussparameter: Werkstoffstruktur, Umwelteinflüsse, z. B. Tem-peratur

Aluminiumlegierung

fester Baustahl

Baustahl

150

100

50

0 -60 -40 -20 0 +20 +40 +60

[Nm

/cm

²] α

k

Temperatur [°C]

A.5.2 Physikalische Eigenschaften von Werkstoffen

A.5.2.1 Dichte

Die Dichte eines Werkstoffes bestimmt sein Gewicht und ist maßgebend für me-chanische und andere physikalische Eigenschaften.

Dichte VolumenMasse

Vm ==ρ

Man unterscheidet:

- Dichte oder Reindichte, ρ

- Rohdichte, ρR

- Schüttdichte, ρS

Wichtigste Parameter: Chemische Zusammensetzung

Atom- bzw. Molekulargewicht

Porosität

Erwünscht: hohe Festigkeit bei niedriger Dichte.

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- 17 -

Kennwerte Holz Beton Stahl Kunststoff (PVC) Ziegel

ρR [kg/m³] 600 2300 7800 1400 1900

βZ [N/mm²] 100 5 400 50 10

βD [N/mm²] 60 50 400 50 50

βZ/(ρ·g) [m] 17000 220 5200 3600 540

βD/(ρ·g) [m] 10200 2200 5200 3600 2700

Die Dichte und die Porosität p (siehe Kap. B.1.3) hängen wie folgt zusammen:

ρ

ρ= R - 1 p

A.5.2.2 Volumenstabilität

Schwinden und Quellen: Volumenabnahme bzw. -zunahme eines Werkstoffes bei konstanter Temperatur ohne Einwirkung äußerer Spannung z. B. als Folge von Wasserverlust oder Wasseraufnahme.

Beispiele: Schwinden des Betons, Schwinden des Holzes

Wichtigste Parameter: Zusammensetzung des Werkstoffes, Porosität und Porenstruktur, Umwelteinflüs-se z. B. rel. Feuchte.

Schrumpfen und Treiben: Volumenabnahme bzw. -zunahme eines Werkstoffes bei konstanter Temperatur ohne Einwirkung äußerer Spannungen als Folge chemischer Reaktionen. Beispiele: Schrumpfen des Betons, Schrumpfen von

Kunststoffen während der Härterreaktion.

A.5.2.3 Wärmedehnung

Das Volumen eines Werkstoffes nimmt mit steigender Temperatur zu.

Längenänderung: ∆lT = αT.∆T.l bzw. εT = αT

.∆T

mit αT = Wärmeausdehnungskoeffizient ∆lT = Längenänderung als Folge einer Temperaturände-

rung ∆T l = Ausgangslänge εT = Temperaturdehnung

Volumenausdehnungskoeffizient: γT = 3.α

T

Volumenänderung: ∆VT = γT ⋅ V ⋅ ∆T

Beispiele für αT: Beton 6 - 12.10

-6 1/K

Stahl 10 - 16.10-6

1/K Glas 3 - 10.10

-6 1/K

Aluminium 23 - 24.10-6

1/K Kunststoffe 50 - 250.10

-6 1/K

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- 18 -

Wichtigste Parameter: Zusammensetzung Werkstoffstruktur (Bindungsenergie)

A.5.2.4 Verhalten gegenüber Flüssigkeiten und Gasen

Die Dichtheit von Werkstoffen gegenüber Flüssigkeiten oder Gasen ist ein wesent-licher Gesichtspunkt z. B. beim Bau von Behältern für Flüssigkeiten oder Gase. Sie beeinflusst bauphysikalische Eigenschaften und insbesondere die Dauerhaftigkeit von Baustoffen und Konstruktionen.

Flüssigkeiten oder Gase dringen in Werkstoffe nach verschiedenen Transportme-chanismen ein. Dies sind:

Permeation Diffusion kapillares Saugen gemischter Transport, z. B. Diffusion und kapillares Saugen

Die Wege, auf denen Flüssigkeiten oder Gase durch einen festen Stoff transpor-tiert werden, sind Poren, Grenzflächen oder Risse.

Wichtigste Parameter, welche die Transportkoeffizienten beeinflussen:

Zusammensetzung und Struktur des Werkstoffes Porosität des Werkstoffes Feuchtegehalt des Werkstoffes Umweltbedingungen, d. h. Temperatur und rel. Feuchte der Luft Transportiertes Medium

• Permeation

Permeation ist der Transport von Flüssigkeiten oder Gasen als Folge und in Rich-tung eines äußeren Druckgefälles.

Beispiel: drückendes Grundwasser dringt in eine Betonwand ein.

Für den stationären Zustand, d. h. konstantes Druckgefälle, über der Zeit gilt für die Permeation von Flüssigkeiten das Gesetz von d'Arcy:

shK

AtQI w

Δ⋅=

⋅=

p2

p1

Druck

Δh

s

mit I = Durchflussmenge bezogen auf die Zeiteinheit t und den durchström-ten Querschnitt A [m/s]

Q = Volumen des durchströmenden Stoffes [m³]

t = Zeit [s] A = durchströmter Querschnitt [m²] Δh = p1 – p2 = Druck [m Wassersäule] s = Dicke des durchströmten Körper

[m] Kw = Permeabilitätskoeffizient für Flüs-

sigkeiten [m/s]

Für die Permeation von Gasen sind darüber hinaus die Viskosität des Gases η, der mittlere Druck p und der Druck p, bei dem Q gemessen wird, zu berücksichti-gen (Poisseuille'sches Gesetz):

η⋅

⋅−

⋅=⋅

=pp

2ppK

AtQI 21

g

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- 19 -

mit p1 – p2 = Druckgefälle [N/mm²]

p = 2

pp 21 + = mittlerer Druck [N/mm²]

p = Druck, bei dem Q gemessen wird [N/mm²]

η = Viskosität des Gases [Ns/m²]

Kg = spezifischer Permeabilitätskoeffizient [m²]

Die Kenngrößen Kw und Kg sind sog. Transportkoeffizienten. Je kleiner sie sind, desto langsamer läuft der Transport ab.

Beispiel: Der Transportkoeffizient von Beton gegenüber Wasser, Kw, liegt im Bereich von ca. 2.10-11 m/s > Kw > 3.10-14 m/s

• Diffusion

Diffusion ist der Transport von freien Atomen, Molekülen oder Ionen durch einen festen Stoff als Folge und in Richtung eines Konzentrationsgefälles.

Beispiel: Transport von Wasserdampf durch die Außenwand eines Gebäudes.

Für den stationären Zustand, d. h. konstanten Konzentrationsunterschied über der Zeit, gilt das 1. Fick'sche Gesetz:

scc

DAt

mi 21 −⋅=

⋅=

c1

c2

Konzentration

s

mit i = Masse des transportierten Stoffes bezogen auf die Zeiteinheit t und den durchströmten Querschnitt A [g/(s⋅m²)]

m = Masse des transportierten Stoffes [g]

t = Zeit [s] A = durchströmter Querschnitt [m²] c1 – c2 = Konzentrationsunterschied [g/m³] s = Dicke des durchströmten Körpers

[m] D = Diffusionskoeffizient [m²/s]

In vielen praktischen Fällen ist der Konzentrationsunterschied (Konzentrationsge-fälle) über die Zeit veränderlich. Dann gilt das 2. Fick'sche Gesetz für den instatio-nären Transport; siehe auch Vorlesung "Bauphysik".

Der Diffusionskoeffizient D ist, ähnlich dem Permeabilitätskoeffizient für die Per-meation, ein Maß für die Geschwindigkeit des Stofftransportes durch einen festen Körper.

Beispiel: Diffusionskoeffizient für Luft durch Beton: 10-7 m2/s > D > 10-9 m2/s

• Kapillares Saugen

In poröse Werkstoffe können Wasser oder andere benetzende Flüssigkeiten durch kapillares Saugen eindringen. Treibende Kraft sind Kapillarkräfte.

Beispiel: Aufsteigen von Feuchte in Wänden aus Mauerwerk oder Beton, die mit dem Grundwasser in Berührung stehen.

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- 20 -

Die Wasseraufnahme durch kapillares Saugen kann u.a. durch den Wasserauf-nahmekoeffizienten charakterisiert werden:

AtSm n ⋅⋅=Δ

mit Δm = durch kapillares Saugen aufgenommene Wassermenge [m³] oder [g]

t = Zeit A = dem Wasser ausgesetzte Querschnittsfläche [m²] n = Potenz [n ≈ 0,5] S = Wasseraufnahmekoeffizient [g/m²sn] oder [m³/m²sn]

Siehe dazu auch Vorlesung "Bauphysik".

Beispiel: Wasseraufnahmekoeffizient für Beton mit n = 0,5: 5 ⋅ 10-5 m³/m²s0,5 > S > 5 ⋅ 10-6 m³/m²s0,5

• Feuchtegehalt und Feuchtespeicherung

Der Feuchtegehalt poröser Baustoffe kann als massen- oder volumenbezogene Größe um bzw. uv angegeben werden (siehe Vorlesung “Bauphysik“):

% 100 u % 100 m

m - m u OH

vt

tfm

2 ⋅ρ

ρ⋅=⋅=

mit mf, mt = Masse des feuchten bzw. trockenen Baustoffes

V

m t=ρ = Rohdichte des Baustoffes

In konstantem Umgebungsklima stellt sich durch Adsorption ein bestimmter, von der Porenstruktur abhängiger Feuchte- bzw. Wassergehalt im Baustoff ein (hygro-skopischer Feuchtegehalt).

• Sorptionsisotherme:

Adsorption: Anlagerung gasförmiger Stoffe an feste Oberflächen

A.5.2.5 Wärmeleitung

Die Wärmeleitung kann analog zum 1. Fick'schen Gesetz wie folgt beschrieben werden:

)TT(Adt

QQ 21 −⋅⋅λ

=ΔΔ

=

mit = Wärmestrom, d.i. die in der Zeiteinheit strömende Wärme-menge [W]

Q

A = durchströmte Fläche [m²]

um

Desorption

Adsorption

Sättigungsfeuchte

kapillares Saugen

0 50 100 rel. Luftfeuchte ϕ [%]

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- 21 -

d = durchströmte Dicke [m] T1 – T2 = Temperaturdifferenz [K] λ = Wärmeleitfähigkeit [W/mK]

Die Wärmeleitfähigkeit ist dem Diffusionskoeffizienten nach Abschn. A.5.2.4 äqui-valent.

Beispiele für Wärmeleitfähigkeitswerte:

Stahl λ = 80 W/mK Normalbeton λ = 1,50 " Ziegelmauerwerk λ = 0,75 " Holz λ = 0,15 " Polystyrol-Hartschaum λ = 0,04 "

Wichtigste Parameter: Zusammensetzung Porosität Feuchtegehalt Temperatur

Weitere wichtige Werkstoffeigenschaften: Wärmekapazität [J/kg.K] Temperaturleitfähigkeit [m²/h]

A.5.2.6 Schallleitung

Eigenschaften eines Werkstoffes auftreffende Schallwellen (Körperschall, Luft-schall) weiterzuleiten.

Schalldämmung: Sie ist um so wirksamer, je dicker das Bauteil und je größer die Rohdichte des Werkstoffes.

Schallschluckung: Schallwellen, die auf eine Oberfläche treffen, werden teil-weise reflektiert, teilweise absorbiert (geschluckt). Schall-schluckend sind z. B. rauhe und poröse Oberflächen.

A.5.3 Widerstand gegen chemischen und physikalischen Angriff

A.5.3.1 Korrosion

Definition: Zerstörung eines Werkstoffes durch äußeren, nichtmechani-schen Angriff, z. B. chemischer Angriff, elektrochemischer Angriff, Frost, biologischer Angriff

Korrosion bei:

- Metallen: Elektrolytische Korrosion.

