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Der Konstruktivismus… oder die Unmöglichkeit von Kommunikation
Ein Vortrag im Rahmen des BSc32 von Mia Feldmann, Sven Lükermann, Jennifer Schmidt, Miriam Stumpenhorst und Julian Witte
Der Konstruktivismus
1. Einordnung in den theoretischen Kontext
2. Neurobiologische Grundlagen: Gehirn
3. Praxisbezug
4. Kommunikation im Kontext des Konstruktivismus
Was ist das?
Sinneseindrücke →→→→ Abbildung der objektiven Realität
Informationsverarbeitung
Naiver Realismus
• James J. GIBSON: ökologischer Ansatz• Direkte Verbindung von Erlebniswelt und
Realität (direkte Erkenntnis)• Umwelt zu Organismus Variablen ermöglichen
eine direkte Aufgabenlösen(hier also z.B. was mache ich mit dem Tisch?)
Wie aber erklären wir jetzt, dass es sowohl Tisch, Schreibtisch, als auch Ablage ist?
Kritischer Realismus
• Selfridges: Pandämonium als Metapher neuronaler Bildanalyse
• Erkenntnisprozess: Informationsaufnahme + Verarbeitung
• Auf Grund von Evolutionären Gewordenheiten und der individuellen Lerngeschichte des erkennenden Systems bildet sich ein Abbild der objektiven Realität
• Hierarchie von neuronalen Filtermechanismen
Verarbeitungder einzelnen
Elemente:Tischbeine, 4 Stück, Holz,
Tischplatte + Kontext
Erkennen: Wechselspiel mit Kontextinformation und Gedächtnisinhalten
Kritischer Realismus
Das Gehirn versucht also aus den einzelnen Sinneseindrucken und Elementen eine Stabilität und Ordnung herzustellen
Sehen wir nur das „objektiv“ vorhandene?
Welche Schlüsse kann man aus
dem Auftreten optischer
Täuschungen in der
Wahrnehmung ziehen??
Wird die „objektive Realität“
widergespiegelt?
• Kognitiven Leistungen müssen also irgendwie noch mehr vollbringen, als die reine Verarbeitung der objektiven Realität mit der Ziel ihrer Annäherung, trotz Verzerrungen
⇒ KONSTRUKTIVISMUS
Realismus
Grundannahme:Abbildung der objektiv realen WeltWahrnehmung = direkte/verzerrte Abbildung der Realität
Modellannahme:Informationsverarbeitungsmodell
Theorien:(a) Kritischer Realismus
(neuronale Filtermechanismen – Dämonenmodell)(b) Naiver Realismus (GIBSON)
(Kein Erklärungsansatz für Erkenntnisprozesse)
Trivialer Konstruktivismus
Trivialer Konstruktivismus
• Abbildung der Umwelt ist nicht nur durch die physiologischen Gegebenheiten des Sinnessystems gekennzeichnet, sondern auch durch:
▫ Erwartung (Sinngebung)▫ Vorstellung▫ Bewertung des Wahrnehmenden⇒ Konstruktivistisch – Hypothesentestung⇒ bei unmöglichen Figuren – kognitive
Konfusion
• Hypothese?
• Erwartung?
• Vorstellung?
Was wird durch so genannte unmögliche Figuren gezeigt?
Radikaler Konstruktivismus
• Wahrnehmung ≠ Abbildungsprozesses
Radikaler Konstruktivismus
• Berliner Schule: Gestalttheorie (KÖHLER,KOFFKA, WERTHEIMER,METZGER,MATURANA)
• Selbstorganisierte Ordnungsbildung des kognitiven Systems▫ Ordnung und Stabilität entstehen nicht durch die Umwelt, sondern im „Inneren“, dem kognitiven System
⇒Der Mensch hat keinen direkten Zugang zur Umwelt
Konstruktivismus
Grundannahme:Konstruktion einer individuellen WirklichkeitWahrnehmung = Interpretation und HypothesentestungWahrnehmung ≠ Abbildung einer „objektiven“ Realität
Modellannahme:Autonomie der kognitiven OrdnungsbildungSelbstorganisationstheorie
Theorien:(a) Trivialer Konstruktivismus (Sinngebung)(b) Radikaler Konstruktivismus
(Berliner Schule: KOFFER, KÖHLER, WERTHEIMER)(kein unmittelbarer Zugang zur physikalischen Umwelt)(Jüngere Theoretiker: MATURSNA, METZGERS, VARELA)
Ambiguitäten, Ordnungsbildung und
Bedeutungszuweisungen – oder: die Anwendung
der Theorie
• Der Konstruktivismus in der Biologie• Wahrnehmung• Kommunikation• Emotion• Gedächtnis
…ein erster Denkansatz
• Ein die Umwelt abbildendes Gehirn ist nicht in der Lage, komplexe kognitive Prozesse hinreichend zu beschreiben
• Für das Gehirn sind interne und externe Ereignisse im Prinzip ununterscheidbar
• „Blinder Fleck“ � Die Geschlossenheit entsteht im Gehirn
Neurbiologische Grundlagen: Gehirn
Wie kommt die Welt in den Kopf? Wir hören…
Wir schmecken…
Wir berühren…
Wir riechen…
…irgendwie erleben wir unsere
Welt.
