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E twa 15 Kilometer nordöstlich der türkischen Stadt S ¸ anlıurfa liegt auf einem weithin sichtba- ren Bergrücken der steinzeitliche Fundplatz Göbekli Tepe. Auf einer Fläche von etwa 9 Hektar sind seine bis zu 15 Meter mächtigen Ablage- rungsschichten aus mehreren Jahr- tausenden erhalten. Der Ort hat bis heute nichts von seiner magischen Anziehungskraft verloren. So steht auf der Bergkuppe ein Wunsch- baum, der noch immer von Bewoh- nern aus der Umgebung aufgesucht wird. Hier fanden Archäologen ein wichtiges Puzzlestück der frühen Menschheitsgeschichte, das zu einem völlig neuen Verständnis des Prozesses der Sesshaftwerdung und des beginnenden Ackerbaus bei- trägt. Doch der mit zahllosen Stein- geräten, aber auch mit großformati- gen, regelmäßig geformten Werk- steinen übersäte Hügel sollte erst mit den Ausgrabungen, die seit 1995 jährlich fortgeführt werden, sein Geheimnis offenbaren. Erstaunlicherweise konnte bisher keine Wohnbebauung festgestellt werden. Dafür wurden inzwischen mindestens zwei Phasen monumen- taler Sakralarchitektur freigelegt. Hiervon beeindruckt insbesondere die bisher älteste Schicht mit ihren reich bebilderten monolithischen Pfeilern. Die Bauten dieser Schicht sind kreisförmig mit einem Durch- messer von über 20 Metern aus Bruchsteinen gemauert. Beeindru- ckend ist ihr Alter, das auf das 10. Jahrtausend vor Christus bestimmt werden konnte, einer Zeit, in der die Menschen noch als Jäger und Sammler lebten. Es wurde damit eine steinzeitliche Schicht freige- legt, in der sich die sogenannte neo- lithische Revolution vollzog. Denn schon die nächstjüngere Schicht ist auf das 9. Jahrtausend zu datieren. Für dieses Jahrtausend ist bereits die Nutzung von einigen Tier- und Pflanzenarten belegt sowie aufwen- dig gestaltete Siedlungen, wie zum Beispiel das etwa 50 Kilometer wei- ter nördlich gelegene Nevalı Çori. Die dortigen Ausgrabungen, die in den 80er Jahren bereits für Aufse- hen sorgten, öffneten erstmals ein Fenster zu einer bis dahin nicht ge- ahnten Welt steinzeitlicher Kultur. Die in Nevalı Çori mehrfach aus- gegrabene Wohnhausform mit Geisteswissenschaften 12 Als die Menschen sesshaft wurden Wege zur frühen Menschheitsgeschichte: Am Göbekli Tepe in Anatolien legen Archäologen einzigartige steinzeitliche Monumente frei. Sie tragen zu einem neuen Verständnis der Siedlungsgeschichte und des beginnenden Ackerbaus bei Blick auf den Göbekli Tepe im südosttürkischen Taurusvorland. Der etwa 300 Quadratmeter große archäologische Fundplatz liegt auf dem höchsten Punkt eines langgestreckten Bergzugs. Auf der Bergkuppe steht heute ein weithin sichtbarer „Wunschbaum“, der noch immer von Bewohnern aus der Umgebung aufgesucht wird. forschung 2 / 2007

Als die Menschen sesshaft wurden

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Page 1: Als die Menschen sesshaft wurden

Etwa 15 Kilometer nordöstlichder türkischen Stadt Sanlıurfaliegt auf einem weithin sichtba-

ren Bergrücken der steinzeitlicheFundplatz Göbekli Tepe. Auf einerFläche von etwa 9 Hektar sind seinebis zu 15 Meter mächtigen Ablage-rungsschichten aus mehreren Jahr-tausenden erhalten. Der Ort hat bisheute nichts von seiner magischenAnziehungskraft verloren. So stehtauf der Bergkuppe ein Wunsch-baum, der noch immer von Bewoh-nern aus der Umgebung aufgesuchtwird.