- Beton: Zerstörung durch Frosteinwirkung; Zerstörung durch chemi-schen Angriff, z. B. Einwirkung von Sulfaten.

- Kunststoffen: Veränderung von Eigenschaften durch Alterung, z. B. Ein-wirkung ultravioletter Strahlung.

- Holz: Zerstörung durch Bakterien, Pilze, Insekten.

Kennwerte bei:

- Metallen: Elektrolytische Spannungsreihe, elektrisches Potential, sie-he Abschnitt C.6.2.

- Beton und porösen Stoffen:

Widerstand gegen das Eindringen von Feuchte oder ag-gressiven Substanzen.

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- 22 -

A.5.3.2 Brandverhalten

Das Brandverhalten eines Werkstoffs hängt u. a. ab von seiner Wärmeleitfähigkeit, Wärmekapazität und Wärmedehnung ab.

Einteilung der Werkstoffe in Klassen:

Baustoff-klasse

Bauaufsichtliche Bezeichnung Beispiele

A 1 nichtbrennbare Baustoffe

Sand, Lehm, Kies, Gips, Zement, Beton, Glas, Steine, Metall, Asbest, Steinzeug, Keramik

A nichtbrennba-re Baustoffe

A 2 nichtbrennbare Baustoffe

Gipskartonplatten, Mineralfaserplat-ten mit organischen Bindemitteln

B 1 schwerentflammbareBaustoffe

Holzwolleleichtbau-, Gipskartonplat-ten, Asbestpappe, -papier u. a.

B 2 normalentflammbareBaustoffe

Holz und Holzwerkstoffe mit d > 2 mm, PVC-Beläge, Linoleum, Dachpappen u. a.

B brennbare Baustoffe

B 3 leichtentflammbare Baustoffe

Holz mit d < 2 mm, Papier

Feuerfeste Stoffe: Schmelzpunkt Ts ≥ 1520°C Hochfeuerfeste Stoffe: Schmelzpunkt Ts ≥ 1830°C Einteilung der Bauteile in Feuerwiderstandsklassen F 30 bis F 180 (siehe Vorle-sung “Bauphysik“).

A.5.4 Oberfläche, Aussehen und Formbarkeit

Oberflächenbeschaffenheit und Aussehen eines Werkstoffes können aus architek-tonischen oder technischen Gründen von Wichtigkeit sein, z. B. Verminderung der Rutschgefahr von Straßenbelägen durch erhöhte Rauhigkeit.

Formbarkeit, Herstellung und Bearbeitbarkeit

Wichtige Fragestellungen sind u. a.:

- Kann der Werkstoff an Ort und Stelle hergestellt werden (z. B. bei Beton und Mauerwerk)?

- Kann der Werkstoff nach seiner Herstellung bearbeitet werden (z. B.: trifft zu bei Stahl; trifft nicht zu bei Ziegeln)?

- Kann der Werkstoff in Bauelementen industriemäßig verarbeitet werden?

A.5.5 Werkstoffe und Umwelt

Wesentliche Gesichtspunkte sind:

- Rohstoffbedarf und Rohstoffreserven bei der Herstellung von Baustoffen - Möglichkeit zum Recycling von Werkstoffen - Energiebedarf zur Herstellung von Baustoffen und Baukonstruktionen - Umweltverträglichkeit und Toxizität von Baustoffen

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- 23 -

• Rohstoffbedarf (1999):

Weltproduktion von Stahl: ca. 700 Mt/a davon aus Schrott: ca. 40 % Aluminium: ca. 10 Mt/a davon aus Schrott: ca. 35 % Kupfer: ca. 10 Mt/a davon aus Schrott: ca. 60 %

Weltproduktion von Zement: ca. 1200 Mt/a Betonzuschlag: ca. 7000 Mt/a

In zunehmendem Maß werden Industrieabfallstoffe insbesondere zur Herstellung von Baustoffen, z. B. Zementen, Beton und Holzwerkstoffen eingesetzt.

Beispiele: Hochofenschlacke Elektrofilterasche Silikatische Feinstäube Kraftwerksgips Holzabfälle z. B. Späne oder Sägemehl Altreifen Rückstände aus Müllverbrennungsanlagen

• Recycling

Weitgehend wiederverwendbar sind alle Metalle. In zunehmendem Maß wird Alt-beton als Betonzuschlag für neuen Beton aufbereitet.

Recycling-Kunststoffe können z. B. für Elemente des Innenausbaues verwendet werden.

• Energiebedarf

Die folgende Tabelle gibt einen Überblick der Primärenergieinhalte PEI einiger Baustoffe sowie den Stromanteil in % der Gesamtenergie. Dies ist die zur Herstel-lung dieses Baustoffes erforderliche Energie ohne Berücksichtigung deren Brenn-energie in [MJ/t].

Werkstoff PEI [MJ/t] PEI [MJ/m3] Stromanteil [%]

Profilstahl 25884 201895 8,5

Betonstabstahl 30060 234468 8,5

Aluminium 260820 704214 73,4

Portlandzement 4046 12543 19,5

Hochofenzement (50 % HS)

3080 9240 26,1

Betonzuschlag (Sand, Kies) 15 38 80,0

Normalbeton C25/30 (mit Portlandzement)

540 1242 20,9

Rohre aus PVC 54115 ≈ 65000 27,1

Polystyrolschaum 126314 ≈ 25000

Bauschnittholz 1040 ≈ 620 26,6

Holzspanplatten 2000 ≈ 1500

Kalksandstein 871 ≈ 1210 11,6

Gasbetonsteine 3105 ≈ 1700 12,7

Mauerziegel (Lochziegel) 2610 ≈ 3100 18,0

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- 24 -

Der Primärenergiegehalt allein gibt noch keinen Aufschluss über den Primärener-giegehalt einer Konstruktion. Als Beispiel sind in der folgenden Tabelle Primär-energiegehalte verschiedener Außenwandkonstruktionen angegeben.

Wandaufbau (Maße in [cm]) U-Wert [W/(m2K)]

PEI [MJ/m2]

1 Außenputz

Bimsbeton Hbl (0,5 kg/dm3)

Innenputz

2,5

36,5

1,5

0,57

276

2 Kalksandstein VKSV (2,0 kg/dm3)LuftMineralfasermatte

Kalksandstein KSV (1,8 kg/dm3)Innenputz

11,54,06,0

17,51,5

0,47

498

3 Außenputz

Porenbeton-Blockstein (0,5 kg/dm3)

Innenputz

2,0

30,0

1,5

0,55

506

4 wie Wand Nr.2, aber Polystyrol-Dämmstoff 0,47 625 5 Vormauerziegel (1,8 kg/dm3)

LuftMineralfasermatte

Mauerziegel Hlz (1,2 kg/dm3)Innenputz

11,54,06,0

24,01,5

0,46

1191

6 wie Wand Nr.5, aber Polystyrol-Dämmstoff 0,46 1317

• Umweltverträglichkeit und Toxizität

Fragen der Umweltverträglichkeit sind insbesondere bei der Herstellung von Bau-stoffen von Bedeutung, z. B. Abgase bei der Stahl- und Zementherstellung, Halden von Abfallstoffen, Eingriffe in die Landschaft bei Tagebau, Kiesgruben, etc.

Die mögliche Toxizität oder Gesundheitsschädlichkeit von Baustoffen z. B. bei Asbestfasern, einigen Holzschutzmitteln oder Klebstoffen, ist durch laufende Ü-berwachung bei der Herstellung, bauaufsichtliche Zulassungen von Baustoffen und Bauteilen etc. zu kontrollieren.

• Nachhaltigkeit

Unter Nachhaltigkeit versteht man den verantwortungsvollen Umgang mit natürli-chen Rohstoffen – dazu zählen die Ausgangsstoffe zur Herstellung nahezu aller Baumaterialien – unter Berücksichtigung folgender Grundsätze:

- Die Nutzung einer Ressource darf nicht größer sein als ihre Regenerati-onsrate.

- Die Freisetzung von umweltschädlichen Stoffen darf nicht größer sein als die entsprechende Belastbarkeit des Naturhaushalts.

- Gefahren und unvertretbare Risiken bei der Verwertung und Nutzung der Ressourcen für Menschen und Umwelt sind zu vermeiden.

- Das Zeitmaß der Eingriffe in die Umwelt muss in einem ausgewogenen Verhältnis zu der Zeit stehen, die die Umwelt zur Reaktion benötigt.

• Ökobilanz

Unter Ökobilanz versteht man eine Methode zur Abschätzung der mit der Errich-tung und Nutzung eines Bauwerks verbundenen Umweltaspekte. Eine Ökobilanz-

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- 25 -

studie untersucht dabei die Umweltaspekte und potentiellen Umweltwirkungen im Verlauf des Lebensweges eines Bauwerks von der Rohstoffgewinnung der Bau-stoffe, über die Errichtung und Nutzung des Bauwerks bis zum Abriss einschließ-lich eventueller Recyclingmöglichkeiten. Die Kategorien der zu berücksichtigenden Umweltwirkungen umfassen neben der Nutzung von Ressourcen auch die menschliche Gesundheit sowie ökologische Auswirkungen.

A.5.6 Kosten und Tragvermögen

Bei der Werkstoffauswahl ist neben anderen Kriterien auch die Relation Kosten zu Tragvermögen zu berücksichtigen. 1. Beispiel: Wieviel kostet eine Stütze H = 3 m, die durch eine Last F = 1 MN be-

ansprucht wird (ohne Berücksichtigung des Knickens)?

Holz Beton Stahl Mauerwerk

(S 10) (C30/35) (S235JR) Stütze (Mörtelgr. IIa

MZ 20)

tragende Wand(Mörtelgr. II

Hlz 12)

zul. σ [MN/m2] 8,5 23 218 1,90 1,20

anfallende Kosten (geschätzt, 1999)

425 €/m3

inkl. Einbau

175 €/m3 (Beton + Einbau)

70 €/m2 (Schalungskosten)

1400 €/t inkl. Ein-

bau

250 €/m3 (Material) 100 €/m3 (Einbau)

250 €/m3 (Material) 100 €/m3 (Einbau)

Kosten der Stütze [DM] ~ 300 ~ 550 ~ 700 ~ 1100 ~ 1750

2. Beispiel: Wieviel kostet ein Balken (Rechteckquerschnitt h/b = 2, l = 5 m), der als Einfeldträger mit einer Last von 10 kN in Feldmitte beansprucht wird und dessen Durchbiegung auf l/300 beschränkt ist?

Holz (S 10)

Stahl (S235JR)

Stahlbeton (C30/35 / BSt420/500)

zul. σ [MN/m2] 8,5 218 23 / 420

E-Modul [MN/m2] 11000 210000 -

reine Materialkosten (geschätzt, 1999)

250 €/m3 (sägerauh)

500 €/t 80 €/m3 Beton / 500 €/t Stahl

Materialkosten des Balkens [DM] ohne Einbaukosten

~ 80 ~ 180 ~ 60 (für IPE140)

~ 80

Bei anderen Spannweiten, anderen Anforderungen, z. B. begrenzte Bauhöhe, Anschlüsse an Decken oder Unterzüge oder bei entsprechenden bauphysikali-schen Anforderungen können sich andere Kostenrelationen ergeben.

A.6 WERKSTOFFAUSWAHL

Der für ein Bauwerk optimale Werkstoff kann in folgenden vier Schritten ausge-wählt werden:

1. Festlegung bzw. Ermittlung von Konstruktionsart und Umweltbedingungen.

2. Ableitung der sich aus 1. ergebenden Anforderungen an den Werkstoff.

3. Vergleich der Anforderungen mit den tatsächlichen Eigenschaften verschie-dener Werkstoffe unter Berücksichtigung der Kosten.

