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Algebra SS 2017 (Prof. Henke) Mitschrift David Holzmüller, Korrekturen Sam Thelin 4. September 2017

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Algebra SS 2017 (Prof. Henke)

Mitschrift David Holzmüller, Korrekturen Sam Thelin

4. September 2017

Inhaltsverzeichnis

1 Gruppen 3

2 Untergruppen 8

3 Erzeugendensysteme von Gruppen 12

4 Normalteiler und Quotientengruppe 16

5 Isomorphiesätze 21

6 Endlich erzeugte abelsche Gruppen 26

7 Operationen von Gruppen auf Mengen 30

8 Sylowsätze 35

9 Auflösbare Gruppen 40

10 Ringe und Ideale 45

11 Struktursätze für Ringe 50

12 Einheiten und Nullteiler 56

13 Polynomringe 61

14 Euklidische Ringe 66

15 Maximale Ideale und Primideale 70

16 Faktorielle Ringe 74

17 Polynomringe über faktoriellen Ringen 78

18 Faktorisieren in Polynomringen 83

19 Körpererweiterungen 87

20 Einfache Körpererweiterungen 92

21 Konstruktionen mit Zirkel und Lineal 96

1

INHALTSVERZEICHNIS 2

22 Algebraischer Abschluss 101

23 Endliche Körper 105

24 Galoiserweiterungen 109

25 Hauptsatz der Galoistheorie 114

26 Kreisteilungspolynome 119

27 Auflösbarkeit von Polynomgleichungen 123

Kapitel 1

Gruppen

Definition 1.1 (Gruppe). Eine Gruppe (G, ∗) ist eine Menge G mit einer binären Ver-knüpfung ∗ : G × G → G, (g, h) �→ g ∗ h, sodass gilt:

(G1) (a ∗ b) ∗ c = a ∗ (b ∗ c) für alle a, b, c ∈ G.

(G2) Es existiert e ∈ G, sodass für alle a ∈ G gilt: a ∗ e = a = e ∗ a.

(G3) Für alle a ∈ G existiert a′ ∈ G mit a ∗ a′ = e = a′ ∗ a.

Falls zusätzlich gilt:

(G4) a ∗ b = b ∗ a für alle a, b ∈ G,

so heißt G kommutativ/abelsch. Wir nennen e neutrales Element, a′ inverses Element zua. |G| heißt Ordnung der Gruppe G. Notation: Schreibe G statt (G, ∗). Die Verknüpfung∗ ist oft + oder ·. Man spricht entsprechend von einer additiven beziehungsweise einermultiplikativen Gruppe. Wird die Gruppe additiv geschrieben, dann schreiben wir meist0 und −a statt e und a′. In der multiplikativen Schreibweise schreiben wir 1 und a−1 statte und a′. Schreibe auch ab statt a · b. Schreibe a − b := a + (−b). (Brüche werden nichtgeschrieben.)

Bemerkung 1.2.

(a) Das neutrale Element ist eindeutig: Seien e, f neutrale Elemente in G, dann folgte = e∗f = f . Beim ersten Gleichheitszeichen benutzt man, dass f neutrales Elementist; beim zweiten Gleichheitszeichen benutzt man, dass e neutrales Element ist.

(b) Sei a ∈ G. Das inverse Element a′ zu a ist eindeutig: Seien a′, a′′ Inverse zu a. Danngilt:

a′ = a′e = a′(aa′′) = (a′a)a′′ = ea′′ = a′′ .

(c) Es gilt (a−1)−1 = a und (ab)−1 = b−1a−1.

Beispiel 1.3.

(1) G = {e} mit e ∗ e = e, die „triviale Gruppe“, ist eine abelsche Gruppe. Die leereMenge ist keine Gruppe.

3

KAPITEL 1. GRUPPEN 4

(2) Ist (R, +, ·) ein Ring, dann ist (R, +) eine abelsche Gruppe, z. B. Z,Zn,Q,R,C. Ist(K, +, ·) eine Körper, dann ist (K, +) eine abelsche Gruppe und (K×, ·) eine abelscheGruppe, wobei K× = K \ {0}, z. B. Q,R,C,Zp, p Primzahl.

Beispiel 1.4.

(1) Ist (V, +, ·) ein Vektorraum, dann ist (V, +) eine abelsche Gruppe. Insbesondere istMn(K) = {n × n-Matrizen über dem Körper K} ein Vektorraum, also eine Gruppebezüglich Matrixaddition.

(2) Die „allgemeine lineare Gruppe“:

• GL(V ) := {f : V → V | f linear und bijektiv} mit Komposition von Abbil-dungen ist eine Gruppe (im Allgemeinen nicht abelsch). Neutrales Element istid : V → V, x �→ x. Eine Abbildung ist bijektiv genau dann, wenn sie invertier-bar ist. Das Inverse zu einem Element f ∈ GL(V ) ist seine Umkehrfunktionf−1.

• GLn(K) := {n × n-Matrizen über K, die invertierbar sind} mit Matrixmulti-plikation ist eine Gruppe. Das neutrale Element ist In. Im Allgemeinen giltAB �= BA. Ist |K| = ∞, so enthält GLn(K) unendlich viele Elemente. Ist|K| = q, dann gilt

| GLn(K)| = (qn − 1)(qn − q)(qn − q2) · · · (qn − qn−1).

Beweis: Eine n × n-Matrix ist invertierbar, genau dann, wenn sie aus n linearunabhängigen Zeilenvektoren besteht. Es gibt qn verschiedene Vektoren im Kn.Um eine invertierbare Matrix zu bilden, darf die i-te Zeile nicht im Span deri − 1 Zeilen davor liegen; letzterer Span hat qi−1 Elemente.

(3) Definiere die spezielle lineare Gruppe SLn(K) := {A ∈ GLn(K) | det(A) = 1},die orthogonale Gruppe On(K) := {A ∈ GLn(K) | AA� = In} und die spezielleorthogonale Gruppe SOn(K) = {A ∈ On(K) | det(A) = 1} = SLn(K)∩On(K). Diessind Gruppen. Zum Beispiel ist SLn(K) abgeschlossen bezüglich Multiplikation undInversenbildung, da die Determinante multiplikativ ist.

Beispiel 1.5.

(a) Sei X �= ∅ eine Menge. Definiere SX := {f : X → X | f bijektiv}. Dann ist (SX , ◦)mit der Komposition von Abbildungen eine Gruppe. Hierbei ist

(f ◦ g)(x) := f(g(x))

für alle x ∈ X und f, g ∈ SX . SX heißt symmetrische Gruppe auf X. NeutralesElement ist idX . Die Inverse zu f ist die Umkehrfunktion f−1. Es ist SX abelsch,genau dann, wenn |X| ∈ {1, 2}.

(b) Sei X = {1, . . . , n}, für n ∈ N. Dann heißt Sn := S{1,...,n} symmetrische Gruppe vomGrad n. Es gilt |Sn| = n!. Elemente in Sn heißen Permutationen. Wir benutzen diefolgenden beiden Notationen für Permutationen:Matrixnotation: Sei σ : {1, . . . , n} → {1, . . . , n} mit σ(1) = a1, . . . , σ(n) = an.Schreibe kurz

σ =[

1 . . . na1 . . . an

].

KAPITEL 1. GRUPPEN 5

Zykelnotation: Sei {a1, . . . , ar} ⊆ {1, . . . , n} mit paarweise verschiedenen Zah-len ai. Definiere den r-Zykel σ = (a1 . . . ar) als die Abbildung σ : {1, . . . , n} →{1, . . . , n} mit

a1 �→ a2

a2 �→ a3...

ar �→ a1

und σ(a) = a für alle a ∈ {1, . . . , n}\{a1, . . . , ar}. r heißt Länge des Zykels (a1 . . . ar).2-Zykel heißen Transpositionen. Zum Beispiel sei

σ =[1 2 3 4 53 4 1 5 2

],

dann ist σ = (13)(245). Zwei Zykel (a1 . . . ar) und (b1 . . . bs) heißen disjunkt, falls{a1, . . . , ar} ∩ {b1, . . . , bs} = ∅. Man sieht leicht: Disjunkte Zykel kommutieren.Jede Permutation lässt sich eindeutig als Produkt disjunkter Zykel schreiben: Seiσ ∈ Sn. Betrachte die Menge {a, σ(a), σ2(a), . . .} ⊆ {1, . . . , n}. Es gibt in der erstenMenge Wiederholungen. Angenommen, σi(a) = σj(a) mit i < j. Nach Multiplika-tion mit σ−i = (σ−1)i folgt a = σj−i(a). Sei k ≥ 1 minimal mit σk(a) = a. Dannist {a, σ(a), σ2(a), . . .} = {a, σ(a), σ2(a), . . . , σk−1(a)}. Wiederholt man obiges Argu-ment, so sieht man: alle Zahlen in der zweiten Menge sind verschieden. Wir erhaltenalso den Zykel (a, σ(a), σ2(a), . . . , σk−1(a)). Wiederhole nun diesen Vorgang mit ei-nem Element in {1, . . . , n}\{a, σ(a), σ2(a), . . . , σk−1(a)}.Sei σ = σ1 · · · σk Darstellung von σ als Produkt disjunkter Zykeln der Längenl1, . . . , lk. Ohne Einschränkung sei l1 ≥ . . . ≥ lk. Dann heißt (l1, . . . , lk) Zykeltypvon σ. Also hat σ = (13)(245) = (245)(13) den Zykeltyp (3, 2). Es ist (l1, . . . , lk) isteine Partition von n.

Bemerkung 1.6.

(a) Sei G eine Gruppe, a ∈ G. Die Abbildungen ra : G → G, x �→ x · a und la : G →G, x �→ a · x sind bijektive Abbildungen, denn (ra)−1 = ra−1 und (la)−1 = la−1 .

(b) Eine Gruppentafel/Multiplikationstafel von G ist eine Matrix, deren Zeilen und Spal-ten durch die Elemente von G indiziert sind. Die Einträge in „Zeile a“ sind die Bilderunter der Abbildung la von G. Die Einträge in „Spalte a“ sind die Bilder unter derAbbildung ra von G. Aus (a) folgt, dass in jeder Zeile/Spalte jedes Element aus Ggenau einmal vorkommt; eine solche Matrix nennt man auch „lateinisches Quadrat“.

(c) Beispiele: Für |G| = 1, 2, 3 gibt es jeweils genau eine Multiplikationstafel:

· 11 1

· 1 a1 1 aa a 1

· 1 a b1 1 a ba a b 1b b 1 a

=

· 1 a a2

1 1 a a2

a a a2 1a2 a2 1 a

KAPITEL 1. GRUPPEN 6

Die Multiplikationstafel für drei Elemente wurde hierbei mit a2 = b umgeschrieben.Dies entspricht dem Rechnen modulo drei. Für |G| = 4 gibt es zwei verschiedeneGruppentafeln. Diese zu finden, ist eine gute Übungsaufgabe. Hier ein erster Hinweisdazu: Sei G = {1, a, b, c}. Die erste Zeile und erste Spalte der Multiplikationstafelergibt sich durch Multiplikation mit dem neutralen Element 1. Um die Matrix weiterauszufüllen, müssen wir nun Fälle unterscheiden. Betrachten Sie als ersten Fall:a · b = 1. Warum gilt dann auch b · a = 1? Füllen Sie nun den Rest der Matrix mitHilfe der lateinischen-Quadrat-Eigenschaft aus. Welche Fälle müssen als nächstesbetrachtet werden? Obwohl es mehr als zwei Fälle sind, warum gibt es nur zweiverschiedene Multiplikationstafeln?

Bemerkung 1.7. Seien G, H Gruppen. Eine Abbildung ϕ : G → H heißt (Grup-pen)homomorphismus, falls

ϕ(x ·G y) = ϕ(x) ·H ϕ(y)

für alle x, y ∈ G. Falls zusätzlich

• ϕ injektiv ist, heißt ϕ Monomorphismus.

• ϕ surjektiv ist, heißt ϕ Epimorphismus.

• ϕ bijektiv ist, heißt ϕ Isomorphismus.

• G = H ist, heißt ϕ Endomorphismus.

• ϕ bijektiv und G = H ist, heißt ϕ Automorphismus.

Gruppe G heißt isomorph zu Gruppe H , falls es einen Isomorphismus ϕ : G → H gibt;schreibe dafür auch G H .

Beispiel 1.8. Seien V, W K-Vektorräume.

(1) Ist T : V → W linear, dann ist T ein Gruppenhomomorphismus, denn T (v + w) =Tv + Tw.

(2) Sei n ∈ N, dann ist det : (GLn(K), ·) → (K×, ·) ein Gruppenhomomorphismus,denn det(AB) = det(A) det(B).

Bemerkung 1.9.

(a) Sei ϕ : G → H ein Gruppenhomomorphismus, dann gilt für alle g ∈ G:

ϕ(1G) = 1H und ϕ(g−1) = ϕ(g)−1.

(b) Die Komposition zweier Gruppenhomomorphismen ist ein Gruppenhomomorphis-mus. Das Inverse eines bijektiven Gruppenhomomorphismus ist ein Gruppenhomo-morphismus. Isomorphie ist also eine Äquivalenzrelation. Die Äquivalenzklassen un-ter dieser Äquivalenzrelation heissen Isomorphieklassen.

(c) Isomorphe Gruppen verhalten sich oft gleich: Gilt eine Aussage für eine Gruppe G,dann auch für alle dazu isomorphen Gruppen. Zum Beispiel: Isomorphe Gruppen ha-ben „im Wesentlichen“ dieselbe Multiplikationstafel: Ist ϕ : G → H ein Isomorphis-mus, so gilt insbesondere ϕ(xy) = ϕ(x)ϕ(y). Damit sehen die Multiplikationstafelnder isomorphen Gruppen G und H wie folgt aus:

KAPITEL 1. GRUPPEN 7

·G y

x x · yund

·H ϕ(y)

ϕ(x) ϕ(x · y).

Macht man in der Gruppentheorie Eindeutigkeitsaussagen, so bedeutet dies oft Ein-deutigkeit bis auf Isomorphie.

Beweis zu (a): Es gilt

ϕ(1) = ϕ(1 · 1) = ϕ(1) · ϕ(1) ,

also nach Multiplikation mit ϕ(1)−1 auch 1 = ϕ(1)ϕ(1)ϕ(1)−1 = ϕ(1).Außerdem gilt

ϕ(g)ϕ(g−1) = ϕ(gg−1) = ϕ(1) = 1 = ϕ(1) = ϕ(g−1g) = ϕ(g−1)ϕ(g) .

Da das Inverse eines Gruppenelementes eindeutig bestimmt ist, folgt, dass ϕ(g−1)das Inverse zu ϕ(g) sein muss.

Kapitel 2

Untergruppen

Definition 2.1. Sei G eine Gruppe, U ⊆ G eine Teilmenge. Dann heißt U Untegruppevon G (U ≤ G), wenn gilt:

(U1) U �= ∅,

(U2) a, b ∈ U ⇒ ab ∈ U ,

(U3) a ∈ U ⇒ a−1 ∈ U .

Bemerkung 2.2. Sei G eine Gruppe.

(a) Sei U ≤ G Untergruppe. Dann ist U eine Gruppe im Sinne von Definition 1.1.

(b) Seien A, B ⊆ G, c ∈ G. Definiere

A · B := {a · b | a ∈ A, b ∈ B}c · B := {c · b | b ∈ B} = {c} · B

B · c := B · {c}A−1 := {a−1 | a ∈ A} .

Dann gilt:

(i) U ≤ G ⇔ U �= ∅, U · U ⊆ U, U−1 ⊆ U ⇔ 1G ∈ U, U · U ⊆ U, U−1 ⊆ U .(ii) U ≤ G impliziert U−1 = U (und U · U = U). Siehe Bemerkung 1.2(c).

Beispiel 2.3.

(a) Sei G eine Gruppe. Dann ist {1} ≤ G und G ≤ G.

(b) Es gilt (Z, +) ≤ (Q, +) ≤ (R, +) ≤ (C, +). Außerdem ist ({−1, 1}, ·) ≤ (Q×, ·) ≤(R×, ·) ≤ (C×, ·) und ({1, −1, i, −i}, ·) ≤ (C×, ·).

Beispiel 2.4. Die Untergruppen von (Z, +) sind genau die Teilmengen d · Z, für d ∈ Z(oder d ∈ N0).

Beweis. (a) Behauptung: Sei d ∈ Z. Dann ist (dZ, +) ≤ (Z, +).

Beweis.

8

KAPITEL 2. UNTERGRUPPEN 9

(U1) 0 = d · 0 ∈ dZ ⇒ dZ �= ∅.(U2) dz1 + dz2 = d(z1 + z2) ∈ dZ.(U3) Es gilt −(dz) = d(−z) ∈ dZ.

(b) (i) Sei U ⊆ Z, U �= {0} und U ≤ Z. Dann existiert u ∈ U mit u �= 0 und −u ∈ U .Somit gilt U ∩ N �= ∅. Sei also d := min(U ∩ N).

(ii) Behauptung: dZ = U .

Beweis. „⊆“: Da U Gruppe ist, gilt U + U ⊆ U , −U ⊆ U . Nach Definition istd ∈ U . Daraus folgt d, d+d, d+d+d, . . . ∈ U und −d, −d−d, −d−d−d, . . . ∈ U ,also dZ ⊆ U .„⊇“: Sei u ∈ U , dann existiert z ∈ Z mit u = dz+r, und mit 0 ≤ r < d (Divisionmit Rest). Da U eine Gruppe ist, folgt r = u − dz ∈ U . Da d = min(U ∩ N)gilt, ist r = 0, also u = dz ∈ dZ. Dies zeigt U ⊆ dZ.

Damit ist U = dZ gezeigt.

Bemerkung 2.5. Sei ϕ : G → H ein Gruppenhomomorphismus. Dann heißt Ker(ϕ) ={g ∈ G | ϕ(g) = 1H} Kern von ϕ und im(ϕ) = {ϕ(g) | g ∈ G} Bild von ϕ.Dann ist ϕ injektiv genau dann, wenn Ker(ϕ) = {1G}. Und ϕ ist surjektiv, genau dann,wenn im(ϕ) = H .

Beweis. Wir wissen ϕ(1) = 1.

(i) Sei ϕ injektiv. Sei a ∈ Ker(ϕ). Dann folgt ϕ(a) = 1 = ϕ(1), also a = 1.

(ii) Sei Ker(ϕ) = {1} und ϕ(x) = ϕ(y). Dann ist 1 = ϕ(x)ϕ(y)−1 = ϕ(xy−1), alsoxy−1 ∈ Ker(ϕ) = {1}, also xy−1 = 1 und damit x = y.

Lemma 2.6. Sei ϕ : G → H ein Homomorphismus. Dann ist

Ker(ϕ) ≤ G und im(ϕ) ≤ H.

Beweis. Da 1 = ϕ(1) ist, folgt Ker(ϕ) �= ∅. Seien x, y ∈ Ker(ϕ), d. h. 1 = ϕ(x) = ϕ(y),dann ist ϕ(xy) = ϕ(x)ϕ(y) = 1 · 1 = 1 und damit xy ∈ Ker(ϕ). Außerdem ist ϕ(x−1) =ϕ(x)−1 = 1−1 = 1, also x−1 ∈ Ker(ϕ).Der Teil im(ϕ) ≤ H bleibt dem Leser als Übungsaufgabe überlassen.

Beispiel 2.7.

(i) Sei σ ∈ Sn. Definiere sgn(σ) := (−1)ω(σ), wobei

ω(σ) := |{(i, j) | 1 ≤ i < j ≤ n, σ(j) < σ(i)}|die Anzahl der Fehlstellen/Fehlstellungen von σ ist. Dann ist

sgn(σ) =∏i<j

σ(i) − σ(j)i − j

.

Beispiel:

σ =[1 2 33 2 1

]= (13)(2) = (13) .

KAPITEL 2. UNTERGRUPPEN 10

Wir haben 1 < 2 und 3 > 2, 1 < 3 und 3 > 1, 2 < 3 und 2 > 1. Also sgn((13)) =(−1)3 = −1. Die zweite Formel liefert

3 − 21 − 2

· 3 − 11 − 3

· 2 − 12 − 3

= (−1)3 = −1 .

(ii) Dann ist sgn : (Sn, ·) → ({+1, −1}, ·), σ �→ sgn(σ) ein Gruppenhomomorphismus,denn:

sgn(σ · π) =∏i<j

σ(π(i)) − σ(π(j))i − j

=∏i<j

(σ(π(i)) − σ(π(j))

π(i) − π(j)· π(i) − π(j)

i − j

)

=∏i<j

σ(π(i)) − σ(π(j))π(i) − π(j)

·∏i<j

π(i) − π(j)i − j

= sgn(σ) · sgn(π) .

(iii) Definiere die alternierende Gruppe An := Ker(sgn). Nach Lemma 2.6 gilt An ≤ Sn.

Lemma 2.8. Sei G eine Gruppe und U, V ≤ G.

(a) U ∩ V ≤ G. Allgemeiner: Ist Ui ≤ G, i ∈ I für eine beliebige Indexmenge I, dannfolgt ∩i∈IUi ≤ G.

(b) U ∪ V ≤ G ⇔ U ⊆ V oder V ⊆ U .

(c) U · V ≤ G ⇔ U · V = V · U .

Beweis.

(a) Da U, V Untergruppen sind, folgt 1G ∈ U und 1G ∈ V , also auch 1G ∈ U ∩ V .Seien x, y ∈ U ∩ V . Dann folgt x, y ∈ U und x, y ∈ V . Da U eine Gruppe ist, folgtxy ∈ U, x−1 ∈ U, xy ∈ V, x−1 ∈ V , also auch xy ∈ U ∩ V und x−1 ∈ U ∩ V .

(b) Übung.

(c) (i) Da U ≤ G gilt, folgt U−1 = U nach 2.2. Sei UV ≤ G, dann folgt

UV = (UV )−1 = V −1U−1 = V U.

(ii) Sei UV = V U . Da 1 ∈ U, 1 ∈ V gilt, folgt 1 = 1 · 1 ∈ UV �= ∅. Außerdem gilt

(UV ) · (UV ) = U(V U)V = UUV V ⊆ UV ,

(UV )−1 = V −1U−1 = V U = UV

nach Voraussetzung.

Definition 2.9. Sei H ≤ G, a ∈ G. Wir nennen aH = {ah | h ∈ H} Linksnebenklassevon H in G und Ha = {ha | h ∈ G} Rechtsnebenklasse von H in G und schreiben

G�H = {aH | a ∈ G}H�

G = {Ha | a ∈ G} ,

gesprochen „G modulo H“. Definiere [G : H ] =∣∣∣G�H

∣∣∣, den Index der Untergruppe H inG.

KAPITEL 2. UNTERGRUPPEN 11

Bemerkung 2.10.

(a) Es gilt |aH| = |H| = |Ha| nach 1.6 (a).

(b) Es ist aH = bH für alle b ∈ aH .

Beweis. „⊇“: b ∈ aH ⇒ bH ⊆ aH , da H abgeschlossen bezüglich Multiplikationist.„⊆“: Sei b ∈ aH , also existiert h ∈ H mit b = ah. Für alle h ∈ H gilt dannah = (ah)(h−1h) = b(h−1h) ∈ bH . Dies zeigt aH ⊆ bH .

Lemma 2.11.

(a) Die Relation ∼H auf G definiert durch a ∼H b :⇔ a−1b ∈ H ist eine Äquivalenzre-lation, deren Äquivalenzklassen genau die Linksnebenklassen von H in G sind.

(b) Die Relation ∼H auf G definiert durch a ∼H b :⇔ ab−1 ∈ H ist eine Äquivalenzre-lation, deren Äquivalenzklassen genau die Rechtsnebenklassen von H in G sind.

Insbesondere ist

G =⋃

a∈G

aH = ·⋃N∈G�H

N ,

G =⋃

a∈G

Ha = ·⋃N∈H�G

N .

Beweis. Es gilt a−1a = 1 ∈ H , also a ∼H a.Sei a ∼H b, dann ist a−1b ∈ H und somit auch b−1a = (a−1b)−1 ∈ H , d. h. b ∼H a.Seien jetzt a ∼H b und b ∼H c. Dann folgt a−1b, b−1c ∈ H , also a−1c = (a−1b)(b−1c) ∈ H ,d. h. a ∼H c.Sei [a] die Äquivalenzklasse von a, also [a] = {b | b ∼H a}. Dann gilt b ∈ [a] ⇔ a ∼H b ⇔∃h ∈ H : a−1b = h ⇔ ∃h ∈ H : b = ah ⇔ b ∈ aH . Also [a] = aH .

Theorem 2.12 (Lagrange). Sei |G| < ∞, H ≤ G. Dann gilt

|G| = |H| · [G : H ] ,

insbesondere also |H| | |G|.Beweis. Wähle ein Vertretersystem T = {a1, . . . , ar} der Linksnebenklassen, dann istr = [G : H ]. Da G = ·⋃r

i=1 aiH nach 2.11, folgt

|G| =r∑

i=1|aiH| =

r∑i=1

|H| = r · |H| = [G : H ] · |H| .

Sei G eine endliche Gruppe. Angenommen m ist ein Teiler der Gruppenordnung |G|. Dannexistiert nicht notwendigerweise eine Untergruppe H von G mit Ordnung |H| = m. ZumBeispiel hat die alternierende Gruppe A4 zwölf Elemente; ihre Untergruppen lassen sichleicht bestimmen, insbesondere hat A4 keine Untergruppe mit sechs Elementen.

Kapitel 3

Erzeugendensysteme von Gruppen

Sei G eine Gruppe.

Definition 3.1. Sei S ⊆ G eine Teilmenge.

• Definiere das „Erzeugnis von S“ durch

〈S〉 :=⋂

U≤GS⊆U

U2.8≤ G .

• S heißt Erzeugendensystem von G, falls G = 〈S〉.• G heißt endlich erzeugt, falls ein endliches S ⊆ G existiert mit G = 〈S〉.• G heißt zyklisch, falls ein g ∈ G existiert mit 〈g〉 = G.

Beispiel 3.2. Es gilt

(a) 〈∅〉 = {1G}.

(b) (Z, +) = 〈1〉 = 〈−1〉 ist eine unendliche zyklische Gruppe. Insbesondere sind Erzeu-ger einer Gruppe nicht notwendigerweise eindeutig.

(c) (Zn, +) = 〈1〉 ist eine zyklische Gruppe der Ordnung n.

(d) Ist |G| = p eine Primzahl, dann ist G zyklisch: Nach Lagrange 2.12 gilt U ≤ Gimpliziert |U | ∈ {1, p}, d. h. U = {1G} oder U = G. Wähle 1 �= x ∈ G, dann folgt〈x〉 = G.

Bemerkung 3.3.

(a) 〈S〉 ist die kleinste Untergruppe von G mit S ⊆ 〈S〉.

Beweis. Sei H die kleinste Untergruppe von G mit S ⊆ H . Nach 3.1 folgt

〈S〉 =⋂

U≤GS⊆U

U = H ∩ ⋂U≤GS⊆U

U ⊆ H .

Nach Definition ist H die kleinste Untergruppe von G, die S enthält, also folgtH = 〈S〉.

12

KAPITEL 3. ERZEUGENDENSYSTEME VON GRUPPEN 13

(b) Sei S �= ∅, dann ist

〈S〉 = {s1 · · · st | t ∈ N0, si ∈ S ∪ S−1} .

Für t = 0 erhalten wir das leere Produkt, welches als 1 definiert ist. Insbesondereist

〈g〉 = {gi | i ∈ Z} ,

wobei

gi :=

⎧⎪⎪⎪⎪⎪⎪⎪⎨⎪⎪⎪⎪⎪⎪⎪⎩

1 , i = 0g · · · g︸ ︷︷ ︸

i mal

, i > 0

g−1 · · · g−1︸ ︷︷ ︸(−i) mal

, i < 0 .

(c) Sind die Elemente eines Erzeugendensystems von S paarweise vertauschbar, dannist G abelsch.

(d) Sei G = 〈S〉. Dann ist ein Homomorphismus ϕ : G → H durch die Bilder von Seindeutig bestimmt.

Definition 3.4. Sei g ∈ G. Definiere ord(g), die Ordnung von g, als kleinstes n ∈ N>0mit gn = 1. Existiert keine solche Zahl, dann definiere ord(g) := ∞.Beispiel in Sn : ord(12) = 2, ord(123) = 3, ord((12)(123)) = ord(23) = 2, ord((12)(345)) =6.Beispiel in (Z6, +): ord(0) = 1, ord(1) = 6, ord(2) = 3, ord(3) = 2, ord(4) = 3, ord(5) = 6.In (Zn, +) : ord(1) = n, ord(a) = n

ggT(a,n) .

Lemma 3.5. Sei g ∈ G.

(a) Sei ord(g) = n. Dann folgt 〈g〉 = {1, g, g2, . . . , gn−1} und 1, g, g2, . . . , gn−1 sindpaarweise verschieden. Es ist gk = 1 ⇔ n | k. Insbesondere: Ist G endlich, dann istord(g) | |G| nach 2.12 und damit g|G| = 1.

(b) Sei ord(g) = ∞, dann sind gi, i ∈ Z alle verschieden.

(c) Sei ord(g) = n und k ∈ Z. Dann gilt

ord(gk) = n

ggT(n, k).

Beweis.

(1) Sei ord(g) = n. Schreibe k ∈ Z als k = qn + r mit 0 ≤ r < n. Dann ist

gk = (gn)q · gr = 1q · gr = gr .

Damit folgt 〈g〉 ⊆ {1, g, g2, . . . , gn−1}. Außerdem gilt gk = 1 ⇔ gr = 1 ⇔ r = 0 ⇔n | k.

(2) Sei gi = gj, dann gilt 1 = gj−i.

KAPITEL 3. ERZEUGENDENSYSTEME VON GRUPPEN 14

• Ist i < j, dann folgt ord(g) < ∞. Das zeigt (b).• Sei 0 ≤ i ≤ j ≤ n−1 und ord(g) = n, dann folgt j−i = 0, d. h. i = j und damit

ist 〈g〉 = {1, g, g2, . . . , gn−1} und 1, g, g2, . . . , gn−1 sind paarweise verschieden.

Da |〈g〉| = n | |G| nach Lagrange, folgt mit (1), dass g|G| = 1. Damit gilt (a).

(3) Übungsblatt.

Bemerkung 3.6. Alle zyklischen Gruppen gleicher Ordnung n sind isomorph, insbeson-dere isomorph zu (Zn, +). Alle unendlich zyklischen Gruppen sind isomorph, insbesondereisomorph zu (Z, +). Schreibe Cn für eine zyklische Gruppe der Ordnung n.

Theorem 3.7.

(a) Jede Untergruppe einer zyklischen Gruppe ist zyklisch.

(b) Sei G = 〈g〉 zyklisch von Ordnung n. Dann gilt: Zu jedem d | n gibt es genau eineUntergruppe von G der Ordnung d, nämlich 〈gn/d〉 =: Cd.

(c) Seien d | n und e | n und Cd, Ce ≤ G. Dann gilt Cd ∩ Ce = CggT(d,e) und Cd · Ce =CkgV(d,e).

Beweis.

(a) Sei H ≤ G = 〈g〉. Sei S := {k ∈ Z | gk ∈ H}, dann folgt (S, +) ≤ (Z, +) nach 2.2.Nach 2.4 existiert d ∈ N0 mit S = dZ = 〈d〉. Damit folgt H = 〈gd〉.

(b) Übung.

(c) Übung.

Beispiel: C10 = 〈g〉 = {1, g, g2, . . . , g9}. Dann ist C5 = {1, g2, g4, g6, g8} = 〈g2〉 = 〈g4〉 =〈g6〉 = 〈g8〉 und C2 = {1, g5} = 〈g5〉, also C2 ∩ C5 = {1}. Außerdem gilt C2 · C5 = C10.

Beispiel 3.8 (Diedergruppe D2n). Die Symmetriegruppe des regelmäßigen n-Ecks P ⊆ R2

(bzw. eine hierzu isomorphe Gruppe) heißt Diedergruppe D2n.

(a) Sei r die Rotation um 2πn

um das Zentrum von P , s eine fest gewählte Spiegelungvon P . Dann ist rn = 1, s2 = 1. Nummeriere die Ecken von P mit 1, 2, . . . , n gegenden Uhrzeigersinn. Sei t ∈ D2n eine beliebige Symmetrie von P . Betrachte tP . Da tabstandserhaltend ist, erhalten wir:

(i) Fall 1: Die Zahlen an den Ecken von tP sind gegen den Uhrzeigersinn, wobeidie Ecke 1 in P auf die Stelle k in tP abgebildet wird, k ∈ {1, . . . , n}. Dannfolgt tP = rk−1(P ), d. h. t = rk−1 ist eine Rotation.

(ii) Fall 2: Die Zahlen an den Ecken von tP sind im Uhrzeigersinn. Dann sind dieZahlen in stP gegen den Uhrzeigersinn. Nach (i) gibt es ein k ∈ {1, . . . , n} mitst = rk−1, also t = srk−1 eine Spiegelung. Diese Spiegelungen für verschiedenek sind alle verschieden.

Also ist D2n = {1, r, r2, . . . , rn−1, s, sr, sr2, . . . , srn−1} = 〈r, s〉.

KAPITEL 3. ERZEUGENDENSYSTEME VON GRUPPEN 15

(b) Es gilt rn = 1, s2 = 1 und rk · s = s · r−k. Dies beschreibt alle Relationen zwischenErzeugern r und s, d. h.

D2n = 〈r, s | rn = 1 = s2, rks = sr−k, 1 ≤ k ≤ n〉 .

Beispiel 3.9.

(a) Sn wird von Transpositionen erzeugt, denn (a1 . . . al) = (a1al) · · · (a1a3)(a1a2).

(b) An = {σ ∈ Sn | sgn(σ) = 1} wird von der Menge der 3-Zykel erzeugt: Sei π ∈ An ⊆Sn. Nach (a) können wir π = ∏t

i=1 πi als Produkt von Transpositionen πi schreiben.Wegen

1 = sgn(π) =t∏

i=1sgn(πi) =

t∏i=1

(−1) = (−1)t

ist t gerade. Schreibe

(ab)(cd) =

⎧⎨⎩(acb)(acd) , falls disjunkt

(acb) , falls o.B.d.A. a = d, b �= c.

Kapitel 4

Normalteiler und Quotientengruppe

Sei G eine Gruppe.

Definition 4.1. Sei H ≤ G, x ∈ G. Dann heißt xHx−1 = {xhx−1 | h ∈ H} zu Hkonjugierte Untergruppe.

Bemerkung 4.2.

(a) Ist H ≤ G, dann ist auch xHx−1 ≤ G für alle x ∈ G, denn:

(xhx−1)(xh′x−1) = x hh′︸︷︷︸∈H

x−1 ∈ xHx−1

(xhx−1)−1 1.2= (x−1)−1h−1x−1 = xh−1x−1 ∈ xHx−1 .

(b) Nach 1.6 gilt |H| = |xHx−1| für alle x ∈ G.

Definition 4.3. Eine Untergruppe N ≤ G heißt normal (Normalteiler), falls xNx−1 = Nfür alle x ∈ G. Wir schreiben N � G.

Bemerkung 4.4. Die folgenden Aussagen sind äquivalent:

(i) N � G,

(ii) gNg−1 = N für alle g ∈ G,

(iii) gN = Ng für alle g ∈ G,

(iv) gNg−1 ⊆ N für alle g ∈ G.

Beweis. (iv) ⇒ (iii): Da gNg−1 ⊆ N gilt, folgt gN ⊆ Ng. Außerdem gilt ng = g(g−1ng) ∈gN , da g−1Ng ⊆ N nach (iv) gilt. Damit folgt Ng ⊆ gN .

Beispiel 4.5.

(a) {1} ≤ G und G ≤ G sind Normalteiler. Eine Gruppe G �= {1} heißt einfach, wennsie nur die Normalteiler {1} und G hat. Zum Beispiel ist Cp einfach, falls p prim ist.

(b) Ist G abelsch und H ≤ G, dann ist auch H � G.

(c) Sei H ≤ G mit [G : H ] = 2. Dann ist H � G.

16

KAPITEL 4. NORMALTEILER UND QUOTIENTENGRUPPE 17

Beweis. Es gilt G�H = {H, G\H}. Damit stimmen Links- und Rechtsnebenklassenvon H überein. Damit folgt H � G.

Zum Beispiel: An = {σ ∈ Sn | sgn(σ) = 1} ≤ Sn. Sei τ ∈ Sn mit sgn(τ) = −1. Seiπ ∈ Sn mit sgn(π) = −1. Dann gilt π = τ(τ−1π) ∈ τAn, denn sgn(1) = sgn(ττ−1) =sgn(τ) sgn(τ−1) = − sgn(τ−1), also sgn(τ−1) = −1 und damit

sgn(τ−1π) = sgn(τ−1) sgn(π) = 1 .

Somit ist τAn = {π ∈ Sn | sgn(π) = −1} und damit [Sn : An] = 2, d. h. An � Sn.Insbesondere ist |An| = 1

2n! für n ≥ 2.

(d) Untergruppenverband von S3:

S3

A3 = 〈(123)〉 〈(12)〉 〈(13)〉 〈(23)〉

{id}

Es gilt A3 � S3. Andererseits gilt (13)(12)(13) = (23), also (13)〈(12)〉(13)−1 �⊆〈(12)〉, also ist 〈(12)〉 und analog auch die verbleibenden beiden nichttrivialen Unter-gruppen keine Normalteiler. Diese drei von Transpositionen erzeugten Untergruppensind zueinander konjugierte Untergruppen.

(e) Normal ist nicht transitiv: Es gilt

G = D8 = 〈r, s | r4 = 1 = s2, rs = sr3〉 � N1 := 〈r2, s〉 = {r2, sr2, s, 1}N1 � N2 := 〈s〉 = {1, 2} ,

aber N2 �� G, denn:

r · N2 = {r, rs} = {r, sr3}N2 · r = {r, sr}

und damit rN2 �= N2r.Bemerkung: N1 heißt Kleinsche Vierergruppe. Es gilt N1 C2 × C2.

Proposition 4.6.

(a) Das Zentrum von G, Z(G) := {g ∈ G | ∀x ∈ G : gx = xg}, ist ein Normalteiler vonG.

(b) Die Kommutatoruntergruppe von G, G′ := 〈{[x, y] | x, y ∈ G}〉, wobei [x, y] =xyx−1y−1 der Kommutator von x und y ist, ist ein Normalteiler von G.

(c) Seien Hi � G für i ∈ I (Indexmenge), dann ist auch H := ⋂i∈I Hi � G.

KAPITEL 4. NORMALTEILER UND QUOTIENTENGRUPPE 18

(d) Sei ϕ : G → H ein Homomorphismus. Dann gilt U ≤ H impliziert ϕ−1(U) ≤ G undU � H impliziert ϕ−1(U) � G. Insbesondere ist

Ker(ϕ) = {g ∈ G | ϕ(g) = 1H} = ϕ−1({1H}) � G.

Beweis.

(a) Es gilt 1 ∈ Z(G).Seien g, h ∈ Z(G), dann folgt (gh)x = g(hx) = g(xh) = (gx)h = (xg)h = x(gh) füralle x ∈ G und damit gh ∈ Z(G). Also gilt (U2).Für (U3): Sei g ∈ Z(G), dann ist gx = xg für alle x ∈ G. Dann ist x−1g−1 = g−1x−1.Also yg−1 = g−1y für alle y ∈ G, da G−1 = G. Also g−1 ∈ Z(G). Nach 2.2 giltZ(G) ≤ G.Da xZ(G)x−1 = Z(G) für alle x ∈ G gilt, folgt Z(G) � G.

(b) Nach 3.1 ist G′ ≤ G. Seien x, y, z ∈ G. Dann ist

z[x, y]z−1 = zxyx−1y−1z−1 = (zxz−1)(zyz−1)(zx−1z−1)(zy−1z−1)= [zxz−1, zyz−1] ∈ G′ .

Mit einem analogen Argument (Einfügen von z−1z in ein Produkt von Kommutato-ren und Benutzen von [x, y]−1 = [y, x]) folgt zG′z−1 ⊆ G′ für alle z ∈ G. Also giltG′ � G.

(c) Nach 2.8 gilt H = ⋂i∈I Hi ≤ G. Da H ⊆ Hi für alle i ∈ I und Hi � G, folgt

xHx−1 ⊆ xHix−1 = Hi für alle i ∈ I und jedes x ∈ G. Also gilt auch xHx−1 ⊆⋂

i∈I Hi = H für jedes x ∈ G. Mit 4.4 folgt H � G.

(d) Übung.

Beispiel 4.7. Wir berechnen das Zentrum einiger Gruppen:

(i) Z(GLn(K)) = {λIn | λ ∈ K×} K×, Z(GLn(K))4.6� GLn(K).

(ii) Z(SLn(K)) = {λIn | λ ∈ K×, λn = 1} � SLn(K). Das bedeutet, dass Z(SLn(K))isomorph zu {λ ∈ K× | λn = 1}, der Gruppe der n-ten Einheitswurzeln in K ist.Im Fall K = C ist dies die zyklische Gruppe {exp

(2πik

n

)| k ∈ {0, . . . , n − 1}}.

(iii) Es ist Z(Sn) = {id} für n ≥ 3.

Beweis. Sei π ∈ Sn und π �= id. Dann existiert i �= j mit π(i) = j. Sei σ = (jk) mitk /∈ {i, j}. Dann gilt σ−1 = (jk). Außerdem gilt

σ−1πσ(i) = σ−1π(i) = σ−1(j) = k

und damit σ−1πσ �= π, also π /∈ Z(Sn). Da π �= id beliebig gewählt war, folgtZ(Sn) = {id}.

(iv) Es ist

Z(D2n) =

⎧⎨⎩{id} , n ungerade

{id, rn/2} , n gerade.

KAPITEL 4. NORMALTEILER UND QUOTIENTENGRUPPE 19

Beweis. (Idee) Wir wissen sri = rn−is. Es gilt

sri = ris = sr−i ⇔ ri = r−i ⇔ r2i = 1 ⇔ 2i = n ⇔ i =n

2.