Hier fanden Archäologen einwichtiges Puzzlestück der frühenMenschheitsgeschichte, das zueinem völlig neuen Verständnis desProzesses der Sesshaftwerdung unddes beginnenden Ackerbaus bei-trägt. Doch der mit zahllosen Stein-geräten, aber auch mit großformati-gen, regelmäßig geformten Werk-steinen übersäte Hügel sollte erstmit den Ausgrabungen, die seit1995 jährlich fortgeführt werden,sein Geheimnis offenbaren.

Erstaunlicherweise konnte bisherkeine Wohnbebauung festgestelltwerden. Dafür wurden inzwischenmindestens zwei Phasen monumen-taler Sakralarchitektur freigelegt.

Hiervon beeindruckt insbesonderedie bisher älteste Schicht mit ihrenreich bebilderten monolithischenPfeilern. Die Bauten dieser Schichtsind kreisförmig mit einem Durch-messer von über 20 Metern ausBruchsteinen gemauert. Beeindru-ckend ist ihr Alter, das auf das 10.Jahrtausend vor Christus bestimmtwerden konnte, einer Zeit, in derdie Menschen noch als Jäger undSammler lebten. Es wurde damiteine steinzeitliche Schicht freige-legt, in der sich die sogenannte neo-lithische Revolution vollzog. Denn

schon die nächstjüngere Schicht istauf das 9. Jahrtausend zu datieren.Für dieses Jahrtausend ist bereitsdie Nutzung von einigen Tier- undPflanzenarten belegt sowie aufwen-dig gestaltete Siedlungen, wie zumBeispiel das etwa 50 Kilometer wei-ter nördlich gelegene Nevalı Çori.Die dortigen Ausgrabungen, die inden 80er Jahren bereits für Aufse-hen sorgten, öffneten erstmals einFenster zu einer bis dahin nicht ge-ahnten Welt steinzeitlicher Kultur.

Die in Nevalı Çori mehrfach aus-gegrabene Wohnhausform mit

Geisteswissenschaften

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Als die Menschensesshaft wurdenWege zur frühen Menschheitsgeschichte: Am Göbekli Tepe in Anatolien legenArchäologen einzigartige steinzeitliche Monumente frei. Sie tragen zu einem neuenVerständnis der Siedlungsgeschichte und des beginnenden Ackerbaus bei

Blick auf den Göbekli Tepe imsüdosttürkischen Taurusvorland. Der etwa

300 Quadratmeter große archäologischeFundplatz liegt auf dem höchsten Punkteines langgestreckten Bergzugs. Auf der

Bergkuppe steht heute ein weithinsichtbarer „Wunschbaum“, der noch

immer von Bewohnern aus der Umgebung aufgesucht wird.

forschung 2/2007

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einem vorgelagerten Wohnraumund einem langrechteckigen hinte-ren Bereich für die Vorratshaltung,kann als Urform des heute noch be-kannten anatolischen Bauernhau-ses gelten. Schon damals konntendie Häuser bis zu 6 Meter breit und18 Meter lang angelegt sein.

Nevalı Çori wurde 1992 von denFluten des Atatürk-Stausees ver-schlungen. Gut erhalten, aber nochvöllig unerforscht ist der etwa 50 Ki-lometer südöstlich des GöbekliTepe gelegene Karahan Tepe, derhunderte von T-förmige Pfeilernaufweist. Wohnbauten wie inNevalı Çori scheinen in Karahanvöllig zu fehlen. Ähnliches gilt fürden Sefer Tepe, der etwa 80 Kilo-meter östlich vom Göbekli Tepeliegt. An diesem sehr kleinen, eben-

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Steinpfeiler in monumentaler Form sinddas Charakteristikum des Fundortes Göbekli Tepe. Zahlreiche, noch immer gutsichtbare Tierdarstellungen sind auf diesenzu finden. Links: Markanter T-Pfeiler mitentenartigen Vögeln, Kranichen, gedreh-ten H-Zeichen und Schlangen. Daneben:Ein steinzeitlicher Pfeiler, der einen Bullen,einen Fuchs und einen Kranich zeigt.