4. Auswahl desjenigen Werkstoffes, der zur optimalen Lösung führt.

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- 26 -

Zu Punkt 1:

Einige der hier zu berücksichtigenden Gesichtspunkte sind:

- Nutzung des Bauwerkes

- Statisches System, das auch werkstoffabhängig gewählt werden kann

- Beschränkung der Abmessungen

- Art der zu erwartenden Belastung (ruhend, einmalig oder wiederholt, dyna-misch)

- Geforderte Lebensdauer und tragbares Versagensrisiko

- Umweltbedingungen (Temperatur, Feuchtigkeit, aggressive Medien)

- Geographische Lage

- Verkehrslage und Zugänglichkeit

- Wirtschaftlicher und technologischer Entwicklungsstand des Gebietes, in dem das Bauwerk zu erstellen ist.

Zu Punkt 2:

Die Anforderungen an den Werkstoff sind zu definieren in Bezug auf:

- Festigkeit bei der gegebenen Beanspruchungsart

- Steifigkeit (Elastizitätsmodul, Kriechen)

- Duktilität

- Gewicht

- Bearbeitbarkeit und Formbarkeit

- Alterung

- Widerstand gegen korrodierende Medien bei gegebenen Umweltbedingungen

- Formbeständigkeit

- Wärmeleit- und Wärmedämmeigenschaften

- Schalldämmung

- Dichtigkeit

- Vorhandene und zugängliche Rohstoffreserven

- Umweltverträglichkeit

- Besondere Anforderungen, wie Oberflächenbeschaffenheit, Aussehen, Farbe, etc.

Zu den Punkten 3 und 4:

Diese Schritte beinhalten einen Optimierungsprozess, der als solcher zu einem Kompromiss führt. Eine optimale Lösung kann nur mit Hilfe einer Systemanaly-se gefunden werden, die gleichzeitig

- Anforderungen

- geforderte Lebensdauer

- und Kosten für Erstellung und Erhaltung

berücksichtigt.

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- 27 -

B AUFBAU, STRUKTUR UND HERSTEL-LUNG DER WERKSTOFFE

B.1 GROBSTRUKTUR DER WERKSTOFFE

Bedeutung: Die Grobstruktur oder das sogenannte Gefüge vieler Werkstoffe kann durch Wahl verschiedener Komponenten oder Herstellungs-verfahren beeinflusst werden. Eine gezielte Veränderung der Grob-struktur ist daher eine der wirksamsten Methoden, Werkstoffeigen-schaften zu optimieren.

B.1.1 Homogenität und Isotropie

Ein Werkstoff, der in seinem Aufbau gleichmäßig ist, wird als homogen bezeichnet.

Ein Werkstoff, der aus verschiedenen, in Struktur und Zusammensetzung unter-schiedlichen Bereichen besteht, wird als heterogen bezeichnet.

Ein Werkstoff, der bei Beanspruchung in verschiedenen Richtungen die gleichen Eigenschaften besitzt, ist bzw. verhält sich isotrop.

Ein Werkstoff mit unterschiedlichen Eigenschaften in verschiedenen Richtungen ist anisotrop.

B.1.2 Phasen und Körner

Die meisten Werkstoffe bestehen aus verschiedenen Komponenten.

Sind die Komponenten nicht völlig ineinander löslich, so entstehen innerhalb des Werkstoffes Bereiche mit unterschiedlicher Zusammensetzung und/oder unter-schiedlicher Mikrostruktur. Diese Bereiche werden als Phasen bezeichnet.

Am Übergang von einer zu einer anderen Phase entsteht eine Phasengrenze. Meist sind dies Grenzen zwischen den Bereichen mit verschiedener Kristallstruk-tur, aber auch die Oberfläche eines Werkstoffes ist eine Phasengrenze (Festkör-per - Gas).

Der Aufbau eines Werkstoffs, der aus unterschiedlichen Phasen und/oder Körnern besteht, wird als Gefüge bezeichnet.

Innerhalb einer Phase können die Kristallgitter in verschiedenen Bereichen ver-schieden orientiert sein. Bereiche gleicher Kristallorientierung werden als Körner definiert. Der Übergang zwischen benachbarten Körnern wird als Korngrenze be-zeichnet.

Werkstoffe mit Körnern besitzen meist eine kontinuierliche Phase (Matrix), in die eine nicht kontinuierliche Phase eingelagert ist (Füller).

B.1.3 Porosität

Unter Porosität versteht man den Gehalt eines Werkstoffes an Hohlräumen:

Porosität: menGesamtvoluenPorenvolum

VV

p p ==

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- 28 -

Unterscheidung zwischen offenen und geschlossenen Poren:

geschlossen offen

B

C

A A = Sackpore

B = Flaschenhalspore

C = durchgehende Pore

Porengrößen: φ < 10-7 m Mikroporen

10-7 < φ < 10-3 m Kapillarporen

φ > 10-3 m Makroporen

Die Porosität eines Werkstoffes beeinflusst dessen

- Rohdichte

- Festigkeit

- E-Modul

- Widerstand gegen das Eindringen flüssiger oder gasförmiger Stoffe (Permeation, Diffusion, kapillares Saugen)

- Korrosionswiderstand und Frostwiderstand

- Wärmeleitfähigkeit

- Volumenstabilität

B.1.4 Klassifizierung der Werkstoffe nach ihrer Grobstruktur

Einphasige Werkstoffe: die Elemente, einige Metallegierungen, die meisten Kunststoffe.

Mehrphasige Werkstoffe: viele Metallegierungen, z. B. Stahl, Gusseisen; Beton, Asphalt, Ziegel, Holz; Verbundwerkstoffe, z. B. Stahl-beton, Mauerwerk, faserbewehrte Kunststoffe.

Werkstoffe mit natürlicher Porosität: Gesteine, z. B. Tuff oder Bims, Holz, Zement-stein und Beton.

Werkstoffe mit kontrollierter künstlicher Porosität: Gasbeton, Leichtziegel, ge-schäumte Kunststoffe.

B.1.5 Werkstoffeigenschaften, die durch die Grobstruktur beein-flusst werden können

Beispiele: - Verfestigung von Aluminium durch Erzeugung einer zweiten Phase (Ausscheidungshärten, siehe Teil C, Abschnitt 5).

- Beeinflussung der Streckgrenze von Metallen durch Kontrolle der Korngröße (siehe Teil C, Abschnitt 3).

- Erhöhung der Zugfestigkeit und Steifigkeit durch Fasern oder Füllstoffe.

- Verbesserung der Wärmedämmung von Baustoffen durch Er-höhung ihrer Porosität.

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- 29 -

- Beeinflussung der Eigenschaften von Beton durch Zugabe be-stimmter Betonzuschlagstoffe (siehe Baustofftechnologie II).

- Reduzierung der Richtungsabhängigkeit (Anisotropie) der me-chanischen Eigenschaften von Holz.

B.2 MIKROSTRUKTUR DER WERKSTOFFE

B.2.1 Energieniveau und Ordnung

Grundbausteine der Werkstoffe sind Atome und/oder Moleküle. Sie versuchen sich so anzuordnen, dass die potentielle Energie des Werkstoffes zu einem Minimum wird, d. h. dass ein Maximum an Arbeit geleistet werden muss, um den Werkstoff zu verändern.

Damit in einem homogenen Werkstoff das Energieniveau überall gleich und mög-lichst niedrig ist, strebt der Werkstoff in seinem Aufbau eine bestimmte Ordnung an.

B.2.2 Erscheinungsformen der Mikrostruktur

Fragestellung: Auf welche Weise und nach welchen Gesetzen sind in einem feh-lerfreien Werkstoff Atome oder Moleküle angeordnet?

B.2.2.1 Die Aggregatzustände

Unterscheidung zwischen: Gasförmiger Zustand Flüssiger Zustand Fester Zustand

steigendeOrdnung

gasförmig

erstarren schmelzen

fest flüssig

Übergänge zwischen Aggregatzuständen

B.2.2.2 Kristalline und amorphe Werkstoffe

Bei den festen Körpern unterscheiden wir zwischen kristallinen Werkstoffen und nicht kristallinen oder amorphen Werkstoffen

Kristalline Werkstoffe: Räumliche dreidimensional-periodische Anordnung von Atomen oder Molekülen in einem regelmäßigen geordne-ten System. Entstehung eines sog. Raumgitters. Die Netz-punkte des Raumgitters geben die Lage eines Atoms oder Moleküls an. Ein Raumgitter setzt sich zusammen aus E-lementarzellen. Dies sind kleinste identische Bauteile, die ein Raumgitter eindeutig charakterisieren.

Beispiele: - alle Metalle - viele Nichtmetalle, z. B. keramische

Werkstoffe - einige Kunststoffe

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- 30 -

Amorphe Werkstoffe: Sie können als erstarrte Flüssigkeiten oder Gläser be-trachtet werden. Sie bestehen aus einer Aneinanderrei-hung von Atomen und Molekülen ohne ausgeprägte Ord-nung. Amorphe Werkstoffe können sich jedoch aus Ein-zelkomponenten zusammensetzen, die in sich geordnet sind.

Beispiele: - einige Elemente bei sehr plötzlicher Ab-kühlung

- anorganische Gläser - viele Kunststoffe

Die Werkstoffe streben einen kristallinen Zustand an, da die potentielle Energie mit zunehmendem Ordnungsgrad abnimmt.

B.2.2.3 Sole und Gele

Sie bestehen aus Teilchen kolloidaler Größe mit d < 1⋅10-4 mm und werden den nicht-kristallinen Werkstoffen zugeordnet. Die Teilchen selbst können kristallin oder amorph sein. Sie können sich berühren oder durch eine Flüssigkeit getrennt sein (Sol).

Sol: Weiches System ohne Vernetzung der Partikel Beispiel: Bitumen

Gel: Starres System mit vernetzten Partikeln Beispiel: Zementstein

B.2.2.4 Charakteristische Werkstoffeigenschaften als Folge der Mikrostruktur

kristalline Werkstoffe: - definierter Schmelzpunkt - meist undurchsichtig - oft spaltbar - je nach Bindungsart durch Gleitvorgänge

plastisch verformbar

nicht-kristalline Werkstoffe: - Erweichung anstatt Schmelzpunkt - besondere Temperaturabhängigkeit der me-

chanischen Eigenschaften.

Häufigkeit Volumen

Atom- abstand

ideal amorph real amorph kristallin

Abstand vom Zentralatom TG TS Temperatur

fest flüssig

fest weich flüssig

kristalliner Werkstoff

ΔV

amorpher Werkstoff

glasig erstarrt

V0

TS: Schmelzpunkt des kristallinen Werkstoffes

TG: (Glas-)Übergangstemperatur des amor-phen Werkstoffes

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- 31 -

B.2.3 Die Grundbausteine der Werkstoffe

Werkstoffe bestehen aus: - Atomen Beispiel: Elemente - Ionen oder Molekülen Silikatkristalle - Molekülketten Kunststoffe - Partikel kolloidaler Größe Gele

B.2.4 Die Bindungsarten

Die Bausteine nach Abschnitt B.2.3 sind je nach ihrer Art und ihren Eigenschaften verschieden aneinander gebunden. Die Bindungsart, die in einem Werkstoff vor-herrscht, kann bestimmend sein z. B. für dessen

- Festigkeit - Elastizitätsmodul - plastische Verformbarkeit - Temperaturdehnung - thermische und elektrische Leitfähigkeit - Siede- und Schmelzpunkt

Grundregeln:

(1) Die Bindungsart zwischen den Atomen wird vor allem durch die Eigenschaf-ten (Füllgrad) der äußeren Elektonenschalen bestimmt.