Damit ist gezeigt, dass ri und s genau dann kommutieren, wenn i = n/2. Der Restdes Argumentes ist dem Leser überlassen.

Theorem 4.8. Sei G eine Gruppe und N � G.

(a) Die Menge G�N = {gN | g ∈ G} mit Multiplikation

(aN) · (bN) := ab · N

für alle a, b ∈ G ist eine Gruppe, genannt Faktorgruppe oder Quotientengruppe vonG modulo N . Das neutrale Element ist 1 · N = N . Das Inverse zu aN ist a−1N .

(b) Die Abbildung π : G → G�N, a �→ aN ist ein Epimorphismus mit Ker(π) = N . Sieheißt „kanonische Projektion“.

Beweis. (i) Die Multiplikation ist wohldefiniert: Sei aN = a′N, bN = b′N . Das istäquivalent dazu, dass a−1a′ ∈ N, b−1b′ ∈ N . Es ist zu zeigen, dass abN = a′b′N . DaN � G ist, folgt:

(ab)−1(a′b′) = b−1 (a−1a′)︸ ︷︷ ︸∈N

b

︸ ︷︷ ︸∈N

(b−1b′)︸ ︷︷ ︸∈N

∈ N .

Damit folgt abN = a′b′N , also nach Definition aN · bN = abN = a′b′N = a′N · b′N .

(ii) Gruppenaxiome: Da G assoziativ ist, ist G�N assoziativ, denn

(aN · bN) · cNDef= abN · cN

Def= (ab)cN

= a(bc)N = aN · bcN = aN · (bN · cN)

für alle a, b, c ∈ G.

(iii) Nach der Definition von π und der Multiplikation in der Quotientengruppe gilt

π(gh) = ghN = gN · hN = π(g) · π(h) .

Also ist π ein Homomorphismus mit Ker(π) = {g ∈ G | gN = N} = N .

Beispiel 4.9.

(a) Es ist N := nZ = 〈n〉 4.5� Z mit

Z�nZ = {0 + nZ, 1 + nZ, . . . , (n − 1) + nZ} =: Zn

mit (a + nZ) + (b + nZ) = (a + b) + nZ. Für a + nZ schreiben wir auch oft a.Im Fall n = 3 erhalten wir Z3 = {0, 1, 2} mit Additionstabelle+ 0 1 20 0 1 21 1 2 02 2 0 1

KAPITEL 4. NORMALTEILER UND QUOTIENTENGRUPPE 20

(b) Sei G = Z6 und N = {0, 3}, dann gilt N � G nach 4.5. Es gilt

G�N = Z6�{0, 3} = {0 + N, 1 + N, 2 + N}

und 3 + N = 3 + {0, 3} = {3, 0} = 0 + N . Entsprechend folgt 4 + N = 1 + N und5 + N = 2 + N . Damit ergibt sich eine Additionstabelle analog zu (a).

Kapitel 5

Isomorphiesätze

Sei G eine Gruppe, N � G. Was ist der „Isomorphietyp“ von G�N , d. h. welche bekannteGruppe ist dazu isomorph?

Bemerkung 5.1. Sei N ≤ G eine Untergruppe. Dann ist N � G genau dann, wenn Nder Kern eines Homomorphismus von G ist.

Beweis. Sei N der Kern eines Homomorphismus ϕ : G → U . Nach 4.6 ist N = Ker(ϕ) �G. Umgekehrt, nach 4.8 ist π : G → G�N, g �→ gN ein Homomorphismus mit Kern N .

Beispiel 5.2.

(1) Die Abbildung sgn : Sn → {±1}, π �→ sgn(π) ist ein Epimorphismus (für n > 1).Was ist der Isomorphietyp von Sn�Ker(sgn) = Sn�An

? Aus Beispiel 4.5 wissen wir:

Sn�Ker(sgn) = Sn�An={An, τAn},

wobei sgn(τ) = −1 ist. Also ist Sn�Ker(sgn) C2 {±1} = im(sgn).

(2) Sei ϕ : R× → R×, r �→ |r|. Dann ist ϕ ein Homomorphismus mit

Ker(ϕ) = {r ∈ R× | |r| = 1} = {±1},

im(ϕ) = {|r| | r ∈ R×} = Rpos = (0, ∞) .

Was ist der Isomorphietyp von R×�{±1}? Man sieht leicht, dass gilt:

R×�{±1} = R×

�Ker(ϕ) Rpos = im(ϕ),

mittels der Abbildung r · {±1} �→ |r|.(3) Betrachte den Epimorphismus det : GLn(K) → K×, A �→ det(A). Was ist der

Isomorphietyp von GLn(K)�SLn(K)? Gilt GLn(K)�SLn(K) im(det) K×? Ja.

Theorem 5.3 (Homomorphiesatz). Sei ϕ : G → H ein Homomorphismus. Dann ist

G�Ker(ϕ) im(ϕ)

vermöge der Abbildung g Ker(ϕ) �→ ϕ(g).

21

KAPITEL 5. ISOMORPHIESÄTZE 22

Beweis. Sei N := Ker(ϕ). Definiere ϕ : G�N → im(ϕ), durch gN �→ ϕ(g).

(i) Sei gN = g′N , dann ist g = g′n für ein n ∈ N . Damit folgt

ϕ(g) = ϕ(g′n) = ϕ(g′) ϕ(n)︸ ︷︷ ︸=1

= ϕ(g′) ,

also ϕ(gN) = ϕ(g′N). Also ist ϕ wohldefiniert.

(ii) Es gilt:

ϕ(gN · hN) = ϕ(ghN) = ϕ(gh) = ϕ(g)ϕ(h) = ϕ(gN)ϕ(hN) .

Also ist ϕ ein Homomorphismus.

(iii) Nach Definition ist die Abbildung ϕ surjektiv. Sei ϕ(gN) = ϕ(hN), dann folgtϕ(g) = ϕ(h) und damit 1 = ϕ(h)−1ϕ(g) = ϕ(h−1g). Es folgt h−1g ∈ Ker(ϕ) = N ,also h−1gN ⊆ N , also gN ⊆ hN und damit auch gN = hN . Also ist ϕ injektiv unddamit ein Isomorphismus.

Korollar 5.4. Sei G endlich und ϕ : G → H ein Homomorphismus. Dann folgt aus 5.3,dass

|G| = | Ker(ϕ)| · | im(ϕ)| .

Die Isomorphiesätze sind Anwendungen des Homomorphiesatzes:

Theorem 5.5. Sei G eine Gruppe.

(a) 1. Isomorphiesatz: Sei N � G, H ≤ G. Dann ist NH ≤ G mit(HN)�N H�(H ∩ N) .

(Ist H � G, so ist HN � G.)

(b) 2. Isomorphiesatz: Seien N, H � G mit N ≤ H ≤ G. Dann ist(G�N

)�(H�N

) G�H .

Beweis.

(a) (i) N � G impliziert HN = NH , da hN = Nh für alle h ∈ H . Aus 2.8 folgt, dassHN ≤ G. Da N � G, ist auch N � HN , denn HN ist eine Teilmenge von G.

(ii) Betrachte den Homomorphismus

ϕ : HEinbettung

↪→ HNkan. Proj.−→ HN�N

h �→ h �→ hN .

Dann gilt

Ker(ϕ) = {h ∈ H | hN = N} = {h ∈ H | h ∈ N} = H ∩ N ,

Nach 4.6 gilt insbesondere H ∩ N � H . Nach 5.4 gilt:H�(H ∩ N) = H�Ker(ϕ) im(ϕ) = (HN)�N ,

wobei h(H ∩ N) �→ hN .

KAPITEL 5. ISOMORPHIESÄTZE 23

(b) (i) Da N � G und H ⊆ G gilt, folgt N � H . Also ist H�N ≤ G�N eine Unter-gruppe. Da H � G ist, folgt:

gN · hN · g−1N = ghg−1︸ ︷︷ ︸∈H

·N ∈ H�N .

Also ist H�N � G�N .(ii) Betrachte

ϕ : Gπ1→G�N

π2→(G�N

)�(H�N

) ,

g �→ gN �→ gN(H�N

),

dann ist ϕ ein Epimorphismus mit

Ker(ϕ) = {g ∈ G | π1(g) = gN ∈ H�N} = {g ∈ G | g ∈ H} = H .

Nach 5.4 gilt also:

G�H = G�Ker(ϕ) im(ϕ) =(G�N

)�(H�N

)mit gH �→ gN

(H�N

).

Beispiel 5.6. Wir geben Beispiele zu den Isomorphiesätzen an:

(1) (a) Sei G = Z, H = 5Z, und N = 3Z. Dann ist H ∩ N = 5Z ∩ 3Z = 15Z undH +N = 5Z+3Z = Z, denn 1 = 5 · (−1)+3 ·2. Mit dem ersten Isomorphiesatz5.5 (a) folgt

Z�3Z = H + N�N H�H ∩ N = 5Z�15Z .

(b) Seien n, m ∈ N. Dann ist N := mnZ ⊆ H := mZ ⊆ G := Z. Also gilt nachdem zweiten Isomorphiesatz 5.5 (b):(

Z�mnZ)�(mZ�mnZ

) =(G�N

)�(H�N

) G�H = Z�mZ .

(2) Sei K ein Körper und n ∈ N.

(a) Sei D := {λIn | λ ∈ K×} ≤ GLn(K). Es gilt D K× vermöge λIn �→ λ.Da A · λIn · A−1 = λIn ∈ D für alle A ∈ GLn(K) gilt, ist D � GLn(K).Definiere PGLn(K) := GLn(K)�D, genannt projektive lineare Gruppe.

(b) Sei G := GLn(K), N := D, und H := SLn(K). Dann ist

H ∩ N = SLn(K) ∩ D = {λIn | λn = 1} =: μn(K) {λ ∈ K× | λn = 1}.

Wir definieren die projektive speziell lineare Gruppe PSLn(K) durch

PSLn(K) := SLn(K)�μn(K) = SLn(K)�(SLn(K) ∩ D)

= H�(H ∩ N)5.5 (a) (HN)�N = (SLn(K) · D)�D

2.8≤ GLn(K)�D = PGLn(K) .

KAPITEL 5. ISOMORPHIESÄTZE 24

Theorem 5.7 (Untergruppenkorrespondenz).

(a) Jede Untergruppe von G�N hat die Form H�N für H ≤ G mit N ⊆ H.

(b) Die Abbildung

{H ≤ G | N ⊆ H} →{Untergruppen von G�N

}, H �→ H�N

ist bijektiv und inklusionserhaltend mit Umkehrabbildung H ′ �→ π−1(H ′), wobei

π : G → G�N, g �→ gN

die natürliche Projektion ist.

(c) Es gilt H � G ⇔ H�N � G�N .

Beweis. Sei H ′ eine Untergruppe von G/N . Nach 4.6 ist π−1(H ′) eine Untergruppe vonG mit N ⊆ π−1(H ′) und π−1(H ′)/N = H ′.

Bemerkung: Dieses Theorem zeigt, dass durch die Abbildung π : G → G�N ein Ver-bandsisomorphismus induziert wird:

G

H

N

π

G/N

H/N

{N} = {1}

Beispiel 5.8.

(a) Sei V4 := {id, (12)(34), (13)(24), (14)(23)} ≤ S4. Sei π ∈ S4, dann ist

π(ab)(cd)π−1 = (πa, πb)(πc, πd) ∈ V4 .

Damit folgt V4 � S4.

(b) Es gilt S3 = {id, (12), (13), (23), (123), (132)} ≤ S4. Ausserdem ist V4 ∩ S3 = {id}.Mit 2.8 folgt V4S3 = S3V4 ≤ S4. Es ist

∈V4︷ ︸︸ ︷(14)(23) ·

∈S3︷ ︸︸ ︷(13) = (1234) ∈ V4S3

id ·(12) = (12) ∈ V4S3 ,

also S4 = 〈(12), (1234)〉 ⊆ V4S3 ⊆ S4 (vgl. Blatt 3) und damit S4 = V4S3. Dannfolgt mit dem ersten Isomorphiesatz:

S3 S3�(V4 ∩ S3) (V4S3)�V4= S4�V4

.

Dieser Isomorphismus ist gegeben durch π �→ π(V4 ∩ S3) �→ πV4.

KAPITEL 5. ISOMORPHIESÄTZE 25

(c) Nach der Untergruppenkorrespondenz sieht der entsprechende Teil des Untergrup-penverbandes von S4 analog dem Bild in Beispiel 4.5 aus.Die Gruppe S4 hat 30 verschiedene Untergruppen U mit den folgenden Ordnungen:

|U | 1 2 3 4 6 8 12 24# 1 9 4 7 4 3 1 1

Zum Beispiel hat S4 sechs verschiedene Transpositionen, außerdem drei Elemente dieProdukte von zwei Transpositionen sind. Diese Elemente haben Ordnung zwei, underzeugen jeweils eine Untergruppe isomorph zu C2. Damit hat S4 neun verschiedeneUntergruppen mit zwei Elementen.

Kapitel 6

Endlich erzeugte abelsche Gruppen

Definition 6.1. Gegeben seien Gruppen G1, G2.

(a) Dann ist G1 × G2 = {(x1, x2) | x1 ∈ G1, x2 ∈ G2} mit der Multiplikation

(x1, x2)(y1, y2) := (x1 ·G1 y1, x2 ·G2 y2)

eine Gruppe (siehe Blatt 1). G1 × G2 heißt (äußeres) direktes Produkt von G1 undG2.

(b) Es gilt: Z(G1 × G2) = Z(G1) × Z(G2). Außerdem ist G1 × G2 genau dann abelsch,wenn G1 und G2 abelsch sind.

Bemerkung 6.2. Die Abbildungen

ι1 : G1 → G1 × G2, x �→ (x, 1)ι2 : G2 → G1 × G2, y �→ (1, y)

sind Monomorphismen. Die Abbildungen

π1 : G1 × G2 → G1, (x, y) �→ x

π2 : G1 × G2 → G2, (x, y) �→ y

sind Epimorphismen. Dann gelten die Eigenschaften:

(i)

im(ι1) = G1 × {1} = Ker(π2)4.6� G1 × G2 ,

im(ι2) = {1} × G2 = Ker(π1) � G1 × G2 .

(ii) (G1 × {1}) · ({1} × G2) = G1 × G2.

(iii) (G1 × {1}) ∩ ({1} × G2) = {(1, 1)}Definition 6.3. Eine Gruppe G heißt (inneres) direktes Produkt von G1, G2, falls

(i) G1, G2 � G,

(ii) G1 · G2 = G,

26

KAPITEL 6. ENDLICH ERZEUGTE ABELSCHE GRUPPEN 27

(iii) G1 ∩ G2 = {1}.

Bemerkung 6.4.

(a) Ist G = G1 × G2 äußeres direktes Produkt, dann folgt mit 6.2, dass G inneresdirektes Produkt von G1 × {1} und {1} × G2 ist.

(b) Ist G inneres direktes Produkt von G1 und G2, dann gilt G1 × G2 G = G1G2vermöge (x1, x2) �→ x1x2.

Beweis.

(i) Da G1, G2 � G, gilt für x1 ∈ G1 und x2 ∈ G2:

(x1 x2︸︷︷︸∈G2

x−11 )

︸ ︷︷ ︸∈G2

x−12︸︷︷︸

∈G2

= x1︸︷︷︸∈G1

(x2 x−11︸︷︷︸

∈G1

x−12 )

︸ ︷︷ ︸∈G1

∈ G1 ∩ G2 = {1} .

Damit folgt x1x2x−11 x−1

2 = 1, also x1x2 = x2x1.

(ii) Sei ϕ : G1 × G2 → G, (g1, g2) �→ g1 · g2. Dann ist

ϕ((x1, x2) · (y1, y2)) = ϕ((x1y1, x2y2)) = x1(y1x2)y2(i)= (x1x2)(y1y2) = ϕ(x1, x2)ϕ(y1, y2) ,

also ist ϕ ein Epimorphismus.

(iii) Sei (g1, g2) ∈ Ker(ϕ). Dann gilt g1 · g2 = 1, also g1 = g−12 ∈ G1 ∩ G2 = {1}, folglich

g1 = g2 = 1 und damit Ker(ϕ) = {(1, 1)}. Also ist ϕ ein Isomorphismus.

Beispiel 6.5. (1) Die Gruppe C× ist kommutativ. Es gilt

(i) S1 := {z ∈ C× | |z| = 1} � C× und Rpos � C×.(ii) Rpos · S1 = {reiϕ | r ∈ Rpos, 0 ≤ ϕ < 2π} = C×.(iii) Rpos ∩ S1 = {1}.

Damit ist C× = Rpos · S1 ein direktes Produkt.

(2) Da (14)(123)(14) = (234) /∈ S3 ist, gilt S3 �� S4 in Beispiel 5.8. Also ist S4 keindirektes Produkt von V4 und S3. Es gilt aber V4 � S4, V4∩S3 = {id} und V4 ·S3 = S4.

Theorem 6.6. Jede endlich erzeugte abelsche Gruppe ist ein (endliches) Produkt zykli-scher Gruppen.

Beweis. Sei (G, +) eine abelsche Gruppe, erzeugt von k Elementen. Wir führen eine In-duktion über k durch. Für k = 1 ist G nach Definition 3.1 zyklisch.Sei also k > 1.

(a) Wähle a1, . . . , ak ∈ G und n1, . . . , nk ∈ Z mit

(i) 〈a1, . . . , ak〉 = G,(ii) n1a1 + . . . + nkak = 0,(iii) |n1| �= 0 minimal mit (i) und (ii) .

KAPITEL 6. ENDLICH ERZEUGTE ABELSCHE GRUPPEN 28

(b) Angenommen, es lassen sich keine solchen Elemente finden, dann gibt es keine Null-relation in G. Dann ist die Abbildung Zk → G, (n1, . . . , nk) �→ n1a1 + . . . + nkak einIsomorphismus und G Zk liefert die Behauptung.

(c) O.E. gibt es also Werte ai und ni mit (i) - (iii) und n1 > 0. Wir zeigen n1 | n2. AusSymmetriegründen folgt n1 | ni für alle i ∈ {1, . . . , k}. Schreibe n2 = q · n1 + r mit0 ≤ r ≤ n1 − 1. Es ist

0 = n1a1 + (qn1 + r)a2 + n3a3 + . . . + nkak

= ra2 + n1(a1 + qa2) + n3a3 + . . . + nkak

und G = 〈a1, a2, . . . , ak〉 = 〈a2, a1 + qa2, a3, . . . , ak〉. Aus Bedingung (iii) folgt r = 0,also n1 | n2. Analog folgt n1 | ni für alle i ∈ {1, . . . , k}.

(d) Sei a′1 := a1 + n2

n1a2 + . . . + nk

n1ak ∈ G. Dann ist 〈a′

1, a2, . . . , ak〉 = 〈a1, . . . , ak〉 = G.Sei φ : 〈a′

1〉 × 〈a2, . . . , ak〉 → G, (u, v) �→ u + v. Dann ist φ ein Epimorphismus. Wirzeigen, dass φ injektiv ist: Sei φ(u, v) = 0. Sei u = ma′

1, v = m2a2 + . . . + mkak. Esist n1a′

1(ii)= 0 und mit (iii) ord(a′

1) = n1: Angenommen, 0 < n < n1 mit n = ord(a′1).

Dann ist

na′1 = na1 + nn2

n1a2 + . . . + nnk

n1ak = 0 .

Dies liefert einen Widerspruch zu (iii). Also 〈a′1〉 Zn1 . O.E. wähle 0 ≤ m < n1 in

u = ma′1. Dann ist

0 = φ(u, v) = u + v = ma′1 + m2a2 + . . . + mkak ,

also m = 0, d. h. u = 0. Damit ist v = u + v = φ(u, v) = 0. Dies zeigt Ker(ϕ) = {0},d. h. ϕ ist ein Isomorphismus. Damit gilt G Zn1 × 〈a2, . . . , ak〉. Nach Induktions-voraussetzung ist G damit ein Produkt zyklischer Gruppen.

Korollar 6.7. Sei G endliche abelsche Gruppe, dann ist G Zn1 × Zn2 × . . . × Znt mit1 < n1 ≤ n2 ≤ . . . ≤ nt und n1 | n2 | . . . | nt, wobei t und n1, . . . , nt eindeutig durch Gbestimmt sind. Die ni heißen die Elementarteiler von G.

Beweis. Existenz folgt aus 6.6, die Eindeutigkeit wird hier nicht bewiesen.

Bemerkung 6.8. Es gilt Zm × Zn zyklisch ⇔ ggT(m, n) = 1. In diesem Fall ist

Zm × Zn = Zmn.

Beweis. „⇐“: Sei der grösste gemeinsame Teiler ggT(m, n) = 1.

(i) Sei t := ord(1, 1). Dann folgt (0, 0) = t · (1, 1) = (t, t) in Zm × Zn, also m | t, n | t.Mit ggT(m, n) = 1 folgt mn | t.

(ii) Da mn(1, 1) = (mn, mn) = (0, 0) gilt, folgt t | mn mit Lemma 3.5 (a), also mn =ord(1, 1). Da |Zm × Zn| = m · n = ord(1, 1) gilt, folgt Zm × Zn = 〈(1, 1)〉.

„⇒“: Sei Zm × Zn zyklisch. Sei d := ggT(m, n). Sei m′ = m/d, n′ = n/d. Sei (x, y) ∈Zm × Zn. Dann ist

m′dn′(x, y) = (m′dn′x, m′dn′y) = (mn′x, nm′y) = (0, 0)

in Zm × Zn. Mit Lemma 3.5 (a) folgt ord(x, y) | m′dn′. Angenommen d > 1, dann istm′dn′ < mn, und Zm × Zn hat kein Element der Ordnung mn. Also gilt d = 1.

KAPITEL 6. ENDLICH ERZEUGTE ABELSCHE GRUPPEN 29

Korollar 6.9 (Hauptsatz für endlich erzeugte abelsche Gruppen). Sei G endlich erzeugteabelsche Gruppe. Dann existieren eindeutige r, m ∈ N und bis auf Reihenfolge eindeutigePrimzahlpotenzen pk1

1 , . . . , pkmm (nicht notwendigerweise verschieden) mit

G Zr × Zp

k11

× . . . × Zpkmm

.

Beweis. Das Korollar folgt aus 6.7 und 6.8.

Beispiel 6.10. Ist |G| = 16 mit G abelsch, dann ist G isomorph zu einer der GruppenC16, C2 × C8, C4 × C4, C2 × C2 × C4 oder C2 × C2 × C2 × C2.

Kapitel 7

Operationen von Gruppen aufMengen

Sei G eine Gruppe und K ein Körper.

Definition 7.1. Sei ∅ �= X eine Menge. Dann heißt X eine G-Menge (bzw. G operiertauf X), wenn es eine Abbildung ∗ : G × X → X, (g, x) �→ g ∗ x gibt mit

(O1) 1 ∗ x = x für alle x ∈ X,

(O2) g ∗ (h ∗ x) = (g · h) ∗ x für alle g, h ∈ G und x ∈ X.

Typischerweise schreiben wir · statt ∗. Es ergibt sich in der Regel aus dem Zusammenhang,ob es sich bei einem Punkt · um Gruppenmultiplikation oder um die Operation der Gruppeauf einer Menge handelt.

Bemerkung 7.2.

(a) Sei X eine G-Menge, g ∈ G. Dann ist τg : X → X, x �→ g · x bijektiv; die Inverse istτg−1 . Also ist τg ∈ SX . Sei τ : G → SX , g �→ τg. Dann ist

τgh(x) = (gh) · x(O2)= g · (h · x) = τg(τh(x)) = (τg ◦ τh)(x)

für alle x ∈ X. Somit gilt τgh = τg ◦ τh für alle g, h ∈ G. Damit gilt

τ(gh) = τgh = τg ◦ τh = τ(g) ◦ τ(h),

also ist τ ein Homomorphismus.

(b) Umgekehrt, jeder Homomorphismus ϕ : G → SX , mit g �→ ϕg definiert eine G-Menge X durch

G × X → X, (g, x) �→ ϕg(x) ,

denn 1 · x = ϕ1(x) = id(x) = x und

(gh) · x = ϕgh(x) = (ϕg ◦ ϕh)(x) = ϕg(ϕh(x)) = g · (h · x) .

Ist die Abbilung τ injektiv, so sagt man die Operation von G auf X ist treu. Äquivalent,die Operation von G auf X ist treu, falls das einzige Element mit gx = x für alle x ∈ Xdas neutrale Element ist.

30

KAPITEL 7. OPERATIONEN VON GRUPPEN AUF MENGEN 31

Beispiel 7.3. Es gibt unzählige Beispiele, in denen Gruppen auf Mengen operieren. Hiererste Beispiele:

(1) Sei U ≤ G. Definiere X := G�U = {xU | x ∈ G}. Definiere G × X → X, durch(g, xU) �→ (gx)U =: g · (xU). Dann ist X eine G-Menge.

• Diese Operation ist wohldefiniert: Sei xU = xU . Dann existiert u ∈ U mitx = xu. Dann ist

gxU = gxuU = gxU .

• Zu x, y ∈ G existiert ein Element g ∈ G mit g · x = y. Das heißt, zu Nebenklas-sen xU, yU ∈ X existiert ein Element g ∈ G mit g(xU) = yU . (Man sagt, dieOperation ist transitiv.)

(2) (a) Die Gruppe G operiert auf der Menge X = G durch Gruppenmultiplikationvon links: G × X → X, (g, x) �→ g · x. Die Gruppenaxiome von G implizieren,dass X eine G-Menge ist. Nach Bemerkung 7.2 ist τ : G → SG, mit τg = lgein Homomorphismus (siehe 1.6). Sei lg = lh, dann ist g · x = h · x für allex ∈ G = X. Dann folgt mit der Wahl x = 1 insbesondere g = h. Somit ist τein Monomorphismus.Satz von Cayley: Jede (endliche) Gruppe G ist isomorph zu einer Untergruppeeiner (endlichen) symmetrischen Gruppe.

(b) G operiert auf X = G durch Rechtsmultiplikation: G×X → X, (g, x) �→ x·g−1,denn

(gh) ∗ xDef= x · (gh)−1 1.2= x(h−1g−1) (G1)= (x · h−1) · g−1 Def= g ∗ (h ∗ x) .

Definition 7.4. Sei X eine G-Menge. Für x ∈ X heißt

(i) Ox := G · x := {g · x | g ∈ G} die Bahn von x unter G. Die Operation heißt transitiv,falls X unter G nur eine Bahn besitzt. (Äquivalent: Für alle x, y ∈ X existiert g ∈ Gmit g · x = y.)

(ii) Gx := StabG(x) := {g ∈ G | g · x = x} Stabilisator von x in G. Es ist StabG(x) = Ggenau dann, wenn g · x = x für alle g ∈ G. In diesem Fall nennt man x Fixpunkt derOperation. Schreibe XG für die Menge aller Fixpunke von X unter der Operationvon G.

Lemma 7.5. Sei X eine G-Menge. Dann ist

(i) StabG(x) ≤ G.

(ii) StabG(a·x) = a·StabG(x)·a−1. Elemente in der gleichen Bahn haben also konjugierteStabilisatoren.

Beweis.

(i) Es gilt 1x = x, also 1 ∈ StabG(x). Seien g, h ∈ StabG(x). Dann folgt gx = x = hx,also (gh)x = g(hx) = gx = x und damit gh ∈ StabG(x). Außerdem gilt g−1x =g−1(gx) = (g−1g)x = 1 · x = x. Somit ist g−1 ∈ StabG(x).

KAPITEL 7. OPERATIONEN VON GRUPPEN AUF MENGEN 32

(ii) Sei a ∈ G. Dann gilt:

g ∈ StabG(ax) ⇔ ax = g(ax) = (ga)x⇔ x = (a−1ga)x⇔ a−1ga ∈ StabG(x)⇔ g ∈ a · StabG(x) · a−1 .

Bemerkung 7.6. Sei X eine G-Menge. Definiere ∼ auf X durch

x, y ∈ X, x ∼ y ⇔ ∃g ∈ G : gx = y .

Dann ist ∼ eine Äquivalenzrelation. Es ist

[x] := {y ∈ X | x ∼ y} = {y ∈ X | ∃g ∈ G : gx = y} = {gx | g ∈ G} = G · x .

Insbesondere ist X disjunkte Vereinigung der Bahnen.

Theorem 7.7 (Bahnensatz). Sei X eine G-Menge. Dann ist die Abbildung

G · x → G�Stab(x), a · x �→ a Stab(x)

wohldefiniert und bijektiv. Insbesondere ist |G · x| = [G : Stab(x)].

Beweis. Es gilt ax = bx ⇔ x = a−1bx ⇔ a−1b ∈ Stab(x) ⇔ a Stab(x) = b Stab(x). Daherist die Abbildung wohldefiniert und injektiv. Ausserdem ist die Abbildung surjektiv nachDefinition.

Korollar 7.8. Sei X eine G-Menge. Sei {xi}i∈I ein Vertretersystem der Bahnen von Xunter G. Dann ist

|X| 7.6=∑i∈I

|Gxi| = |XG| +∑

i∈I,xi /∈XG

|Gxi| ,

wobei XG die Menge aller Fixpunkte unter G ist, d. h. der Bahnen der Länge eins, ist.Mit 7.7 folgt

|X| = |XG| +∑

xi /∈XG

[G : Stab(xi)] .

Beispiel 7.9.

(a) G operiert auf X = G durch Konjugation, d. h. ∗ : G × X → X, (g, x) �→ g · x · g−1.Dann ist X eine G-Menge: Seien g, h ∈ G. Dann ist

(1, x) �→ 1 · x · 1−1 = x

(gh, x) �→ (gh)x(gh)−1 = g(hxh−1)g−1 = g ∗ (h ∗ x)

für alle x ∈ G.

KAPITEL 7. OPERATIONEN VON GRUPPEN AUF MENGEN 33

(b) Die Bahn G · x = {gxg−1 | g ∈ G} =: Cx heißt Konjugationsklasse von x. Elementea, b ∈ G heißen konjugiert, a ∼ b, falls g ∈ G existiert mit b = gag−1, also falls a, bin derselben Bahn liegen.Der Stabilisator StabG(x) = {g ∈ G | gx = xg} =: CG(x) heißt Zentralisator von xin G. Beachte, dass Z(G) gleich der disjunkten Vereinigung aller Konjugationsklas-sen der Länge eins und gleich der Menge XG aller Fixpunkte von X unter G ist. Sei{xi}i∈I ein Vertretersystem der Bahnen von X unter G. Also gilt:

|G| 7.8= |Z(G)| +∑

xi /∈Z(G)[G : CG(xi)] („Klassengleichung“)

(c) Sei N � G. Dann ist N disjunkte Vereinigung von Konjugationsklassen.

Beweis. Sei x ∈ N . Da N normal ist, ist gxg−1 ∈ N für alle g ∈ G. Also Cx ⊆ N .Damit ist N = ⋃

x∈N Cx, wobei die Vereinigung nach Übergang zu einem geeignetenVertretersystem disjunkt wird.

Beispiel 7.10. Zwei Permutationen α, β ∈ Sn sind konjugiert genau dann, wenn siedenselben Zykeltyp haben.

Beweis.

(i) Sei σ = ∏σi ein Produkt disjunkter Zykeln σi. Sei π ∈ Sn. Nach Blatt 1 gilt:

π(a1, . . . , al)π−1 = (πa1, . . . , πal) ,

also folgt

πσπ−1 = π(∏

σi

)π−1 (∗)

= (πσ1π−1)(πσ2π−1) · · · (πσlπ−1) .

Somit haben σ und πσπ−1 den gleichen Zykeltyp.

(ii) Seien α, β ∈ Sn Permutationen, geschrieben als Produkt disjunkter Zykeln, mitgleichem Zykeltyp. Dann lassen sich die Elemente in den Zykeln von α wie in (∗)mit einer Permutation π so umpermutieren, dass sich korrespondierende Zykel in βergeben. Das heißt παπ−1 = β und damit α ∼ β.

Beispiel 7.11. Die Gruppe G = GLn(K) operiert auf X = Kn durch Matrixmultiplika-tion.

(i) Es ist

O0 = {A · 0 | A ∈ GLn(K)} = {0}Oe1 = {A · e1 | A ∈ GLn(K)} = Kn \ {0} .

Somit ist X = Kn = O0 ∪ Oe1 . Es ist

StabG(e1) = {A ∈ GLn | Ae1 = e1} =

⎧⎪⎪⎪⎪⎪⎨⎪⎪⎪⎪⎪⎩

⎛⎜⎜⎜⎜⎜⎝

1 a2 . . . an

0... A′

0

⎞⎟⎟⎟⎟⎟⎠

∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣A′ ∈ GLn−1(K)

⎫⎪⎪⎪⎪⎪⎬⎪⎪⎪⎪⎪⎭

.

KAPITEL 7. OPERATIONEN VON GRUPPEN AUF MENGEN 34

(ii) Sei |K| = q < ∞. Dann ist |Oe1 | = qn −1 und | StabG(e1)| = qn−1 · | GLn−1(K)|. Mit7.7 folgt

| GLn(K)| = |Oe1| · | StabG(e1)| = (qn − 1) · qn−1 · | GLn−1(K)| .

Induktiv folgt

| GLn(K)| = qn(n−1)

2 (qn − 1)(qn−1 − 1) · · · (q − 1) .

Kapitel 8

Sylowsätze

Sei G eine Gruppe und p eine Primzahl.

Definition 8.1.

(a) Eine Gruppe G mit |G| = pn, für n ∈ N, heißt eine p-Gruppe.

(b) Sei |G| = pm · q mit ggT(p, q) = 1. Dann heißt S ≤ G eine p-Sylowuntergruppe vonG, falls |S| = pm. Schreibe Sylp(G) für die Menge aller p-Sylowuntergruppen von Gund np := | Sylp(G)|.

Bemerkung 8.2. Sei G eine p-Gruppe.

(a) Operiert G auf einer Menge X, dann gilt |X| ≡ |XG| (mod p).

(b) Sei |G| > 1, dann gilt |Z(G)| ≥ 2.

Beweis.

(a) Nach 7.8 gilt

|X| = |XG| +∑

xi /∈XG

[G : Stab(xi)] ≡ |XG| (mod p) ,

denn alle [G : Stab(xi)] werden von p geteilt.

(b) Die Gruppe G operiere auf X = G durch Konjugation. Dann folgt

0 ≡ |G| ≡ |X| 7.9≡ |Z(G)| (mod p).

Somit gilt p | |Z(G)|, also hat das Zentrum der Gruppe G mindestens zwei Elemente:|Z(G)| ≥ 2.

Beispiel 8.3.

(1) Sei G = S3, dann ist |G| = 21 · 31. Es gilt Syl3(G) = {A3} und Syl2(G) ={〈(12)〉, 〈(13)〉, 〈(23)〉}. Beachte, die drei Sylow-2-Untergruppen von S3 sind kon-jugiert zueinander.

35

KAPITEL 8. SYLOWSÄTZE 36

(2) Sei G = GLn(Zp), dann ist

|G| = pn(n−1)/2 · (pn − 1)(pn−1 − 1) · · · (p − 1)︸ ︷︷ ︸≡ ±1 (mod p)

.

Sei Un die Menge der oberen Dreiecksmatrizen aus Zn×np mit Diagonaleinträgen 1

(siehe Blatt 1). Da |Un| = pn(n−1)/2 ist, folgt Un ∈ Sylp(G).

Theorem 8.4 (Sylow). Sei |G| = pm · q mit ggT(p, q) = 1.

1. Für jedes 1 ≤ k ≤ m gibt es eine Untergruppe in G der Ordnung pk.

2. Sei H ≤ G mit |H| = pk, 1 ≤ k ≤ m. Sei S ∈ Sylp(G). Dann existiert g ∈ G mitH ≤ gSg−1.

3. np | q und np ≡ 1 (mod p).

Beachtenswert ist, dass in diesen Sätzen keinerlei Voraussetzung an die Gruppe G gestelltwerden, und trotzdem starke Aussagen über die Gruppe G gemacht werden können. Bevorwir die Sätze beweisen, hier zwei direkte Konsequenzen aus den Sylowsätzen:

Korollar 8.5 (Cauchy). Sei G eine endliche Gruppe und p eine Primzahl, welche dieGruppenordnung teilt. Dann enthält G ein Element der Ordnung p.

Beweis. Nach dem Satz von Sylow 8.4 enthält G eine Untergruppe H mit |H| = p. AlsoH Cp und damit existiert g ∈ H mit ord(g) = p.

Korollar 8.6. Sei P ∈ Sylp(G). Dann gilt P � G genau dann, wenn Sylp(G) = {P }.

Beweis. Theorem 8.4 und die Definition von Normalteiler 4.3.

Beweis 8.7 (des ersten Sylowsatzes). Wir verwenden Induktion nach der Ordnung |G|der Gruppe G. Sei |G| = pm · q mit ggT(p, q) = 1. Die Gruppe G operiert auf X = Gdurch Konjugation:

· : G × X → X, (g, x) �→ gxg−1 .

Sei {xi}i∈I ⊆ G ein Vertretersystem der nicht-zentralen Konjugationsklassen von g (d. h.xi �∈ Z(G)). Nach der Klassengleichung 7.9 gilt:

|G| = |Z(G)| +∑i∈I

[G : CG(xi)],

und CG(xi) ist eine echte Untergruppe von G für alle i ∈ I.

(i) Sei p � |Z(G)|. Da p Teiler der Gruppenordnung |G| ist, existiert ein Index i ∈ I

mit p � [G : CG(xi)] = |G||CG(xi)| . Dann ist |CG(xi)| = pm · q′ mit ggT(p, q′) = 1 und

|CG(xi)| < |G|. Nach Induktionsvoraussetzung hat CG(xi) eine Untergruppe derOrdnung pk. Also hat G eine Untergruppe der Ordnung pk.

KAPITEL 8. SYLOWSÄTZE 37

(ii) Sei p | |Z(G)|. Nach Definition ist Z(G) abelsch und endlich. Nach dem Hauptsatzfür endlich erzeugte abelsche Gruppen 6.6 ist Z(G) isomorph zu einem Produktzyklischer Gruppen Zni

, mit |Z(G)| = ∏nj . Also existiert ein Index j mit p | nj .

Nach 3.7 existiert g ∈ Znj≤ Z(G) mit ord(g) = p. Ist k = 1, so ist die Behauptung

an dieser Stelle bewiesen. Sei also k > 1. Wegen g ∈ Z(G) folgt 〈g〉 � G mit∣∣∣∣G�〈g〉∣∣∣∣ = pm−1 · q.

Nach Induktionsvoraussetzung existiert eine Untergruppe U ≤ G�〈g〉 mit |U | = pk−1.Nach der Untergruppenkorrespondenz 5.7 existiert eine Untergruppe V ≤ G mit〈g〉 ⊆ V und mit V�〈g〉 = U . Es ist |V | = |U | · |〈g〉| = pk.

Beweis 8.8 (des zweiten Sylowsatzes). Sei |G| = pm · q mit ggT(p, q) = 1. Sei H ≤ G mit|H| = pk, für k ≤ m, und sei S ∈ Sylp(G). Die Gruppe H operiert auf X := G�S durchMultiplikation:

H × X → X, (h, gS) �→ hg · S .

Nach Beispiel 7.3 ist diese Operation wohldefiniert. Es gilt:

|X| =∣∣∣G�S

∣∣∣ = [G : S] = q.

Nach 8.2 gilt |XH | ≡ |X| = q (mod p). Nach Voraussetzung ist p � q, also folgt p � |XH|.Damit ist die Fixpunktmenge XH �= ∅, das heisst, es existiert g ∈ G mit gS ∈ XH . Esgilt also hgS = gS für alle h ∈ H , und folglich ist g−1hg ∈ S für alle h ∈ H , also auchH ⊆ gSg−1.

Lemma 8.9. Sei |G| = pm · q mit ggT(p, q) = 1. Sei S ∈ Sylp(G). Sei H eine p-Untergruppe von G mit H ⊆ StabG(S) := {g ∈ G | gSg−1 = S}. Dann ist H ⊆ S.

Beweis.

(i) Es ist S ≤ Stab(S). Da gS = Sg für alle g ∈ Stab(S) gilt, folgt auch S � Stab(S).

(ii) Nach Voraussetzung ist H ≤ Stab(S). Aus der Definition des Stabilisators folgtHS = SH , mit 2.8 gilt also HS ≤ Stab(S), und mit (i) auch S � HS. Nach dem 1.Isomorphiesatz 5.5 (a) folgt

HS�S H�H ∩ S .

Da H eine p-Gruppe ist, ist also auch HS�S eine p-Gruppe.

(iii) Da G ≥ HS ≥ S gilt, folgt mit 2.12

[HS : S] | [G : HS][HS : S] = [G : S] = q .

Wegen ggT(p, q) = 1 folgt aber p � |HS||S| . Nach (ii) ist HS eine p-Gruppe, also gilt

HS�S = {1}, beziehungsweise HS = S, und damit H ⊆ S.

KAPITEL 8. SYLOWSÄTZE 38

Man spricht bei der Menge StabG(S) = {g ∈ G | gSg−1} auch von einem Normalisator.Allgemeiner G operiert auf der Menge X aller Untergruppen von G durch Konjugation.Dann heisst NG(U) := {g ∈ G | gU = Ug} = StabG(U) ≤ G Normalisator von U in G. IstU Normalteiler in G, so ist NG(U) = G. Man sieht leicht: U ist Normalteiler in NG(U),und ist V ≤ G mit U � V , so ist V ⊆ NG(U). Der Normalisator NG(U) ist also die größteUntergruppe von G, in der U normal ist.

Beweis 8.10 (des dritten Sylowsatzes).

(a) Sei |G| = pmq mit ggT(p, q) = 1 und np := | Sylp(G)|. Behauptung: np | q.G operiert auf X = Sylp(G) durch Konjugation. Sei S ∈ Sylp(G). Aus dem zweitenSylowsatz folgt, dass X = OS die Bahn von S ist (d. h. die Operation ist transitiv).Nach 7.7 und 2.12 folgt

|X| = |OS| = [G : Stab(S)] | [G : Stab(S)][Stab(S) : S] = [G : S] = q ,

also ist |X| = np | q.