…und irgendwie ist stets das
Gehirn mit im Spiel
Das menschliche Gehirn
• Volumen▫ Mann: ca. 1375g▫ Frau: ca. 1245g
• Neuronen: ca. 100 Milliarden (1011)• Synapsen (Verbindungen zwischen• den Neuronen): ca. 100 Billionen (1014)• verbraucht ca. 20% der Energie• beansprucht 15% des Blutverbrauchs
Beeindruckend
Kleine Anatomie des Gehirns
1. Großhirn (Cortex)2. Balken3. Zwischenhirn4. Limbisches System5. Mittelhirn6. Kleinhirn7. Nachhirn
Das Gehirn – Der feine Unterschied
oder das Limbische System
Der Unterschied zwischenMensch und Tier:• emotionales/rationales
Handeln z.B. Angst• einsichtiges Verhalten• abstraktes Denken• Lernfähigkeit• Entsteht durch die
vernetzte Arbeit von Groß-Mittel- und Kleinhirn
Das Gehirn hat nur einen
indirekten UmweltkontaktEin komplexes Nervensystem
Es hat die Aufgabe…
• Informationen über die Umwelt und den Organismus aufzunehmen, zu verarbeiten
• Reaktionen des Organismus zu veranlassen
Das Nervensystem realisiert eine der Grundeigenschaften des Lebens, die Reizbarkeit (Irritabilität).
Nervenzelle
Elektronenmikroskopische Aufnahme (verfärbt)
einer isolierten Nervenzelle
Nach heutigen Schätzungen
besteht das menschliche Gehirn aus 100 Milliarden oder mehr Nervenzellen, wobei
einige neuere Schätzungen sogar von 1 Billion (1.000.000.000.000)
Nervenzellen ausgehen
Neuronenkommunikation
• Übertragung von Erregungen in Form von elektrischen Impulsen
• Neurone sind durch Synapsen, die an den Dendriten anderer Neurone angeschlossen sind, miteinander verbunden
• Zwischen Synapse und Dendrit befindet sich ein Spalt, der eine elektrische Verbindung verhindert
Der Synaptische Spalt
• Nervenzellen sind durch einen kleinen "synaptischen Spalt" von einander getrennt, den Signale bei der Weiterleitung überwinden müssen
• Neurotransmitter (chemische Boten)
• Diffusion
• Schlüssel-Schloss-Prinzip
• Ähnliches Arbeitsprinzip auch beim Hormonsystem und Immunsystem
Informationsverarbeitung
Rei
z X
1R
eiz
X1
Neurone C
Reiz X
1
Reiz X2
Konvergenz Divergenz
Inhib
itionspote
ntiaL
Gehirnaktivität messen Karten im Gehirn
Messung von Gehirnarbeit
Nicht invasive Methoden der Messung
der Gehirnaktivität (über Sauerstoff-zufuhr): PET (Positronen EmissionsTomographie) und funktionelle
Kernspintomographie
Messung von Gehirnarbeit
• Elektroenzephalogramm (EEG)▫ Summenableitung der elektrischen Oberflächenaktivität
• Computertomographie (CT)▫ Schichtweise Abtastung durch dünnes, flaches Röntgenstrahlbündel
• Magneto-Enzephalographie (MEG)▫ Messung der megnetischen Felder elektrisch aktiver Neurone mit einem
superconducting quantuminterference device (SQUID-Biomagnetometer).