(2) Die Atome gehen ohne äußere Einwirkungen nur solche Bindungen ein, die zu einer Verringerung ihrer potentiellen Energie führen.

(3) Die Atome streben durch Verbindungen den Zustand eines Edelgases an (gefüllte äußere Elektronenschale). Dies kann geschehen durch:

a) Abgabe von Elektonen b) Aufnahme von Elektronen c) Bildung von Elektronenpaaren

Daraus ergeben sich die verschiedenen Bindungsarten.

B.2.4.1 Ionenbindung

Erfolgt zwischen verschiedenen Elementen A und B:

Element A: wenig gefüllte äußere Schale Element B: fast vollständig gefüllte äußere Schale

Element A gibt Valenzelelektronen ab und wird zum positiven Ion = Kation. Element B nimmt Valenzelektronen auf und wird zum negativen Ion = Anion.

Kation und Anion ziehen einander an, so dass eine stabile Verbindung entsteht.

Beispiel: NaCl Na → Na+ + e- (Kation) Cl + e- → Cl- (Anion) Na+ + Cl- → NaCl

Die Ionenbindung ist fest und nicht orientiert.

B.2.4.2 Metallbindung

Die Metallbindung erfolgt zwischen gleichen Elementen oder verschiedenen Ele-menten mit einer annähernd gleichen und geringen Anzahl von Valenzelektronen. Atome geben ihre Valenzelektronen ab und werden damit zu Kationen. Die freien Elektronen füllen als "Elektronengas" den Raum zwischen den Kationen. Eine Bindung entsteht durch den Zusammenhalt zwischen den Kationen und dem Elekt-ronengas. Die Metallbindung ist meist weniger fest als die Ionenbildung und nicht orientiert. Beispiele: Metalle

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- 32 -

B.2.4.3 Kovalente Bindung (Atombindung oder homöopolare Bindung)

Erfolgt zwischen gleichen oder verschiedenen Elementen, deren äußere Schale annähernd halb gefüllt ist.

Mehrere Atome teilen sich die Elektronen der äußeren Schale, d. h. die Elektronen halten sich mit gleicher Wahrscheinlichkeit bei beiden Atomen auf.

Beispiel: Wasserstoff, H2: Die äußere Schale des Wasserstoffatoms (1s) enthält ein Elekt-ron, hätte jedoch Platz für zwei (Helium).

Wasserstoff tritt meist als Molekül (H2) auf. Zwei Atome schließen sich zusammen, beide Elektronen umlaufen beide Kerne in einer ge-meinsamen Schale und bilden ein Bindungs-elektronenpaar. Da sich die Elektronen meist zwischen den Kernen aufhalten, entsteht eine kovalente Bindung.

Befinden sich beide Elektronen in der Nähe eines Kerns, so hat die Bindung ionischen Charakter.

Die kovalente Bindung ist hochfest und orientiert, d. h. die Atome schließen mit-einander feste, vorgegebene Winkel ein.

Kovalent gebundene Stoffe: keramische Werkstoffe, einige Kunststoffe

B.2.4.4 Molekulare Bindungen

Grundprinzip: Als Folge unsymmetrischer Ladungsverteilung entsteht eine stän-dige (Dipol) oder wechselnde Polarisation (van der Waals).

Dipolbildung: Z. B. beim Wasser (H2O) sind Sauer-stoff und Wasserstoff kovalent gebun-den. Da sich die beiden Elektronen hauptsächlich zwischen dem O- und den H-Atomen aufhalten, entsteht eine elektrostatische Unsymmetrie. Der so entstehende Dipol verbindet sich mit dem Dipol eines anderen Wassermo-leküls zu einem weniger festen und orientierten System.

Beispiele: Eis, verschiedene Tonmineralien

Van der Waals’sche Bindung:

Da die Bewegung der Elektronen nicht immer symmetrisch und gleichmäßig ist, können zwischen benachbarten Atomen vorübergehend Dipolbindungen auftreten, die schwach und nicht orientiert sind.

Beispiel: Zusammenhalt von Teilchen kolloidaler Größe in einem Gel, Bindung zwischen Molekülketten in Thermoplasten

O

H H

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- 33 -

B.2.4.5 Gemischte Bindungen

Nur in wenigen Fällen kann eine Bindung zwischen Atomen eindeutig einer der Grundarten zugeordnet werden. Meist liegen gemischte Bindungen vor:

v.d.Waals

ionisch metallisch

kovalent

NaCl Na

Silicate Eisen

Diamant

B.2.4.6 Bindungsenergie und Atomabstand

Die Wechselwirkung zwischen den Elektronen und Protonen benachbarter Atome führen zu abstoßenden und anziehenden Kräften zwischen den Atomen. Diese Kräfte sinken mit steigendem Atomabstand a.

F

a

W

a

Anziehung: FAN = - nak

Abstoßung: FAB = - mal

(Condon-Morse-Diagramm)

a0 a0

∫ ⋅−= da)a(F)a(W

mnABANa

lakFF)a(F +−=+=

wobei l, k = Konstanten; anhängig von Bindungsart, Ordnungszahl, etc.

n ≈ 6

m ≈ 12

Im Gleichgewichtszustand ist

F = 0 und a = a0,

wobei a0 der Abstand zwischen den Atomen in Ruhelage ist, solange keine Ener-gie (Wärme, äußere Kräfte) von außen zugeführt wird.

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- 34 -

Um zwei Atome mit einem Abstand a völlig voneinander zu trennen (a → ∞), muss Arbeit geleistet werden, die so groß wie die potentielle Energie der Verbindung W(a) ist. Die Bindungsenergie ergibt sich daher aus

daal

akda)a(F)a(W

00 amn

a∫∫∞∞

⎥⎦

⎤⎢⎣

⎡ +−−=−=

( ) M0

N0 a

BaAaW +−=

wobei: N = n - 1; 1n

kA−

=

M = m - 1; 1m

1B−

=

Da da)a(F)a(W ⋅−= ∫

bzw. da

)a(dW)a(F −=

wird W(a) zu einem Minimum für a = a0. Zur Änderung dieses Zustands ist daher ein Maximum an äußerer Arbeit zu leisten.

B.2.5 Charakteristische Werkstoffeigenschaften als Folge von Bin-dungsart und Bindungsenergie

B.2.5.1 Festigkeit

Ein tiefes Energieminimum ist eine der Voraussetzungen für hohe Festigkeit.

W

a

W

a

W

a

kovalent metallisch van der Waals

hochfeste Werkstoffe, feste Werkstoffe, wenig feste Werkstoffe, z. B. keramische Werkstoffe

z. B. Metalle z. B. Gele

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- 35 -

B.2.5.2 Duktilität und Sprödigkeit

Voraussetzung für Duktilität ist, dass die Bindungen zwischen den Atomen nicht orientiert sind.

- kovalente Bindung: spröde Werkstoffe - metallische Bindung: duktile Werkstoffe

B.2.5.3 Elastizitätsmodul

Durch eine äußere Kraft werden die Atome aus ihrer Ruhelage entfernt.

F

α

a

tan α = 0aada

dF

=

a

Eine Zugkraft ΔF verursache eine Vergrö-ßerung des Atomabstandes um Δa.

Da εσ

=E ergibt sich für E:

aF.const

aF

Aa

aa

AFE 00

ΔΔ⋅=

ΔΔ⋅=

Δ⋅

Δ=

Für kleine Längenänderungen gilt

dadFconstE ⋅= an der Stelle a = a0

da W(a)= - ∫ da)a(F

ist da

)a(dW)a(F −=

und dadFconstE ⋅= = 2

2

daWdconst ⋅ an der Stelle a = a0

Daraus folgt, das die Neigung der Funktion F(a) bei a = a0 bzw. die Krümmung der Funktion W(a) bei a = a0 dem Elastizitätsmodul eines Werkstoffs entsprechen.

Ein stark gekrümmtes, tiefliegendes Energieminimum gehört zu einem hohen Elas-

tizitätsmodul.

B.2.5.4 Wärmeleitfähigkeit und elektrische Leitfähigkeit

Voraussetzung ist das Vorhandensein freier Elektronen.

- kovalente Bindung: nicht leitfähig (Isolatoren) - metallische Bindung: gut leitfähig

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- 36 -

B.2.5.5 Siedepunkt und Temperaturausdehnung

Ein Atomabstand a = a0 stellt sich nur dann ein, wenn keine äußere Energie zuge-führt wird bzw. für T = 0 K.

Wird die Temperatur bis zum Siedepunkt eines Elements erhöht, so stellt sich kein bestimmter Atomabstand mehr ein (a = ∞), der Siedepunkt ist daher proportional zu Wmin.

W

a

a

Wmin

aa

a ab

T =

Temp.-Ausdehnung W1

Wird die Temperatur von 0 K an langsam gesteigert, so sind für einen bestimmten Energiezustand W1 zwei Atomabstände aa und ab möglich. Das Atom oszilliert zwi-schen diesen beiden Werten um einen Mit-telwert am. Der Zuwachs am - a0 entspricht der Temperaturausdehnung. Diese ist um so größer, je asymmetrischer die Funktion W = f(a), d. h. je geringer die Festigkeit der Bindung ist.

B.2.5.6 Zusammenfassung

W

aam

W

aam

W

aam

hochfest fest schwach

hochfeste Bindung

feste Bindung

schwache Bindung

Festigkeit: W(a) bei a = a0 hoch nieder

Wärmedehnung: Symmetrie von W(a) bzgl. Achse a = a0

klein groß

Siedepunkt: W(a) bei a = a0 hoch nieder

E-Modul: 2

2

daWd bei a = a0

hoch nieder

Elastizitätsmodul, Festigkeit, Siedepunkt und Temperaturausdehung hängen von verwandten Parametern ab. Daher sollten mit steigendem Siedepunkt Festigkeit und Elastizitätsmodul zu- und die Temperaturausdehnung abnehmen.

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- 37 -

0 1000 2000 3000 4000 5000 6000

105

101

102

103

104

106

107

E-Modul (N/mm²)

Siedepunkt (°C)

AuAlSnPbCa

MgKMnFeTi

CWMoIrCoCu

Temperaturausdehnungszahl 6

Siedepunkt

5000 60000

20

40

60

80

100

0 1000 2000 3000 4000

C W MoIr Co Cu

Al Sn PbCa Mg Rb B

Zn NaLiK MnFe Ti P

A

B.2.6 Aufbau und Eigenschaften kristalliner Werkstoffe

Grundregeln für die Anordnung von Atomen in einem Kristallgitter:

Atome versuchen sich so in einem Raumgitter anzuordnen, dass

a) die potentielle Energie zu einem Minimum wird, b) die Anzahl der Bindungen zwischen den Atomen zu einem Maximum wird, c) die Bedingungen aus der Orientierung der Bindungen erfüllt sind, d) die elektrostatische Neutralität gewahrt bleibt.

Unterscheidung daher zwischen Raumgittern für:

a) orientierte Bindungen b) nicht orientierte Bindungen zwischen gleichen Atomen c) nicht orientierte Bindungen zwischen ungleichen Atomen

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- 38 -

B.2.6.1 Die Kugelpackungen

Vorstellung: Die Atome seien durch Kugeln darzustellen.

Frage: Wie können Kugeln in einem vorgegebenen Volumen angeordnet werden?