(b) Sei |G| = pmq mit ggT(p, q) = 1 und np := | Sylp(G)|. Behauptung: np ≡ 1 (mod p).Sei S ∈ Sylp(G). Die Gruppe S operiert auf X = Sylp(G) durch Konjugation.Beachte, S ist ein Fixpunkt dieser Operation. Sei jetzt S ′ ein weiterer Fixpunktunter dieser Operation, also gS ′g−1 = S ′ für alle g ∈ S. Dann ist g ∈ StabG(S ′) füralle g ∈ S und somit S ⊆ StabG(S ′). Nach 8.9 folgt S ⊆ S ′. Wegen |S| = |S ′| folgtS = S ′. Somit ist S der einzige Fixpunkt dieser Operation, d. h. |XS| = 1. Dies zeigt

np = | Sylp(G)| = |X| 8.2≡ |XS| = 1 (mod p) .

Mit den Sylowsätzen können wir die Struktur von Gruppen kleiner Ordnung genaueruntersuchen.

Beispiel 8.11. Sei |G| = 2p mit 2 �= p prim. Dann ist G C2p oder G D2p.

Beweis. (i) Nach 8.4 (3) gilt np | 2 = q und np ≡ 1 (mod p) und damit np = 1. Damitfolgt Sylp(G) = {P }, mit 8.6 folgt P � G mit Cp P = 〈x〉, für ein Element x ∈ G.

(ii) Es gilt | Syl2(G)| ≥ 1. Sei Q ∈ Syl2(G), also Q C2. Da „C2 ∩ Cp = {1}“, folgt P ∩Q = {1}. Damit existiert y ∈ G\P mit ord(y) = 2. Da |G| = 2p und xi �= yxj (sonsty = xi−j ∈ P , Widerspruch), folgt G = {1, x, x2, . . . , xp−1, y, yx, yx2, . . . , yxp−1}.Nach Lagrange: ord(yx) | |G| = 2p, also ord(yx) ∈ {1, 2, p, 2p}.

(iii) Da P � G gilt, folgt yxy−1 = xi für ein i, also (yx)2 = yxyx = yxy−1x = xi+1 ∈ P .Induktiv folgt (xy)k ∈ P genau dann, wenn k gerade ist. Mit (ii) folgt ord(yx) ∈{2, 2p}.

(iv) Ist ord(yx) = 2p, so gilt G C2p. Sei also ord(yx) = 2. Dann ist yxyx = 1 unddamit yxy−1 = x−1. Damit ist

G = 〈x, y | xp = 1 = y2, yxy−1 = x−1〉 = D2p .

KAPITEL 8. SYLOWSÄTZE 39

Das Beispiel zeigt insbesondere, dass es bis auf Isomorphie nur zwei Gruppen der Ordnungsechs, der Ordnung zehn, der Ordnung 14 etc gibt. Betrachten wir Gruppen mit kleinerElementzahl, so haben wir bisher die folgende Klassifikation erreicht:

|G| Isomorphietyp1 {1}2 C23 C34 C4, C2 × C2 = V45 C56 C6, D6 = S37 C78∗ C8, C4 × C2, C2 × C2 × C2, D8, Q89∗ C9, C3 × C310 C10, D1011 C1112∗ C12, C2 × C6, D12, A4, U13 C1314 C14, D1415∗ C15

Es ist an dieser Stelle noch offen, dass es genau zwei nicht-abelsche Gruppen der Ordnungacht gibt, nämlich D8 und Q8. Wir kennen bereits vier Gruppen der Ordnung zwölf. Hiergibt es noch eine weitere Gruppe U mit zwölf Elementen:

U = 〈x, y | x6 = 1, x3 = y2, yx = x−1y〉.

Eine weitere Anwendung unserer bisherigen Sätze zeigt, dass Gruppen der Ordnung p2

immer abelsch sind. Dies klassifiziert die Gruppen der Ordnung neun in der Tabelle oben.Hat eine Gruppe G die Ordnung |G| = pq, mit p < q Primzahlen, so gilt: Ist p kein Teilervon q −1, dann ist G zyklisch (dies klassifiziert die Gruppen der Ordnung 15), andernfallsgibt es bis auf Isomorphie zwei Gruppen der Ordnung pq, einmal Cpq, und eine weiterenicht-abelsche Gruppe.

Kapitel 9

Auflösbare Gruppen

Eine Gruppe G �= {1} heißt einfach, falls sie nur Normalteiler {1} und G hat. Anfangder 80er Jahre des letzten Jahrhunderts gelang die Klassifikation aller endlichen einfachenGruppen. Ihr Beweis ist mehrere Bücher lang.

Theorem 9.1 (Klassifikation endlicher einfacher Gruppen). Die endlichen einfachenGruppen sind:

(1) Die zyklischen Gruppen Cp, für p Primzahl;

(2) An, für n ≥ 5;

(3) endliche Gruppen vom Lie-Typ wie PSLn(Fq), für n > 2 und q > 3;

(4) 26 sogenannte sporadische Gruppen wie z. B. das Babymonster mit ≈ 4 · 1033 Ele-menten und das Monster mit ≈ 8 · 1053 Elementen.

In dieser Vorlesung wollen wir die Klasse aller endlichen auflösbaren Gruppen beschreiben.Wir werden sehen, dass diese Gruppen dadurch charakterisiert sind, dass sie aus einfachenzyklischen Gruppen zusammengeklebt sind. Was hier Zusammenkleben heisst, wird imLaufe dieser Vorlesung verdeutlicht. In den 60er Jahren zeigten Feit und Thompson, dassjede Gruppe ungerader Ordnung auflösbar ist. Auch diesen Satz können wir hier nichtbeweisen, er sagt aber, dass es sich bei den auflösbaren Gruppen um eine grosse Klassevon Gruppen handelt.

Beispiel 9.2. An ist einfach für n ≥ 5.

Beweis. (a) Sei {1} �= N � An. Wir zeigen N = An. Da N �= {1} ist, existiert id �= γ ∈N . Entweder ist γ ein 3-Zykel oder die Zerlegung als Produkt disjunkter Zykel hateine Gestalt wie in folgender Tabelle. Da N Normalteiler ist, ist mit γ ∈ N auch(πγπ−1)γ−1 ∈ N für alle π ∈ An.Wir haben:

γ wähle π ∈ An πγπ−1γ−1

(i) (a1a2a3a4 . . .) · · · (a2a1a3) (a1a3a4)(ii) (a1a2a3)(a4a5 . . .) · · · (a3a2a4) (a1a5a2a4a3) � weiter in (i)(iii) (a1a2)(a3a4)(a5a6) · · · (a2a1a3) (a1a4)(a2a3) � weiter in (iv)(iv) (a1a2)(a3a4) (a2a1a5) (a1a2a5)

Also enthält N mindestens einen 3-Zykel.

40

KAPITEL 9. AUFLÖSBARE GRUPPEN 41

(b) Angenommen der 3-Zykel (a1a2a3) liegt im Normalteiler N . Wähle π = (a3a4a5) ∈An. Da N � An ist, folgt

πγπ−1 Blatt 1= (πa1, πa2, πa3) = (a1a2a4) ∈ N.

Damit sind alle 3-Zykel der Form (a1, a2, x) mit x ∈ {1, . . . , n} \ {a1, a2} in N .Wiederholen des Arguments liefert, dass alle 3-Zykel in N liegen. Nach 3.9 ist

An = 〈 Menge aller 3-Zykel 〉 ⊆ N ⊆ An.

Also gilt N = An.

Definition 9.3.

(a) Sei G eine Gruppe. Sei

G(0) := G

G(1) := G′ = 〈[a, b] | a, b ∈ G〉G(n) := (G(n−1))′

für n ≥ 2 mit [a, b] := aba−1b−1. Dabei heißt G(n) die n-te Kommutatorgruppe.

(b) Eine Gruppe G heißt auflösbar, falls es ein n ∈ N gibt mit G(n) = {1}.

Beispiel 9.4.

(a) Eine Gruppe G ist abelsch genau dann, wenn G′ = {1}. Ist also G abelsch, dannist G auflösbar. Also sind A1, A2, A3 auflösbar. Nach Aufgabe 5.1 ist A′

4 = V4 unddamit A

(2)4 = V ′

4 = {1}. Also ist A4 auflösbar.

(b) Sei G eine einfache auflösbare Gruppe. Dann ist G Cp, p prim.

Beweis. Nach 4.6 ist G′ � G, und da G nach Voraussetzung auflösbar ist, ist G′

��G.Da G einfach ist, folgt G′ = {1}. Damit ist G abelsch. Da G einfach und abelsch ist,folgt G Cp, mit p Primzahl.

(c) Mit (b) folgt nun, dass alle einfachen nicht-abelschen Gruppen nicht auflösbar sind.Insbesondere ist An für n ≥ 5 nicht auflösbar, und A′

n = An. Nach Aufgabe 5.1 istS ′

n = An. Für n ≥ 5 ist dann S(i)n = A(i−1)

n = An für alle i ∈ N, also ist Sn nichtauflösbar.

Definition 9.5. Eine Folge von Untergruppen

{1} = G0 � G1 � . . . � Gn = G

mit Gi−1 � Gi für 1 ≤ i ≤ n heißt Normalreihe. Hierbei heißt n Länge der Normalreihe.Die Gruppen Gi�Gi−1

heißen Faktoren der Normalreihe von G. Unter Umständen werdendie Faktoren auch als Subquotienten der Normalreihe bezeichnet.Beachte: Jede Gruppe hat die Normalreihe {1} � G, d. h. jede Gruppe besitzt mindestenseine Normalreihe.

KAPITEL 9. AUFLÖSBARE GRUPPEN 42

Lemma 9.6. Sei N � G. Nach Aufgabe 5.1 ist G�N genau dann abelsch, wenn G′ ⊆ N .Insbesondere ist G�G′ abelsch.

Proposition 9.7. G ist genau dann auflösbar, wenn G eine Normalreihe mit abelschenFaktoren hat.

Beweis. „⇒“: Sei G auflösbar, d. h. es existiert r ∈ N mit G(r) = {1}. Nach 4.6 ist G′ � G.Also ist

{1} = G(r) � G(r−1) � G(r−2) � . . . � G′ � G

eine Normalreihe. Nach 9.6 sind alle Faktoren abelsch.„⇐“:

(i) Sei {1} = Nr � Nr−1 � . . . � N1 � N0 = G eine Normalreihe mit abelschenFaktoren. Wir zeigen G(i) ≤ Ni für alle i. Dann folgt G(r) ≤ Nr = {1}, also G(r) ={1}, d. h. G auflösbar.

(ii) Wir führen eine Induktion nach i durch: G�N1ist abelsch nach Voraussetzung. Mit

9.6 folgt, dass G′ = G(1) ≤ N1. Sei nun G(i−1) ≤ Ni−1 für i ≥ 2. Nach Voraussetzungist Ni−1�Ni

abelsch, also folgt mit 9.6, dass N ′i−1 ≤ Ni. Somit folgt G(i) = (G(i−1))′ ≤

N ′i−1 ≤ Ni.

Proposition 9.8.

(1) Untergruppen und homomorphe Bilder von auflösbaren Gruppen sind auflösbar. Ins-besondere: Ist G auflösbar und N � G, dann ist G�N auflösbar.

(2) Sei N � G und seien N und G�N auflösbar, dann ist G auflösbar.

Beweis.

(1) (a) Sei H ≤ G und G auflösbar mit G(r) = {1}. Dann ist H(r) ≤ G(r) = {1}, alsoH auflösbar.

(b) Sei ϕ : G → H ein Homomorphismus und sei G auflösbar mit G(r) = {1}. Esist ϕ([a, b]) = [ϕ(a), ϕ(b)] für alle a, b ∈ G. Damit folgt

ϕ(G′) = ϕ(〈[a, b] | a, b ∈ G〉) = 〈[ϕ(a), ϕ(b)] | ϕ(a), ϕ(b) ∈ ϕ(G)〉 = ϕ(G)′ .

Induktiv folgt ϕ(G)(r) = ϕ(G(r)) = ϕ({1}) = {1}. Somit ist ϕ(G) auflösbar.Da π : G → G�N, g �→ gN ein surjektiver Homomorphismus ist, folgt insbe-sondere, dass G�N = π(G) auflösbar ist.

(2) Benutze die Untergruppenkorrespondenz 5.7 und 9.7: Seien {1} = N0 � . . . � Nt =N und {1G�N

} = N�N � Nt+1�N � . . . � Nt+s�N = G�N Normalreihen mitabelschen Faktoren. Dann folgt

{1} = N0 � N1 � . . . � Nt = N � Nt+1 � Nt+2 � . . . � Nt+s = G

mit abelschen Faktoren Ni�Ni−1bzw. mit abelschen Faktoren

Nt+i�Nt+i−1

5.5 (b) (Nt+i�N

)�(Nt+i−1�N

) .

Nach 9.7 ist damit G auflösbar.

KAPITEL 9. AUFLÖSBARE GRUPPEN 43

Beispiel 9.9. Sei G eine p-Gruppe, dann ist G auflösbar.

Beweis. Induktion nach |G|. Nach 4.6 ist Z(G) � G und nach 8.6 ist Z(G) �= {1}.Entweder ist G abelsch und damit auflösbar oder {1} �= Z(G) ��G. Sei also jetzt G nichtabelsch. Nach Definition ist Z(G) abelsch, also auflösbar. Die Quotientengruppe G�Z(G)ist eine p-Gruppe mit echt kleinerer Ordnung als |G|. Nach Induktionsvoraussetzung istalso G�Z(G) auflösbar. Mit 9.8 folgt, dass G auflösbar ist.

Definition 9.10. Eine Normalreihe von G heißt Kompositionsreihe von G, falls alle ihreFaktoren einfach sind. Die Faktoren einer Kompositionsreihe heißen Kompositionsfakto-ren.

Bemerkung 9.11. Jede endliche Gruppe hat eine Kompositionsreihe. Die Gruppe Z hatkeine Kompositionsreihe.

Beweis. Wir beweisen die Aussage per Induktion nach |G|. Ist G einfach, dann ist {1} � Geine Kompositionsreihe. Andernfalls wähle N als maximalen Normalteiler in G, der nichtG selbst ist. Nach 5.7 folgt, dass G�N einfach ist. Nach Induktionsvoraussetzung hat Neine Kompositionsreihe {1} = N0 � . . . � Nt = N . Damit ist {1} = N0 � N1 � . . . �Nt = N � G eine Kompositionsreihe von G.

Theorem 9.12 (Jordan-Hölder). Sei G eine endliche Gruppe. Dann sind alle Komposi-tionsreihen von G äquivalent, d. h. sie haben gleiche Länge und bis auf Isomorphie undUmsortierung die gleichen Kompositionsfaktoren.

Beweisidee. Seien

{1} = G0 � . . . � Gr = G, (9.1){1} = H0 � . . . � Hs = G (9.2)

Kompositionsreihen von G. Mache Induktion nach r. Ist r = 1, so ist G einfach, unddie Behauptung folgt. Sei also r > 1, und die Behauptung sei korrekt für alle Gruppenmit einer Kompositionsreihe der Länge < r. Wir haben zwei Fälle: Im ersten Fall istGr−1 = Hs−1, dann hat Gr−1 die Kompositionsreihe {1} = H0 � . . . � Hs−1 = Gr−1.Nach Induktionsvoraussetzung ist s − 1 = r − 1, und die beiden Kompositionsreihen sindäquivalent. Also ist r = s und die Behauptung folgt.Im zweiten Fall ist Gr−1 �= Hs−1. Zeige Gr−1Hs−1 = G. Die Gruppe K := Gr−1 ∩ Hs−1hat eine Kompositionsreihe der Länge t , die sich jeweils zu einer Kompositionsreihe vonGr−1 beziehungsweise Hs−1 der Länge t+1 fortsetzen lässt. Nach Induktionsvoraussetzung,zuerst angewandt auf Gr−1, beziehungsweise im zweiten Schritt angewandt auf Hs−1, folgtr −1 = t+ 1 und dann r −1 = t+ 1 = s −1, und die beiden Kompositionsreihen von Gr−1sowie die beiden Kompositionsreihen von Hs−1 sind äquivalent. Die Kompositionsreihe vonK lässt sich über Gr−1 als auch über Hs−1 zu einer Kompositionsreihe der Länge t+2 von Gfortsetzen. Unter Benutzung des Isomorphiesatzes folgt, dass diese beiden Fortsetzungenäquivalent sind. Äquivalenz von Kompositionsreihen ist eine Äquivalenzrelation. Damitfolgt, dass die Kompositionsreihen (9.1) und (9.2) äquivalent sind.

Beispiel 9.13.

KAPITEL 9. AUFLÖSBARE GRUPPEN 44

(1) Es ist {1} � A3 � S3 eine Kompositionsreihe mit Kompositionsfaktoren isomorphzu C3 und C2. Genauso ist {1} � 〈x2〉 � C6 = 〈x〉 und {1} � 〈x3〉 � C6 = 〈x〉.Also hat auch C6 die Kompositionsfaktoren C2 und C3. Dieses Beispiel demonstriertauch den Satz von Jordan-Hölder.

(2) Eine Gruppe G mit Kompositionsreihe ist auflösbar genau dann, wenn ihre Kompo-sitionsfaktoren alle isomorph zu Gruppen Cp mit p Primzahl sind.

Beweis. „⇐“: Seien alle Kompositionsfaktoren von G isomorph zu Gruppen Cp, mitp Primzahl. Da Cp abelsch ist, ist die Kompositionsreihe von G eine Normalreihemit abelschen Faktoren, also ist G auflösbar.

„⇒“: Sei G auflösbar. Sei H�K ein Kompositionsfaktor von G, wobei K � H ≤ G.Da G auflösbar ist, ist nach 9.8 die Untergruppe H auflösbar, und damit ist auchH�K auflösbar. Folglich sind alle Kompositionsfaktoren von G einfache auflösbareGruppen. Mit 9.4 folgt die Behauptung.

Kapitel 10

Ringe und Ideale

In diesem Kapitel führen wir analog zur Gruppentheorie die Grundbegriffe der Ringtheorieein: Ringe, Teilringe, Ringhomomorphismen und Ideale, in Analogie zu Gruppen, Unter-gruppen, Gruppenhomomorphismen und normalen Untergruppen.

Definition 10.1. Eine nichtleere Menge R mit binären Verknüpfungen

+ : R × R → R, (x, y) �→ x + y

· : R × R → R, (x, y) �→ x · y

heißt Ring, falls gilt:

(i) (R, +) eine abelsche Gruppe mit Nullelement 0 und Inversen −a von a ∈ R ist;

(ii) die Multiplikation ist assoziativ und distributiv bezüglich der Addition, d. h. für allea, b, c ∈ R gilt

a(b + c) = ab + ac

(a + b)c = ac + bc ;

(iii) es existiert 0 �= 1 ∈ R mit a · 1 = a = 1 · a für alle a ∈ R.

Ein Ring heißt kommutativ, falls ab = ba für alle a, b ∈ R gilt. Schreibe a0 := 1 undan := an−1 · a für alle n ∈ N.

Die Definition eines Ringes variiert je nach Quelle. Bisweilen werden auch Ringe ohneEinselement als Ringe bezeichnet, und auch in dieser Vorlesung ist die Benutzung desBegriffs nicht immer einheitlich. Fast immer bedeutet Ring aber Ring mit Einselement.

Bemerkung 10.2.

(a) Es ist a · 0 = 0 = 0 · a für alle a ∈ R, denn a · 0 = a · (0 + 0) = a · 0 + a · 0 und somit,nach Addition des additiven Inversen −a · 0, folgt 0 = a · 0.

(b) Angenommen, 1 = 0 in einem Ring R. Dann ist a = a · 1 = a · 0 = 0 für alle a ∈ R,also R = {0}. Nach unserer Definition betrachten wir also R = {0} nicht als Ring.

Definition 10.3. Sei R ein Ring und S ⊆ R. Dann ist S ein Teilring oder Unterring vonR, S ≤ R, falls:

45

KAPITEL 10. RINGE UND IDEALE 46

(i) 1R ∈ S,

(ii) a, b ∈ S ⇒ a − b ∈ S,

(iii) a, b ∈ S ⇒ a · b ∈ S.

Äquivalent hierzu ist: Teilmenge S ⊆ R ist ein Ring, falls S mit den eingeschränktenOperationen von R ein Ring im Sinne von Definition 10.1 ist.

Beispiel 10.4.

(1) Z ≤ Q ≤ R ≤ C sind kommutative Ringe. Die natürlichen Zahlen (N, +, ·) bildenkeinen Ring. Die geraden Zahlen (2Z, +, ·) bilden keinen Ring (aber einen Ring ohneEins). Der Restklassenring (Zn, +, ·) von Z modulo n ist ein kommutativer Ring.

(2) Sei R ein kommutativer Ring. Dann heißt

R[X] := {a0 + a1X + . . . + anXn | n ∈ N0, ai ∈ R, 0 ≤ i ≤ n}

Polynomring in einer Variablen X über dem Ring R. Es gilt R ≤ R[X].

(3) Sei M eine abelsche Gruppe. Dann ist

End(M) = {ϕ : M → M | ϕ Gruppenhomomorphismus}

ein Ring mit Einselement id und

(f + g)(x) := f(x) + g(x)(f ◦ g)(x) := f(g(x))

für alle f, g ∈ End(M), x ∈ M .

(4) Sei d ∈ Z. Definiere

Z[√

d] := {a + b√

d | a, b ∈ Z} ,

dann ist Z[√

d] ≤ C, denn

1 = 1 + 0√

d ∈ Z[√

d](a + b

√d) ± (c + r

√d) = (a ± c)︸ ︷︷ ︸

∈Z

+ (b ± r)︸ ︷︷ ︸∈Z

√d ∈ Z[

√d]

(a + b√

d)(c + r√

d) = (ac + bdr)︸ ︷︷ ︸∈Z

+ (ar + bc)︸ ︷︷ ︸∈Z

√d ∈ Z[

√d] .

Z[√−1] = Z[i] heißt Ring der ganzen Gaußschen Zahlen.

(5) Sei R ein Ring. Dann heißt Z(R) := {a ∈ R | ∀y ∈ R : ay = ya} Zentrum von R.Es ist Z(R) ≤ R.

Definition 10.5. Seien R, S Ringe. Eine Abbildung ϕ : R → S heißt Homomorphismusoder Ringhomomorphismus, falls

• ϕ(1R) = 1S,

KAPITEL 10. RINGE UND IDEALE 47

• ϕ(a + b) = ϕ(a) + ϕ(b),

• ϕ(a · b) = ϕ(a) · ϕ(b),

für alle a, b ∈ R. Falls zusätzlich

• ϕ injektiv ist, heißt ϕ Monomorphismus.

• ϕ surjektiv ist, heißt ϕ Epimorphismus.

• ϕ bijektiv ist, heißt ϕ Isomorphismus.

• R = S ist, heißt ϕ Endomorphismus.

• ϕ bijektiv und R = S ist, heißt ϕ Automorphismus.

Ring R heißt isomorph zu Ring S, falls es einen Isomorphismus ϕ : R → S gibt; wirschreiben R S.

Bemerkung 10.6. Jeder Ringhomomorphismus ϕ : R → S ist ein Gruppenhomomor-phismus bezüglich +. Also gilt nach 1.9, dass ϕ(0) = 0 und ϕ(−a) = −ϕ(a) für alle a ∈ R.Definiere Ker(ϕ) := {a ∈ R | ϕ(a) = 0S}. Dann ist nach 2.5 die Abbildung ϕ genau danninjektiv, wenn Ker(ϕ) = {0R}.

Beispiel 10.7.

(a) Seien R, S Ringe. Dann ist R × S ein Ring mit komponentenweiser Addition undMultiplikation:

(r1, s1) + (r2, s2) := (r1 + r2, s1 + s2)(r1, s1) · (r2, s2) := (r1 · r2, s1 · s2) .

Das Nullelement ist 0 = (0R, 0S) und das Einselement ist 1 = (1R, 1S). Nach unsererDefinition ist R R × {0} kein Teilring von R × S, denn (1, 1) /∈ R × {0}, also istR × {0} kein Teilring von R × S.

(b) Sei S ≤ R. Die Einbettung i : S → R, s �→ s ist ein Monomorphismus von Ringen.

(c) Sei K ein Körper. Dann ist (Mn(K), +, ·) ein Ring. Sei V ein K-Vektorraum miteiner n-elementigen Basis B von V . Dann ist EndK(V ) = {f : V → V | f linear}ein Ring mit

(f + g)(x) := f(x) + g(x)(f ◦ g)(x) := f(g(x))

für alle f, g ∈ EndK(V ) und x ∈ V .Dann ist ψ = ψB : EndK(V ) → Mn(K), T �→ MB(T ) ein Ringisomorphismus, wobeiMB(T ) die darstellende Matrix von T bezüglich der Basis B ist, denn:

ψ(id) = In ,

ψ(S + T ) = MB(S + T ) = MB(S) + MB(T ) = ψ(S) + ψ(T ) ,

ψ(S ◦ T ) = MB(S ◦ T ) = MB(S) · MB(T ) = ψ(S) · ψ(T ) .

Die Abbildung ψ ist injektiv, da Ker(ψ) = {0}. Sei A ∈ Mn(K), dann ist ψ(TA) = A,also ψ surjektiv, wobei TA die lineare Abbildung ist, die durch Multiplikation mitA gegeben ist. Folglich ist ψ ein Isomorphismus.

KAPITEL 10. RINGE UND IDEALE 48

Definition 10.8. Sei R ein Ring, und (I, +) ≤ (R, +) eine Untergruppe. Dann heißt

• I Linksideal genau dann, wenn r · i ∈ I für alle r ∈ R, i ∈ I.

• I Rechtsideal genau dann, wenn i · r ∈ I für alle r ∈ R, i ∈ I.

• I zweiseitiges Ideal genau dann, wenn I ein Linksideal und ein Rechtsideal ist.

Wir schreiben I � R oder genauer I �l R bzw. I �r R bzw. I �2 R.

Beispiel 10.9.

(1) Die Ideale in R := Z sind genau I := nZ für n ∈ N0, siehe 2.4.

(2) Sei K ein Körper und R := M2(K). Dann ist

I :={(

a 0b 0

) ∣∣∣∣∣ a, b ∈ K

}

eine Untergruppe von (R, +). Für alle r ∈ R, i ∈ I ist ri ∈ I, aber(a 0b 0

)(1 10 0

)=(

a ab b

)/∈ I für (a, b) �= (0, 0) .

Somit ist I ein Links-, aber kein Rechtsideal.

(3) Sei R ein Ring. Dann ist {0} � R und R � R. Für a ∈ R ist (a) = Ra := {ra | r ∈R} ein Linksideal in R. Es heißt das von a erzeugte Ideal in R und ist das kleinsteIdeal in R, das a enthält. Analog definiert man das von a erzeugte Rechtsideal(a) = aR := {ar | r ∈ R}. Ist der Ring R kommutativ, so gilt aR = Ra, und (a) istein zweiseitiges Ideal.

(4) Sei ϕ : R → S ein Ringhomomorphismus. Dann ist Ker(ϕ) � R und im(ϕ) ≤ S einTeilring.

Bemerkung 10.10. Ist I � R, 1 ∈ I, dann ist r · 1 = r ∈ I für alle r ∈ R. Also ist I = R.

Lemma 10.11. Seien I, J � R. Dann gilt:

(a) I ∩ J � R;

(b) I + J � R;

(c) I · J � R, wobei I · J := {∑nk=1 ikjk | n ∈ N, ik ∈ I, jk ∈ J, 1 ≤ k ≤ n};

(d) Ist I �2 R und S ≤ R ein Teilring, dann ist I + S ≤ R ein Teilring.

Es gilt I · J ⊆ I ∩ J (für geeignete Versionen des Idealbegriffs).

Beweis.

(b) Da I, J ≤ R Untergruppen sind, gilt nach 2.8, dass I + J ≤ R eine Untergruppe ist.Sei also x ∈ I + J . Dann existieren i ∈ I, j ∈ J mit x = i + j. Sei r ∈ R. Dann folgtrx = ri + rj ∈ I + J , weil I � R, J � R.

Definition 10.12.

KAPITEL 10. RINGE UND IDEALE 49

(a) Definiere das von a1, . . . , as ∈ R erzeugte Ideal

(a1, . . . , as) := Ra1 + Ra2 + . . . + Ras = {r1a1 + . . . + rsas | ri ∈ R}10.11 (b)� R .

Es ist das kleinste Ideal in R, das die Elemente a1, . . . , as enthält.

(b) Ein Ideal, das von einem Element erzeugt wird, heißt Hauptideal.

Beispiel 10.13. Ideale in Z sind Hauptideale nach 10.9 und

nZ + mZ = ggT(n, m) · Z ,

nZ ∩ mZ = kgV(n, m) · Z ,

nZ · mZ = nmZ .

Satz 10.14. Sei R ein Ring, I �2 R. Dann ist R�I := {r + I | r ∈ R} die Quotienten-gruppe von (R, +) modulo (i, +) mit Addition (r + I) + (s + I) := (r + s) + I für aller, s ∈ R, siehe 4.8. Definiere die Multiplikation

· : R�I × R�I → R�I

durch (r+I)(s+I) := rs+I für r, s ∈ R. Dann ist (R�I, +, ·) ein Ring, der Quotientenringvon R modulo I. Die Abbildung π : R → R�I, r �→ r + I ist ein Ringepimorphismus.

Beweis.

(i) Die Multiplikation ist wohldefiniert: Sei r + I = r′ + I und s + I = s′ + I, d. h.r − r′ ∈ I und s − s′ ∈ I. Da I �2 R gilt, folgt:

rs = r′s′ − r′ (s′ − s)︸ ︷︷ ︸∈I

− (r′ − r)︸ ︷︷ ︸∈I

s ∈ r′s′ + I .

Also folgt rs + I = r′s′ + I.

(ii) Die Ringaxiome des Quotientenrings R/I folgen aus den Ringaxiomen von R. ZumBeispiel ist das Einselement 1R + I, denn (1 + I) · (r + I) = 1 · r + I = r · 1 + I =(r + I) · (1 + I).

(iii) Nach 4.8 ist π ein Gruppenepimorphismus. Es gilt π(1) = 1 + I und

π(rs) = rs + I = (r + I)(s + I) = π(r) · π(s)

für alle r, s ∈ R. Damit ist π ein Ringepimorphismus.

Kapitel 11

Struktursätze für Ringe

Sei R ein Ring. Wir beweisen in Analogie zur Gruppentheorie in Kapitel 5 die Struktur-sätze für Ringe.

Theorem 11.1 (Idealkorrespondenz). Sei ϕ : R → S ein Ringhomomorphismus. Danngilt:

(a) Ist J � S, so ist ϕ−1(J) � R. Insbesondere ist Ker(ϕ) = ϕ−1({0}) �2 R.

(b) Ist ϕ surjektiv, dann existiert eine Bijektion zwischen den Idealen I von R mitKer(ϕ) ⊆ I und den Idealen J von S durch I �→ ϕ(I) mit Umkehrfunktion J �→ϕ−1(J).

Beweis.

(a) Sei J � S. Nach Definition ist (J, +) ≤ (S, +) eine Untergruppe. Nach 4.6 istϕ−1(J) ≤ (R, +) eine Untergruppe. Sei x ∈ ϕ−1(J), d. h. ϕ(x) ∈ J . Sei r ∈ R. DaJ � S ist, folgt

ϕ(r · x) = ϕ(r)︸ ︷︷ ︸∈S

· ϕ(x)︸ ︷︷ ︸∈J

∈ J

und damit r · x ∈ ϕ−1(J) für alle x ∈ ϕ−1(J), r ∈ R. Also ist ϕ−1(J) � R.

(b) (i) Sei I � R. Dann ist (I, +) ≤ (R, +) Untergruppe, und damit nach 2.6 auch(ϕ(I), +) ≤ (S, +) Untergruppe. Außerdem gilt:

S · ϕ(I) ϕ surjektiv= ϕ(R) · ϕ(I)ϕ Homom.⊆ ϕ(R · I︸ ︷︷ ︸

=I

) = ϕ(I) .

Also ist ϕ(I) � S.(ii) • Sei J � S. Nach Definition des Urbilds gilt ϕ(ϕ−1(J)) = J .

• Sei I � R. Ist i ∈ I, dann ist i ∈ ϕ−1(ϕ(i)), also I ⊆ ϕ−1(ϕ(I)).Sei x ∈ ϕ−1(ϕ(I)), d. h. ϕ(x) ∈ ϕ(I). Dann existiert i ∈ I mit ϕ(x) = ϕ(i).Somit ist 0 = ϕ(x) − ϕ(i) = ϕ(x − i), also x − i ∈ Ker(ϕ) ⊆ I, also x ∈ I.Folglich gilt I = ϕ−1(ϕ(I)).

Bemerkung 11.2. Die Voraussetzung in 11.1, dass ϕ surjektiv ist, ist wichtig: Sei i :Z ↪→ Q, z �→ z. Dann ist i ein (injektiver) Ringhomomorphismus. Sei J := mZ mit m ≥ 2.Dann ist J = i(J) �� Q, denn 1

2 · m /∈ J .

50

KAPITEL 11. STRUKTURSÄTZE FÜR RINGE 51

Theorem 11.3 (Homomorphiesatz, Isomorphiesätze).

(a) Sei ϕ : R → S ein Ringhomomorphismus. Dann istR�Ker(ϕ) im(ϕ)

ein Ringisomorphismus.

(b) Sei S ≤ R Teilring und I �2 R. Dann istS + I�I S�S ∩ I

ein Ringisomorphismus, wobei S + I nach 10.11 ein Ring ist.

(c) Seien I ⊆ J zweiseitige Ideale in R. Dann ist(R�I

)�(J�I

) R�J

ein Ringisomorphismus, wobei J�I nach 11.1 ein Ideal in R�I ist.

Beweis. Die Beweise dieser Aussagen folgen aus den Beweisen der entsprechenden Aussa-gen für Gruppen in 5.3 und 5.5, wobei zu prüfen bleibt, ob die in Kapitel 5 angegebenenAbbildungen auch Ringhomomorphismen sind. Wir demonstrieren dies an Aussage (a):Nach 5.3 ist ϕ : R�Ker(ϕ) → im(ϕ), r + Ker(ϕ) �→ ϕ(r) ein Gruppenisomorphismus.Außerdem ist ϕ(1 + Ker(ϕ)) = ϕ(1) = 1 und

ϕ((a + Ker(ϕ))(b + Ker(ϕ))) = ϕ(ab + Ker(ϕ) = ϕ(ab) = ϕ(a)ϕ(b)= ϕ(a + Ker(ϕ)) · ϕ(b + Ker(ϕ)) ,

also ist der in 5.3 angegebene Gruppenisomorphismus auch ein Ringisomorphismus.

Beispiel 11.4. Sechs Professoren halten Vorlesungen zu den folgenden Zeiten:

Prof Erste Vorlesung Weitere VorlesungenA Montag alle 2 TageB Dienstag alle 3 TageC Mittwoch alle 4 TageD Donnerstag jeden TagE Freitag alle 6 TageF Samstag alle 5 Tage

Sonntags fallen Vorlesungen aus. Gibt es einen Sonntag, an dem alle Professoren ihreVorlesung ausfallen lassen müssen? Wir übersetzen das gestellte Problem in die mathema-tische Sprache: Nummeriere die Tage durch die natürlichen Zahlen, angefangen bei 1 amMontag in der ersten Woche. Wir suchen x ∈ N mit 7 | x und

1 + 2x1 = x

2 + 3x2 = x

3 + 4x3 = x

4 + 1x4 = x

5 + 6x5 = x

6 + 5x6 = x

KAPITEL 11. STRUKTURSÄTZE FÜR RINGE 52

Dieses Kongruenzgleichungssystem enthält redundante Information: Professor D mussan jedem Sonntag seine Vorlesung ausfallen lassen. Die Zahl x ist Lösung der fünftenGleichung genau dann, wenn x Lösung der ersten beiden Gleichungen ist: 6 | x − 5 genaudann, wenn 2 | x−5 = x−1 und 3 | x−5 = x−2. Ist x Lösung der vierten Gleichung, so istx auch eine Lösung der ersten Gleichung. Die erste, vierte und fünfte Gleichung sind alsoautomatisch erfüllt, falls die anderen drei Gleichungen eine Lösung haben. Unser Problemreduziert sich also dazu, alle Lösungen x ∈ N des folgenden Kongruenzsystems zu finden:

x ≡ 0 (mod 7)x ≡ 2 (mod 3)x ≡ 3 (mod 4)x ≡ 1 (mod 5) .

Der Beweis der Surjektivität der Abbildung ψ im folgenden Theorem 11.5 beinhaltet dieStrategie zur Lösung von Kongruenzgleichungen. Es sei dem Leser als Übungsaufgabeüberlassen, Theorem 11.5 auf t paarweise teilerfremde zweiseitige Ideale I1, . . . , It zu ver-allgemeinern. Hierbei heissen zweiseitige Ideale I1 und I2 eines Ringes R teilerfremd, fallsI1 + I2 = R ist.

Theorem 11.5. Sei R ein Ring und I1, I2 �2 R mit I1 + I2 = R. Dann istR�I1 ∩ I2

R�I1× R�I2

ein Ringisomorphismus, vermöge (r + I1 ∩ I2) �→ (r + I1, r + I2).

Beweis.

(a) Definiere ψ : R �→ R�I1× R�I2

durch r �→ (r + I1, r + I2). Dann ist ψ ein Ringhomo-morphismus. Aus (0 + I1, 0 + I2) = 0 = ψ(r) = (r + I1, r + I2) folgt Ker(ψ) = I1 ∩ I2.Ist ψ surjektiv, dann folgt mit 11.3 (a), dass

R�I1 ∩ I2= R�Ker(ϕ) im(ϕ) = R�I1

× R�I2.

(b) Wir zeigen, dass ψ surjektiv ist: Sei (b + I1, a + I2) ∈ R�I1× R�I2

. Da R = I1 + I2ist, existieren u1 ∈ I1 und u2 ∈ I2 mit 1 = u1 + u2.Es gilt

ψ(u1) = (u1 + I1, u1 + I2)= (0 + I1, (1 − u2) + I2)= (0 + I1, 1 + I2) .

Analog folgt ψ(u2) = (1 + I1, 0 + I2). Da ψ ein Homomorphismus ist, folgt

ψ(au1 + bu2) = ψ(a)ψ(u1) + ψ(b)ψ(u2)= (a + I1, a + I2)(0 + I1, 1 + I2) + (b + I1, b + I2)(1 + I1, 0 + I2)= (a · 0 + I1, a · 1 + I2) + (b · 1 + I1, b · 0 + I2)= (0 + I1, a + I2) + (b + I1, 0 + I2)= (b + I1, a + I2) .

Also ist ψ surjektiv.

KAPITEL 11. STRUKTURSÄTZE FÜR RINGE 53

Korollar 11.6. Sei m = ∏ti=1 mi eine Zerlegung in paarweise teilerfremde Zahlen mi.

Dann ist

Z�mZ Z�m1Z × . . . × Z�mtZ ,

vermöge x + mZ �→ (x + m1Z, . . . , x + mtZ). Insbesondere gibt es zu Zahlen c1, . . . , ct ∈ Zeine eindeutige Zahl x modulo m mit

x ≡ ci (mod mi), 1 ≤ i ≤ t .

Beweis. Induktion nach t unter Verwendung von 11.5. Da die mi paarweise teilerfremdsind, folgt ggT(∏t−1

i=1 mi, mt) = 1. Es gilt:

m1 · · · mt−1Z ∩ mtZ10.13= kgV(

t−1∏i=1

mi, mt)Z = mZ , (11.1)

m1 · · · mt−1Z + mtZ10.13= ggT(

t−1∏i=1

mi, mt)Z = Z . (11.2)

Nach (11.2) ist die Voraussetzung von Theorem 11.5 erfüllt. Es folgt also

Z�mZ(11.1)= Z�m1 · · · mt−1Z ∩ mtZ

11.5 Z�m1 · · · mt−1Z × Z�mtZInd Vor Z�m1Z × . . . × Z�mtZ .

Bemerkung 11.7. Seien a, b ∈ Z mit b �= 0. Ohne Einschränkung sei a > b. Der euklidi-sche Algorithmus besteht aus wiederholter Division mit Rest: Setze a =: r−2, b =: r−1,

a = q0 · b + r0, 0 ≤ r0 < b

b = q1 · r0 + r1, 0 ≤ r1 < r0

r0 = q2 · r1 + r2, 0 ≤ r2 < r1...

rn−2 = qnrn−1 + rn, 0 ≤ rn < rn−1

mit rn = 0. Dann ergibt sich aus den obigen Gleichungen:

ggT(a, b) = ggT(b, r0) = ggT(r0, r1) = . . . = ggT(rn−1, rn) = ggT(rn−1, 0) = rn−1 .

Wende den euklidischen Algorithmus rückwärts an:

ggT(a, b) = rn−1 = rn−3 − qn−1rn−2

= rn−3 − qn−1(rn−4 − qn−2rn−3)= (−qn−1)︸ ︷︷ ︸

∈Z

rn−4 + (1 + qn−1qn−2)︸ ︷︷ ︸∈Z

rn−3

...

= x · r−2 + y · r−1

= x · a + y · b

mit x, y ∈ Z. Dies ist die Aussage des Lemmas von Bézout: Ist d = ggT(a, b), dannexistieren x, y ∈ Z mit d = xa + yb.

KAPITEL 11. STRUKTURSÄTZE FÜR RINGE 54

Beispiel 11.8. Wir machen ein Beispiel zum Euklidischen Algorithmus. Es ist ggT(5, 7) =1. Es ist

7 = 1 · 5 + 25 = 2 · 2 + 12 = 2 · 1 + 0 ,

also

1 = 5 − 2 · 2= 5 − 2(7 − 5)= (−2) · 7︸ ︷︷ ︸

∈7Z

+ 3 · 5︸︷︷︸∈5Z

.