• Positronen-Emissionstomographie (PET)▫ Isotopen (C11, N13, F18, O15) senden Positronen aus, die bei
Verschmelzung mit Elektronen Gammastrahlung erzeugen, die gemessen wird. Die Menge des Blutflusses wird gemessen, und damit die aktiven Gehirnbereiche.
• Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT)▫ Homogenes sehr starkes Magnetfeld richtet Spin von Protonen aus,
Radiowellen stören („wobbling“) – Signal funktionelle MRT (fMRT = fMRI) Unterschiedliche magnetische Eigenschaften von Desoxihämoglobin und Oxihämoglobin stellen die „aktiven“ Bereiche im Gehirn dar
Funktion des PETInjektion eines radioaktiven
Kontrastmittels in die BlutbahnKontrastmittel erreicht das Hirn Messung lokalen Blutflusses oder
regionaler Metabolismus
Bildgebendes Verfahren
Die neue Hirnforschung• Zusammenhänge von Hirn und
psychischen Prozessen
• Entscheidungen und Verhalten sind durch individuell variierende Hirnstruktur und –funktion determiniert.
Komplexe Verschaltungen . . .
„Das Gehirn kann zwar über seine Sinnesorgane durch die Umwelt erregt werden, diese Erregungen enthalten jedoch keine
bedeutungshaften und verlässlichen Informationen über die Umwelt.
Vielmehr muss das Gehirn über den Vergleich und die Kombination von sensorischen Elementar-ereignissen Bedeutungen erzeugen und diese Bedeutungen anhand interner Kriterien überprüfen.
Gerhard Roth (1996)
Veranstaltungstipp: Gerhard Roth
in der Uni Bielefeld
Vortrag:12.01.2009 (Montag), 14.00-16.00
Uhr, im AUDIMAX Prof. Dr. Gerhard Roth (Universität
Bremen)Thema: Motivation und Emotion
Schon im Auge…
…schon im Auge.
komplexe Verschaltungen:
Etwa 1 Million Retinaganglienzellen
projizieren auf einige Milliarden Zellen in der primären Sehrinde.
Geschätzte 200 Milliarden Zellen (von 1 Bio.) sind mit dem Sehen beschäftigt!!
Atomisierung von Bildern . . .
Keine einfache 1-1-Verbindung
• Keine einfache Telefondrahtverbindung (Umschaltstation)
• Verschiedene Neuronenaggregate im Gehirn sind am Sehprozess beteiligt� Ganzheitlicher Prozess
• Dies ist beispielhaft für alle anderen Bereiche des zentralen Nervensystems
• Neuronenkommunikation ist multilateral
Primärer Visueller Cortex
Netzhaut
Hirnhöcker Inhib
itionspote
ntiaL
Was ist das?
Sprache:
SprachverarbeitungAufmerksamkeit: Das vernetzte
Gehirn
…Gefahr
Das Gehirn konstruiert . . .
….von innen heraus.
5 Min
uten P
ause
Wahrnehmung
Individuum
Die Realität wird immer von innen heraus konstruiert! Es gibt keinen direkten Einfluss von „außerhalb“!
Wahrnehmung
• Realität gibt keine stabile (eindeutige) Ordnung vor
• Wahrnehmung = Verworrenheit
• Lösung: Konstruktion
Wahrnehmung
Wir leben in einer Welt voller Ambiguitäten …
…doch wir merken es nur selten!
Wahrnehmung
Wahrnehmung Wahrnehmung
Was tun wir, wenn wir die eben gezeigten Bilder sehen?
�Sehen ist ein hocheffizienter Vorgang der Ambiguitätsbewältigung, der Auflösung von Mehrdeutigkeiten durch aktive Ordnungsbildung (…wir Menschen haben es gerne einfach!)
Wahrnehmung
• Multistabilen Reizmustern können im Wahrnehmungsprozess keine eindeutigen Ordnungen zugewiesen werden
• Ständiger spontaner Wechsel zwischen den möglichen alternativen Sehweisen
• Stärkere Wirkung auf besonders empfindsame Menschen
• Kommen in der Natur „zum Glück“ nur selten vor
• Ist jede Reizgegebenheit multistabil?
Visuelle Wahrnehmung – ein Versuch
In welche Richtung dreht sich die
Ballerina?Objektwahrnehmung, oder wie der
Realismus grandios scheitert!
Wer ist besser: Mensch oder Computer?