1. Möglichkeit: kubisch primitiv

Füllgrad 52,0V

Vfest =

Anzahl der Nachbarn k = 6

2. Möglichkeit: kubisch raumzentriert

Füllgrad 68,0V

Vfest =

Anzahl der Nachbarn k = 8

3. Möglichkeit: dichtest gepackt

In einer Ebene kann eine Kugel maximal von 6 gleich großen Kugeln umgeben sein.

3 darüberliegende und 3 darunterliegende Ku-geln können die Zentralkugel berühren.

A (untenund oben)

B (Mitte)

Liegen Ober- und Unterschicht übereinander, so entsteht eine Schichtfolge A B A B (Fall 1: hexagonal dichteste Packung).

Ist die oberste Schicht gegenüber der untersten Schicht um 60° versetzt, so ergibt sich eine Schichtfolge A B C A B C

C (oben)

B (Mitte)

(Fall 2: kubisch flächenzentriert)

Füllgrad 74,0V

Vfest =

Anzahl der Nachbarn: k = 12

Koordinationszahl k: Anzahl gleicher Atome, die ein Zentralatom umgeben. Sie ist ein Maß für die Dichte einer Kugelpackung (kmax = 12).

B.2.6.2 Wichtige Kristallstrukturen

B.2.6.2.1 Atome gleicher Größe

Aus den Kugelpackungen nach Abschnitt B.2.6.1 ergeben sich einige elementare Kristallstrukturen:

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- 39 -

kubisch primitiv Am Eckpunkt der Elementarzelle befindet sich je ein Atom.

Beispiele: einige ionische Kristalle

kubisch raumzentriert (KRZ)

KRZ Die mittlere Kugel mit ihren 8 Nachbarn stellt eine Elementarzelle dar.

Beispiele: α-Eisen, Kalium, Natrium, Molybdän

hexagonal dichteste Packung (HDP)

Je 6 Kugeln, die um eine mittlere Kugel angeord-net sind, bilden eine Grundfläche der hexagonalen Elementarzelle. Die obere und die untere Grund-fläche werden als Schicht A-A bezeichnet. Zwi-schen beiden Schichten A-A befindet sich die Schicht B-B. Sowohl die Schichten A-A als auch B-B sind dichtest gepackt und besitzten denselben Aufbau. Schicht B-B ist jedoch gegenüber den Schichten A-A verschoben, so dass sich innerhalb einer Elementarzelle nur jeweils 3 Kugeln der Schicht B-B befinden.

HDP

Beispiele: Kobalt, Magnesium, Zink, Titan

kubisch flächenzentriert (KFZ)

Eine um 35,2° (Winkel zwischen Raumdiagonale und Würfelflächen) gegenüber den dichtest ge-packten Flächen geneigte Raumfläche bildet die Außenfläche einer kubischen Elementarzelle. Die Außenflächen der Elementarzelle und die dichtest gepackten Ebenen sind nicht identisch.

KFZ

Beispiele: γ-Eisen, Aluminium, Blei, Calcium, Silber, Gold, Platin, Nickel, Kupfer

B.2.6.2.2 Andere Kristallstrukturen

Tetragonal:

ähnlich der KRZ-Struktur. Verhältnis a/c ≠ 1

Beispiel: Martensit, Zinn

Diamant

a

c

:

Besteht aus Kohlenstoffatomen. Die be-sondere Kristallstruktur ergibt sich aus der Orientierung der kovalenten Bindung.

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- 40 -

Graphit:

Weitere Modifikation des Kohlenstoffs; Schichtenstruktur. Innerhalb der Schich-ten: kovalente Bindung; zwischen den Schichten: metallisch und van der Waals.

: Si: O

Silikate:

Die Atome "O" und "Si" sind in Form von Tetraedern angeordnet, die sich aus der Orientierung der Bindung ergeben.

Die Einzeltetraeder können zwei- oder dreidimensional angeordnet sein.

Weitere Strukturen in silikatischen Werk-stoffen siehe Baustoff-technologie II, Kap. Keramische Werkstoffe

B.2.6.3 Begriffe und Kenngrößen von Kristallen

Elementarzelle: kleinste Grundeinheit eines Kristallgitters

Gitterparameter: charakteristische Länge einer Elementarzelle, z. B. Atomab-stand

Realkristalle: in der Natur vorkommende Kristallformen, deren Regelmäßig-keit durch Kristallfehler gestört ist

Kristallfehler: örtliche Störungen und Fehler von Kristallen, die in ihrem Auf-bau nicht immer regelmäßig sind

12

3 4

Punktfehler Stufenversetzung

Die Kristallfehler werden eingeteilt in:

• Punktfehler: Leerstelle (1); Zwischengitteratom (2)

Fremdatome: Substitutionsatom (3); Einlagerungsatom (4)

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- 41 -

• Linienfehler: Versetzungen; Stufen-, Schrauben- und gemischte Ver-setzungen (siehe Abschnitt 3.5, Teil C)

• Flächenfehler: z. B. Stapelfehler: A-B-C-A-B-A-B-C-A-B-C

• Mischkristalle: Realkristalle, die aus verschiedenen Atomen oder Molekü-len bestehen (siehe Abschnitt B.3)

Dichtest gepackte Ebenen: Ebenen in einem Kristall, in denen gleichgroße Atome, als Kugeln dargestellt, einander berühren und in der Ebene je 6 Nachbarn besitzen.

Dichtest gepackte Richtungen: Richtungen, die durch eine Gerade (Vektor) darge-stellt werden können und entlang denen sich die Atome, durch Kugeln dargestellt, berühren.

Gleitebenen: Ebenen, entlang denen ein Verschieben von Atomen ge-geneinander am leichtesten möglich ist.

Spaltebenen: Ebenen, entlang denen eine Spaltung der Kristallebenen bzw. eine Trennung der Atome am leichtesten möglich ist.

Millersche Indizes: System zur Bezeichnung von Ebenen und Richtungen in einem Kristallsystem.

B.2.6.4 Charakteristische Werkstoffeigenschaften als Folge der Kristall-struktur der Werkstoffe

Verschiedene Kristallstrukturen unterscheiden sich in:

• Packungsdichte

• Verzahnungsdichte der Atome entlang charakteristischer Ebenen

• Isotropie

Sie beeinflussen daher vor allem folgende Werkstoffeigenschaften:

• Dichte

• Plastische Verformbarkeit (siehe Abschnitt 3,Teil C)

• Festigkeit und Bruchverhalten (siehe Abschnitt 4, Teil C)

• Richtungsabhängigkeit bestimmter Eigenschaften, z. B. Spaltbarkeit von Graphit

B.2.7 Amorphe Werkstoffe – Stoffe aus langen Kettenmolekülen

Die meisten amorphen Werkstoffe bestehen aus einer kettenartigen Aneinander-reihung von Einzelbausteinen. Diese Bausteine können Moleküle sein, die selbst eine Ordnung besitzen und die Molekülketten bilden. Die Molekülketten können querverbunden oder vernetzt sein.

Monomere: Grundbausteine der Molekülketten

Polymere: Molekülketten

Vernetzungsgrad: Ausmaß der Querverbindungen zwischen den Molekülketten

Je nach Vernetzungsgrad Unterscheidung zwischen:

a) Kettenpolymere

b) Elastomere

c) Dreidimensionale Netzwerke

steigender Vernetzungsgrad

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- 42 -

Speziell bei Kunststoffen Unterscheidung zwischen:

a) Thermoplaste = Kettenpolymere

b) Elastoplaste = Elastomere

c) Duroplaste = Raumpolymere = dreidimensionale Netzwerke

B.2.7.1 Kettenpolymere – Thermoplaste

Kettenmoleküle, die ohne Ordnung und Querverbindungen im Raum angeordnet sind.

ode

Bindungsart zwischen den Ketten: Van-der-Waals Bindungsart innerhalb der Ketten: vorwiegend kovalent

Eigenschaften: meist sehr kleiner E-Modul, große Kriechverformungen, gerin-ger Widerstand gegen erhöhte Temperaturen, hohe Tempera-turabhängigkeit aller mechanischen Eigenschaften

Beispiele: viele Kunststoffe, z. B. Polyethylen, PE: [C2H4]n

Polyvinylchlorid, PVC: [C2H3Cl]n

B.2.7.2 Elastomere

Kettenmoleküle mit geringem Vernetzungsgrad (etwa alle 100 - 1000 Monomere); dadurch große elastische Verformbarkeit, da die Querverbindungen die Ketten nach ihrer Verformung in ihre Ursprungslage zurückführen.

Eigenschaften: niedriger E-Modul, große elastische Verformbarkeit

Beispiele: Vulkanisierter Weichgummi (durch Zusatz von Schwefel, Gra-phit etc. werden zwischen den langen Kettenmolekülen des Na-turgummis während des Vulkanisierens Querverbindungen ge-schaffen)

Neopren; Butadien-Kautschuk (Buna)

B.2.7.3 Dreidimensionale Netzwerke – Duroplaste

Zwischen den Kettenmolekülen werden Querverbindungen geschaffen, so dass ein durchgehendes Netzwerk von Molekülketten entsteht.

oder

Eigenschaften: erhöhte Steifigkeit, Festigkeit, Temperaturwiderstand; reduzier-te plastische Verformbarkeit

Beispiele: Duroplaste: Epoxidharze, Polyesterharze; anorganische Oxid- oder Silikatgläser

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- 43 -

B.2.7.4 Charakteristische Werkstoffeigenschaften als Folge des Vernet-des zungsgra

• Festigkeit

gen erhöhte Temperaturen

Th o

Du melzen, sondern thermische Zersetzung

B.2.8 Sole und Gele

In einem mit Flüssigkeit gefüllten Behälter sinken Parti-kel kolloidaler Größe nicht mehr ab, sondern bleiben in der Flüssigkeit gleichmäßig verteilt; Das vorhandene

An der Oberfläche eines Werkstoffes sind nicht alle Atome allseitig von anderen e

Mit steigendem Vernetzungsgrad steigen

• Steifigkeit, E-Modul

• Widerstand ge

• Kriechwiderstand

erm plaste: schmelz- und schweißbar

roplaste: kein Sch

B.2.8.1 Entstehung

Gemisch ist eine Suspension (Sol).

Wird dem Sol Wasser entzogen und stellt sich eine Vernetzung der Partikel ein, so entsteht ein starrer Kör-per (Gel).

B.2.8.2 Oberflächenspannung – Oberflächenenergie

Atomen umgeben. Das Energieniveau (Oberflächenenergi ) der oberflächennahen Atome ist daher höher als jenes der Atome im Inneren.

erliche Kraft, d. h. die O-

Zur Bildung von Oberflächen wird Energie benötigt. Ein Maß für die Oberflächenenergie ist die zur Vergröße-rung einer Oberfläche erford

Oberfläche

berflächenspannung σ in [J/mm²] oder [N/m].

dAdW

=σ Fres

mit dW = Arbeit zur Oberflächenvergrößerung und dA = Oberflächenänderung.

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- 44 -

Folgen:

a) Atome oder Moleküle versuchen sich so anzuordnen, dass bei gegebenem Volumen ihre Oberfläche zu einem Minimum wird (Kugel).

b) Die Oberflächenenergie führt zu Kräften, die nach innen gerichtet sind (Van der Waals’sche Kräfte) und zur Adsorption von benetzenden Flüssigkeiten oder Gasen (siehe Abschnitt 7.2, Teil C).

An einem Werkstoffpartikel wirken daher Massenkräfte und Oberflächenkräfte.

Die Massenkräfte sind dem Volumen, die Oberflächenkräfte der Oberfläche des Partikels proportional. Da mit kleiner werdendem Durchmesser eines Partikels das Verhältnis Oberfläche/Volumen wächst, steigt auch entsprechend das Verhältnis Oberflächenkräfte/Massenkräfte. Teilchen, die so klein sind, dass die Oberflä-chenkräfte größer als die Massenkräfte sind, besitzen kolloidale Größe.