Beispiel 11.9.

(a) Finde x ∈ Z mit

x ≡ 0 (mod 7)x ≡ 1 (mod 5) .

Wegen ggT(5, 7) = 1 gilt 5Z + 7Z = Z. Schreibe 1 = u1 + u2 = 3 · 5 + (−2) · 7 =15 + (−14) ∈ 5Z + 7Z. Nach 11.5 ist

x ≡ 0 · 15 + 1 · (−14) (mod 35)≡ 21 (mod 35) .

(b) Finde x ∈ Z mit

x ≡ 2 (mod 3)x ≡ 3 (mod 4) .

Da ggT(3, 4) = 1, können wir 11.5 anwenden: 1 = (−3) + 4 =: u1 + u2, also x ≡2 · 4 + 3 · (−3) ≡ −1 ≡ 11 (mod 12).

(c) Finde x ∈ Z mit

x ≡ 21 (mod 35)x ≡ 11 (mod 12) .

Es ist ggT(35, 12) = 1. Es ist

35 = 2 · 12 + 1112 = 1 · 11 + 1 .

Damit folgt

1 = 12 − 11= 12 − (35 − 2 · 12)= (−35)︸ ︷︷ ︸

∈35Z

+ 3 · 12︸ ︷︷ ︸∈12Z

.

KAPITEL 11. STRUKTURSÄTZE FÜR RINGE 55

Mit 11.5 folgt

x ≡ 21 · 36 + 11 · (−35)≡ 371 (mod 420) ,

da 420 = 12 · 35 ist. Am Tag 371, einem Sonntag, müssen also alle sechs Professorenin Beispiel 11.4 zum ersten mal ihre Vorlesung ausfallen lassen.

Kapitel 12

Einheiten und Nullteiler

Definition 12.1. Sei R ein Ring.

(a) Definiere R× := {a ∈ R | ∃b ∈ R : ab = 1 = ba}. Dann ist (R×, ·) eine Gruppe,genannt Gruppe der Einheiten/Einheitengruppe in R. Ein Element a ∈ R× heißtEinheit oder invertierbar.

(b) Ein Ring mit R× = R\{0} heißt Schiefkörper. Ein kommutativer Schiefkörper heißtKörper.

Die Einheitengruppe ist eine Gruppe: Seien x, y ∈ R×, dann ist xx = 1 = xx, alsox−1 ∈ R×, und es ist yy = 1 = yy; wegen xyyx = x · 1 · x = 1 = y · 1 · y = yxxy ist auchxy ∈ R×. Ausserdem ist natürlich das Einselement 1 in R×.

Bemerkung 12.2. Sei R ein kommutativer Ring. Dann ist äquivalent:

(a) R ist Körper (d. h. R× = R \ {0}).

(b) R hat nur zwei Ideale: {0} und R.

(c) Für jeden Ring S und jeden Ringhomomorphismus ϕ : R → S ist ϕ injektiv.

Angenommen R ist ein Körper. Sei 0 �= I ein Ideal in R. Dann existiert 0 �= x ∈ I.Da x invertierbar ist, folgt 1 = x−1x ∈ I, also ist I = R. Dies zeigt (a) impliziert (b).Angenommen R hat nur zwei Ideale. Es ist ϕ(1) = 1, also ist Ker(ϕ) �= R ein Ideal inR, also ist Ker(ϕ) = 0, und die Abbildung ϕ ist injektiv. Dies zeigt (b) impliziert (c). Esist eine Übungsaufgabe für den Leser, die noch fehlende Implikation (c) impliziert (a) zuzeigen.

Beispiel 12.3.

(1) Es gilt Z× = {1, −1}. Ist K ein Körper, dann ist K× = K \ {0}, zum Beispiel istQ× = Q \ {0}.

(2) Es ist Z[i]× = {1, −1, i, −i}: Sei w ∈ Z[i]×, dann existiert z ∈ Z[i] mit 1 = wz.Komplex konjugieren ergibt 1 = 1 · 1 = wzwz = |w|2 · |z|2. Auf der rechten Seite derletzten Gleichung steht ein Produkt positiver ganzer Zahlen. Damit folgt:

1 = |w|2 = (x + iy)(x − iy) = x2 + y2 mit x, y ∈ Z,

also ist x = ±1, y = 0 oder x = 0, y = ±1.

56

KAPITEL 12. EINHEITEN UND NULLTEILER 57

(3) Ist K ein Körper, dann ist Mn(K)× = GLn(K).

(4) Seien R, S Ringe. Dann gilt (R × S)× = R× × S×, denn:

(x, y) ∈ (R × S)× ⇔ ∃(x, y) ∈ R × S : (x, y)(x, y) = (1, 1) = (x, y)(x, y)⇔ ∃(x, y) ∈ R × S : (xx, yy) = (1, 1) = (xx, yy)⇔ ∃(x, y) ∈ R × S : xx = 1 = xx, yy = 1 = yy

⇔ (x, y) ∈ R× × S× .

(5) Sei n ≥ 2 und Zn := Z�nZ = {0, . . . , n − 1} mit a := a + nZ. Dann ist

a + nZ ∈ Z×n ⇔ ggT(a, n) = 1 .

Insbesondere ist Zn genau dann ein Körper, wenn Z×n = Zn \{0}. Dies ist äquivalent

dazu, dass ggT(a, n) = 1 für 1 ≤ a ≤ n − 1, also dazu, dass n eine Primzahl ist.

Beweis.

(a) Sei ggT(a, n) = 1. Nach dem Lemma von Bézout existieren x, y ∈ Z mitax + ny = 1. Es folgt

1 + nZ = ax + ny + nZ = ax + nZ = (a + nZ)(x + nZ) ,

also ist (a + nZ) eine Einheit in Z×n .

(b) Sei a + nZ ∈ Z×n . Dann existiert b ∈ nZ mit (a + nZ)(b + nZ) = 1 + nZ, also

ab + nZ = 1 + nZ. Es folgt 1 ∈ ab + nZ und damit 1 = ab + nx für ein x ∈ Z.Dann folgt aber ggT(a, n) = 1.

Bemerkung 12.4. Definiere die Eulersche φ-Funktion φ : N → N, m �→ φ(m) := |Z×m|.

Diese Funktion ist ein Beispiel einer sogenannten zahlentheoretischen Funktion (siehedefinierende Eigenschaft (b) unten). Es gilt:

(a) m = ∑d|m φ(d).

(b) Sei m = m1m2 mit ggT(m1, m2) = 1. Dann ist φ(m) = φ(m1) · φ(m2).

(c) Es gilt

φ(m) = m · ∏p|m

p prim

(1 − 1

p

).

Beispiel: Wir berechnen kleine Werte der φ-Funktion per Hand. Zum Beispiel hat Z×4

genau die Einheiten 1, 3 nach 12.3. Es gilt:

φ(2) = |Z×2 | = 1

φ(3) = |Z×3 | = 2

φ(4) = |Z×4 | = 2

φ(5) = |Z×5 | = 4

φ(6) = |Z×6 | = 2

φ(7) = |Z×7 | = 6 .

KAPITEL 12. EINHEITEN UND NULLTEILER 58

Beweis.

(a) (i) Sei G = 〈g〉 eine zyklische Gruppe der Ordnung m. Dann ist

ord(gi) 3.5= ord(g)ggT(m, i)

= m

ggT(m, i).

Folglich ist jedes Element gi mit ggT(m, i) = 1 Erzeuger von G. Die Anzahlder Erzeuger von G ist also |Z×

m| = φ(m).(ii) Sei d | m. Nach Theorem 3.7 (b) gibt es genau eine Untergruppe Cd ≤ G mit d

Elementen. Da Cd zyklisch ist, hat Cd genau φ(d) viele Elemente der Ordnungd. Umgekehrt, jedes Element aus G der Ordnung d liegt in Cd. Ist g ∈ G, dannist ord(g) | |G| = m. Außerdem ist G = ·⋃d|m{Elemente in G der Ordnung d}.Also ist m = |G| = ∑

d|m φ(d).

(b) Nach 11.6 gilt Zm1m2 Zm1 × Zm2 für teilerfremde Zahlen m1 und m2. Damit folgt

Z×m1m2 (Zm1 × Zm2)× 12.3= Z×

m1 × Z×m2

und daher φ(m1m2) = φ(m1) · φ(m2).

(c) (i) Sei p eine Primzahl und n ∈ N. Sei X := {1, 2, . . . , p−1, p, p+1, . . . , 2p, . . . , pn}.Streiche alle Vielfachen von p aus X. Die neue Menge enthält nur Zahlenteilerfremd zu pn. Damit folgt φ(pn) = pn − pn−1 = pn

(1 − 1

p

).

(ii) Sei m = ∏ti=1 pni

i eine Primfaktorzerlegung mit paarweise verschiedenen pi,ni ∈ N. Dann folgt

φ(m) (b)=t∏

i=1φ(pni

i ) (i)=t∏

i=1pni

i

(1 − 1

pi

)

= mt∏

i=1

(1 − 1

pi

)= m

∏p|m

(1 − 1

p

).

Bemerkung 12.5. Wir interessieren uns dafür, den Ring Z genauer zu verstehen, undseine Eigenschaften zu verallgemeinern.

(a) Es gelten die folgenden Rechenregeln in Z:

(i) ab = 0 ⇒ a = 0 oder b = 0.(ii) ax = bx ⇒ a = b (für x �= 0).

Wieso gelten diese Rechenregeln? Der Ring Z lässt sich in den Körper Q der rationa-len Zahlen einbetten. Aus den Körperaxiomen folgen dann die obigen Rechenregeln:

(b) Sei K ein Körper.

(i) Sei ab = 0. Ist b �= 0, so existiert b−1 ∈ K. Dann folgt 0 = 0b−1 = abb−1 = a.Insgesamt folgt a = 0 oder b = 0.

(ii) Sei ax = bx. Angenommen x �= 0, dann existiert x−1 ∈ K und es folgt a =axx−1 = bxx−1 = b.

KAPITEL 12. EINHEITEN UND NULLTEILER 59

(c) Es gibt Ringe, in denen diese Regeln nicht gelten: Sei R = Z6. Dann ist

(i) 2 · 3 = 0, aber 2 �= 0, 3 �= 0.(ii) 2 · 2 = 5 · 2, aber 2 �= 5.

Definition 12.6.

(a) Ein Element 0 �= a ∈ R heißt Nullteiler, falls es 0 �= b ∈ R mit ab = 0 oder ba = 0gibt.

(b) Ein kommutativer Ring R ohne Nullteiler heißt Integritätsbereich (IB).

Ob das Nullelement eines Ringes als Nullteiler zugelassen wird, ist kulturell unterschied-lich. Lässt man Null als Nullteiler zu, so ist ein Integritätsbereich ein kommutativer RingR, in dem es außer Null keine Nullteiler gibt.

Beispiel 12.7.

(1) Nach 12.5 ist jeder Körper K ein Integritätsbereich. Sei R ein Integritätsbereichund R′ ≤ R ein Teilring, dann ist auch R′ ein Integritätsbereich. Zum Beispiel istZ[

√d] ≤ C ein Teilring, also ist Z[

√d] ein Integritätsbereich.

(2) Sei R ein endlicher Integritätsbereich. Dann ist R ein Körper.

Beweis. Sei 0 �= x ∈ R. Sei lx : R → R, r �→ x · r Linksmultiplikation mit x. Seixr = xs, dann folgt 0 = xr − xs = x(r − s). Da x �= 0 ist und es in R keineNullteiler gibt, folgt r − s = 0, also r = s. Daher ist lx injektiv. Da R endlich istund lx : R ↪→ R, ist lx auch surjektiv. Da 1 ∈ R ist, existiert r ∈ R mit lx(r) = 1.Damit ist xr = 1, also x invertierbar für alle x ∈ R \ {0}.

(3) Sei a ∈ R× eine Einheit, dann ist a kein Nullteiler: Sei ab = 0. Da a ∈ R× ist,existiert a−1 ∈ R. Damit ist b = a−1ab = a−1 · 0 = 0. Somit ist a kein Nullteiler.

(4) Ist K ein Körper und n ≥ 2, dann hat Mn(K) Nullteiler. Zum Beispiel für n = 2:(0 x0 y

)(0 10 0

)=(

0 00 0

).

Allgemein sind alle Eij ∈ Mn(K) Nullteiler.

(5) Seien R, S Ringe (z. B. Integritätsbereiche). Dann hat der Ring R × S Nullteiler:(r, 0)(0, s) = (0, 0) für r �= 0, s �= 0.

(6) Sei R = Zn mit n ≥ 2. Dann ist 0 + nZ �= a + nZ ein Nullteiler genau dann, wennggT(a, n) > 1.

Beweis. Sei d := ggT(a, n) > 1. Dann folgt d | a und d | n. Also existieren x, y ∈ Zmit dx = a und dy = n. Insbesondere ist hierbei 1 < y < n. Dann ist nx = dyx =dx · y = ay. Damit folgt 0 + nZ = nx + nZ = ay + nZ = (a + nZ)(y + nZ). Day + nZ �= 0 gilt, ist 0 + nZ �= a + nZ ein Nullteiler. Die Rückrichtung folgt mit(3).

KAPITEL 12. EINHEITEN UND NULLTEILER 60

Bemerkung 12.8. Wir wissen, dass Z ↪→ Q ein Teilring ist. Wir imitieren dies fürIntegritätsbereiche. Sei R ein Integritätsbereich. Definiere eine Relation ∼ auf R×R\{0}durch:

(r, s) ∼ (x, y) :⇔ sx = ry .

Dann ist ∼ eine Äquivalenzrelation. Zum Beispiel sei (a, b) ∼ (r, s) und (r, s) ∼ (x, y).Dann folgt br = as und sx = ry. Wir wollen (a, b) ∼ (x, y), d. h. bx = ay zeigen. Es istbry = asy und sxb = ryb, also auch say = sbx. Da s �= 0 und R Integritätsbereich ist,folgt ay = bx, d. h. ∼ ist transitiv. Schreibe r

s:= [(r, s)] für die Äquivalenzklasse von (r, s).

Es ist rs

= xy

genau dann, wenn sx = ry.

Theorem 12.9. Sei R ein Integritätsbereich. Sei Quot(R) := { rs

| r ∈ R, s ∈ R \ {0}}.Definiere

r

s+ x

y:= ry + sx

sy

undr

s· x

y:= rx

sy.

Dann ist (Quot(R), +, ·) ein Körper. Die Abbildung ε : R → Quot(R), r �→ r1 ist ein

Monomorphismus von Ringen.

Beweis.

(a) Die Operationen sind wohldefiniert: Sei ab

= a′b′ und x

y= x′

y′ . Dann folgt (a, b) ∼ (a′, b′)und (x, y) ∼ (x′, y′), also nach Definition ba′ = ab′ und yx′ = xy′. Es folgt für dieMultiplikation:

ab′xy′ = ba′yx′

und damit auch

(ax)(b′y′) = (by)(a′x′) .

Nach Definition von ∼ folgt (ax, by) ∼ (a′x′, b′y′), alsoa

b· x

y= ax

by= a′x′

b′y′ = a′

b′ · x′

y′ .

Ähnlich folgt, dass auch die Addition wohldefiniert ist.

(b) Die Ringaxiome zu prüfen, sei dem Leser überlassen. Das Nullelement in Quot(R)ist 0

1 , das Einselement ist 11 ; das additive Inverse zu a

bist −a

b; das multiplikative

Inverse zu ab

ist ba

für a, b �= 0. Es sei dem Leser überlassen, zu prüfen, dass εein Ringhomomorphismus ist. Ist r

1 = s1 , so folgt r = s, also ist die Abbildung ε

injektiv.

Beispiel 12.10. Es ist Quot(Z) = Q. Ist K ein Körper, dann ist Quot(K) K. DerPolynomring K[X] über einem Körper K ist ein Integritätsbereich nach 13.6. Der KörperK(X) der rationalen Funktionen ist definiert durch

K(X) = Quot(K[X]) ={

f

g

∣∣∣∣∣ f ∈ K[X], g ∈ K[X] \ {0}}

.

Kapitel 13

Polynomringe

Definition 13.1. Sei R ein Ring. Der Polynomring R[X] in einer Variablen X bestehtaus allen formalen Summen

f :=n∑

i=0aiX

i, n ∈ N0, ai ∈ R für 1 ≤ i ≤ n .

Wir nennen f ein Polynom, und schreiben f = ∑i≥0 aiX

i; hierbei setzen wir ai = 0 füralle i ≥ n + 1. Definiere auf R[X] Addition und Multiplikation von Polynomen durch:⎛

⎝∑i≥0

aiXi

⎞⎠+

⎛⎝∑

i≥0biX

i

⎞⎠ :=

∑i≥0

(ai + bi)X i

⎛⎝∑

i≥0aiX

i

⎞⎠ ·⎛⎝∑

i≥0biX

i

⎞⎠ :=

∑i≥0

ciXi

mit

ci :=i∑

p=0apbi−p =

∑p+q=i

apbq .

Bemerkung 13.2.

(a) Die Ringaxiome von R implizieren die Ringaxiome von R[X]. Hierbei gilt für Poly-nome f = ∑

aiXi, g = ∑

biXi und h = ∑

diXi: Der i-te Summand von (f · g) · h

isti∑

p=0cpdi−p =

i∑p=0

⎛⎝ p∑

q=0aqbp−q

⎞⎠ di−p

=i∑

p=0

p∑q=0

aqbp−qdi−p

=∑

r+s+t=i

arbsdt .

(b) Formal gesehen sind Polynome Folgen (ai), mit ai ∈ R, wobei nur endlich viele ai

ungleich Null sind. Setze X := (0, 1, 0, 0, . . .), dann folgt mit der obigen Multiplika-tionsformel

X2 = X · X = (0, 1, 0, 0, . . .) · (0, 1, 0, 0, . . .) = (0, 0, 1, 0, 0, . . .) .

61

KAPITEL 13. POLYNOMRINGE 62

Induktiv folgt, dass Xj = (bi) ist mit bi = 0 für i �= j und bj = 1. Für a ∈ R,definiere a · (bi) = (a · bi), dann entspricht die Folge (ai) genau der formalen Summe∑

aiXi aus Definition 13.1. Aus der formalen Definition von Polynomen folgt, dass

zwei Polynome f = ∑aiX

i und g = ∑biX

i genau dann gleich sind, wenn ai = bi istfür alle Indizes i. Zum Beispiel ist X2+X nicht das Nullpolynom, da es Koeffizientenungleich Null hat.

(c) Sei n ≥ 2. Definiere induktiv R[X1, . . . , Xn] := R[X1, . . . , Xn−1][Xn], den Polynom-ring über R in n Unbestimmten X1, . . . , Xn.

Theorem 13.3 (Universelle Eigenschaft des Polynomrings). Sei ϕ : R → S ein Ring-homomorphismus von kommutativen Ringen und sei β ∈ S. Dann gibt es genau einenRinghomomorphismus

ϕβ : R[X] �→ S

mit ϕβ ◦ iR = ϕ und ϕβ(X) = β. Hierbei ist iR : R ↪→ R[X], r �→ r, die kanonischeEinbettung von R als Teilring von R[X].Bemerkung: Die Abbildung ϕβ heißt Einsetzungshomomorphismus.Das Theorem besagt, dass das folgende Diagramm kommutiert:

R

R[X]

S

∃ϕβ

ϕ

iR

Beweis. Wir definieren die Abbildung ϕβ durch

ϕβ(∑

i

aiXi) =

∑i

ϕ(ai)βi . (13.1)

Dann ist ϕβ(1 · X0) = ϕ(1) · β0 = 1 und

ϕβ

((∑i

aiXi

)(∑i

biXi

))= ϕβ

⎛⎝∑

i

⎛⎝ i∑

p=0apbi−p

⎞⎠X i

⎞⎠

(13.1)=∑

i

ϕ

⎛⎝ i∑

p=0apbi−p

⎞⎠ · βi

ϕ Homom.=∑

i

i∑p=0

ϕ(ap)ϕ(bi−p) · βi

Mult=(∑

i

ϕ(ai)βi

)(∑i

ϕ(bi)βi

)

= ϕβ

(∑i

aiXi

)ϕβ

(∑i

biXi

).

Im vorletzten Schritt wurde benutzt, dass S kommutativ ist. Nachrechnen der verbleiben-den Eigenschaften ϕβ(f + g) = ϕβ(f) + ϕβ(g) für alle f, g ∈ R[X] liefert, dass ϕβ einRinghomomorphismus ist.

KAPITEL 13. POLYNOMRINGE 63

Bemerkung 13.4. Polynome sind im Allgemeinen keine Funktionen:

(a) Sei R ein kommutativer Ring. Sei X eine nicht-leere Menge. Dann ist die MengeAbb(X, R) = {f : X → R} mit

(f + g)(x) := f(x) + g(x) ,

(f · g)(x) := f(x) · g(x)

ein Ring. Auf Übungsblatt 7 wird dieser Ring mit RX bezeichnet.

(b) Sei nun X := R. Sei ϕa : R → R, x �→ a und idR : R → R, x �→ x. Die Abbildung ϕ1ist das Einselement in Abb(R, R). Definiere ϕ : R → Abb(R, R) mit a �→ ϕa. Dannist ϕ ein Ringhomomorphismus. Mit 13.3 folgt, dass genau ein RinghomomorphismusΦ : R[X] → Abb(R, R) existiert mit Φ ◦ iR = ϕ und mit Φ(X) = idR. Sei f =∑

i≥0 aiXi ein Polynom in R[X]. Dann ist

f := Φ(f) = Φ(∑

i

aiXi

)

13.3=∑

i

ϕ(ai) idiR =

∑i

ϕaiidi

R .

Die Abbildung f : R → R ist also gegeben durch

f(x) =∑

i

ϕai(x) idR(x)i =

∑i

aixi .

(c) Im Allgemeinen ist es wichtig, zwischen dem Polynom f und der Polynomfunktionf zu unterscheiden, denn der Homomorphismus Φ ist im Allgemeinen nicht injektiv.Zum Beispiel gilt für R = Z2: Es ist | Abb(Z2,Z2)| = 4. Aber Z2[X] hat unendlichviele Elemente, nämlich unter anderem 1 · X t für t ∈ N0. Alternativ, das Polynomf = X2 + X ist nicht das Nullpolynom (siehe 13.2), aber f ist die Nullfunktion,denn f(0) = 0 und f(1) = 0. Ist hingegen R = R oder R = C, so ist die AbbildungΦ injektiv. Angenommen f = Φ(f) = 0, die Nullfunktion. Dann hat die Funktion fjedes Element r ∈ R als Nullstelle, hat also unendlich viele Nullstellen. Polynomevom Grad n haben höchstens n Nullstellen. Also ist das Polynom f = 0, und dieAbbildung Φ ist injektiv. In diesem Fall können Polynome und Polynomfunktionenidentifiziert werden.

Bemerkung 13.5. Sei R ≤ S ein Teilring. Sei ϕ : R ↪→ S, r �→ r Einbettung. Sei β ∈ S.Dann ist

im(ϕβ) ={

n∑i=0

aiβi

∣∣∣∣∣ n ∈ N0, ai ∈ R

}

ein Teilring von S, der kleinste Teilring von S, der R und β enthält. Wir definieren R[β] := im(ϕβ), und lesen R[β] als „R adjungiert β“. Zum Beispiel ist Z[i] = {a + bi | a, b ∈ Z}und Z[ 3

√2] = {a + b 3

√2 + c( 3

√2)2 | a, b, c ∈ Z}.

Beispiel 13.6.

(a) Die Abbildung ϕi : R[X] → C, f �→ f(i) ist ein Ringhomomorphismus nach 13.3.

KAPITEL 13. POLYNOMRINGE 64

R

R[X]

C

ϕi

iR

Da ϕi(a+bX) = a+bi ist, ist die Abbildung ϕi surjektiv. Mit dem Homomorphiesatz11.3 folgt

R[X]�(X2 + 1) = R[X]�Ker(ϕi) im(ϕi) C .

Das Polynom X2 + 1 hat die Nullstelle i und somit ist X2 + 1 ∈ Ker(ϕi). In 14.6werden wir sehen, dass in R[X] jedes Ideal ein Hauptideal ist. Damit folgt rechtleicht, dass Ker(ϕi) = (X2 + 1), wobei (X2 + 1) das von X2 + 1 erzeugte Ideal ist.Siehe Beispiel 15.9.

(b) Sei p ∈ N, mit p ≥ 2. Die Abbildung ϕ : Z[X] → Zp[X], ∑ aiXi �→ ∑

aiXi, mit

ai := ai mod p ist ein Ringhomomorphismus nach 13.3.

Bemerkung 13.7 (Gradformel). Sei f = ∑aiX

i und g = ∑biX

i Polynome in R[X].

(a) Definiere den Grad von f , deg(f), als

deg(f) = max{i | ai �= 0}

mit der Konvention deg(0) = −∞. Sei n = deg(f). Der Koeffizient an heißt Leitko-effizient von f . Das Polynom f heißt normiert, falls der Leitkoeffizient von f einsist.

(b) Sei deg(f) = n, und deg(g) = m. Dann ist

deg(f + g) ≤ max{deg(f), deg(g)}deg(f · g) ≤ deg(f) + deg(g) .

In der letzten Formel gilt bisweilen Gleichheit. Der Koeffizient von Xn+m in f · g istanbm, und ist damit ungleich Null, falls an oder bm kein Nullteiler ist. In diesem Fall –also insbesondere wenn R ein Integritätsbereich ist – gilt deg(f ·g) = deg(f)+deg(g).Diese Formel wird als Gradformel bezeichnet.

Beispiel 13.8.

(a) In Z6[X] gilt (2x7 − 1) · (3x2 + 1) = 6x9 + 2x7 − 3x2 − 1 = 2x7 − 3x2 − 1, also

deg((2x7 − 1)(3x2 + 1)) = 7 < 9 = deg(2x7 − 1) + deg(3x2 + 1) .

(b) Es ist R ein Integritätsbereich genau dann, wenn R[X] ein Integritätsbereich ist. IstR ein Integritätsbereich, dann ist R[X]× = R×.

Beweis.

KAPITEL 13. POLYNOMRINGE 65

(i) „⇐“: Siehe 12.7.„⇒“: Sei R ein Integritätsbereich. Seien f, g ∈ R[X] mit f · g = 0 und g �= 0.Nach 13.7 folgt −∞ = deg(0) = deg(f · g) = deg(f) + deg(g). Damit folgtdeg(f) = −∞, d. h. f = 0. Also hat der Ring R[X] keine Nullteiler.

(ii) Sei f ∈ R[X]×, dann existiert ein Polynom g ∈ R[X] mit 1 = f · g. Mit derGradformel 13.7 folgt

0 = deg(1) = deg(f · g) = deg(f) + deg(g) .

Es folgt, dass deg(f) = 0 = deg(g) und damit f = a0 ∈ R und g = b0 ∈ R mita0b0 = 1. Also ist f ∈ R×. Das zeigt R[X]× = R×.

Theorem 13.9 (Division mit Rest in R[X]). Sei R ein Ring. Sei g = ∑di=0 biX

i ∈ R[X]mit Leitkoeffizent bd ∈ R×. Dann existieren zu f ∈ R[X] eindeutige q, r ∈ R[X] mit

f = q · g + r ,

wobei deg(r) < d.

Bemerkung: In den folgenden Anwendungen wird dieses Theorem typischerweise füreinen Körper R angewandt; in diesem Fall ist der Leitkoeffizient eines beliebigen Polynomsdann immer eine Einheit.

Beweis.

(a) Eindeutigkeit: Angenommen, f = qg + r = q′g + r′ mit deg(r) < d, deg(r′) < d.Dann ist (q − q′)g = r′ − r. Es folgt mit 13.7

d > deg(r − r′) = deg((q − q′) · g) = deg(q − q′) + deg(g)︸ ︷︷ ︸=d

,

wobei wir benutzt haben, dass die Einheit bd kein Nullteiler ist (siehe 12.7). Es folgtdeg(q − q′) = −∞, also q − q′ = 0, d. h. q = q′ und damit auch r = r′.

(b) Existenz: Wir machen Induktion nach deg f =: n. Ist deg f < d, wähle q = 0 undr = f , und die Behauptung folgt. Sei nun deg(f) ≥ d. Sei f = ∑n

i=0 aiXi. Setze

f1 := f − anb−1d Xn−dg .

Dann ist deg(f1) < deg(f). Nach Induktionsvoraussetzung existieren q1, r1 ∈ R[X]mit f1 = q1 · g + r1, und mit deg(r1) < d. Es folgt

f = f1 + anb−1d Xn−dg = (q1g + r1) + anb−1

d Xn−dg

= (q1 + anb−1d Xn−d)g + r1

mit deg(r1) < d.

Kapitel 14

Euklidische Ringe

Im Ring der ganzen Zahlen Z haben wir eine Division mit Rest. Diese ermöglicht es uns,den größten gemeinsamen Teiler (siehe 11.7) und das kleinste gemeinsame Vielfache zweierZahlen zu berechnen; für Zahlen a, b ∈ Z ist kgV(a, b) = a · b/ ggT(a, b). Division mit Restwar auch der Schlüssel, um in 2.4 zu zeigen, dass alle Ideale in Z Hauptideale sind. InKapiel 13 haben wir gesehen, dass es weitere Ringe gibt, die eine Division mit Rest haben.Dies motiviert uns solche Ringe in diesem Kapitel genauer zu studieren.

Definition 14.1. Ein Integritätsbereich R heißt euklidischer Ring oder euklidisch, fallses eine Abbildung δ : R\{0} → N0 gibt mit: Für alle a, b ∈ R mit b �= 0 existieren q, r ∈ Rmit a = qb + r mit r = 0 oder δ(r) < δ(b).Wir nennen δ euklidische Funktion oder Gradfunktion.

Beispiel 14.2.

(1) Sei K ein Körper. Seien a, b ∈ K mit b �= 0. Dann ist a = (ab−1)b + 0, d. h. q = ab−1

und r = 0. Also ist K euklidisch, wobei die Gradfunktion δ beliebig gewählt werdenkann.

(2) Der Ring der ganzen Zahlen Z mit δ(z) = |z| für alle z ∈ Z \ {0} ist euklidisch:Sei S = {m ∈ Z | m ≥ 0, m = a − nb, n ∈ Z}. Dann ist S �= ∅. Sei r := min S.Definiere q durch die Gleichung r = a − qb. Da r ∈ S ist, ist q ∈ Z. Nach Definitiongilt also a = qb + r mit 0 ≤ r < |b|.Es wird in Definition 14.1 nicht gefordert, dass die Division mit Rest eindeutig ist.Es gilt zum Beispiel 7 = 2 · 3 + 1 = 3 · 3 + (−2). In beiden Fällen gilt δ(r) < δ(b).

(3) Sei K ein Körper. Dann ist der Polynomring K[X] euklidisch mit δ(f) := deg(f).Siehe 13.8 und 13.9.

Beispiel 14.3.

(a) Sei R := Z[√

d] = {a + b√

d | a, b ∈ Z} für d ∈ {−2, −1, 2, 3} mit δ : R \ {0} → N0,definiert durch δ(x + y

√d) = |x2 − dy2|. Dann ist R euklidisch.

(b) Sei R := Z[wd] = {a + bwd | a, b ∈ Z} mit wd := 12(1 +

√d) für d ∈ {−11, −7, −3, 5}

mit δ : R \ {0} → N0, x + ywd �→ (x + ywd)(x + ywd) wobei wd := 12(1 − √

d). Dannist R euklidisch.

Der Ring R heißt der Ring der ganzen Zahlen im Körper Q[√

d].

66

KAPITEL 14. EUKLIDISCHE RINGE 67

Beweis.

(i) Sei d �= 1 eine quadratfreie ganze Zahl, also so, dass kein Quadrat einer natürlichenZahl ≥ 2 die Zahl d teilt. Definiere N : Q[

√d] → Q durch

N(x + y√

d) = x2 − dy2 = (x + y√

d)(x − y√

d).

Die Funktion N wird als Normfunktion bezeichnet. Schreibe z = x − y√

d für z =x + y

√d. Man nennt z das zu z konjugierte Element. Ist d negativ, so entspricht

dies genau der komplexen Konjugation. Es ist N(z) = z · z und z1 · z2 = z1 · z2.Damit folgt, dass die Norm N multiplikativ ist, also N(z1 · z2) = N(z1) · N(z2) füralle z1, z2 ∈ Q[

√d] gilt. Da die Betragsfunktion multiplikativ ist, ist auch δ = |N |

multiplikativ.

(ii) Seien a, b ∈ R mit b �= 0. Da R ≤ C ist, können wir im Körper C bzw. in Q[√

d]rechnen. Sei a = x + y

√d und b = s + t

√d für x, y, s, t ∈ Z. Es gilt:

ab−1 = x + y√

d

s + t√

d· s − t

√d

s − t√

d

=( . . . ) + ( . . . )

√d

s2 − dt2

= ( . . . )s2 − dt2 + (. . .)

s2 − dt2

√d = u + v

√d

für geeignete rationale Zahlen u, v ∈ Q. Auch wenn es nicht relevant für diesenBeweis ist, merken wir an: Diese Rechnung zeigt, dass b−1 ∈ Q[

√d] ist. Damit ist

also Q[√

d] ein Körper, wobei b−1 = bN(b)−1 ist.

(iii) Wähle m, n ∈ Z mit |u − m| ≤ 12 und |v − n| ≤ 1

2 . Setze α := u − m ∈ Q, β :=v − n ∈ Q, d. h. |α| ≤ 1

2 und |β| ≤ 12 . Setze q := m + n

√d ∈ R. Die Zahlen x, y ∈ Q

beziehungsweise in Z sind eindeutig durch die Zahl z = x + y√

d bestimmt. Trägtman die Zahl aus Z[

√d] in ein Koordinatensystem ein, so entsprechen sie gerade

ganzzahligen Gitterpunkten im Koordinatensystem. Geometrisch gesehen ist dann qder Punkt im Gitter mit kürzestem Abstand zum Punkt ab−1 im Koordinatensystem.Setze r := a − qb ∈ R. Dann gilt

r = (u + v√

d)b − (m + n√

d)b = b((u − m) + (v − n)√

d) = b(α + β√

d) .

Dann ist:

δ(α + β√

d) = |α2 − dβ2| =

⎧⎪⎪⎪⎪⎪⎨⎪⎪⎪⎪⎪⎩

α2 + 2β2 , für d = −2α2 + β2 , für d = −1|α2 − 2β2| , für d = 2|α2 − 3β2| , für d = 3

≤⎧⎨⎩α2 + 2β2 , für d ∈ {−2, −1, 2}

max{α2, 3β2} , für d = 3≤ 3

4< 1 .

Es folgt δ(r) = δ(b(α + β√

d)) = δ(b) · δ(α + β√

d) < δ(b).

Damit ist (a) bewiesen, (b) wird ähnlich bewiesen.

KAPITEL 14. EUKLIDISCHE RINGE 68

Definition 14.4. Ein Intigritätsbereich R heißt Hauptidealring (HIR), falls jedes IdealI � R ein Hauptideal ist, d. h. es existiert x ∈ R mit I = (x) = 〈x〉.Theorem 14.5. Jeder euklidiche Ring ist ein Hauptidealring.

Beweis. Wir imitieren den Beweis für Z, siehe 10.9 beziehungsweise 2.4. Ist I = {0},dann ist I ein Hauptideal, erzeugt durch das Nullelement. Sei also {0} �= I � R. Wähle0 �= d ∈ I mit δ(d) minimal in δ(I \{0}), d. h. δ(d) ≤ δ(x) für alle x ∈ I \{0}. Da d ∈ I ist,folgt 〈d〉 = (d) ⊆ I. Sei also x ∈ I. Da R euklidisch ist, existieren q, r ∈ R mit x = qd + rund r = 0 oder δ(r) < δ(d). Es ist r = x − qd ∈ I. Da δ(d) minimal ist, folgt r = 0. Alsoist x = q · d ∈ 〈d〉, und damit ist I = 〈d〉 ein Hauptideal.

Korollar 14.6. Die Ringe Z, K[X] für K Körper und Z[i] sind Hauptidealringe.

Beispiel 14.7.

(a) Der Polynomring Z[X] ist kein Hauptidealring, also nicht euklidisch.

(b) Ist K ein Körper, dann ist K[X, Y ] kein Hauptidealring, also nicht euklidisch.

Beweis. Sei I := 〈2, X〉 � Z[X]. Da 1 �∈ I, ist I �= Z[X]. Angenommen, I ist ein Haupt-ideal. Dann existiert 0 �= f ∈ Z[X] mit I = 〈f〉. Da 2 ∈ I = 〈f〉, existiert g ∈ Z[X] mit2 = f · g. Nach 13.7 ist 0 = deg(2) = deg(fg) = deg(f) + deg(g). Damit folgt deg(f) = 0,d. h. f = a0 ∈ Z. Da a0 | 2 gilt, ist a0 ∈ {±1, ±2}. Angenommen, a0 = ±1, dann istI = Z[X], Widerspruch. Angenommen, a0 = ±2, dann ist X /∈ 〈a0〉 = 〈f〉 = I. Also ist Ikein Hauptideal.

Beispiel 14.8. Sei R = Z[wd] = {a + bwd | a, b ∈ Z} mit wd = w = 12(1 +

√−19). Dannist R nicht euklidisch, aber R ist ein Hauptidealring.

Beweis. Wir zeigen hier nur, dass R nicht euklidisch ist. Um zu zeigen, dass R ein Haupt-idealring ist, imitiert man den Beweis von 14.5. Die Funktion δ = |N | in Beispiel 14.3 istfür R keine euklidische Funktion, sondern lediglich eine sogenannte schwach-euklidischeFunktion. Für diese schwach-euklidischen Funktionen lässt sich ein analoges Resultat zu14.5 zeigen.

(a) (i) Es ist w · w = 12 · 1

2(1 +√−19)(1 − √−19) = 1

4 · 20 = 5 und w + w = 1. Es folgt

(a + bw)(a + bw) = (a + bw)(a + bw) = a2 + 5b2 + ab

= 12

(a + b)2 + 12

a2 + 92

b2 ≥ 0

für alle a, b ∈ Z. Komplexe Konjugation ist multiplikativ, also ist die AbbildungN : R → N0 definiert durch N(a + bw) = a2 + 5b2 + ab multiplikativ.

(ii) Wir bestimmen die Einheiten des Rings R.• Sei x ∈ R×. Dann existiert y ∈ R mit 1 = xy. Folglich ist 1 = N(1) =

N(xy) = N(x) · N(y). Da der Bildbereich von N die natürlichen Zahlensind, folgt N(x) = 1.

• Sei x = a+bw ∈ R mit N(x) = 1. Dann ist 1 = N(x) = 12(a+b)2+ 1

2a2+ 92b2,

also b = 0, d. h. a = ±1. Dies zeigt R× = {±1}.

KAPITEL 14. EUKLIDISCHE RINGE 69

(b) (i) Angenommen, R = Z[w] ist euklidisch mit Gradfunktion δ. Wähle 0 �= x ∈R \ R× so, dass δ(x) minimal ist in δ(R \ {0, 1, −1}).Sei y ∈ R \ {0, 1, −1}. Da R euklidisch ist, existieren q, r ∈ R mit y = q · x + rmit r = 0 oder δ(r) < δ(x). Die Wahl von x impliziert, dass r = 0 oderr ∈ R× = {1, −1} ist. Sei S := R�〈x〉. Da x /∈ R× ist, ist 〈x〉 �= R. Der RingS enthält also mindestens zwei Elemente. Da y = qx + r mit r ∈ {0, 1, −1},folgt y + 〈x〉 = r + 〈x〉. Daher enthält S höchstens drei Elemente. Da (S, +)eine Gruppe ist, folgt mit 1.6, dass S Z�2Z oder S Z�3Z als Gruppe, unddamit (u. a. wegen 2 · 2 = 2(1 + 1) = 2 · 1 + 2 · 1 = 2 + 2 = 1) auch als Ring.

(ii) Es ist −19 = (2w − 1)2 = 4w2 − 4w + 1, also 0 = 4w2 − 4w + 20 und damit0 = w2 − w + 5. Folglich ist w Nullstelle von X2 − X + 5. Sei I � R. Dann ist

0 + I = (w2 − w + 5) + I

= (w + I)2 − (w + I) + (5 + I) ,

also ist w + I ∈ R�I eine Nullstelle von X2 − X + 5. Im Ring S = R�〈x〉 gibtes keine Nullstelle von X2 − X + 5:In Z2:

02 − 0 + 5 = 1 �= 012 − 1 + 5 = 1 �= 0 .

In Z3:

02 − 0 + 5 = 2 �= 012 − 1 + 5 = 2 �= 022 − 2 + 5 = 1 �= 0 .

Dies ist ein Widerspruch.

Also ist R nicht euklidisch.

Kapitel 15

Maximale Ideale und Primideale

Definition 15.1. Sei R ein kommutativer Ring.

(a) I � R heißt Primideal, falls I �= R und a, b ∈ I mit ab ∈ I impliziert a ∈ I oderb ∈ I.

(b) I � R heißt maximales Ideal, falls I �= R und kein Ideal J � R existiert mitI � J � R.

Proposition 15.2. Sei R ein Integritätsbereich, I ��R. Dann gilt:

(a) I Primideal ⇔ R�I Integritätsbereich.

(b) I maximal ⇔ R�I Körper.

Insbesondere sind maximale Ideale immer auch Primideale.

Beweis. Da R kommutativ ist, ist R�I ein kommutativer Ring nach 10.14.

(a) „⇒“: Seien a + I und b + I ∈ R�I mit (a + I)(b + I) = 0 + I. Es folgt ab + I = 0 + I,also ab ∈ I. Da I ein Primideal ist, folgt a ∈ I oder b ∈ I, also a + I = 0 + I oderb + I = 0 + I.„⇐“: Sei ab ∈ I. Dann ist 0+I = ab+I = (a+I)(b+I). Da R�I ein Integritätsbereichist, folgt a + I = 0 + I oder b + I = 0 + I. Damit folgt a ∈ I oder b ∈ I.