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falls unerforschten Platz gibt eszahlreiche T-Pfeiler, aber wahr-scheinlich keine Wohnbebauung.Dies wiederholt sich am GöbekliTepe: Die für steinzeitliche Plätzecharakteristischen Siedlungsspu-ren, Gruben, Feuerstellen oderWohnhäuser fehlen bisher. Auchwenn die Forschungsergebnissenoch abzuwarten sind, so scheint esverschiedene Arten von Orten ge-geben zu haben: echte Siedlungenwie Nevalı Çori und rein religiösePlätze wie Göbekli Tepe, SeferTepe oder Karahan Tepe.

Die Steinpfeiler sind das beson-dere Charakteristikum dieser Fund-orte. Nur am Göbekli Tepe treten siein monumentaler Form auf. Es han-delt sich bei den Pfeilern zweifels-frei um Abstraktionen von Men-schen, um steinerne menschenähn-liche Wesenheiten. Sowohl inNevalı Çori als auch in GöbekliTepe konnten an einzelnen PfeilernDarstellungen von Armen und Hän-den an den Seiten entdeckt werden.Der Kopf wird mit einer zum Inne-ren des Rundbaus hingewandten

längeren Gesichtspartie und einemkürzeren Hinterkopf, wie es den na-türlichen Proportionen entspricht,durch den T-Balken wiedergege-ben. Eine Unterscheidung des Ge-schlechts war offensichtlich nichtvorgesehen. Ebenso war offenbardie stark reduzierte Art der Darstel-lung beabsichtigt, beweisen dochdie übrigen Funde von Statuen oderdie Reliefs durchaus die Fähigkeitder Künstler zum Naturalismus. DieSteinpfeiler stellen womöglichAhnen, Totengeister oder Dämonendar, die daherunspezifisch inihrer Gestalt blei-ben.

Als Attributoder Kleidungs-stück kann dieStola bezeichnetwerden, die aneinzelnen Pfei-lern zu erkennenist. Sie könnte nur von bestimmtenPersonen als Kultgewand getragenworden sein. Zu einem solchen Ge-wand gehörten eventuell auch dieSteinknöpfe, die nur in GöbekliTepe in größerer Zahl vorkommen.

Den Pfeilerpaaren in der jeweili-gen Raummitte, die alle übrigenPfeiler um einiges überragen, wirdebenfalls eine übergeordnete Rollezuzuschreiben sein. Viele Volksmy-then beschäftigen sich mit Zwil-lings- oder Geschwisterpaaren.Außerdem könnte in ihnen auchschlicht der klassische Dualismus

von Mann und Frau wiedergegebensein.

Die Reliefs allerdings, die die in-zwischen 44 Pfeiler der älterenSchicht des Göbekli Tepe häufigschmücken, zeigen bis auf eineAusnahme ausschließlich Tierdar-stellungen. Bei der bisher einzigenMenschendarstellung handelt essich um einen – vermutlich kopflo-sen – Mann. Auch die Tiere sind, so-weit erkennbar, männlichen Ge-schlechts: Fuchs und Keiler, Entenund Kraniche, Löwe und Wildesel,

Schlangen, Spin-nen und Skor-pione. EinigeTiere, denenman in den meis-ten Fällen eineAngst einflößen-de, abwehrendeWirkung zu-schreiben kann,mögen als Wäch-

ter gedient haben. Unklar bleibt, obdie Reliefdarstellungen als Attributdes jeweiligen „Pfeilerwesens“ zuwerten sind oder ob sie Teil einesMythenzyklus sind. Die Tierdarstel-lungen sind naturalistisch und ent-sprechen der damaligen Tierwelt.Doch müssen die dargestelltenTiere nicht unbedingt eine heraus-gehobene Rolle im Alltag der Men-schen, etwa als Jagdtiere, gespielthaben. Sie waren eher Teil einermythologischen Welt, wie sie unsbereits in der Höhlenmalerei be-gegnet. Wichtig ist, dass – mit der

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Vermutlich geben diesteinernen Pfeiler am Göbekli Tepe Ahnen,Totengeistern oder auchDämonen eine Gestalt

Kreisförmige Pfeileranlage vom GöbekliTepe. Rechts: Neben steinernen Pfeilern

sind auch Rundplastiken anzutreffen – hierein überlebensgroßer menschlicher Kopf.

Auffälligerweise präsentieren die steinzeit-lichen Zeugnisse bislang keine eindeutig

erkennbaren weiblichen Motive, und zwarweder unter den menschen- noch den

tierähnlichen Darstellungen.