B.2.8.3 Die Struktur von Solen und Gelen

Sol: Die einzelnen Partikel sind durch die flüssige Phase voneinander getrennt.

Gel: Die Festkörper des Gels bilden ein zusammenhängendes, kontinuierliches Gerüst und sind in ihrer Lage zueinander fixiert.

Kapillarporen = Hohlräume, die mit Flüssigkeit gefüllt sein können

Gelporen = Hohlräume bzw. Bereiche zwischen den Partikeln

oder

Kapillarporen

Partikel

Gelporen

Bindungen zwischen den Partikeln: Van der Waals’sche Bindung

Elastisches Gel: die einzelnen Partikeln sind nur an wenigen Punkten mit-einander verbunden (ähnlich langen Kettenmolekülen).

Starres Gel: die Partikel bilden ein verwobenes dreidimensionales Netzwerk.

Wichtigste Strukturparameter: Teilchengröße; Porosität; Konzentration der festen und der flüssigen Phase; Vernetzungsgrad.

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- 45 -

B.3 HERSTELLUNG UND FORMGEBUNG VON WERKSTOFFEN

Fast alle Baustoffe sind Gemische verschiedener Komponenten. Durch das Mi-schen von Komponenten können Werkstoffeigenschaften besonders einfach und wirksam beeinflusst werden. Die Mischung zweier metallischer Komponenten be-zeichnet man als Legierung.

B.3.1 Mischen von Werkstoffkomponenten

Sind die Komponenten eines Werkstoffes im festen und im flüssigen Zustand in-einander völlig löslich, so entsteht ein kontinuierliches homogenes Gefüge.

Voraussetzungen für die volle Löslichkeit:

a) gleiche Kristallstruktur b) annähernd gleiche Größe der Atome (Größenunterschied < 15 Vol.-%) c) verträgliche Ladungen d) annähernd gleiche Anzahl von Valenzelektronen (chemische Ähnlichkeit)

Gase sind unbegrenzt mischbar. Bei Flüssigkeiten und Gläsern ist die Mischbarkeit größer als bei kristallinen Stoffen, da die geometrischen Bedingungen für die Lös-lichkeit von untergeordneter Bedeutung sind.

Volle Löslichkeit:

Die Struktur der Mischung und der Einzelkomponenten ist gleich. Die Atome der Komponente mit der geringeren Volumenkonzentration ordnen sich als Fremd- bzw. Substitutionsatome in das Kristallgitter der anderen Komponente ein. Es ent-stehen Mischkristalle.

Beschränkte Löslichkeit:

Sind nicht alle Bedingungen für volle Löslichkeit erfüllt, so kann eine Komponente nur einen beschränkten Anteil einer anderen Komponente aufnehmen. Überschrei-tet die Menge der 2. Komponente den Anteil, der von der 1. Komponente aufge-nommen werden kann, so entsteht eine 2. Phase.

Phase 1: Kristallstruktur der 1. Komponente mit beschränktem Gehalt an A-tomen der 2. Komponente.

Phase 2: Kristallstruktur der 2. Komponente mit beschränktem Gehalt an A-tomen der 1. Komponente.

Phasen können aus Körnern bestehen, die sich nicht in ihrer Zusammensetzung, sondern in der Orientierung der Kristalle unterscheiden.

Beachte: Phasen- und Kornaufbau eines Werkstoffes sind für seine mechani-schen Eigenschaften von großer Bedeutung. Sie können durch Wärme- oder mechanische Behandlung beeinflusst werden, so dass damit auch die Eigenschaften des Werkstoffes gezielt verändert werden können.

B.3.2 Phasendiagramme

Phasendiagramme geben die Anzahl und die Zusammensetzung der Phasen an, die in einem Werkstoff aus mehreren Komponenten bei einer bestimmten Tempe-ratur und bestimmten Gewichtsanteilen der Komponenten auftreten.

Man unterscheidet zwischen Phasendiagrammen für den Gleichgewichtszustand, den metastabilen Zustand und den Ungleichgewichtszustand.

Gleichgewichtszustand: Die Zusammensetzung der Phasen aus den ver-schiedenen Komponenten ist so, dass ein Minimum

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- 46 -

der potentiellen Energie des Gesamtsystems erreicht wird.

Metastabiler Zustand: Die sich einstellenden Phasen sind zwar stabil, führen aber noch nicht zu einem Minimum der potentiellen Energie.

Ungleichgewichtszustand: Durch plötzliches Abkühlen einer Schmelze wird eine bestimmte Zusammensetzung von Phasen "eingefro-ren", die nur bei höheren Temperaturen dem Gleich-gewicht entspricht. Mit der Zeit strebt der so entstan-dene Ungleichgewichtszustand einem stabilen oder metastabilen Zustand zu.

B.3.2.1 Mischung von zwei Komponenten mit voller Löslichkeit

Beispiel: Kupfer-Nickel-Legierung

Kristallstruktur Atomare Ordnungs-zahl

Anzahl der Valenzelektro-nen

Cu KFZ 29 1 bzw. 2

Ni KFZ 28 2

Die Voraussetzungen für volle Löslichkeit sind erfüllt.

Bildung von Mischkristallen mit KFZ-Struktur, die bei der Abkühlung einer Schmel-ze aus Nickel und Kupfer entstehen.

b1400

800

1000

1200

1400

1200

1000

800

1084

1451

40

Mischkristalle, αSolidus-Linie

Liquidus-LinieT [°C]

Schmelze,L

M.-% Ni100 M.-%

Cu

100806020 0 100 M.-% Ni

T [°C]

α + L

C0 CSCL

a

c

d

Schmelze = flüssige Phase (Liquidus) = L

Mischkristall = feste Phase (Solidus) = S oder α

Liquidus-Linie: Beginn des Erstarrens der Schmelze beim Abkühlen

Solidus-Linie: Ende des Erstarrungsvorganges beim Abkühlen

• Experimentelle Bestimmung von Phasendiagrammen:

Beim Abkühlen einer Schmelze weist die Abkühlkurve (Beziehung zwischen Tem-peratur und Zeit) charakteristische Knick- oder Haltepunkte auf, die Punkten auf der Liquidus- oder Soliduslinie entsprechen. Ihre Ursache ist die Abgabe bzw. Aufnahme von Wärme als Folge der Änderung des Aggregatzustandes und der damit verbundenen Änderung des Energieniveaus des Werkstoffs.

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- 47 -

1084

Temp. [°C]

Abkühlkurve für Zusammensetzung C0 Abkühlkurve für reines Kupfer

Zeit

Temp. [°C]

Zeit

1084 1084

1340 1280 1220

1440

b

(a)

(c)d

• Gibbs´sche Phasenregel:

Mit Hilfe der Gibbs´schen Phasenregel kann bestimmt werden, ob in der Abkühl-kurve Knick- oder Haltepunkte auftreten:

F = K + 2 - P

wobei F = Anzahl der Freiheitsgrade bzw. der möglichen Variablen (Tempera-tur, Druck, Zusammensetzung)

K = Anzahl der Komponenten

P = Anzahl der Phasen

Im Normalfall bleibt während der Abkühlung der Schmelze der Druck konstant, so dass sich die Anzahl der Freiheitsgrade um 1 reduziert. Es gilt dann

F = K + 1 - P

Beispiel 1: 100 M.-% Cu bei T = 1084°C (Schmelzpunkt des reinen Kupfers) K = 1 P = 2 (L und α) F = O

D. h. die Temperatur bleibt konstant, bis die gesamte Schmelze vom festen in den flüssigen Zustand umgewandelt wurde. Die Abkühlkurve hat einen Haltepunkt.

Beispiel 2: 50 M.-% Cu; 50 M.-% Ni, an der Liquiduslinie K = 2 (Cu und Ni) P = 2 (L und α) F = 1

Die Abkühlkurve hat einen Knick, die Temperatur bleibt veränderlich.

• Waage-Regel:

Der Massenanteil der Phasen in einer Legierung mit der Zusammensetzung C0 bei einer bestimmten Temperatur T0 kann nach der Waage-Regel (Gesetz der abge-wandten Hebelarme) berechnet werden:

Feste Phase, S → CS

Flüssige Phase, L → CL

Gehalt an fester Phase in M.-%: 100CCCC

LS

L0 ⋅−−

Gehalt an flüssiger Phase in M.-%: 100CCCC

LS

0S ⋅−−

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- 48 -

• Phasenzusammensetzung:

Die Zusammensetzung einer Phase hängt ab von der Temperatur, bei der sie aus-geschieden wird. Sie ergibt sich aus der S- bzw. L -Linie für die jeweilige Tempera-tur.

Flüssige Phase: Kupferanteil in M.-% (1-CL).100 Nickelanteil in M.-% CL

.100

Feste Phase: Nickelanteil in M.-% CS.100

Kupferanteil in M.-% (1-CS).100

B.3.2.2 Mischung von zwei Komponenten, die nicht ineinander löslich sind

Für zwei im festen Zustand nicht ineinander lösliche Komponenten mit unter-schiedlichen Schmelzpunkten ergibt sich folgendes Phasendiagramm:

L = Schmelze aus den Komponenten A und B

α = Reine Phase aus A-Kristallen

β = Reine Phase aus B-Kristallen

LB = Schmelze der reinen Komponente B

TA = Schmelzpunkt der Komponente A

TB = Schmelzpunkt der Komponente B

TA

TB

100 M.-% A M.-% B

100 M.-% B

α + LB

L

α + β

B.3.2.3 Mischung von zwei Komponenten mit beschränkter Löslichkeit

Beispiel: Blei-Zinn-Legierung Kristallstruktur Atomare

Ordungszahl Anzahl der

Valenzelektronen

Pb KFZ 82 2

Sn Tetragonal 50 2

Die Bedingungen für volle Löslichkeit sind nicht erfüllt.

Die vorhandene beschränkte Löslichkeit führt jedoch zur Bildung von Mischkristal-len αM und βM.

αM = KFZ-Struktur des Pb mit Sn als Substitutionsatome

βM = Tetragonale Struktur des Sn mit Pb als Substitutionsatome

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T [°C] T [°C]

232

183

327 300

200

100

0 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 100 M.-%

Pb 100 M.-%

Sn Phasendiagramm

Schmelze

Liquidus

Solidus

L + α L + β

α + β

β

α

VI

II

I

IVV III

e

d

c

b

a

A B

183

T (°C)a

b

c

ZeitAbkühlkurven

T (°C)

d

e

Zeit

Bereich I: Oberhalb der Liquidus-Linie liegt ein Gemisch von Pb + Sn als Schmelze vor

Bereich II: Bildung von α-Mischkristallen

Bereich III: Bildung von β-Mischkristallen

Bereich IV: α-Mischkristalle und Schmelze (L)

Bereich V: β-Mischkristalle und Schmelze (L)

Bereich VI: Die gesamte Schmelze ist erstarrt. Es sind sowohl α- als auch β-Mischkristalle vorhanden. Ihre Zusammensetzung ändert sich mit sin-kender Temperatur, da die Löslichkeit von Pb in Sn und Sn in Pb mit fallender Temperatur absinkt.

Linie II/IV + II/VI: gibt die Löslichkeit von Sn in Pb an

Linie III/V + III/VI: gibt die Löslichkeit von Pb in Sn an

• Eutektikum

Der niedrigste Schmelzpunkt einer Blei-Zinn-Legierung, bzw. die niedrigste Tem-peratur, bei der das Erstarren beginnt, stellt sich bei einer Zusammensetzung von 39 M.-% Blei und 61 M.-% Zinn (Eutektikum) ein. Bei Erreichen der eutektischen Temperatur erfolgt ein direkter Übergang der Schmelze in den festen Zustand. Nach der Gibbs´schen Phasenregel ist hier

P = 3 (L; α; β)

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- 50 -

K = 2 (Pb und Sn)

F = 0

Beim Erreichen der Eutektikumstemperatur weist die Abkühlkurve daher einen Haltepunkt auf.