(b) „⇒“: Sei I ein maximales Ideal in R. Mit 11.1 und da I maximal in R ist, folgt,dass R�I nur die Ideale {0} und R�I hat. Nach 12.2 ist damit R�I ein Körper.

„⇐“: Sei R�I ein Körper. Dann hat R�I nach 12.2 nur die Ideale {0} und R�I. Mit11.1 folgt, dass es kein Ideal echt zwischen I und R gibt, also ist I nach Definition15.1 maximal.

Beispiel 15.3. Sei R = Z und p ∈ N0.

(a) Dann ist pZ � Z Primideal genau dann, wenn Z�pZ ein Integritätsbereich ist, alsowenn p prim oder p = 0 ist.

(b) Dann ist pZ � Z maximal genau dann, wenn Z�pZ ein Körper ist, also genau dann,wenn p prim ist.

70

KAPITEL 15. MAXIMALE IDEALE UND PRIMIDEALE 71

(c) Für n, m ∈ Z gilt n | m genau dann, wenn mZ ⊆ nZ. Sei m ∈ Z\{±1}. Sei p | m mitp Primzahl, dann ist mZ ⊆ pZ, also ist jedes Ideal mZ Teilmenge eines maximalenIdeals von Z.

Definition 15.4. Sei ∅ �= M eine Menge mit einer Relation ≤. Dann ist ≤ eine Halbord-nung auf M (beziehungsweise M heißt partiell geordnet), falls ≤ reflexiv und transitiv ist,und falls für a, b ∈ M mit a ≤ b und b ≤ a gilt, dass a = b ist (also ≤ anti-symmetrischist). Eine Halbordnung auf M heißt eine Ordnung auf M (beziehungsweise M heißt totalgeordnet), falls für a, b ∈ M immer a ≤ b oder b ≤ a gilt.

Beispiel 15.5.

(a) Auf Z ist die übliche ≤-Relation eine Ordnung.

(b) Sei ∅ �= X und P(X) = {U ⊆ X}. Dann ist die Mengeninklusion eine Halbordnungauf X.

Definition 15.6.

(a) Sei ∅ �= M eine Menge mit Halbordnung ≤. Dann heißt ∅ �= K ⊆ M eine Kette inM , falls ≤ auf K eine Ordnung ist.

(b) Ein Element s ∈ M heißt obere Schranke der Kette K ⊆ M , falls a ≤ s für allea ∈ K ist.

(c) Ein Element m ∈ M heißt maximal, wenn für alle a ∈ M gilt: m ≤ a ⇒ m = a.

Bemerkung 15.7. Das Lemma von Zorn sagt: Jede induktiv geordnete Menge M hatein maximales Element. Hierbei ist M induktiv geordnet, falls jede Kette K ⊆ M eineobere Schranke hat. Das Lemma von Zorn ist äquivalent zum Auswahlaxiom.

Theorem 15.8. Jeder kommutative Ring hat ein maximales Ideal.

Beweis. (a) Sei M := {I � R, I �= R}. Es ist {0} ��R, also M �= ∅. Die Menge M istpartiell geordnet durch Mengeninklusion. Sei T ⊆ M eine Kette. Setze I := ⋃

J∈T J .Wir zeigen I ��R, d. h. I ∈ M . Falls dies gilt, dann folgt J ⊆ I für alle J ∈ K. Damitist I eine obere Schranke von T , also ist M induktiv geordnet. Mit dem Lemma vonZorn folgt, dass M ein maximales Element M hat. Das bedeutet M ∈ M , alsoM ��R, und wenn M ⊆ I für I ��R gilt, dann ist M = I nach 15.6. Also folgt, dassM ein maximales Ideal von R im Sinne von 15.1 ist.

(b) Seien x, x′ ∈ I. Dann existieren J, J ′ ∈ T mit x ∈ J und x′ ∈ J ′. Ohne Einschrän-kung sei J ′ ⊆ J . Dann folgt x, x′ ∈ J . Da J � R ist, folgt x − x′ ∈ J ⊆ I undrx ∈ J ⊆ I für alle r ∈ R. Also folgt I � R. Angenommen, I = R. Dann ist1 ∈ I = ⋃

T . Also existiert J ∈ T mit 1 ∈ J , also J = R. Dies ist ein Widerspruchzu J ∈ T ⊆ M .

Beispiel 15.9.

(1) Die maximalen Ideale von C[X] sind genau die Hauptideale, die von linearen Poly-nomen X − a für a ∈ C, erzeugt werden. Es existiert also eine Bijektion zwischenkomplexen Zahlen und maximalen Idealen in C[X].

Beweis.

KAPITEL 15. MAXIMALE IDEALE UND PRIMIDEALE 72

(a) Sei ϕa : C[X] → C, f �→ f(a) der Einsetzungshomomorphismus. Da C[X]ein Hauptidealring ist, existiert ein Polynom g ∈ C[X] mit Ker(ϕa) = 〈g〉.Insbesondere ist g(a) = 0. Aus der Schule wissen wir, dann folgt X − a | g.Damit folgt 〈g〉 ⊆ 〈X −a〉. Da ϕa(X −a) = a−a = 0, folgt Ker(ϕa) = 〈X −a〉.Mit 11.3 folgt, dass

C[X]�Ker(ϕa) im(ϕa) C

ein Körper ist. Mit 15.2 folgt, dass Ker(ϕa) = 〈x − a〉 � C[X] maximal ist.(b) Sei M � C[X] maximal. Da C[X] ein Hauptidealring ist, existiert ein Polynom

f ∈ C[X] mit M = 〈f〉. Da 〈f〉 = 〈λf〉 für λ ∈ C× ist, können wir ohneEinschränkung annehmen, das f normiert ist. Jedes Polynom in C[X] positivenGrades hat eine Nullstelle in C. Sei a ∈ C eine Nullstelle von f . Dann istf(a) = 0, also X − a | f . Damit ist 〈f〉 ⊆ 〈X − a〉 ⊆ C[X]. Angenommen〈X −a〉 = C[X], dann existiert g ∈ C[X] mit (X −a)g = 1. Mit der Gradformel13.7 ergibt sich ein Widerspruch: 0 = deg(1) = deg(X−a)+deg(g) = 1+deg(g).Also ist 〈X − a〉 �= C[X]. Nach Voraussetzung ist M � C[X] maximal, alsogilt M = 〈f〉 = 〈X − a〉.

(2) Sei ϕ : R[X] → C definiert durch f �→ f(i). Da ϕ(a + bX) = a + bi, ist derEinsetzungshomomorphismus ϕ surjektiv. Da R[X] Hauptidealring ist, existiert einPolynom g ∈ R[X] mit 〈g〉 = Ker(ϕ). Wegen ϕ(X2 + 1) = i2 + 1 = −1 + 1 = 0, istX2 + 1 ∈ Ker(ϕ). Dann ist g | X2 + 1. Schreibe g · h = X2 + 1 für ein h ∈ R[X].Mit der Gradformel 13.7 folgt 2 = deg(X2 + 1) = deg(gh) = deg(g) + deg(h). Wäredeg(g) = 0, so folgt Ker(ϕ) = C[X], ein Widerspruch zu ϕ(1) = 1. Es gibt keinPolynom in R[X] vom Grad eins mit Nullstelle i. Also ist deg(g) �= 1. Also folgtdeg(g) = 2 und deg(h) = 0. Damit folgt g = μ(X2 + 1) für ein μ ∈ R×, undKer(ϕ) = 〈X2 + 1〉. Mit 11.3 gilt

C[X]�Ker(ϕ) im(ϕ) C

ist ein Körper, also ist Ker(ϕ) = 〈X2 + 1〉 nach 15.2 ein maximales Ideal in R[X].

Beispiel 15.10.

(a) Sei R ein kommutativer Ring und I ��R. Wende 13.3 an auf den Ringhomomor-phismus R

π−→ R�I ↪→(R�I

)[X]. Dann existiert genau ein Ringhomomorphismus

ϕ : R[X] →(R�I

)[X] mit ϕ(r) = r + I für alle r ∈ R und ϕ(X) = X. Nach dem

Beweis von 13.3 ist

ϕ

(∑i

aiXi

)=∑

i

(ai + I)X i ,

also ist ϕ surjektiv. Ausserdem ist

Ker(ϕ) ={∑

i

aiXi | ai ∈ I

}=: I[X] � R[X] .

Mit 11.3 gilt

R[X]�I[X] (R�I

)[X] .

KAPITEL 15. MAXIMALE IDEALE UND PRIMIDEALE 73

(b) Es ist I � R Primideal genau dann, wenn der Quotientenring R�I ein Integritäts-bereich ist, siehe 15.2. Nach 13.8 und (a) passiert dies genau dann, wenn

(R�I

)[X]

beziehungsweise R[X]�I[X] ein Integritätsbereich ist. Nach 15.2 ist dies äquivalentdazu, dass I[X] � R[X] Primideal ist. Wir können also Primideale von R hochhe-ben zu Primidealen im Polynomring R[X]. Im Allgemeinen hat der PolynomringR[X] aber mehr Primideale als R. Betrachte zum Beispiel den Ring R = Z. Dannist 〈X〉 = {a1X + a2X

2 + . . . + anXn | n ∈ N, ai ∈ R} �= I[X] für I � Z. Wir zeigen:〈X〉 ��Z[X] ist Primideal. Betrachte den Einsetzungshomomorphimus

ψ : Z[X] → Z, f �→ f(0) .

Dann ist ψ ein Epimorphismus mit Ker(ψ) = 〈X〉. Nach 11.3 ist

Z[X]�〈X〉 Z

ein Integritätsbereich. Mit 15.2 folgt, dass 〈X〉 ein Primideal in Z[X] ist. Wir merkenan, da 〈X〉 � 〈X, 2〉 � R[X], ist dieses Primideal nicht maximal.

Kapitel 16

Faktorielle Ringe

Wir wollen die Existenz und Eindeutigkeit der Primfaktorzerlegung im Ring der ganzenZahlen besser verstehen. Welche Eigenschaften von Z sind dafür verantwortlich, dass eineZerlegung in Primfaktoren existiert und eindeutig ist? Hierfür verallgemeinern wir dasProblem auf Integritätsbereiche. Zunächst müssen wir uns mit der Frage auseinanderset-zen, was Primzahlen in einem beliebigen Integritätsbereich sein sollen.

Definition 16.1. Sei R ein Integritätsbereich und a, b ∈ R.

(a) Ein Element a teilt b, geschrieben a | b, falls c ∈ R existiert mit a · c = b. Dies istäquivalent zu b ∈ 〈a〉 und zu 〈b〉 ⊆ 〈a〉.

(b) Ein Element a heißt assoziiert zu b, geschrieben a ∼ b, falls a | b und b | a. Diesist äquivalent zu 〈a〉 = 〈b〉 und zu ∃u ∈ R× mit a = ub. Assoziiertheit ist eineÄquivalenzrelation. Im Ring der ganzen Zahlen ist zum Beispiel die Zahl n assoziiertzu −n.

Beweis. Angenommen, a ∼ b mit a �= 0 �= b. Dann folgt a | b und b | a. Alsoexistieren u, v ∈ R mit au = b und bv = a. Es folgt b = au = bvu. Da R einIntegritätsbereich ist, und b �= 0, können wir kürzen. Es folgt 1 = vu, also istu ∈ R× und a = ub.Rest: Nachrechnen.

Bemerkung 16.2. Eine Primzahl in N ist eine natürliche Zahl p �= 1, die genau die Teiler{1, p} in N hat. Sei p eine Primzahl und seien a, b ∈ Z mit p | ab. Dann folgt p | a oderp | b. Der folgende kurze Beweis zeigt, dass diese Charakterisierung von Primzahlen eineKonsequenz aus der Division mit Rest in Z ist.

Beweis. Angenommen, p � a. Da p nur Teiler {1, p} hat, folgt ggT(a, p) = 1. Nach Bézoutexistieren x, y ∈ Z mit ax+py = 1. Also ist b = abx+pby und wegen p | ab folgt p | b.

Definition 16.3. Sei R ein Integritätsbereich.

(a) Ein Element 0 �= p ∈ R heißt prim oder Primelement, falls p /∈ R× und p | abimpliziert p | a oder p | b (für a, b ∈ R).

(b) Ein Element 0 �= u ∈ R heißt unzerlegbar oder irreduzibel, falls u /∈ R× und u = abimpliziert a ∈ R× oder b ∈ R× (für a, b ∈ R).

74

KAPITEL 16. FAKTORIELLE RINGE 75

Bemerkung 16.4. Im Ring der ganzen Zahlen fallen die Konzepte Primzahl, Primele-ment und unzerlegbares Element zusammen. Im Allgemeinen gilt: jedes Primelement istunzerlegbar. Im nächsten Beispiel sehen wir, dass die Umkehrung falsch ist.

Beweis. Sei 0 �= p ∈ R \ R× prim. Sei p = ab für a, b ∈ R. Also p | ab. Da p prim ist, folgtp | a oder p | b. Ohne Einschränkung sei p | a, d. h. es existiert x ∈ R mit px = a. Folglichist p = ab = pxb, und da R Integritätsbereich ist, folgt 1 = xb, also b ∈ R×.

Beispiel 16.5. Die Umkehrung von 16.4 ist falsch. Sei R = Z[√−5] ≤ C, d. h. R Inte-

gritätsbereich. Es ist 6 = 2 · 3 = (1 +√−5)(1 − √−5), wobei 2, 3, 1 +

√−5, 1 − √−5unzerlegbar sind, aber nicht prim. Dies ist auch ein Beispiel für eine Faktorisierung einesElementes in unzerlegbare Elemente, die nicht eindeutig ist.

Beweis. (a) Sei N : R → N0, a + b√−5 �→ a2 + 5b2. Dann ist N multiplikativ. Wie in

14.8 folgt x ∈ R× genau dann, wenn N(x) = 1. In unserer Situation ergibt sich –wie auch in vielen anderen solchen Ringen – dass R× = {±1} ist.

(b) Sei 2 = x · y für x, y ∈ R. Es folgt 4 = N(2) = N(xy) = N(x)N(y). Damit istN(x) ∈ {1, 2, 4}. Es gibt keine a, b ∈ Z mit x = a + b

√−5 und N(x) = a2 + 5b2 = 2.Ist N(x) = 1, dann ist x ∈ R×. Ist N(x) = 4, dann ist N(y) = 1, also y ∈ R×. Alsoist 2 unzerlegbar.

(c) Es gilt 2 | (1 +√−5)(1 − √−5) = 6 = 2 · 3. Sei 2 | x, dann existiert y ∈ R mit

2y = x. Dann ist N(x) = N(2)N(y) = 4N(y), insbesondere N(2) = 4 | N(x). Es istN(1 ± √−5) = 6 und 4 � 6. Somit ist 2 � (1 ± √−5). Also ist 2 nicht prim.

Proposition 16.6. (a) In einem Integritätsbereich R gilt für 0 �= p ∈ R:

(i) 〈p〉 � R Primideal ⇔ p prim.(ii) 〈u〉 � R maximal ⇒ u unzerlegbar.

(b) In einem Hauptidealring R gilt auch: Ist u ∈ R unzerlegbar, dann ist 〈u〉 � Rmaximal. Insbesondere gilt also in einem Hauptidealring, dass die Definitionen vonunzerlegbar und von prim äquivalent sind.

Beweis.

(a) (i) „⇒“: Sei 〈p〉 � R ein Primideal, d. h. p �= 0, p /∈ R×. Sei p | ab, dann folgtab ∈ 〈p〉, also a ∈ 〈p〉 oder b ∈ 〈p〉. Damit ist p | a oder p | b. Also ist p prim.„⇐“: Sei p ∈ R prim, d. h. p �= 0, p /∈ R×. Dann ist 〈p〉 �= {0} und 〈p〉 �= R. Seialso ab ∈ 〈p〉. Dann folgt p | ab. Da p prim ist, ist dann p | a oder p | b, d. h.a ∈ 〈p〉 oder b ∈ 〈p〉. Also ist 〈p〉 ein Primideal.

(ii) Ist 〈u〉 maximal, dann ist es nach 15.2 auch ein Primideal, also ist u nach (i)prim und damit nach 16.4 unzerlegbar.

(b) (i) Sei u unzerlegbar. Sei 〈u〉 ⊆ I � R mit I � R. Da R ein Hauptidealring ist,existiert b ∈ R mit I = 〈b〉. Da I �= R ist, ist b /∈ R×. Da 〈u〉 ⊆ 〈b〉 ist, folgtb | u, d. h. ∃a ∈ R mit ab = u. Da b /∈ R× und u unzerlegbar ist, folgt a ∈ R×,d. h. b ∼ u. Es folgt I = 〈b〉 = 〈u〉. Also ist 〈u〉 maximales Ideal in R.

(ii) Nach 16.4 gilt prim impliziert unzerlegbar. Umgekehrt, sei u unzerlegbar, dannist 〈u〉 � R maximal, also 〈u〉 Primideal nach 15.2, also u prim.

KAPITEL 16. FAKTORIELLE RINGE 76

Definition 16.7. Ein Integritätsbereich R heißt faktoriell, falls gilt:

(i) Jedes Element in R\({0}∪R×) ist endliches Produkt von unzerlegbaren Elementen.

(ii) Ist p1 · . . . · pm = q1 · . . . · qn mit pi, qj unzerlegbar, dann folgt m = n und nachUmsortierung pi ∼ qi für 1 ≤ i ≤ m.

Es gibt verschiedene Beweise, um zu zeigen, dass jede Nicht-Einheit im Ring der ganzenZahlen eine Primfaktorzerlegung hat. Wir orientieren uns am folgenden Argument: Seia �= 1 eine natürliche Zahl. Entweder ist a bereits unzerlegbar, dann exisitiert eine Zer-legung von a als endliches Produkt von unzerlegbaren Elementen. Oder a ist zerlegbar.Dann ist a = a1b1, wobei weder a1 noch b1 eine Einheit ist. Da a1 und b1 echt kleinerals a sind, gibt es nach Induktionsvoraussetzung jeweils eine Zerlegung von a1 und von b1als endliches Produkt von unzerlegbaren Elementen. Also lässt sich auch a als endlichesProdukt unzerlegbarer Elemente schreiben. Da in Ringen im Allgemeinen keine Ordnungs-relation existiert, muss das induktive Argument in diesem Beweis ersetzt werden. Dazubenötigen wir die folgende Hilfsaussage:

Lemma 16.8. Sei R ein Hauptidealring und It � R for t ∈ N mit I1 ⊆ I2 ⊆ . . . ⊆ It ⊆It+1 ⊆ . . .. Dann existiert n ∈ N mit It = In für alle t ≥ n, d. h. die Idealkette wirdstationär.

Beweis. Sei I := ⋃t∈N It. Wie in 15.7 gilt I � R. Da R ein Hauptidealring ist, existiert

d ∈ I mit I = 〈d〉 = ⋃t∈N It, also existiert n ∈ N mit d ∈ In. Sei t ≥ n, dann ist

In ⊆ It ⊆ I = 〈d〉 ⊆ In. Dies zeigt It = In für alle t ≥ n.

Theorem 16.9. Jeder Hauptidealring R ist faktoriell.

Beweis.

(a) Wir wollen 0 �= a ∈ R \ R× als Produkt von unzerlegbaren Elementen schreiben.

(i) Angenommen, a ist unzerlegbar, dann sind wir fertig. Sei also a zerlegbar, d. h.es existieren a1, b1 ∈ R mit a = a1b1 ∈ R \ R× mit a = a1b1. Dann ist a1 | a(und a1 � a), also 〈a〉 � 〈a1〉. Wiederhole das Argument: Entweder sind bereitsa1 und b1 unzerlegbar, dann endet der Prozess. Oder aber mindestens einesder beiden Elemente – ohne Einschränkung sei dies a1 – ist zerlegbar; dannexistieren a2, b2 ∈ R \ R× mit a1 = a2b2 und damit ist 〈a〉 � 〈a1〉 � 〈a2〉. Nachwiederholter Anwendung erhalten wir eine aufsteigende Kette von Idealen. Mit16.8 folgt, dass diese Kette stationär wird, etwa bei 〈an〉. Setze q1 := an. Dannist q1 unzerlegbar mit a = q1 · a′.

(ii) Wiederhole den Prozess in (i) für a′. Dann erhalten wir ein unzerlegbares Ele-ment q2 mit a′ = q2 ·a′′, d. h. a = q1q2a

′′ etc. Wir erhalten hierbei wiederum eineaufsteigende Idealkette 〈a〉 ⊆ 〈a′〉 ⊆ 〈a′′〉 . . .. Nach 16.8 muss diese Idealkettestationär werden, etwa bei 〈a(m)〉. Dann ist a(m) = qm unzerlegbar, und damita = q1 · · · qm endliches Produkt unzerlegbarer Elemente qi, mit 1 ≤ i ≤ m.

(b) Sei a = p1 · . . . · pm = q1 · . . . · qn mit pi, qj unzerlegbar. Da R Hauptidealring ist,sind pi, qj prim, siehe 16.8. Da p1 | q1 · . . . · qn und p1 prim ist, existiert j mit p1 | qj .Ohne Einschränkung sei j = 1, d. h. p1 | q1. Also existiert u ∈ R mit p1u = q1.Da q1 unzerlegbar ist, muss einer der beiden Faktoren eine Einheit sein. Da aber

KAPITEL 16. FAKTORIELLE RINGE 77

p1 unzerlegbar ist, folgt u ∈ R×. Also ist p1 ∼ q1. Wir kürzen mit p1 und erhaltenp2 · . . . ·pm = q′

2 ·q3 · . . . ·qn mit q′2 ∼ q2. Induktiv folgt m = n und nach Umsortierung

gilt pi ∼ qi für 1 ≤ i ≤ m.

Bemerkung 16.10.

(a) Wir haben gezeigt: Ist R Integritätsbereich, in dem jede aufsteigende Kette vonHauptidealen abbricht und in dem die Konzepte von unzerlegbar und prim überein-stimmen, dann ist R faktoriell.

(b) Ist R faktoriell, dann sind die Definitionen von unzerlegbar und prim äquivalent.

Beweis. Sei p unzerlegbar und p | ab. Dann existiert x ∈ R mit px = ab. Schreibex, a, b als Produkt von unzerlegbaren Elementen. Da R faktoriell ist und p unzer-legbar, muss p (bis auf Assoziiertheit) in der Zerlegung von ab vorkommen, alsoentweder in der Zerlegung von a oder in der von b. Dies zeigt p | a oder p | b.

Kapitel 17

Polynomringe über faktoriellenRingen

Sei R ein Integritätsbereich mit Quotientenkörper K = Quot(R). Der größte gemeinsameTeiler zweier Zahlen a, b ∈ Z wird in der Schule definiert als die größte ganze Zahl, die so-wohl a als auch b teilt. In Integritätsbereichen haben wir im allgemeinen keine Ordnungs-relation, können also zwei Elemente nicht bezüglich ihrer Größe vergleichen. Ähnlichesgilt für die Definition des kleinsten gemeinsamen Vielfachen zweier ganzen Zahlen. DasProblem kann folgendermaßen umgangen werden:

Bemerkung 17.1. Seien a, b ∈ Z.

(a) Sei d = ggT(a, b). Dann existieren x, y ∈ Z mit d = ax + by, also dZ = aZ + bZ. Istalso e | a und e | b, dann gilt e | d.

(b) Sei m := kgV(a, b). Wegen aZ ∩ bZ = kgV(a, b)Z = mZ gilt: Ist a | n und b | n,dann folgt n ∈ mZ, also ist m | n.

Die folgende Definition des größten gemeinsamen Teilers und kleinsten gemeinsamen Viel-fachen zweier Elemente eines Integritätsbereiches entspricht also der in der Schule üblichenDefinition:

Definition 17.2. Sei R ein Integritätsbereich und a, b ∈ R.

(a) Ein Element d ∈ R heißt größter gemeinsamer Teiler von a und b, kurz ggT(a, b) = d,falls:

(i) d | a und d | b;(ii) e | a und e | b impliziert e | d.

(b) Ein Element m ∈ R heißt kleinstes gemeinsames Vielfaches, kurz kgV(a, b) = m,falls:

(i) a | m und b | m;(ii) a | n und b | n impliziert m | n.

Beispiel 17.3. Größte gemeinsame Teiler und kleinste gemeinsame Vielfache müssennicht existieren. Zum Beispiel sei R = Z[

√−5]. Wähle a = 6 und b = 2 + 2√−5.

78

KAPITEL 17. POLYNOMRINGE ÜBER FAKTORIELLEN RINGEN 79

(i) Angenommen, d = ggT(a, b). Benutze die Normfunktion N aus Beispiel 16.5. Dad | a und d | b gilt, folgt N(d) | N(a) = 36 und N(d) | N(b) = 24.

(ii) Außerdem gilt 2 | a und 2 | b, also nach Definition des größten gemeinsamen Teilersgilt auch 2 | d. Es folgt also 4 = N(2) | N(d). Genauso gilt 1 +

√−5 | a und1 +

√−5 | b, also 1 +√−5 | d, also 6 | N(d). Mit (i) folgt: N(d) = 12. Aber

es existieren keine x, y ∈ Z mit x2 + 5y2 = 12. Damit existiert kein d ∈ R mitN(d) = 12. Also existiert ggT(a, b) nicht.

Bemerkung 17.4. Sei R ein Integritätsbereich mit a, b ∈ R.

(a) Falls ggT(a, b) bzw. kgV(a, b) existieren, dann sind sie nur eindeutig bis auf Multi-plikation mit einer Einheit, also bis auf Assoziiertheit.

(b) Im faktoriellen Ring R existieren größte gemeinsame Teiler und kleinste gemeinsa-me Vielfache: Wähle ein Vertretersystem PR der Klassen assoziierter Primelemente.Zum Beispiel in Z wähle PZ = {Primzahlen in N}, im Polynomring R = K[X]mit K beliebiger Körper, wähle als Vertretersystem PR die Menge unzerlegbarernormierter Polynome. Seien nun a, b ∈ R mit Primfaktorzerlegung

a = ε(a)pa11 · . . . · pan

n

b = ε(b)pb11 · . . . · pbn

n

mit ai, bi ∈ N0, ε(a), ε(b) ∈ R× und pi ∈ PR mit pi � pj für i �= j. Dann ist

ggT(a, b) =∏

i

pmin{ai,bi}i ,

kgV(a, b) =∏

i

pmax{ai,bi}i .

Nach der Wahl eines Repräsentantensystems PR sind größter gemeinsamer Teilerund kleinstes gemeinsames Vielfaches eindeutig bestimmt.

(c) Sei R ein Integritätsbereich mit a, b ∈ R. Nach 10.11 ist 〈a〉 + 〈b〉 ein Ideal. An-genommen dies ist ein Hauptideal, etwa 〈a〉 + 〈b〉 = 〈d〉. Dann ist d = ggT(a, b)und Bézouts Lemma gilt in R, das heißt, es existieren x, y ∈ R mit ax + by = d.Nach 10.11 ist 〈a〉 ∩ 〈b〉 ein Ideal. Ist 〈a〉 ∩ 〈b〉 = 〈m〉 ein Hauptideal, dann istm = kgV(a, b).

(d) Sei R ein euklidischer Ring mit Gradfunktion δ. Seien a, b ∈ R. Wie für ganze ZahlenZ läßt sich der größte gemeinsame Teiler mit Hilfe des euklidischen Algorithmusbestimmen, also mit wiederholter Division mit Rest. Ebenso kann man wie fürganze Zahlen ein Analogon zu Bézouts Lemma beweisen.

Sei für den Rest dieses Kapitels R faktoriell mit Quotientenkörper K = Quot(R).

Definition 17.5. Sei f = ∑ni=0 aiX

i ∈ R[X]. Definiere

(i) den Inhalt c(f) des Polynoms f durch c(f) := ggT(a0, . . . , an) ∈ R. Im Englischensagt man content. Da der größte gemeinsame Teiler nur bis auf Assoziertheit be-stimmt ist, ist c(f) eine Assoziiertenklasse von Elementen aus R. Die Assoziierten-klasse von 1 ∈ R besteht genau aus den Einheiten von R.

KAPITEL 17. POLYNOMRINGE ÜBER FAKTORIELLEN RINGEN 80

(ii) f primitiv genau dann, wenn c(f) = 1, beziehungsweise genauer, wenn c(f) ∈ R×

ist. Zum Beispiel: Ist f = 15X + 50 ∈ Z[X], dann ist c(f) = 5. Jedes normiertePolynom ist primitiv. Beachte c(af) = a · c(f) für a ∈ R.

Lemma 17.6 (von Gauß, 1. Version). Seien f, g ∈ R[X] primitiv, dann ist f · g primitiv.

Beweis. Sei p ∈ R prim. Nach 13.3 ist die Abbildung

ϕ : R[X] → R�〈p〉[X],∑

aiXi �→ ∑

(ai + 〈p〉)X i

ein Ringhomomorphismus. Da f, g primitiv sind, folgt ϕ(f) �= 0 und ϕ(g) �= 0. Nach 15.2und 16.6 ist R�〈p〉 ein Integritätsbereich. Nach 13.8 ist R�〈p〉[X] ein Integritätsbereich.Damit folgt ϕ(f · g) = ϕ(f) · ϕ(g) �= 0. Also ist f · g primitiv.

Definition 17.7. Sei f ∈ K[X]. Sei a ∈ R so, dass af ∈ R[X]. Definiere

cK(f) := c(af)a

,

genannt Inhalt von f . Beispiel: f := 54x + 25

6 = 112(15x + 50) = 5

12(3x + 10), wobei 3x + 10primitiv ist. Also ist cK(f) = 5

12 .

Bemerkung 17.8.

(1) Ist f ∈ R[X] ⊆ K[X], so gilt cK(f) = c(f), insbesondere ist die Definition von cK

also eine Fortsetzung der Definition des Inhaltes in 17.5 von R[X] auf K[X].

(2) Es ist cK(f) wohldefiniert: Seien a, b ∈ R mit af und bf in R[X]. Mit 17.5 folgtc(abf) = ac(bf) = bc(af), also

c(bf)b

=c(af)

a.

(3) Es gilt cK(f) ∈ R genau dann, wenn f ∈ R[X].

Beweis. „⇐“ ist klar nach Definition.„⇒“: Sei cK(f) = c(af)

a∈ R, dann folgt a | c(af) in R. Damit teilt a jeden Koeffizi-

enten aus af (in R). Somit ist f ∈ R[X].

(4) Beachte afc(af) ist primitiv. Der sogenannte primitive Teil f0 von f ∈ K[X] ist definiert

durch

f0 :=f

cK(f)=

f(c(af)

a

) =af

c(af)∈ R[X].

Es ist also f = cK(f)·f0. Diese Darstellung von f ist eindeutig bis auf Assoziiertheit:Sei f = b

df0 = r

sf ′

0 mit b, d, r, s ∈ R und f0, f ′0 ∈ R[X] jeweils primitiv. Dann ist

sbf0 = rdf ′0. Da c(sbf0) = c(rdf ′

0) mit f0 und f ′0 jeweils primitiv, folgt sb ∼ rd. Also

exisitiert eine Einheit u ∈ R× mit sbu = rd. Dann folgt bd

· u = rs

und f ′0 = u−1f0.

KAPITEL 17. POLYNOMRINGE ÜBER FAKTORIELLEN RINGEN 81

Lemma 17.9 (von Gauß, 2. Version). Seien f, g ∈ K[X], dann ist cK(f ·g) = cK(f)·cK(g).Hierbei bedeutet Gleichheit in der letzten Gleichung, dass die Assoziertenklassen cK(f · g)und cK(f) · cK(g) gleich sind, beziehungsweise die Elemente cK(f · g) und cK(f) · cK(g)aus R assoziiert sind.

Beweis. Es ist f · g = cK(f)cK(g)f0 · g0. Da f0, g0 ∈ R[X] primitiv sind, folgt mit 17.6,dass f0 · g0 ∈ R[X] primitiv ist. Somit ist cK(f · g) ∼ cK(f) · cK(g).

Proposition 17.10. Sei R faktoriell mit K = Quot(R). Sei f ∈ R[X]. Dann gilt:

(a) Ist f = g · h eine Zerlegung mit g, h ∈ K[X] \ K×, dann ist f17.9= (c(f)g0) · h0 eine

Zerlegung in R[X]. Insbesondere, ist f unzerlegbar in R[X], deg(f) ≥ 1, dann ist funzerlegbar in K[X].

(b) Ist f unzerlegbar in K[X] und f primitiv, dann ist f unzerlegbar in R[X].

(c) Sei g ∈ R[X] mit f | g in K[X] und f primitiv, dann ist f | g in R[X].

(d) Sei f normiert und g ∈ K[X] normiert mit g | f in K[X], dann ist g ∈ R[X].

Zum Beispiel ist f = 2X ∈ Z[X] nicht primitiv, und unzerlegbar über Q, aber zerlegbarüber Z.

Beweis.

(a) Es sei f = g · h mit g, h ∈ K[X] \ K×. Dann ist

f = g · h = cK(g) · cK(h) · g0 · h0 = (c(f) · g0)︸ ︷︷ ︸∈R[X]

· h0︸︷︷︸∈R[X]

.

Nach 17.8 (4) sind g0, h0 ∈ R[X]. Da f ∈ R[X] ist cK(f) = c(f) ∈ R nach 17.8 (1).Damit ist f zerlegbar über R.

(b) Sei f = g · h mit g, h ∈ R[X]. Da f unzerlegbar über K ist, folgt g oder h ist inK[X]× = K×. Ohne Einschränkung sei deg(g) = 0. Dann folgt g ∈ R. Da f primitivist, folgt 1 = c(f) = c(g)c(h) = g · c(h), also g ∈ R×. Die letzte Gleichung ist eineGleichung von Assoziiertenklassen. Also ist f unzerlegbar in R[X].

(c) Übung.

(d) Übung.

Bemerkung 17.11. Sei R ein Integritätsbereich und a ∈ R unzerlegbar. Mit der Grad-formel 13.7 folgt a unzerlegbar in R[X]: Angenommen a = fg für f, g ∈ R[X]. Dann ist0 = deg a = deg f + deg g, also deg f = deg g = 0. Damit sind f, g ∈ R. Da a unzerlegbarin R ist, muss f oder g eine Einheit in R sein. Da R[X]× = R×, folgt a ist unzerlegbar inR[X].

Theorem 17.12. Ist R faktoriell, dann ist R[X] faktoriell. Die unzerlegbaren Elementevon R[X] sind

(i) unzerlegbare Elemente in R,

(ii) alle primitiven Polynome aus R[X], die unzerlegbar in K[X] sind.

KAPITEL 17. POLYNOMRINGE ÜBER FAKTORIELLEN RINGEN 82

Beweis.

(a) Existenz: Induktion über deg(f).Sei also deg(f) = n ≥ 1. Schreibe f = c(f) · f0.

(i) Da R faktoriell ist, ist entweder c(f) ∈ R× oder c(f) = ∏fi mit fi unzerlegbar

in R. Nach 17.11 sind die Elemente fi unzerlegbar in R[X].(ii) Entweder ist f0 unzerlegbar oder f0 = g · h mit g, h ∈ R[X] \ R×, wobei

R[X]× = R×. Angenommen, g ∈ R, so folgt 1 = c(f0) = c(g)c(h) = gc(h)und damit g ∈ R× = R[X]×. Also ist deg(g) �= 0 und deg(h) �= 0, alsodeg(g) ≤ n − 1, deg(h) ≤ n − 1. Mit der Induktionsvoraussetzung folgt dieBehauptung.

(b) Eindeutigkeit:

(i) Seien f = c1 · · · ckp1 · · · pr = d1 · · · dlq1 · · · qs Faktorisierungen in unzerlegbareElemente in R[X], wobei pi, qj primitiv vom Grad ≥ 1 und ci, dj ∈ R unzerleg-bar sind. Dann sind nach 17.6 auch p1 · · · pr und q1 · · · qs primitiv und der Inhaltvon f entspricht c1 · · · ck = u · d1 · · · dl mit u ∈ R×. Nach Voraussetzung ist Rfaktoriell, also folgt k = l und nach Umsortierung ci ∼ di für 1 ≤ i ≤ k. DaR[X] ein Integritätsbereich ist, folgt durch Kürzen, dass p1 · · · pr = uq1 · · · qs

mit u ∈ R×.(ii) Nach Voraussetzung sind pi, qj unzerlegbar in R[X], also sind nach 17.10(b) die

Elemente pi, qj unzerlegbar in K[X]. Da K[X] ein Hauptidealring ist, ist K[X]faktoriell; also folgt aus p1 · · · pr = uq1 · · · qs, dass r = s und nach Umsortierungpi ∼ qi in K[X] für 1 ≤ i ≤ r. Nach 16.1 folgt pi | qi und qi | pi in K[X]. Dapi, qi primitiv sind, folgt mit 17.10 (c), dass pi | qi und qi | pi in R[X]. Nach16.1 ist damit pi ∼ qi in R[X].

Korollar 17.13. Sei K ein beliebiger Körper und R ein faktorieller Ring. Dann sindR[X1, . . . , Xn] und K[X1, . . . , Xn] faktoriell.

Die bewiesenen Zusammenhänge der letzten Kapitel zwischen den verschiedenen Artenvon Ringen lassen sich diagrammatisch darstellen. Mit der Grafik angegeben sind jeweilsBeispiele von Ringen, die in eine bestimmte Klasse von Ringen gehören.

Körper K

Eukl. RingeZ, Z[i]

Z[√

2], K[X]

HauptidealringeZ[w−19]

faktorielle Ringe

Z[X], K[X, Y ]

Integritätsbereiche

Z[√−5]

Kapitel 18

Faktorisieren in Polynomringen

Sei R faktoriell mit Quotientenkörper K = Quot(R).

Definition 18.1. Ein Element a ∈ R heißt Nullstelle von f ∈ R[X], falls f(a) = 0.

Theorem 18.2. Sei R faktoriell mit Quotientenkörper K = Quot(R) und sei f ∈ R[X]mit deg f = n ≥ 0.

(a) Dann ist a ∈ R Nullstelle von f genau dann, wenn f = (X − a)g mit g ∈ R[X]. Indiesem Fall gibt es eine eindeutige Darstellung

f = (X − a)m · h, h ∈ R[X], h(a) �= 0, m ∈ N .

Die Zahl ma,f := m heißt Vielfachheit der Nullstelle a von f .

(b) f hat höchstens n verschiedene Nullstellen.

Beweis. (a) Sei f ∈ R[X] ⊆ K[X]. Nach 14.6 ist K[X] euklidisch. Sei deg f = n ≥ 1und sei a ∈ R eine Nullstelle von f . Dann existieren g, r ∈ K[X] mit

f = (X − a) · g + r ,

wobei deg(r) < deg(X − a) = 1. Damit folgt r ∈ K. Außerdem gilt 0 = f(a) =(a−a)g(a)+r, also folgt r = 0. Dies zeigt f = (X −a)g mit g ∈ K[X]. Das PolynomX − a ist primitiv in R[X] und X − a | f in K[X]. Mit 17.10 folgt X − a | f inR[X]. Durch Induktion existiert eine Darstellung von f als f = (X − a)m · h mith ∈ R[X] und h(a) �= 0. Die Eindeutigkeit von m (beziehungsweise der Darstellungvon f) folgt aus R[X] faktoriell.

(b) Wir führen eine Induktion nach n = deg f durch. Sei b eine Nullstelle von f mitb �= a. Dann ist

0 = f(b) = (b − a)︸ ︷︷ ︸=0

g(b) ,

also g(b) = 0 und deg(g) ≤ n−1. Also hat g höchstens n−1 verschiedene Nullstellen,d. h. f hat höchstens n verschiedene Nullstellen.

Zum Vergleich sei nochmals darauf hingewiesen, dass es andere Beispiele gibt: Der RingZ8 ist kein Integritätsbereich, erfüllt also nicht die Voraussetzung von 18.2. Das PolynomX2 − 1 = (X − 1)(X + 1) = (X − 3)(X + 3) hat über Z8 vier verschiedene Nullstellen:±1 und ±3. Das Polynom hat also auch keine eindeutige Faktorisierung in unzerlegbareElemente.

83

KAPITEL 18. FAKTORISIEREN IN POLYNOMRINGEN 84

Definition 18.3. Die formale Ableitung Df = f ′ eines Polynoms f = ∑ni=0 aiX

i istdefiniert als

Df := f ′ :=n∑

i=1iaiX

i−1 .

Hierbei ist

iai := ai + . . . + ai︸ ︷︷ ︸i mal

.

Bemerkung: Aus der Analysis wissen wir, dass man die Vielfachheit einer Nullstelle überdie Ableitung beschreiben kann. Dies lässt sich hier auch zeigen. Hierzu zeigt man, dassdie üblichen Ableitungsregeln gelten. Der Mittelwertsatz in der Analysis impliziert, dasseine differenzierte Funktion identisch Null ist genau dann, wenn sie konstant war. Diesgilt hier nicht mehr. Zum Beispiel hat f = Xp −1 die Ableitung f ′ = pXp−1 = 0 in Zp[X].

Lemma 18.4. Seien f, g ∈ R[X] und a, b ∈ R. Dann ist

(a) D(af + bg) = aDf + bDg, (Linearität),

(b) D(f · g) = D(f) · g + f · D(g) (Produktregel).

Um die Rechnung einfach zu halten, beweise man hierbei die Produktregel für Monomeund nutze dann die Linearität der formalen Ableitung, um die allgemeine Produktregelzu beweisen.

Proposition 18.5. Sei f ∈ R[X]. Ein Element a ∈ R ist mehrfache Nullstelle von f ,also ma,f ≥ 2, genau dann, wenn a gemeinsame Nullstelle von f und f ′ ist.