Objektwahrnehmung Objektwahrnehmung
Objektwahrnehmung Objektwahrnehmung
• Warum ist unser Gehirn in der Lage, Muster zu erkennen, wo eigentlich keine sind?
• Prinzip der Prägnanz (Einfachheit/guten Gestalt)
• Wir konstruieren einfache Objekte
• „das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“
Kommunikation
• „The verbal transformation effect“• Endlosschleife vom Wort „to tress“
• Wortwahrnehmung � Verstehen � keine Informationsaufnahme, sondern ein Vorgang der Ambiguitätsauflösung, bzw. aktiven Ordnungsbildung
Kommunikation
Schlussfolgerung für die
Kommunikation
� Wir Menschen müssen unsere eigene
Welt konstruieren um zu überleben!
Emotionen – der Placebo-Effekt
Gedächtnis
• Erneuter Ausgansgpunkt: Realismus• Erinnerung ist nicht getreue Reproduktion,
sondern unterliegt starken Veränderungen• Bsp. Zeugenaussagen• Unstrukturiertes Gedächtnismaterial wird
immer strukturiert wiedergegeben (zwei Geschichten in einem Buch/Film) [„Bereichsbildung im Spurenfeld“]
• Computeranalogie passt nicht auf unser Gedächtnis
Menschliche Erlebniswirklichkeit = Produkt eines kognitiven
Konstruktionsprozesses
Problem I
Wie ist Kommunikation zwischen den verschiedenen kognitiven Systemen
möglich?
Problem II
Unter welchen Bedingungen halten wiretwas für real?
Empirisches Arbeiten
• Reality testing (Wirklichkeitsüberprüfung)• Reality decision (Wirklichkeitsentscheidung)
Oswald KülpeWolfgang Metzger
� unter welchen Kriterien wird ein Ereignis als wirklich bzw. unwirklich eingestuft?
Oswald Külpe
• 1902• Unterscheidbarkeit „objektiver“ und
„subjektiver“ phänomenaler Gegebenheiten beruht auf der Anwendung innerkognitiver Kriterien
• Beispiel „Banane“� Grenze zwischen Wahrnehmung und
Vorstellung ist nicht eindeutig gezogen
Wolfgang Metzger
• Wirklichkeitseindruck eines Gegenstandes kann unter bestimmten Bedingungen auf seinen Schatten übergehen
• Beispiel: „weißer Drahtwürfel“�Der Schatten wird zum Objekt und das Objekt
zum Schatten
Wirklichkeitskriterien
• Wahrnehmungsebene: strukturiert, konturiert, über mehrere Sinnesmodalitäten gleichzeitig erlebbar
• Bedeutungsebene: bedeutungs- und ausdruckshaltig, attraktiv, passt widerspruchsfrei in den Wahrnehmungskontext
• Handlungsebene: Ereignisse werden in Ursache- Wirkungszusammenhänge eingebettet, Eigenschaften oder Verhaltensweisen sind vorhersagbar
Radikaler Konstruktivismus
– Vorwurf I
Menschliche Erlebniswelt wird von jedem beliebig konstruiert
Radikaler Konstruktivismus
– Vorwurf II
Kein Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen und persönlichen Werten, da Beliebigkeit vorgeworfen
wird
� Wie würden die Konstruktivisten die Möglichkeit der Kommunikation zwischen mehreren kognitiven
Systemen erklären?
Kommunikation ist möglich, da…
• …gesellschaftliche Maßstäbe gesetzt werden• Die Maßstäbe haben sich evolutionär entwickelt• Der Mensch wird also in einen Diskurs
hineingeboren• Es erfolgt die völlige Übernahme dieser
Maßstäbe
Radikaler Konstruktivismus
– Vorwurf III
• Neurophysiologische Vorgänge werden als Beweis benutzt
� Man benutzt ein Konstrukt als Beweis, dass die Welt ein Konstrukt ist
Pro-Argumente
• Psychologische und physiologische Erkenntnisse werden in eine widerspruchsfreie Ordnung zueinander gebracht
• Theoretische Selbstbezüglichkeit des radikalen Konstruktivismus
• Das Menschenbild des Konstruktivismus: Der Mensch ist autonom, zwischenmenschliche Kommunikation verlangt gegenseitige Akzeptanz
„Dass die Welt eine Erfindung ist, ist eine Erfindung!“