Eine Legierung mit eutektischer Zusammensetzung besteht aus einer besonders homogenen Mischung von α- und β-Mischkristallen. Liegt die Zusammensetzung einer Legierung links vom Eutektikum, ist sie untereutektisch, liegt sie rechts vom Eutektikum, ist sie übereutektisch. Legierungen mit einer Zusammensetzung der Komponenten zwischen A und B haben beim Erreichen der Eutektikumstempera-tur eine Restschmelze mit eutektischer Zusammensetzung, die dann während eines Haltepunktes der Abkühlkurve mit eutektischer Struktur erstarrt.

B.3.2.4 Weitere Begriffe

• Eutektoid

Bei manchen Mehrphasensystemen sind auch Phasenumwandlungen im festen Zustand möglich. Ähnlich wie beim Erstarren einer Schmelze kann auch hier ein singulärer Punkt entstehen, den man als Eutektoid bezeichnet. Die Temperatur, bei der diese Umwandlung eintritt, ist die eutektoidische Temperatur (Beispiel: Eisen-Kohlenstoff-System, Abschnitt B.3.2.5).

• Peritektikum

Bei der Abkühlung eines Gemisches aus fester Phase und Schmelze unter die peritektische Temperatur tritt eine Umwandlung in eine andere, feste Phase ein (Beispiel: Eisen-Kohlenstoff-System, Abschnitt B.3.2.5).

B.3.2.5 Stahl und Gusseisen

Stahl und Gusseisen sind Legierungen aus Eisen und Kohlenstoff sowie aus ande-ren Legierungskomponenten, z. B. Si, Mn, Ni, Cr, Mo, W, Ti.

Die Stahlarten und deren Zusammensetzung werden auf der Grundlage des Ei-sen-Kohlenstoff-Diagramms beschrieben.

Stahl und Gusseisen unterscheiden sich im C-Gehalt:

Stahl: Kohlenstoffgehalt < 2,0 M.-%

Gusseisen: Kohlenstoffgehalt ≥ 2,0 M.-%

B.3.2.5.1 Struktur des reinen Eisens In verschiedenen Temperaturbereichen nimmt reines Eisen unterschiedliche Kris-tallstrukturen an:

Bezeichnung Temperaturbereich Struktur

α-Fe < 911°C KRZ

γ-Fe 911 - 1392°C KFZ

δ-Fe 1392 - 1536°C KRZ

> 1536°C Schmelze

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- 51 -

B.3.2.5.2 Grundstrukturen des Fe-C-Systems Die Löslichkeit des Kohlenstoffs im Eisen ist beschränkt. Daher entstehen Fe-C-Mischkristalle nur bei kleinen Kohlenstoffgehalten. Die Menge an gelöstem Koh-lenstoff fällt mit sinkender Temperatur und ist beim γ-Eisen (KFZ) größer als beim α- und beim δ-Eisen (KRZ):

T < 911°C α-Eisenmischkristall Cmax ≈ 0,1 M.-% αM = Ferrit

723°C < T < 1493°C γ-Eisenmischkristall Cmax ≈ 2,1 M.-% γM = Austenit

1392°C < T < 1536°C δ-Eisenmischkristall Cmax ≈ 0,2 M.-% δM

Überschreitet der C-Gehalt die im Eisen löslichen C-Anteile, so bildet sich bis zu Cmax = 6,7 M.-% die Phase Fe3C = Eisenkarbid = Zementit (Z)

• Primärzementit, Fe3C (pZ)

Bei Kohlenstoffgehalten > 4,3 M.-% wird Zementit direkt aus der Schmelze ausge-schieden.

• Sekundärzementit, Fe3C (sZ)

Bei der Umwandlung von Austenit (γM) in das kohlenstoffärmere Ferrit (αM) wird Sekundärzementit Fe3C ausgeschieden. Es lagert sich als Korngrenzenzementit an den Grenzen der Körner an.

• Perlit

Gefüge des Eisen-Kohlenstoff-Gemisches bei eutektoider Zusammensetzung (C = 0,83 M.-%). Bei der Abkühlung unter 723°C wird Austenit (γM) in Ferrit (αM) und in Zementit (Fe3C) umgewandelt. Perlit besteht aus dünnen, aufeinanderfolgenden Schichten von Fe3C und Ferrit.

• Ledeburit

Gefüge des Eisen-Kohlenstoff-Gemisches bei eutektischer Zusammensetzung (C = 4,3 M.-%). Bei T > 723°C besteht es aus fein verteiltem Fe3C und Austenit (γM) = γ-Ledeburit (γ-Le)

Bei T < 723°C besteht es aus Fe3C und αM bzw. Fe3C und Perlit = α-Ledeburit (α-Le)

Das im Folgenden dargestellte Phasendiagramm gilt für das metastabile System Eisen-Zementit (Fe - Fe3C). Als Ordinate kann auch der C-Gehalt in M.-% ange-geben werden. Durch sehr langes Glühen bei hohen Temperaturen zerfällt der Zementit in Eisen und Kohlenstoff, und es entsteht das stabile System Eisen - Gra-phit (Fe - C).

Wichtige ausgezeichnete Punkte im Fe-C-Diagramm:

A: Schmelzpunkt des reinen Eisens, T = 1536°C

C: Eutektikum bei 4,3 M.-% C, T = 1147°C

S: Eutektoid bei 0,83 M.-% C, T = 723°C

J: Peritektikum bei 0,2 M.-% C, T = 1493°C

Das Eisen-Kohlenstoff-Diagramm kann leichter "gelesen" werden, wenn man das Fe-Fe3C-System betrachtet und man dabei schrittweise vorgeht. Der Bereich des Peritektikums wird außer Acht gelassen.

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- 52 -

B.3.2.5.3 Das Eisen-Kohlenstoff-Diagramm

600

700

800

900

1000

1100

1200

1300

1400

1500 T [°C]

0 20 40 60 80 100 M.-% Fe3C

Stahl Gusseisen übereutektisches Gusseisen

911°C

723°C

1392°C

1493°C 1536°C

1147°C

Schmelze

Schmelze + Primär-Zementit

Schmelze + γM

Schmelze + δM

γM + αM

γM + δM

δM

Austenit, γM

Primär-Zementit + Ledeburit

Primär-Zementit + Ledeburit

γM + Sekundär-Zementit + Ledeburit

Perlit + Sekundär-Zementit + Ledeburit

Lede-burit

Per-lit

Perlit + Sekundär-Zementit

Ferrit + Perlit

Ferrit, αM

γM + Sek.-

Zementit

J

G

P S

E

D

F

K

C

A

N

B

0 6

2,1 4,3

7 M.-% C 5 4 3 2 1

6,7

• Phasen, Struktur und Gefüge für T > 723°C

L + γM L + pZ

Temperatur [°C]

γM

1147°C

723°C

100 M.-% Fe 100 M.-% Z Löslichkeit von C in γ

+ sZ

γ-Le + pZ γ-Le + γM + sZ γM

α-Le

γ-Le

IV III II I

Eutektikum

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- 53 -

IV III II I Struktur

sZ

γM γ-Ledeburit pZ

• Phasen, Struktur und Gefüge für T < 723°C Temperatur

[°C]

Eutektoid Löslichkeit von C in γM

Löslichkeit von C in αM

Struktur V VI VII

sZ

Perlit

αM

600

911

723

0,83 100 M.-% Fe M.-% C

γM + sZ

P + sZ αM (+sZ) + P

γM

αM

αM +? γM

Perlit

V VI VII

untereutektoidischer Stahl übereutektoidischer Stahl

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- 54 -

B.3.2.5.4 Stähle bei Raumtemperatur • Untereutektoider Stahl: C < 0,83 M.-%

Bestandteile: Ferrit und Perlit

Struktur: V

Beim Abkühlen des Austenitbereichs (γM) wird Ferrit (αM) ausgeschieden. Bei 723°C wird der verbleibende Austenit (γM) zu Perlit umgewandelt.

• Eutektoider Stahl: C = 0,83 M.-%

Struktur: VI

Er besteht aus reinem Perlit. Bei T = 723°C wird γM in αM umgewandelt und der überschüssige Kohlenstoff als Fe3C ausgeschieden.

• Übereutektoider Stahl: 0,83 M.-% < C < 2,1 M.-%

Bestandteile: Sekundärzementit und Perlit

Struktur: VII

Beim Abkühlen des reinen Austenits zunächst Ausscheidung von Sekundärzemen-tit. Bei 723°C Bildung von Perlit aus dem noch verbleibenden Austenit.

B.3.2.5.5 Gusseisen bei Raumtemperatur • Übereutektisches Gusseisen: 4,3 M.-% ≤ C < 6,7 M.-%

wird technisch nicht genutzt

• Untereutektisches, weißes Gusseisen: 2,1 M.-% ≤ C < 4,3 M.-%

Bestandteile : Perlit, Ledeburit und Sekundärzementit

Bei ca. 1300°C Erstarren von Austenit aus der Schmelze. Bei 1147°C eutektische Umwandlung und Bildung von Austenit und Ledeburit. Bei weiterer Abkühlung Ausscheidung von Sekundärzementit. Bei 723°C eutektoide Umwandlung des verbleibenden Austenits in Perlit.

• Untereutektisches, graues Gusseisen: 2,1 M.-% ≤ C < 4,3 M.-%

Bestandteile : Ferrit und Graphit

Erstarrung nach dem stabilen Eisen-Graphit-System. Beim Abkühlen unter 1147°C Ausscheidung von Graphit aus dem Austenit (γM).

Bei T < 723°C Umwandlung des verbleibenden Austenits in Ferrit und Graphit.

Es wird ferner unterschieden zwischen:

• Gusseisen mit Lamellengraphit: (GG)

Lamellenartige Anordnung des Graphits, dadurch besonders spröde.

• Gusseisen mit Kugelgraphit: (GGG)

Nach Zugabe von anderen Legierungselementen (z. B. Mg, Ca) Bildung von kuge-ligem Graphit; erhöhte Duktilität und Zugfestigkeit.

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- 55 -

• Temperguss: (GT)

Erstarren aus der Schmelze unter Zugabe von Legierungskomponenten zu Lede-burit und Perlit (weißes Gusseisen). Nachfolgende Wärmebehandlung führt zu Zerfall des Fe3C in Eisen und kugeligen Graphit; besonders zäh und zugfest.

B.3.2.5.6 Bedeutung des C-Gehaltes für die mechanischen Eigenschaften der Stähle

Mit steigendem Kohlenstoffgehalt wachsen Streckgrenze und Zugfestigkeit, wäh-rend Duktilität und Bearbeitbarkeit der Stähle abnehmen.

Kohlenstoffgehalt [M.-%]

1600

1200

800

400

00 0,2 0,4 0,6 0,8

0

20

40

Zugfestigkeit [N/mm²] Bruchdehnung

Bruch-dehnung

Zugfestigkeit(vergütet)

gehärtet

geglüht

B.3.3 Formgebungsmethoden

Werkstoffe müssen zu ihrer technischen Verwendung in bestimmte Formen ge-bracht werden. Die Möglichkeiten der Formgebung eines Werkstoffes hängen von seiner Mikrostruktur, seinem Gefüge und der Bindungsart ab. Die Art der Formge-bung selbst kann die Struktur des Werkstoffes entscheidend beeinflussen.