Beweis. „⇐“: Sei f(a) = 0. Dann existiert g ∈ R[X] mit f = (X − a)g nach 18.2. Mit18.4 folgt f ′ = g +(X −a)g′, also 0 = f ′(a) = g(a). Folglich ist g = (X −a)g für g ∈ R[X]bzw. f = (X − a)2 · g. Also ist ma,f ≥ 2.„⇒“: Sei f = (X − a)m · g mit m ≥ 2, g ∈ R[X] und g(a) �= 0 nach 18.2. Mit 18.4 folgt

f ′ = m(X − a)m−1 · g + (X − a)m · g′

und damit f ′(a) = 0.

Beispiel 18.6.

(a) Nach dem Fundamentalsatz der Algebra sind die unzerlegbaren Elemente in C[X]die Polynome aX + b, mit 0 �= a, b ∈ C.

(b) Sei f = ∑ni=0 γiX

i ∈ R[X]. Über C gilt f = γn∏n

i=1(X − αi). Entweder ist αi ∈ Roder αi ∈ C \ R. Sei α ∈ C \ R mit f(α) = 0. Dann ist

f(α) =n∑

i=0γiα

i =n∑

i=0γiαi = f(α) = 0 .

Es gilt

(X − α)(X − α) = X2 + (−α − α)X + αα = X2 − 2 Re(α)︸ ︷︷ ︸∈R

X + |α|2︸︷︷︸∈R

∈ R[X] .

KAPITEL 18. FAKTORISIEREN IN POLYNOMRINGEN 85

Also ist

f = γn

∏α∈R

f(α)=0

(X − α)∏α∈C

f(α)=0Im(α)>0

(X2 − 2 Re(α) + |α|2) .

Unzerlegbare Elemente in R[X] sind also

• lineare Polynome mit Koeffizienten in R;• quadratische Polynome in R[X] mit negativer Diskriminante.

Bemerkung 18.7. Sei F ∈ K[X] mit deg F ≥ 1. Dann existiert a(= kgV(Nenner derKoeffizienten von F )) ∈ R mit f := a ·F ∈ R[X]. Angenommen f ist unzerlegbar in R[X].Nach 17.10 ist dann auch f unzerlegbar in K[X], und damit auch F unzerlegbar in K[X].Wir studieren deshalb Unzerlegbarkeit von Polynomen im Folgenden über R.

Theorem 18.8 (Reduktionskriterium). Sei R faktorieller Ring, S ein Integritätsbereichund ϕ : R → S ein Ringhomomorphismus mit Fortsetzung φ : R[X] → S[X], wobeiφ(X) = X ist. Sei f ∈ R[X] primitiv mit

(i) deg f = deg φ(f),

(ii) φ(f) unzerlegbar über S,

Dann ist f unzerlegbar über R.

Beweis. Sei f = g · h mit g, h ∈ R[X]. Da φ Ringhomomorphismus, ist φ(f) = φ(g) · φ(h).Mit der Gradformel 13.7 folgt

deg g + deg h = deg f(i)= deg φ(f) = deg φ(g) + deg φ(h).

Nach Definition von φ, ist deg φ(g) ≤ deg g und deg φ(h) ≤ deg h. Also folgt deg φ(g) =deg g und deg φ(h) = deg h. Da φ(f) nach Voraussetzung unzerlegbar ist, folgt φ(g) ∈ S×

oder φ(h) ∈ S×, wobei S[X]× = S× nach 13.8. Ohne Einschränkung sei φ(g) ∈ S×. Da0 = deg φ(g) = deg g ist, folgt g ∈ R. Da f primitiv ist, folgt 1 = c(f) = c(g)·c(h) = g·c(h)und damit g ∈ R×. Also ist f unzerlegbar in R[X].

Theorem 18.9 (Eisenstein-Kriterium). Sei R faktorieller Ring, f = ∑ni=0 aiX

i ∈ R[X]primitiv mit an �= 0. Sei p ∈ R prim mit

(i) p | a0, . . . , p | an−1,

(ii) p � an,

(iii) p2 � a0.

Dann ist f unzerlegbar in R[X], also auch in K[X].

Beweis. Sei f = gh mit g = ∑ri=0 biX

i und h = ∑si=0 ciX

i wobei r + s = n. Um einenWiderspruch zu erhalten, nehmen wir an, dass r, s ≥ 1 sind. Berechne die Koeffizientenau mittels der Koeffizienten bi und cj . Es ist a0 = b0 · c0. Nach Voraussetzung ist p | b0c0und p2 � b0c0. Ohne Einschränkung sei p | b0, also gilt p � c0. Nach Voraussetzung istp | a1 = b0c1 + b1c0, dann folgt p | b1. Genauso folgt aus p | a2 = b0c2 + b1c1 + b2c0,

KAPITEL 18. FAKTORISIEREN IN POLYNOMRINGEN 86

dass p | b2 ist. Induktiv folgt aus p | ai für 0 ≤ i ≤ r < n, dass p | bi für alle 0 ≤ i ≤ r.Andererseits ist nach Voraussetzung p � an = br ·cs �= 0, also p � br; dies ist ein Widerspruch.Alternativ zur Induktion, definiere

t + 1 := min{i | 0 ≤ i ≤ r, p � bi} ≤ r.

Es ist

at+1 =t+1∑j=0

bjct+1−j = bt+1c0 +t∑

j=0bjct+1−j .

Da p | bj für 0 ≤ j ≤ t und p � bt+1c0 gilt, folgt p � at+1. Dies ist ein Widerspruch zu (i),denn t + 1 ≤ r = n − s < n. Also ist r = 0 oder s = 0. Ohne Einschränkung sei alsog = b0. Nach Voraussetzung ist f primitiv, also ist b0 ∈ R×. Damit ist das Polynom funzerlegbar.

Beispiel 18.10. (1) Sei f = 2X4+10X3+25X +30 ∈ Z[X]. Dann gelten die Vorausset-zungen von 18.9, also 5 � 2, 5 | 10, 5 | 25, 5 | 30 und 25 � 30. Da ggT(2, 10, 25, 30) = 1gilt, folgt mit 18.9, dass f unzerlegbar in Z[X] ist.

(2) Sei R = Z, S = Z2 und ϕ : Z → Z2 die natürliche Projektion. Sei n ∈ Z ungeradeund f = X5 + nX2 + 1 ∈ Z[X]. Da c(f) = 1 ist, ist f primitiv. Definiere dieFortsetzung von φ wie in 18.8 durch φ : Z[X] → Z2[X],∑aiX

i �→ ∑aiX

i. Hierbeiist ai = ai mod 2. Dann ist

φ(f) = X5 + X2 + 1 ∈ Z2[X] .

(a) Es ist 15 + 12 + 1 = 3 = 1 in Z2 und 05 + 02 + 1 = 1 in Z2. Also folgt, dass φ(f)keine Nullstelle in Z2 hat. Also hat φ(f) keinen linearen Faktor, ist also keinProdukt eines Polynoms vom Grad eins mit einem Polynom vom Grad vier.

(b) Angenommen, φ(f) hat einen quadratischen unzerlegbaren Teiler. Wir zählenalle quadratischen Polynome in Z2[X] auf, und überprüfen, ob sie zerlegbarsind:

• X2 = X · X ist nicht unzerlegbar;• X2 + 1 = (X + 1)2 ist nicht unzerlegbar;• X2 + X = X(X + 1) ist nicht unzerlegbar;• X2 + X + 1 ist unzerlegbar, da es keine Nullstelle in Z2 hat.

Division mit Rest zeigt, dass X2 + X + 1 kein Teiler von φ(f) = X5 + X2 + 1über Z2 ist. Also lässt sich φ(f) nicht schreiben als Produkt eines Polynomsvom Grad zwei mit einem Polynom vom Grad drei.

Aus (a) und (b) folgt, dass φ(f) unzerlegbar ist. Mit 18.8 ist f unzerlegbar in Z[X]und nach dem Gauß-Lemma 17.10 damit auch unzerlegbar in Q[X].

Kapitel 19

Körpererweiterungen

In diesem Kapitel lernen wir die Grundlagen der Körpertheorie kennen. Als ein erstes Zielwollen wir zeigen, dass jeder endliche Körper Primzahlpotenz viele Elemente hat.

Definition 19.1. Seien L und K Körper.

(a) Ist K ≤ L ein Teilring, so heißt K Teilkörper bzw. L heißt Erweiterungskörper bzw.K ≤ L heißt Körpererweiterung (KE). Schreibe hierfür L/K, gelesen „L über K“.Ein Körper M heißt Zwischenkörper, falls K ≤ M ≤ L ist.

(b) Ein Ringhomomorphismus ϕ : K → L heißt Körperhomomorphismus. Nach 12.2 istKer(ϕ) = {0}, also ϕ injektiv.

Bemerkung 19.2. Sei L/K eine Körpererweiterung. Dann ist L ein K-Vektorraum mitder Addition + : L×L → L von L und der Einschränkung · : K×L → L der Multiplikationvon L. Schreibe [L : K] := dimK L für die K-Vektorraumdimension von L, genannt Gradder Körpererweiterung L/K. Eine Körpererweiterung L/K heißt endlich, falls [L : K] <∞, sie heißt unendlich, falls [L : K] = ∞.

Beispiel 19.3. [L : K] = 1 impliziert L = K. Es gilt [C : R] = 2, da C als R-Vektorraumdie Basis {1, i} hat. Es ist [R : Q] = ∞.

Bemerkung 19.4. Sei K ein Körper. Dann ist

Π(K) :=⋂

K ′≤K

K ′

der kleinste Teilkörper von K, genannt Primkörper von K.Betrachte den Ringhomomorphismus γ : Z → K, z �→ z · 1K . Nach 11.3 ist Z�Ker(γ) im γ ≤ K Teilring, also ist im γ ein Integritätsbereich. Nach 15.2 ist Ker γ � Z einPrimideal. Die Primideale von Z wurden in 15.3 klassifiziert. Wir unterscheiden zweiFälle:

(a) Sei Ker γ = {0}. Dann ist

n · 1K = 1k + . . . + 1k︸ ︷︷ ︸n mal

�= 0

für alle n ∈ N. Definiere

γ′ : Q → K,a

b= ab−1 �→ γ(a)γ(b)−1 .

87

KAPITEL 19. KÖRPERERWEITERUNGEN 88

Dann ist γ′ ein Körperhomomorphismus. Nach 19.1 ist γ′ injektiv. Da Q keinenechten Teilkörper hat, folgt Π(K) Q. Wir identifizieren γ′(Q) mit Q, haben damitalso Q ≤ K.

(b) Sei Ker γ = pZ, mit p Primzahl. Dann ist

1K + . . . + 1K︸ ︷︷ ︸p mal

= 0K

und Zp = Z�pZ im γ ≤ K. Da Zp keinen echten Teilkörper hat (dieser wäre eineUntergruppe von Zp, benutze Lagrange 2.12), folgt Π(K) Zp. Wir identifizierenγ(Z) mit Zp, haben damit also Zp ≤ K.

Definition 19.5. Sei R ein Ring mit 1. Definiere die Charakteristik char R als

char R =

⎧⎨⎩0 , falls n · 1R �= 0 für alle n ∈ N

min{n ∈ N | n · 1R = 0} , sonst.

Falls R = K ein Körper ist, dann ist

char K =

⎧⎨⎩0 , falls Π(K) Q

p , falls Π(K) Zp.

Beispiel 19.6. Es ist charZ = charQ = charR = charC = charZ[√

d] = 0. Ist R ≤ S

Teilring, dann ist char R = char S. Es ist charZ�nZ = n für n ∈ N≥2.Sei I � K[X] maximal, K ein Körper mit char K = p prim, dann folgt

char(

K[X]�I

)= p .

Es ist p · (1 + I) = p · 1 + I = 0 + I. Angenommen es existiert eine Primzahl q < p mitq · (1 + I) = 0 + I. Dann ist q ∈ I. Ausserdem ist 0 �= q ∈ Zp ≤ K, weshalb q eine Einheitin K ist. Aus q ∈ I folgt damit I = K[X], ein Widerspruch.

Theorem 19.7. Jeder endliche Körper K hat Primzahlpotenz viele Elemente: |K| = pn,wobei p eine Primzahl ist und n ∈ N.

Beweis. Da |K| < ∞ ist, ist Π(K) Zp für eine Primzahl p. Nach 19.2 ist K ein Zp-Vektorraum, also existiert eine Zp-Basis {v1, . . . , vn} von K. Damit folgt

K ={

n∑i=1

λivi | λi ∈ Zp

}.

Also |K| = pn.

Theorem 19.8 (Gradformel). Sei K ≤ L ≤ M Körpererweiterung.

(a) M/K ist endlich genau dann, wenn M/L und L/K endlich sind. In diesem Fallgilt:

[M : K] = [M : L] · [L : K] .

KAPITEL 19. KÖRPERERWEITERUNGEN 89

(b) Ist {b1, . . . bm} eine L-Basis von M und {a1, . . . , al} eine K-Basis von L, dann ist

S := {ajbi | 1 ≤ j ≤ l, 1 ≤ i ≤ m}eine K-Basis von M .

Beweis. (i) Ist M/L unendlich, so existiert eine unendliche Menge von Vektoren inM , die linear unabhängig sind über L. Dann sind diese Vektoren erst recht linearunabhängig über K. Ist L/K unendlich, so existiert eine unendliche Menge vonVektoren in L, die linear unabhängig sind über K. Da L ⊆ M , existieren unendlichviele Vektoren in M , die linear unabhängig sind über K. Zusammen mit Aussage(b) impliziert dies Aussage (a).

(ii) Sei x ∈ M , dann existiert λi ∈ L mit x = ∑mi=1 λibi. Da λi ∈ L gilt, existieren

μij ∈ K mit

x =m∑

i=1

⎛⎝ l∑

j=1μijaj

⎞⎠ bi .

Also folgt x ∈ SpanK(S).

(iii) Sei 0 = ∑mi=1∑l

j=1 μijajbi = ∑mi=1

(∑lj=1 μijaj

)bi mit μij ∈ K. Da ∑l

j=1 μijaj ∈ L,und die Vektoren {b1, . . . , bm} nach Voraussetzung linear unabhängig sind über L,folgt ∑l

j=1 μijaj = 0 für alle i. Da {a1, . . . , al} linear unabhängig über K ist, folgtμij = 0 für alle i, j. Also ist S linear unabhängig über K.

Bemerkung 19.9. Sei L/K eine Körpererweiterung. Sei a ∈ L. Nach 13.5 ist

K[a] = {n∑

i=0λia

i | n ∈ N0, λi ∈ K} = {f(a) | f ∈ K[X]} ⊆ L .

Es ist K[a] der kleinste Ring, der K und a enthält. Als Teilmenge eines Körpers L istK[a] ein Integritätsbereich. Definiere

K(a) := Quot(K[a]) ={

f(a)g(a)

| f, g ∈ K[X], g(a) �= 0}

,

vgl. 12.9. Dann ist K(a) der kleinste Körper, der K und a enthält.

Definition 19.10. Sei L/K eine Körpererweiterung und S ⊆ L.

(a) Definiere K[S] als kleinsten Teilring von L, der K und S enthält, d. h.

K[S] =⋂

K≤R≤L TeilringS⊆R

R .

Wir sagen, K[S] entsteht aus K durch Ringadjunktion von S.

(b) Definiere K(S) als kleinsten Teilkörper von L, der K und S enthält, d. h.

K(S) =⋂

K≤K ′≤L TeilkörperS⊆K ′

K ′ = Quot(K[S]) .

Wir sagen, K(S) entsteht aus K durch Körperadjunktion von S.

KAPITEL 19. KÖRPERERWEITERUNGEN 90

Bemerkung 19.11.

(a) Sei L/K Körpererweiterung mit S1, S2 ⊆ L. Dann ist K[S1][S2] = K[S1 ∪ S2] undK(S1)(S2) = K(S1 ∪ S2).Ist S = {a1, . . . , an} ⊆ L, dann schreibe

K[S] = K[a1, . . . , an] = K[ai | 1 ≤ i ≤ n]K(S) = K(a1, . . . , an) = K(ai | 1 ≤ i ≤ n) .

(b) Eine Körpererweiterung L/K heißt endlich erzeugt, falls es S ⊆ L endlich gibtmit L = K(S). Jede endliche Körpererweiterung L/K ist endlich erzeugt: Sei{v1, . . . , vn} eine K-Basis von L, dann folgt

L = {n∑

i=1λivi | λi ∈ K} ⊆ K(v1, . . . , vn) ⊆ L,

also ist L = K(vi | 1 ≤ i ≤ n).

Beispiel 19.12. Aus dem Beweis von 14.5 folgt Q[√

d] = {a + b√

d | a, b ∈ Q} = Q(√

d).

(a) Sei K := Q(√

2), L = K(√

3) = Q(√

2,√

3). Man kann leicht nachrechnen, dass√3 /∈ Q(

√2) = K ist. Sei 0 �= x ∈ K[

√3] = {α+β

√3 | α, β ∈ K}. Sei x = α+β

√3.

Dann folgt

x−1 =α

α2 − 3β2︸ ︷︷ ︸∈K

− β

α2 − 3β2︸ ︷︷ ︸∈K

·√3 ∈ K[√

3] .

Hierbei ist α2 − 3β2 = (α + β√

3)(α − β√

3) �= 0. Damit ist jedes Element in K[√

3]invertierbar, also ist L = K(

√3) = K[

√3].

(b) Körper K = Q(√

2) hat die Q-Basis {1,√

2}. Körper L = K(√

3) hat die K-Basis{1,

√3}. Nach 19.8 folgt, dass {1,

√2,

√3,

√6} eine Q-Basis von L ist.

Definition 19.13. Sei L/K eine Körpererweiterung. Ein Element a ∈ L heißt algebraischüber K, falls 0 �= f ∈ K[X] existiert mit f(a) = 0. Andernfalls heißt a transzendent überK.

Lemma 19.14. Sei L/K Körpererweiterung. Dann ist a ∈ L algebraisch über K genaudann, wenn {ai | i ∈ N0} linear abhängig ist.

Beweis.

(a) Sei a ∈ L algebraisch über K. Nach 19.3 existiert dann 0 �= f ∈ K[X] mit f(a) = 0.Sei f = ∑n

i=0 λiXi mit λi ∈ K. Dann folgt 0 = ∑n

i=0 λiai, wobei nicht alle λi Null

sind. Also ist {1, a, a2, . . . , an} linear abhängig und damit auch {ai | i ∈ N0}.

(b) Angenommen, {ai | i ∈ N0} ⊆ L ist linear abhängig über K. Dann existiert eineendliche Teilmenge in {ai | i ∈ N0}, die linear abhängig ist. Also existiert k ∈ N,sodass {1, a, a2, . . . , ak} ⊆ L linear abhängig ist. Also existieren λi ∈ K, die nichtalle Null sind, mit

0 = λ0 · 1 + λ1 · a + λ2 · a2 + . . . + λkak .

Setze f := ∑i λiX

i ∈ K[X], dann ist f �= 0 und f(a) = 0. Nach 19.13 ist aalgebraisch über K.

KAPITEL 19. KÖRPERERWEITERUNGEN 91

Beispiel 19.15.

(a) Es ist√

2 ∈ R ist eine Nullstelle von X2 − 2 ∈ Q[X]. Also ist√

2 algebraisch überQ.

(b) Sei z ∈ C. Dann ist z eine Nullstelle von f = (X −z)(X −z) = X2 −2 Re(z)+ |z|2 ∈R[X], also ist jede komplexe Zahl z algebraisch über R.

(c) Sei K < L < M Körpererweiterung, und sei a ∈ M algebraisch über K. NachDefinition existiert also ein Polynom f ∈ K[X] mit f(a) = 0. Da K[X] ⊆ L[X], istf ∈ L[X] mit Nullstelle a. Also ist auch a algebraisch über L.

(d) Man bezeichnet Q := {a ∈ C | a algebraisch über Q} als Menge aller algebraischenZahlen und C \ Q als Menge aller transzendenten Zahlen. Es gibt überabzählbarviele transzendente Zahlen, zum Beispiel sind e, π,

∑∞n=1 10−n! transzendent.

Beweis. Q ist abzählbar, also gibt es abzählbar viele Polynome f ∈ Q[X], f =∑ni=0 aiX

i mit deg f = n ∈ N. Jedes Polynom 0 �= f = ∑ni=0 aiX

i vom Grad n hathöchstens n Nullstellen in C. Da N abzählbar ist, gibt es daher nur abzählbar vielealgebraische Elemente. Somit ist C \ Q überabzählbar.

Kapitel 20

Einfache Körpererweiterungen

Das Polynom X2 − 2 hat keine Nullstelle über den rationalen Zahlen K := Q. Erweitertman den Zahlenbereich zum Beispiel zu L := Q[

√2], dann hat X2 − 2 eine Nullstelle im

Erweiterungskörper L von K. Genauso, das Polynom X2+1 hat keine Nullstelle in K := Q,aber es besitzt eine Nullstelle im Erweiterungskörper L := Q[

√i] von K. Zunächst wollen

wir in diesem Kapitel einfache Körpererweiterungen verstehen. Als Anwendung zeigen wir,dass es zu jedem unzerlegbaren Polynom über K einen Erweiterungskörper L gibt, in demdieses Polynom eine Nullstelle besitzt. Es sei immer L/K eine Körpererweiterung.

Definition 20.1. Sei a ∈ L algebraisch über K. Das Minimalpolynom ma,K von a überK ist das normierte Polynom kleinsten Grades in K[X] mit ma,K(a) = 0. Wir schreiben[a : K] := deg(m).

Proposition 20.2. Sei a ∈ L algebraisch über K.

(a) Das Minimalpolynom ma,K existiert und ist eindeutig bestimmt.

(b) Für f ∈ K[X] gilt: f(a) = 0 ⇔ ma,K | f in K[X].

(c) ma,K ist unzerlegbar in K[X].

Beweis. Sei m := ma,K .

(i) Existenz: Da a algebraisch ist über K, existiert 0 �= g ∈ K[X] mit g(a) = 0. Wähleein solches Polynom kleinsten Grades und multipliziere es mit dem Inversen desLeitkoeffizienten.

(ii) Sei f ∈ K[X] mit f(a) = 0. Dann existieren q, r ∈ K[X] mit f = q · m + r unddeg r < deg m. Dann folgt 0 = r(a). Da m Minimalpolynom ist, also minimalenGrades ist mit Nullstelle a, folgt r = 0. Also ist f = q · m, d. h. m | f in K[X].

(iii) Seien m1, m2 Minimalpolynome von a über K. Dann folgt m1(a) = 0 = m2(a). Seip := m1 −m2, dann ist deg(p) < deg(m1), da m1 und m2 gleichen Grades sind, beidemit Leitkoeffizient Eins. Außerdem ist p(a) = 0. Angenommen, p �= 0, dann folgtnach Normierung von p ein Widerspruch zu m1 Minimalpolynom. Also ist p = 0,und damit m1 = m2.

(iv) Sei m = r · s mit r, s ∈ K[X] und deg r, deg s < m. Dann folgt

0 = m(a) = r(a)︸ ︷︷ ︸∈L

· s(a)︸ ︷︷ ︸∈L

.

92

KAPITEL 20. EINFACHE KÖRPERERWEITERUNGEN 93

Da L ein Integritätsbereich ist, folgt r(a) = 0 oder s(a) = 0. Nach Normierung vonr oder s ergibt dies einen Widerspruch zu m Minimalpolynom.

Definition 20.3. Eine Körpererweiterung L/K heißt einfach, falls es ein Element a ∈ Lgibt mit L = K(a). Das Element a heißt dann primitiv.

Theorem 20.4. Sei L/K eine Körpererweiterung.

(a) Sei a ∈ L transzendent über K. Dann gilt:

(i) K(a) K(X) 12.10= Quot(K[X]) ={

fg

| f, g ∈ K[X], g �= 0}

.

(ii) [K(a) : K] = ∞.

(b) Sei a ∈ L algebraisch über K mit Minimalpolynom m = ma,K . Dann gilt

(i) K(a) = K[a] K[X]�〈m〉;(ii) [K(a) : K] = deg(m) = [a : K] =: n;

(iii) {1, a, a2, . . . , an−1} ist eine K-Basis von K[a].

Bemerkung 20.5.

(a) Sei 0 �= f ∈ K[X] unzerlegbar mit f(a) = 0. Nach 20.2 (b) ist dann f = λ · ma,K

mit λ ∈ K×. Es folgt 〈f〉 = 〈m〉, also K[a] K[X]�〈f〉.

(b) Ist a transzendent, dann ist K(X)/K endlich erzeugt, aber [K(X) : K] = ∞. Eineendlich erzeugte Körpererweiterung ist also nicht notwendigerweise endlich, siehe19.11 (b).

Beweis von 20.4.

(a) (i) Sei a ∈ L transzendent über K. Dann ist die Menge {1, a, a2, . . .} linear unab-hängig, also [K(a) : K] = ∞.

(ii) Die Abbildung ψ : K[X] → K[a], f �→ f(a) ist ein surjektiver Ringhomomor-phismus. Da a transzendent ist, ist f(a) �= 0 für alle 0 �= f ∈ K[X]. Damit istKer ψ = {0}, also ist ψ ein Isomorphismus. Damit folgt

K(a) 19.9= Quot(K[a]) Quot(K[X]) 12.10= K(X) .

(b) (i) Die Abbildung ψ : K[X] → K[a], f �→ f(a) ist ein Epimorphismus mit Ker ψ =〈m〉 nach 20.2 (b). Es folgt

K[a] = im ψ11.3 K[X]�Ker ψ = K[X]�〈m〉 .

Nach 20.2 (c) ist m unzerlegbar. Da K[X] ein Hauptidealring ist, folgt nach16.6, dass 〈m〉 � K[X] maximal ist. Nach 15.2 ist damit K[a] K[X]�〈m〉 einKörper, also K[a] = K(a).

(ii) Sei n = deg(m). Dann ist B := {1, a, a2, . . . , an−1} linear unabhängig überK. Für b ∈ K(a) existiert f ∈ K[X] mit b = f(a). Schreibe f = q · m + rmit deg(r) < deg(m) = n. Dann ist b = f(a) = q(a)m(a) + r(a) = r(a) ∈SpanK(B). Also ist B eine K-Basis von K[a].

KAPITEL 20. EINFACHE KÖRPERERWEITERUNGEN 94

Definition 20.6. Eine Körpererweiterung L/K heißt algebraisch, falls alle a ∈ L algebra-isch über K sind. Eine Körpererweiterung L/K ist transzendent, falls es ein a ∈ L gibt,welches transzendent über K ist.

Beispiel 20.7.

(a) Jede endliche Körpererweiterung L/K ist algebraisch: Sei a ∈ L transzendent überK. Mit 20.4 folgt [K(a) : K] = ∞. Da K ⊆ K(a) ⊆ L ist, folgt L/K unendlichnach 19.8.

(b) Betrachte√

d ∈ R mit d quadratfrei. Dann ist√

d eine Nullstelle von X2 −d ∈ Q[X]und somit

[Q[√

d] : Q] = deg(m√d,Q) = 2 .

Daher ist Q[√

d]/Q algebraisch.

Theorem 20.8. Sei K ≤ L ≤ M Körpererweiterung. Dann gilt:

(a) L/K endlich ⇔ ∃a1, . . . , an ∈ L algebraisch mit L = K(a1, . . . , an).

(b) M/K algebraisch ⇔ M/L und L/K algebraisch.

Beweis.

(a) (i) Aus L/K endlich folgt nach 19.11, dass L/K endlich erzeugt ist und nach 20.7,dass L/K algebraisch ist.

(ii) Seien a1, . . . , an ∈ L algebraisch über K mit L = K(a1, . . . , an). Da ai algebra-isch ist über K, ist ai auch algebraisch über K(a1, . . . , ai−1), siehe 19.15. Daherist

K(a1, . . . , ai−1)(ai)/K(a1, . . . , ai−1)

endlich nach 20.4 (b). Wir erhalten eine endliche Kette von Körpererweiterung:

K ⊆ K(a1) ⊆ K(a1)(a2) = K(a1, a2) ⊆ . . . ⊆ K(a1, . . . , an) = L ,

wobei jede einzelne Erweiterung endlich ist. Mit 19.8 folgt induktiv, dass L/Kendlich ist.

(b) (i) Sei M/K algebraisch.• Nach Definition 20.6 ist a algebraisch über K für alle a ∈ M . Wegen

K[X] ⊆ L[X] ist damit a algebraisch über L für alle a ∈ M . Nach 20.6 istM/L algebraisch.

• Sei a ∈ L. Da L ⊆ M gilt, ist a ∈ M . Dann ist a algebraisch über K. NachDefinition 20.6 ist damit L/K algebraisch.

(ii) Seien M/L und L/K algebraisch. Sei a ∈ M . Dann ist a algebraisch über L.Sei ma,L das Minimalpolynom von a über L, also

ma,L = Xn + bn−1Xn−1 + . . . + b1X + b0

KAPITEL 20. EINFACHE KÖRPERERWEITERUNGEN 95

mit bi ∈ L. Nach Voraussetzung ist bi algebraisch über K. Betrachte

K ⊆ K(b1, . . . , bn−1) ⊆ K(b0, . . . , bn−1, a).

Da die bi algebraisch über K sind, ist nach (a) die erste Körpererweiterung inder Kette endlich. Die zweite Körpererweiterung in der Kette ist endlich nach20.4, da a algebraisch über K(b0, . . . , bn−1) ist. Nach 19.8 ist K(b0, . . . , bn−1, a)/Kdamit endlich, nach 20.7 also algebraisch. Damit ist a algebraisch über K, fürjedes a ∈ M . Also ist M/K algebraisch.

Theorem 20.9 (Satz von Kronecker). Sei K ein Körper und f ∈ K[X] unzerlegbar. Dannexistiert eine algebraische Körpererweiterung L/K, so dass f eine Nullstelle a in L hatund L = K(a) ist. Insbesondere ist [L : K] = deg(f).

Beweis.

(a) Nach 14.6 und 16.6 ist 〈f〉 � K[X] maximal. Nach 15.2 ist damit L := K[X]�〈f〉ein Körper. Sei

π : K[X] �→ L = K[X]�〈f〉, mit g �→ g + 〈f〉

die kanonische Projektion. Die Einschränkung eines Ringhomomorphismus ist wie-der ein Ringhomomorphismus. Also ist πK : K → L ein Körperhomomorphismus.Nach 19.1 ist π|K injektiv. Identifiziere π(K) mit K, d. h. K ≤ L und π(b) = b füralle b ∈ K.

(b) Sei a := π(X) = X + 〈f〉 ∈ L. Sei f = ∑biX

i und bi ∈ K. Wir benutzen, dass πein Homomorphismus ist. Dann ist

f(a) =∑

biπ(X)i =∑

π(bi)π(X)i = π(∑

biXi)

= π(f) = f + 〈f〉 = 0 + 〈f〉 = 0L .

Also ist a ∈ L eine Nullstelle des Polynoms f .

(c) Es ist f unzerlegbar in K[X] mit Nullstelle a ∈ L. Nach 20.4 und 20.5 ist damit

K[X]�〈f〉 = K[X]�〈ma,K〉 K[a].

Da a algebraisch ist über K, folgt mit 20.7, dass L K[a] algebraisch ist. Außerdemist [L : K] = deg(ma,K) = deg(f).

Kapitel 21

Konstruktionen mit Zirkel undLineal

In diesem Kapitel betrachten wir eine Anwendung der bisherigen Körpertheorie: Welchegeometrischen Figuren in der Ebene lassen sich – in endlich vielen Schritten – mit Zirkelund Lineal konstruieren? Die klassischen Probleme sind:

1. Delisches Problem: Läßt sich zu einem Würfel der Seitenlänge eins, mit Zirkel undLineal, ein Würfel doppelten Volumens konstruieren?

2. Quadratur des Kreises: Lässt sich zu einem gegebenen Kreis, mit Zirkel und Lineal,ein Quadrat gleichen Flächeninhalts konstruieren?

3. Lässt sich ein beliebiger Winkel mit Zirkel und Lineal in drei gleiche Teile zerlegen?

4. Lässt sich zu einer gegebenen natürlichen Zahl n mit Zirkel und Lineal ein regelmä-ßiges n-Eck konstruieren?

Identifiziere die Zeichenebene R2 mit C. Um etwas konstruieren zu können, müssen min-destens zwei Punkte gegeben sein. Ohne Einschränkung bezeichnen wir diese Punkte als0 und 1. Elementare Operationen bei Konstruktionen mit Zirkel und Lineal (ohne Maß-einheiten) sind:

(i) Zeichne eine Gerade g(P, Q) durch zwei gegebene Punkte P, Q.

(ii) Zeichne einen Kreis k(P, Q) bzw. k(P, r) mit Mittelpunkt P durch Q bzw. mitRadius r = |Q1Q2|, wobei P, Q, Q1, Q2 gegebene Punkte sind.

Ein elementarer Konstruktionsschritt besteht dann aus dem Schneiden zweier Geraden,zweier Kreise oder einer Geraden mit einem Kreis. Hierdurch werden bis zu zwei neuePunkte konstruiert.

Definition 21.1. Gegeben ist {0, 1} ⊆ M ⊆ C. Eine Zahl z = x+iy ∈ C heißt konstruier-bar, falls (x, y) konstruierbar ist, d. h. genau dann, falls (x, y) in endlich vielen elementarenKonstruktionsschritten aus M konstruiert werden kann. Schreibe M für die Menge alleraus M konstruierbaren Punkte. Außerdem schreiben wir M = {z ∈ C | z ∈ M}, wobei zdas komplex Konjugierte zu z ist.

96

KAPITEL 21. KONSTRUKTIONEN MIT ZIRKEL UND LINEAL 97

Proposition 21.2. Sei {0, 1} ⊆ M ⊆ C gegeben. Dann gilt:

(a) M ist ein Körper mit Q ≤ M ≤ C;

(b) z ∈ M ⇒ z ∈ M ;

(c) z ∈ M ⇒ √z ∈ M .

Beweis. Zeichne die Gerade durch die gegebenen Punkte 0 und 1. Dies entspricht der x-Achse im Koordinatensystem. Zeichen eine Senkrechte durch den Punkt 0. Dies entsprichtder y-Achse. Wir bezeichnen im Folgenden konstruierte Punkte durch die entsprechendekomplexe Zahl in diesem Koordinatensystem. Aus der Schule wissen wir, wie man mitZirkel und Lineal einen Winkel halbiert, und wie man eine Senkrechte auf eine gegebeneGerade durch einen gegebenen Punkt konstruiert. Seien nun z1, z2 ∈ M .

(i) Addition/Subtraktion: Für −z1 schneide die Gerade durch 0 und z1 mit dem Kreismit Mittelpunkt 0 durch z1. Für z1 + z2 schneide Kreise mit Mittelpunkt z1 undRadius |0z2| = |z2| bzw. Mittelpunkt z2 und Radius |0z1| = |z1|. Damit sind also−z1 und z1 + z2 in M .

(ii) Komplexe Konjugation: Zeichne die Senkrechte auf die x-Achse durch den gegebenenPunkt z1 = a + bi ∈ M . Diese schneidet die x-Achse in b. Ein Kreis um b durch z1schneidet diese Senkrechte in z1 und z1.

(iii) Multiplikation: Schreibe die gegebenen komplexen Zahlen in Polarkoordinaten, etwazj = rje

iϕj für j ∈ {1, 2}. Dann ist

z1z2 = r1 · r2ei(ϕ1+ϕ2)

Um das Produkt zweier komplexen Zahlen z1 und z2 mit Zirkel und Lineal zu kon-struieren, muss man also zum einen die gegebenen Winkel ϕ1 und ϕ2 mit Zirkel undLineal addieren, zum anderen muss man die Multiplikation der gegebenen Längenr1 und r2 der Vektoren z1 und z2 konstruieren. Wie man zwei gegebene Winkel mitZirkel und Lineal addiert, sei dem Leser überlassen.Die Multiplikation der positiven reellen Zahlen r1 und r2 geht wie folgt: Trage mitdem Zirkel die gegebene Zahl r1 auf der x-Achse ab. Zeichne die Senkrechte durch 1,und trage mit dem Zirkel auf dieser die gegebene Zahl r2 ab. Im Koordinatensystemhaben wir damit die komplexe Zahl 1 + ir2 konstruiert. Zeichne eine Gerade l durch0 und 1 + ir2. Zeichne die Senkrechte durch die Zahl r1 auf der x-Achse. Dieseschneidet die Gerade l in einem Punkt. Mit dem Strahlensatz folgt, dass dieserPunkt der komplexen Zahl r1 + i(r1r2) entspricht. Damit ist r1 · r2 ∈ M .

(iv) Division: Sei 0 �= z = reiϕ. Dann ist z−1 = r−1e−iϕ. Wir müssen also r−1 aus einergegebenen positiven reellen Zahl r konstruieren. Zeichne die Gerade durch 0 und1, also die x-Achse. Trage die Zahl r auf der x-Achse ab. Zeichne die Senkrechtedurch r und trage auf dieser eine Strecke der Länge eins ab. Damit erhalten wir imKoordinatensystem die komplexe Zahl r + i. Zeichne die Gerade l durch 0 und denPunkt r + i. Zeichne die Senkrechte auf die x-Achse durch 1. Mit dem Strahlensatzfolgt, dass diese die Gerade l im Punkt 1 + r−1i schneidet. Die reelle Zahl r−1 unddamit auch die komplexe Zahl z−1 sind also konstruierbar.

KAPITEL 21. KONSTRUKTIONEN MIT ZIRKEL UND LINEAL 98

(v) Wurzelziehen: Sei z = reiϕ. Dann ist√

z =√

reiϕ/2. Für die Berechung von√

r bildeeinen Kreis mit Mittelpunkt (r − 1)/2 und Radius (r + 1)/2, dieser schneidet diereelle Achse also in −1 und r. Schneide diesen Kreis mit der Geraden iR und erhalteden Schnittpunkt ih. Betrachte x = |ih − 1|, y = |r − ih|. Nach dem Satz des Thalesund dem Satz des Pythagoras gilt

r2 + 2r + 1 = (r + 1)2 = x2 + y2 = (h2 + 1) + r2 + h2 ,

also 2r = 2h2 und damit r = h2. Also ist h =√

r und damit√

z in M .

Bemerkung 21.3. Sei Q ≤ L ≤ C ein Zwischenkörper, i ∈ L und L = L. Seien z = a+biund w = c+di in L mit korrespondierenden Punkten P = (a, b) beziehungsweise Q = (c, d).Insbesondere sind also a, b, c, d ∈ R.

(a) Ist a + bi ∈ L, dann folgt a, b ∈ L ∩R: Sei a + bi ∈ L. Wegen L = L folgt a − bi ∈ L.Da L ein Körper ist, folgt

a =12

(z + z), ib =12

(z − z) ∈ L .

Da i ∈ L ist, folgt b = (−i)ib ∈ L.

(b) Sei die Gerade g(P, Q) = P Q gegeben durch y = mx + q mit m, q ∈ R. Dann folgtm, q ∈ L ∩ R: Es gilt

m = ±d − b

c − a∈ L ∩ R.

Da q = y − mx ist, folgt durch Einsetzen eines Punktes, zum Beispiel des PunktesP , dass q = b − ma ∈ L ∩ R ist.

(c) Sei k(P, Q) gegeben durch (x − a)2 + (y − b)2 = r2. Dann folgt

r2 = (c − a)2 + (d − b)2 ∈ L ∩ R .

Insgesamt gilt also: Geradengleichungen und Kreigleichungen, definiert durch Punkte ausL, haben Koeffizienten in L.

Lemma 21.4. Sei Q ≤ L ≤ C ein Zwischenkörper, i ∈ L und L = L. Sei α = u + iv ∈ Cin einem elementaren Konstruktionsschritt aus L konstruierbar. Dann ist [L(α) : L] ≤ 2und L(α) = L(α).

Beweis. Seien P, Q, R, S konstruierbare Punkte, also in L.

• 1. Fall: α = u + iv ist Schnittpunkt der beiden Geraden y = mx + q und y =nx + p mit m, n, p, q ∈ L ∩ R. Lineare Algebra impliziert, dass das zugehörigelineare Gleichungssystem eine Lösung u, v ∈ L hat. Also ist α = u + iv ∈ L, und[L(α) : L] = 1 und L(α) = L(α).

• 2. Fall: Sei α = u + iv ∈ g(P, Q) ∩ k(R, S). Sei y = mx + q die Gleichung vong(P, Q) und (x − c)2 + (y − d)2 = r2 die Gleichung von k(R, S). Nach 21.3 sindm, q, c, d, r2 ∈ L ∩ R. Man löst dieses nicht-lineare Gleichungssystem, in dem man

KAPITEL 21. KONSTRUKTIONEN MIT ZIRKEL UND LINEAL 99

in der Kreisgleichung die Variable y durch die Geradengleichung substituiert. Fürden Lösungspunkt (u, v) gilt damit:

r2 = (u − c)2 + (r − d)2 = (n − c)2 + (mu + q − d)2.

Also ist u Nullstelle einer quadratischen Gleichung mit Koeffizienten in L ∩ R. DieLösung u dieser Gleichung kann reell oder komplex sein. In beiden Fällen ist u auchLösung dieser quadratischen Gleichung, siehe 18.6(b). Also ist u ∈ L(u). Elementein L(u) sind Polynome in u mit Koeffizienten in L. Wegen L = L ist das komplexKonjugierte eines solchen Polynoms ein Polynom in u mit Koeffizienten in L. Also istL(u) = L(u). Mit 21.3 folgt, dass auch v = mu+q ∈ L(u) ist. Nach Voraussetzung isti ∈ L, also ist auch α = u + iv ∈ L(u), also L(α) ⊆ L(u). Nach Konstruktion, siehe20.4, ist [L(u) : L] ≤ 2, nach der Gradformel 19.8 gilt also [L(α) : L] ≤ 2. Entwederist damit L(α) = L oder L(α) = L(u). In beiden Fällen gilt also L(α) = L(α).

• 3. Fall: Sei α = u + iv Lösung von

(x − a)2 + (y − b)2 = r2

(x − c)2 + (y − d)2 = s2

mit a, b, c, d, r2, s2 ∈ L ∩ R. Bilde die Differenz der Gleichungen. Man erhält einelineare Gleichung in x, y. Dann sind die gemeinsamen Lösungen der beiden quadra-tischen Gleichungen gleich den Lösungen einer der quadratischen Gleichungen undder neuen Geradengleichung. Damit folgt die Behauptung aus Fall 2.