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Ausnahme tierköpfiger, menschen-gestaltiger Wesen – Misch- oder Fa-belwesen, wie zum Beispiel Sphin-gen oder Kentauren, geflügelteStiere oder Pferde, in der prähistori-schen Ikonographie und somit My-thologie noch nicht vorkommen. Siesind als Geschöpfe der später ent-stehenden Hochkulturen zu erken-nen.

In Göbekli Tepe fehlen auch ein-deutig erkennbare weibliche Moti-ve, sowohl unter den tier- als auchden menschenähnlichen Darstel-lungen. In Nevalı Çori dagegensind unter den sonst bisher nir-gends so zahlreich gefundenenkleinen Terrakotten – 700 an derZahl – zu gleichen Teilen männli-che und weibliche Figuren belegt.Zu über 95 Prozent handelt es sichum menschenähnliche Objekte.Bemerkenswert ist das vollständi-ge Fehlen solcher Terrakotten inGöbekli Tepe, sowohl in der jünge-ren wie in der älteren steinzeit-lichen Schicht. Sicherlich spiegeltsich hierin die unterschiedlicheFunktion der Kultanlagen beiderOrte wieder: Während die Anlagendes Göbekli Tepe möglicherweisemit Bestattungssitten in Verbin-dung standen, lassen sich in NevalıÇori eine dörfliche Siedlung unddas tägliche Leben untersuchen.Nicht unwesentlich ist hierbei die

Verwendung des Rohstoffes Tonfür die hier aufgefundenen weib-lichen und männlichen Figuren.Die ebenfalls gefundenen Steinfi-gürchen zeigen ein völlig anderes,wesentlich reichhaltigeres ikono-graphisches Repertoire, das denMotivschatz der großen Stein-skulpturen und der Reliefs wieder-holt.

Für die moderne Archäologie istvon großem Nutzen, dass insbe-sondere die Kreisanlagen der

älteren Schicht vom Göbekli Tepenoch in der Steinzeit vollständigverfüllt wurden. Die alten, in denGrabungen zu beobachtendenOberflächen und die im Sedimententstehenden Prozesse sind Gegen-stand bodenkundlicher Untersu-chungen und erlauben eine Datie-rung der Verfüllungsvorgänge.Darüber hinaus lässt der Umstanddes Verfüllens auch einigen Spiel-raum für Interpretationen: Wurdemit der Anlage auch die alte Reli-gion begraben? Gehörte der Vor-gang des Verfüllens zu einem be-stimmten Ritual? Wurde dieses Ri-tual mehrfach wiederholt?

Es ist davon auszugehen, dasssich am Göbekli Tepe noch weitausältere Spuren und Bauten findenlassen. Eine mehrtausendjährigeGeschichte des Platzes ist zu vermu- 15

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Aktuelle Grabungsansicht vom GöbekliTepe. Für die archäologische Grundlagen-forschung ist von großem Nutzen, dass einige Kreisanlagen und Bauensembles derälteren Überlieferungsschicht noch in derSteinzeit vollständig verfüllt wurden. Vonzukünftigen Grabungskampagnen erhof-fen sich die Archäologen, noch ältere Spuren der Menschheits- und Kulturge-schichte zu finden.

ten, die bis in die Altsteinzeit zu-rückreicht. Der Göbekli Tepe lehrteinen neuen Blick auf die Gesell-schaft des frühen Neolithikums: Esmuss eine Spezialisierung auf be-stimmte Aufgaben möglich gewe-sen sein, sodass Mitglieder der Ge-meinschaft in der Lage waren, dieMonumente zu errichten und siereich auszugestalten. Weiterhinmüssen die Menschen eine hoch-komplexe Mythologie gehabthaben, was die Fähigkeit zur Ab-straktion mit einschloss. WeitereForschungen werden nähere Aus-künfte dazu geben.

Prof. Dr. Klaus SchmidtDeutsches Archäologisches Institut, Berlin

Die Ausgrabungen am Göbekli Tepe sind eintürkisch-deutsches Gemeinschaftsprojekt desMuseums in Sanlıurfa und des DAI. Die DFGfördert das Vorhaben im Normalverfahren.