B.3.3.1 Formgebung durch Schmelzen und Erstarren

Anwendung: Bei Stoffen mit relativ niederem Schmelzpunkt, vor allem bei Metallen, Thermoplasten und Gläsern.

Vorgang: - Schmelzen: Atome und Moleküle sind frei be-weglich.

- Gießen in Formen: z. B. Schleuderguss, Kokillenguss, Spritzguss, Strangguss.

- Erstarren in der Form: Die Erstarrung der Schmelze bei Abkühlung beginnt an den Wandun-gen der Form. Bei kristallinen Stof-fen bilden sich dort ausgehend von Kristallisationskeimen einzelne Kör-ner.

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- 56 -

Einfluss auf das Gefüge:

a) Volumenänderungen (Schrump-fen) verursachen ein Absinken des Spiegels der Schmelze und die Bildung von Hohlräumen in der Mitte der Form (Lunkerbildung).

(a) (b)

Lunker große Gasblasen

kleineGasblasen

b) Die Schmelze kann gelöste Gase enthalten, deren Löslichkeit mit sinkender Temperatur abfällt. Da-her Ausscheiden von Gasen beim Erstarren und Bildung von einge-schlossenen Gasblasen.

c) Entmischungsvorgänge (Seigerungen)

In einer Legierung verändert sich während des Erstarrens die Zusammensetzung der bei einer bestimmten Temperatur erstarrten Kristalle und der verbleibenden Schmelze, siehe Phasendiagramme Abschnitt B.3.2. Je nach Verlauf des Phasen-diagrammes erhöht bzw. erniedrigt sich die Konzentration des Legierungselemen-tes in der Schmelze. Da die Erstarrung einer Legierung in einer Form mit gekühl-ten Wandungen ausgehend von der Wandung nach innen fortschreitet, nimmt daher die Konzentration des Legierungselements in dem erstarrten Werkstück von außen nach innen zu bzw. ab (Blockseigerung). Seigerungen können durch Diffu-sionsglühen (siehe Abschnitt C.4.6.1) ausgeglichen werden.

Unberuhigter und beruhigter Stahl:

Bei der Stahlherstellung wird der Roheisenschmelze Sauerstoff zugeführt (Fri-schen), um den Gehalt an Kohlenstoff und den unerwünschten Stahlbegleitern zu reduzieren (siehe Abschnitt C.1.1). Der Sauerstoff liegt in der Schmelze als FeO vor. Entsprechend dem Fe-C-Diagramm nimmt die Löslichkeit des Kohlenstoffs mit sinkender Temperatur ab, so dass beim Erstarren in einer Form der Kohlenstoff-gehalt des noch nicht erstarrten Kerns zunimmt. Der überschüssige Kohlenstoff reagiert mit FeO unter Bildung von CO2-Gas. Die Stahlschmelze gerät in wallende Bewegung (Kochen des Stahles). Ein so hergestellter Stahl wird als unberuhigter Stahl U bezeichnet. Die Reaktion von FeO kann durch die Zugabe von Silicium oder Mangan reduziert oder verhindert werden (beruhigter Stahl R).

B.3.3.2 Formgebung durch Kalt- oder Warmverformung

Voraussetzung: Der Werkstoff ist im kalten bzw. warmen Zustand plastisch ver-formbar.

Anwendung: Bei Metallen, Thermoplasten, Gläsern.

B.3.3.2.1 Definitionen Kaltverformung: Bearbeitung des Werkstoffes bei Temperaturen unterhalb der Rekristallisations-temperatur (Abschnitt B.3.4.2)

Warmverformung: Verformung bei Temperaturen oberhalb der Rekristallisationstemperatur.

B.3.3.2.2 Technische Formgebungsverfahren Warmverformung: Schmieden, Stauchen oder Pressen, Walzen Kaltverformung: Walzen, Ziehen, Recken, Strangpressen, Verdrillen, Schlagen

B.3.3.2.3 Folgen einer Kaltverformung (a) Der Werkstoff wird verfestigt, die Duktilität nimmt ab:

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Beispiel Stahl:

Entlastung nach Kalt- verformung

σ

ε

σ

ε

Wiederbelastung nach Kaltverformung.Erhöhte Streckgrenze, reduzierte Duktilität

Ursachen: Erhöhung der Versetzungsdichte Blockieren von Versetzungen (siehe Teil C, Abschnitt 3)

(b) Der Werkstoff wird anisotrop: Die Kaltverformung verursacht eine bleibende Streckung der einzelnen Körner in Richtung der äußeren Beanspruchung. Dadurch Verlust der Isotropie des Werkstoffes.

(c) Die Oberfläche wird rauh, Bildung sog. Lüderslinien

B.3.3.2.4 Folgen einer Warmverformung (a) Der Werkstoff kann sich entfestigen.

Beispiel: Vorher kaltverformter Stahl

(b) Bildung einer Walzhaut

B.3.4 Nachbehandlung

Die Eigenschaften von Werkstoffen, die durch Gießen oder Verformen in eine be-stimmte Form gebracht wurden, können durch eine bestimmte Nachbehandlung verbessert werden.

B.3.4.1 Definitionen

Nachbehandlung: Im allgemeinen Temperierung eines Werkstücks nach voran-gegangener Formgebung. Hierdurch erfolgt eine gezielte Ver-besserung bzw. Veränderung der Werkstoffeigenschaften Fes-tigkeit, Streckgrenze und Duktilität.

Homogenisieren: Leichtes Erwärmen zum Ausgleich von Konzentrationsunter-schieden.

Glühen: Erwärmen eines Werkstoffes auf relativ hohe Temperaturen und darauf langsames Abkühlen.

Härten: Erwärmen und darauf folgendes schnelles Abkühlen (Abschre-cken).

Vergüten: Erwärmen (Anlassen) nach vorangegangenem Abschrecken.

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B.3.4.2 Strukturveränderungen während des Glühens

B.3.4.2.1 Kristallerholung Abbau von Eigenspannungen, die während einer vorangegangenen Kaltverfor-mung entstanden sind.

B.3.4.2.2 Rekristallisation Oberhalb der Rekristallisationstemperatur wachsen aus den durch vorhergegan-gene Kaltverformung verspannten Körnern völlig neue Körner. Die Rekristallisation beginnt meist an den Stellen stärkster Gitterstörung und geht, ähnlich wie die Er-starrung aus der Schmelze, von Keimen aus.

Nach schwacher Kaltverformung: geringe Rekristallisation.

Nach starker Kaltverformung: starke Rekristallisation und Bildung vieler klei-ner Körner, da viele Keime vorhanden sind.

Werkstoff Typische Rekristallisations-temperatur [°C]

Schmelzpunkt [°C]

Eisen 450 1537 Aluminium 150 660 Kupfer 200 1083 Nickel 600 1453 Zink < 20 420 Blei < 20 327 Zinn < 20 231

Die Rekristallisationstemperatur eines Werkstoffes hängt vom Maß der vorherge-gangenen Kaltverformung ab. Je größer die plastische Verformung, um so niedri-ger ist die Rekristallisationstemperatur.

B.3.4.2.3 Kornwachstum Bei langandauernder Wärmebehandlung oberhalb der Rekrisallisationstemperatur schließen sich kleine Körner zu größeren Körnern zusammen (bzgl. Vergüten und Härten von Stählen, siehe Abschnitt C.4.6).

B.3.5 Diffusionsvorgänge – Sintern

Anwendung: Werkstoffe mit sehr hoher Schmelztemperatur oder Verbundwerk-stoffe, deren Komponenten stark unterschiedliche Schmelzpunkte aufweisen, werden durch Sintern hergestellt.

Beispiele: - keramische Werkstoffe - Zemente - Cermets (Verbundwerkstoffe aus einer keramischen

und einer metallischen Phase) - Pulvermetallurgisch hergestellte Werkstoffe

Vorgang: Verbindung von Partikeln im festen Zustand durch Bewegung (Diffusi-on) einzelner Atome. Die Beweglichkeit der Atome wächst mit steigen-der Temperatur an, so dass auch unterhalb der Schmelztemperatur ein Verschweißen von Partikeln, deren Oberflächen miteinander in Kontakt stehen, möglich ist. (a) Aufbereitung der Rohstoffe zu einem Pulver (b) evtl. Vermischen des Pulvers mit Wasser (c) Formgebung z. B. durch Pressen

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(d) Brennen bei T < TS

Parameter, welche die Eigenschaften eines Sinterwerkstoffes beeinflussen:

- Teilchengröße

- Wasserzugabe (Porosität)

- Druck bei der Formgebung

- Brenntemperatur

B.3.6 Temperaturabhängige Prozesse

B.3.6.1 Fragestellungen

a) Bei der Rekristallisation und beim Sintern müssen einzelne Atome ihren Platz im festen Zustand wechseln. Wie kann dieser Vorgang beeinflusst bzw. be-schrieben werden?

b) Warum sind Sintern, Rekristallisation und Kornwachstum temperaturabhän-gig?

B.3.6.2 Arrheniusgleichung

Viele Vorgänge in der Natur sind temperaturabhängig. Die Beziehung zwischen der Geschwindigkeit eines Vorgangs und der Temperatur kann mit Hilfe der Arrhe-niusgleichung ausgedrückt werden:

TRQ

e.constv ⋅−

⋅=

Darin bedeuten: v = Geschwindigkeit des Ablaufes Q = Aktivierungsenergie [J/mol] T = Absolute Temperatur [K] R = Gaskonstante = 8,32 [J/(mol.K)]

Q/R = 1 Q/R = 10 Q/R = 100

1 10 100 1000 log T (K)

v/const. = exp[-Q/RT]

0

Folgerungen:

(a) Die Geschwindigkeit eines Vorgangs, welcher der Arrheniusgleichung folgt, steigt mit steigender Temperatur.

(b) Die Geschwindigkeit ist nicht beliebig zu steigern, sondern strebt einem Endwert zu.

(c) Bei einer gegebenen Temperatur steigt die Geschwindigkeit eines Vorgan-ges mit fallender Aktivierungsenergie.

(d) Für eine gegebene Aktivierungenergie tritt eine Reaktion mit erkennbarer Geschwindigkeit erst oberhalb einer bestimmten Temperatur auf.

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B.3.6.3 Aktivierungsenergie

Um einen Vorgang in Gang zu bringen, muss eine Aktivierungsbarriere übersprun-gen werden, die zwischen zwei stabilen Positionen liegt. Die dazu erforderliche Energie entspricht der Aktivierungsenergie.

Energie

Aktivierungsenergie

Energiezustand nach der Reaktion

Energiezustand vor der Reaktion

Ordinate der Reaktion Pos. A Pos. B

Wa

WA

WB

Beispiel: Ein Platzwechsel von Atomen in einen Kristallgitter wird durch die Schwingungen der Atome um ihre Ruhelage ermöglicht. Soll ein Atom von einer Position (A) in eine andere, energieärmere Position (B) wandern, so muss es auf dem Wege einen Energiezustand (Wa) an-nehmen, der größer als der Energiezustand bei A (WA) oder bei B (WB) ist. B

Die Aktivierungsenergie kann experimentell bestimmt werden, indem die Ge-schwindigkeit eines Vorganges bei verschiedenen Temperaturen ermittelt wird:

log10v

1/T

Messwerte

RTQ

econstv−

⋅=

⎟⎠⎞

⎜⎝⎛−=

T1

RQconstlnvln

⎟⎠⎞

⎜⎝⎛

⋅−=

T1

R303,2Qconstlogvlog 1010

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Die Seiten 61 ff. dieses Skriptums werden zu Beginn des WS 2005/2006 ins Netz gestellt.