Theorem 21.5. Sei {0, 1} ⊆ M ≤ C. Ein Element z ∈ C ist genau dann aus M konstru-ierbar, wenn eine endliche Kette von Körpern existiert,

Q(M ∪ M) = L0 ≤ L1 ≤ . . . ≤ Lr,

mit [Li : Li−1] ≤ 2 und z ∈ Lr.

Beweis. „⇒“: Da {0, 1} ⊆ M , ist i ∈ M . Da z konstruierbar ist, erhält man z ausM in endlich vielen elementaren Konstruktionsschritten. Es existieren also endlich vielekonstruierbare Zahlen z1 = i, z2, . . . , zr ∈ M mit z = zr. Setze Lj := Lj−1(zj) mit1 ≤ i ≤ r. Dann ist L0 ≤ L1 ≤ L2 ≤ . . . ≤ Lr und nach 21.4 gilt [Li : Li−1] ≤ 2.„⇐“: Wir führen eine Induktion nach r durch. Nach 21.2 sind alle Elemente in L0 :=Q(M ∪ M) konstruierbar. Angenommen, alle Elemente aus Li−1 sind konstruierbar. Sei[Li : Li−1] = 2. Nach 19.8 existiert a ∈ Li mit Li = Li−1(a). Es existieren also p, q ∈ Li−1mit ma,Li−1 = X2 + pX + q (siehe 20.4). Somit ist nach 21.2 die Zahl

a = −p

2±√(

p

2

)2− q

aus Li−1 konstruierbar. Nach 21.2 ist also jedes Element aus Li = Li−1(a) konstruierbar.

Korollar 21.6. Jede aus M = {0, 1} konstruierbare Zahl z ∈ C ist algebraisch über Qund [z : Q] = 2k für ein k ∈ N0.

KAPITEL 21. KONSTRUKTIONEN MIT ZIRKEL UND LINEAL 100

Beweis. Die Behauptung folgt aus 19.8 und 21.5: Nach Voraussetzung ist M = {0, 1},also ist Q(M ∪ M) = Q. Sei z aus M konstruierbar. Es existiert also eine KörperketteQ = L0 ≤ L1 ≤ . . . ≤ Lr mit [Li : Li−1] ≤ 2 und z ∈ Lr. Die Körpererweiterung Lr/Qist endlich, nach 20.7 ist also z algebraisch über Q. Die zweite Behauptung folgt ausQ ≤ Q(z) ≤ Lr und der Gradformel.

Beispiel 21.7.

(a) Delisches Problem: Gegeben ist ein Würfel mit o. E. Kantenlänge 1. Konstruieremit Zirkel und Lineal einen Würfel doppelten Volumens, d. h. mit Kantenlänge a =

3√

2. Hier ist M = {0, 1}. Es ist ma,Q = X3 − 2 ∈ Q[X]. Beachte: X3 − 2 istunzerlegbar nach dem Eisenstein-Kriterium für p = 2. Damit ist [a : Q] = 3, waskeine Zweierpotenz ist. Nach 21.6 ist also a = 3

√2 nicht mit Zirkel und Lineal

konstruierbar.

(b) Quadratur des Kreises: Gegeben ist ein Kreis, o. E. mit Radius 1. Konstruiere mitZirkel und Lineal ein Quadrat gleichen Flächeninhalts, also mit Seitenlänge a =

√π.

Angenommen,√

π ∈ M für M = {0, 1}. Nach 21.1 ist√

π√

π = π ∈ M . Aber π isttranszendent. Nach 21.6 ist also a =

√π nicht konstruierbar.

(c) Winkeldreiteilung: Gewisse Winkel wie 180°, 270°, . . . lassen sich mit Zirkel undLineal dreiteilen. Sei α ∈ [0, 2π] gegeben. Sei ζ = eiα. Die Dreiteilung von α istgleichbedeutend mit der Konstruktion von z = eiα/3 aus M = {0, 1, ζ}. Wähle α =60° = π/3. Dann ist

eiα = cos(α) + i sin(α) =12

+ i ·√

32

.

Beachte: ζ ∈ {0, 1}. Die Frage ist also: Lässt sich eiα/3 aus M = {0, 1} mit Zirkelund Lineal konstruieren?

(i) Die Additionstheoreme ergeben allgemein

cos(3β) = 4 cos3 β − 3 cos β

für beliebiges β.(ii) Setze β = α/3. Dann folgt:

12

= cos(α) = cos(3β) = 4 cos(β)3 − 3 cos(β) .

Es folgt, dass z = cos(β) eine Nullstelle von 4X3 −3X −1/2 ist und daher auchvon f = 8X3 − 6X − 1. Über dem Körper Z7 ist das Polynom f = X3 + X − 1unzerlegbar. Mit dem Reduktionskriterium 18.8 und 17.10 folgt, dass f ∈ Q[X]unzerlegbar ist. Nach 20.2 ist [z : Q] = 3. Nach 21.6 ist z nicht konstruierbar.Somit ist auch eiα/3 nicht aus M = {0, 1} oder aus M = {0, 1, ζ} konstruierbar.

Kapitel 22

Algebraischer Abschluss

Definition 22.1. Ein Körper K heißt algebraisch abgeschlossen, falls eine der folgendenäquivalenten Bedingungen gilt:

(a) Jedes f ∈ K[X] \ K hat mindestens eine Nullstelle in K.

(b) Jedes f ∈ K[X] \ K zerfällt in ein Produkt linearer Faktoren: f = ∏ni=1 fi mit

fi ∈ K[X] und deg fi = 1 für alle i.

(c) Jedes unzerlegbare, normierte Polynom hat die Form X − a, für ein a ∈ K.

(d) Ist L/K algebraisch, dann ist L = K.

Beweis. (i) Angenommen Aussage (c) gilt. Sei L/K eine algebraische Körpererweite-rung. Sei a ∈ L. Dann ist a algebraisch über K. Sei m das Minimalpolynom vona über K. Insbesondere ist m ∈ K[X] unzerlegbar. Nach (c) ist deg m = 1, alsom = X − a ∈ K[X]. Es folgt also L = K.

(ii) Angenommen Aussage (d) gilt. Sei f ∈ K[X] ein nicht-konstantes Polynom. DerPolynomring K[X] ist faktoriell. Schreibe f = f1 · · · fn als Produkt von unzerlegba-ren polynomen fi ∈ K[X]. Nach 20.4 enthält L := K[X]/〈f1〉 eine Nullstelle a vonf1, also auch von f , und L/K ist algebraisch. Nach (d) gilt dann L = K. Also ista ∈ K eine Nullstelle von f .

Definition 22.2. Sei L/K eine Körpererweiterung. Dann ist L algebraischer Abschlussvon K, falls gilt:

(i) L/K ist algebraisch;

(ii) L ist algebraisch abgeschlossen.

Der Fundamentalsatz der Algebra sagt, dass jedes nicht-konstante Polynom mit Koeffi-zienten in C eine Nullstelle in C hat. Der Körper C ist also algebraisch abgeschlossen.Sei K ≤ C. Dann ist die Menge K := {z ∈ C | z algebraisch über K} ein algebraischerAbschluss von K. Hierzu zeige man, dass die Körpererweiterung K(a, b) algebraisch istüber K, für Elemente a, b ∈ K. Da a ± b, a · b, a−1 ∈ K(a, b), folgt insbesondere, dassK ein Körper ist. Nach Definition ist K/K algebraisch. Zu zeigen bleibt noch, dass Kalgebraisch abgeschlossen ist. Sei f ein nicht-konstantes Polynom in K[X]. Dann hat feine Nullstelle a ∈ C. Nach 20.4 ist K(a)/K eine algebraische Erweiterung. Da auch K/Kalgebraisch ist, folgt mit 20.8, dass auch K(a)/K algebraisch ist. Es ist also insbesondere

101

KAPITEL 22. ALGEBRAISCHER ABSCHLUSS 102

a ein algebraisches Element über K. Damit folgt aber a ∈ K. Also hat das Polynomf eine Nullstelle in K. Nach 22.1 ist also K algebraisch abgeschlossen, und damit einalgebraischer Abschluss von K.

Proposition 22.3. Sei K ein Körper. Dann existiert eine algebraische KörpererweiterungL/K, sodass jedes f ∈ K[X] \ K eine Nullstelle in L hat.

Beweis. Setze I := K[X] \ K als Indexmenge und R := K[Xi | i ∈ I]. Nach Definitionsind Elemente in R Polynome in endlich vielen Variablen Xi. Addition und Multiplikationvon Elementen in R ist entsprechend definiert wie in einem Polynomring in endlich vielenVariablen, genauer in der Vereinigungsmenge der Variablen der beiden Polynome. SeiA := 〈f(Xf) | f ∈ I〉 � R.

(a) Behauptung: A �= R.

Beweis. Angenommen, 1 ∈ A. Dann existieren fi = fi(Xfi) ∈ A und gi ∈ R

mit 1 = ∑ni=1 figi. Wiederholte Anwendung von 20.9 gibt: Es existiert eine Kör-

pererweiterung F/K, sodass jedes fi für i ∈ {1, . . . , n} eine Nullstelle ai ∈ Fhat. Sei ϕ : R → F [Xi | i ∈ I] der Einsetzungshomomorphismus definiert durchϕ|K = id, ϕ(Xfi

) = ai und ϕ(Xf ) = Xf für f sonst. Es ist ϕ(fi(Xfi)) = fi(ai) = 0.

Also ist

1 = ϕ(1) =n∑

i=1ϕ(fi)︸ ︷︷ ︸

=0

ϕ(gi) = 0 ,

ein Widerspruch. Also ist 1 /∈ A, beziehungsweise A �= R.

(b) Der Ring R�A hat ein maximales Ideal nach 15.8. Nach 11.1 existiert M � Rmaximal mit A ⊆ M ⊆ R. Nach 15.2 ist dann R/M =: L ein Körper. Nach 19.1 istK ↪→ R = K[Xi | i ∈ I] π→ R�M = L injektiv. Identifiziere K mit einem Teilkörperin L, d. h. K ≤ L. Diese Identifizierung bedeutet auch, dass π(λ) = λ ist für alleλ ∈ K.

(c) Sei f ∈ K[X] \ K, etwa f = ∑λiX

i mit λi ∈ K. Dann ist

f(π(Xf)) =∑

λiπ(Xf)i =∑

π(λi)π(Xf)i

= π(∑

λiXif

)= π(f(Xf)︸ ︷︷ ︸

∈A⊆M

) = 0 + M = 0L .

Also hat f eine Nullstelle in L für alle f ∈ K[X] \ K.

(d) Sei a ∈ L. Dann ist a ∈ K(Xf + M | f ∈ J) mit J ⊆ I endlich. Nach (c) sind dieElemente Xf + M algebraisch. Mit 20.8 und 20.7 folgt, dass a algebraisch ist überK. Also ist L/K algebraisch.

Bemerkung 22.4. Seien Ki Körper mit K0 ⊆ K1 ⊆ K2 ⊆ . . .. Dann ist K := ⋃i≥0 Ki

ein Körper: Um dies zu sehen, seien a, b ∈ K. Dann existieren i, j mit a ∈ Ki und b ∈ Kj .Ohne Einschränkung sei i ≤ j. Dann ist Ki ⊆ Kj , also a, b ∈ Kj . Da Kj ein Körper ist,folgt a ± b, a−1, ab ∈ Kj ⊆ K.

KAPITEL 22. ALGEBRAISCHER ABSCHLUSS 103

Theorem 22.5. Jeder Körper K hat einen algebraischen Abschluss.

Beweis.

(a) Sei K0 = K. Nach 22.3 existiert eine algebraische Körpererweiterung K1/K0, sodassalle Polynome in K0[X] \ K0 eine Nullstelle in K1 haben. Wiederhole das Argumentmit K1 etc. Wir erhalten eine Körperkette K0 ≤ K1 ≤ K2 ≤ . . . mit Ki/Ki−1algebraisch. Setze K := ⋃

i≥0 Ki. Nach 22.4 ist K ein Körper. Sei a ∈ K. Dannexistiert ein Index j mit a ∈ Kj . Nach 20.8 ist Kj/K algebraisch, und damit aalgebraisch über K. Also ist K/K algebraisch.

(b) Sei f = ∑ni=0 aiX

i ∈ K[X]\K. Dann existiert j mit a0, . . . , an ∈ Kj , d. h. f ∈ Kj[X].Nach (a) hat f eine Nullstelle in Kj+1 ⊆ K. Dann hat f eine Nullstelle in K. Nach22.1 ist K algebraisch abgeschlossen.

Bemerkung 22.6. Seien K und K ′ Körper, sei σ : K → K ′ ein Homomorphismus. Sei

σ∗ : K[X] → K ′[X],n∑

i=0λiX

i �→n∑

i=0σ(λi)X i,

siehe 13.3, mit X �→ X. Sei σ bijektiv, also ist auch σ∗ bijektiv.

(a) Ist f ∈ K[X] unzerlegbar über K, dann ist σ∗(f) unzerlegbar über K ′. Also ist

K[X]�〈f〉 K ′[X]�〈σ∗(f)〉nach 11.3 vermöge

g + 〈f〉 �→ σ∗g + 〈σ∗f〉 .

(b) Seien L/K und L′/K ′ Körpererweiterungen, ϕ : L → L′ ein Homomorphismus mitϕ|K = σ. Sei g = ∑

λiXi ∈ K[X] und sei a ∈ L. Dann ist

(σ∗g)(ϕ(a)) =∑

σ(λi)ϕ(a)i =∑

ϕ(λi)ϕ(a)i = ϕ(∑

λiai)

= ϕ(g(a)) .

Also ist a ∈ L eine Nullstelle von g ∈ K[X] genau dann, wenn ϕ(a) ∈ L′ eineNullstelle von σ∗g ∈ K ′[X] ist. Hierbei benutzen wir, dass ϕ(g(a)) = 0 impliziert,dass g(a) im Kern von ϕ liegt. Nach 19.1 sind Körperhomomorphismen injektiv,haben also trivialen Kern. Daher folgt g(a) = 0.

Proposition 22.7. Seien K und K ′ Körper, sei σ : K → K ′ ein Isomorphismus mitFortsetzung σ∗ wie in 22.6. Seien L/K und L′/K ′ Körpererweiterungen. Sei a ∈ L.

(a) Sei a′ ∈ L′ mit ma′,K ′ = σ∗ma,K. Dann existiert genau ein Isomorphismus

ϕ : K(a) → K ′(a′)

mit ϕ(a) = a′ und ϕ|K = σ.

(b) #{ϕ : K(a) → L′ | ϕ|K = σ} = #{a′ ∈ L′ | σ∗(ma,K)(a′) = 0}.

KAPITEL 22. ALGEBRAISCHER ABSCHLUSS 104

Beweis. (a) Sei m = ma,K . Die Komposition von

K(a) = K[a]20.4∼−→ K[X]�〈m〉

22.6∼−→ K ′[X]�〈σ∗m〉20.4∼−→ K ′[a′] = K ′(a′),

g(a) �→ g + 〈m〉 �→ σ∗g + 〈σ∗m〉 �→ (σ∗g)(a′)

ist ein Isomorphismus mit a �→ a′ und λ �→ σ(λ) für λ ∈ K.

(b) Dies folgt aus (a) und 22.6, denn danach ist ϕ �→ ϕ(a) eine Bijektion.

Definition 22.8. Seien L1/K und L2/K Körpererweiterungen. Sei ϕ : L1 → L2 einRinghomomorphismus. Dann heißt ϕ ein K-Homomorphismus, falls ϕ|K = idK . Ist zu-sätzlich ϕ bijektiv, dann heißt ϕ K-Isomorphismus; ist zusätzlich L1 = L2, dann heißt ϕK-Automorphismus.

Theorem 22.9.

(a) Sei L/K eine algebraische Körpererweiterung und M ein algebraisch abgeschlos-sener Körper. Sei ferner σ : K → M ein Homomorphismus. Dann existiert einHomomorphismus ϕ : L → M mit ϕ|K = σ.

(b) Sei σ : K∼→ K ′ ein Isomorphismus. Seien K und K ′ algebraische Abschlüsse von

K bzw. K ′. Dann existiert ein Isomorphismus ϕ : K → K ′ mit ϕ|K = σ.

(c) Seien L1 und L2 algebraische Abschlüsse von K. Dann existiert ein K-Isomorphismusvon L1 nach L2.

Beweis.

(a) (i) Sei L/K algebraisch. Sei X := {(K ′, τ ′) | K ≤ K ′ ≤ L, τ ′|K = σ}. Definiere(K ′, τ ′) ≤ (K ′′, τ ′′) :⇔ K ′ ≤ K ′′ und τ ′′|K ′ = τ ′. Dann ist ≤ eine partielleOrdnung auf X. Sei Y = {(Ki, τi) | i ∈ I} ⊆ X total geordnet. Wir erhal-ten eine Körperkette, total geordnet durch Inklusion. Nach 22.5 ist ⋃i∈I Ki einTeilkörper von L. Da τj|Ki

= τi für Ki ≤ Kj gilt, ist ⋃ τi : ⋃Ki → M wohlde-finiert, wobei x ∈ Kj abgebildet wird auf τj(x). Also ist (⋃Ki,

⋃τi) ∈ X eine

obere Schranke von Y . Nach dem Lemma von Zorn (15.7) hat X ein maximalesElement (L′, τ ′).

(ii) Behauptung: L′ = L. Angenommen a ∈ L \ L′. Da L/K algebraisch, ist aalgebraisch über K. Nach 22.7 existiert ein Homomorphismus α : L′(a) →M , der den Homomorphismus τ ′ : L′ → M fortsetzt. Dies widerspricht derMaximalität von (L′, τ ′). Also ist L′ = L.

(b) Setze L := K und M := K ′ in Aussage (a). Dann existiert ein Homomorphismusϕ : K → K ′ mit ϕ|K = σ. Nach 19.1 ist ϕ injektiv. Zu zeigen ist, dass ϕ auchsurjektiv ist. Es ist

K ′ = σ(K) = ϕ(K) ⊆ ϕ(K) ⊆ K ′

mir K ′/K ′ algebraisch nach Voraussetzung. Nach 20.8 sind damit die beiden Teiler-weiterungen in der letzen Körperkette algebraisch. Nach 19.1 ist ϕ(K) K und Kist algebrasich abgeschlossen. Mit 22.1 folgt ϕ(K) = K ′. Also ist ϕ bijektiv.

(c) Dies ist ein Spezialfall von (b) mit K = K ′ und σ = idK .

Kapitel 23

Endliche Körper

In diesem Kapitel wollen wir die endlichen Körper klassifizieren. Wir beginnen mit einemBeispiel.

Beispiel 23.1.

(a) Sei p eine Primzahl. Sei f ∈ Zp[X] unzerlegbar und deg f = n. Nach 16.6 ist dann〈f〉 � Zp[X] maximal. Mit 15.2 folgt, dass L := Zp[X]�〈f〉 ein Körper ist. Nach19.6 ist char L = p, also ist Primkörper Π(L) Zp. Wir identifizieren Π(L) mit Zp,betrachten also Zp als Teilkörper von L. Da {1 + I, X + I, . . . , Xn−1 + I} ⊆ L eineZp-Basis von L ist, folgt |L| = pn.

(b) Sei p = 2. Durch Überprüfen auf Nullstellen in Z2, und bei Polynomen vom Gradvier durch Überprüfen, dass X2 +X +1 kein Teiler ist (siehe 18.10), sieht man, dassdie folgenden Polynome unzerlegbar über Z2 sind:

f2 := X2 + X + 1f

(1)3 := X3 + X + 1

f(2)3 := X3 + X2 + 1

f(1)4 := X4 + X + 1

f(2)4 := X4 + X3 + 1

f(3)4 := X4 + X3 + X2 + X + 1 .

Damit existieren Körper mit 22, 23, 24 Elementen. Es stellen sich die Fragen: Existiertzu jedem Paar (p, n) mit p Primzahl und n eine natürliche Zahl ein Körper mitpn Elementen? Wieviele verschiedene Körper existieren zu einem gegeben Tupel(p, n)? Liefern verschiedene unzerlegbare Polynome fn gleichen Grades n Körper,die zueinander isomorph sind oder nicht?

(c) Wir betrachten ein Beispiel genauer. Definiere I := 〈X2 + X + 1〉 � Z2[X] undL := Z2[X]�I. Dann besteht der Körper L aus genau vier Elementen:

L = {0 + I, 1 + I, X + I, (X + 1) + I}.

Wir berechnen die Verknüpfungstafeln für die Addition und Multiplikation von L.Wir schreiben a := a + I. Dann erhalten wir:

105

KAPITEL 23. ENDLICHE KÖRPER 106

+ 0 1 X X + 10 0 1 X X + 11 1 0 X + 1 XX X X + 1 0 1

X + 1 X + 1 X 1 0,

· 0 1 X X + 10 0 0 0 01 0 1 X X + 1X 0 X X + 1 1

X + 1 0 X + 1 1 X

.

Es gibt nur zwei Gruppen der Ordnung vier. Es gilt hier also (L, +) Z2 ×Z2 � Z4.Im allgemeinen ist die additive Gruppe eines Körpers L mit pn Elementen nichtzyklisch: Sei x ∈ L. Dann ist (a + · · · + a) = p · a = 0. Also ist die (additive)Ordnung von a echt kleiner als pn für n > 1.Die Multiplikationstafel wird mit Hilfe von 10.14 berechnet. Zum Beispiel gilt:

(X + I)(X + I) = X2 + I = X2 − (X2 + X + 1) + I = −X − 1 + I = X + 1 + I .

Hier haben wir benutzt, dass die Charakteristik des Körpers zwei ist. In diesemBeispiel können wir die Gruppenstruktur zur Berechnung der Multiplikationstafelbenutzen: Da (L×, ·) eine Gruppe ist und es nur eine Gruppe mit drei Elementengibt, gilt (L×, ·) Z3. Erzeuger der Gruppe ist ein Element ungleich dem Eins-element, also zum Beispiel X = X + I. Damit folgen die restlichen Einträge derMultiplikationstafel ohne weiteres Rechnen. Wir erhalten in diesem Beispiel, dassL× eine zyklische Gruppe ist. Dies gilt allgemeiner:

Proposition 23.2. Sei K ein Körper und char K = p > 0. Sei G ≤ (K×, ·) eine endlicheUntergruppe. Dann ist G zyklisch.

Beweis. Nach Voraussetzung ist G eine endliche abelsche Gruppe. Nach 6.7 existierenn1 | n2 | . . . | nr ∈ N mit |G| = ∏r

i=1 ni und G Zn1 × Zn2 × . . . × Znr . Aufgrund derTeilbarkeitsrelation der Elementarteiler ni und 3.5 gilt für alle x ∈ G:

xnr = (x1, . . . , xr)nr = (xnr1 , . . . , xnr

r ) = (1, . . . , 1) .

Das Polynom Xnr − 1 ∈ K[X] hat maximal nr Nullstellen nach 18.2, also ist |G| ≤ nr,d. h. n1 = . . . = nr−1 = 1 und nr = |G|. Also ist G Znr eine zyklische Gruppe.

Definition 23.3. Sei 0 �= f ∈ K[X] \ K. Eine Körpererweiterung Z über K heißt Zer-fällungskörper von f über K (kurz ZFK), falls es ein λ ∈ K und a1, . . . , an ∈ Z gibt mitf = λ ·∏n

i=1(X − ai) und Z = K(a1, . . . , an). Nach 20.8 und 20.7 ist Z/K algebraisch.

Beispiel 23.4.

(a) Sei d ∈ Q mit√

d �∈ Q. Dann ist Q(√

d) ein Zerfällungskörper von X2 − d ∈ Q[X].Es gilt [Q(

√d) : Q] = 2 nach 20.4.

(b) Sei a = 3√

2 und ξ = e2πi/3. Dann hat f := X3 − 2 ∈ Q[X] in C die Nullstellen{a, aξ, aξ2}. Der Zerfällungskörper von f ist also Q(a, ξ). Hier gilt [Q(a, ξ) : Q] = 6.

(c) (i) Sei f = Xp − X ∈ Zp[X] und p eine Primzahl. Dann ist Z×p eine Gruppe mit

p − 1 Elementen. Mit 3.5 folgt ap−1 = 1 in Zp für alle a ∈ Z×p . Also gilt ap = a

für alle a ∈ Zp. Somit ist a eine Nullstelle von f . Es ist also Zp gleich der Mengealler Nullstellen von f = Xp − X. Wir verallgemeinern dies in diesem Kapitel.

KAPITEL 23. ENDLICHE KÖRPER 107

(ii) Nach (i) ist Xp−1 − 1 = (X − 1)(X − 2) · . . . · (X − (p − 1)). Setze X = 0. Dannfolgt

−1 ≡ (−1)p−1(p − 1)! ≡ (p − 1)! (mod p) .

Dieses Resultat aus der Zahlentheorie heißt der Satz von Wilson.

Theorem 23.5. Der Zerfällungskörper Z von f ∈ K[X]/K existiert und ist eindeutig bisauf K-Isomorphie.

Beweis. Existenz : Sei K der algebraische Abschluss von K. Zu f ∈ K[X] \ K existiertλ ∈ K und ai ∈ K, i ∈ I mit f = c ·∏i(x − ai). Setze Z := K(ai | i ∈ I).Eindeutigkeit: Sei Z ′ ein Zerfällungskörper von f über K. Sei Z ′ algebraischer Abschlussvon Z ′. Nach 20.8 ist damit Z ′/K algebraisch. Also ist Z ′ algebraischer Abschluss von K.Da K und Z ′ algebraische Abschlüsse von K sind, existiert nach 22.9 (b) ein Isomorphis-mus ψ : K → Z ′ mit ψ|K = id. Hierbei ist

f = ψ∗f = ψ∗ (c∏(X − ai))

= c ·∏(X − ψ(ai)) .

Somit sind {ψ(ai) | i ∈ I} ⊆ Z ′ die Nullstellen von f . Es folgt Z ′ = K(ψ(ai) | i ∈ I) =ψ(K(ai | i ∈ I)) = ψ(Z). Also sind Z und Z ′ K-isomorph.

Bemerkung 23.6. Wie im Eindeutigkeitsbeweis von 23.5 zeigt man: Sei σ : K → K ′ einIsomorphismus. Sei f ∈ K[X] \ K und sei Z ein Zerfällungskörper von f über K. Sei Z ′

ein Zerfällungskörper von σ∗f über K ′. Dann existiert ein Isomorphismus ψ : Z → Z ′ mitψ|K = σ.

Definition 23.7. Sei p eine Primzahl, und q = pn für n ∈ N. Definiere Fq = GF(q) alsZerfällungskörper von Xq − X ∈ Zp[X]. Nach 23.4 (c) ist Fp = Zp.

Lemma 23.8. Sei K ein Körper und char K = p > 0.

(a) Dann ist F : K → K mit x �→ xp ein Monomorphismus. Insbesondere ist

(x + y)pn = xpn + ypn

für alle x, y ∈ K. Die Abbildung F heißt Frobenius-Homomorphismus.

(b) Ist |K| < ∞, so ist F ein Automorphismus. Insbesondere: Zu y ∈ K existiert genauein x ∈ K mit xp = y, d. h. jedes Element in K hat eine eindeutige p-te Wurzel.

Beweis. Es ist

F (1) = 1p = 1F (xy) = (xy)p = xp · yp = F (x) · F (y)

F (x + y) = (x + y)p =p∑

i=0

(p

i

)xiyp−i = xp + yp ,

denn p |(

pi

)für 1 ≤ i ≤ p − 1. Induktiv folgt hieraus

(x + y)pn = xpn + ypn

Jeder Körperhomomorphismus ist injektiv nach 19.1. Da K endlich ist, folgt auch Fsurjektiv.

KAPITEL 23. ENDLICHE KÖRPER 108

Proposition 23.9. Es ist |Fq| = q.

Beweis. Sei f = Xq − X ∈ Zp[X]. Nach Definition 23.3 existiert N = {ai | i ∈ I} ⊆ Fq

mit f = ∏i(X − ai). Wir zeigen N = Fq und |N | = q.

(a) Seien ai, aj ∈ N mit aj �= 0. Dann folgt aqi = ai, aq

j = aj und somit nach 23.8 auch(ai ± aj)q = aq

i ± aqj = ai ± aj

(ai · a−1j )q = aq

i · (aqj)−1 = aia

−1j .

Somit ist N ⊆ Fq ein Teilkörper, der alle Nullstellen von f enthält. Folglich istN = Fq Zerfällungskörper von f .

(b) Da f ′ = qXq−1 − 1 = −1 in Zp[X] ist, ist f ′(ai) = −1 �= 0. Damit ist jedes ai ∈ Neine einfache Nullstelle von f . Es folgt q = |N | = |Fq|.

Theorem 23.10. Sei p eine Primzahl und n ∈ N. Schreibe q = pn.(a) Der Zerfällungskörper Fq von f = Xq − X ∈ Zp[X] ist eine Körpererweiterung von

Zp = Fp mit q Elementen, also mit [Fq : Fp] = n, undFq = {alle Nullstellen von f = Xq − X}.

(b) Bis auf Isomorphie ist Fq der einzige Körper mit pn Elementen.

(c) Ist g ∈ Fp[X] unzerlegbar mit deg g = n, dann ist

Fq Fp[X]�〈g〉 .

Jedes a ∈ Fq, welches Nullstelle von g in Fq ist, ist ein primitives Element, d. h.Fq = Fp(a).

(d) Ein Teilkörper von Fpn hat Ordnung pd mit d | n und es gibt genau einen Teilkörperfür jedes solche d. Weitere Teilkörper existieren nicht.

Beweis.(a) Nach 23.5 existiert Fq und ist eindeutig bis auf Zp-Isomorphie. Nach 23.9 ist Fq

gleich der Menge der Nullstellen von Xq − X. Aus 19.7 folgt [Fq : Fp] = n.

(b) Sei K ein Körper mit q = pn Elementen. Dann ist char K = p. Die multiplikativeGruppe K× ist nach 23.2 eine zyklische Gruppe mit q − 1 Elementen. Also istaq−1 = 1 für alle a ∈ K× und damit aq = a für alle a ∈ K, siehe 3.5. Folglich istjedes a ∈ K Nullstelle von f = Xq − X ∈ Zp[X]. Damit ist K ein Zerfällungskörpervon f und damit K Fq nach 23.5.

(c) Nach 23.1 ist L := Fp[x]�〈g〉 eine Körpererweiterung von Zp = Fp und

[L : Fp] = deg(g) =: n

und damit |L| = pn. Mit (b) folgt L Fq. Ist a Nullstelle von g in Fq, so folgt mit20.4:

Fp[x]�〈g〉 Fp(a) .

Somit ist Fq = Fp(a). Hier haben wir benutzt, dass man das Minimalpolynom ma,Fp

von a durch Normieren des Polynoms g erhält, und die von ma,Fp und g erzeugtenIdeale gleich sind.

(d) Übung.

Kapitel 24

Galoiserweiterungen

Der Hauptsatz der Galoistheorie liefert eine (Inklusion-umkehrende) Bijektion zwischeneiner bestimmten endlichen Gruppe und ihren Untergruppen, sowie einer bestimmtenKörpererweiterung und all ihren Zwischenkörpern. Die Körpererweiterungen, für die einesolche Korrespondenz existiert, sind die sogenannten Galoiserweiterungen; bei der in derKorrespondenz vorkommenden Gruppe handelt es sich um eine sogenannte Galoisgruppe.In diesem Kapitel führen wir Galoisgruppen und Galoiserweiterungen ein.Bemerkung 24.1. Sei L/K eine Körpererweiterung.

(a) Die Menge Aut(L) := {f : L → L | f Automorphismus} aller Körperautomorphis-men von L, zusammen mit der Komposition ◦ von Abbildungen, ist eine Gruppe. DieTeilmenge Aut(L/K) := {f ∈ Aut(L) | f |K = idK} ⊆ Aut(L) ist eine Untergruppevon Aut(L).Ist K ≤ Z ≤ L ein Zwischenkörper, dann ist Aut(L/Z) ≤ Aut(L/K) eine Unter-gruppe: ist σ ∈ Aut(L/Z), also σ|Z = idZ , so ist auch σ|K = idK .

(b) Wir wiederholen 22.6 und 22.7 im Spezialfall L = L′ und K = K ′, sowie einesK-Automorphismus von L.

(i) Sei g ∈ K[X] und sei σ ∈ Aut(L/K). Da g(σ(a)) = σ(g(a)) folgt: Es ist a ∈ Leine Nullstelle von g genau dann, wenn σ(a) ∈ L eine Nullstelle von g ist.

(ii) Sei L = K(a) und b ∈ L eine Nullstelle von ma,K . Dann existiert genau einIsomorphismus ϕ : K(a) → K(b) mit a �→ b und ϕ|K = id. Es gibt also eineBijektion zwischen {b ∈ L | b ist NS von ma,K} und Aut(L/K).

(c) Sei L/K algebraisch und σ : L → L ein K-Homomorphismus. Dann ist σ ein K-Isomorphismus: Sei a ∈ L. Sei N die Menge aller Nullstellen des Minimalpolynomsma,K in L. Dann ist σ|N : N → N eine Bijektion. Also existiert zu a ∈ N einElement b ∈ N mit σ(b) = a. Also ist σ surjektiv. Mit 19.1 folgt die Behauptung.Die Voraussetzung, dass die Körpererweiterung L/K algebraisch ist, kann nichtweggelassen werden: Die Abbildung K(X) → K(X), definiert durch f(X) → f(X2)ist kein Isomorphismus.

Beispiel 24.2.(a) Das Polynom mi,R = X2 + 1 ∈ R[X] hat die Nullstellen {±i} ⊆ C. Definiere

Körperhomomorphismenσ0 : C → C mit i �→ i und σ0|R = idσ1 : C → C mit i �→ −i und σ1|R = id .

109

KAPITEL 24. GALOISERWEITERUNGEN 110

Dann ist σ0 = idC und σ1 ist die komplexe Konjugation, x + iy → x − iy. Also istAut(C/R) = {σ0, σ1} Z2.

(b) Sei L = Q(a) ⊆ R mit a = 3√

2 und sei K = Q. Das Polynom ma,K = X3 −2 hat dieNullstellen {a, ξa, ξ2a} mit ξ = e2πi/3. Da aξ, aξ2 ∈ C \ R ist, folgt Aut(Q(a)/Q) ={id}.

Bemerkung 24.3. Zur Vereinfachung beweisen wir in dieser Vorlesung die Galoiskorre-spondenz nur für endliche Körpererweiterungen der Charakteristik Null. Diese haben diefolgende fundamentale Eigenschaft: Sei K ein Körper mit char K = 0. Sei f ∈ K[X] un-zerlegbar und sei L eine Körpererweiterung von K. Dann hat f keine mehrfachen Nullstel-len in L. Ein unzerlegbares Polynom mit dieser Eigenschaft heißt separabel. Der Beweisder letzten Aussage ist Übungsaufgabe. Von jetzt an seien Körpererweiterungen endlichund in Charakteristik Null. Die in diesem Kapitel präsentierten Resultate sind ohne diesezusätzliche Voraussetzung unter Umständen nicht richtig.

Theorem 24.4 (Satz vom primitiven Element). Sei L/K eine endliche Körpererweite-rung mit char K = 0. Dann ist L/K einfach, d. h. es existiert c ∈ L mit L = K(c).

Bemerkung: Dieser Satz gilt allgemeiner für endliche separable Körpererweiterungenbeliebiger Charakteristik. Eine Körpererweiterung L/K ist separabel, falls jedes Elementa ∈ L separabel über K ist. Und ein Element a ∈ L ist separabel über K, genau dann,wenn das Minimalpolynom ma,K in einem beliebigen Erweiterungskörper keine mehrfachenNullstellen besitzt, also separabel ist. Hat ein Körper K die Charakteristik Null, so istnach obiger Bemerkung jede algebraische Erweiterung L von K separabel.

Beweis.

(i) Sei L = K(a, b) mit a, b ∈ L algebraisch über K. Sei Z ein Zerfällungskörper vonma,K · mb,K ∈ K[X]. Dann existieren a1, . . . , ar ∈ Z mit ma,K = ∏r

i=1(X − ai)und b1, . . . , bs ∈ Z mit mb,K = ∏s

j=1(X − bj). Hierbei sind {a1, . . . , ar} paarweiseverschieden nach 24.3 und genauso sind {b1, . . . , bs} paarweise verschieden. OhneEinschränkung sei a = a1 und b = b1. Da K unendlich viele Elemente hat, existiertλ ∈ K mit

a + λb �= ai + λbj

für alle 1 ≤ i ≤ r und 2 ≤ j ≤ s. Hierbei ist

λ �= ai − a1

b1 − bj.

Definiere c := a + λb ∈ K(a, b). Es gilt K(c) ⊆ K(a, b).

(ii) Definiere h(x) := ma,K(c − λx) ∈ K(c)[X]. Dann ist

h(b1) = ma,K(c − λb1) = ma,K(a) = 0

und

h(bj) = ma,K(a1 + λb1 − λbj︸ ︷︷ ︸=ai

) �= 0

KAPITEL 24. GALOISERWEITERUNGEN 111

für j ≥ 2. Daher ist

ggTK(c)(mb,K , h) = ggTZ(mb,K , h) = X − b .

Es folgt b ∈ K(c) und damit a = c − λb ∈ K(c). Mit (i) folgt K(c) = K(a, b). DieBehauptung folgt jetzt induktiv (mit 20.8).

Korollar 24.5. Sei L/K endlich und char K = 0. Dann ist | Aut(L/K)| ≤ [L : K].

Beweis. Nach 24.4 existiert a ∈ L mit L = K(a). Damit folgt

| Aut(L/K)| 24.1= #{NS von ma,K in L} ≤ [a : K] = [K(a) : K] = [L : K]

nach 18.2 und 20.4 .

Definition 24.6. Eine endliche Körpererweiterung L/K in Charakteristik Null heißtgaloissch oder Galoiserweiterung, falls für die Anzahl der K-Automorphismen von L gilt:| Aut(L/K)| = [L : K]. Im Falle einer Galoiserweiterung schreiben wir Gal(L/K) :=Aut(L/K), genannt die Galoisgruppe von L/K.

Theorem 24.7. Sei L/K eine endliche Körpererweiterung und char K = 0. Dann sindäquivalent:

(a) L/K ist galoissch.

(b) L ist Zerfällungskörper eines Polynoms über K.

(c) Ist g ∈ K[X] unzerlegbar mit einer Nullstelle in L, so zerfällt g in L in Linearfak-toren.

Beweis. Nach 24.4 existiert ein Element a ∈ L mit L = K(a).(a) ⇒ (b): Es gilt

#{NS von ma,K in L} 24.1= | Gal(L/K)| (a)= [L : K] = [K(a) : K] 20.4= deg(ma,K) .

Damit ist L Zerfällungskörper von ma,K .(b) ⇒ (c): Sei L Zerfällungskörper von f ∈ K[X]. Sei Z Zerfällungskörper von f ·g ∈ K[X],d. h. L ⊆ Z. Sei b ∈ L Nullstelle von g und sei c ∈ Z eine Nullstelle von g.

(i) Es ist g ∈ K[X] unzerlegbar mit Nullstellen b, c ∈ Z. Nach 22.7 existiert ein K-Isomorphismus ϕ : K(b) → K(c), d. h. [K(b) : K] = [K(c) : K].

(ii) Da L Zerfällungskörper von f über K ist, ist L(b) Zerfällungskörper von f über K(b)und L(c) Zerfällungskörper von f über K(c). Nach 23.6 existiert ein Isomorphismusϕ : L(b) → L(c) mit ϕ|K(b) = ϕ. Mit (i) folgt [L(b) : K(b)] = [L(c) : K(c)].

(iii) Es folgt:

[L : K] b∈L= [L(b) : K] 19.8= [L(b) : K(b)][K(b) : K](i), (ii)= [L(c) : K(c)][K(c) : K] = [L(c) : K] = [L(c) : L][L : K] ,

also ist [L(c) : L] = 1. Damit haben wir gezeigt, dass c ∈ L ist für alle Nullstellen cvon g. Dies zeigt, dass g über L in Linearfaktoren zerfällt.

KAPITEL 24. GALOISERWEITERUNGEN 112

(c) ⇒ (a): Das Polynom ma,K ∈ K[X] ist unzerlegbar mit Nullstelle a in L. Aus (c) folgt,dass ma,K über L in Linearfaktoren zerfällt und nach 24.3 sind alle Nullstellen einfach.Nach 18.2 hat ma,K also deg(ma,K) = [a : K] viele verschiedene Nullstellen. Somit ist

| Aut(L/K)| 24.1= [a : K] 20.4= [K(a) : K] = [L : K] .

Nach 24.6 ist L/K daher galoissch.

Definition 24.8. Sei 0 �= f ∈ K[X] mit Zerfällungskörper L. Wir definieren

Gal(f) := Gal(L/K) = Aut(L/K) ,

genannt Galoisgruppe von f .

Lemma 24.9. Sei f ∈ K[X] mit deg f = n > 0.

(a) Die Galoisgruppe Gal(f) permutiert die Nullstellen von f in seinem Zerfällungskör-per. Insbesondere folgt Gal(f) ≤ Sn.

(b) Sei f unzerlegbar über K, dann folgt deg(f) | | Gal(f)|.Beweis.

(a) Sei L ein Zerfällungskörper von f über K. Sei Nf := { NS von f in L}. Dann istalso L = K(Nf). Die Galoisgruppe Gal(f) operiert auf Nf durch

Gal(f) × Nf → Nf , (σ, a) �→ σ · a := σ(a)

Nach 24.1 ist σ · a ∈ Nf . Sei σ ∈ Gal(f) mit σ(a) = a für alle a ∈ Nf . DaL = K(Nf) ist, folgt σ = id. Also operiert Gal(f) treu auf Nf . Nach 7.2 ist alsoGal(f) ↪→ S|Nf | = Sn.

(b) Sei a ∈ L Nullstelle von f . Dann folgt K(a) ≤ L und ma,K = λ · f für ein λ ∈ K×.Nach 19.8 ist n = deg(f) = deg(ma,K) 20.4= [K(a) : K] | [L : K]. Da L einZerfällungskörper von f ist, ist L/K galoissch nach 24.7, d. h. | Gal(f)| = [L : K].Also gilt deg(f) | | Gal(f)|.

Bemerkung 24.10.

(1) Sei K ≤ Z ≤ L eine Körpererweiterung mit L/K galoissch. Dann ist L/Z galoissch.Im Allgemeinen ist Z/K nicht galoissch.

Beweis.

(a) Nach 24.7 ist L Zerfällungskörper eines Polynoms f ∈ K[X]. Also ist L =K(Nf ) mit Nf = {NS von f in L}. Es folgt L = K(Nf) ⊆ Z(Nf) ⊆ L. Alsoist L Zerfällungskörper von f ∈ Z[X] und damit L/Z galoissch nach 24.7.

(b) Betrachte Q ≤ Q(a) ≤ Q(a, ξ) mit a = 3√

2 und ξ = e2πi/3. Der Körper Q(a, ξ)ist Zerfällungskörper von X3 − 2 ∈ Q[X]. Also ist Q(a, ξ)/Q galoissch nach24.7. Nach 24.2 ist | Aut(Q(a)/Q)| = 1 �= 3 = [Q(a) : Q]. Also ist Q(a)/Q nichtgaloissch.

KAPITEL 24. GALOISERWEITERUNGEN 113

(2) Sei K ein Körper mit char K = 0. Sei L/K eine Körpererweiterung mit [L : K] = 2.Dann ist L/K galoissch.

Beweis. Nach 24.4 existiert c ∈ L mit L = K(c). Da

2 = [L : K] = [K(c) : K] 20.4= [c : K],

also 2 = deg mc,K . Da mc,K = (X − c)q mit deg q = 1 und q ∈ L[X] ist, folgtmc,K = (X − c)(X − d) für d ∈ L. Also ist L Zerfällungskörper von mc,K . Mit 24.7folgt, dass L/K galoissch ist.

(3) Galoissch ist nicht transitiv:

(a) Betrachte Q ⊆ Q(√

2) ⊆ Q( 4√

2). Da ( 4√

2)2 =√

2 gilt, ist

[Q( 4√

2) : Q(√

2)] = 2,

[Q(√

2) : Q] = 2 .

Hierbei ist zu prüfen, dass 4√

2 /∈ Q(√

2) ist. Nach (2) sind Q( 4√

2)/Q(√

2) undQ(

√2)/Q galoissch.

(b) Nach 19.8 ist [Q( 4√

2) : Q] = 4. Das Polynom f = X4 − 2 hat Nullstellena, −a, ia, −ia, wobei a = 4

√2. Dann hat f Nullstelle a in Q(a), zerfällt aber

nicht in Linearfaktoren über Q(a). Nach 24.7 (c) ist Q(a)/Q = Q( 4√

2)/Q nichtgaloissch.

Kapitel 25

Hauptsatz der Galoistheorie

In diesem Kapitel beweisen wir den Hauptsatz der Galoistheorie. Im Falle einer galoisschenKörpererweiterung L/K liefert dieser eine inklusionsumkehrende Korrespondenz zwischenden Untergruppen der Galoisgruppe Gal(L/K) und den Zwischenkörpern, die zwischenK und L liegen. Um diese Korrespondenz vollständig zu beschreiben, benötigen wir diefolgende Definition:

Definition 25.1. Sei L ein Körper und sei G ≤ Aut(L) eine Untergruppe. DefiniereLG := {a ∈ L | σ(a) = a für alle σ ∈ G}, genannt Fixkörper von G in L. Dann ist LG ≤ LTeilkörper.

Beweis. Da σ(0) = 0 und σ(1) = 1 für alle σ ∈ G, folgt 0, 1 ∈ LG. Seien a, b ∈ LG mitb �= 0, d. h. σ(a) = a und σ(b) = b für alle σ ∈ G. Dann ist

σ(a ± b) = σ(a) ± σ(b) = a ± b

σ(a · b−1) = σ(a) · σ(b)−1 = ab−1

für alle σ ∈ G. Also ist a ± b, ab−1 ∈ LG.

Beispiel 25.2. Sei L = C und G = {σ0 = idC, σ1 = (z �→ z)}. Dann ist Z2 G ≤ Aut(L)und

LG = {a ∈ C | σ0(a) = a, σ1(a) = a} = {a ∈ C | a = a} = R ≤ C .

Lemma 25.3 (Lemma von Artin). Sei L ein Körper und G ≤ Aut(L) eine endlicheUntergruppe. Dann ist L eine Körpererweiterung über LG mit [L : LG] ≤ |G|. (Wir zeigen[L : LG] = |G| in 25.4.)

Beweis.

(a) Sei G = {σ1, . . . , σn} mit |G| = n. Ohne es weiter zu erwähnen, benutzen wir indiesem Beweis wiederholt, dass die Elemente aus G Körperhomomorphismen sind.Sei K = LG ⊆ L. Nach 19.2 ist L ein K-Vektorraum. Wir zeigen: Beliebige n + 1Vektoren aus L sind linear abhängig über K. Dann folgt [L : K] ≤ n = |G|.

(b) Seien a1, . . . , an+1 ∈ L. Das homogene LGS über L,

n+1∑i=1

σj(ai)xi = 0, 1 ≤ j ≤ n, (25.1)

114

KAPITEL 25. HAUPTSATZ DER GALOISTHEORIE 115

besteht aus n Gleichungen in n+1 Variablen. Da die Anzahl der Variablen größer istals die Anzahl der Gleichungen, folgt, dass der Lösungsraum von (25.1) mindestenseindimensional ist. Insbesondere: Ist x = (x1, . . . , xn+1) Lösung von (25.1), so istauch λx mit λ ∈ K Lösung von (25.1). Sei σ ∈ G. Dann gilt:

n+1∑i=1

σj(ai)σ(xi) = σ

(n+1∑i=1

(σ−1 ◦ σj)(ai)xi

).

Also ist x eine Lösung von (25.1) genau dann, wenn σx := (σx1, . . . , σxn+1) eineLösung von (25.1) ist.

(c) Wähle eine nicht-triviale Lösung von (25.1), die mit maximal vielen Nullen beginntund so normiert ist, dass der erste Eintrag �= 0 Eins ist. Eine solche Lösung existiertnach (b). Das heißt, es existiert 0 ≤ s ≤ n mit

x = (0, . . . , 0, 1, xs+2, . . . , xn+1)

ist Lösung von (25.1). Sei σ ∈ G. Nach (b) ist

σx = (0, . . . , 0, 1, σxs+2, . . . , σxn+1)

eine Lösung von (25.1). Ebenfalls nach (b) ist dann auch

y := x − σ(x) = (0, . . . , 0, 0, xs+2 − σxs+2, . . . , xn+1 − σxn+1)

eine Lösung von (25.1). Nach Wahl von x muss y die Nulllösung sein, da y mehrNullen am Anfang hat als x. Also ist σxt = xt für 1 ≤ t ≤ n + 1, d. h. σ(x) = x.Folglich ist xi ∈ LG = K für alle i ∈ {1, . . . , n + 1}.

(d) Wähle σj = id in (25.1) und x wie in (c). Dann istn+1∑i=1

aixi = 0

und nicht alle xi ∈ K sind Null. Somit ist die Menge {a1, . . . , an+1} ⊆ L linearabhängig über K.

Proposition 25.4. Sei L/K endlich und char K = 0. Dann gilt: L/K galoissch, genaudann, wenn K = LG mit G ≤ Aut(L). In diesem Fall gilt, dass Gal(L/K) = G, d. h.[L : K] = |G|.Beweis.

(a) (i) Sei K = LG mit G ≤ Aut(L). Sei λ ∈ K, dann ist σ(λ) = λ für alle σ ∈ G.Also ist σ|K = idK für alle σ ∈ G. Somit ist G ≤ Aut(L/K) = Gal(L/K).

(ii) Da L/K endlich ist und char K = 0, folgt | Gal(L/K)| 24.5≤ [L : K]25.3≤ |G|

(i)≤

| Gal(L/K)|. Also ist G = Gal(L/K) und |G| = [L : K] = [L : LG]. Nach 24.6folgt, dass L/K galoissch ist.

(b) Sei L/K galoissch. Sei G = Gal(L/K). Dann ist G ≤ Aut(L) und nach (a) gilt:L/LG = L/LGal(L/K) ist galoissch mit Galoisgruppe Gal(L/LG) = G = Gal(L/K).Nach Voraussetzung ist auch L/K galoissch. Aus

[L : LG] 24.6= |G| = | Gal(L/K)| 24.6= [L : K] 19.8= [L : LG][LG : K]

folgt [LG : K] = 1, also LG = K.

KAPITEL 25. HAUPTSATZ DER GALOISTHEORIE 116

Theorem 25.5 (Hauptsatz der Galoistheorie, Teil 1). Sei L/K endlich und galoissch mitchar L = 0. Sei

Z := {Z | K ≤ Z ≤ L Zwischenkörper}U := {U | U ≤ Gal(L/K) Untergruppe} .

Definiere

ψ : Z → U , Z �→ Gal(L/Z)φ : U → Z, G �→ LG .

Dann ist ψ inklusionsumkehrende bijektive Abbildung mit ψ−1 = φ und [L : Z] = | Gal(L/Z)|.Beweis.

(a) Sei G ∈ U , also G ≤ Gal(L/K) ≤ Aut(L). Nach 25.4 ist L/LG galoissch mitGal(L/LG) = G. Insbesondere ist [L : LG] 24.6= |G|. Also ist

Gφ−→ LG ψ−→ Gal(L/LG) = G ,

d. h. ψ ◦ φ = idU .

(b) Sei Z ∈ Z, also K ≤ Z ≤ L. Nach Voraussetzung ist L/K galoissch, also nach 24.10auch L/Z galoissch. Nach 25.4 ist Z = LG für G = Gal(L/Z). Also ist

Zψ−→ G = Gal(L/Z) φ−→ LG = LGal(L/Z) = Z ,

d. h. φ ◦ ψ = idZ .

(c) Seien Z1, Z2 ∈ Z mit Z1 ≤ Z2. Dann ist Gal(L/Z2) ≤ Gal(L/Z1). Somit ist dieBijektion ψ inklusionsumkehrend.

Theorem 25.6 (Hauptsatz der Galoistheorie, 2. Teil). Sei K ≤ Z ≤ L eine endlicheKörpererweiterung mit char L = 0 und L/K galoissch. Dann sind äquivalent:

(a) Z/K galoissch.

(b) Gal(L/Z) � Gal(L/K).

(c) σ(Z) ⊆ Z für alle σ ∈ Gal(L/K).

In diesem Fall gilt:

Gal(L/K)�Gal(L/Z) Gal(Z/K) .

Bemerkung: σ(Z) ⊆ Z impliziert σ(Z) = Z, siehe 24.1(c).

Beweis.

(i) Wir zeigen (a) impliziert (c). Sei Z/K galoissch. Nach 24.7 ist Z Zerfällungskörpereines Polynoms 0 �= f ∈ K[X]. Dann ist also Z = K(a1, . . . , an), wobei das Polynomf gegeben ist durch f = λ ·∏n

i=1(X − ai) mit λ ∈ K und ai ∈ Z. Sei σ ∈ Gal(L/K),dann folgt σ(ai) = aj mit 1 ≤ j ≤ n nach 24.1 für alle 1 ≤ i ≤ n. Es folgtσ(Z) ⊆ K(a1, . . . , an) ⊆ Z für alle σ ∈ Gal(L/K).

KAPITEL 25. HAUPTSATZ DER GALOISTHEORIE 117

(ii) Wir zeigen (c) impliziert (b) impliziert (a). Wir definieren die Abbildung

F : Gal(L/K) → Gal(Z/K) mit σ �→ σ|Z .

Nach Voraussetzung (c) ist σ(Z) ⊆ Z, also ist σ|Z ∈ Gal(Z/K). Also ist F wohlde-finierter Gruppenhomomorphismus mit

Ker F = {σ ∈ Gal(L/K) | σ|Z = idZ} = Gal(L/Z)4.6� Gal(L/K).

Nach dem Homomorphiesatz für Gruppen folgt

Gal(L/K)�Gal(L/Z) im F ≤ Gal(Z/K) .

Da L/K galoissch ist, folgt mit 24.10, dass L/Z galoissch ist. Also ist

| Gal(Z/K)| 24.5≤ [Z : K] 19.8=[L : K][L : Z]

24.6=| Gal(L/K)|| Gal(L/Z)| = | im F | ≤ | Gal(Z/K)| .

Dies zeigt | Gal(Z/K)| = [Z : K]. Nach 24.6 ist also Z/K galoissch mit

Gal(L/K)�Gal(L/Z) Gal(Z/K) .

Beispiel 25.7.

(a) Sei f = X3 − 2 ∈ Q[X]. Sei a = 3√

2 und ξ = e2πi/3. Die Nullstellen von f sinda1 = a, a2 = aξ, a3 = aξ2. Dann ist L := Q(a, ξ) = Q(a1, a2, a3) Zerfällungskörpervon f . Nach 24.7 ist L/Q galoissch mit | Gal(f)| = | Gal(L/Q)| = [L : Q] = 6. Nach24.9 ist Gal(f) ≤ S3. Es folgt also Gal(f) = S3.

(b) Wir erhalten die folgende Korrespondenz zwischen dem Untergruppenverband vonS3 und dem Zwischenkörperverband von L/Q:

{id}

〈(12)〉 〈(13)〉 〈(23)〉 〈(123)〉

S3

φ

Q(a, ξ)

Q(a3) Q(a2) Q(a1) Q(ξ)

Q

Wir berechnen die Fixkörper, die zu den Untergruppen der S3 korrespondieren: DieGaloisgruppe Gal(f) permutiert die Nullstellen {a1, a2, a3}. Setze zum Beispiel G =〈(12)〉 = {σ0, σ12}. Hierbei ist σ0 die Identitätsabbildung. Die Abbildung σ12 istdefiniert durch σ12|Q = id und σ12 vertauscht die Nullstellen a1 und a2, während dieNullstelle a3 fest bleibt:

a1 �→ a2, a2 �→ a1, a3 �→ a3.

Dann ist also a3 ∈ LG, und wegen a2 �= σ12(a2) ist LG �= L. Es ist also

6 = [L : Q] = [L : LG]︸ ︷︷ ︸=1

·[LG : Q(a3)] · [Q(a3) : Q]︸ ︷︷ ︸=3

.

KAPITEL 25. HAUPTSATZ DER GALOISTHEORIE 118

Damit folgt [L : Q(a3)] = 1, also ist LG = Q(a3).Als nächstes betrachten wir die Untergruppe G = 〈(123)〉 = {σ0, σ123, σ132} von S3.Hierbei ist wieder σ0 die Identitätsabbildung und zum Beispiel σ := σ123 definiertdurch a1 �→ a2, a2 �→ a3, a3 �→ a1 und σ|Q = id. Es ist ξ = aξ

a= a2

a1. Also ist

σ(ξ) = σ(

a2

a1

)=

σ(a2)σ(a1)

=a3

a2=

aξ2

aξ= ξ.

Es ist σ(a1) �= a1, also ist LG �= L. Da σ132 = σ−1123 ist ξ ∈ LG, und damit ist

Q(ξ) ⊆ LG �= L. Mit einem Gradargument wie oben folgt Q(ξ) = LG. Man beachteauch, da G � S3, folgt mit 25.6, dass die Körpererweiterung L/Q(ξ) galoissch ist.

Kapitel 26

Kreisteilungspolynome

Sei K ein Körper, dann ist K× eine multiplikative Gruppe. Eine Einheitswurzel ist einElement z ∈ K× endlicher Ordnung. Gilt hierbei zn = 1 so heißt z eine n-te Einheitswurzel.Ist sogar ord z = n, so ist z eine primitive n-te Einheitswurzel. Wir schreiben

En(K) = {n-te Einheitswurzel in K}E ′

n(K) = {z ∈ En(K) | z primitiv} .

Die Menge En(K) ist eine Gruppe bezüglich Multiplikation, und als endliche Untergruppevon K× ist also En(K) zyklisch, siehe 23.2. Sei Kn der Zerfällungskörper von Xn − 1 ∈K[X]. Ist char K � n, so folgt mit 18.2 und 18.5, dass En(Kn) Zn. Da En(K) ≤ En(Kn)Untergruppe ist, folgt mit 3.7, dass En(K) Zd ist für d | n. Ist ord z = n, so istord zk = n genau dann, wenn (n, k) = 1 ist, siehe 3.5. Es folgt, dass E ′

n(Kn) Z×n ist.

Wir betrachten im Folgenden die gewöhnlichen komplexen n-ten Einheitswurzeln, undbestimmen das Minimalpolynom einer primitiven n-ten Einheitswurzel. Als Anwendunghiervon, und als Anwendung des Hauptsatzes der Galoistheorie charakterisieren wir, fürwelche natürlichen Zahlen n das regelmäßige n-Eck mit Zirkel und Lineal konstruierbarist.

Definition 26.1. Das Polynom φn := ∏z∈E′

n(C)(x − z) ∈ C[X] heißt n-tes Kreisteilungs-polynom.

Beispiel 26.2. Nach Definition ist φn normiert. Wir sehen in 26.5, dass φn ∈ Z[X] ist,somit ist φn primitiv (siehe 17.5). Sei ϕ(n) := |Z×

n | die Eulersche phi-Funktion, siehe 12.4.Nach Definition ist also deg φn = ϕ(n). Wir berechnen einige kleine Kreisteilungspolyno-me:

n 1 2 3 4Xn − 1 X − 1 X2 − 1 X3 − 1 X4 − 1

En {1} {±1} {1, ζ, ζ2} {±1, ±i}E′

n {1} {−1} {ζ, ζ2} {±i}φn X − 1 X + 1 (X − ζ)(X − ζ2) = X2 + X + 1 (X − i)(X + i) = X2 + 1,

Heirbei ist ζ := e2πi/3, und man sieht anhand eines Bildes zur Vektoraddition von ζ undζ2, dass ζ + ζ2 = −1 ist.

Die Berechnung von Kreisteilungspolynomen mittels 26.1 wird schnell mühselig. Das fol-gende Lemma hilft uns, weitere Kreisteilungspolynome zu berechnen.

Lemma 26.3. Es gilt Xn − 1 = ∏d|n φd.

119

KAPITEL 26. KREISTEILUNGSPOLYNOME 120

Beweis. Es ist Zn = ·⋃d|n{Elemente in Zn der Ordnung d}. Also ist

En(C) = ·⋃d|n

E ′d(C)

Damit folgt Xn − 1 = ∏d|n φd.

Beispiel 26.4. Mit der Aussage des letzten Lemmas lassen sich Kreisteilungspolynomerekursiv berechnen.

(a) Sei p prim. Dann ist Xp − 1 = φ1 · φp, also

φp = Xp − 1X − 1

= Xp−1 + Xp−2 + . . . + X + 1 .

(b) Es gilt X8 − 1 = φ1 · φ2 · φ4 · φ8 = (X − 1)(X + 1)(X2 + 1) · φ8 = (X4 − 1) · φ8. Alsofolgt

φ8 = X8 − 1X4 − 1

= X4 + 1 .

Theorem 26.5. Es ist φn ∈ Z[X].

Beweis. Wir führen den Beweis durch Induktion nach n. Sei die Behauptung wahr füralle d < n. Dann ist

fn :=∏d|nd=n

φd ∈ Z[X] ⊆ Q[X]

normiert und primitiv. Also existieren q, r ∈ Q[X] mit Xn−1 = q·fn+r und deg r < deg fn.Nach 26.3 gilt Xn − 1 = φn · fn. Also ist (φn − q)fn = r ∈ C[X] und

deg(φn − q) + deg fn = deg r < deg fn .

Also ist r = 0 und damit φn = q ∈ Q[X]. Also ist fn | Xn − 1 in Q[X]. Da fn primitiv ist,folgt mit 17.10 (d), dass fn | Xn − 1 in Z[X], d. h. φn ∈ Z[X].1

Theorem 26.6 (Unzerlegbarkeit der Kreisteilungspolynome). Sei n ∈ N und z eine n-teEinheitswurzel.

(a) Ist m ∈ N mit ggT(n, m) = 1, so haben z und zm dasselbe Minimalpolnom.

(b) Sei ζn := e2πi/n ∈ C. Dann hat ζn das Minimalpolynom φn über Q.

Beweis. Wir benutzen wiederholt, dass Z[X] und Zp[X] (für p prim) faktoriell sind, siehe17.12, also eine eindeutige Primfaktorzerlegung haben.

(a) (i) Sei zunächst m = p eine Primzahl. Angenommen, f = minz,Q und g := minzp,Q

und f �= g. Da z und zm Nullstellen von Xn − 1 sind, folgt f | Xn − 1 undg | Xn − 1 in Q[X] nach 20.2. Da f �= g jeweils unzerlegbar sind, und diePrimfaktorzerlegung in Q[X] eindeutig ist, existiert h ∈ Q[X] mit Xn − 1 =f · g · h. Da Xn − 1, f und g normiert sind, ist auch h normiert. Mit 17.10 (d)folgt f, g, h ∈ Z[X].

1Alternativ: Da der Leitkoeffizient von fn gleich 1 und damit eine Einheit in Z ist, existieren q, r ∈ Z[X ]mit Xn − 1 = q · fn + r, siehe 13.9. Nach 26.3 gilt Xn − 1 = φn · fn, also (φn − q)fn = r ∈ Z[X ] undwegen deg(φn − q) + deg fn = deg r < deg fn folgt r = 0, also φn = q ∈ Z[X ].

KAPITEL 26. KREISTEILUNGSPOLYNOME 121

(ii) Rechne modulo p. Schreibe q := ∑aiX

i für q = ∑aiX

i mit ai := ai mod p.Wegen ggT(p, n) = 1, ist (Xn − 1)′ = nXn−1 �= 0. Mit 17.12 folgt, dass

ggTZp[X](Xn − 1, nXn−1) = 1 .

Ist q = ggT(f, g), dann folgt q2 | fgh = Xn − 1. Wegen ggT(p, n) = 1 hatXn − 1 keine mehrfachen Primfaktoren. Es folgt

1 = q = ggT(f, g) .

(iii) Da zp Nullstelle von g ist, ist z Nullstelle von g(Xp). Nach 20.2 ist f | g(Xp)in Q[X]. Außerdem ist f primitiv, also auch f | g(Xp) ∈ Z[X] nach 17.10 (c).Somit existiert q ∈ Z[X] mit f · q = g(Xp). Reduziere modulo p. Nach 23.8 giltin Zp[X]:

(aX i)p = ap(Xp)i = a(Xp)i, also g(X)p = g(Xp) = f · q .

Damit ist ggT(f, g) �= 1, ein Widerspruch zu (ii). Also ist f = g. Damit habenalso z und zp dasselbe Minimalpolynom.

(iv) Sei m ∈ N mit ggT(m, n) = 1. Sei m = p1 · . . . · pr mit pi prim. Mit (iii) folgt:• z und zp1 haben dasselbe Minimalpolynom.• zp1 und (zp1)p2 = zp1p2 haben dasselbe Minimalpolynom.• Etc.

Induktiv folgt also, dass z und zm dasselbe Minimalpolynom haben.

(b) Sei f := minζn,Q. Dann ist f nach (a) das Minimalpolynom aller anderen primitivenn-ten Einheitswurzeln. Somit ist deg f ≥ |Z×

n | = ϕ(n) = deg φn. Mit 20.2 folgtdeg f = deg φn, also f = φn.

Proposition 26.7. Wir benutzen die Notation aus Kapitel 21. Sei {0, 1} ⊆ M ⊆ C undK = Q(M ∪M ). Sei z ∈ C algebraisch über K. Sei L Zerfällungskörper von mz,K ∈ K[X].Ist [L : K] = 2k für ein k ∈ N0, dann ist z ∈ M .

Beweis. Die Körpererweiterung L/K ist galoissch nach 24.7. Mit 24.6 folgt

| Gal(L/K)| = [L : K] = 2k .

Nach 9.9 ist Gal(L/K) auflösbar. Wegen 9.13 existiert eine Kompositionsreihe mit zykli-schen Faktoren, d. h.

{id} = Nr � Nr−1 � . . . � N0 = Gal(L/K)

mit Ni�Ni+1 C2 für alle i. Nach 25.5 existiert eine Körperkette

K = L0 < L1 < . . . < Lr = L

mit Li := LNi mit [L : Li] = | Gal(L/Li)| = |Ni| = 2r−i. Nach 19.8 folgt [Li : Li−1] = 2für 1 ≤ i ≤ r. Da z ∈ L ist, folgt z ∈ M , siehe 21.5.

Theorem 26.8. Das regelmäßige n-Eck ist genau dann mit Zirkel und Lineal konstruier-bar, wenn ϕ(n) eine Zweierpotenz ist.

KAPITEL 26. KREISTEILUNGSPOLYNOME 122

Beweis. Ohne Einschränkung sei M = {0, 1}, d. h. Q(M ∪ M) = Q. Das regelmäßigen-Eck ist aus M genau dann konstruierbar, wenn e2πi/n =: ζn ∈ C konstruierbar ist.

(a) Sei ζn ∈ M . Nach 21.6 und 26.6 folgt

ϕ(n) = [ζn : Q] = [Q(ζn) : Q] = 2k .

(b) Sei ϕ(n) = 2k. Dann folgt mit 26.6:

[Q(ζn) : Q] = [ζn : Q] = ϕ(n) = 2k .

Nach 26.7 ist dann ζn konstruierbar.

Bemerkung 26.9. Um zu verstehen, wann das regelmässige n-Eck konstruierbar ist,bleibt also zu verstehen, wann ϕ(n) eine Potenz von Zwei ist.

(a) Behauptung: Ist 2b + 1 eine Primzahl für b ∈ N, dann ist b eine Zweierpotenz.

Beweis. Angenommen, b ist keine Zweierpotenz. Dann ist b = c · q mit q > 1ungerade, d. h. c < b. Es ist

Xq − Y q = (X − Y )(Xq−1 + Xq−2Y + . . . + XY q−2 + Y q−1) .

Setze X = 2c, Y = −1. Dann existiert also ein z ∈ Z mit

2b + 1 = (2c + 1)z,

also 2c + 1 | 2b + 1 mit c < b, und damit ist 2b + 1 nicht prim.

(b) Eine Primzahl der Form 22n + 1 heißt Fermatsche Primzahl: Mit der BezeichnungFn := 22n + 1 ist

F0 = 3F1 = 5F2 = 17F3 = 257F4 = 65537 .

Es ist ein offenes Problem, ob es weitere Fermatsche Primzahlen gibt.

(c) Behauptung: Sei n ∈ N. Dann ist ϕ(n) eine Zweierpotenz genau dann, wenn n =2m · p1 · . . . · pr mit r, m ≥ 0 ist, wobei p1, . . . , pr paarweise verschiedene FermatschePrimzahlen sind.

Beweis. Sei n = ∏i pni

i Primfaktorzerlegung. Nach 12.4 folgt

ϕ(n) =∏

i

(pi − 1)pni−1i . (26.1)

Angenommen, ϕ(n) ist eine Zweierpotenz. Dann folgt ni = 1 für alle ungeraden pi

und pi−1 ist eine Zweierpotenz. Also ist pi = 2bi +1 für bi ∈ N0. Nach (a) gilt bi = 2ai

für ai ∈ N0. Also ist pi = 22ai + 1 eine Fermatsche Primzahl. Die Rückrichtung desBeweises folgt direkt aus (26.1).

Kapitel 27

Auflösbarkeit vonPolynomgleichungen

Bei einer allgemeine quadratische Gleichung gibt die Mitternachtsformel oder pq-Formeldie Lösungen dieser Gleichung an. Wir wollen zeigen, dass es für die allgemeine Polynom-gleichung fünften Grades keine Lösungsformel gibt, genauer, dass sich die Nullstellen derGleichung fünften Grades nicht aus den Koeffizienten dieser Gleichung, Körperoperationenund komplexem Wurzelziehen bestimmen lassen.

Definition 27.1. Sei L/K eine Körpererweiterung.

(a) Eine Körpererweiterung L = K(a) heißt einfache Radikalerweiterung, falls es einn ∈ N gibt mit an ∈ K.

(b) Eine Körpererweiterung L/K heißt Radikalerweiterung (kurz RE), falls es eine end-liche Kette von Körpern gibt,

K = K0 ≤ K1 ≤ . . . ≤ Km = L,

mit Ki/Ki−1 einfache Radikalerweiterung, (wobei hierbei n variieren darf).

Beispiel 27.2.

(a) Die Körpererweiterung Q(√

2,3√

1 +√

2) über Q ist eine Radikalerweiterung, denn

Q ⊆ Q(√

2) ⊆ Q(√

2)( 3√b)

mit b = 1 +√

2 ∈ Q(√

2).

(b) Sei K ≤ L ≤ M eine Körpererweiterung, sodass L/K und M/L Radikalerweiterun-gen sind. Dann ist auch M/K eine Radikalerweiterung.

Definition 27.3. Ein Polynom f = Xn + an−1Xn−1 + . . . + a1 + a0 ∈ C[X] heißt (durch

Radikale) auflösbar, falls es eine Radikalerweiterung von Q(a0, a1, . . . , an−1) gibt, die alleNullstellen von f enthält.

Beispiel 27.4. Sei f = X2 + px + q ∈ C[X]. Wir lösen die Gleichung f = 0 durchquadratische Ergänzung. Hierbei gilt

(X + p

2

)2= p2

4− q.

123

KAPITEL 27. AUFLÖSBARKEIT VON POLYNOMGLEICHUNGEN 124

Die Gleichung f = 0 hat also die Nullstellen

x1,2 = −p

2±√

p2

4− q ∈ Q

⎛⎝p, q,

√p2

4− q

⎞⎠ .

Da Q(

p, q,√

p2

4 − q)

/Q(p, q) eine Radikalerweiterung ist, ist f durch Radikale auflösbar.Polynome vom Grad drei (mittels Cardanischer Formeln) und vier sind ebenfalls durchRadikale auflösbar.

Beispiel 27.5. Wir suchen in diesem Kapitel nach einem Kriterium, wann Polynomglei-chungen auflösbar sind. Hierzu benötigen wir, dass die folgende Galoisgruppe abelsch ist.

(a) Sei L = K(z) mit zn ∈ K. Sei ζ eine primitive n-te Einheitswurzel in K. Dann hatdas Polynom f := Xn − zn ∈ K[X] die Nullstellen {ζkz | 1 ≤ k ≤ n}, und damit istL ein Zerfällungskörper von f ∈ K[X]. Nach 24.7 ist damit L/K galoissch.

(b) Sei F : Gal(L/K) → (Zn, +) mit σi �→ li, wobei σi(z) = ζ liz angenommen werdenkann, denn mit z ist auch σ(z) eine Nullstelle von f . Wir zeigen, dass F ein injektiverGruppenhomomorphismus ist.

(i) Wegen ζ lj ∈ K ist (σi ◦ σj)(z) = σi(ζ lj z) = σi(ζ lj ) · σi(z) = ζ lj · σi(z) = ζ lj+liz,also folgt F (σi ◦ σj) = li + lj = F (σi) + F (σj). Also ist F ein Gruppenhomo-morphismus.

(ii) Angenommen, F (σi) = 0 + nZ. Dann folgt σi(z) = ζ0z = z, also σi = idL. Dieszeigt, dass F injektiv ist, d. h. Gal(L/K) ≤ (Zn, +) Untergruppe. Nach 3.7 istdamit Gal(L/K) zyklisch, insbesondere abelsch.

Proposition 27.6. Sei L/K eine Radikalerweiterung und char K = 0. Dann existierteine Radikalerweiterung M/L, sodass M/K galoissch (und Radikalerweiterung) ist.

Beweis. Induktion nach [L : K]: Sei K = K0 ≤ K1 ≤ . . . ≤ Km−1 ≤ Km = L mit Ki/Ki−1einfache Radikalerweiterung für alle i.

(a) Sei m = 1. Sei L = K(λ) mit λn ∈ K. Sei ζ eine primitive n-te Einheitswurzelim Zerfällungskörper von Xn − 1 ∈ L[X]. Sei M := L(ζ). Dann enthält M alleNullstellen {ζkλ | 1 ≤ k ≤ m} von Xn − λn ∈ K[X]. Somit ist M Zerfällungskörpervon Xn − λn ∈ K[X]. Nach 24.7 ist M/K galoissch und K ≤ L ≤ M , wobei M/Lund L/K Radikalerweiterungen sind, d. h. M/K ist eine Radikalerweiterung.

(b) Sei m > 1. Ohne Einschränkung sei Km−1 �= L, und es sei L = Km−1(μ) mitμn ∈ Km−1. Es ist [Km−1 : K] < [L : K]. Nach Induktionsvoraussetzung existierteine Radikalerweiterung M ′/Km−1 mit M ′/K galoissch. Definiere

f :=∏

σ∈Gal(M ′/K)(Xn − σ(μn)) .

Für alle τ ∈ Gal(M ′/K) gilt, unter Benutzung von 1.6 und mit der Notation von22.6:

τ ∗f =∏

σ∈Gal(M ′/K)(Xn − (τ ◦ σ)(μn)) = f .

KAPITEL 27. AUFLÖSBARKEIT VON POLYNOMGLEICHUNGEN 125

Also liegt jeder Koeffizient von f im Fixkörper M ′ Gal(M ′/K) = K, siehe 25.4, und so-mit ist f ∈ K[X]. Sei M Zerfällungskörper von f über M ′. Dann entsteht M aus M ′

durch Adjunktion von n-ten Wurzeln von σ(μn). Somit ist M/M ′ eine Radikalerwei-terung. Da auch M ′/Km−1 nach Induktionsvoraussetzung eine Radikalerweiterungist, ist M/Km−1 eine Radikalerweiterung. Nach Konstruktion, für σ = id, ist μ ∈ M ,also L ⊆ M . Wieder nach der Induktionsvoraussetzung ist M ′/K galoissch, also istM ′ Zerfällungskörper von g ∈ K[X]. Da M Zerfällungskörper von f ∈ M ′[X] ist,ist M Zerfällungskörper von f · g ∈ K[X], d. h. nach 24.7 folgt M/K galoissch.

Theorem 27.7 (Galois). Sei char K = 0 und f ∈ K[X] \ K. Sei L Zerfällungskörpervon f über K. Ist f durch Radikale auflösbar, dann ist Gal(L/K) eine auflösbare Gruppe.(Die Umkehrung dieses Satzes gilt ebenfalls.)

Beweis.

(a) (i) Ist f durch Radikale auflösbar, dann ist L/K eine Radikalerweiterung. Nach27.6 gibt es eine Radikalerweiterung M/L mit M/K galoissch. Dann existierenz1, . . . , zr ∈ M und ni ∈ N mit M = K(z1, . . . , zr) und zni

i ∈ K(z1, . . . , zi−1)für 1 ≤ i ≤ r. Sei n0 := n1 · n2 · . . . · nr. Sei M ′ Zerfällungskörper von g :=Xn0 − 1 ∈ M [X]. Sei H die Menge der Nullstellen von g in M ′. Nach 18.5 hatg keine doppelten Nullstellen. Dann ist H ≤ (M ′)× eine endliche Untergruppemit |H| = n0. Nach 23.2 ist dann H Zn0 .Sei z0 ein Erzeuger von H , d. h. z0 ist eine primitive n0-te Einheitswurzel. Dannist M ′ = M(H) = M(z0) = K(z0, z1, . . . , zr) mit

zn00 ∈ K

zn11 ∈ K ⊆ K(z0)

zn22 ∈ K(z1) ⊆ K(z0, z1)

etc.,

d. h. M ′/K ist eine Radikalerweiterung.(ii) Wir wissen, dass M/K galoissch ist. Nach 24.7 ist M Zerfällungskörper von

0 �= h ∈ K[X], also ist M ′ Zerfällungskörper von g · h ∈ K[X]. Nach 24.7 istM ′/K galoissch.

Insgesamt haben wir also, dass M ′/K galoissch und eine Radikalerweiterung ist,und M ′ enthält alle n0-ten Einheitswurzeln.

(b) (i) Wir wenden die Galoiskorrespondenz an. Setze hierzu

G := Gal(M ′/K)Ki := K(z0, z1, . . . , zi)Gi := Gal(M ′/Ki)

für 0 ≤ i ≤ r.Da K−1 := K ≤ K0 ≤ K1 ≤ . . . ≤ Kr = M ′ ist, folgt mit 25.5, dass

{id} = Gr ≤ Gr−1 ≤ . . . ≤ G0 ≤ G =: G−1 . (27.1)

Für i ≥ 1 enthält der Körper Ki−1 das Element zn0/ni

0 mit ord(zn0/ni

0 ) 3.5= ni.Ist i = 0, so ist K0 = K(z0) mit ord(z0) = n0. Daher ist Ki/Ki−1 eine einfache

KAPITEL 27. AUFLÖSBARKEIT VON POLYNOMGLEICHUNGEN 126

ni-Radikalerweiterung, die eine primitive ni-te Einheitswurzel enthält. Nach27.5 ist Ki/Ki−1 galoissch mit abelscher Galoisgruppe. Nach 25.6 folgt damit,dass Gi � Gi−1 mit

Gi−1�Gi Gal(M ′/Ki−1)�Gal(M ′/Ki) Gal(Ki/Ki−1) .

(ii) Nach (i) ist (27.1) eine Normalreihe von G mit abelschen Faktoren. Nach 9.7ist G daher eine auflösbare Gruppe. Nach Voraussetzung und 24.7 ist L/Kgaloissch. Nach 25.6 ist Gal(M ′/L) � Gal(M ′/K) mit

Gal(M ′/K)�Gal(M ′/L) Gal(L/K) .

Nach 9.8 folgt, dass Gal(L/K) auflösbar ist.

Beispiel 27.8.

(a) Sei f = X5 − 4X + 2 ∈ Q[X]. Nach 18.9 mit p = 2 ist f unzerlegbar. Es ist

f − 2 = X5 − 4X = X(X4 − 4) = X(X2 − 2)(X2 + 2) .

Der Graph von f − 2 hat also drei reelle Nullstellen, und lässt sich damit leichtzeichnen. Der Graph von f entseht aus dem Graphen von f − 2 durch Verschiebungum zwei in y-Richtung. Kurvendiskussion liefert max f > 0 und min f < 0. Damithat f insbesondere drei reelle Nullstellen. Wir wollen zeigen, dass f nicht durchRadikale auflösbar ist.

(b) (i) Allgemeiner, sei f ∈ Q[X] unzerlegbar und deg f = 5. Sei L ein Zerfällungs-körper von f , d. h. L = Q(a1, . . . , a5), wobei f = λ

∏5i=1(X − ai) mit λ ∈ Q.

Angenommen, a1, a2, a3 ∈ R \ Q und a4, a5 ∈ C \ R. Nach 18.6 gilt a5 = a4.(ii) Nach 24.7 ist L/Q galoissch. Nach 24.9 ist Gal(L/Q) = Gal(f) isomorph zu

einer Untergruppe G von S5 mit 5 = deg(f) | |G|. Nach 8.5 existiert π ∈ Gmit ord(π) = 5, d. h. π ist ein 5-Zykel.

(iii) Für i ∈ {1, . . . , 5} gilt ai ∈ {a1, . . . , a5}. Also ist L = L. Die Abbildung L → L,definiert durch z �→ z liegt in Gal(L/Q). Da z = z, ist die Abbildung komplexeKonjugation ein Element der Ordnung zwei. Genauer gilt τ := (45) ∈ G.

(iv) Wir sortieren die fünf Nullstellen wiederholt um. Durch Umsortierung der Null-stellen ai sei ohne Einschränkung π = (12345). Es ist π = (12345) = (23451) =(34512) = . . .. Ohne Einschränkung sei hierbei also τ = (1a) mit 2 ≤ a ≤ 5.Da 5 prim ist, sind π, π2, π3 und π4 jeweils 5-Zykel mit

π : 1 �→ 2,

π2 : 1 �→ 3,

π3 : 1 �→ 4π4 : 1 �→ 5 ,

Es gilt also πa−1 : 1 �→ a. Also ist πa−1 = (1a . . .) ∈ G. Ohne Einschränkungsei also π = (12345) und τ = (12). Wegen S5 = 〈π, τ〉 ⊆ G ⊆ S5 gilt G = S5 Gal(L/Q). Nach 9.4 ist Gal(L/Q) nicht auflösbar. Nach 27.7 ist f nicht durchRadikale auflösbar.

KAPITEL 27. AUFLÖSBARKEIT VON POLYNOMGLEICHUNGEN 127

Theorem 27.9.

(a) Das allgemeine Polynom vom Grad ≤ 4 ist durch Radikale auflösbar.

(b) Polynome mit abelscher Galoisgruppe sind durch Radikale auflösbar.

(c) Das allgemeine Polynom vom Grad n ≥ 5 ist nicht durch Radikale auflösbar.

Beispiele von Polynomen mit abelscher Galoisgruppe sind die Kreisteilungspolynome φn.Nach 26.6 ist das Kreisteilungspolynom φn das Minimalpolynom von ζn := e2πi/n über Qund L := Q(ζn) ist Zerfällungskörper von φn ∈ Q[X]. Nach 24.7 ist die KörpererweiterungL/Q galoissch. Ist σ ∈ Gal(L/Q), so ist nach 24.1 das Element σ(ζn) eine Nullstelle vonφn. Also existiert 1 ≤ kσ ≤ n mit (kσ, n) = 1 und σ(ζn) = ζkσ . Definiere die Abbildung

F : Gal(L/Q) → (Z×n , ·) mit σ �→ kσ.

Dann ist F ein Monomorphismus, also die Galoisgruppe Gal(L/Q) isomorph zu einerUntergruppe von Z×

n .